Neuanfang

Etwa eine halbe Stunde Fußmarsch von der Magierstadt Zyranus entfernt liegt eine bislang noch immer namenlose Siedlung, erbaut aus vereinten Kräften der wenigen zuvor scon ansässigen Bauern, eifriger Zyraner und den Überbleibseln der dunklen Armee, die ursprünglich die Magierstadt unter ihrem dämonischen Heerführer hatte den Garaus machen wollen. Wer hier noch siedelt und sich ein Eigenheim erbaut hat, will Frieden.
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Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Sonntag 28. April 2024, 13:11

Kazel kommt von: Schicksals Domäne

Kazel spürte die Schwere seines Körpers viel stärker, als er ihn in Erinnerung hatte. Der Grund auf dem er lag fühlte sich feste und zugleich weich an und jede Regung seines Körpers löste ein feines Rascheln aus. Unterbewusst nahm er den Geruch von Kiefernholz wahr, doch vermischten sich noch andere Düfte mit diesem, die ihm durchaus bekannt waren. Verschiedene Kräuter, die rauchig-würzige Luft eines Kaminfeuers…
Den Weg zurück ins Bewusstsein zu finden war nicht so leicht, wie man hätte meinen können. Sein Kopf schmerzte und ihm war unerträglich warm, während er gleichzeitig fror und zitterte. Er befand sich in einem unruhigen Zustand zwischen Schlaf, Bewusstlosigkeit und kurzen halbwachen Momenten, die dennoch nicht steuer- oder greifbar waren.
Das Verlieren seiner Erinnerungen war leider kein Eingriff, den seine Seele ohne Gegenwehr hinnahm. Kazel hatte hohes Fieber bekommen und war leider noch nicht voll allen Qualen erlöst. Sein Verstand versuchte erfolglos das Verlorene zu erreichen, huschte in Schwärze und Bildlosigkeit hin und her und schenkte ihm kaum erholsame Ruhe. Seine Wangen und die Stirn fühlten sich brennend an und unruhig wälzte er sich von einer Seite auf die Andere. Seine Seele hatte jede Beziehung verloren, zu der sie sich in ihrem jetzigen Zustand flüchten würde. Es war kein schönes Gefühl und erfüllte ihn mit Unruhe und Einsamkeit.
Erst als kühle Finger seine Wange berührten, schien er einen Moment zu erhalten, an den sich seine Seele klammern und orientieren konnte. Er war doch nicht alleine!
„Es wird alles gut…!“, drang eine ruhige und angenehme Stimme durch seinen Dämmerzustand in sein Bewusstsein. Etwas Kühles und Feuchtes berührte seine Stirn und bot seinem schmerzenden Kopf anhaltende Milderung. Kazel würde vielleicht die Augen öffnen, doch war seine Sicht durch das Fieber getrübt, so dass er wenn, nur schemenhaft eine Gestalt bei sich sitzend, erkennen könnte, bevor er wieder in einen Dämmerzustand fallen würde.
Eine zeitlose Weile kehrte so sein Geist immer wieder zu solchen kleinen halbwachen und gleichzeitig ungenauen Momenten zurück. Die Gestalt war jedes Mal weiter an seiner Seite und kümmerte sich scheinbar um seinen Fieberzustand. Einmal würde er einen bittersüßen Geschmack auf der Zunge schmecken können, der zwar nicht angenehm, jedoch ertragbar sein würde. Sowohl Kazels Körper, als auch seine Seele fand immer mehr Ruhe, bis ihm die Gnade eines tiefen und erholsamen Schlafes gewährt wurde.

Das Erste, was der junge Mann bewusst wieder wahrnahm war der gedämpfte Gesang von Vögeln und einigen dumpfen Lauten, als würde jemand außerhalb holzhacken. Kazels Nase würde den Geruch von frisch gebackenem Brot wahrnehmen können, der langsam aber sicher sein Hungergefühl hervorlockte.
Der Schlaf hatte ihm gut getan und das Fieber verjagt. Erstaunlicherweise fühlte sich der Mischlingself sogar erfrischt und leicht im Kopf. Der Schmerz seiner Seele war abgeklungen.
Das Flackern eines Licht- und Schattenspiels der hereinbrechenden Sonne fiel auf seine Augen und ließ die Sicht hinter seinen Lidern rötlich wirken. Langsam kehrten seine Lebensgeister wieder zurück und so auch Denkprozesse, wie nach dem: Wo er war?!
Sollte Kazel versuchen seine Gedanken zu ordnen würde er sich an Teile seines Gesprächs mit Tod und Schicksal zurückerinnern können. Sein Leid war jedoch vergessen! Er wusste lediglich, dass er schweren Herzens seine Erinnerungen an sein bisheriges Leben aufgegeben hatte, um seine Rolle als Tods Geselle wahrlich einzunehmen, zu testen und wie von Schicksal gefordert, das Leben unter Beachtung der Grenzen neu kennenzulernen.
Er wusste, wie angekündigt, wer er war, wie alt er war, was er konnte und was nicht - woher er kam und auch, wenn er keine wirklichen Bilder abzurufen vermochte, kannte er ein paar Details zu seinen Wurzeln. So wusste er beispielsweise, dass er kein gutes Verhältnis zu seiner dunkelelfischen Familie besaß und den Namen abgelegt hatte. Er besaß also keine Bindungen, außer zu Tod und an diesen, waren ihm viele Erinnerungen, wenn auch manche lückenhaft, bewahrt geblieben.
„Schläft das Prinzesschen etwa immer noch?“, drang eine männliche Stimme an seine Ohren, dicht gefolgt von einem dumpfen Klopfen, das ein wenig verspätet wirkte. Aus der anderen Richtung, nicht weit von ihm entfernt erklang ein Seufzen.
„Was willst du hier schon wieder, Tarek?“ Die weibliche Stimme, die nun antwortete, könnte Kazel bekannt vorkommen. Es war dieselbe, die er auch hin und wieder in seinen halbwachen Fiebermomenten gehört hatte. Würde Kazel die Augen öffnen, würde er sich im Raum einer L-förmigen Waldkate wiederfinden. Die Wände bestanden aus soliden und geölten Holzleisten, die quer verlegt waren. Es gab mehrere Fenster, von denen einige Schläge geöffnet waren und vor denen helle Gardinen im Wind tanzten. Die Einrichtung wirkte spärlich – er selbst lag in einem Bett, das sehr einfach und mehr, wie ein Provisorium wirkte. Es existierte ein eingemauerter gekachelter Kamin an der hinteren Hauptwand, doch derzeit knisterte kein Feuer darin. Die ebenfalls steingekachelte Bodenfläche darum wies jedoch Spuren abgebrannten Holzes auf. Zwei Türen ließen vermuten, dass es noch zwei weitere Räume zu entdecken gab, doch in dem größeren Raum, in dem er lag gab es noch ein wenig mehr zu sehen.
Auf der anderen Seite befand sich eine kleine Küche, die ebenfalls noch nicht vollendet wirkte. Ein schmaler Ofen, der für einen kleinen Haushalt genügen würde, verströmte den Geruch nach frischen Brot. Ein kleiner Holzschrank, ein Tisch mit 4 Stühlen und ein Gestell mit einer großen Wasserschale waren das Einzige, was seine blauen Augen weiter entdecken würden. Lediglich die vielen aufgehängten Kräuterbüschel, die auf dem Tisch stehenden Tiegel und Töpfchen und viele Stoffstreifen, die ordentlich aufgerollt und gestapelt in einem Flechtkorb lagen, wiesen auf aktive Arbeiten hin.
Die Küche war durch eine provisorisch erstellte Zwischenwand, bestehend aus einem großen Laken, das an einem gespannten Seil hing, halb vom Rest des Raumes getrennt. Und genau hinter diesem trat nun eine junge Frau in sein Sichtfeld, die zweifelsohne die Besitzerin der weiblichen Stimme war. Kupferrote und in sanfte Locken fallende Haare würden ein recht hübsches Gesicht umrahmen, wären sie nicht zu einem dicken Seitenzopf geflochten, der ihr in etwa bis zum unteren Rippenbogen reichte. Klare, dunkle blaue Augen, in die sich je nach Lichteinfall ein winziger Klecks Grün gemischt zu haben schien, sahen in die Richtung der Eingangstüre, die offenstand und in deren Rahmen offenbar der Besitzer der männlichen Stimme lehnte. Dieser vollführte eine etwas übertriebene Geste mit seinen Händen indem er mit ihnen nach der Stelle griff, unter der sein Herz schlagen müsste.
„Wie kaltherzig! Dabei bin ich extra so früh hergekommen, um nachzusehen, ob du Hilfe mit dem fremden Kerl benötigst!“ Der Blick der Rothaarigen sprach Bände und verbarg nicht, dass sie den Worten des Mannes keinen Glauben schenkte. Ihr Mund verzog sich dennoch ein wenig amüsiert, so dass sich ihre mit Sommersprossen geschmückten Wangen leicht hoben.
„Hier kennen sich beinahe alle nicht gut. Abgesehen davon habe ich dir doch erklärt, dass er mir nicht fremd ist! Außerdem bist du nur hergekommen, um dir wieder ein Frühstück zu ergaunern und Zeit zu schinden“, konterte sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Sie trug eine einfache weiße, etwas knittrige Bluse mit Vorderknöpfen und einem hellbraunen Rock, in den die Blusenenden gestopft worden waren und der ihre schlanke Taille dadurch betonte.
Der Mann an der Türe gab einen grummelnden Laut von sich. „Hack du mal wochenlang Tag für Tag Holz für die Neubauten! Da würdest du auch versuchen Zeit zu schinden.“ Ein melodisches, etwas unterdrücktes Lachen war zu hören.
„Wir können ja gerne mal tauschen und du kümmerst dich um all die Verletzungen!“ Bei diesem Vorschlag stieß sich der Mann mit Dreitagebart und braunen Haaren vom Rahmen und hob die Hand zum Abschied.
„Auf die Jammerei kann ich verzichten! Aber sieh zu, dass der Siebenschläfer nicht noch eine Nacht dein Bett blockiert! Zu wenig Schlaf lässt selbst hübschere Blumen welken!“
Tarek, der von Kazels Standpunkt aus nur spärlich zu sehen gewesen war, verabschiedete sich und zog die Türe mit einem dumpfen Laut hinter sich zu.
„Wie immer charmant…!“, konnte er die Rothaarige noch leise sagen hören, ehe sie sich eine Schale griff und auf ihn und das Bett zusteuerte.
Würde er vorgeben noch zu schlafen, würde die Unbekannte sich an sein Bett setzen und vorsichtig seine Temperatur erfühlen.
Würde er sich wach zeigen, würde die junge Frau kurz aus Überraschung stehen bleiben. Ihre blauen Augen würden kurz über sein Gesicht tasten, bis diese von einem Lächeln leicht gezogen werden würden.
„Oh du bist wach! Wie schön, wie geht es dir?“ Sie setzte sich wieder in Bewegung und ließ sich vor ihn und dem Bett auf einen Hocker nieder. Neben diesem stand bereits eine Schale mit Wasser indem einige Stoffbahnen schwammen, mit denen sie vermutlich seine Stirn gekühlt hatte.
Für einen kurzen Moment sah sie Kazel schweigend an, musterte sein Gesicht und in ihren Augen konnte man durchaus … verhaltene Neugierde erkennen. Auf ihrer Wange war eine feine Spur aus Mehl zu sehen und auch ihr brauner Rock wies ein paar kleinere weiß-staubige Flecken auf, was sie jedoch nicht zu stören schien. Die zweite Schale, die sie getragen hatte, lag auf ihrem Schoß gebettet und wenn er einen Blick hineinwerfen würde, würde er darin einen Holzlöffel und eine bräunliche Flüssigkeit entdecken können. Damit diese jedoch nicht verschüttet wurde, stellte sie sie neben sich auf den Boden ab.
„Nun…“, begann sie und schien kurz nach dem besten Beginn für ein Gespräch zu überlegen. Dann hielt sie ihm die Hand hin.
„Ich bin Elodi. Und du bist der Geselle … Kazel, richtig? Ich hoffe ich spreche deinen Namen richtig aus!“ Ihre Stimme klang offen und sie schien sich irgendwie zu freuen mit ihm reden zu können.
Optisch betrachtet schien Elodi ein Mensch zu sein und sollte Kazel über dieses Wissen im Leben verfügt haben, könnte er vermuten, dass sie aus Santros käme.
„Ich denke, du wirst wissen wollen, wo du hier bist, nicht wahr? Schicksal erklärte mir die Umstände, deshalb… scheu dich nicht zu fragen. Wenn ich helfen kann… nun ja!“ Sie schien ein wenig unsicher zu sein, wie sie sich an das Thema herantasten sollte. Dann wanderte ihr Blick kurz durch den Raum und sie strich sich in Gedanken eine lose Strähne hinters Ohr.
„Du befindest dich in der neu entstehenden Grasland-Siedlung, nahe Zyranus. Tod brachte dich her… und die letzten zwei Tage ging es dir nicht sehr gut. Du hattest Fieber, aber vorhin war es schon beinahe verschwunden.“ Sie schien eine ruhige Art zu besitzen, auch wenn sich vorhin anhand des Besuchers gezeigt hatte, dass sie auch ganz anders reagieren konnte. Kazel würde sich zusammenreimen können, dass Elodi die Person war, die Schicksal ihm zur Seite stellen wollte. Doch wer war sie, dass sie dafür in Frage kam? Ebenfalls eine Weltenspringerin?
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Mittwoch 8. Mai 2024, 15:07

Vergessen. Fort war so viel, nahezu alles, inklusive ihm selbst. Denn sein halbes Leben - die bessere Hälfte! - zu vergessen, wollte das Unterbewusstsein nicht so einfach zulassen, nur weil der eigene Verstand sich dazu entschied. So wie Kazel selbst zuvor mit seinem eigenen Herzen um eine Entscheidung hatte ringen müssen, da fochten sein Leib und Schicksals Exekutive nun einen Kampf aus. Einer, bei dem das Ende bereits feststand, denn niemand konnte seinem Schicksal entkommen ... oder? Der Mischling schien es geschafft zu haben und doch wieder nicht. Wie war sein Leben doch geprägt gewesen, von Beginn an und in eine beschwerliche Richtung, nur weil seine Mutter sich einen eldorischen Waldelfen ins Bett geholt hatte, um sich ein Kind zeugen zu lassen. Natürlich war Kazel ein Versehen gewesen, aber seine Mutter hatte ihn dennoch austragen wollen. Sie hatte ihn in sein Schicksal zwingen wollen, nicht nur dann. Als man aufgrund der farblichen Veränderung seiner Haut immer deutlicher erkannte, wie mischblütig er doch war, versuchten Mutter und Tante, dass er seinem Schicksal erstmals entging. Sie hatten ihm über Monate hinweg die unreine Haut vom Leib peitschen wollen. Es war ebenso missglückt wie der Versuch, Kazel trotz allem noch als angesehenes Mitglied in die Familie Tenebrée einzugliedern. Vor dem damaligen Oberhaupt verlangte man von ihm, dass er den eldorischen Sklaven - seinen Vater - mit eigener Hand und vor aller Augen um sein Leben brachte. Und jener hatte es nur allzu gern angenommen, in der Hoffnung, seinem Sohn einen besseren Weg ebnen zu können als den eigenen, doch Kazels mentales Nervenkostüm war dadurch mehr als zerrissen. Zunächst hatte er sich nichts anmerken lassen. In derselben Nacht war er jedoch ins Schlafzimmer der Mutter geschlichen, hatte auch ihr Leben ausgehaucht, nur um dann aus seinem Elternhaus und gleich aus Morgeria zu fliehen. Eine beschwerliche Reise durch die Tote Ebene, das Drachengebirge und schließlich in die Stille Ebene hinein war ihm mit Jahren der Einsamkeit, aber auch des Friedens vergönnt geblieben. Doch ebenso wenig wie er das Familienwappen seines Hauses als Hautbild auf seinem inneren Handgelenk nicht hatte entfernen können, war es ihm in all der Zeit und auch danach unmöglich gewesen, das Stigma seines Mischblutes von sich zu nehmen. Beides würde ihm auch jetzt nicht gelingen, doch das Haus Tenebrée war größtenteils vergessen. Indem seine Tante Starle es unter ihrer Herrschaft in ein Edelbordell gewandelt hatte, war der Ruf der einstigen Familie längst nicht mehr jener, unter dem Kazel hatte aufwachsen müssen. Doch weder den Namen seiner Tante noch das Bordell selbst würde man bald noch kennen. Starle Tenebrée blieb ein langes Leben vergönnt - das hatte er Dank Tods Gabe eigenes gesehen. Aber dieses Leben würde sie in Gefangenschaft verbringen und niemals wieder Morgerias Straßen durchqueren, geschweige denn den Namen Tenebrée mit Hurerei in den Schmutz ziehen. Das sollte ohnehin nicht geschehen, denn Kazel und seine Freunde hatten das Bordell an zwei Nachtelfenschwestern übergeben. Es war der Lohn dafür, dass sie Janays Schwester aus den Fängen eines missbräuchlichen Ehemannes gerettet hatten. Sie würden das Bordell fortführen und den Namen Tenebrée vergessen machen.
Kazel selbst hatte ihn schon vergessen, zusammen mit so viel anderem. Sein Körper konnte rebellieren, aber am Ende verlor er. Tenebrée als Name war vergessen, zusammen mit allen anderen. Janay, Nar'Zissus de Quis, Janays Schwester Arina, Kodiak der Bär, Schlange oder so viele weitere Verbündete ... Kazels Erinnerungen wirbelten in einem Fieberwahn umher, der am Ende nur einen löchrigen Käse zurücklassen sollte. Einzig, dass er der Geselle des Gevatters bliebe, sein Lehr- und Schützling, das blieb fest verankert. Ebenso hätte er noch das Wissen um die Vereinbarung mit dem Schicksal, wenngleich auch hier nicht alles in seinem Gedächtnis vorhanden bliebe. Aber er würde wissen, dass er zu seinem alten Leben zurück könnte, wenn er es denn wollte. Oh, in dieser Hinsicht konnte man das Schicksal als genauso perfide bezeichnen wie alle anderen, die bisher so sehr mit Kazels Leben gespielt und ihn wie einen Bauern über das Schachbrett gerückt hatten. Wie sollte er das Bedürfnis verspüren, ein Leben wiederaufzunehmen, an das er sich nunmehr kein bisschen erinnerte? Jedenfalls nicht an die guten Teile.
Er wusste, dass er als Mischlingsblut in ein morgerianisches Adelshaus hineingeboren worden war. Der Name war ausgelöscht. Tenebrée gab es für ihn nicht mehr. Da war nur noch Kazel, so wie er sich Schicksal auch vorgestellt hatte. Aber er wusste, dass er sich nicht im Guten von seiner Familie getrennt hatte, sondern vielmehr fluchtartig aus Morgeria entkommen war. Er würde sich an die Reise durch die Tote Ebene und bis hinein in die Stille Ebene erinnern, denn dort war er keiner Seele begegnet, die sein Herz hätte prägen können. Aber er hatte auf dieser Reise gelernt, in der Wildnis zu überleben und mit der Einsamkeit umzugehen. Diese Fähigkeiten würde er wohl noch brauchen, weshalb ihm die Kenntnisse erhalten blieben. Doch hier endete sein Flickenteppich aus Erinnerungen auch schon wieder. Er wusste nur noch, dass er die Stille Ebene hatte verlassen wollen, weil er eben irgendwann doch nicht mehr mit der Einsamkeit hatte umgehen können. Er wusste, dass seine Seele aus irgendeinem Grund dem Gevatter verschrieben worden war ... weil er schon ein-, wenn nicht gar mehrere Male verstorben war. Doch Tod hatte ihn nicht zum Werkzeug auserkoren, sondern es ihm angeboten und Kazel hatte eingewilligt. Er war freiwillig der Lehrling des Zeitlosen und schien sich zumindest soweit gemacht zu haben, dass er sich nun Geselle schimpfen durfte.
Dieses Wissen begleitete ihn durch heiße Fieberträume, aus denen er nur hin und wieder herausbrechen konnte. Lange genug, um den verschwommenen Schatten roten Haares, das verwaschene Säuseln einer lieblichen Stimme und einen neugierigen Glanz von blauen Seelenspiegeln erkennen zu können, bevor die heißkalte Dunkelheit ihn zurück in ihre Arme zog. Wie lange er im Fieber gefangen war, wusste er nicht. Im Grunde wusste er kaum noch etwas. Aber die Erkenntnis darüber, dass er Erholung in all der Zeit hatte finden können, begleitete sein langsames Erwachen.

Er lag auf festem Grund, aber es fühlte sich nicht nach Erde an. Kein Gras kitzelte seine Unterarme. Keine Insekten summten um ihn herum und auch das krabbelnde Geräusch ihrer winzigen Füße über seine Haut blieb aus. Er lag verhältnismäßig weich, ja wirklich komfortabel. Außerdem war eine Decke über ihn ausgebreitet worden. Doch nicht nur jene hielt ihn warm. Er assoziierte das Kaminfeuer allerdings erst als solches, nachdem ihm das leises Knistern und sanfte Knacken bewusst wurde. Verbrennt jemand Nadelholz?, fragte er sich im Stillen, denn den Rauch begleitete auch eine holzige Note in jener Form, wie es nur Kiefern oder Tannen vermochten. Er erinnerte sich, dass er das Aroma von feuchten Wäldern liebte - die Kombination aus nasser Erde und Moosen im Einklang mit der Frische, die vom Regen gesegnete Bäume spendeten. Kazel atmete tief ein, ohne die Augen zu öffnen. Und gerade als er sich in seiner kleinen Welt aus Dunkelheit, Halbschlaf und Frieden Gedanken darüber machen wollte, warum diese Erinnerung ihn im Gegensatz zu vielen anderen erfüllte, unterbrach jemand seine träumerische Stille.
Nein, nicht jemand. Etwas. Vogelgesang! Oh, wie hatte er ihn vermisst ... und doch passte es kaum zu seinen jüngsten Eindrücken, die er nun nicht mehr in der Lage war, einzufangen. Bin ich noch einmal eingeschlafen? Er fühlte sich noch erholter als bei seinem letzten kurzen Moment, den er größtenteils bewusst erlebt hatte. Nun aber wollte er die Augen aufschlagen, denn nicht nur Klänge an seinen Spitzohren lockten ihn dazu. Sonnenlicht - es musste die Sonne sein - streichelte warm sein Gesicht und tanzte vor seinen geschlossenen Lidern. Es färbte die Schwärze mit diesem warmdunklen Rot, das einen neuen Morgen versprach, wenn man sich nur aus Manthalas Reich zurückzog. Hinzu kam der Duft von etwas Neuem, das den übrigen Körper anregte. Gebackenes Brot. Das Aroma war so intensiv, dass Kazel glaubte, die Kruste des Backwerks ebenfalls riechen zu können. Es musste sich um ein crosses Brot handen mit fester Rinde, aber so weichem Kern, dass ihm sprichwörtlich das Wasser im Munde zusammenlief, wenn er nur daran dachte. Er bemerkte nicht einmal, dass ein feines Lächeln seine Mundwinkel kräuselte.
Just in dem Moment, da er ein hungriges Schmatzen nicht mehr unterdrücken konnte, fragte eine ihm gänzlich unbekannte Stimme: "Schläft das Prinzesschen etwa immer noch?" Beinahe könnte man seinen Laut für eine Kuss-Reaktion ob der Worte interpretieren, aber dazu kam sie zu zeitgleich mit jenen. Doch nun wich Hunger der Vorsicht und der Mischling hielt sogar für mehrere Herzschläge den Atem an. Wo befand er sich und wer sprach dort? Er schnappte sogleich einen Namen auf. Tarek, ausgesprochen von einer Stimme, die ihm ebenfalls nicht bekannt, wohl aber vertraut war. Etwas drang zu ihm durch und erinnerte ihn daran, dass er sie schon einmal vernommen hatte. Nein, mehrmals. Sie war es, die ihm gut zugeredet hatte, als hitziges Fieber ihm die Sicht auf mehr versperrt hatte als ein verwaschenes, rotes Meer und zwei tiefblaue Tupfer darin. Er konnte das Bild nicht festigen, vielleicht war es auch nur ein Traum gewesen. Die Stimme aber erkannte Kazel wieder.
Neugier hob seine Lider, doch er musste erst den Kopf in den Raum hinein wenden, um mehr als Decke und Fenster der Kate zu sehen, in der er sich befand. Er erkannte im hinteren Teil eine Küche. Er begutachtete knapp die Einrichtung, entdeckte dabei den Kamin, weitere Türen, einen Vorhang als Raumtrenner, einen Tisch samt Stühlen, einen Schrank und ... offenbar die Hausbewohnerin. Er hatte nicht geträumt, wie er nun feststellte. Da war es, das wallende, rote Meer. Jemand hatte es in Bänder gefangen und zu einem Zopf gezähmt, aber es bestand für Kazel kein Zweifel. Glänzendes Kupfer, das blaue Edelsteine umrahmte. Er sah sie selbstbewusst aufblitzen. Die Frau, der dieser Blick gehörte, ließ sich von diesem Tarek nicht für dumm verkaufen. Sie fiel auf seine theatralischen Geste und auch auf seine Worte nicht herein.
"Wie kaltherzig! Dabei bin ich extra so früh hergekommen, um nachzusehen, ob du Hilfe mit dem fremden Kerl benötigst!" Kazel runzelte die Stirn. War er der fremde Kerl? Seine Annahme wurde von der Reaktion der Frau beiseite gewischt. "Hier kennen sich beinahe alle nicht gut. Abgesehen davon habe ich dir doch erklärt, dass er mir nicht fremd ist!" Nein, dann ging es nicht um ihn. Denn er kannte die Rothaarige nicht. Kazel blieb liegen. Es war ihm unagenehm, dem Gespräch zu lauschen, aber noch weniger wollte er es unterbrechen, indem er zeigte, dass er wach war. So versuchte er, sich nicht darauf zu konzentrieren, bis Tarek sich dazu entschied, das Haus zu verlassen. Doch seine Abschiedsworte ließen Kazel erneut aufmerksamer werden. Ging es etwa doch um ihn?
"Aber sieh zu, dass der Siebenschläfer nicht noch eine Nacht dein Bett blockiert! Zu wenig Schlaf lässt selbst hübschere Blumen welken!" Die Tür fiel ins Schloss. Kazel sah den Moment geeignet, sich langsam aufzurappeln. Er war erholt. Sein Körper hatte reichlich Zeit zum Ausruhen erhalten, aber das lange Liegen hatte die Glieder doch etwas steif werden lassen. Seine Muskeln ziepten kurz, als er sie seit langem wieder selbst aktiv beanspruchte. Es war erträglich, er musste sich nur wieder daran gewöhnen, sie zu nutzen. Während er so also noch damit beschäftigt war, sich zu ordnen und in eine sitzende Position zu gelangen, erreichte die Fremde sein Bett. Sie trug eine Schale und wollte jene offenbar gerade neben seiner Schlafstatt abstellen, als sie sein Erwachen bemerkte und inne hielt. Kazel hockte sich auf und beide schauten einander zunächst nur stumm an. Er betrachtete ihr feines Gesicht, die weich geschwungenen Lippen, die großen blauen Augen... Wie er im Gegensatz wohl aussah? Kazel erinnerte sich an ein Bild seiner selbst, aber er war so zeitverloren, dass er nicht einschätzen konnte, inwieweit es mit seinem real existierenden Jetzt noch vergleichbar wäre. Er wusste, dass er für Elfen eher klein geraten war und auch wenn er durch seine Flucht aus Morgeria und sein Überleben in der Wildnis garantiert ein paar Muskeln antrainiert hatte, würde seine Statur ihn eher drahtig darstellen. Seine Haut war weder eldorisch hell, noch morgerianisch dunkel. Er fand sich irgendwo dazwischen in einem angenehm matten Braunton wie von Mandeln. Er wusste, dass er selbst blaue Augen besaß, wenngleich anders als jene, in die er schaute. Seine konnten von einem tiefen Ozean hin bis zu Regen verhangenem Sturmgrau variieren, je nachdem, wie sehr die Meereswogen seiner Seele im Inneren umher gespült wurden. Im Moment lagen sie ruhig da, vollkommen neutral und glatt. Denn das war er: neutral mit der Situation seines Erwachens. Seine Miene drückte keine Überraschung aus wie jene, in die er schaute.
"Oh, du bist wach! Wie schön, wie geht es dir?" Eine simple Frage, aber Kazel konnte sie dennoch nicht beantworten. Wie ging es ihm? Er horchte in sich hinein. Er fand ... viele Lücken, aber er erkannte sie nicht als solche. Er wusste, es fehlte ein enorm großer Teil seiner Erinnerungen. Er wusste, dass es sein Opfer war, das er schweren Herzens hatte eingehen müssen, um im Dienst von Gevatter Tod stehen und Celcias Gleichgewicht wahren zu können. Schicksal hatte ihm nahezu alles genommen, was er wohl einmal geliebt hatte ... aber auch all sein Leiden. Folglich fühlte er sich im Augenblick...
"Mir geht es gut ... schätze ich." Kazel hüstelte. Sein Hals fühlte sich etwas trocken an, was nicht einmal der Fall sein musste. Aber seine Stimmbänder hatten sich mindestens so lange geschont wie der Rest von ihm. Sie würden eine längere Konversation benötigen, um ihre Arbeit wieder im vertrauten Rahmen aufnehmen zu können. Noch brannten sie ein wenig, als sie sich unter den Worten dehnten und wieder zusammenzogen, aber ein Schluck Wasser würde es sicher richten. Kazels Blick fiel auf die braune Flüssigkeit in der Schale, welche die Fremde nun beiseite stellte.
"Ich ... blockiere dein Bett", griff er Tareks Worte direkt auf, als sie ihm mit einem Mal erneut bewusst wurden. Schon schlug er die Decke beiseite und schob sich aus den Laken an die Kante. Seine nackten Füße kamen auf dem Boden auf, da hielt die Frau ihm eine Hand zum Gruß hin.
"Ich bin Elodi." Kazel zögerte, ergriff die Hand dann mit seiner eigenen, aber nur kurz. Eigentlich hatte er nun keine Zeit zu verlieren ... und dass er das Bett dieser Frau die ganze Zeit belegt zu haben schien, war ihm unangenehm. Er rappelte sich auf. Seine Beine waren nur im ersten Moment weich. Nach einem Schritt Richtung Tür ging es bereits besser. Er musste gehen. Schicksal hatte doch gesagt, sie würde ihm jemanden zur Seite stellen, der ihm helfen sollte. Er musste diese Person finden. "Ich muss ... gehen ... entschuldige ...", murmelte er und tappte los.
"Und du bist der Geselle ..." Er erstarrte. Dann wandte er sein Gesicht um, nahm Elodi langsam in den Fokus. "Kazel, richtig? Ich hoffe, ich spreche deinen Namen richtig aus!" Er nickte nur. Sie kannte den Namen. Sie wusste, dass er der Geselle des Gevatters war. "Du bist die Hilfe, die man mir zur Seite stellen wollte." Bewusst erwähnte er Schicksal noch nicht. Denn es konnte immer noch sein, dass er sich irrte und dann würde Elodi ihn sofort für geisteskrank halten, wenn er davon sprach, höheren Wesenheiten zu dienen, für die Zeit und Raum nur Begriffe waren. Doch das tat sie nicht, im Gegenteil. Sie sorgte dafür, dass er nun die Überraschung in seine Züge einlud, aber auch die Aufmerksamkeit, ihr still zuzuhören.
"Ich denke, du wirst wissen wollen, wo du hier bist, nicht wahr? Schicksal erklärte mir die Umstände, deshalb ... scheu dich nicht zu fragen. Wenn ich helfen kann ... nun ja! Du befindest dich in der neu entstehenden Grasland-Siedlung, nahe Zyranus. Tod brachte dich her ... und die letzten zwei Tage ging es dir nicht sehr gut. Du hattest Fieber, aber vorhin war es schon beinahe verschwunden."
Kazel blinzelte. Wo er Vorsicht walten ließ, sprach sie einfach offen über den Gevatter und Schicksal. "Zwei Tage", griff er die Information auf, die er verarbeiten konnte. Denn weder sagten ihm Zyranus, das Grasland, noch eine darin entstehende Siedlung etwas. Er würde Elodi gewiss auch nicht santronischen Wurzel zuordnen können. Er hatte so wenig bisher von der Welt gesehen und doch so viel. Im Grunde beschränkte sich sein celcianischer Horizont aber auf Morgeria, die Tote Ebene, das östliche Drachengebirge, die Stille Ebene, die Ränder Andunies, Pelgar und ... Kata Mayan, das er besser zu kennen glaubte, als den Rest der Lebendwelt. Er befühlte seine Stirn, allerdings weniger, um die Temperatur zu prüfen. "Mir geht es schon besser, danke. Ich ... jedenfalls gut genug, dass du wieder in deinem Bett schlafen kannst. Ich werde dann wohl gehen und ..." Er stutzte. Dann schnaufte er in amüsierte Hiflosigkeit aus und hob ratlos die Schultern. "Ich weiß gar nicht, was ich jetzt tun soll. Vielleicht wäre es gut, wenn ich mich irgendwo wasche. Hast du...?" Kazels Augen weiteten sich, sie wuchsen zu großen, meerblauen Tellern heran. Röte schoss ihm in die Wangen und bis in beide Ohrspitzen hinein. Er starrte Elodi an, dann an sich herab um zu schauen, ob er überhaupt Kleidung am Leib trug. Aber selbst wenn, löste ihn das nicht vor einer peinlich berührten Frage, auf die er nun dringend eine Antwort brauchte. "D-du ... hast du ... i-ich meine ... du hast nur mein Fieber behandelt, oder?" Sie war schön, ohne Zweifel. Sie sah wirklich wie einer unberührte Blume aus, der man ihren Lebensraum nicht wegnehmen oder sie mit anderweitigen Tatsachen zum Welken bringen wollte. Kazel stellte dabei nicht einmal ihre Unberührtheit in Frage. Ihm behagte nur der Gedanke nicht, dass sie - nahezu eine Fremde - ihn in seiner körperlichen Versehrtheit hätte waschen und anderweitig von körperlichen Ausscheidungen befreien müssen. "Entschuldige!" wedelte er mit einer Hand in ihre Richtung, während er mit der anderen versuchte, sein knallrotes Gesicht zu verstecken. "Ich muss mich erst einmal zurechtfinden." Vor allem musste er herausfinden, was er nun tun sollte. Man hatte ihm die Erinnerungen genommen, ihm Elodi offenbar an die Seite gestellt, aber darüber hinaus war er vollkommen frei von allem, auch von Aufgabe jeglicher Art.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 15. Mai 2024, 22:07

Nachdem dieser Tarek die Haustüre hinter sich zugezogen hatte, dauerte es nicht mehr lange, bis die rothaarige Frau das Erwachen ihres Patienten bemerkte. Sie hielt inne und für einen Moment sahen sie sich stumm an, musterten einander und bildeten sich ihren ersten Würde Kazel stehen würde er feststellen, dass sie in etwa gleich groß waren – er vielleicht ein bis zwei Zentimeter größer. Sie schien keiner elfischen Abstammung zu sein, wenngleich auch sie etwas Zartes an sich hatte. Ihr Lächeln verriet, dass sie eine fröhliche und offene Seite besaß – die allerdings nicht den Funken Neugierde in ihrem blauen Blick erklärte, mit dem sie ihn eindeutig betrachtete.
Dieser ergab für Kazel anfangs noch keinen Sinn. Er wusste ja noch nicht einmal, wie er in ihre Kate, geschweige denn wie er in ihr Bett gekommen war!!! Besonders letzterer Umstand beschwerte dem Mischling ein schlechtes Gewissen. Ihr Bett zu blockieren war nicht seine Absicht gewesen und wenn er die Worte des Mannes Tarek richtig gedeutet hatte, schien er genau dies getan zu haben! Ungewollt… aber dennoch getan!
Die Rothaarige schien dies jedoch keineswegs zu beschäftigen. Sie nahm freudig zur Kenntnis, dass er erwach war und fragte ihn, wie es ihm ging, während sie näherkam und die Schale abstellte, in der sie eine bräunliche Flüssigkeit transportiert hatte.
Kazel, der sich der Situation gegenüber überraschend neutral fühlte, horchte in sich hinein. Wie ging es ihm überhaupt? Gesundheitlich… an und für sich gut, vielleicht ein wenig eingerostet!
„Mir geht es gut ... schätze ich.“, antwortete der Mischling und dabei unerwartet hüstelnd. Offenbar war er auch durstig, denn dein Hals fühlte sich kratzig an und seine Stimme war belegt, als hätte er sie schon länger nicht mehr benutzt.
Die junge Frau griff nach einem Becher, der auf einem kleinen, provisorisch erstellten Beistelltischchen stand. Dieser bestand lediglich aus einem umgedrehten Holzeimer mit Eisenverschlägen und einer runden Holzplatte, die nichts anderes war, als eine große Holzbaumscheibe.
Sie reichte Kazel den Becher, der noch bis zur Hälfte mit Wasser befüllt war.
„Hier, trink einen Schluck.“, forderte sie ihn freundlich auf und wartete ab, ob ihr Patient sie um das Trinkgefäß erleichtert würde. Wieder könnte er ihren Blick auf sich spüren, doch war er weder aufdringlich, noch unruhig. Sie wartete geduldig, dass er bereit war die Unterhaltung weiterzuführen.
Kazel hingegen empfand durchaus eine gewisse Unruhe. Einmal, weil er nicht wusste, wie er hergekommen war und was er als Nächstes tun sollte. Andererseits hingen ihm Tareks Worte nach, dass er offenbar schon etwas länger das Bett der jungen Lady blockierte.
„Ich ... blockiere dein Bett“, meinte er daher schuldbewusst und schlug die Decke beiseite, um aufzustehen. Doch bevor er sich erheben konnte, schob sich eine Hand in sein Sichtfeld.
„Ich bin Elodi.“, stellte sich seine Gastgeberin vor. Kazel besah ihre Hand. Sie besaß schlanke Finger, die ein wenig kürzer waren, als seine eigenen.
Nach kurzem Zögern ergriff er ihre Hand zum Gruß, doch schien er ihr hingegen nicht seinen Namen verraten zu wollen.
Schicksals Worte, dass sie ihm jemanden zur Seite stellen würde, kehrten in sein Gedächtnis zurück und so wandte er sich der Eingangstüre zu.
„Ich muss ... gehen ... entschuldige ...“ murmelte er und machte ein paar Schritte. Elodi hatte ihn beobachtet, schien für einen Moment und von seiner Art ein wenig überrascht zu sein, ehe sich ihre Lippen zu einem feinen und leicht amüsierten Lächeln spannten.
„Und du bist der Geselle! Kazel, richtig? Ich hoffe, ich spreche deinen Namen richtig aus!“ Der Elf blieb in seiner Bewegung stehen und wandte sich langsam um, als ihm klar wurde, dass nur die von Schicksal erwähnte Person seinen Namen und seine Position wissen könnte. War sie es etwa? War diese Elodi…? „Du bist die Hilfe, die man mir zur Seite stellen wollte,“ schloss er ohne Schicksals Namen direkt zu nennen. Obwohl es unnötig war, schien er sich damit wohler zu fühlen noch etwas abzuwarten!
Die junge Frau, die sich ihm halb zugewandt hatte nickte, ehe sie aufstand und zu ihm kam. Sie blieb vor ihm stehen, verschränkte hinter ihrem Rücken die Hände und neigte ihren Kopf in einer nachdenklichen Geste etwas zur Seite. Jetzt, wo sie einander gegenüberstanden bewahrheitete sich der Verdacht, dass sie beinahe gleich groß waren.
„Du siehst überrascht aus! Hast du jemand anderen erwartet?“, fragte sie leicht neckend während das hübsche Paar blauer Augen, aus denen ein gewisser Humor sprach, sein Gesicht betrachtete. Da Elodi ihn allerdings nicht ernsthaft ärgern wollte, klärte sie ihn erst einmal auf, wo er sich befand und wie er hergekommen war.

Für Kazel war die Situation sicher nicht ganz einfach, doch versprach sie doch interessant zu werden. Die junge Frau, die Schicksal ihm zur Seite gestellt hatte, schien zumindest nett und hilfsbereit zu sein. Ob sie sich darüber hinaus noch als nützlich erweisen würde, blieb allerdings abzuwarten.
„Zwei Tage“, murmelte er und griff damit die Information auf, die er gerade erhalten hatte. Dass er mit der Ortsangabe nicht wirklich viel anfangen konnte, schien Elodi nicht zu ahnen. Vermutlich wusste auch sie nicht in allen Einzelzeiten, was er wusste und was nicht. Immerhin waren sie einander zuvor noch nie begegnet. Oder? Kazel würde es wohl nicht wissen, selbst wenn dies der Fall gewesen wäre.
Da er bis vor kurzem ein Fieber bekämpft hatte, befühlte er vorsichtshalber seine Stirn, die sich dann aber glücklicherweise normal warm anfühlte.
„Mir geht es schon besser, danke. Ich ... jedenfalls gut genug, dass du wieder in deinem Bett schlafen kannst. Ich werde dann wohl gehen und ...“ Wieder hörte Elodi ihm geduldig zu. Allerdings schien sie Kazels Bestreben ihr Bett frei zu machen und sie nicht weiter zu stören, ein wenig amüsant zu finden – auch wenn sie versuchte dies nicht offen zu zeigen.
Draußen schien ein schöner Tag zu herrschen, denn die Sonne strahlte durch das geöffnete Fenster und wärmte ihre Haut, wo die Strahlen diese erreichten.
Kazel unterbrach sich allerdings selbst mitten im Satz. Er stutzte und schien dann zu registrieren, dass er gar nicht wusste, was er nun tun sollte.
„Ich weiß gar nicht, was ich jetzt tun soll“, gab er mit einem amüsierten Schnauben zu. Seine Reaktion ließ sie leise lachen und nickend meinte sie: „Das kann ich mir vorstellen! Aber dafür bin ich ja da! Deshalb mach dir erst einmal keine Sorgen. Fühl dich wie zu Hause!“ Auch Elodi schien die Situation fremd zu sein, aber sie gab sich sichtlich Mühe, damit er sich wohlfühlen konnte. Kazel müsste für sich herausfinden, wie er ihre Art empfand, doch vorerst plagte ihn ein ganz anderes Bedürfnis. Zwei Tage lang hatte er mit Fieber das Bett gehütet. Zwar schien er nicht zu stinken, doch würde ein Bad sicher sein Wohlbefinden fördern.
„Vielleicht wäre es gut, wenn ich mich irgendwo wasche. Hast du...?“ Kazels Augen weiteten sich plötzlich, als er auf einen Gedanken stieß. Zwei Tage Fieber – Bettruhe – hieß das etwa…? Ihm schoss die Röte ins Gesicht und er konnte sehen, dass auch Elodi seinen Mienenwandel registrierte. Überrascht und fragend sah sie ihn an und blinzelte kurz.
Kazel sah an sich hinab. Er würde feststellen, dass er seine Hose trug und ein etwas großes beiges Leinenhemd, das ihm fremd sein würde. Seine Schuhe würde er am Fuße des Bettes entdecken können, sollte er seinen Blick nach ihnen auf die Suche schicken.
„D-du ... hast du ... i-ich meine ... du hast nur mein Fieber behandelt, oder?“, fragte er und traute sich nicht weiter ins Detail zu gehen. Der Mischling fände es äußerst unangenehm, wenn sie einen gewissen Pflegegrad hätte überschreiten müssen. Wie war er überhaupt an das neue Hemd gekommen?
Die Rothaarige musterte ihn einen Moment und schien sich zu fragen, worauf er anspielte, bis sie die Erkenntnis traf. Ein verstehender Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht, dann winkte sie lächelnd ab.
„Ich bin eine Feldschwester, mach dir also darüber keine Gedanken!“, versuchte sie ihn zu beruhigen, was im Detail betrachtet seine Sorgenpunkte jedoch nicht zerstreute. Feldschwestern… kümmerten sich immerhin um alle Belange und die Pflege ihrer Patienten! Dennoch erfuhr er darüber schon einmal ein kleines Detail über sie.
In Kazels Augen sah sie vielleicht wie eine unberührte Blume aus, doch schien sie weniger Edelpflänzchen, als Wildblume zu sein, wie sich herausstellen würde.
„Entschuldige!“ wedelte er mit einer Hand in ihre Richtung, während er mit der anderen versuchte, sein knallrotes Gesicht zu verstecken. Ihre Züge hingegen wurden etwas weicher. Sie sagte es zwar nicht, allerdings könnte man ihrer Miene entnehmen, dass sie seine Reaktion niedlich fand.
„Ich muss mich erst einmal zurechtfinden."
Elodi schüttelte beschwichtigend mit dem Kopf. „Du musst dich nicht entschuldigen!", meinte sie ehrlich und ging dann an ihm vorbei zu einer der Türen, die sie öffnete. Kazel würde nun in einen Raum sehen können, in dem ein kleiner, wie auch großer Zuber stand. Der Kleine war ganz offensichtlich für die Wäsche gedacht, denn darin lehnte ein Waschbrett, oder auch Wäscheruffel genannt. Der große Zuber war dagegen für die körperliche Pflege geeignet und enthielt bereits klares Wasser, das allerdings nicht beheizt sein würde. In einer Schale daneben konnte man Seife und Schwamm finden.
An der einen Wand, neben einem weiteren geöffneten Fenster, vor dem die Gardinen im Wind spielten, hing an einer Leine Kazels gewaschenes Hemd, das er ursprünglich angehabt hatte. Daneben trockneten einige Tücher, in die man sich nach einem Bad einwickeln könnte.
„Du kannst dich hier in aller Ruhe waschen. Wenn du warmes Wasser möchtest, müsstest du allerdings ein wenig warten“, erklärte Elodi und trat ein wenig zur Seite, um ihm den Weg nicht zu versperren.
„Einer der Bewohner hier – Tarek, hat mir ein paar Wechselsachen für Männer gebracht. Diese kannst du gerne anziehen. Dein Hemd wird vermutlich noch nicht trocken sein!“ Sie ging zurück zum Bett und hob ein Bündel hoch, das sie ihm dann reichte. Einen Moment schien sie zu zögern, doch dann fand sie noch einmal ihre Sprache, bevor er die Türe hinter sich schließen konnte.
„Lass uns danach in Ruhe reden, in Ordnung? Ehrlich gesagt begegne auch ich zum ersten Mal jemanden wie, … nun ja, der so ähnlich ist, wie ich!“, gab sie leicht verlegen zu. Ihre Neugierde und auch Aufregung Kazel gegenüber hielt sie zwar möglichst kontrolliert zurück, doch konnte man in ihren blauen Augen doch eine Spur dessen erkennen.
„Als Schicksal und Tod dich herbrachten, war ich ziemlich überrascht. Ich musste mir eine Geschichte für die Dorfbewohner einfallen lassen, wie du hier plötzlich aufgetaucht bist. Das und alles Weitere würde ich gerne mit dir besprechen. Du wirst sicher wissen wollen, was die nächste Zeit auf dich zukommen soll!“
Die junge Frau formulierte es nicht so, als würde Kazel einem Zwang ausgesetzt sein. Sie schien ihm die Orientierung erleichtern zu wollen, wenngleich sich der Mischling sicher vorstellen könnte, dass die Situation auch für sie neu war.
Mit einem Lächeln würde sie ihm seine Privatsphäre gönnen und sich um solange mit ihren täglichen kleinen Aufgaben beschäftigen. Darunter würde sicher auch ein Frühstück für Kazel fallen.
Sollte sich Kazel waschen wollen, würde er alles Nötige für ein Bad vorfinden. Wenngleich es wohl wirklich kalt sein würde. Die Vorhänge vor dem Fenster würde man als Sichtschutz zuziehen können, ohne dass der Raum in völlige Dunkelheit getaucht werden würde.
Einen kleinen und nicht besonders hochwertigen Spiegel würde man an einer Seite der Wand befestigt finden. Sollte sich Kazel dort, oder seinen Oberkörper mit seinen Blicken betrachten, würde ihm auffallen, dass seine Feder-Tätowierung verschwunden war. Und mit dieser auch die damit verbundenen Fähigkeiten der Reise-Teleportation.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Montag 20. Mai 2024, 11:53

Elodi und Kazel boten einander durchaus einen gewissen Kontrast. Die junge Frau wirkte nicht nur aufgrund ihrer feurigen Mähne farbenfroh. Sie strahlte etwas Buntes aus, wenngleich sie nicht ansatzweise an eine Naella Federtanz herankäme. Doch an jene erinnerte Kazel sich nicht mehr, ebensowenig wie an Bramo oder weiter entfernte Freunde wie Zissus ... oder seine Liebste, Janay. Umso neutraler konnte er sich Elodi betrachten.
"Du siehst überrascht aus! Hast du jemand Anderen erwartet?"
"Ich weiß es nicht", antwortete er wahrheitsgemäß und zuckte mit den Schultern. Wen hätte er auch schon erwarten sollen? Nur weil zeitlose Entitäten wie Gevatter Tod und das Schicksal höchstpersönlich ihm eine Hilfe versprachen, bedeutete es nicht, dass er Kontakt mit einem weiteren außerordentlichen Wesen erhalten würde. Jemanden wie Kuralla - an die Kazel sich ebenfalls nicht erinnern würde. Aber sie war schon ein absoluter Ausnahmefall gewesen. Celcia würde sie vermissen, aber nicht vergessen. In Andunie gab es nun einen Stein, damit man ihr Gedenken konnte, ohne sich über Details des Vorfalls zu erinnern. Doch der Stein würde der alten Goblindame nicht gerecht, solange man sich bei bloßer Berührung nicht ein Dutzend Krankheiten holte und solange das Bildnis nicht über Meilen hinweg gegen Venthas Seebrise anstinken konnte. Ja, Kuralla stellte wahrlich eine Ausnahme dar, Elodi nicht. Sie wirkte herrlich normal und das konnte man keineswegs negativ auslegen! Kazel musterte sie etwas genauer, wenn auch mit weniger Neugier als es in ihren Augen leuchtete. Ihre Haut war rosig und gesprenkelt von Sommersprossen. Seine eigene wies keine solchen Akzente auf, auch wenn man deutlich erkannte, dass er Mischblut in sich trug. Alles in allem machte Kazel dennoch einen ... dunkleren Eindruck als sein Gegenüber. Haare und Kleidung gingen in einem ähnlichen Farbton einher, hätte er noch seine eigenen Sachen getragen. Als ihm klar wurde, dass er nicht mehr seine schwarze Tunika - woher auch immer sie stammte - an hatte, sondern ein viel zu weites Hemd, drängte sich ihm eine Erkenntnis auf. Elodi musste ihn umgezogen, vielleicht auch gewaschen haben ... überall? Röte schoss Kazel ins Gesicht. Er senkte beschämt den Blick. Außerdem begann er zu stammeln, brachte nur indirekt heraus, weshalb er plötzlich so peinlich berührt schien. Dass Elodi sein Gebaren amüsant, wenn nicht sogar niedlich ansah, bemerkte er nicht. Zum Glück nicht, ansonsten wäre ihm wohl nur noch mehr Blut in den Kopf geschossen. Sie wusste, mit der Situation umzugehen, versuchte gar sie abzumildern: "Ich bin eine Feldschwester, mach dir also darüber keine Gedanken!"
"Feldschwester?" Es wirkte. Abegelenkt richtete Kazel den Blick wieder auf Elodi. Sie aber wandelte an ihm vorbei und öffnete eine der Türen. Der Blick gab einen Raum frei, den man als rustikales Badezimmer bezeichnen konnte. Kazel mochte in seinem früheren Leben im morgerianischen Adel aufgewachsen sein, aber seine Flucht in den östlichen Teil Celcias damals hatte eine seiner Eigenschaften nur schneller und intensiver hervogehoben: Er war genügsam. Niemals hatte er sich etwas auf seinen gebürtigen Stand eingebildet. Ha! Der war ohnehin nicht so vorhanden gewesen bei jemandem mit Mischblut. Inzwischen würde es auch keine Rolle mehr spielen. Kazel Tenebrée, letztes Kind des Hauses Tenebrée, gab es nicht mehr. Er war nur noch Kazel, ohne Erinnerungen an den blauen Anteil Blut in seinen Adern. Sein Wissen beschränkte sich darauf, dass er seine Familie im Zwist verlassen und auch hinter sich gelassen hatte, wie so vieles. Er erwartete nicht, sie jemals wiederzusehen. Ebenso wenig hatte er hinter der hölzernen Tür dieser Kate nun eine Porzellanwanne mit goldenen Füßen und temperiertem Wasser erwartet. Aber ihn überraschte und erleichterte es auch, seine schwarze Tunika an einer Leine hängen zu sehen. Eine sanfte Brise strömte durch das offene Fenster, ließ die Vorhänge leicht tanzen und trocknete den Stoff seiner Kleidung.
"Du kannst dich hier in aller Ruhe waschen. Wenn du warmes Wasser möchtest, müsstest du allerdings ein wenig warten." Kazel winkte ab. "Ich werde dir keine weiteren Umstände bereiten. Der Zuber allein ist großartig. Ich dachte schon, ich kann nun zum nächsten Fluss gehen." Er schmunzelte. Es stand ihm gut.
Elodi überreichte Kazel derweil frische Kleidung und erklärte, von wem sie ihn hatte. Erneut fiel der Name Tarek, den er in seinem Halbschlaf schon aufgegriffen hatte. Kazel konnte ihm nur noch kein Bild zuordnen, lediglich eine Stimme. Er behielt im Hinterkopf, Elodi nach Tarek zu fragen. Aber das konnte er nach dem Bad tun. Mit einem Kopfnicken stimmte er ihrem Vorschlag zu, später zu reden. Er sollte sich erst einmal frisch machen und das tat er. Kazel nahm die Ersatzkleidung entgegen, schloss dann die Tür hinter sich und zog nach kurzem Zögern die Vorhänge zu. So würde seine Tunika zwar länger zum Trocknen brauchen, aber noch mehr Blicke auf seinen Körper wünschte er nicht. Erneut schoss ihm der Gedanke in den Kopf, dass Elodi möglicherweise alles an ihm bereits erkundet haben könnte. Es half nicht, dass sie einer medizinischen Tätigkeit nachging. Sie war ... eine Frau und er ein Mann. Im Grunde und mit Blick auf elfische Mentalität sogar noch eher ein Kind! Ein Pubertierender!
Kazel atmete tief durch und zeigte sich für den Moment sogar froh, ein Bad in kaltem Wasser nehmen zu können. Die Seife wusch nicht nur seine Scham, sondern auch alten Schweiß vom Körper. Er nahm sich Zeit und versuchte auch, sein Haar etwas zu bändigen. Sicherlich fand er irgendwo ein Stück Schnur, ein Stoff- oder Lederbändchen, um sich die schwarze, feuchte Pracht nach der Waschung im Nacken zusammenzubinden. Er strich sich auch am Kiefer entlang. Zwei Tage ... dennoch spross bei ihm nicht ein Haar. Es war das elfische Blut, das ihm eine Rasur ersparte. Trotzdem hätte er gern einen Blick in einen Spiegel geworfen. Tatsächlich entdeckte er einen an der Wand und warf einen Blick auf den Mann darin. Er sah einen Elfen, eindeutig Mischling. Er sah sich selbst, aber seine Hoffnung auf mehr schwand bei dem Anblick. Kazel musterte lediglich sein Abbild, ohne Einzelheiten des Vergangenen von seinem gezeichneten Gesicht ablesen zu können. Er besaß leichte Schatten um die Augen, obwohl er durch das Fieber definitiv genug Schlaf erhalten hatte. Trotzdem schien ihn dieser dunkle, natürliche Schatten fortan zu begleiten. Das Blau seiner Augen stach dadurch nur intensiver hervor und er betrachtete es sich lang. Eine gewisse Schwere lag in seinem Blick, der er keinen Grund zuordnen konnte. Trotzdem war sie abzulesen, aber er fühlte sich eigentlich gut. Überhaupt fiel ihm auf, dass er im Allgemeinen wohl eher ernst aussah. Manche fühlten sich von einem solchen Ausdruck angezogen, manche verschreckte es. Er hingegen sah es als neutral an. Versuchsweise lächelte Kazel vor dem Spiegel und stellte fest, dass ihm auch diese Mimik gefiel. Sein Körper weigerte sich lediglich, grundlos breit vor sich hinzugrinsen, aber er konnte das akzeptieren. Es fiel ihm stattdessen schwerer, die große Lücke in seinem Geist hinzunehmen.
Was ich wohl alles zurückgelassen habe? Er erinnerte sich an Schicksals Worte, dass er alles zurückhaben könnte, würde er es zu stark vermissen. Das bedeutete aber auch, seine Rolle als des Gevatters Geselle aufzugeben. Diese Pflicht war wichtig für Celcias Gleichgewicht, folglich wahr sie Kazel wichtig. Er konnte nicht einschätzen, ob die Erinnerung an seine Vergangenheit das aufwog. Er vermisste ... nichts.
Da es nicht half, über Unwissen zu spekulieren, schüttelte er die Gedanken ab wie die Tropfen nach seinem Bad. Er trocknete sich und zog Tareks Kleidung über, da Elodi Recht behielt. Seine Sachen würden noch brauchen. Sobald er mit dem Bad fertig war, legte er seine Hose in den Bottich mit dem Waschbrett. Nicht, um Elodi still anzuweisen, auch noch seine Hose zu waschen! Das machte er selbst, aber erst später. Jetzt wollte er einige Dinge klären.
In Tareks viel zu weite Sachen gekleidet - die Hose hielt glücklicherweise ein schlichter Gürtel auf richtiger Höhe - öffnete Kazel nach einer Weile wieder die Tür und verließ das Badezimmer. Er kehrte in die Wohnstube zurück. Seine Augen sondierten den Raum auf der Suche nach Elodi. Noch ehe er sie möglicherweise entdecken konnte, fing er ein Gespräch an: "Ist Tarek schlecht auf mich zu sprechen wegen der geliehenen Kleidung, dass er mich Prinzessin nannte?" Kazel bemerkte das für ihn zubereitete Frühstück und sein Magen zog sich vorfreudig zusammen, um auf sich aufmerksam zu machen. Essen, sofort! Etwas Anderes würde sein Körper nun nicht zulassen. Also setzte sich der Mischling vor seine Mahlzeit und begann zu essen. Dazwischen aber sprach er in Abständen weiter. "Wir sind uns also ähnlich? Dann ... bist du Gesellin des Schicksals?" Endlich sprach er ihren Namen aus. Das hatte weniger mit Vertrauen als vielmehr mit der Tatsache zu tun, dass Elodi sie und Tod in einem Atemzug schon erwähnt hatte. Außerdem erinnerte Kazel sich daran, dass sie einen Vorwand erwähnte, um irgendwelchen Dorfbewohnern - vermutlich von dieser Siedlung im Grasland hier - seine Anwesenheit zu erklären. "Was hast du den Dörflern erzählt? Ich bin kein Mensch, wir sind nicht unbedingt verwandt. Ich möchte mich abstimmen, damit es keine Probleme gibt. Und dann ... ich ... weiß immer noch nicht, was jetzt zu tun ist. Soll ich einfach hier sitzen und auf Tod warten?" Auf seinen Meister, nicht auf den Tod an sich. Er hatte nicht vor zu sterben, nachdem Elodi ihn offenbar sehr aufopferungsvoll gepflegt hatte. Aber es musste schon seinen Grund haben, dass er sich nun in ihrer Obhut befand. Sie sollte ihm laut Schicksals Aussage hin helfen, doch wobei? Das Handwerk eines Schnitters lernte er garantiert eher vom Gevatter selbst. Jener hatte ihm schließlich schon einige Dinge gezeigt. Kazel wusste, dass er eine Seele vom Leib des Toten mit seinem Sensendolch getrennt hatte. Er wusste wie es funktionierte und dass er sich vorher die Kutte des Gevatters überstreifen musste, um auf dieses Werkzeug und weitere zugreifen zu können. Dieser Teil seiner Erinnerung war geblieben. Elodi würde ihm folglich kaum etwas über die Lehrzeit zum Sensenmann beibringen. Nun regte sich auch erste Neugierde in Kazel. In welcher Form würde sie ihn an die Hand nehmen und begleiten? Was musste er nun wissen, um den Wünschen anderer gerecht zu werden? Was musste er tun, bis der Gevatter erneut an ihn herantrat? Er hoffte, sie würde ihm diese Fragen beantworten.
Und dann muss ich einen Unterschlupf finden. Ich kann unmöglich weiterhin ihr Bett beanspruchen, geschweige denn ihre Zeit! Denn wenn Kazel eines wusste, dann war es, dass Lebenszeit kostbar war.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 22. Mai 2024, 22:44

Kazel hatte mit seinen Erinnerungen auch alle Lasten und seelische Schmerzen abgegeben. Seine Neutralität war eine Chance, auch wenn man nicht behaupten konnte, dass alle unliebsamen Erfahrungen etwas grundlegend Schlechtes waren. Auch aus Schmerz, Lasten und anderen negativen Gefühlen konnte man lernen – sie waren auch wichtig und gehörten zum Leben dazu!
Derzeit war Kazel einem unbeschriebenen Blatt ähnlich, doch er würde neue Erfahrungen sammeln und dazugewinnen. Seine Neutralität und auch seine besondere Position als Geselle, würden ihm allerdings eine andere Basis bieten. Anders als damals, wo er auf sich gestellt, getrieben und gejagt von schlechten Erfahrungen und Erinnerungen neu anfangen und herausfinden musste, wer er war! Zwar mochte es sich für den Mischling derzeit so anfühlen, als hätte er keinen Platz, an den er gehören würde, doch dem war nicht so! Kazel war Tods Geselle und damit schon zu Teilen ein Wesen der anderen - der ewigen Seite. Einer Seite, zu der er weiter gehören wollte, die er selbst gewählt hatte!
Auch, wenn sich Tod und Schicksal bislang nicht mehr gezeigt hatten ließ man ihn in seinem Zustand nicht alleine. Nun stand er vor der Hilfe, die man ihm zugesagt hatte und betrachtete eine junge Frau, offenbar menschlicher Abstammung. Wer Elodi wirklich war würde er noch herausfinden müssen, doch wirkte es nicht so, als würde sie ihm bereits beim Kennenlernen große Steine in den Weg legen. Sie war offen, wirkte freundlich und ja, irgendwie fröhlich. Ziemlich… normal für einen Lehrling eines höheren Wesens. Doch wer wusste schon, wie Kazel auf sie wirken würde? Vielleicht war auch er in ihren Augen normal! Elfen und auch Mischlinge waren immerhin auch keine Seltenheit auf Celcia. Dennoch funkelte verborgene Neugierde in ihrem blauen Blick, was vermutlich damit zusammenhing, dass sie das erste Mal einem anderen Gesellen begegnete. Wenn er sich an Schicksals Worte erinnern würde, würde die Grenze, die von ihm verlangt wurde, sicher auch für sie gelten. Ob für sie dieselben Regeln gelten würden?
In diesem Moment machte er sich noch keine Gedanken darüber. Kazel beschäftigte es vielmehr, ob sie ihn im Zuge der Pflege gewaschen und umgekleidet hatte. Die Vorstellung behagte ihm nicht so recht. Auch nicht, als sie ihm offenbarte, dass sie solche Tätigkeiten gewöhnt war!
„Feldschwester?“ fragte er nach, woraufhin sie leicht nickte. „Ich gehörte einer Gruppe von Frauen an, die durch das Land reisen und sich der medizinischen Versorgung in Not geratener widmen. Vor fast zwei Jahren trennte ich mich allerdings von ihnen, als mich Schicksal… fand, aufsuchte… was auch immer man dazu sagen möchte!“ Sie hob kurz die Schultern und lächelte in an. Dann erhob sie sich und zeigte ihm den Waschraum. Sein Blick fiel auf seine Tunika, die er ohne Schwierigkeiten als sein Eigentum erkennen konnte. Wie Elodi erwähnt hatte, trocknete sie an einer Leine und schwang sachte, noch beschwert von der Feuchtigkeit, hin und her.
Sie bot ihm auch warmes Wasser an, was er jedoch ablehnte. Sein Argument, dass er ihr nicht noch mehr Umstände bereiten wollte, wischte sie allerdings mit einer winkenden Handbewegung weg.
„Das hätte ich gar nicht erlaubt, so kalt, wie das Wasser noch ist“, meinte sie und schien sich kurz zu fragen, ob Kazel vielleicht auch die Jahreszeit vergessen hatte – oder, ob er aus einem warmen Teil des Landes hergebracht worden war. Weltliche Entfernungen spielten immerhin für die ewigen Entitäten keine Rolle! Innerhalb eines Wimpernschlags konnten sie von Sarma nach Zyranus und wieder zurückreisen, wenn sie wollten. Sie schien nicht zu wissen, woher Kazel gekommen war – vermutete aber wahrscheinlich Kata Mayan.
„Nun gut, das Wasser im Zuber sollte noch nicht zu kalt sein. Vermutlich erfrischt es dich sogar nach dem Fieber!“ Elodi schien pragmatisch veranlagt zu sein, aber sie bemerkte durchaus wohlwollend, dass Kazel zu der rücksichtsvolleren Sorte gehörte. Dennoch schien sie nicht zu wollen, dass er sich bei ihr unwohl fühlte.
Als er schmunzelte schien daher auch von ihr eine kleine Sorge abzufallen. „Du warst bisher einer meiner pflegeleichtesten und genügsamsten Patienten!“, versuchte sie ihn dennoch zu beruhigen, ehe sie ihm seine Ruhe gönnte und sich um ein Frühstück kümmerte.

Kazel konnte sich Zeit mit dem Bad lassen, denn Elodi würde ihn nicht stören. Viel Zeit sich zu sammeln hatte er immerhin noch nicht gehabt, seitdem er aufgewacht war.
Während er sich entkleidete ließ der Mischling seine Gedanken wandern und suchte nach irgendwelchen Erinnerungsfetzen. Doch er musste erkennen, dass er sich wirklich nur an grundlegende Dinge erinnern konnte. Es war merkwürdig und erleichternd zugleich. Kazel wusste, dass er etwas zurückgelassen hatte, doch empfand er keinen Schmerz, weil er sich nicht an das Was oder das Wen erinnern konnte.
Das kühle Wasser fühlte sich auf seiner Haut, die sich vor einigen Stunden noch heiß und beklemmend angefühlt hatte, wundervoll an. Tatsächlich war der Waschraum nur mit dem Nötigsten ausgestattet und weit entfernt vom Begriff luxuriös, doch war alles da, was er benötigen würde. Auch ein Kamm lag auf einem kleinen Tuch unterhalb des Spiegels bereit. Selbst ein Rasiermesser und zwei Scheren, mit denen eindeutig Haare geschnitten wurden, konnte man finden. Vermutlich gehörten sie zu der Ausstattung einer Feldschwester mit dazu, auch wenn solche Gegenstände in jeden guten Haushalt gehörten.
Im Wasser kehrten seine Gedanken kurz zu Elodi zurück. Ihn ließ der Gedanke nicht los, dass sie vermutlich mehr von seinem Körper gesehen hatte, als ihm angenehm war. Prüde war er nicht, aber schon ein wenig schüchtern. Zumindest konnte er nicht anders empfinden. Er war immerhin ein junger Mann und sie… eine nicht unansehnliche Frau. Zwar gehörten sie nicht derselben Rasse an, so dass sich Alter und Reife trotz ähnlicher Zahlen unterscheiden könnten, doch selbst dann würde die Spanne nicht zu weit auseinanderdriften. Kazel könnte sich nicht daran erinnern, ob er bereits mit jemandem intim geworden war, denn solche Erinnerungen wären an diese Person/en gebunden. Ob Elodi ihn berührt hatte? Vermutlich, denn die Chance, dass sie ihn gewaschen hatte war groß!
Die junge Frau schien sich dabei nichts zu denken, was sicher mit ihren beruflichen Erfahrungen zu tun hatte. Eine Feldschwester hatte sicher schon sehr viel gesehen und hätte Kazel von dem Überfall auf Zyranus gewusst, hätte er vermuten können, dass sie bei dieser Schlacht anwesend gewesen war – wenn auch mehr am Rand des Geschehens.
So oder so machte ihn die Vorstellung ein wenig … nervös!
Nach dem Bad betrachtete sich Kazel in dem Spiegel, der bereits recht alt und nicht gerade hochwertig wirkte. Dennoch erfüllte er seinen Zweck, wenngleich auch ein paar Trübungen an den Rändern das Gesamtbild beeinträchtigte.
Das erste Mal nach dem Ablegen seiner Erinnerungen betrachtete sich der Mischling im Spiegel. Das Abbild zeigte ihm einen jungen Mann, der einerseits wusste wer er war, doch gleichzeitig es auch noch herausfinden musste. Es war schlichtweg merkwürdig. Doch löste der Anblick kein Unbehagen aus. Kazel könnte sich durchaus mit sich zufrieden fühlen. Er sah keineswegs schlecht aus und entdeckte selbst, dass sein Lächeln, wenn er es denn zeigte, zu bestechen verstand. Seine Augen waren von einem intensiven Blau, das an die seiner Gastgeberin erinnern könnte, doch gleichzeitig waren sie auch hier im Ton ein wenig dunkler. Optisch standen Kazel und Elodi im Gegensatz.
Kazel sah, dass er ein Mischling war, doch das Leid, das er durch diesen Umstand erlebt hatte, war größtenteils vergessen. Er wusste zwar, dass Mischlinge es teilweise nicht leicht auf Celcia hatten, noch weniger in Morgeria – und dass auch er mit Vorurteilen und Schmerz ausgesetzt worden war – die Narben auf seinem Rücken sprachen immerhin eine eindeutige Sprache und waren nicht verschwunden. Doch empfand er nicht mehr dieselbe Last und den Schmerz, wie früher. Als hätte er mit diesem Kapitel abschließen können.
Er würde den Kazel, dem er nun im Spiegel in die Augen blickte, selbst neu kennenlernen müssen!
Nachdem er sich angekleidet hatte und in etwas großen Sachen zurück zu Elodi kehrte, erhielt er sofort die Aufmerksamkeit zurück, die sie ihm zuvor geschenkt hatte. Noch immer war sie nicht aufdringlich, schenkte ihm lediglich ein Lächeln, als er aus der Waschkammer trat, denn sie war noch mit den letzten Handgriffen für das Frühstück beschäftigt. Dennoch begann er bereits ein Gespräch:
„Ist Tarek schlecht auf mich zu sprechen wegen der geliehenen Kleidung, dass er mich Prinzessin nannte?“, fragte er, woraufhin sie kurz innehielt und stutzte. Dann schien sie zu verstehen, dass er zu diesem Zeitpunkt, an dem die Bemerkung bereits gefallen war, schon wach gewesen sein musste.
„Nein, mach dir da keine Gedanken. Auch nicht, dass er dir irgendwelche Spitznamen gibt. Das tut Tarek bei jedem, denn er gibt sich nicht die Mühe sich Namen zu merken.“, erklärte sie und schüttelte, offenbar bei dem Gedanken an Tarek kurz mit dem Kopf.
„Er ist kein schlechter Kerl, aber etwas anstrengend. Geh‘ auf seine Provokationen am besten gar nicht ein und ignorier so ein Verhalten. Mich hat er auch über 2 Wochen mit irgendwelchen Namen geärgert, aber als ich anfing den Spieß umzudrehen und es ihm gleichtat, hat er sich meinen Namen dann doch irgendwann gemerkt“, erzählte sie schmunzelnd und sah vom Zerkleinern von Schnittlauchstängeln auf, die sie in eine Pfanne streute.
Auf dem kleinen Tisch war ein wenig Ordnung gebracht worden, sollte er sich diesen betrachten. Eingedeckt mit Tellern aus einfacher Keramik konnte Kazel bereits einen kleinen Flechtkorb mit frisch aufgeschnittenem Brot erkennen, dessen Duft den Raum erfüllte. In einer weißbemalten und mit kleinen blauen Blümchen verzierten Schale lagen ein paar Äpfel, daneben lag ein Holzbrett auf dem sich geräucherte Wurst, etwas Käse und sogar ein paar Tomaten befanden, die vermutlich vom Markt in Zyranus stammten. Denn hier würden diese wohl derzeit kaum ohne magischen Einfluss wachsen.
Elodi, deren Wange und Kleidung noch immer leichte Spuren von Mehlstaub trugen, trat mit einer Pfanne an den Tisch und häufte auf beide Teller eine Portion Rührei – wobei seine Portion deutlich größer ausfiel. Der kleingehackte Schnittlauch blitzte dabei frisch durch die noch dampfende Masse.
„Bedien dich! Nur keine falsche Scheu“, lud sie ihn ein, als er sich an den Tisch setzte. Sie selbst nahm ihm gegenüber Platz und lächelte zufrieden, als sie sah, dass er sich nicht zurückhielt.
„Wir sind uns also ähnlich? Dann ... bist du Gesellin des Schicksals?“, fragte er dennoch zwischen den Bissen. Die Rothaarige griff nach einer Brotscheibe und schaufelte ein wenig des Rühreis als Belag darauf.
„Genau, seit fast zwei Jahren lerne ich von ihr“, gab sie zu und lächelte leicht, froh darüber, dass sich ein flüssiges Gespräch zu entwickeln schien.
„Ich muss gestehen, dass ich überrascht war zu hören, dass Tod einen Gesellen besitzt! Die paar Male, in denen ich ihm begegnet bin, war er stets alleine und nicht besonders gesprächig!“ Sie beugte sich zu einem Krug, der mit Wasser gefüllt war und schenkte Kazel, wie auch sich selbst ein wenig Wasser in die bereitstehenden Becher ein. Kurz schien Elodi in einer Erinnerung gefangen zu sein, denn ihre Schultern zuckten unter einem kleinen stummen Lachen.
„Ich hoffe du nimmst es mir nicht übel – ich war doch ganz schön erleichtert, dass du nicht nur aus Knochen bestehst!“ In Elodis Augen blitzte ein gewisser Schalk. Sie schien die Stimmung weiter heiter halten zu wollen – vielleicht auch, um herauszufinden, wie er so war.
„Als ich dem Gevatter das erste Mal begegnete erschrak ich dermaßen, dass ich glaubte, er könne mich direkt mitnehmen! Man bekommt im Leben ja doch ein recht düsteren Bild vom Tod aufgezeigt. Zum Glück hat sich dieses nicht bewahrheitet!“ Sie betrachtete Kazel kurz, ehe sie einen Bissen von ihrem Brot nahm. Als dieser runtergeschluckt war nahm sie noch einmal den Faden des Gesprächs auf.
„Wie lange bist du schon sein Geselle?“, fragte sie und hoffte, dass ihre Annahme, dass er sich daran erinnern würde, richtig war.
Das Frühstück verlief recht gemütlich und sie schienen ein wenig Zeit zu haben, sich kennenzulernen. Kazel bekam die Gelegenheit seinen Magen zu füllen und ein paar der Fragen loszuwerden, die sich ihm bereits stellten.
„Was hast du den Dörflern erzählt? Ich bin kein Mensch, wir sind nicht unbedingt verwandt. Ich möchte mich abstimmen, damit es keine Probleme gibt. Und dann ... ich ... weiß immer noch nicht, was jetzt zu tun ist. Soll ich einfach hier sitzen und auf Tod warten?“, fragte Kazel nach einer Weile und wurde vermutlich dadurch eine wichtige Frage los. Die junge Frau ihm gegenüber begegnete den Fragen offen gegenüber und schien froh zu sein, dass er sich bereits einen Weg zu suchen begann, wie er hier anfangen oder allgemein weitermachen könnte.
„Ich erzählte ihnen, dass du der beste Freund meines verstorbenen älteren Bruders warst und du mich seither begleitest, weil wir beide keine andere Familie besitzen.“, erklärte sie und sah ihn daraufhin etwas aufmerksamer an. „Ich hoffe… es ist dir nicht zu unangenehm, dass ich uns eine geschwisterähnliche und mehrjährige Beziehung angedichtet habe. Das würde erklären, dass wir beide hier wohnen und immer wieder zusammen zu sehen sind. Ich dachte, dass es dir helfen würde. Die anderen Männer werden dir dadurch nicht vollkommen misstrauisch gegenübertreten.“ Weiterhin schien sie auf jede seiner Reaktionen zu achten, kam dann aber auf den Gedanken, dass ihm noch Kontext zum völligen Verständnis fehlen würde.
„Das Dorf, in dem wir uns befinden entsteht gerade ganz neu und ist noch im Aufbau. Ich weiß nicht, ob du dich erinnern kannst, oder ob du davon etwas weißt, aber die Stadt Zyranus wurde von einer gemeinsamen Armee aus dunklen Völkern und grandessarischen Soldaten bestehen, belagert und angegriffen. Angeführt worden waren diese von einem Dämon … Asmodeus?“ Sie sah Kazel fragend an, ob der Name ihm etwas sagen würde, ehe sie fortfuhr.
„Nun… ich will jetzt nicht genauer ins Detail gehen. Asmodeus wurde besieht und die Armee zerschlagen. Einige Männer von dieser, aber auch ein paar Zyraner und Bauern der Umgebung beschlossen dann allerdings aus dem Unglück eine Chance für einen Neuanfang entstehen zu lassen. Sie schlossen sich mit den Vorhaben friedlich beisammen zu leben zusammen und dieses Dorf – die Graslandsiedlung zu erbauen. Ich kam mit einigen anderen Feldschwestern aus Santros her, um die Verletzten der Schlacht zu versorgen. Nachdem die Belagerung aufgegeben worden war, zogen die meisten Feldschwestern weiter. Ich blieb, um den Aufbau zu unterstützen und mich um die Verletzten, die sich diesem Projekt anschlossen, zu kümmern.“ Nun wusste Kazel vermutlich, warum er hierhergebracht worden war. Die Erwähnung der Schlacht war kurz ausgefallen, doch glaubte sie ihn mit mehr Details zu verwirren und schlussendlich sollte er erst einmal nur wissen, wieso er überhaupt hier war.
„Schicksal und Tod beschlossen wohl, dass dies auch für dich ein geeigneter Ort für einen Neuanfang wäre. Soweit ich das richtig verstanden habe, sollst du jetzt erst einmal ankommen und dich neu zurechtfinden. Wir unterstützen den Aufbau und die Dorfbewohner. Tod wird sich mit dir sicher noch in Verbindung setzen…“ Wie, als hätte der Gevatter die beiden verborgen beobachtet, erklang plötzlich dessen Stimme in Kazels Kopf.
Als würde ich dich hier ohne weitere Erklärungen zurücklassen! Du weißt doch hoffentlich noch, wie du mich erreichen kannst? Die Stimme des Gevatters klang wie immer monoton, doch waren die Worte so gewählt, dass man einen gespielten Vorwurf heraushören konnte.
Elodi hatte noch weitergesprochen, doch schien sie dann bemerkt zu haben, dass Kazel mit seiner Aufmerksamkeit und seinen Gedanken nicht mehr bei ihr war. Anders als andere, schien sie jedoch nicht sofort von einer unhöflichen Behandlung auszugehen. Vielleicht konnte sie Schicksal ja auf dieselbe Weise hören, wie Kazel seinen Meister.
Ich bin froh, dass es dir besser geht! gab der Gevatter nach einem kurzen Moment Stille zu, jedoch nicht ohne hinzuzufügen: Auch, wenn ich mir keine Sorgen, um ein weiteres Ableben deinerseits, machen musste. Als Verwalter der Lebenszeit wusste Tod immerhin wann ein Leben in Gefahr war.
Elodi beäugte Kazel noch kurz, ehe sie sich auf ihr Frühstück konzentrierte. Vermutlich vermutete sie, dass sie gedanklich nicht länger mit dem Mischling alleine war. Je nachdem, was Kazel nun sagte oder fragte, würde Tod auf diese Fragen eingehen, aber er würde ihm auch so erklären, was nun von ihm erwartet wurde.
Schicksals Gesellin hat es ja bereits erwähnt. Bleib vorerst mit ihr in diesem Dorf und unterstütz die Arbeiten, lerne das Leben neu kennen, aber behalte im Auge, dass du eine emotionale Grenze zu den Sterblichen wahrst. Deine und Elodis Arbeit wird sich in Zukunft sicher teilweise vermischen… oder überschneiden. Sie wird es dir genauer erklären können, wenn es soweit ist!, erklärte der Gevatter ihm gedanklich und ließ erneut eine kurze Pause eintreten, so dass es schon so wirkte, als wäre er wieder fort.
Die Geschehnisse in diesem Dorf und der Umgebung werde ich nach ein paar Tagen dir überlassen. Das bedeutet auch das Überführen der Seelen von Verstorbenen! Es treiben sich noch einige verirrte Seelen herum, die ihren Tod nicht akzeptieren können. Aber nimm dir dennoch Zeit dich hier erst einmal zurechtzufinden. Schicksal und ich haben beschlossen, dass du mit Elodi vorerst zusammenarbeiten und lernen sollst. Damit hast du jemanden an deiner Seite, mit dem du dich stets austauschen kannst. Außer natürlich, dir missfällt dieses Vorhaben!? Der blaue Blick von Elodi hob sich kurz und sie sah Kazel mit einem kleinen Lächeln abwartend an.
„Tod?“, fragte sie stumm und nur mit der Formung ihrer Lippen.
Ich denke, dass ihr euch gut unterstützen könnt. Und zu deinem Glück scheint sie ihrer Meisterin in Sachen Bissigkeit nicht zu ähneln oder nachzueifern!, kommentierte er trocken, doch irgendwie auch mit einem stummen, selbstironsichen Homor.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Freitag 24. Mai 2024, 21:47

Man sollte meinen, dass jemand in Kazels Position ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl vermissen könnte. Schließlich hatte er nicht nur nahe alle Erinnerungen und Verbindungen zu seinem früheren Leben aufgegeben, sondern fand sich zudem in einem ihm gänzlich fremden Gebiet und ohne eine Aufgabe, die ihn nun antreiben würde. Natürlich gab es noch immer Gevatter Tod, die Erinnerung an ihn und seine Pflichten als dessen Lehrling, aber derzeit hielt sich alles Tote fern von ihm. Sein Meister käme noch früh genug auf ihn zu. Bis dahin konnte Kazel sich erst einmal zurecht finden. Tatsächlich fühlte er sich aber lange nicht so verloren wie in den meisten Teilen seines vorherigen Lebens. Nie hatte er einen Platz als den seinen angesehen, niemals ein Gefühl von Heimat und Sicherheit besessen. Ihm mussten erst der Gevatter mit seiner beruhigenden Todeskälte begegnen und Janay, an deren Seite er auf liebevolle Weise eine Heimat fand. Janay wer? Kazel würde sich nicht an sie erinnern, selbst wenn sie schön und schwanger vor ihm stünde. Da war nichts mehr. Den Tod aber hatte er nicht vergessen. Das zarte Band zwischen Lehrling und Meister bestand fort. Es spendete ihm Sicherheit und doch ... auch ohne den Schnitter in seinem Rücken fühlte er sich derzeit nicht allein. Elodi war hier und sie zeigte sich sehr eifrig darin ihn ankommen zu lassen. Es war aber nicht einmal das, welches ihm ein Gefühl gab, ein legitimer Teil Celcias zu sein. Es war die Tatsache seiner durch Gedächtnisverlust erhaltenen Neutralität. So dachte Kazel nicht einmal daran, dass er als Mischling nicht überall gern gesehen wäre. Er dachte nicht daran, dass Dunkelelfen ihn ob seines unreinen Blutes als minderwertig verbuchten, während die eldorischen Elfen, zu denen er väterlicherseits gehörte, ihn mieden, gerade weil ein Teil von ihm so dunkel war. Es kam ihm nicht einmal in den Sinn, somit schufen sich auch keine Zweifel, ob man ihn stets aus der Gesellschaft ausschließen können wollte. Hier half Elodi dann doch ein wenig mit. Ihre offene, neugierige Art unterstütze Kazel in der Sicherheit, Willkommen zu sein. Außerdem war da noch mehr. Sie waren sich ... ähnlich, wie sie sagte. Also gehörte er doch zu jemandem. Zu ihr? Nein, zu ihrer kleinen Gemeinschaft als Gehilfen zeitloser Entitäten, um das celcianische Gleichgewicht zu wahren. Für Kazel als Geselle des Todes stand seine Aufgabe fest. Er musste dafür sorgen, dass Leben und Tod einander die Waage hielten. Elodi aber war...
Kazel dachte über ihre Worte nach, während er das Bad nahm. Schicksal hatte sie gefunden, während sie mit einer Gruppe medizinisch versierter Frauen das Land bereiste, um Hilfe zu leisten. Die Gedanken huschten eine Weile durch den Kopf des Mischlings, auch als er sich selbst im Spiegel betrachtete. Dann aber lenkte ihn sein eigener Anblick etwas ab. Kazel stellte fest, dass ihm seine Haare zu lang waren für seinen persönlichen Geschmack und das ließ ihn stutzen. Er erinnerte sich nicht an die Zeit, als sie die Möglichkeit hatten, ihn bis knapp zu den Schultern zu reichen, doch er wusste sehr genau, dass er sie bevorzugt kürzer trug. Bis maximal zu den Ohrläppchen, das war schon immer seine Frisur gewesen. Seltsam, dass ich genau so etwas noch im Kopf habe.
Zwar entdeckte er neben Kämmen und Bürsten auch Scheren, entschied sich jedoch dagegen, sie zu nutzen. Zumindest nicht jetzt, denn er wollte Elodi auch nicht warten lassen. Ergäbe sich im Laufe des Tages die Gelegenheit, seine Mähne etwas zu stutzen, würde er es tun. Vielleicht auch am Morgen bei der nächsten Wäsche. Jetzt hielt er sich nur damit auf, kleine Knoten aus dem Schwarz zu bürsten und es anchließend eben mit einem Band zu einem kurzen Zopf im Nacken zu bündeln. Das musste ausreichen. Gebadet, frisch gemacht und ein wenig herausgeputzt, soweit es die Optionen zuließen, kehrte er wenig später in die Wohnstube zurück und nahm zusammen mit der Menschenfrau eine Mahlzeit ein. Sie hatte reichtlich aufgetischt, dass es Kazel schon einem Festmahl gleichkam. Er war hungrig, aber so viel könnte er auf einen Schlag gar nicht vertilgen, ohne Magenschmerzen zu bekommen. Außerdem war es ihm irgendwie unangenehm, ihre Vorräte derart anzuzapfen. Zögerlich angelte er nach einem Stück Brot. Elodi musste es aufgefallen sein, denn sie forderte ihn dast schon auf, nicht so bescheiden zu sein!
"Bedien dich! Nur keine falsche Scheu."
"Du machst dir viel zu viel Arbeit, aber ... Danke", murmelte er. Dann griff er jedoch beherzter nach einem der Äpfel, auch wenn er ihn nicht sofort aß. Zum Rührei passte er ja nicht direkt. Kazel legte ihn sich nur bereit. Er sollte ein Nachtisch sein und irgendwie freute er sich am meisten darauf. Etwas kitzelte in seiner nicht mehr vorhandenen Erinnerung. Er konnte es nicht greifen, denn es war ihm nicht mehr zugänglich, aber irgendwie wusste er, dass er den Apfel mögen würde. Wahrscheinlich liebte er ihn sogar, wäre er aus einer der andunischen Plantagen, denn die Stadt war nicht grundlos für den besten Apfelwein bekannt. Die Qualität ihrer Früchte gab es kein zweites Mal. Jener hier würde Kazel wohl ordentlich schmecken, aber nicht die Liebe und erst Recht nicht das Nostalgische hervorrufen an eine Zeit, in der er sich heimlich aus der Stillen Ebene bis an den Rand der Höfe geschlichen und dort Äpfel gestohlen hatte. Sie waren die beste Beute, der er auch über das nötige Überlebensmaß hinaus nicht immer widerstehen konnte. Dass es sich hier nun nicht um einen andunischen Apfel handelte, enttäuschte ihn gewiss nicht. Allein, dass Elodi ihn anbot, war schon Grund genug zur Freude. Sie bemühte sich redlich um Kazel und er schätzte es wert, wenngleich auch nicht offen ausgesprochen. Sie würde zwischen den Zeilen lesen, vor allem aber seine Mimik studieren müssen. Wann immer Kazel einen Bissen nahm, stahl sich ein Lächeln in seine Mundwinkel. Bei dem Brot schloss er sogar genüsslich die Augen, schnupperte vor dem zweiten Happen davon noch einmal an der Kruste und drohte, selbst einen kleinen Mehlfleck auf die Nasenspitze zu bekommen. Im letzten Moment aber schob er sich das Stück lieber in den Mund.
Als sein erster Hunger gestillt war, blieb Zeit für einen Austausch. Elodi war hier um zu helfen, das galt auch bei der Beantwortung von Fragen und sie zeigte sich ihm gegenüber sehr offen. Vielleicht weil sie einander ähnlich waren, bedachte man ihre Werdegänge.
"Ich muss gestehen, dass ich überrascht war zu hören, dass Tod einen Gesellen besitzt! Die paar Male, in denen ich ihm begegnet bin, war er stets allein und nicht besonders gesprächig!"
"Eigentlich redet er ganz gern", entgegnete Kazel. "Ich verstehe seinen schwarzen Humor nicht immer, aber er versucht stets, mich damit irgendwie zu amüsieren. Ich ..." Er senkte die Stimme, als könnte es helfen. Kazel wusste, dass Tod seine Gedanken wahrnehmen und ihm im Geiste sogar antworten konnte, aber ob er ihn jederzeit auch so hörte, war ihm nicht bekannt. Er wollte nichts riskieren und doch erschien es ihm wichtig, Elodi ein wenig von seinem Meister zu erzählen. Der Tod stand bei so vielen in einem schlechten Licht. Kazel sah ihn nicht so. Für ihn war er bereits jetzt mehr als ein Lehrmeister. Er war ... ein Freund, vielleicht auch die Vaterfigur, die er im echten Leben nie besessen hatte, doch das könnte er selbst nicht einordnen. "Ich glaube, Tod ist sehr einsam. Wenn man die Ewigkeit damit verbringt, alles um sich herum sterben zu sehen oder tot aufzufinden ..." Er hob die Schultern an. "Ich versuche, nicht nur ein guter Lehrling zu sein, sondern auch Gesellschaft."
"Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel - ich war doch ganz schön erleichtert, dass du nicht nur aus Knochen bestehst!"
"Tod meinte, nachdem ich selbst gestorben bin, werde ich mich mit der Zeit ebenso in ein Ske..." Kazel brach ab. Seine Augen wurden tellergroß und mit der Erkenntnis schoss ihm auch erneut die Röte ins Gesicht. Sie ging so weit, dass sie sogar seine Ohrspitzen erreichte. Nein, er bestand nicht nur aus Knochen. Da war auch Fleisch an ihm, jede Menge und ... überall. Sie hat alles von mir ... gesehen!
"Sch-schön, dass dir mein Knochen ... m-mein Fleisch! Äh ... schön, dass ich ... dir ... gefalle... uff!
Er riss den Kopf herum, schaute voller Scham seitlich von ihr fort und musterte den schmalen Schlitz unterhalb einer der Türen, durch die gerade irgendein kleines Insekt gekrochen kam, um schnell in den Schatten zu verschwinden. Gern hätte Kazel mit diesem Tierchen nun getauscht. Elodi versuchte, die Situation durch Ablenkung zu retten, also stelle sie die unverfängliche Frage, wie lange Kazel schon in den Diensten des Seelenernters stand. Das half. Kazel kehrte in seine Ausgangsposition zurück und war nur noch ein wenig rot um die Nase. "Ich weiß es gar nicht. Ich kann ... es schwer greifen." Kazel berührte seine Stirn. "Es gibt so viele Lücken. Aber er hat mir gezeigt, wie ich durch Zeit und Raum springen kann und ich hab meine eigene Sense, um Seelen von den toten Leibern zu schneiden. Nun ... eigentlich ist es ein Dolch. Ich komme damit besser zurecht." Kazels Mundwinkel hob sich. Er war tief dankbar dafür, dass Tod nicht versuchte, ihn in seine eigene Form zu pressen. Er gab ihm das Notwendige für die Erfüllung seiner Aufgaben mit auf den Weg und ließ Kazel ansonsten den Freiraum, eigene Methoden zu nutzen. Deshalb war er der Geselle mit dem Sensendolch. Ob die celcianische Gesellschaft sich an einen Schlitzer auch gewöhnen könnte, anstelle eines Schnitters?
Der Moment der peinlichen Berührtheit schwand immer mehr. An seine Stelle trat ein gemeinsames Frühstück unter gegenseitigem Beschnuppern, auch wenn Kazel bislang nicht allzu viele Fragen zu Elodi selbst stellte. Bislang! Er hielt sich zurück, bis er selbst genug aufgetaut war, um auch derart persönliche Dinge erfahren zu wollen. Das wäre schließlich auch wichtig, wenn er Elodis Geschichte glaubwürdig nach außen tragen wollte. Denn für alle anderen war er der beste Freund des verstorbenen großen Bruders und inzwischen in diese Rolle bei ihr eingetreten. Sie waren einander vertraut. Allein aus diesem Grund half es, Elodi genauer zu kennen, obwohl Kazel auch seine Amnesie vorschieben könnte, ohne verdächtig zu wirken. Letztendlich war er nun aber auch interessierter an seinem Gegenüber, warum sie also nicht besser kennen lernen?
"Ich hoffe ... es ist dir nicht zu unangenehm, dass ich uns eine geschwisterähnliche und mehrjährige Beziehung angedichtet habe. Das würde erklären, dass wir beide hier wohnen und immer wieder zusammen zu sehen sind. Ich dachte, dass es dir helfen würde. Die anderen Männer werden dir dadurch nicht vollkommen misstrauisch gegenübertreten."
"Andere Männer?", wiederholte Kazel und drohte, schon wieder rot zu werden. "Ich habe kein Interesse an dir! Also ... ich ... hab noch gar nicht in die Richtung gedacht! Ich meine ... äh ..." Er schüttelte leicht den Kopf. "Wir wohnen zusammen? Dann brauche ich ein eigenes Bett. Ich kann deines unmöglich die ganze Zeit in Beschlag nehmen. Ich ... werde das nicht tun! Ich kann auf dem Boden schlafen, bis ich mir ... hm ... vielleicht kann ich mir selbst ein Bett bauen." Er betrachtete seine Hände, ob ihm Schwielen daran auffielen. Seine Erinnerung gab nichts darüber preis, ob er sich je an einer handwerklichen Tätigkeit versucht hatte. Seine Hände verrieten es aber auch nicht. Sie waren nicht so zwar wie die einer Adligen, die niemals auch nur einen Finger selbst rührte. Ihm fehlten hier - im Gegensatz zu seinem Rücken - aber auch Narben wie von Schweiß treibender Arbeit. Dafür fiel ihm eine Tätowierung an seinem rechten, inneren Handgelenk auf. Ein Sichelmond auf rundem Grund, durchkreuzt von mehreren missglückten Versuchen, das Bild aus der Haut zu kratzen. Er erkannte das Wappen der Tenebrées nicht, denn das Haus gab es nicht mehr. Es wurde aus der Geschichte geschrieben, so wie man seine ganze Existenz aus seinem Kopf gelöscht hatte. Trotzdem musterte Kazel das Bild eine Weile, ehe seine Aufmerksamkeit zu Elodi zurückkehrte. Auf diese Weise erfuhr Kazel von der Siedlung des Graslandes, in der auch er sich aktuell befand. Es hatte eine Belagerung gegeben, gegen Zyranus. Soldaten der dunklen Völker und jene aus Grandessa hatten sich verbündet, um unter dem Befehl eines Dämonen die Stadt dem Erdboden gleich zu machen. Zu all dem konnte Kazel nur mit dem Kopf schütteln.
"Ich war nie im Grasland. Zyranus sagt mir genauso wenig wie Dämonen namens Asmodeus oder Santros. Offenbar habe ich kaum etwas von Celcia gesehen. Ich kenne Morgeria, die Stille Ebene. Ich ... weiß, dass ich nach Pelgar wollte ... aber nicht mehr, warum. Ich weiß nicht, was dort geschehen ist. Für mich ist dieses Dorf genauso ungewohnt wie vermutlich alles andere." Aber er verzweifelte nicht daran. Warum auch? Er hatte sich für diesen Zustand entschieden, zum Wohle Celcias. Weil es wichtig war, dass der Gevatter Unterstützung durch einen Gesellen wie ihn erhielt. Weil es wichtiger als sein ansonsten einfaches Leben war. War es denn einfach gewesen? Er wusste es nicht. Schicksal hatte ihm alle Erinnerungen genommen, damit aber auch den Schmerz, es vermissen zu wollen. Er war vollkommen neutral.
Außerdem war er satt. Kazel schob den geleerten Teller beiseite, betrachtete den unangerührten Apfel. Er griff danach, drehte ihn in der Hand. Den würde er später essen, so viel stand fest. Derweil spekulierte Elodi, warum gerade die frisch entstehende Graslandsiedlung der perfekte Ort für einen Neuanfang wäre und prompt meldete sich sein Meister zu Wort. Nun, eher zu Gedanke, denn Kazel hörte die vertraute Stimme in seinem Kopf und glaubte, mit ihr auch eine gewisse Totenstille zu spüren, die alle anderen Geräusche um ihn herum dämpfte. Dadurch wirkte er für Außenstehende immer ein wenig tagträumerisch oder in seinem Fall dunkel grüblerisch, denn Kazel fehlte diese Fröhlichkeit, die seine mangelnde Aufmerksamkeit romantisierte. Er wirkte immer ein wenig dunkel, so wie der Tod.
Du weiß doch hoffentlich noch, wie du mich erreichen kannst?
Ja, daran erinnere ich mich. Es tut gut, dich zu hören. Er lächelte seicht, auch wenn Tod es im Gegensatz zu Elodi nicht sehen mochte, falls er er Kazel nicht wieder einmal durch seinen Wasserspiegel beobachtete.
Ich bin froh, dass es dir besser geht!
Ging es mir vorher denn so schlecht? Oh nein, sag es mir nicht. Das gehört wohl zu meinem alten Leben und ich sollte nicht zurückblicken ... um professionell zu sein. Kazel bemerkte eine Bewegung im Augenwinkel. Elodi formte stumm eine Frage mit ihren Lippen. Sie wollte wissen, ob er sich mit dem Gevatter unterhielt. Kazel nickte nur knapp und musste sich dann schon wieder auf jenen konzentrieren. Der Gevatter erklärte ihm, wie es nun weiterging. Er sollte hier bleiben und das Dorf, zusammen mit Elodi, unterstützen. Es würden früh genug Aufgaben auf ihn zukommen. Bis dahin könnte er sich in diesen Neuanfang einfinden; in sein neues Leben.
Schicksal und ich haben beschlossen, dass du mit Elodi vorerst zusammenarbeiten und lernen sollst. Damit hast du jemanden an deiner Seite, mit dem du dich stets austauschen kannst. Außer natürlich, dir missfällt dieses Vorhaben!? Ich denke, dass ihr euch gut unterstützen könnt. Und zu deinem Glück scheint sie ihrer Meisterin in Sachen Bissigkeit nicht zu ähneln oder nachzueifern!
Kazel gluckste. Dann nickte er Elodi etwas intensiver zu, weil er schon wieder vergessen hatte, dass er ihr bereits seine unaufmerksame Haltung signalisiert hatte. "Deine Lehrerin - Schicksal", fragte er schließlich, als er glaubte, Tods Präsenz zöge sich aus seinem Kopf zurück. "Ist die wirklich so bissig? Und ... nun, ich weiß, wie ich dem Gevatter diene und helfe, aber was macht man als Gesellin des Schicksals? Was sind deine Pflichten?" Endlich zeigte er etwas Neugier auch für die Person hinter Elodi. Er konnte sich schwer vorstellen, was man als Schicksal alles in die Wege leiten musste außer ... dem Schicksal. Bedeutete es, dass Elodi wusste, was auf die Sterblichen zukam? Musste sie eingreifen oder eben gerade nicht, damit sich Schicksal erfüllten? "Erklär mir bitte, wie es bei dir funktioniert und anschließend, wo ich hier an Holz und Werkzeug herankomme. Ein Bett zu bauen dürfte nicht allzu schwierig sein, oder?" Sein Blick huschte noch einmal zu Elodis Schlafstatt herüber, in der er die letzten zwei Tage und Nächte verbracht haben musste. Wäre es groß genug auch für zwei? "Wir können ja schlecht nebeneinander darin liegen...", murmelte er nachdenklich vor sich her.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Freitag 7. Juni 2024, 22:48

Das Abgeben seiner Erinnerungen war für Kazel eine Qual gewesen, doch nun, wo er sich nicht mehr an die Personen und das Geschehene seiner Vergangenheit erinnern konnte, plagte ihn nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Er wusste, dass er es für Celcia getan hatte – für Tod, der ihm Vaterfigur und Freund zugleich geworden war. Wie sollte er sein Handeln also in Frage stellen? Seine Gedanken waren neutral und dadurch rein. Seine Existenz war nicht länger die eines normalen Sterblichen – er würde einer der Wächter des Gleichgewichts allen Seins und Lebens werden. Seine Handlungen galten also einem übergeordneten Zweck!
Kazel erhielt in der Kate bei Elodi alle Zeit, die er benötigte, um sich an seinen neuen Zustand zu gewöhnen. Das Bad half ihm sich ein wenig wohler zu fühlen, denn in seinem Fieberzustand hatte er doch ganz ordentlich geschwitzt und die Kleidung an seinem Körper hatte sich an seiner Haut klamm angefühlt.
Während sich der Mischling im Zuber wusch, konnte er seinen Gedanken nachhängen. Bisher war ihm noch nicht klar, was er als Nächstes tun sollte, doch er vermutete, dass er es schon bald herausfinden würde. Immerhin war da Elodi, die … ähnlich war, wie er selbst? Wie könnte sie ihm wohl helfen? Ihm fiel auf, dass er keine Vorstellung davon hatte, welche Aufgaben Schicksals Gesellin oblagen.

Ein Segen seiner verlorenen Erinnerungen war auch, dass er sich selbst noch einmal vorurteilsfreier im Spiegel betrachten konnte. Zwar erkannte und wusste er, dass er ein Mischling war – auch wusste er, dass er es dadurch in der Vergangenheit nicht immer leicht gehabt hatte – doch spürte er nicht länger die Einsamkeit, das Verzweifeln und die Wut darüber, dass er nirgendwo hin zu gehören schien. Sein Platz war… nun auf einer anderen Ebene, wo die Reinheit seines Blutes keine Bedeutung hatte.
Dennoch würde er neu lernen müssen, wie er sich als Weltenspringer zu verhalten hatte. Er stand gewissermaßen schon wieder zwischen zwei Stühlen. Sein irdisches Leben war im Grunde nicht vorbei und doch gehörte er mit einem Bein schon nicht mehr dazu. Das andere Bein stand bereits auf der anderen Seite, der er sich verschrieben zu haben schien. Es waren zwei Seiten derselben Welt, in denen er sich bewegen würde. Keine voneinander getrennt und doch nicht verbunden. Verloren fühlen musste er sich deshalb jedoch nicht, denn dieses Mal war noch jemand, abgesehen von Tod an seiner Seite, der ihm Fragen beantworten könnte. Hinter der Holztüre wartete diese Elodi auf ihn, die ihm zumindest darin ähnlich war, dass sie ebenso eine Gesellin einer höheren Entität war, wie er selbst.

Nachdem er sich neu angekleidet hatte, trat Kazel hinaus und nahm zusammen mit der jungen Frau Platz am gedeckten Frühstückstisch. Sie schien sich Mühe gegeben zu haben, denn auf dem Tisch stand eine größere Auswahl, wie sie für ein normales Frühstück einfacher Leute üblich gewesen wäre.
Doch, obwohl er ihr keine weiteren Mühen bereiten wollte, schien sie dies gar nicht als zusätzliche Arbeit anzusehen. Seinen Einwurf winkte sie zumindest mit einem sorglosen Lächeln ab.
„Habe ich gern gemacht. Nach zwei Tagen Brühe solltest du nun etwas Ordentliches in den Magen bekommen!“, sagte sie, wobei ihr noch etwas einzufallen schien.
„Ach ja, dort drüben steht eine Schale mit einem Kräutersud. Den solltest du nachher noch trinken.“ Es war dieselbe Schale, mit der Elodi an sein Bett getreten war, als er sich ihr wach präsentiert hatte. Scheinbar hatte sie vorgehabt ihm die bräunliche Flüssigkeit einzuflößen, wäre er nicht bereits wieder bei Bewusstsein gewesen.
Während sie aßen fiel ihr Blick natürlich immer wieder auf sein Gesicht. Wirklich beobachten tat sie ihn nicht – nicht mehr, als er es tun würde – aber es war vermutlich nur natürlich, dass sie einander abzuschätzen versuchten. So entdeckte sie zumindest das kleine Lächeln in seinen Mundwinkeln, als er an dem Brot roch, was ihr die Bestätigung und Freude gab, dass es ihm zu schmecken schien.

Die Atmosphäre blieb gemütlich und auch, wenn kleine Pausen entstanden, in denen sie nicht miteinander sprachen, schienen sie nicht unangenehm zu werden. Für, im Grunde Fremde, die hier miteinander frühstückten, verlief alles unerwartet natürlich und gut. Zumindest Elodi schien diese positive Stimmung dazu zu verleiten, sich ihm etwas mehr anzuvertrauen und so begann eine Unterhaltung, bei der sich beide Stück für Stück vorantasten konnten.
„Eigentlich redet er ganz gern. Ich verstehe seinen schwarzen Humor nicht immer, aber er versucht stets, mich damit irgendwie zu amüsieren. Ich ... ich glaube, Tod ist sehr einsam. Wenn man die Ewigkeit damit verbringt, alles um sich herum sterben zu sehen oder tot aufzufinden ...“, erklärte Kazel, als Elodi ihre Überraschung äußerte, dass sich Tod einen Gesellen gesucht hatte. „Ich versuche, nicht nur ein guter Lehrling zu sein, sondern auch Gesellschaft.“ Die rothaarige junge Frau hatte ihm aufmerksam zugehört und lächelte nun warm.
„Es ist wirklich keine leichte Aufgabe.“, pflichtete sie ihm bei und legte ihre Unterarme auf dem Tisch ab, um sich etwas gemütlicher abzustützen. Zuvor hatte sie ihren Teller etwas näher zur Tischmitte geschoben, da sie ebenfalls aufgegessen hatte. Ihre blauen Augen ruhten auf seinem Gesicht.
„Du hast wirklich ein gutes Herz!“, äußerte sie, als ehrlich empfundenes Kompliment, was man auch ihrem Lächeln ablesen konnte.
„Schicksal erzählte mir einmal, dass Tod der Mitfühlendste von ihnen sei, was ihn für seine Position zwar qualifiziert, aber auch eine Bürde darstellt. Du könntest recht haben, dass er einsam ist.“ Ihr Lächeln verblasse ein wenig und sie wirkte für einen Moment in sich gekehrt. „… das Gefühl habe ich auch bei ihr…“, murmelte sie leise, ehe sie leicht mit dem Kopf schüttelte und mit ihrer Aufmerksamkeit zu ihm zurückkehrte.
Es waren kleine Schritte zum Kennenlernen! Aber sie waren gut und wichtig. Allerdings schien dies nicht zu garantieren, dass keine Missverständnisse aufkamen!
Nachdem sie sich ihm anvertraute, dass sie froh darüber war, dass er einen lebendigen Körper aus Fleisch und Blut besaß, spürte Kazel erneut Verlegenheit in sich aufsteigen. Hieß das, dass sie seine Haut, ergo seinen Körper gesehen hatte? Ganz...? Jedes noch so private Fleckchen?
Elodi konnte beobachten, wie sich sein blauer Blick weitete. Im ersten Moment trat erneut ein fragender Ausdruck auf ihr Gesicht, ehe sie zu begreifen schien. Und wieder einmal brachte der Mischling sie dazu ihre aufkeimende, amüsierte Reaktion niederzukämpfen.
„Sch-schön, dass dir mein Knochen ... m-mein Fleisch! Äh ... schön, dass ich ... dir ... gefalle... uff!“, hörte sie seine gestotterten, leisen Worte. Er sah zur Seite und sie blinzelte mehrfach, weil sie stark darum bemüht war, ein Lachen zu unterdrücken. Kazel war in ihren Augen gerade einfach … zu niedlich. So niedlich, dass sie ihn am liebsten etwas gepiesackt hätte, doch dafür war es vermutlich noch etwas zu früh…!?
„Du hast eine wirklich schöne Anatomie!“ Nein, so ganz konnte sie es wohl doch nicht sein lassen! Ihr lag durchaus noch mehr auf der Zunge, aber sie wollte ihn nicht in zu große Verlegenheit stürzen. Daher entschied sie sich das Thema zu ändern und Kazel zu fragen, wie lange er schon Geselle Tods war.
„Ich weiß es gar nicht. Ich kann ... es schwer greifen. Es gibt so viele Lücken. Aber er hat mir gezeigt, wie ich durch Zeit und Raum springen kann und ich hab meine eigene Sense, um Seelen von den toten Leibern zu schneiden. Nun ... eigentlich ist es ein Dolch. Ich komme damit besser zurecht.“ Elodi nickte und reagierte dadurch vermutlich anders, als es Nicht- Eingeweihte täten. Wie wohl ihre Einstellungen zum Tod waren? Manch einer würde sich in der Gesellschaft eines Todergebenen wohl nicht wohl fühlen.
„Ein Dolch erscheint mir auch ein wenig praktischer in der Handhabung.“, merkte sie lächelnd an und griff sich dann selbst einen der Äpfel, von dem sie einmal abbiss.
Nun wollte Kazel etwas mehr von ihr wissen und sie erklärte ihm bereitwillig, was sie den Dorfbewohnern in Bezug auf ihn erzählt hatte. Ohne zu ahnen, dass sich ein erneutes Missverständnis anbahnte:
„Andere Männer?“, wiederholte Kazel und schien aufzumerken. „Ich habe kein Interesse an dir! Also ... ich ... hab noch gar nicht in die Richtung gedacht! Ich meine ... äh ...“ Nun war es Elodi, die ihn einen Moment verwirrt ansah. Wie sollte sie diese Worte bitte verstehen? Glaubte er, dass sie mit mehreren Männern etwas angefangen hatte?
„Ähm…“, begann sie wenig einfallsreich, doch schienen ihr direkt die nächsten Worte ausgegangen zu sein. Außerdem, wieso erwähnte er in diesem Bezug sich und sein… fehlendes Interesse an ihr?
„Nun... ich meinte das etwas anders!“, begann sie und bemühte sich um Aufklärung. „Das Dorf ist neu entstanden und besteht aus… ich sage mal einer gemischten Bevölkerung! Die Meisten der Männer hier gehörten der dunklen Armee an, die vor Zyranus zerschlagen wurde. Darunter finden sich Dunkelelfen, Grandessaner und auch zwei Orks! Sie suchen hier einen Neuanfang und haben sich mit ein paar Zyranern und Bauernfamilien der Umgebung zusammengetan, um dieses Dorf zu bauen. Sie wollen die Geschehnisse hinter sich lassen und vor allem ohne völker- und rassenspezifische Vorurteile friedlich leben. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie Fremden nicht ohne Misstrauen begegnen. Es hat sich hier eine kleine Gemeinschaft gebildet, die sich zumindest grob kennt und miteinander arbeitet. Dich hingegen kennt hier noch niemand! Deshalb habe ich mir eine Verbindung zwischen uns beiden ausgedacht. Denn mich kennen und akzeptieren sie als eine Art Heilerin!“ Sie musterte sein Gesicht und hoffte, dass er sie nicht für ein leichtes Frauenzimmer hielt.
„Mich… rührt hier niemand an! Reisende Feldschwestern genießen allgemein einen besonderen Schutz im Land, denn wir helfen jedem, egal welcher Seite derjenige angehört! Es passieren allgemein nur sehr selten Übergriffe. Die Männer hier sind froh, dass ich geblieben bin und eine medizinische Grundversorgung gewährleiste. Mittlerweile… bin ich auch nicht mehr die einzige Frau...“ Die letzten Worte kamen auch ihr ein wenig verhalten über die Lippen und eine leichte Röte färbte ihre Wangen. Kazels Worte schienen sie doch ein wenig verunsichert zu haben, auch weil er sich selbst erwähnt hatte.
Einen Moment schien sich zwischen ihnen Stille auszubreiten, doch dann räusperte sich die junge Frau kurz und lächelte die Situation fort. Sie war der Meinung das Missverständnis ausgeräumt zu haben und wollte auch die missverständlichen Worte des anderen nicht absichtlich persönlich nehmen.

Nachdem dies geklärt war, blieben allerdings noch eine ganze Reihe weiterer Fragen offen, die es zu stellen galt. Kazel musste sich an Elodis Geschichte halten und das bedeutete, dass sie einander besser kennenlernen mussten und wohl auch zusammen hier wohnen blieben.
„Wir wohnen zusammen?“, fragte er dennoch noch einmal nach und sie nickte. Dieses Mal wieder ohne zu erröten. Ihr schien es nichts auszumachen ihr Häuschen mit ihm zu teilen. Kazel hingegen wusste, rum er sich in diesem Fall, als erstes kümmern wollte:
„Dann brauche ich ein eigenes Bett. Ich kann deines unmöglich die ganze Zeit in Beschlag nehmen. Ich ... werde das nicht tun! Ich kann auf dem Boden schlafen, bis ich mir ... hm ... vielleicht kann ich mir selbst ein Bett bauen.“ Sie stützte ihr Kinn auf eine Handfläche ab und lächelte ihn an. Nun zeigte sich wieder seine niedliche Seite!
„Mir macht es auch nichts aus auf dem Boden zu schlafen!“, warf sie ein, doch ahnte sie bereits, dass er dies nicht mehr zulassen würde.
„Du machst dir zu viele Gedanken…!“, beteuerte sie noch einmal, ließ ihn aber dann über seine Bettbaupläne nachdenken. Wenn ihm das wichtig wäre, würde sie ihn nicht daran hindern.

Während sie ihm noch ein paar Details zum Dorf erklärte, meldete sich Tod in Kazels Gedanken zu Wort! Die Erleichterung, die Kazel empfand, als er die Stimme seines Meisters hörte, war groß! Endlich bekam er neuen Anweisungen und einen Ausblick, wie seine nächste Zeit wohl verlaufen würde. Vielleicht würde er nun etwas besser zur Ruhe finden, obwohl es verständlich war, dass der Mischling bisher etwas rastlos nach einer Aufgabe gesucht hatte.
Elodi wartete geduldig ab, bis sich die beiden besprochen hatten. Ihren Apfel hatte sie in der Zeit aufgegessen und nippte nun leicht von ihrem Wasserglas. Als Kazel auf eine Bemerkung seines Meisters gluckste, richtete sich ihr blaues Augenpaar wieder auf ihn. Und ohne es selbst zu bemerken, schien sie sein Lächeln anzustecken.
Nach kurzer Aufklärung schien Tod bereits wieder verschwunden zu sein. Er war kein Wesen vieler oder langer Worte und wähnte seinen Gesellen in guten Händen. Noch dazu ließen seine Worte erahnen, dass er Kazel von nun an mehr Aufgaben übertragen würde, die dieser selbstständig erledigen sollte. Und das schien ein großer Vertrauensbeweis zu sein!
„Deine Lehrerin – Schicksal. Ist die wirklich so bissig?“, fragte Kazel die junge Frau vor sich, die eine solche Bemerkung offenbar nicht erwartet hatte. Dennoch zeigte sich ein kleines Schmunzeln auf ihren Lippen.
„Hat Tod das behauptet?“, fragte sie amüsiert und begann zu glucksen, wie er zuvor. Dann wog sie allerdings mit dem Kopf leicht hin und her.
„Ich würde es so formulieren: Sie ist eine starke Persönlichkeit!“, umschrieb sie geschickt, jedoch nicht ganz eindeutig. Immerhin konnte dies … alles bedeuten!
Tod schien sich für den Moment wirklich verabschiedet zu haben, denn er wollte seinen Gesellen nicht in die Zwickmühle bringen ihm und auch Elodi gleichzeitig zuzuhören. Vielleicht würde sie deutlicher werden, wenn er mehr Fragen stellte:
„Und ... nun, ich weiß, wie ich dem Gevatter diene und helfe, aber was macht man als Gesellin des Schicksals? Was sind deine Pflichten? Erklär mir bitte, wie es bei dir funktioniert und anschließend, wo ich hier an Holz und Werkzeug herankomme. Ein Bett zu bauen dürfte nicht allzu schwierig sein, oder?“ Sein Blick huschte zu ihrem Bett, das durchaus Platz für zwei Leute bot. „Wir können ja schlecht nebeneinander darin liegen...“, murmelte er nachdenklich und bot der jungen Frau dadurch eine Vorlage, die sie einfach nicht ignorieren konnte!
„Können wir schon! Als Kindheitsfreund meines Bruders wären wir zusammen aufgewachsen und da würde es nicht unbedingt merkwürdig sein, wenn wir in einem Bett schlafen!“, sinnierte sie und sah dabei ebenfalls nachdenklich zur Schlafstätte. Dann wanderte ihr Blick wieder zu ihm und in ihrem Blau blitzte der Schalk.
„Ich würde auch nicht über dich herfallen - Versprochen!“
Elodi wartete seine Reaktion ab und würde ihn gegebenenfalls beruhigen, sollte er wieder in Verlegenheit verfallen. Danach würde sie beginnen seine Fragen zu beantworten.
„Nun… meine Aufgaben sind ein wenig anders.“, begann sie und schien selbst nicht ganz zu wissen, wie sie anfangen sollte. Ihr Blick wurde nachdenklich, dann schob sie ihren Stuhl etwas zurück und erhob sich.
„Weißt du was? Lass uns danach spazieren gehen! Die Sonne scheint heute endlich wieder und es wäre schade die Zeit nur drinnen zu verbringen!“, schlug sie ihm vor und begann dann den Tisch abzudecken. Da die Küche klein war, konnten sie ihre Unterhaltung dennoch ohne Probleme fortführen. Sie schien lediglich die übriggebliebenen Lebensmittel zurück in die Lagerung bringen zu wollen.
„Es ist gar nicht so einfach einen Anfang zu finden. Normal rede ich ja mit niemandem darüber!“, begann sie etwas verlegen lächelnd, während sie die Teller in die Waschschüssel legte, in der sich bereits Wasser befand.
„Du kannst die Lebenszeit einer Seele sehen, nicht wahr?“, fragte sie und kam zurück zum Tisch, wo sie sich wieder setzte. „Bei mir ist es ein wenig anders. Jede Seele besitzt einen Schicksals- oder auch Lebensfaden und eine Seelenwaage. Ich kann diese sehen!“, erklärte sie und kratzte sich in einer nachdenklichen Geste die Wange, da es ihr schwer fiel ihre Arbeit begreiflich zu erklären.
„Ich glaube die Seelenwaage ist am einfachsten erklärt. Sie wertet die Entscheidungen und Handlungen einer Seele und neigt sich dementsprechend in eine Richtung – gut oder schlecht. Ich kann so erkennen, für welche Seite sich eine Seele am häufigsten entschlossen hat.“, erklärte sie und symbolisierte die Waagschalen kurz mit ihren Händen, um es anschaulicher zu machen.
„Ich kann allerdings auch genauer hinsehen. Dafür muss ich den Lebensfaden einer Seele betrachten. Das zu erklären ist allerdings nicht so einfach. Ich versuche es… einfach zu halten, in Ordnung?“ Sie suchte kurz seinen Blick und lächelte leicht.
„Nun…die Lebens- oder Schicksalsfäden aller Seelen laufen im Grunde in einem großen Bild zusammen und weben so den Verlauf unserer Welt. Du kannst es dir vielleicht wie ein großes Webtuch oder einen Teppich vorstellen. Jeder Faden steht dafür für ein Leben – eine Seele.
Der Schicksalsfaden einer Seele besteht selbst noch einmal aus vielen dünneren. Diese verflechten sich durch die Entscheidungen, die diese Seele trifft und dokumentieren so… das individuelle Leben. Wenn sich zwei Seelen begegnen verflechten wiederum diese … und so… geht es weiter.“ Es hörte sich schon in ihren Ohren kompliziert an. Aber sie wusste nicht, wie sie es anders beschreiben sollte und hoffte einfach, dass sich Kazel grob alles vorstellen konnte.
„Die Fäden verflechten sich, laufen zusammen, sie nehmen Form an, sie verdrehen und verfilzen sich, reißen oder trennen sich und verweben sich neu. Wenn ich diese Fäden berühre, kann ich genauer in das Leben einer Seele sehen. Allerdings ist es für mich noch schwer und ich brauche einige Zeit. Schicksal selbst weiß sofort alles…!“ Elodi zog aus der Tasche ihres Rockes ein noch nicht ganz fertig geknüpftes, rundes Armband. Sie legte es vor Kazel auf den Tisch und schien dadurch einen Vergleich mit einem Lebensfaden herstellen zu wollen.
„Schicksal und ich können aber auch in das Leben einer Seele eingreifen. Wir müssen sogar, um das Gleichgewicht zu wahren. So kommt es mitunter zu Vorfällen, die der Volksmund häufig als Schicksalsschläge bezeichnet. Beispielsweise kommt es vor, dass sich das Schicksal einer Seele durch die Begegnung mit einer anderen verändert. Das kann mitunter sogar die Lebenszeit beeinflussen…!“ Das Leben war wirklich nicht einfach und das bewies sich nun durch ihren Erklärungsversuch. Sie musterte Kazels Gesicht und sah ihn entschuldigend an, da sie selbst meinte, es nicht gut zu erklären.
„Schicksal hat zum Beispiel einige kleinere Fäden in deinem Lebensfaden gekappt, so dass du an diese Lebensabschnitte oder Personen all deine Erinnerungen verlierst. Das hat sie mir… zumindest erzählt! Ich bin nicht in der Lage deine Seelenwaage oder deinen Lebensfaden zu sehen!“ Diese Offenbarung wäre vermutlich für Kazel interessant. Und vermutlich würde Kazel seinerseits ihr Stundenglas mit der Lebenszeit nicht einsehen können.
„Ganz schön kompliziert, was? Vielleicht wird es dir mit der Zeit und wenn wir zusammen arbeiten einleuchtender!“ Elodi lächelte leicht und streckte sich dann.
„Ich würde gerne mehr über dich erfahren, Kazel! Zumindest das, was du mir sagen kannst. Wir sollten uns auch ein wenig austauschen. Ich bin mir sicher, dass dich ein paar der Bewohner – vor allem die Mädchen ausfragen werden und unsere Erzählungen sollten sich nicht zu stark unterscheiden!“ Sie stand auf, ging um den Tisch herum zu ihm und hielt ihm die Hand entgegen.
„Lass uns draußen weitersprechen. Wir könnten zu dem kleinen See gehen! Und wenn wir uns besprochen haben zeige ich dir das Dorf. In Ordnung?“
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Sonntag 9. Juni 2024, 13:52

Für jemanden wie Kazel mochte es unwissentlich der größte Segen Celcias sein, dass der Verlust seiner Erinnerungen ein fehlendes schlechtes Gewissen zur Folge hatte. Denn nichts brachte ihn häufiger zum Zweifeln, vor allem an sich selbst. Nichts lenkte und beeinflusste ihn mehr als der bloße Gedanke daran, nicht aktiv geworden zu sein, wo er hätte mit Hand anlegen können oder nichts gesagt zu haben, wo ein einziges Wort vieles hätte bewirken können. Vielleicht war es natürlich für jemanden wie ihn. Wenn man sich stets als unliebsame Randerscheinung aus Sicht anderer hatte sehen und sich niemals etwas oder jemandem zugehörig fühlen können, dann brachte jede noch so kleine Entscheidung, die sich als falsch einstufte, die eigenen Reserven ins Wanken. Dann drohte einzustürzen, was doch so dringend halten musste - für andere! Nicht für sich selbst. Ungewollte Mischlinge wie Kazel waren immer minderwertig angesehen worden, bis sie es von sich selbst ganz unbewusst taten, weil es zu ihrem Naturell geworden war. Sie schoben sich in den Hintergrund, stellten ihre eigenen Bedürfnisse in die Schatten, in denen andere sie nicht einmal sehen wollten. Es war ihnen lediglich dann gestattet, lauthals in den Vordergrund zu preschen, wenn sie als Kanonenfutter eingesetzt werden sollten. Ein solches Leben war mehr als ungesund für die eigene Psyche, aber Kazel hatte es endlich hinter sich lassen können. Auch wenn er im Grunde kurz zuvor mit Janay auf bestem Wege war, aus eigener Kraft diesem kalten Grab zu entkommen. Jetzt durfte er jedoch gänzlich von vorn beginnen, ohne Schatten auf der eigenen Seele. Die wenigen Verbindungen, die ihm noch blieben - Schicksal, seine Pflichten gegenüber Celcia selbst, Gevatter Tod und dessen Lehre - hatte er offenbar freiwillig gewählt. Sie bestärkten ihn, anstatt ihn zu belasten. Gleiches galt bereits auch für Elodi, denn die Menschin entpuppte sich als wesentlich extrovertierter als Kazel selbst. Vor allem aber war sie hilfsbereit, beantwortete ihm zahlreiche Fragen und versuchte, ihm ein Wegweiser auf seinen neuen Pfaden zu sein.
Und dazwischen konnte er den Alltag genießen, für den in seinem alten Leben kaum Gelegenheit geblieben war. Sicher, irgendwann würden die Schatten Celcias auch über diesen Moment seines neuen Lebens hereinbrechen. Irgendwann würde er sich einmischen müssen, aber für den Augenblick konnte er durchatmen, um seiner Seele ein wenig Frieden zukommen zu lassen. Elodi gab sich reichlich Mühe, diesen Zustand aufrecht zu erhalten. Sie bescherte Kazel nicht nur ein vielfältiges Mahl, sondern achtete auf weiterhin auf seine Gesundheit. So wies sie mit ausgestrecktem Finger zu der Schale, die sie zuvor noch neben seiner Schlafstatt abgestellt hatte. Darin befand sich ein Kräutersud, den er unbedingt noch einnehmen sollte. Er nickte und verließ kurz den Tisch, um besagte Schale zu holen, damit sie nicht vergessen wurde. Dennoch geriet sie rasch in den Hintergrund, als Kazel sich mit Elodi über die aktuelle Lage vor Ort, den Ort selbst, seine Rolle darin und seine künftigen Herausforderungen etwas austauschte.
"Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe", stimmte Elodi im Laufe ihres Gespräch zu. Kazel nutzte den Moment, um den Kräutersud herunterzuspülen. Der schmeckte ihm nicht halb so gut wie das frisch gebackene Brot oder das sonnengereifte Obst, aber er wusste, dass es seinen Körper stärken würde, also rang er sich dazu durch. Elodi betrachtete ihn dabei. "Du hast wirklich ein gutes Herz!"
Kazel verschluckte sich beinahe am letzten Rest des Suds. Er hustete kurz, stellte die Schale ab und spähte in das hellere Augenpaar. In seinem eigenen lagen ... Zweifel ... und Überraschung. "Achja?", fragte er nur. Sein Blick wanderte zurück zu der Schale. Nur noch wenige Tropfen bildeten am Boden der Keramik einen flüssigen, kreisförmigen Rand. Er hielt den Blick darauf gerichtet und doch sah er durch das Bildnis hindurch. Vielmehr horchte Kazel in sich hinein. Er konnte dort allerdings nichts finden, weder eine Bestätigung von Elodis Worten noch etwas, das sie als Lüge hätten enttarnen können. Tatsächlich ... wusste er es nicht. So hob er den Kopf wieder an, lächelte ein wenig hilflos, geradezu unsicher, aber dennoch fröhlich. "Ich bin doch nur ich", meinte er. Dessen konnte er sich wenigstens sicher sein, denn es gab nichts, das seine Persönlichkeit aktuell beflecken oder beeinflussen könnte. Denn es gab nichts zu erinnern. Alles, was ihn bis zu diesem Punkt gebracht und ihn geprägt hatte, war nun fort. Elodi erlebte Kazel quasi in seiner reinsten Form. Sie war recht unschuldig und wie sie hatte feststellen dürfen von Genügsamkeit, schüchterner Bescheidenheit und dem Wunsch nach Harmonie geprägt. Der Gevatter hatte sich einen guten Lehrling gesucht, so wie Schicksal es schon bemerkt hatte. Kazel selbst war sich dessen überhaupt nicht bewusst. Damit lockte er Elodi geradezu, auf seine verlegene Ader einzugehen. Sie hätte ihn gern geneckt, wollte ihn zugleich aber nicht verschrecken. Immerhin kannten die beiden einander noch gar nicht lange. Trotzdem ließ sie sich ein wenig hinreißen.
"Du hast eine wirklich schöne Anatomie!"
Jetzt hustete er wirklich, aber dieses Mal, weil er sich sogar beim Atmen verschluckte. Seine Wangen glühten, dass es bis in die spitzen Ohren reichte. Nervös rieb er sich die Hände, knetete die Finger und faltete sie immer wieder ineinander. Flüchtige Blicke suchten den ihren, fanden ihn und wichen ihm wieder aus. Kazel war furchtbar heiß. Zugleich fühlte es sich nicht allzu unangenehm an. Er mochte wie ein Erwachsener aussehen, letztendlich war Kazel aber aus elfischer Sicht - Mischling hin oder her, denn es galt für beide Seiten seines Blutes - noch ein Jugendlicher und die Hormone jagten sich gerade gegenseitig durch den Körper. Außerdem schien er Komplimente ganz gern zu hören, sofern sie aufrichtig waren - fast so, als hätte er selten die Gelegenheit erhalten, sie zu genießen. Er badete still eine Weile in seiner Verlegenheit, bis ihm auffiel, dass er die Anmerkung entweder erwidern oder sich dafür bedanken sollte. Gab es einen Grund, auch Elodis Anatomie zu loben? Kazel richtete erneut den Blick auf sie. Dieses Mal musterte er sie mit einem analytischen Glimmen im Meerblau seiner Augen. Er betrachtete ihr Gesicht. Die vielen, kleinen Sommersprossen wirkten wie Sterne an einem rosigen Himmel. Ihr Haar schimmerte in einem warmen Kupfer, das sich wunderbar ins Gesamtbild prägte. Am meisten zog ihn jedoch Elodis Blick in den Bann. Ihre Augen erinnerten Kazel an klare Bergseen, ohne dass er hätte beantworten können, ob er jemals an einem gewesen wäre. Letztendlich gefielen sie ihm jedoch, gerade weil sie so klar waren. Das machte sie aufrichtig. Er glaubte nicht, dass Elodi ihn jemals anlügen würde. Nicht, wenn ihre Augen so rein waren!
Als ihm auffiel, wie lange er sie schon anstarrte, räusperte Kazel sich. "Du bist auch richtig schön." Dann starrte er erneut, aber bevor die Röte ihn wieder einmal einnehmen konnte, stellte er richtig, kein Interesse an ihr zu haben. Jedenfalls noch nicht, falls es sich überhaupt je ergeben würde. Er hatte einfach noch nicht darüber nachgedacht, was nachvollziehbar war. Er lernte Elodi gerade erst kennen und zählte selbst nicht zur Sorte Mann, die sofort eine Beziehung in Erwägung zog, ganz gleich, wie gut sie ihm gefallen könnte. Das war zu oberflächlich. Kazel brauchte da mehr Tiefgang. Er musste vertrauen können und das würde für jede Frau ein gutes Stück Arbeit werden. So offen und niedlich er war, ließ er doch nicht jeden in seine Seele blicken, nicht dorthin, wo die Geheimnisse lagen. Geheimnisse, die ihm selbst nun verborgen waren.
Trotzdem missverstand Elodi ihn ein wenig, aber auch das war nachvollziehbar. Er hatte mehr gestammelt als sich wahrlich erklärt. Aber jetzt war sie daran, eine Umschreibung abzugeben. So berichtete sie Kazel nicht nur, dass sie andere Männer ebenfalls nicht auf diese Weise sah, sondern sich auf die Vielfältigkeit bezog, die diese Siedlung ausmachte. Sie hatte sich gerade erst gegründet und war so frisch, dass sie kaum mehr einen richtigen Namen besaß. Die Grasland-Siedlung, wenig kreativ, aber doch aussagekräftig. Sie wurde von dunklen Völkern, Grandessarern und Zyranern geschaffen, die alle dem Krieg entkommen und lieber miteinander leben wollten als sich gegenseitig zu attackieren.
"Das bedeutet allerdings nicht, dass sie Fremden nicht ohne Misstrauen begegnen. Es hat sich eine kleine Gemeinschaft gebildet, die sich zumindest grob kennt und miteinander arbeitet. Dich hingegen kennt hier noch niemand." Er nickte und verstand. Er war ein Fremder. "Ich muss selbst erst einmal herausfinden, wer ich ... eigentlich sein will", stellte er fest. Gewisse Charakterzüge schienen den Gedächtnisverlust überstanden zu haben. Jene, in denen Elodi ein gutes Herz erkannte. Kazel musste zwangsläufig erneut schmunzeln. Ein gutes Herz, ein guter Elf. Das wollte er sein. Es war ein guter Anfang, um sein neues Ich zu gestalten. Doch was könnte er darüber hinaus noch werden? "Es ist wohl besser, ich erzähle nicht offen, dass ich des Gevatters Lehrling bin. Das ... würde niemand glauben." Wahrscheinlich hielt Elodi es mit Schicksal genauso. Sie hatte sich aber auch für Kazel bereits eine kleine Geschichte ausgedacht, um seine Anwesenheit, vor allem aber den Umhang mit ihm zu rechtfertigen. Aber auch mit dem Hintergrund, dass er der beste Freund eines verstorbenen großen Bruders wäre, um den sie sich nun kümmerte, weil er unter Gedächtnisverlust litt, konnte er ihr unmöglich weiterhin ihre Schlafstatt rauben. Kazel war schon drauf und dran, Pläne für einen Bettbau zu schmieden.
"Mir macht es auch nichts aus, auf dem Boden zu schlafen!" Er starrte sie an, dieses Mal nicht verlegen, sondern entgeistert. Und dann trat eine Entschlossenheit in seinen Blick, der das ruhige Blau dunkler wirken ließ. "Aber mir", entgegnete er fest.
"Du machst dir zu viele Gedanken...!"
Kazel schüttelte den Kopf. "Nein, nur die richtigen. Ich lasse dich nicht auf dem harten Boden schlafen, wenn du ein Bett hast. Mit einer Decke und etwas für den Kopf komme ich schon eine Weile aus, bis ich ... herausgefunden habe, wie man sich selbst ein Bett baut." Seine Pläne würde er nicht allzu bald durchführen, denn jetzt meldete Tod sich zu Wort. Wie üblich mischte er sich einfach in Kazels Gedankengänge ein. Er hörte ihn in seinem Kopf, spürte aber nicht die beruhigende Kühle seiner Präsenz. Gevatter Tod war nicht in der Nähe, aber er hatte ein Auge auf seinen Gesellen - immer. Er lauschte dessen Gesprächen, fing dessen Gedanken auf und warf Antworten ein, wenn er der Meinung war, dass sein Schützling sie hören musste. Das Gespräch mit Elodi wurde kurzzeitig unterbrochen. Im Gegensatz zu nicht Eingeweihten verstand sie jedoch schnell und hielt sich zurück, bis Kazel sein stummes Zwiegespräch mit dessen Meister geklärt hatte.
Dadurch geriet der eigentliche Austausch beider Lehrlinge ein wenig in den Hintergrund. Plötzlich waren Tod und Schicksal im Fokus. Letztere vor allem, weil Kazels Meister eine Bemerkung zu ihrer Bissigkeit hinterlassen hatte, über die beide Lebenden sich nun doch etwas amüsierten.
"Hat Tod das behauptet?", hakte Elodi amüsiert nach. Auch sie begann nun zu Glucksen, was Kazel sogar zum Auflachen brachte. Es klang angenehm, als hätte sich ein selten gesehener Vogel aus seinem Versteck gewagt, um rasch durch die Wälder zu fliegen. Nur wenige würden ihn bemerken, noch weniger ihn sehen, aber bei allen blieb dieser kleine Zwitscherling sicher im Gedächtnis.
"Verpetz ihn nicht, sonst bekomme ich Ärger", scherzte der Mischling heiter, bis Elodi erklärte: "Sie hat eine starke Persönlichkeit!" Da wurde er ganz ruhig, musterte sie erneut und endlich konnte er ihr Kompliment von vorhin erwidern - vollkommen frei und somit ehrlich. "Wie du", meinte er nur. Aber es stimmte. Elodi war stark. Sie wusste, was sie wollte und es kümmert sie auch nicht, was andere dazu sagten. Deshalb schlug sie Kazel vor, den Bettbau zu lassen. Ihre eigene Schlafstatt war groß genug für sie beide und die ausgedachte Hintergrundgeschichte ließe es nicht seltsam wirken, wenn sie nebeneinander schliefen.
"Ich würde auch nicht über dich herfallen - Versprochen!"
Kazel hatte gar keine Wahl. Er gab sich geschlagen und nickte zögernd. "I-in Ordnung", meinte er. Im Geiste aber beschloss er, Elodi stets den Rücken zuzukehren, bevor sie einschliefen. Nicht, dass noch ... Unfälle geschahen. Denn bereits jetzt musste er feststellen, dass die bloße Vorstellung, neben ihr unter einer Decke zu liegen, ihm eine Gänsehaut bescherte. Eine, die mit Wonne verbunden war, wohlgemerkt. Seine Hormone sprudelten über und die ignorierten, ob und inwieweit er Elodi eigentlich aufgrund ihrer Persönlichkeit mochte. Er war ein junger Mann und sie eine Frau. Das genügte, damit sein Körper ihm Signale gab, die in der Natur eigentlich dazu dienten, Artensterben zu verhindern. So weit war sein Kopf aber definitiv nicht, wenn er überhaupt jemals wieder an Nachwuchs denken würde. Dass er tatsächlich schon für den Fortlauf seiner Blutlinie gesorgt hatte, war für ihn ebenso wenig länger eine Erinnerung wie alles andere seiner Vergangenheit. Das aber war gut so. Andernfalls würde er es vermutlich derart bedauern, dass er all seine Pflichten noch in den Wind schlug, um seine Kinder und ihre Mutter kennen zu lernen und ihnen allen ein guter Vater zu sein. Denn ja, sein Herz war zu gut, um das zu ignorieren.
Auch Elodi konnte er nun nicht weiter ignorieren, indem er seinen Gedanken nachhing - auch nicht, wenn sie sich grundlegend um die Menschin drehten. Aber Kazel hatte sie zu ihrer Rolle an Schicksals Seite gefragt und nun beantwortete sie ihm das. Es wäre unhöflich, gerade jetzt halbherzig zuzuhören. So richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf sie. Doch jetzt war es Elodi, die etwas zögerte. Sie verschob die Antwort, denn zunächst einmal musste aufgeräumt werden. Da man beides gut miteinander kombinieren konnte, ging Kazel ihr sofort zur Hand. Elodi räumte den Tisch ab und er machte sich daran, das Geschirr zu waschen. Erst beim Wegräumen der getrockneten Teller brauchte er erneut ihre Hilfe. Sie gaben ein gutes Team ab, doch das bemerkte Kazel gar nicht, denn er lauschte aufmerksam ihren Ausführungen, die Elodi nun bereit hielt.
Sie versuchte, es ihm so verständlich wie möglich zu machen. Daher ging sie zunächst auch auf Kazels Fähigkeiten ein, die er sogleich abnickte. "Ja, ich kann die Lebenszeit anderer sehen", bestätigte er. "Aber nicht meine eigene und wohl auch nicht die von Nahestehenden. Ich erinnere mich, dass Tod mir erklärte, dass ich meine Entscheidungen nicht dadurch beeinflussen lassen soll." Er hob seinen linken Arm an, dass er sein inneres Handgelenk anschauen konnte. "Meine eigene Lebenszeit kann ich auch nicht sehen, aber ... das ist auch nicht mehr wichtig, oder?" Seine Augen suchten Elodis. Nein, jetzt war es nicht mehr wichtig. Er hatte kein Leben mehr, an dem er hängen könnte. Die verbliebene Zeit war dazu da, das Leben noch zu genießen. Er durfte sich nur nicht zu sehr binden ... Sein Blick ruhte auf der Gesellin des Schicksals.
"Ich finde das mit den Schicksalsfäden gar nicht so kompliziert", meinte Kazel. Dann hob er die Schultern an und schmunzelte schief. "Ich schätze, wir beide sind wohl lose Fäden in diesem Gewebe - irgendwie mit drin, aber befreit von allen anderen." Er fragte nicht danach, ob sie seinen Faden sehen oder erkennen konnte, was ihn zu dem gemacht hatte, der er war. Welche Farbe dieser Faden besaß, beispielsweise. Kazel ahnte schon, dass Elodi ihre Fähigkeiten ebenso wenig auf sich selbst und Nahestehende anwenden konnte wie es bei ihm der Fall war. Es galt ihrem eigenen Schutz und so unterdrückte er die Neugier. Als Elodi jedoch ein selbst geknüpftes Band hervorholte und vor ihm auf dem Tisch ausbreitete, um ihre Aufgabe bildlich darzustellen, war die Verlockung zu groß.
"Sag mal ... weißt du, ob du in mein Schicksal eingegriffen hast?" Er hob sofort die Hände und wedelte beschwichtigend. "Keine Details. Ich soll schließlich gar nichts über das Vorher erfahren, sofern du überhaupt etwas weißt, aber ... ich frage mich, ob ich im Gleichgewicht war."
"Ich würde gern mehr über dich erfahren, Kazel!" Er sah auf. "Zumindest das, was du mir sagen kannst." Er schnaufte amüsiert. "Ich habe das Gefühl, du weißt mehr über mich als ich selbst. Ich habe dir alles gesagt. Da ... hm, nein, warte." Er konzentrierte sich, überlegte, woran er sich erinnerte. "Ich bin ein Mischblut ... Dunkelelf und ... Waldelf. Ich weiß nicht, welche Sorte Wald genau." Das war aber auch nicht mehr wichtig. "Ich glaube, ich hatte es deshalb nicht leicht. Ich ... erinnere mich nicht an meine Familie. Nur an das, was ich nicht hatte - Fürsorge, Liebe, Zuneigung. Ich trage Narben auf meinem Rücken, die aus dieser Zeit stammen, aber ich weiß keine Details. Zum Glück schmerzen sie nicht." Wenn Elodi ihn wirklich gänzlich gesehen hatte, dann war ihr das weiße Blitzgewitter nicht fremd, das seinen gesamten Rücken zierte. Die vernarbte Haut hatte aber bereits Einfluss von außen erfahren. Andere Mächte hatten in der Vergangenheit schon dafür gesorgt, dass Kazel weder unter einem tauben Rücken, noch unter Schmerzen litt. Es sah lediglich noch erschreckend aus. Ein Kenner könnte die vielen Striemen sicher als Ergebnis einer mit der Peitsche durchgeführten Folter entziffern. Mehr noch. Man hatte ihn strafen, aber nicht töten wollen. Alles andere hielt die Vergangenheit gut gehütet verborgen. "Darüber hinaus ... hm ... ich bin von zu Hause fort, einige Zeit gereist und habe Jahre in der Stillen Ebene verbracht. Allein. Vielleicht erinnere ich mich an diesen Teil meiner Vergangenheit noch am besten." Kazel blickte zum Fenster hinaus. Er befand sich im Grasland, das er nicht kannte, aber der Name allein versprach grüne und saftige Wiesen mit zahlreichen Blumen, Insekten und einem blauen Himmel darüber. Die Stille Ebene war ein so friedlicher Ort gewesen. Damals hatte er auch kein Bett besessen, sondern im Gras geschlafen und sich nur in den kälteren Jahreszeiten einen Unterschlupf gesucht. "Und ich habe Äpfel gestohlen..." Daran erinnerte er sich. "Bin wohl doch kein so gutes Herz, sondern ein Schwerverbrecher", grinste er auf, stahl sich in diesem Moment auch noch den letzten Apfel aus dem Korb. Er biss jedoch nicht hinein, sondern drehte ihn nur in der Hand, ehe er ihn in eine Hosentasche steckte.
"Du wolltest mit mir spazieren gehen", erinnerte er Elodi und stand auf. Es tat gut, die Beine zu strecken und sie sich etwas zu vertreten würde sich noch besser anfühlen.
"Wir sollten uns auch ein wenig austauschen. Ich bin sicher, dass dich ein paar der Bewohner - vor allem die Mädchen - ausfragen werden und unsere Erzählungen sollten sich nicht zu stark unterscheiden!"
"Warum ausgerechnet die Mädchen?" Kazel blinzelte. Er verstand es mit aller unschuldigen Aufrichtigkeit nicht, obwohl doch gerade bei ihm sämtliche Hormone durchgingen, wenn Elodi ihn erneut neckte. Er ahnte nicht, welche Wirkung er allein mit seiner Optik auf andere haben konnte, denn auch wenn er sich im Spiegel gesehen hatte, war seine eigene Sicht auf sich selbst eine andere.
"Lass uns draußen weitersprechen. Wir könnten zu dem kleinen See gehen! Und wenn wir uns besprochen haben, zeige ich dir das Dorf. In Ordung?"
"Ja, sehr gern. Ich weiß nicht, ob ich jemals einen See gesehen habe. Lass uns dorthin." Er war gespannt darauf, ob seine Annahme bezüglich ihrer hellen Augen mit der Realität übereinstimmte. Da bemerkte er Elodis Hand. Sie streckte sie ihm entgegen und das schon eine ganze Weile. Es war eine Einladung. Kazel blickte darauf herab. In seinem Geist formte sich erneut das Bild, das er geschaffen hatte, als sie von ihrer Position als Schicksals Gesellin gesprochen hatte. Ein Wandteppich, in dem jeder einzelne Faden eine Seele darstellte und wann immer er sich mit einem anderen Faden verflocht, entstand eine Verbindung. Kazel streckte seine eigene Hand aus. Seine Finger griffen langsam nach Elodis, legten sich um sie und verflochten sich mit den ihren. Ihre Haut fühlte sich warm an. Seine hingegen besaß eine seichte Kühle, nicht unangenehm und doch schwang etwas darin mit; etwas Endliches. Das gehörte wohl dazu, wenn man Geselle von Gevatter Tod war.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Samstag 15. Juni 2024, 10:53

Vermutlich würde Kazel das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen erneut kennenlernen. Ein Leben besaß so viele verschiedene Gefühle und vermutlich würde er jedes von ihnen neu entdecken. Ob sich sein Charakter dabei neu, oder in eine andere Richtung entwickeln würde, blieb vermutlich abzuwarten. Dieser Neuanfang hatte ihm eine neue Ausgangslage geschenkt, bei der er nicht alleine sein würde und das war für den jungen Mischlingselfen ein beruhigendes Gefühl.
Das Kennenlernen unseres Helden mit Elodi verlief ruhig und harmonisch, ähnlich wie das Wasser in einem kühlen Bachlauf vor sich hinplätscherte. Obwohl sie Fremde füreinander waren schienen sie doch in gewisser Weise nicht fremd füreinander zu sein. Etwas verband sie und das wussten sie beide von Beginn an. Es mochte lediglich die berufliche Position sein, die sehr ähnlich und besonders war, doch eben das stellte einen Unterschied zu normalen ersten Treffen dar. Sie tasteten sich im Wissen aneinander heran, dass sie in Zukunft Zeit miteinander verbringen würden.
Kazel konnte sich unbefangen auf die ganze Situation einlassen. Er musste nicht rätseln, kein Argwohn kam auf, wie es vielleicht bei einer anderen Fremden aufgekommen wäre, denn er besaß die Sicherheit und das Wort der Entitäten Tod und Schicksal, dass die junge Frau - Elodi ihm beistehen würde.
So zögerte er auch nicht, stand auf und nahm sich die Schale mit dem Kräutersud, den sie nur ein paar Momente zuvor erwähnt hatte. Er trank die Flüssigkeit im Wissen, dass sie seinem Körper guttun würde. Elodi beobachtete ihn dabei und erwähnte, gedanklich noch bei ihrem Gespräch, dass Kazel ein gutes Herz zu haben schien.
Diese Aussage kam plötzlich und so überraschend, dass der Mischling beim letzten Schluck vermutlich falsch atmete und sich so verschluckte. Hustend stellte er die Schale ab und sah ihr verwundert in die Augen.
„Achja?“, fragte er – nicht über ihre Aussage verwundert, sondern fragend und in sich selbst nach einer Bestätigung ihrer Worte forschend. Besaß er ein gutes Herz? Ohne Erinnerungen war dies für ihn selbst schwer zu beurteilen.
„Ich bin doch nur ich“, meinte er mit verlegener Unsicherheit und dennoch einem Lächeln auf den Lippen. Elodi schien einen Moment über seine Wortwahl nachzudenken. Doch dann nickte sie lächelnd und ihr Blick dabei war aussagekräftig – als würde sie nicht einen Moment an ihrer Feststellung zweifeln.
„Du magst dich nicht erinnern und ich kenne dich noch nicht, aber weiß ich doch, dass Tod und auch Schicksal dich andernfalls niemals als geeignet ansehen würden. Aber davon einmal abgesehen… muss man dir nur in die Augen sehen, um zu erkennen, dass du ein gutes Herz hast. Deine Worte haben es mir nur noch einmal bestätigt!“ Lag es an seinem derzeit reinen und quasi unbeschriebenen Zustand, in dem er sich befand, dass sie so dachte, oder lag in ihren Worten vielleicht noch mehr verborgen? Das blieb wohl noch herauszufinden. Deutlich wurde auf jeden Fall, dass Elodi eine ziemlich direkte Art zu haben schien. Sie sprach aus, was sie dachte und empfand – zumindest momentan. Gleichzeitig wirkte es aber nicht so, als würde sie sich über ihre Worte keine Gedanken machen.

Auf Kazels Gesicht spiegelte sich eine leichte Verlegenheit wieder, denn ihre Worte klangen nicht das erste Mal, wie ein verborgenes Kompliment. Und als sie ihm dann auch noch neckend mitteilte, dass sie seine Anatomie schön fand, was zwischen den Zeilen doch bedeuten musste, dass ihr gefiel, was sie sah – also er – stieg ihm die Hitze sichtbar ins Gesicht und sein Atem stolperte erneut, so dass er sich selbst daran verschluckte.
Elodis wacher Blick hatte auf ihm gelegen und als sie seine Reaktion beobachtete entschlüpfte ihren Lippen nun doch ein kleines, aber dennoch melodisches Lachen, in dem sich der Klang einer unverfälschten Herzlichkeit befand. Wäre ein stummer Beobachter anwesend, würde dieser ohne Umschweife erkennen können, dass sie seine Reaktion niedlich fand.
Ihr Lachen verklang jedoch schnell wieder, denn sie wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass sie ihn auslachte, denn dem war ganz und gar nicht so.
„Manchmal reizen die Kräuter den Hals…!“, bot sie ihm die Möglichkeit einer Ausrede und schob, in einer unterstützenden Geste, den Wasserkrug ein Stückchen näher in seine Richtung. Einen Moment lang fanden und trennten sich immer wieder ihre Blicke. Um ihm scheinbar nicht das Gefühl zu geben, dass sie jede seiner Regungen beobachtete, wandte sie ihren Blick dann aber zum Fenster, wo noch immer die Gardinen im Wind spielten und sich mit dem Sonnenlicht verfingen. Eine feine Briese kam so in das Innere des Häuschens und reichte soweit, dass sie über die Wangen der jungen Frau streichelte.
Dieser Moment bot Kazel wiederum die Möglichkeit ihre Optik ein wenig intensiver in Augenschein zu nehmen. Er war ein junger Mann und als Elf quasi noch in der Pubertät. Es war also kein Wunder, dass er einen Gedanken weiter, auch Elodis Weiblichkeit erkannte und nun betrachtete. Sollte er auf eines ihrer Komplimente reagieren – vielleicht etwas erwidern? Das wäre doch nur höflich, doch einfach nur etwas daher zusagen und es nicht zu meinen, das kam ihm auch nicht in den Sinn.
Sein Blick wanderte also über ihr Gesicht, entdeckte die vielen kleinen Sommersprossen. Ihr langes rotes Haar rebellierte offenbar auf charmante Weise gegen den Versuch es in einem Seitenzopf geflochten zu bändigen, so dass sich kleinere Strähnen zu lösen versuchten.
Als sie vom Fenster wieder zurück zu ihm sah, trafen sich ihre Blicke, die beide Blau, jedoch von unterschiedlichen Farbnuancen waren. Sein gedanklicher Vergleich mit einem klaren Bergsee war vielleicht gar nicht mal so abwegig. Elodi besaß tatsächlich einen klaren und offenen Blick, der einem das Gefühl gab, dass man ein Stück weit in ihre Seele blicken konnte. Gleichzeitig kam das Empfinden auf, als würde sie ebenfalls in die Seele ihres Gegenübers sehen und darin lesen können.
Einige Momente verstrichen, ohne, dass einer von ihnen etwas sagte. Sie saßen nur da und sahen sich an, tasteten sich lediglich mit ihren Blicken weiter bei ihrem Kennenlernen vor.
Irgendwann jedoch räusperte sich Kazel und meinte: „Du bist auch richtig schön.“ Und dieses Mal war er es, der den Blickkontakt aufrecht erhielt.
Nun war es Elodi, die für einen Augenblick überrascht aussah. Ihre Lippen öffneten sich einen Spalt im Ansinnen, etwas zu erwidern, doch kein Ton verließ ihren Mund. Dann konnte Kazel beobachten, wie sich ihre Wangen sanft röteten und wie sich ihr Blick verlegen zur Seite richtete.
„Danke…!“, antwortete sie leise und ein wenig verzögert bildete sich ein kleines, verborgenes Lächeln in ihren Mundwinkeln, dass darauf schließen ließ, dass sie sich von seinen Worten geschmeichelt fühlte. Ob sie es nicht gewohnt war Komplimente zu erhalten?
So oder so, vielleicht war es ihr Anblick, oder es war ihre Bemerkung über die anderen Männer, die ihn dazu drängten, dass er einem Missverständnis entgegenwirkte, indem er direkt im Anschluss daran klarstellte, dass er noch kein Interesse an ihr hatte. Doch eben diese Worte und die stumme Implikation, dass er keine Konkurrenz darstellte, bewirkten ein Missverständnis.
In Gedanken konnte Kazel ein Seufzen hören, das ganz eindeutig von Tod kam.
Nun sammelst du also auf ein Neues Erfahrungen mit Frauen...!, hörte Kazel den trockenen Klang der Stimme des Gevatters, der ihm indirekt dadurch verriet, dass er eben solche schon gesammelt zu haben schien. Doch war es vermutlich Zeitverschwendung ihn darauf anzusprechen – er würde seinem Schüler sicher nichts darüber erzählen.
Elodi hob auf Kazels Worte nur wieder den Blick und nickte nach ein paar Sekunden. Der Zauber der Verlegenheit, der kurz auf ihnen beiden gelegen hatte war verflogen, jedoch ohne die Stimmung vollständig zu ruinieren. Es fiel den beiden nicht schwer die Missverständnisse, die natürlich aufkamen auszuräumen und so begannen sie über ihren gemeinsamen Aufenthalt im Graslanddorf zu sprechen.
„Ich muss selbst erst einmal herausfinden, wer ich ... eigentlich sein will“, offenbarte Kazel seiner neugefundenen Kameradin, woraufhin sie ihm aufmunternd zulächelte.
„Mit etwas Zeit wirst du das herausfinden, mach dir da keine Sorgen und setz dich vor allem nicht unter zeitlichen Druck! Du hast doch eben selbst gesagt: du bist du - und das hat sich auch nicht geändert, als du deine Erinnerungen abgegeben hast. Ich weiß zwar nicht genau wieso, aber es war deine Entscheidung und machen uns nicht diese zu dem, der wir sind und weiter werden?“
Elodi sah ihn an, als sie ihm diese Frage stellte, doch sah man in ihren Augen, dass sie von dieser Aussage selbst überzeugt war. Als Schicksals Gesellin wusste sie um die Bedeutung und Kraft von Entscheidungen und sie zielte es ganz eindeutig darauf ab ihm Mut zuzusprechen.
Ob Kazel dies ähnlich sehen konnte, würde sich noch herausstellen. Seine neutrale Einstellung musste erst einmal wieder das Werten lernen und nur so würde er herausfinden können, was er für seine Zukunft wollte und wer er im Laufe der Zeit werden würde. Er war Tods Geselle – er besaß eine Identität. Doch diese war bisher nur ein Begriff – ein Begriff, den er mit seinem, sich neu bildenden Charakter bilden, prägen und gestalten würde.
„Es ist wohl besser, ich erzähle nicht offen, dass ich des Gevatters Lehrling bin. Das ... würde niemand glauben.“ Sie nickte und gab einen amüsierten Laut von sich, als sie sich ein solches Szenario vorstellte.
„Da hast du recht, aber ich glaube, wäre es andersherum, würden wir es auch nicht so einfach glauben!“ Ihr Blick wurde etwas ernster und sie stützte die Arme auf dem Tisch ab, um es etwas gemütlicher zu haben – gleichzeitig beugte sie sich ihm dabei ein wenig näher zu.
„Diese Seite von uns muss ein Geheimnis bleiben. Sterbliche würden das nicht verstehen und es könnte sein, dass dieses Wissen in den falschen Händen für ein Ungleichgewicht und Unruhen sorgt. Es gibt noch zu viele andere Kräfte auf dieser Welt, die sich immer wieder in das Leben – die Schicksale einmischen. Allein die Götter tun das immer wieder.“ Ihr Blick lag forschend auf seinem Gesicht – wusste Kazel darüber etwas? Besaß er dahingehend noch Erinnerungen?
„Es kann auch für uns gefährlich sein…! Nur, weil wir Gesellen sind bedeutet das nicht, dass wir unantastbar sind. Und damit meine ich nicht die Unversehrtheit unseres Körpers, aber ich denke das weißt du, oder?“
Mit einem Mal war die Stimmung ernster geworden. Aber das schien dem Thema auch angemessen zu sein. Es war wichtig, dass sie über alles sprachen – herausfanden, was sie wussten und erkannten, wo vielleicht Unterschiede oder Fragen im Raum standen.
Dennoch schien Elodi niemand zu sein, der überdramatisierte. Nach ein paar Momenten sprach sie erneut aus, was ihr offenbar auf der Seele lag: „Über all das mit niemandem sprechen zu können ist nicht immer einfach, weil wir als Teil beider Seiten irgendwie in der Mitte stehen. Aber …ich glaube von nun an wird es einfacher! Wir beide dürfen darüber miteinander reden!“ In ihrem Lächeln konnte man Erleichterung erkennen. Sie schien wirklich froh darüber zu sein jemanden wie Kazel kennengelernt zu haben. Doch konnte bei dieser Bemerkung die Vermutung aufkommen, dass sich auch Elodi… einsam gefühlt hatte.
So offen sie sich gab, wurde doch klar, dass sie sich ihrer Rolle bewusst war und sich offenbar auch an Schicksals geforderte Ordnung halten musste und es tat.

Sie sprachen weiter und Kazel erfuhr ein wenig mehr über die Verbindung, die sie sich für ihn zu ihr ausgedacht hatte. Darüber kamen sie auf das Bettproblem zu sprechen und der Elf stellte klar, dass er die Rothaarige nicht auf dem Boden schlafen lassen würde.
„Du machst dir zu viele Gedanken...!“, erwähnte sie, woraufhin er direkt mit dem Kopf schüttelte und konterte:
„Nein, nur die Richtigen. Ich lasse dich nicht auf dem harten Boden schlafen, wenn du ein Bett hast. Mit einer Decke und etwas für den Kopf komme ich schon eine Weile aus, bis ich ... herausgefunden habe, wie man sich selbst ein Bett baut.“ Seine Pläne dahingehend standen fest – seine Entschlusskraft und sein Selbstbewusstsein zeigten sich in diesem Moment. Diese konnte Elodi klar erkennen und so hob sie nur leicht die Schultern und ließ das Thema vorerst im Raum stehen.
Als sie über Schicksal und Tod sprachen wurde die Stimmung wieder heiterer. Beide schienen ein gutes Verhältnis zu ihren Lehrmeistern zu haben, stellten aber fest, dass die beiden Entitäten immer mal wieder in kleine Auseinandersetzungen gerieten. Das lag ganz offenbar daran, dass sich ihre Arbeitsbereiche immer wieder mal überschnitten.
Als Kazel nach Elodis amüsierter Nachfrage, ob Tod behauptet hätte, dass Schicksal bissig sei, auflachte, lag ihr Blick auf seinem Gesicht. Da sie einander nicht kannten ahnte sie nicht, dass dieser Anblick nicht selbstverständlich oder alltäglich für ihn war.
Als die Gesellin die Bissigkeit ihrer Lehrmeisterin mit den Worten einer starken Persönlichkeit umschrieb, überraschte Kazel sie erneut, als er ihr wieder ein Kompliment machte.
„Wie du“, meinte er ehrlich. Dieses Mal schien sie jedoch in sich hineinzuhorchen um herauszufinden, ob sie sich ebenfalls so betrachtete. Ihr Lächeln, das sie danach zeigte, wirkte allerdings nicht so, als hätte sie eine Antwort gefunden. Sie winkte leicht ab und schüttelte sachte mit dem Kopf.
„Ich weiß nicht.“, meinte sie, ehe sie lachte, weil sie die Parallele zur vorherigen Situation erkannte. Die junge Frau nutzte diesen Moment und die ihr zugeschriebene Eigenschaft jedoch aus, indem sie ihm vorschlug, dass er den Bettenbau sein zu lassen, da ihr Bett breit genug war, so dass auch zwei Personen darin Platz fänden. Sie schien darin kein Problem zu sehen, dass sie sich dieses teilten und nach kurzen Zögern willigte auch Kazel ein.
„I-in Ordnung!“ Wusste sie, dass sie Kazel in eine gewisse Verlegenheit brachte? Er war immerhin ein junger Mann – sie eine junge Frau … und sein Körper, der aufgrund seines elfischen Alters voller pubertärer Hormone steckte, würde ihm sicher zeigen, dass sein Kopf und ein anderer Körperteil nicht immer … derselben Meinung sein würden! Worauf hatte er sich da nur eingelassen…?! Ihr Blick ließ nicht darauf schließen, dass sie Hintergedanken hatte. Dachte sie vielleicht gar nicht soweit und war unschuldiger, als man denken mochte?


Wieder wechselten sie das Thema und auf Kazels Nachfragen erklärte Elodi ihm, was ihre Aufgaben und Fähigkeiten als Schicksals Gesellin waren. Sie versuchte, es ihm so verständlich wie möglich zu machen und er schien ihr folgen zu können. Ihre Fähigkeiten waren unterschiedlich, doch manche ähnelten einander, wie das Sehen der Lebenszeit und der Seelenwaage oder den Schicksalsfäden.
„Meine eigene Lebenszeit kann ich auch nicht sehen, aber ... das ist auch nicht mehr wichtig, oder?“ Ihre Blicke fanden sich bei dieser Frage, doch dachte Elodi wieder einen Moment nach, bevor sie antwortete.
„Vermutlich nicht…! Wenn unser irdisches Leben endet und wir unsere Position auf der anderen Seite fest einnehmen, werden wir in der Lage sein unser Erscheinungsbild zu ändern, wie wir es wollen. Zumindest hat mir das Schicksal erzählt.“ Wieder legte sich ein Schmunzeln auf ihre Lippen und der Schalk funkelte in ihrem blauen Blick. „Du kannst dir dann also aussuchen, ob du ein Skelett sein möchtest, oder ob du … der hübsche Kerl bleiben möchtest, der du bist!“ Offenbar fand sie Gefallen daran ihn ein wenig zu necken, obwohl man nicht den Eindruck gewinnen konnte, dass sie nicht meinte, was sie sagte.
„Aber… im Grunde hat die Lebenszeit für dich kaum noch eine Bedeutung. Sie rinnt zwar dahin, aber… steht dennoch bereits still!“ Zu dieser Erkenntnis war Kazel vermutlich auch gekommen, oder würde es in nächster Zeit tun. Er selbst hatte schon mehr als einmal sein Leben von Tod zurückerhalten. Für den Gesellen des Gevatters war das vermutlich… nichts Ungewöhnliches. Doch war Elodis Lebenszeit ebenfalls verändert worden?
„Ich finde das mit den Schicksalsfäden gar nicht so kompliziert“, begann er nach einem Moment wieder und schmunzelte, als er das von ihr Gesagte in einem anderen Konzept wiederfand: „Ich schätze, wir beide sind wohl lose Fäden in diesem Gewebe - irgendwie mit drin, aber befreit von allen anderen.“ Auf diese Aussage hin sah sie auf und lächelte – ruhig und zustimmend.
Eigentlich hätte er nun die Gelegenheit sie viel intensiver über ihre Aufgaben auszufragen, doch er hielt sich zurück. Nichts drängte sie… sie besaßen im Grunde Zeit über ihren natürlichen Tod hinaus, um alles herauszufinden. Doch es gab eine Kleinigkeit – ein Gedanke, der ihn nicht loslassen wollte und von dem er glaubte, dass die Antwort einen Unterschied machen würde, ob er sie wusste, oder nicht.
„Sag mal ... weißt du, ob du in mein Schicksal eingegriffen hast?“, fragte er und hob augenblicklich die Hände in einer beschwichtigenden Geste. Vielleicht war er gerade dabei eine Grenze zu überschreiten und doch… er wollte es wissen!
„Keine Details. Ich soll schließlich gar nichts über das Vorher erfahren, sofern du überhaupt etwas weißt, aber ... ich frage mich, ob ich im Gleichgewicht war.“ Elodi sah Kazel einen Moment schweigend an und ihr Blick wurde sanfter, bis sich ein entschuldigender Ausdruck auf ihr Blau legte.
„Es tut mir leid, aber ich weiß nichts über dein Leben und die Erinnerungen, die du aufgegeben hast. Auch habe ich nicht in dein Schicksal eingegriffen“, klärte sie ihn auf. Die Frage nahm sie nicht böse oder als unpassend auf. Sie schien Verständnis dafür zu haben, dass er das wissen wollte.
„Als Tod und Schicksal dich herbrachten, sah ich dich das erste Mal und erfuhr auch erst da, wer du bist. Du kannst dir vielleicht denken, wie überrascht ich war!“ Zu Kazels Bedauern wusste auch Elodi nicht mehr als er, über das, was er vergessen hatte.
„Ich kann deine Seelenwaage und deinen Schicksalsfaden auch nicht sehen. Ich… muss zugeben, dass ich es versucht habe, als du schliefst. Ich war neugierig…! Aber mit der Entscheidung, dass wir zusammenarbeiten, verknüpften sich unsere Schicksale und deshalb kann ich sie nicht sehen. So, wie du vermutlich nicht meine Lebenszeit sehen kannst…“, erklärte sie weiter. Sie strich sich in einer nachdenklichen Geste eine Strähne aus der Sicht hinters Ohr und wandte den Blick zur Schlafstatt, auf der Kazel gelegen hatte.
„Ich würde gern mehr über dich erfahren, Kazel!“, gestand sie und sah zurück zu ihm, so dass sich ihre Blicke wieder trafen. Diese Aussage überraschte und amüsierte ihn zur gleichen Zeit. Was sollte er ihr erzählen, was sie nicht schon wusste, oder sehen konnte? Doch als er seine Gedanken durchsuchte fand er doch ein paar Punkte, die für sie neu sein müssten und danach verließen die Worte von ganz allein seinen Mund.
„Ich bin ein Mischblut ... Dunkelelf und ... Waldelf. Ich weiß nicht, welche Sorte Wald genau. Ich glaube, ich hatte es deshalb nicht leicht. Ich ... erinnere mich nicht an meine Familie. Nur an das, was ich nicht hatte - Fürsorge, Liebe, Zuneigung. Ich trage Narben auf meinem Rücken, die aus dieser Zeit stammen, aber ich weiß keine Details. Zum Glück schmerzen sie nicht.“ In Elodis Blick fand sich eine gewisse Bestürzung über das, was er ihr gerade anvertraut hatte. Es war weniger die Tatsache über die Narben, als sein Wissen, dass er niemals Fürsorge, Liebe und Zuneigung erfahren hatte. Seine körperlichen Wunden hatte sie vermutlich schon gesehen und sich ihre Gedanken dazu gemacht.
Sie hatte sich im Sitz wieder leicht aufgerichtet und ihre Hände knibbelten unter dem Tisch leicht aneinander. Das Gehörte schien etwas in ihr zu Bewegen und auszulösen. Wahrscheinlich wusste sie, um das schwere Los, das Mischlinge – besonders dunkelelfischen Blutes besaßen. Sie hatten es nicht leicht – gerieten immer wieder in Situationen der Anfeindung. Und in seinem Fall… schien er weit Schlimmeres durchgemacht zu haben.
„Darüber hinaus ... hm ... ich bin von zu Hause fort, einige Zeit gereist und habe Jahre in der Stillen Ebene verbracht. Allein. Vielleicht erinnere ich mich an diesen Teil meiner Vergangenheit noch am besten." Still saß die junge Frau bei ihm und hörte ihm zu. Sie unterbrach ihn nicht, stellte keine Zwischenfragen oder äußerte eine Bemerkung, aus Sorge, dass sie den Moment des Anvertrauens dadurch zerstören könnte. Kazel war gerade mit sich und seiner Vergangenheit beschäftigt, an die er sich größtenteils nicht erinnern konnte. War dies nun ein Segen?
„Und ich habe Äpfel gestohlen...“ Bei dieser Aussage blinzelte sie doch etwas verwundert, denn damit hatte sie ganz offenbar nicht gerechnet. „Bin wohl doch kein so gutes Herz, sondern ein Schwerverbrecher!“ Sein Grinsen und die Geste, wie er den Apfel aus dem Korb stibitzte, brachten den angespannten Faden der Stimmung zum Reißen und so lockerte sich auch Elodis Miene. Sie erwiderte das Grinsen und schüttelte leicht mit dem Kopf. Offenbar hatte sie sich Sorgen gemacht, doch gerade sah es danach aus, als würde er mit allem klarkommen.
„So schnell bekommt man also einen Apfeldieb ins Heim gesetzt!“, scherzte sie und als er sie daran erinnerte, dass sie spazieren gehen wollten, erhob auch sie sich.
„Wir sollten uns auch ein wenig austauschen. Ich bin sicher, dass dich ein paar der Bewohner - vor allem die Mädchen - ausfragen werden und unsere Erzählungen sollten sich nicht zu stark unterscheiden!“ Ihre Aussage ließ Kazel stutzen und er schien nicht zu verstehen, worauf sie hinauswollte.
„Warum ausgerechnet die Mädchen?“ Der Blick der jungen Frau lag nachdenklich auf ihm. Dann ging sie auf ihn zu und blieb vor ihm stehen und betrachtete ihn ein wenig skeptisch.
„Na, weil…“, begann sie, ehe sie noch einmal stutzte und sich unterbrach und so etwas wie: Scheinbar hast du auch das vergessen...!, murmelte. Noch einmal betrachtete sie ihn, ehe sie resignierte und schief lächelte:
„Du bist ein gutaussehender Fremder, über den sie kaum etwas wissen. Die einen werden alles daran setzen, um dich näher kennenzulernen. Andere wiederum, werden dich deshalb argwöhnisch und vielleicht ein wenig missfallend betrachten. Das… hast du doch sicher schon erlebt?“, fragte sie und legte ein wenig den Kopf zur Seite. Doch dann beschloss sie, das Gespräch nach draußen zu verlagern. Manchmal war es das Beste, wenn man Erfahrungen sammelte, als wenn man etwas nur erklärt bekam. So machte sie den Vorschlag zum See zu gehen und anschließend, wenn sie alles besprochen hatten, das Dorf zu erkunden.
„Ja, sehr gern. Ich weiß nicht, ob ich jemals einen See gesehen habe. Lass uns dorthin.“ Die Aussicht die Kate zu verlassen hellte die Stimmung noch einmal auf. Kazel würde quasi damit den ersten Schritt in sein neues Leben tätigen und ihr mit all seiner Vielfältigkeit begegnen.
Elodi lächelte zustimmend und hielt ihm dann plötzlich ihre Hand entgegen. Der junge Mann bemerkte diese Geste und als er sie ergriff und ihre Finger sich verflochten, fühlte es sich so an, als würde dadurch ihre Verbindung sichtbar werden. Wie es wohl aussah? Wie verwoben und umschlungen sich wohl gerade ihre Schicksalsfäden?
„Der See wird dir gefallen!“, merkte sie an und reichte ihm mit einer Hand einen dunklen Umhang, den Tod für ihn dagelassen hatte. Sie selbst warf sich einen grünen über die Schulter, wofür sie kurz seine Hand los ließ, doch bevor sie hinausgingen, griff sie wieder nach seiner Hand und führte ihn hinaus aus dem kleinen Häuschen.

Man konnte sofort erkennen, dass sich das Dorf noch mitten im Aufbau befand. Es gab noch keine gepflasterten Straßen oder angelegten Wege, sondern lediglich Trampelpfade und Flächen, die durch das häufige Begehen kaum, bis gar keine Vegetation mehr zuließen.
Neben Elodis Kate waren schon ein paar andere Häuschen entstanden und umrahmten eine Art entstehenden Dorfplatz, auf dem sich noch einige andere Bewohner tummelten. Alle schienen einer Arbeit nachzugehen und die Luft war besonders von Klopf-, Hämmer, und Sägegeräuschen erfüllt. Es existierten bereits einige fertige Katen oder Häuschen, bei manchen erkannte man schon ein Grundgerüst.
In der Mitte des runden Platzes, der sicher einmal das Kernstück des Dorfes einnehmen würde, befand sich ein großer Brunnen, den die Bewohner sicher mit als Erstes ausgehoben hatten. Viele gefällte und bearbeitete Baumstämme lagen aufgestapelt an einer Seite des Platzes und würden sicher für den Häuserbau herhalten.
Die üppige Graslandschaft war überall dort zu sehen, wo die Füße sie nicht niedertrampelten. Auf der Seite von Elodis Kate befand sich ein kleines Waldstück, auf die sie nun zusteuerte und ihn somit mit sich zog, nachdem er sich einen kleinen Rundumblick gegönnt hatte.
„Lass uns gehen, bevor uns jemand entdeckt und aufhält!“, erklärte sie und führte ihn quasi hinter ihr Haus. Schon nach ein paar Metern wurde das Gras immer höher, das selbst zu dieser frühen Jahreszeit ein erstaunlich üppiges Grün besaß. Doch war gut zu erkennen, dass sie sich auf einen Trampelpfad zum kleinen Waldstück befanden.
An Kazels feine Elfenohren drang schon bald der Klang von plätscherndem Wasser und sie kamen zu einem kleinen Bachlauf, der seinen Weg durch das Wäldchen schlängelte.
Wie bereits zuvor erkannt erstreckte sich über sie ein fast wolkenfreier, blauer Himmel. Die Sonne brachte mit ihren Strahlen eine angenehme Wärme, die das noch kühle Klima erträglich machte. Elodis Haar bekam im Sonnenlicht einen hübschen Schimmer und die kupferne Farbe gewann noch einmal ein wenig an Leuchtkraft.
Der Waldboden war mehr von Moos, als von Gräsern bedeckt, doch begannen bereits die ersten Frühblüher farbige Teppiche zu bilden. Gelbe Winterlinge und Schneeglöckchen kündigten den nahenden Frühling an.
„Ich habe den Dorfbewohnern gegenüber nicht erwähnt, dass du dein Gedächtnis verloren hast“, begann sie nach einer Weile und sah zu ihm, als der Weg es zuließ, dass sie nebeneinander gehen konnten.
„Da dich niemand kennt, dachte ich, dass das nicht nötig sei. Mir fiel aber auch kein Grund ein, wie du andernfalls zu mir ins Grasland gefunden hättest. Deshalb erzählte ich, dass du mir gefolgt bist, als du erfuhrst, dass ich vorerst nicht nach Santros zurückkehre und im Grasland bleibe.“ Auf ihrer Miene lag ein ruhiger Ausdruck. Sie schien die Atmosphäre zu genießen und atmete einmal tief und selig die frische Luft ein.
Sie führte ihn weiter zum Bach, der an einer Stelle recht schmal war, so dass sie mit etwas Schwung darüber springen konnten. Die junge Frau zögerte dabei nicht einen Moment. Sie schien unstetes Gelände und Wanderungen gewohnt zu sein und zeigte, was vielleicht längst vermutete wurde, dass sie kein edles Stadtblümchen war.
„Am besten… erzähle ich dir ein wenig über mich. Damit es dir nicht zu schwer fällt vorzugeben, dass wir einander lange kennen!“ Die kühle Luft färbte ihre Wangen langsam ein wenig rötlich, doch wirkte es nicht so, als würde sie frieren. Ihre Hand lag warm in der seinen.
„Wo am besten anfangen…? Also, meine Mutter starb offenbar bei meiner Geburt und mein Vater … war ein General, der die meiste Zeit auf See verbrachte. Soweit ich weiß kam er während eines Unwetters um, als sein Schiff kenterte. Da war ich ungefähr 4 Jahre alt. Deshalb erinnere ich mich auch kaum an ihn.“ Elodi bewies eine eigenartige Offenheit Kazel gegenüber. Sie sah ihn zwar nicht direkt an, während sie erzählte, da sie auf den Weg achtete, doch schien es ihr nichts auszumachen, wenn er mehr und auch persönliche Dinge über sie erfuhr.
„Die einzige Familie, die ich jemals hatte war mein Bruder Kion und da er nur zwei Jahre älter war, als ich gab es also niemanden, der sich um uns kümmern konnte. Wir wuchsen daher im Waisenhaus von Santros auf.“ Ihr Ausdruck wurde ein wenig nostalgisch, als sie weitersprach. „Er war der typische große Bruder, der immer seine kleine Schwester beschützen wollte. Aber in diesem Punkt war ich für ihn wohl eine bittere Enttäuschung.“ Kazel konnte aus dieser Bemerkung entnehmen, dass sie offenbar schon immer gewusst hatte, wie sie auf sich aufpassen musste.
„Je älter Kion und ich älter wurden, je mehr arbeiteten wir im Waisenhaus mit. Es ging uns gut dort und die anderen Kinder waren für uns wie jüngere Geschwister, um die wir uns kümmerten. Doch…“ Unbewusst verstärkte sie ein wenig den Griff um seine Hand und in ihren Blick mischte sich ein bedrückter Schatten.
„…als ich 14 Jahre alt war änderte sich alles. Ich … wachte eines Nachts wegen eines Alptraums auf, in dem ich Kion tot in einer Seitengasse fand und in der das Waisenhaus in Flammen aufging. Weil der Traum so realistisch war, ging ich zu seinem Zimmer, doch er war nicht dort. Ich suchte alles ab, doch als ich ihn nicht finden konnte, bekam ich Angst und lief hinaus, um ihn in der Stadt zu suchen.“ Ihre Schritte verlangsamten sich kurz und ihr Blick verriet, dass sie in ihren Erinnerungen versunken war.
„Mein Alptraum wurde Realität…! Ich fand Kion in derselben Gasse, von der ich geträumt hatte… abgestochen und verblutend. Ich … konnte nichts mehr tun, nicht einmal Hilfe holen. Er starb in meinen Armen, kurz nachdem ich bei ihm ankam.“ Nun blieb sie endgültig stehen. Elodi war eine starke junge Frau, die aussprach, was sie zu sagen hatte, doch dieser Teil ihrer Vergangenheit schien sie nicht ganz so einfach in Worte fassen zu können.
„In dieser Nacht verlor ich alles. Und ich verstand, dass ich nicht nur geträumt hatte. Als ich zum Waisenhaus zurückkehrte stand das Gebäude in Flammen. Niemand… überlebte – außer mir.“ Die letzten Worte kamen nur noch leise und beinahe entschuldigend über ihre Lippen. Und dann hob sie langsam den Blick, um in Kazels blaue Augen zu sehen. Eine Weile lang schwieg sie, sah ihn einfach nur an, bis sie wieder die Kraft gesammelt hatte ein Lächeln aufzusetzen.
„Der Traum… war eine Voraussicht, was ich damals allerdings nicht verstand. Ich weiß nicht wieso, aber seit dieser Nacht kommt es vor, dass ich manchmal Ausschnitte aus der Zukunft sehen kann. Manchmal auch welche, die in der Vergangenheit liegen. Ich kann diese Fähigkeit allerdings kaum kontrollieren. Aber ich denke, dass Schicksal mich unteranderem deshalb zu ihrem Lehrling machte. Auch, wenn das erst ein paar Jahre später der Fall war.“ Kazel erfuhr wirklich nicht wenig und es war fraglich, ob solch eine Offenheit, die Elodi ihm gegenüber bewies noch angenehm war. Andererseits schien es wichtig zu sein, dass sie einander kannten.
„Hier im Dorf… weiß das alles niemand. Sie wissen nur, dass ich aus Santros stamme und eine Feldschwester bin. Und da ich ihnen erzählte, dass du als bester Freund meines Bruders ein Jugendfreund und für mich wie Familie bist, dachte ich, dass du wissen solltest, wie mein Leben wirklich verlaufen ist. Tut mir leid, wenn das alles viel und dir unangenehm ist.“ In ihrem Blick lag wieder eine Entschuldigung, doch dieses Mal war diese an ihn gerichtet.
„Ich dachte… wir könnten ihnen erzählen, dass du ebenfalls im Waisenhaus gelebt hast.“
Als sie langsam weitergingen öffnete sich irgendwann der Wald und sie betraten eine große Lichtung in der mittig der See, eingebettet von grünen Gräsern, Sträuchern und Schilfrohr, vor ihnen lag. Der See war nicht riesig, aber groß genug, dass man eine ganze Weile brauchen würde, um ihn zu umrunden.
Elodi schien langsam die erdrückenden Gefühle der Vergangenheit abgeschüttelt zu haben und lächelte, als sie auf den See blickte. „Wunderschön, nicht wahr?“, fragte sie und deutete auf das schimmernde Wasser, in dem sich der blaue Himmel reflektierte. Das Wasser war unglaublich klar, so dass man die beigeweißen, feinen Kieselsteinchen und darüber einige Fische sehen konnte, die über den Grund huschten. Das Besondere an diesem See waren aber vermutlich die Pflanzen. Auf fast der gesamten Oberfläche schwammen blaue und weiße Blütenkugeln, die in sich selbst aus hunderten kleineren Blüten bestanden, die von der Form an spitzzulaufende Kleeblätter erinnerten. Jede dieser Blütenkugeln war um ein paar Zentimeter größer, als ein Apfel und schwammen wie zierliche Bälle, auf der sich sanft wiegenden Oberfläche. Zur Mitte des Sees wurde die Anzahl immer geringer, so dass die Blüten einem breiten Rahmen glichen.
Nach einem Moment, in dem sich Kazel ganz der Wirkung des Anblicks hingeben konnte, drückte Elodi sanft seine Hand.
„Wir können uns dort hinten auf den kleinen Felsen setzen, oder möchtest du noch ein wenig gehen?“, fragte sie und würde sich dabei ganz nach ihm richten. Sie könnten sich nun ihre gemeinsame Vergangenheit ausdenken, oder auch über anderes Reden. Vielleicht hatte er Fragen, denn man ihm zugestehen, dass er viel zu hören und verarbeiten bekommen hatte.
Elodi hatte ihn in einen sehr privaten Teil ihrer Vergangenheit blicken lassen und es wirkte nicht so, als würde sie diese jedem auf die Nase binden. So offen sie wirkte, sie konnte Dinge für sich behalten.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Montag 17. Juni 2024, 22:20

Im Grunde wusste Kazel, dass Tod seine Gedanken stets wahrnehmen konnte. Ihm war auch nicht fremd, dass sein Meister gelegentlich stummer Beobachter über Handlungen seines Lehrlings war. Immerhin hatte der Mischling selbst schon in dem hohen Lehnstuhl am schwarzen Sandstrand der Todesinsel Kata Mayan gesessen und dort in einen vom Meer geschaffenen Spiegel geschaut. Damals hatte er durch diesen jemanden beobachtet, der von zwei Nachtelfen auf mehr als erotische Weise verwöhnt worden war. Kazel stutzte, denn der Gedanke baute sich nicht einmal gänzlich in ihm auf, da konnte er ihn schon nicht mehr greifen. Das Bild des Strandes, des Spiegels und sogar der Schale mit Puffmais, die Tod ihm angeboten hatte, war vollkommen klar, aber nicht die Szene, die er beobachtet hatte. Und schon durchströmte die knöcherne Stimme seines Meisters seinen Geist.
Nun sammelst du also auf ein Neues Erfahrungen mit Frauen...
Kazels Blick lag auf Elodi. Er hatte sie gemustert, war die Konturen ihres Profils mit den Augen abgewandert und hatte viele kleine Details an ihr in seine Erinnerung aufgenommen. Am meisten gefielen ihm die Sommersprossen, die wie ein rotbraunes Sternenmeer ihren rosigen Hauthimmel sprenkelten. Jetzt aber schaute er durch sie hindurch und ihr mochte dieser Anblick vielleicht vertraut sein. Wesen wie sie und Kazel wirkten stets eine Spur weit abwesend, wenn sie sich im Geiste mit den Höheren unterhielten.
Ich ... halte mich zurück, antwortete der Mischling. Er hatte Schicksals Worte nicht vergessen, sie wohl nur etwas falsch interpretiert. Distanz wahren und keine Emotionen aufbauen. Das galt für die Sterblichen, aber inwieweit war Elodi damit gemeint? Wenigstens erhielt Kazel Aufschluss über seine Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht. Offenbar war er nicht mehr unberührt, obgleich sein Körper auf jeden Augenaufschlag Elodis reagierte wie ein Verdurstender auf eine gefüllte Flasche Wasser. Die Hormone hatten ihm fest im Griff. Er schluckte leer.
Elodi sah in dieser Reaktion offenbar Verunsicherung über Kazels Zustand. So versuchte sie, ihm Zuversicht zuzusprechen. "Mit etwas Zeit wirst du das herausfinden, mach dir da keine Sorgen und setz dich vor allem nicht unter zeitlichen Druck! Du hast doch eben selbst gesagt: du bist du - und das hat sich auch nicht geändert, als du deine Erinnerungen abgegeben hast. Ich weiß zwar nicht genau, wieso, aber es war deine Entscheidung und machen uns diese nicht zu dem, der wir sind und weiter werden?"
Er nickte langsam auf ihre Frage hin. Dann erklärte er: "Ich hab es getan, weil es ... offenbar das Richtige war. Jedenfalls in meinen Augen. Es war wichtiger als Alternativen, aber ... ohje, mehr weiß ich schon nicht mehr." Schicksal hatte wahrlich jede Verbindung an der Stelle gekappt, bei der seine Gedanken zu alten Beziehungen springen könnten. Sobald auch nur der Ansatz entstand, er könnte an Verlorene wie Janay, seine ungeborenen Kinder, seinen Freund Zissus oder weitere Gefährten denken, war alles wie in Nebel gehüllt und für Kazel unerreichbar. Er hob die Schultern an. Plötzlich aber fiel ihm etwas auf. "Moment! Du musstest deine Erinnerung nicht aufgeben, um in Schicksals Dienst stehen zu können?" Nein, das musste sie offensichtlich nicht. Denn später an diesem Tag würde Elodi ihm einiges von ihrer Vergangenheit verraten und zwar auch mit Verknüpfungen zu alten Begegnungen - zu ihrem Bruder! Kazel konnte sich nicht einmal an Mitglieder seiner eigenen Familie erinnern. Hier unterschieden sie sich offenbar und er war interessiert, warum Elodi all das, was vorher war, nicht hatte aufgeben müssen.
Möglicherweise lag es darin begründet, um ihn und auch Celcia zu schützen. Kazel schien viel erlebt zu haben und um damit keinen Missbrauch zu begehen, entzog man ihm dieses Wissen seiner selbst gänzlich. Zumindest gab es Sinn in Hinsicht auf Elodis Warnung, dass sie einfachen Sterblichen nichts von ihrem wahren Schicksal auf Celcia erzählen sollten.
"Es gibt noch zu viele andere Kräfte auf dieser Welt, die sich immer wieder in das Leben - die Schicksale - einmischen. Allein die Götter tun das immer wieder." Sie musterte ihn mit einem forschenden Funkeln im Blick. Kazel bemerkte es nicht. Er war vollkommen arglos, denn seine Amnesie ließ nicht mehr zu. "Ich schätze, dann existieren die Götter wohl wirklich, hm?", fragte er und ganz abgewegig war es nicht, wenn Tod und Schicksal personifizierte Gestalten waren. Dass sich bei ihm gerade Manthala mehr als einmal eingemischt und er sogar einen Pakt mit ihr eingegangen war, wusste Kazel nicht mehr. Auch diese Bande waren gekappt, der Pakt vermutlich nichtig geworden. Schließlich hatte er ihn erbeten, um seiner Seele im Schlaf Frieden zu geben, den er im Wachzustand nicht mehr hatte erreichen können. Zu viel war passiert, zu viel hatte er gesehen und nichts davon hatte sich von seinem Herzen lösen können, das oftmals zu viel Anteil nahm als gut für es war. Jetzt jedoch, ohne Gedächtnis, benötigte er diese Seelenzuflucht nicht mehr. Er war neu geboren und rein. Ob das nicht auch von Nachteil sein konnte, falls ein Schicksalsschlag mit geballter Wucht auf seine nunmehr unschuldige Existenz traf, würde sich zeigen müssen.
"Über all das mit niemandem sprechen zu können, ist nicht immer einfach, weil wir als Teil beider Seiten irgendwie in der Mitte stehen."
"Zwischen zwei Seiten zu stehen, ohne einer zugehörig zu sein, kommt mir vertraut vor." Kazel lächelte, denn er fühlte nicht mehr den Schmerz, der es mit sich brachte, in Morgeria als Mischlingself geboren worden zu sein. Nicht überall auf Celcia begegnete man ihm derart feindselig, aber in seiner Heimat war er kaum mehr wert gewesen als namenlose Sklaven oder Schmutz an der Sohle eines reinen Dunkelelfen. Dies war ihm bewusst, aber er verspürte nicht länger das Leid. Er konnte vollkommen neutral darüber sprechen und dennoch nachempfinden, was einst sein eigenes Schicksal gewesen war. Vor allem aber konnte er mit Elodi darüber sprechen, weil er in ihr eine Gleichgesinnte gefunden zu haben schien. Sie sah es ähnlich. "Aber .. ich glaube, von nun an wird es einfacher! Wir beide dürfen darüber miteinander reden!"
"Willst du denn über etwas Bestimmtes sprechen?" Er bot es an, allgemein. Sie musste sich ihm nicht hier und jetzt öffnen, aber Kazel wollte sie wissen lassen, dass sie es konnte, sobald sie jemanden zum Reden suchte. Ohja, die Zukunft dürfte sich gerade für Elodi nun leichter anfühlen. Auf dieser Ebene wirkte Kazel möglicherweise wie der große Bruder, den sie verloren hatte. Und auf jenen kam die Menschin noch zu sprechen. Immerhin mussten sie und der Mischlingself sich einen gemeinsamen Hintergrund ausdenken, um gegenüber den Graslandsiedlern keinen Verdacht zu erwecken. Das alles ließ sich jedoch leichter an einem angenehmeren Ort besprechen. Nicht, dass Elodis Kate Unbehagen weckte, aber noch immer lag der Nachhall von Kazels Fieberzustand in der Luft und auch wenn sie die Fenster offen hielt, roch man den Schweiß in den Laken und die Krankheit, die sich wie warme Luft knapp unter der Decke hielt. Frischer Wind konnte nicht schaden, also ergriff Elodi Kazels Hand, um ihn auf einen Spaziergang mitzunehmen. Das Ziel sollte ein See sein, auf den er schon ganz gespannt war.

Zunächst aber wurde Kazel mit der neu entstehenden Siedlung des Graslands, sowie dieses Landstrichs selbst konfrontiert. Sein Staunen war nicht so groß wie seine Faszination, denn nur weil er keine Erinnerungen mehr an seine Vergangenheit hatte, bedeutete es nicht, dass ein Dorf im Aufbau ihn mit großen Augen und heruntergeklappter Kinnlade zurückließ. Trotzdem nutzte er die Gelegenheit, sich einen Eindruck zu machen, während Elodi ihn zwischen kleinen Bauten und über Trampelpfade aus der Siedlung hinausführte.
Ihm fiel auf, dass hier alle Hand in Hand arbeiteten, ohne Unterschiede zwischen Herkunft oder Geschlecht zu machen. Er sah Dunkelelfen mit Narben, die Balken an Menschen weiterreichten, ohne sich ihnen überlegen zu fühlen. Er sah einen Ork, der einen schwer beladenen Karren zog, während Kinder um ihn herum tollten und ihn mit Aufregung anbettelten, auf seinem Warg reiten zu dürfen. Er sah eine Gruppe Frauen, zwischen die sich auf Soldatinnen gemischt hatten. Trotzdem tuschelten und tratschten sie munter und offen. Das Gesamtbild der Siedlung hinterließ einen Frieden in Kazels Herzen, von dem er nicht wusste, dass er ihn irgendwie vermisst hatte. Er bemerkte nicht einmal wie er lächelte, wohl aber, dass er immer wieder stehen blieb, um zu starren. Elodi musste ihn mehr als einmal daran erinnern, dass sie eigentlich aus der Siedlung heraus wollten. Es dauerte ein wenig, Kazel dazu zu bewegen. Letztendlich lohnte es sich jedoch, dass er sich leiten ließ. Das Grasland selbst bot einen wundervollen Anblick. "Fast wie die Stille Ebene, nur dass es mehr Wäldchen und zahlreiche Findlinge gibt." Über die Weite erstreckten sie helle Felsen, dass man meinen konnte, ein Riese hätte sie hier wie ein Kind Murmeln über dem Boden verstreut. Dazwischen hoben sich immer wieder dunkle Baumgruppen hervor, die zwar dicht, aber nicht so weitläufig sein mochten, um sie einen richtigen Wald zu nennen.
Elodi nahm Kazel in einen solchen Hain mit, der direkt hinter ihrer Kate lag. Hier kristallisierte sich sein waldelfisches Blut heraus, denn er genoss die Umgebung von Natur sichtlich. Kazel atmete immer wieder tief durch, sog die frische Luft ein und genoss den Spaziergang zwischen den Bäumen hindurch. Ganz instinktiv setzte er seine Schritte so, dass er kaum ein Blümchen platt trat, obgleich ihm das nicht bewusst zu sein schien. Sein Körper harmonierte von selbst mit der Natur.
In dieser Idylle war es leichter, sich zu unterhalten. Das Gemüt wurde erfrischt. Elodis schien ohnehin heiter gestimmt. Sie war auf Neckereien aus und erneut sprach sie Kazel unterschwellig und dennoch recht direkt auf seine Optik an, als sie während ihrer Unterhaltung auch das Thema ihrer Fähigkeiten anschlugen.
"Wenn unser irdisches Leben endet und wir unsere Position auf der anderen Seite fest einnehmen, werden wir in der Lage sein unser Erscheinungsbild zu ändern, wie wir es wollen. Zumindest hat mir das Schicksal erzählt."
"Tod meinte, ich werde nach meinem Dahinscheiden zum Skelett", warf Kazel dazwischen, doch Elodi ließ ihm kaum Gelegenheit, näher darauf einzugehen. Vielleicht, weil sie sich nicht wünschte, neben einem Skelett die Ewigkeit zu verbringen. "Du kannst dir aussuchen, ob du ein Skelett sein möchtest oder ob du ... der hübsche Kerl bleiben möchtest, der du bist!"
Erneut gelang es ihr, ihn aus dem Konzept zu bringen. Jetzt tappte Kazel nämlich recht forsch auf eine Blume, so dass das Schneeglöckchen unter seinem Fuß ganz zerknickt wurde. Er achtete nicht darauf, sondern schaute von unten und mit reichlich Verlegenheit zu Elodi herüber. Seine Wangen hatten erneut die Farbe überreifer Tomaten angenommen. Vielleicht platzten sie, wenn Elodi mit dem Finger darauf drückte. Dahinter, vor allem hinter Kazels Stirn, wirbelten hingegen die Gedanken in einem wirren Chaos. Wortfetzen des Gesagten mischten sich und tanzten miteinander. Elodi hatte nun schon mehrfach erwähnt, dass sie ihn offenbar optisch anziehend fand. Sie mochte seine Anatomie, sie wies ihn darauf hin, dass er in der Siedlung wohl ein Frauenmagnet wäre und ... sie nannte ihn einen hübschen Kerl.
Seine Hand, nach wie vor mit ihrer verflochten, fühlte sich schwitzig an, obwohl sie weiterhin die Tod ankündigende Kühle ausstrahlte. "Ich ... bin vermutlich eher Durchschnitt", nuschelte er und wagte nicht, sie anzusehen. Er ließ sich mit Komplimenten so leicht einschüchtern und reagierte jedes Mal gleich verlegen. Ähnlich wie bei ihr sagte man ihm offensichtlich nicht oft, dass er durchaus stattlich war, allein schon, weil selbst die hässlichsten Elfen immer noch einen gewissen Charme besaßen. Und er konnte nicht damit umgehen, dass man es ihm sagte. Kazel wusste überhaupt nicht, wie er auf so viel Schmeichelei reagieren sollte. Dass es ihm dennoch gefiel und eine Wärme in seiner Seele hinterließ, bewiesen die leicht gehobenen Mundwinkel. Er freute sich, hübsch genannt zu werden. Gleichzeitig fiel es ihm schwer, das anzunehmen, denn er sah sich eindeutig nicht so. Natürlich hatte er in seinem Spiegelbild keine unerträgliche Hässlichkeit erkannt, aber als hübsch hätte er sich wohl ebenfalls nicht bezeichnet. Er war ... nur er selbst. Jetzt musste er nur noch akzeptieren, dass sein Selbst wenigstens in Elodis Augen gehobenen Status besaß.
Bevor er jedoch in diese Richtung denken konnte, musste er etwas wissen. Ihm war klar, dass seine Vergangenheit ihm nicht zugänglich sein durfte, damit er die nötige Distanz zu allem wahrte. Keine emotionalen Bindungen, das hatte Schicksal erwähnt. Somit durfte er auch keine Altlasten in seine Pflicht als Diener der Ewigkeit und Geselle des Gevatters mitnehmen. Trotzdem wurmte ihn die Frage, ob er vorher ein Problemfall dargestellt hatte. War er im Reinen mit sich und Celcia gewesen? Im Grunde hatte Elodi ihm diese Frage schon lange vorher beantwortet. Sie hatte ihm ein gutes Herz zugesprochen und erklärt, dass nur eine solche Persönlichkeit überhaupt in Gevatters engere Auswahl käme. Aber auch Herzen, die es stets gut meinten, waren in der Lage, Katastrophen anzurichten. Dass Kazel ein klassicher Fettnäpfchenspringer war, der noch dazu gern Extrarunden schwamm, ahnte er nicht. Genau darin bestand für ihn jedoch gerade das Problem. Er musste es wissen, auch wenn er selbst noch nicht ahnte, was ihm ihm einbrächte. Es war ein Drängen seines Unterbewusstseins, das akzeptiert hatte, keine Verbindung mehr zum Leben vorher zu haben, sich aber nicht mit allem zufrieden gab. Leider konnte Elodi ihm die Frage nicht vollends beantworten. Sie kannte Kazel überhaupt nicht. Folglich hatte sie mit ihm auch nie zuvor zu tun gehabt. Sie wusste ebenso wenig wie er, ob seine Seele im Gleichgewicht gewesen war.
"Ich kann deine Seelenwaage und deinen Schicksalsfaden auch nicht sehen. Ich ... muss zugeben, dass ich es versucht habe, als du schliefst." Er blickte sie wiederholt in einer Mischung aus Verlegenheit und Entgeisterung an. Sie hatte sich um ihn gekümmert, gleichzeitig war er ihr aber auch vollkommen ausgeliefert gewesen. Diese Erkenntnis hinterließ bei jedem ein unwohles Gefühl. Elodi erkannte wohl, was hinter Kazels Stirn vor sich ging und beschwichtigte ihn sofort. "Ich war neugierig...! Aber mit der Entscheidung, dass wir zusammenarbeitn, verknüpften sich unsere Schicksal und deshalb kann ich sie nicht sehen. So, wie du vermutlich nicht meine Lebenszeit sehen kannst..."
"Kann ich nicht", bestätigte er. "Tod hat wohl geahnt, dass ich ähnlich neugierig wäre und mir sofort klar gemacht, dass es bei mir selbst und mir Nahestehenden nicht möglich ist. Es dient meinem eigenen Schutz." Er hätte an dieser Stelle schon längst erkennen können, was Schicksal angedeutet hatte. Auch Tod wahrte eine professionelle Distanz zu allem, was ihn emotional binden könnte. Denn sowohl er als auch Schicksal wussten, wozu es führen und welch Chaos daraus entstehen könnte. Gerade bei einem Elfen wie Kazel, der schon einen Teil seiner Erinnerungen geopfert hatte, damit seine Kinder sicher auf die Welt kommen könnten. Er hatte sich bereits gebunden - an Janay, seinen Nachwuchs, Zissus. Für jeden von ihnen hätte er bereitwillig und bedingungslos sein Leben gegeben. Im Grunde war dies nun geschehen. Sie würden an seinem Leben nicht länger teilhaben. Er hatte sich wahrlich geopfert, um ihrer Wohlergehen Willen, ebenso wie um das ganz Celcias.
Kazel schaute Elodi mit neutraler Miene an. Dann nickte er ihr zu. "Ich danke dir. Wirklich. Dass du mich vorher nicht kanntest, muss dann wohl bedeuten, dass ich keinen großen Ärger bereitet habe, jedenfalls nicht, um das Gleichgewicht aus den Fugen zu heben. Das ... beruhigt mich wirklich sehr." Daraufhin fiel es ihm auch nicht schwer, Elodi ihrerseits einen Wunsch zu erfüllen. Jedenfalls wollte er es generell tun, denn sie fragte nach seiner Vergangenheit. Sie wollte mehr von ihm erfahren, ihn kennen lernen. Leider war es ausgerechnet das, wozu er nichts antworten konnte. Das glaubte er zumindest, doch nach kurzem Überlegen stellte sich heraus, dass ihm nicht alles abhanden gekommen war. Er wusste von seinem Mischblut und der Tatsache, dass gerade dies seiner Familie Grund genug gegeben hatte, ihn nicht zu lieben. Mehr noch, er war schmerzhaft dafür bestraft worden, weil er war, wer er war. Elodi hatte das weiße Blitzgewitter auf seinem Rücken garantiert schon entdeckt, so neugierig wie sie sich seiner angenommen hatte. Es verlief einmal über seinen gesamten Rücken. Striemen um Striemen kreuzten sich und malten ein viel verzweigtes Muster vergangener Pein. Der Anblick allein reichte aus, um Szenerien im eigenen Kopf zu zeichnen, die von Schmerz und Qual geprägt wurden. Kazel hatte definitiv einiges durchstehen müssen und es trotz allem irgendwie überlebt. Der Verlust seines Erinnerungsvermögens zeigte sich hier von Vorteil. Er wusste von seiner körperlichen Züchtigung zu berichten, aber konnte es vollkommen neutral erzählen. Denn auch die Erinnerung an das Leid und den Schmerz war verschwunden. Ähnlich erzählte er von mangelnder Fürsorge oder Herzlichkeit, die doch von jedem Elternteil zu seinem Kind ausgehen sollte. Kazel hatte das nicht erlebt, aber er fühlte sich deshalb nicht schlecht. In Hinsicht auf alles, was nun einmal war, fühlte er ... gar nichts mehr. Er war abgeschnitten. Es war tatsächlich nicht mehr sein Leben. Er war nur noch das Ergebnis davon, bereit, jetzt durch neue Erfahrungen geformt zu werden. Schicksal hatte ihm Frieden geschenkt, indem sie ihm alles genommen hatte.
Elodi aber schaute ihn bestürzt an. In ihren Augen stand mehr Mitgefühl als Kazel für sich selbst ob seines Lebensweges empfinden konnte. Für ihn war es schließlich nur noch eine ferne Erzählung. Etwas, das er im Ansatz wusste, aber die Details blieben im Nebel verborgen. Dafür bemerkte er ihre Unruhe. Kazel lächelte sie an, schüttelte den Kopf. "Es ist alles gut." Und um die Situation etwas aufzulockern, beichtete er ihr, ein Apfeldieb zu sein. Daran erinnerte er sich tatsächlich noch sehr gut. Er hatte sehr schnell lernen müssen, in der Wildnis zu überleben. Anfangs waren die Tage von Hunger geprägt und die Nächte von Kälte oder Nässe, je nach Wetterlage. Glücklicherweise hatte er sich für seine Flucht aus Morgeria eine Jahreszeit gesucht, bei der Schnee noch in weiter Ferne lag. So hatte er sich vorbereiten können. Die Stille Ebene bot mehr Möglichkeiten als sie den Anschein besaß. Die Jagd nach Hasen und anderen Kleintieren im hohen Gras gelang aber nicht immer und so hatte sogar ein jüngerer Kazel sich gezwungen gesehen, bis zu den andunischen Apfelplantagen zu schleichen und einige der süßen Früchte zu stibitzen. Geld besaß er keines und sein damaliges Gemüt hatte ihn vorsichtig gegenüber anderen handeln lassen. Er wusste ja nicht, wie man Mischblut jenseits des Drachengebirges sah. Er hatte nur Schreckliches erlebt. Das alles lag verborgen. Jetzt erinnerte Kazel sich nur noch an die Jagd, die warmen Nächte im Gras mit Blick auf den Himmel und die Äpfel, süß und saftig.
Elodi aber konnte es sich denken. Direkt wie sie war, sprach sie ihn darauf an. "Du bist ein gutaussehender Fremder", - Kazel wich ihrem Blick erneut aus, die Wangen röteten sich wieder. Er schüttelte den Kopf, da die häufige Erwähnung ihm nur unangenehmer zu werden schien -. "Die einen werden alles daran setzen, um dich näher kennenzulernen. Andere wiederum werden dich deshalb argwöhnisch und vielleicht ein wenig missfallend betrachten. Das ... hast du doch sicher schon erlebt?"
Er grübelte und je länger er schwieg, desto mehr verdunkelte sich seine Miene. An manche Ereignisse erinnerte man sich eben doch, gerade weil er zu gewissen Personen keinen direkten Bezug geknüpft hatte, aber trotzdem mit ihnen konfrontiert worden war. "Ich ... ja. Ich bin eingesperrt worden, für Diebstahl. Aber den hatte ich nicht begangen. Ich war der fremde Sündenbock. Aber ... ich war auch ..." Kazel griff sich an die Stirn. "Ich weiß nicht mehr. In Gewahrsam? In Pelgar. Ich kann es nicht abrufen. Es fühlt ... sich nicht gut an." Er schaute Elodi an. "Lass uns über etwas Anderes sprechen." Er kam also nicht mit allem klar. Seine Amnesie bewahrte ihn vor Bildern, aber Gefühle schlummerten noch als Echo im Unterbewusstsein. Sie waren negativ. Etwas, an das Kazel sich nicht mehr erinnern wollte.
Elodi gab ihm die nötige Zeit. Außerdem erreichten sie endlich den See und sie führte ihn bis ans Ufer. Das kristallklare Wasser wurde von zahlreichen Blüten umrahmt, die auf der Oberfläche schwammen und sich zu vielen gesammelten Kugeln aus Blau und Weiß gruppierten. Hellgraue Kiesel schimmerten vom Grund. Hier und da brachte der quirlige Flossenschlag eines Fisches das Wasser zum Erzittern. Gebannt starrte Kazel auf's Wasser. Die Ablenkung war gelungen.
"Ich habe den Dorfbewohnern gegenüber nicht erwähnt, dass du dein Gedächtnis verloren hast", begann Elodi, nun zum Wesentlichen zu kommen. Sie mussten sich dringend noch genauer absprechen und sie hatte auch schon eine Geschichte parat. Jedenfalls webte sie Kazel im Groben hinein. Dazu musste er allerdings wissen, wir ihr Leben einst ausgesehen hatte. Kazel schaute nur kurz zu ihr herüber, um zu signalisieren, dass sie seine Aufmerksamkeit besaß. Doch den Blick konnte er nicht lange vom See nehmen. So schaute er über den Seelenspiegel celcianischer Natur, der sich mit Blumen schmückte und lauschte Elodis Geschichte. Er hatte nicht erwartet, was sie ihm erzählte.
Dass sie ihn als besten Freund ihres verstorbenen Bruder darstellte, war bereits erwähnt worden. Wie es zum Tod besagten Bruders - Kion sein Name - kam, erzählte sie jetzt. Es fiel ihr alles andere als leicht und das sorgte dafür, dass Kazel den Blick vom natürlichen See Celcias losriss, um ihn auf die gleichfarbigen Zwillinge in Elodis Gesicht zu richten. Er starrte sie an, wagte aber nicht, sie zu unterbrechen.
"Mein Albtraum wurde Realität...! Ich fand Kion in derselben Gasse, von der ich geträumt hatte ... abgestochen und verblutend. Ich ... konnte nichts mehr tun, nicht einmal Hilfe holen. Er starb in meinen Armen, kurz nachdem ich bei ihm ankam. In dieser Nacht verlor ich alles. Und ich verstand, dass ich nicht nur geträumt hatte. Als ich zum Waisenhaus zurückkehrte stand das Gebäude in Flammen. Niemand… überlebte – außer mir." Elodi stand da, am See und schaute ins Nichts, mit den Gedanken sicher noch einmal in jener Nacht und mit ihrem Bruder in den Armen. Aber plötzlich musste sie erkennen, dass es nicht Kion war, den sie hielt. Sie wurde gehalten. Derjenige verlutete auch nicht, sondern lehnte sich dicht an sie. Sein Körper verströmte keine Wärme. Er war kühl wie die sanfte Brise, die Elodis Wangen vorher geküsst hatte. Er ahmte es nicht nach, aber sein Gesicht drückte sich an das ihre. Er hielt sie, Kazel hielt sie fest, strich mit einer Hand über ihr Haar und ihren Rücken. "Das tut mir so leid", presste er mit erschüttertem Herzen hervor. Feuchtigkeit benetzte ihre Wange. Es waren Kazels Tränen. Er weinte, nicht bitterlich, sondern still, aber er tat es. Natürlich! Er hatte vor Tagen alles aufgegeben, was ihm Bezug zum Leben gegeben hätte. Er hatte alles verloren, so wie sie, doch er war frei von Schmerz. Er wusste nicht einmal mehr, wen er zurückgelassen hatte. Elodi aber trug alles noch in ihrer Erinnerung. Sie trug diese Last und Kazels Mitleid galt allein ihr.
Er löste sich nach einer Weile, um ihrem Blick zu begegnen. Sie hatte den Kopf angehoben und schaute ihn an. Sein Meerblau war übergeschwappt, seine Wangen zierten eigene Bäche, die aber langsam versiegten. Trotzdem hatte er seine Spuren auf ihr hinterlassen. Kazel hob eine Hand und wischte mit Zeige- und Mittelfinger die Nässe von ihrer Haut. Neben ihrem Mundwinkel verharrte er, weil dieser nicht vor Trauer nach unten zeigte oder tapfer versuchte, gerade und schmal zu bleiben. Er war angehoben, zu einem leichten Lächeln geformt. Er runzelte die Stirn.
Elodi berichtete von ihrer seit diesem Tag vorhandenen Fähigkeit. Sie besaß das zweite Gesicht. Sie erhielt Zukunftsvisionen, aber wohl auch Einblicke in die Vergangenheit. Ihre eigene oder andere, dieses Geheimnis lüftete sie nicht. Dass sie jedoch so neutral von ihrem Schicksal auf ihre Fähigkeiten übergehen konnte, überraschte Kazel. Er hielt sie noch immer und hatte nicht vor, das so rasch zu ändern.
"Hier im Dorf ... weiß das alles niemand. Sie wissen nur, dass ich aus Santros stamme und eine Feldschwester bin. Und da ich ihnen erzählte, dass du als bester Freund meines Bruders ein Jugendfreund und für mich wie Familie bist, dachte ich, dass du wissen solltest, wie mein Leben wirklich verlaufen ist. Tut mir leid, wenn das alles viel und dir unangenehm ist."
"Nein, das braucht dir nicht leid tun." Kazel schüttelte den Kopf. "Du hast das alles mit dir herumgetragen und keinen zum Reden gehabt. Du hast Recht, es wird ab sofort leichter werden." Er schaute sie an, tief in ihre Augen und bereit, sich in diese klaren Seen zu stürzen. Sie brauchten keine Blütenkränze, damit es ihm den Atem verschlug. "Ich bin jetzt hier. Ich bin Familie - ab jetzt." Er ließ die Information sacken, schenkte ihr eine kurze Pause, ehe er auf die Dinge einging, die sie nun einmal besprechen mussten. "Ich bin mit Kion und dir im Waisenhaus aufgewachsen. Wir haben gespielt, gelacht und uns gegegenseitig unterstützt. Wir haben den Jüngeren geholfen und waren unzertrennlich." Er nickte entschlossen. Dann legte sich ein ernster Schatten über seine Züge. "Es war nicht die Hitze, die mich weckte, sondern die Schreie jener, die im Feuer den Tod fanden. Ich versuchte, die anderen zu retten, blieb aber erfolglos. Der Rauch war zu dicht, die Flammen zu heiß. Ich konnte nur noch mich selbst retten. Dann ... verließ ich Santros voll Trauer und im Glauben, nicht nur mein Heim, sondern auch dich und Kion verloren zu haben. Erst Jahre später kehrte ich zurück und es dauerte noch etwas länger, bis ich erfuhr, dass du lebst ... bis ich erfuhr, wo du bist. Das Grasland. Ich machte mich auf den Weg, aber dann verlor ich mein Gedächtnis durch..." Kazel zögerte. Die Geschichte war bisher recht stimmig, doch nun wollte ihm nichts mehr einfallen. "Ein Überfall? Schlechtes Wetter? Ich bin vom Pferd auf einen Stein gestürzt? Etwas in der Art. Wichtig ist, dass man mich fand und zu dir brachte - weil du Feldschwester bist. Das Schicksal wollte" - er schmunzelte leicht - "dass diese Feldschwester meine verloren geglaubte Freundin aus Kindertagen ist. Die mich nun aufgenommen hat, meinen Gedächtnisverlust überwacht und bei der ich vorerst bleiben will, falls sie mich lässt."
Endlich löste Kazel sich von ihr. Er nahm die Hände von ihrem Körper und trat auf Armeslänger zurück, um Elodi zu mustern. Dann hob er die Schultern an. "Das einzige Problem könnte werden, wenn mich jemand Dinge über Santros fragt. Mehr als den Namen weiß ich nicht und den hab ich von dir. Ich könnte nicht einmal beschreiben, in welcher Richtung Celcias es liegt. Aber vielleicht ... hab ich das einfach vergessen." Ein Zwinkern folgte. "Wäre das glaubwürdig?"
Er spürte, wie sie erneut seine Hand ergriff und diese drückte. Außerdem schlug sie ihm vor, sich etwas entfernt auf einem der Felsen niederzulassen. Kazel stimmte mit einem schlichten Nicken zu. Möglicherweise gab es noch mehr zu besprechen. In erster Linie wollte er nun aber eher für Elodi da sein. Vielleicht konnte seine bloße Anwesenheit ihren Schmerz etwas lindern. Während er sich zu dem gezeigten Gestein führen ließ, richtete Kazel die Gedanken kurz ins Innere. Er versuchte, Tod zu erreichen.
Ich nehme an, nach all den Jahren ist es zu spät, nach Kion zu fragen, oder? Er tat es dennoch. Ist er noch auf Kata Mayan oder hat sich seine Seele bereits aufgelöst, um Teil der unzäühligen Sandkörner an deinem Strand geworden zu sein, bis diese sich zur Lebenszeit eines neuen Wesens formen? Elodi ... sie sollte die Chance bekommen, sich zu verabschieden, wenn es noch möglich ist. Wenigstens das.
Da war es, das wohl größte Problem, mit dem der Meister zu kämpfen hätte. Kazel konnte in solchen Momenten die Emotionen nicht zurückhalten. Es widersprach seinem Gemüt. Wenn eine Chance bestand, dass Elodi noch einmal mit Kion sprechen oder ihm eine Nachricht zukommen lassen könnte, würde er alles dafür tun, dieses Ziel zu erreichen. Tod wusste das. Sein Schüler hatte schon für Janay, sogar für eher unbekannte Hybriden nahezu alles opfern wollen, um ihnen Leid zu nehmen oder Glück zu gewähren. Das war er und dabei dachte er nicht eine Sekunde darüber nach, ob sein Herz im Guten schlug oder seine Seele im Gleichgewicht blieb.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Freitag 21. Juni 2024, 23:04

Kazel bekam auf seinen Gedanken, dass er sich zurückhalten würde, keine Antwort und so ließ Tod seinen einmischenden Kommentar einfach so im Gedankenraum stehen. Wieso das so war, wusste vermutlich nur der Gevatter selbst.
Allerdings lenkte Elodi den Mischling ausreichend ab, so dass dieser Tods gedanklichen Rückzug gar nicht beachtete. Die Beiden lernten sich gerade kennen und hatten viel zu besprechen. Immerhin war es keine alltägliche Situation, dass zwei Weltenspringer aufeinandertrafen und auch zusammenarbeiten sollten.
Kazel begann ganz instinktiv nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu suchen, doch geschah dies eher unterbewusst. Da er seine Erinnerungen abgegeben hatte, konnte er einen großen Teil seiner Vergangenheit gar nicht mit ihr vergleichen. Er wusste nur, dass er sich bewusst für diesen Weg entschieden hatte:
„Ich hab es getan, weil es ... offenbar das Richtige war. Jedenfalls in meinen Augen. Es war wichtiger als Alternativen, aber ... ohje, mehr weiß ich schon nicht mehr“, erklärte er, während er seine Gedanken weiter nach Erinnerungen abtastete. Bis ihm etwas auffiel:
„Moment! Du musstest deine Erinnerung nicht aufgeben, um in Schicksals Dienst stehen zu können?“ Sein Blick hatte sich ihrem zugewandt und sie betrachtete für einen Moment still sein Gesicht. Dann folgte ein Kopfschütteln.
„Nein…! Bei mir war es nicht nötig“, bestätigte sie, doch blieb der Grund dafür zunächst unergründet. Diesen und den Unterschied zwischen ihnen, würde er erst etwas später am Tag verstehen lernen. Doch bis dahin fragte er sich natürlich, wieso dieses Opfer nicht von ihr verlangt worden war!
Die junge Frau erzählte währenddessen weiter und erläuterte Kazel, wieso es so wichtig war, dass kein Sterblicher von ihrem Sein - ihrer Rolle als Weltenspringer und Gesellen erfahren durfte. Offenbar gab es noch andere Mächte, die sich in das Leben und die Geschicke Schicksals einzumischen versuchten.
„Ich schätze, dann existieren die Götter wohl wirklich, hm?“, fragte er nach, ohne zu wissen, dass er ihnen selbst schon mehrmals begegnet war. Auch diese Erinnerungen waren verschwunden, denn sie waren zu sehr mit den Beziehungen, die er vergessen musste, verknüpft gewesen. Elodi verzog ganz leicht das Gesicht, als hätte Kazel sie an etwas Ansträngendes erinnert.
„Allesamt…! Und jeder von ihnen beeinflusst den Verlauf des Lebens auf Celcia, indem sie sich hier und dort in irdische Angelegenheiten einmischen. Die einen mehr… die anderen weniger, doch jedes Mal verändern sie dadurch Schicksale. Du kannst dir vorstellen, dass das Schicksal selbst nicht so gerne sieht. Aber auch sie kann dagegen nichts tun – bis auf Ermahnen und sich aufregen!“ Elodi schmunzelte bei den letzten Worten und hob leicht die Schultern, um stumm zu verraten, dass sie nicht erst einmal Zeuge einer solchen Situation gewesen war. Dann betrachtete sie ihn für die Dauer ein paar Wimpernschläge nachdenklich.
„Ich… vermute ehrlich gesagt, dass du einigen, wenn nicht gar allen, selbst schon begegnet bist. Auch in Tods Arbeit mischen sie sich häufig ein und beeinflussen die Lebenszeit einer Seele. Aber vermutlich… gibt es einen Grund, wieso du auch diese Begegnungen vergessen hast!“ Auch Elodi rätselte über das Ausmaß seiner herbeigeführten Amnesie. Welche Theorien sie wohl hatte? Oder hatte ihr Schicksal vielleicht doch ein wenig mehr erzählt?
„Du wirst sie kennenlernen – vermutlich früher, als du denkst!“, prophezeite sie ihm mit einem schiefen Lächeln, ehe ihr dazu etwas Anderes einfiel:
„Gibt es einen, oder mehrere Götter, zu denen du betest – oder gebetet hast?“, fragte sie, abwartend, ob sich Kazel zumindest daran erinnern würde. Doch da ein Glaube in der Regel schon von Kindesbeinen an beigebracht oder gelebt wurde, konnte sie sich offenbar vorstellen, dass er über diese Information über sich verfügte.

Die beiden verlegten ihr Gespräch nach draußen und Kazel konnte zum ersten Mal einen Blick auf das neu entstehende Dorf werden. Elodi gab ihm ein paar Momente Zeit sich umzusehen, doch dann drängte sie ihn doch dazu, ihr hinter die Kate und in das kleine Waldstück zu folgen. Wären sie von Dorfbewohnern entdeckt und in ein Gespräch verwickelt worden, wäre dies vermutlich nicht so vorteilhaft gewesen. Zumindest nicht, solange sie sich nicht auf eine Geschichte um ihre erdachte, gemeinsame Zeit geeinigt hatten.
Glücklicherweise konnten sie neugierigen Blicken entgehen und bekamen im Waldstück und danach am See die Gelegenheit sich weiter auszutauschen. An Gesprächsthemen mangelte es ihnen nicht. Kazel wollte viel erfahren und Elodi gab bereitwillig Auskunft und erklärte, was sie über ihre Rolle als Gesellen wusste. So erfuhr der Mischling, dass er nach seinem irdischen Ableben offenbar die Fähigkeit besitzen würde, sein Erscheinungsbild zu verändern. Und gleichzeitig machte ihm Elodi erneut ein Kompliment. Fand sie ihn wirklich hübsch? Komplimente waren schon mal schnell dahingesagt, doch aus ihren Mund hörte es sich aufrichtig an, ohne dass man dem Glauben verfiel, dass sie mit dieser Aussage etwas bezweckte. Obwohl… vielleicht hoffte sie in diesem Fall doch seine Wahl von der skelettierten Erscheinung ablenken und auf seine irdische Hülle aufmerksam machen zu können. Vielleicht ein ganz klein wenig!
Ob er das jedoch zwischen seiner Verlegenheit bemerken würde, blieb wohl in seinen Gedanken verborgen. Nach ihrem Kompliment verfiel er wieder ein wenig der Verlegenheit, was man eindeutig an seinen roten Wangen erkennen konnte. Beim Tod – wurde seine Hand schwitzig? Würde sie dies auch bemerken?
Ganz offenbar nicht, denn sie zuckte nicht einmal mit den Fingern und hielt seine Hand weiter mit angenehm sanften Druck fest.
„Ich ... bin vermutlich eher Durchschnitt“, nuschelte er, während er es nicht wagte zu der jungen Frau mit den kupfernen Haaren aufzusehen.
Elodis gehobene Mundwinkel verrieten, dass sie erkannte, dass ihre Worte ihn verlegen gestimmt hatten. Dass er sie mit seiner Reaktion seinerseits beeinflusste, schien ihm gar nicht aufzufallen.
„Hm… meinst du?“, fragte sie ihn nur mit leicht zweifelnder Stimme, doch scheinbar beschloss sie in diesem Moment nicht weiter darauf einzugehen, um ihn nicht zu ärgern. Ihr war bewusst, dass er, was seine optische Wirkung betraf, schon in naher Zukunft Erfahrungen sammeln würde.
Während sie weitergingen, änderte sich wieder die Richtung des Themas und Kazel nutzte die Chance sie auf etwas anzusprechen, das ihm seit vorhin schon etwas auf der Seele lag. Er wollte wissen, ob er ein Problemfall gewesen war und deshalb seine Erinnerungen hatte aufgeben müssen. Außerdem… nagte es an ihm… ob auch Elodi an diesem Prozess beteiligt gewesen war. Hatten sie sich vielleicht vorher schon gekannt, oder waren einander begegnet?
Diese Fragen konnte sie ihm allerdings nicht vollends beantworten. Sie klärte auf, dass sie einander davor noch nie begegnet waren und dass sie nicht wusste, wie es zu der Entscheidung, seine Erinnerungen und damit Verbindungen zu seiner Vergangenheit zu trennen, gekommen war.
Daraus schloss Kazel zumindest, dass er für kein so großes Chaos gesorgt hatte, dass Schicksals Gesellin von ihm erfahren hatte.
„Ich danke dir. Wirklich. Dass du mich vorher nicht kanntest, muss dann wohl bedeuten, dass ich keinen großen Ärger bereitet habe, jedenfalls nicht, um das Gleichgewicht aus den Fugen zu heben. Das ... beruhigt mich wirklich sehr.“ Auf seine Worte hin hob sie den Blick und betrachtete seine Gesichtszüge.
„Nun ich… habe nur eine Vermutung…“, murmelte sie leise – unsicher, ob sie ihm diese wirklich erzählen sollte. Es lag nahe zu glauben, dass Schicksal ihr ans Herz gelegt hatte, solche Gedanken für sich zu behalten!
„Aber auch bei dieser bedeutet es nicht, dass du irgendwie Ärger gestiftet hast. Wieso solltest du auch?“, fragte sie etwas munterer nach und drückte sanft seine Hand.
„Wärst du ungeeignet, unzuverlässig, oder würdest das Gleichgewicht auf Celcia in Gefahr bringen, hätte Tod dich nicht als Gesellen behalten. Ich kann seinem Schädel zwar keine Emotionen ablesen, aber ich hatte den Eindruck, dass dem Gevatter sehr viel an dir liegt. Vielleicht ist das alles so gekommen, weil du in eine gefährliche Situation geraten bist…!?“ Elodis Worte bestätigten noch einmal, dass sie über ihn nicht mehr wusste, als er selbst. Sie schien von Schicksal dahingehend im Dunkeln gelassen worden zu sein.
Um die Stimmung ein wenig aufzulockern, denn es war zumindest für Kazel ein etwas belastendes und ernstes Thema gewesen, begann dieser nun von ein paar Dingen über sich zu erzählen, an die er sich erinnern konnte. Doch stellte sich heraus, dass auch diese Erinnerungen nicht besonders fröhlich waren. Zwar empfand er selbst keinen großen Schmerz mehr – auch hier schien er lediglich neutral eingestellt zu sein – doch hatte seine Erzählung dazu geführt, dass ihn Elodis bestürzter Blick traf. In ihren blauen Seelenspiegeln stand das Mitgefühl geschrieben und sie schien zu bedauern, dass sie ihn dazu gebracht hatte, sich genau daran zu erinnern.

„Es ist alles gut.“, versicherte er ihr und überlegte dann, ob ihm etwas Heitereres einfallen würde, als seine familiäre Beziehung, seiner Misshandlung oder seiner Einsamkeit. Und tatsächlich konnte er sie damit überraschen, dass er ein Apfeldieb gewesen war.
Diese kleine Episode zauberte ihr wieder ein kleines Lächeln auf die Lippen. Allerdings währte die heitere Stimmung nicht lange.
„Du bist ein gutaussehender Fremder. Die einen werden alles daransetzen, um dich näher kennenzulernen. Andere wiederum werden dich deshalb argwöhnisch und vielleicht ein wenig missfallend betrachten. Das ... hast du doch sicher schon erlebt?“ Ohne es zu beabsichtigen, brachte Elodi Kazel mit dieser Frage erneut in eine unangenehme Situation, in der er sein nebeldurchzogenes Gedächtnis durchwühlte.
Als sich seine Miene verdunkelte und er begann in Wortfetzen das wiederzugeben, was ihm einfiel, wurde auch ihre Miene ernst und sie bereute ihre unüberlegte Frage.
„Ich ... ja. Ich bin eingesperrt worden, für Diebstahl. Aber den hatte ich nicht begangen. Ich war der fremde Sündenbock. Aber ... ich war auch ...“ Kazel griff sich an die Stirn und sie blieb besorgt stehen.
„Kazel… ist schon gut! Meine Frage war unüberlegt und dumm!“, beeilte sie sich einzuwerfen, doch er war noch in seiner Erinnerungssuche gefangen:
„Ich weiß nicht mehr. In Gewahrsam? In Pelgar. Ich kann es nicht abrufen. Es fühlt ... sich nicht gut an. Lass uns über etwas Anderes sprechen.“ Sie nickte und in ihrem Gesicht spiegelte sich das schlechte Gewissen.
„Es tut mir leid!“, sagte sie mit aufrichtiger Stimme, die keinen Zweifel an ihren Gefühlen ließ. Sie gingen weiter und kamen dann zum See, der glücklicherweise für Ablenkung sorgte. Der Anblick war wunderschön und durchbrach die Stimmung, wie ein Lichtstrahl düstere Regenwolken.
Elodi lernte, dass das Leben ihres neuen Gefährten nicht leicht gewesen war. Selbst die Erinnerungen, die ihm noch erhalten geblieben waren, sprachen von einem steinigen Weg mit schmerzvollen Erfahrungen.
In Gedanken versunken sah sie ihn von der Seite an. Der Wind strich sanft durch sein dunkles Haar, während seine Augen den wunderschönen Anblick des Sees betrachteten. Sie konnte nicht umhin erneut zu erkennen, dass er ein sehr gutes Herz zu besitzen schien, was nach alldem, was sie erfahren hatte, keine Selbstverständlichkeit war. Ohne es selbst zu registrieren, hob sie ihre freie Hand und berührte mit dieser sanft seine Wange. Dafür war sie einen Schritt vor ihn getreten und eine Weile musterte sie einfach nur seine tiefblauen Augen. Bis ihre Miene sanfter wurde und ihre Lippen ein feines Lächeln zierte.
„Ich freu mich, dass wir uns nun kennengelernt haben!“ Und daraufhin begann dann Elodi zu erzählen. Auch in ihrer Vergangenheit waren schmerzvolle Erfahrungen verborgen. Das schienen sie wohl gemeinsam zu haben.
Sie erzählte Kazel von ihren Verlusten und ihrer Trauer und gewährte ihm dabei einen kleinen Einblick in ihre Seele. Und wenn er nun noch einmal darüber nachdachte, wieso sie nicht seine Erinnerungen hatte aufgeben müssen, würde er vielleicht darauf kommen: Sie besaß keine Beziehungen, vor denen sie eine Grenze hätte einhalten müssen. Elodi war trotz ihrer eigentlich offenen und fröhlichen Art … alleine! Und sie schien gelernt und akzeptiert zu haben, dass das Leben und der Tod zwei Seiten derselben Medaille waren. Sie war auf ihre ganz eigene Art und Weise tapfer und verschloss ganz natürliche und menschliche Gefühle in sich, die ihr als Schicksals Gesellin sowieso untersagt worden waren.
Elodi stand da, am See und schaute auf die blumengeschmückte Wasserfläche, doch war sie mit ihren Gedanken in ihrer Vergangenheit. Kazel konnte seinen Blick nicht von ihr nehmen. Verschiedenste Emotionen keimten in seinem Inneren auf und er spürte den Drang … für sie da zu sein! Er mochte ihr vielleicht nicht die Trauer oder die schlimmen Erinnerungen nehmen können, doch konnte er… anbieten dieses Leid mit ihm zu teilen. Sie würde es nicht mehr nur mit sich alleine ausmachen müssen! Er machte einen Schritt auf sie zu und zog sie sanft in seine Arme.
Erst, als sich sein warmer und zugleich leicht kühler Körper an den ihren schmiegte, kehrte sie aus ihren Erinnerungen bewusst zurück. Sie spürte, wie er sie leicht an sich drückte, wie er ihr Halt gab, obwohl sie ihre Beine nicht einmal im Stich ließen.
Einen Herzschlag lang war Elodi etwas überrumpelt und verwirrt, doch dann breitete sich das Gefühl nach Geborgenheit in ihr aus… das von ihm kam! Zögernd hob sie die Arme und legte sie auf seinen Rücken. Sie neigte ihren Kopf etwas, um ihre Stirn an seine Schulter zu legen und so ihren Blick zu verbergen, doch dabei spürte sie auf ihrer Wange die Nässe seiner Tränen.
„Das tut mir so leid“, presste er hervor und in seiner Stimme lag eindeutig Mitgefühl.
Elodi zog ihn nun seinerseits etwas näher. Ihr Herz hatte begonnen schneller zu schlagen und still verlor sie sich in diesem Augenblick, mit dem sie selbst nicht sofort umzugehen wusste. Kazels Reaktion erreichte ihr Herz – ganz eindeutig und seine Arme um sich zu spüren, weckte die Erinnerung an Empfindungen, die sie schon zu lange entbehrt und vergessen hatte.
Erst, als er sich nach einer Weile löste, um ihrem Blick zu begegnen, sah auch sie zu ihm auf. Wie gefangen sah sie ihn an, während er ihr mit seinen Fingern die Tränenspuren fortwischte, die er auf ihr hinterlassen hatte. Das war der Moment, an dem sie wieder ein wenig zu sich kam. Sie wurde verlegen und ihre Wangen, die schon zuvor leicht gerötet waren, nahmen noch etwas an Intensität zu.
Kazel hatte es geschafft Elodi aus dem Konzept zu bringen. Ihr Blick streichelte über sein Gesicht und ein gerührtes und dankbares Lächeln hellte ihre Miene auf. Dann lachte sie ein klein wenig – vielleicht aus Verlegenheit und um die Spannung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte, etwas zu entladen. Nun hob sie nun ihrerseits die Hände, legte sie auf seine Wangen und strich ihm die Tränen mit den Daumen fort.
„Du… weinst ja!“, merkte sie berührt an und schüttelte dann leicht den Kopf, als würde sie ihn beruhigen wollen. „Mir… geht es gut!“, versprach sie, ehe sie – etwas zögerlich – mit ihrer Erzählung fortfuhr und ihm offenbarte, dass sie bedingt das zweite Gesicht besaß. Das war etwas, was er wissen sollte – zumindest schien sie das zu glauben.
Noch immer lagen ihre Hände auf seinen Wangen, doch nun löste sie diese langsam. Der verlorene Hautkontakt hinterließ eine merkwürdige Kühle auf ihren Handflächen, wodurch ihr die Nähe bewusst wurde, die sie in diesem Moment zueinander aufgebaut hatten. Und wieder spürte sie eine leichte Verlegenheit, durch die sie den Drang verspürte, sich für die erfundene Geschichte und darin erwähnte Nähe zueinander zu entschuldigen. Vielleicht hatte sie ihn damit in eine unangenehme Situation gebracht!?

Diese Sorge und sich bildende Zweifel erstickte Kazel im Keim. Der junge Mann schüttelte mit dem Kopf und erklärte, mit einer Überzeugung, die ihn vielleicht selbst überraschte:
„Nein, das braucht dir nicht leid tun. Du hast das alles mit dir herumgetragen und keinen zum Reden gehabt. Du hast Recht, es wird ab sofort leichter werden.“ Elodis Geschichte hatte ihn im Herzen berührt. Er sah, dass sie mit alldem vollkommen alleine gewesen war und wollte nun mit all seiner Seele und seinem Sein für sie da sein. Er wollte: „Ich bin jetzt hier. Ich bin Familie - ab jetzt.“
Die Blicke der beiden blauen Augenpaare waren ineinander gewoben. Elodi war von Kazels Entscheidung und seiner Entschlusskraft so überrascht, dass sie sprachlos geworden war. Und doch sah man ihr an, dass seine Worte in ihr Innerstes drangen und fähig waren, ihr Herz zu umschmeicheln. Familie…! Bewusst besaßen sie beide keine, wenn man von den Entitäten einmal absah. All jene, die Elodi einmal etwas bedeutet hatten waren tot und Kazel besaß an seine – kleine und selbst noch recht neu entstandene Familie, keine Erinnerungen mehr. Diese hatte er aufgegeben, zum Wohle Celcias…
„Ich bin mit Kion und dir im Waisenhaus aufgewachsen. Wir haben gespielt, gelacht und uns gegegenseitig unterstützt. Wir haben den Jüngeren geholfen und waren unzertrennlich. Es war nicht die Hitze, die mich weckte, sondern die Schreie jener, die im Feuer den Tod fanden. Ich versuchte, die anderen zu retten, blieb aber erfolglos. Der Rauch war zu dicht, die Flammen zu heiß. Ich konnte nur noch mich selbst retten. Dann ... verließ ich Santros voll Trauer und im Glauben, nicht nur mein Heim, sondern auch dich und Kion verloren zu haben. Erst Jahre später kehrte ich zurück und es dauerte noch etwas länger, bis ich erfuhr, dass du lebst ... bis ich erfuhr, wo du bist. Das Grasland. Ich machte mich auf den Weg, aber dann verlor ich mein Gedächtnis durch...Ein Überfall? Schlechtes Wetter? Ich bin vom Pferd auf einen Stein gestürzt? Etwas in der Art. Wichtig ist, dass man mich fand und zu dir brachte - weil du Feldschwester bist.“ Elodi schwieg noch immer, hing aber geradezu an seinen Lippen und sog jedes Wort in sich auf. Sie musterte den jungen Mann vor sich, der voll Entschlossenheit von ihrer gemeinsamen Vergangenheit erzählte, die so nie in Wirklichkeit stattgefunden hatte.
„Das Schicksal wollte, dass diese Feldschwester meine verloren geglaubte Freundin aus Kindertagen ist. Die mich nun aufgenommen hat, meinen Gedächtnisverlust überwacht und bei der ich vorerst bleiben will, falls sie mich lässt.“ Die Erwähnung des Schicksals schien noch einmal eine neue Reaktion in ihr hervorzulocken. Elodi hielt leicht die Luft an, ließ aber zu, dass er etwas Abstand zwischen sie brachte.
„Das einzige Problem könnte werden, wenn mich jemand Dinge über Santros fragt. Mehr als den Namen weiß ich nicht und den hab ich von dir. Ich könnte nicht einmal beschreiben, in welcher Richtung Celcias es liegt. Aber vielleicht ... hab ich das einfach vergessen. Wäre das glaubwürdig?“ Tatsächlich zwinkerte Kazel, was für den Mischling eigentlich eine recht unübliche Geste war, was Elodi jedoch nicht wissen konnte. Allerdings brachte dieses Zwinkern sie dazu, ihren gebannten Zustand zu verlassen. Sie atmete endlich weiter und ihr Blick huschte zwischen seinen Augen hin und her, ganz so, als würde sie noch nicht ganz glauben können, wie schnell und gut er sich an diese ungewöhnliche Situation angepasst hatte.
Dann…ganz langsam, breitete sich ein Lächeln auf ihren Lippen aus.
„Das Schicksal, also…!?“, wiederholte sie, jedoch verriet ihr Ton, dass dies mehr eine Aussage, als Frage war. Was Elodi in dieser Aussage fand, blieb verborgen, doch schien sie die Vorstellung glücklich zu machen.
„Ich glaube es wäre einfacher, wenn wir sagen, dass wir in der Nacht des Brandes gemeinsam nach Kion suchten und ihn fanden. Danach… blieben wir zusammen“, begann sie und griff erneut nach seiner Hand, um ihre Finger miteinander zu verflechte, als würde sie ihren Worten dadurch noch einmal mehr Gewicht verleihen wollen „aber, weil wir nun kein Zuhause mehr hatten, mussten wir uns Arbeit und Anstellung suchen, um zu überleben. Dadurch konnten wir die ersten Jahre nicht mehr zusammenwohnen. Ich lernte und arbeitete in der Apotheke von Santros. Du… was könntest du in Santros gearbeitet haben?“ Sie sah ihn fragend an, denn sie wusste nicht, in welchem Bereich er gut war und was er sich vorstellen könnte. „Auf jeden Fall könnten wir sagen, dass wir uns trotz unterschiedlicher Wohnsitze so oft wir konnten besucht hatten – meist an den Abenden, vielleicht am Hafen, oder den Stränden!“ Kazel konnte ihr ansehen, dass sie sich diese Szenarien gut vorstellen konnte. „Mit etwa 18 Jahren, könnten wir wieder zusammengezogen sein. Allerdings lernte ich … um diese Zeit die Feldschwestern kennen und begab mich daraufhin immer wieder für einige Wochen auf Reisen. Du könntest mich dabei begleitet haben. Das ist nicht so unüblich, wie manche meinen. Oder… du könntest natürlich auch etwas Anderes gemacht haben und wir trafen uns dann immer wieder, wenn ich zurückkehrte! Aber, als ich dieses Mal entschied länger hier zu bleiben, hast du dich dazu entschlossen mir hier her zu folgen. Allerdings gerietest du unterwegs in ein Unwetter und wurdest dabei krank, so dass ich dich, als du ankamst, erst einmal wieder gesund pflegen musste!“
Ihren Vorschlag vorstellend gingen sie wieder ein Stückchen weiter, bis sie einen großen Stein erreichten, auf dem sie sich niederlassen könnten. Die Kühle der Jahreszeit verlor durch die wärmenden Sonnenstrahlen an Kraft, was es sogar möglich machen würde, sich ein Weilchen zu setzen, ohne zu frieren.
„Ich glaube es wäre nicht so gut zu erwähnen, dass du dein Gedächtnis verloren hast. Das weckt oftmals mehr Interesse, als man haben möchte. Und da dich hier niemand kennt, sollte es niemanden auffallen, dass dem wirklich so ist.“
Elodi sah wieder zu ihm und suchte in seinem Blick um Einverständnis. Sie waren beinahe gleich groß, doch überragte sie Kazel doch um ein bis zwei Zentimeter.
„Über Santros kann ich dir noch alles erzählen, wenn du willst. Aber, wenn dich jemand fragt übergeh das Gespräch einfach, indem du sagst, dass du den Fischgeruch vom Hafen nicht wirklich vermisst!“ Lächelnd ließ sie ihren Blick zum Ufer des Sees wandern. „Santros ist nämlich eine Hafen- und Handelsstadt! Dort treffen auch viele verschiedene Völker aufeinander, von daher ist es gar nicht mal so anders, als im Dorf!“ Elodi merkte in diesem Moment nicht, dass Kazel sich in Gedanken an seinen Lehrmeister wandte. Der Mischling hatte bereits begonnen seine neue Rolle einzunehmen. Er sah es merkwürdigerweise nicht einmal nur als Rolle, sondern wollte Elodi wirklich… eine Familie sein. Durfte er das überhaupt? Oder hätten Tod und Schicksal auch bei dieser Beziehung etwas einzuwenden?
So oder so, er wollte den Versuch nicht ungenutzt lassen, den Gevatter nach dem verstorbenen Bruder – Kion zu fragen:
Ich nehme an, nach all den Jahren ist es zu spät, nach Kion zu fragen, oder? Ist er noch auf Kata Mayan oder hat sich seine Seele bereits aufgelöst, um Teil der unzähligen Sandkörner an deinem Strand geworden zu sein, bis diese sich zur Lebenszeit eines neuen Wesens formen? Elodi ... sie sollte die Chance bekommen, sich zu verabschieden, wenn es noch möglich ist. Wenigstens das.
Eben Erwähnte ahnte nichts von Kazels Versuch ihr ein Wiedersehen mit ihrem Bruder zu ermöglichen. Sie bemerkte allerdings, dass er plötzlich in sich gekehrt wirkte und begriff offenbar, dass er sich wieder in einem Gespräch mit Tod befand.
Dieser antwortete seinem Schüler auch nach ein paar Sekunden:
Er ist nicht auf Kata Mayan. Aber die Frage sollte sein, ob du nach ihm fragen solltest! Auch, wenn sie Schicksals Gesellin ist, gelten für sie dieselben Regeln, Kazel. Tod schien von der Herzensgüte und der Frage seines Schülers dennoch nicht überrascht zu sein. So war er eben und dieser Wesenszug war dem Gevatter wohl bekannt:
Du kannst nicht jedem seine Wünsche nach einem Abschied gewähren. Dafür sind es viel zu viele Seelen, die ich Tag für Tag, Stunde für Stunde, auf die andere Seite begleite. Und eine Ausnahme bedeutet gleichzeitig, dass du anderen dieses Privileg verweigerst! Wie willst du entscheiden, wem eine solche Ausnahme gewährt und wem verwehrt werden soll?, fragte Tod ihn geduldig. Er verstand die Denkweise von Kazel und doch musste er ihn mit der Schattenseite dieser Position konfrontieren. Ein gutes Herz war Voraussetzung für ihre Arbeit – doch war eben dieses, Schwachstelle und Risiko zugleich. Es machte die Arbeit um ein Vielfaches … schwerer!
„Kazel…?“, sprach ihn nun Elodi wieder an, die ihn offenbar eine Weile beobachtet hatte. Sie schien ein wenig besorgt, was ihr Griff um seinen Arm verdeutlichte.
Würde sie ihn nach Kion, oder der Möglichkeit fragen, diesen durch ihn wiederzusehen? Sich verabschieden zu können? Bisher hatte sie nichts dergleichen versucht. Sollte er es dennoch versuchen, oder sollte er einen anderen Weg finden für sie da zu sein?
Sie kommt klar, meinte nun Tod, der sich daraufhin wieder zurückzog.
Elodis blauer Blick lag musternd auf Kazels Gesicht. Sie wusste nicht, was gerade in dem anderen Gesellen vor sich ging, doch vielleicht spürte sie eine gewisse Anspannung.
Es war merkwürdig, doch es schien so, als hätte sich zwischen ihnen bereits etwas entwickelt. Sie kannten sich im Grunde erst ein paar Stunden und doch begannen sie bereits damit sich umeinander zu kümmern, zu sorgen… füreinander da sein zu wollen. Lag das an ihrem kleinen Schwindelkonstrukt? Oder daran, dass sie beide Weltenspringer waren?
„Es ist ganz schön viel, nicht wahr?“, fragte sie ihn leise und mit einem verständnisvollen Ausdruck. Auf Kazel war in kurzer Zeit viel an Informationen und Änderungen eingestürzt. Sie vermutete offenbar, dass er daran zu knabbern hatte, was vollkommen verständlich wäre! Für einen Moment wirkte sie etwas unsicher, bis sie einen Schritt machte und ihm ihre Arme um den Nacken legte – ihn so noch einmal in eine Umarmung zog. Elodi schmiegte ihren Kopf seitlich an seinen und schloss für einen Moment die Augen.
„Was auch kommen mag… ich helfe dir und bin für dich da!“, versprach sie ihm und zögerte die Umarmung noch einen Moment hinaus, ehe sie sich langsam begann wieder zu lösen, auch wenn sie nicht so wirkte, als hätte sie etwas dagegen ihm noch etwas länger nah sein zu können.
„Sollen wir noch ein wenig hierbleiben? Oder möchtest du langsam zurück ins Dorf und dort alles kennenlernen?“, fragte sie und würde Kazel die Entscheidung überlassen.
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Kazel Tenebrée
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Montag 24. Juni 2024, 10:29

Kazel kannte bis zum heutigen Tag den Begriff des Weltenspringers nicht, obwohl er nun schon einige Zeit unter die Fittiche des Gevatters geraten war. Jener hatte ihn schließlich auch bereits vom Lehrling zum Gesellen befördert, aber das war auch das Mindeste, nachdem jener beinahe nicht nur seinen Verstand, sondern auch seinen sterblichen Körper und das eigene Stundenglas mit Lebenszeit verloren hatte. Für seine selbstlose Tat, die dazu führte, einen Dämon daran zu hindern, nach Celcia zu gelangen und den Sterblichen ihre Lebenszeit zu stehlen, war er sogar von sämtlichen celcianischen Göttern belohnt worden. Er hatte seine eigene Zeit zurückerhalten, als weißer Sand geborgen in einem Stundenglas, das von allen Entitäten zusammen geschmiedet worden war. Wenn Kazel noch in der Lage wäre, seine eigene Zeitenuhr zu sehen, würde er definitiv die verschiedenen Nuancen erkennen, die jede Gottheit darin hatte einfließen lassen. So blieb sie ihm verborgen, ebenso wie das Wissen, dass er es schon häufiger mit ihnen - oder Teilen von ihnen - zu tun bekommen hatte. Aber er erinnerte sich nicht an seine Vergangenheit, ganz im Gegensatz zu Elodi und das fiel ihm irgendwann auf. Eine Antwort hatte die junge Frau darauf nicht. Beide konnten nur spekulieren. Sie war jedoch davon überzeugt, dass Tod und Schicksal sich sehr bewusst für diesen Schritt bei Kazel entschieden hatten. Entweder besaß er zu viele Verbindungen zu anderen, die ob seiner Bestimmung nun gekappt werden mussten oder er hatte sich in derart großer Gefahr befunden, dass dies der einzige Ausweg für sein eigenes Seelenheil gewesen wäre. Nicht jedes Erlebnis ließ den Geist unbeschadet zurück. Dass beide höheren Wesen dem Mischlingselfen dadurch auch eine enorme Last an Wissen von den Schultern nahmen, die gerade in jüngster Zeit schwerer wog als sonst etwas und er sich dennoch durch seine Pflichten gebissen hatte, darauf konnten weder er noch Elodi kommen. Kazel spürte nur, dass Vergessen auch Leichtigkeit mit sich brachte. Er besaß die Chance, ganz Celcia neu und vor allem urteilsfrei zu entdecken. Er war fast so undschuldig wie ein Neugeborenes, konnte die Welt aber mit gleichem Staunen nun genießen. Er tat es. Gerade der Spaziergang mit Elodi bis an den See und das Gewässer selbst weckten seine Lebensgeister. Er fühlte sich deutlich zufrieden, so dass auch sie es sehen konnte. Seine Zügen waren glatt, weich, sein Blick offen. Auch wenn sie ihn bislang eher nur necken wollte, stimmte es, was Elodi ständig sagte: Er war durchaus ein hübscher Kerl.
"Gibt es einen oder mehrere Götter, zu denen du betest - oder gebetet hast?", war nur eine von vielen Fragen, durch die beide Weltenspringer ihr Gespräch am Laufen hielten. Aber auch wenn sie schwiegen, entstand bei ihnen nicht diese peinlich berührte Stille. So unterhielten sie sich nicht, um jene aufkommen zu lassen, sondern weil sie wirklich an den Antworten des jeweils anderen interessiert waren.
"Als jemand, der in Morgeria aufgewachsen ist, hab ich auch den dort vorherrschenden Glauben anerzogen bekommen. Faldor und Manthala." Kazels Blick glitt über den See. Wäre es ein Naturschauspiel des düsteren Gottes, würde hier Blut statt Wasser die Umgebung tränken. Aber er sah kurz gen Himmel auf. Nachts lächelte Manthalas Antlitz auf Celcia herab. Jetzt aber wärmten die Strahlen der Sonne das Land. "ich weiß aber auch von ihrem unliebsamen Bruder Lysanthor. Ihm gehört die Sonne." Dass er sich für dessen Weisen eine Zeit lang sogar so weit interessiert hatte, dass er sich fast von der Bruderschaft des Lichts aus Pelgar hatte einspannen lassen, lag in den verlorenen Erinnerungen verborgen. Nach dem Angriff und der Eroberung der dunklen Völker dürften zumindest Kazels Kontakte in Pelgar auch allesamt nicht mehr Leben. Er hatte gehofft, aber es hatte düster ausgesehen. Auch diese Last war ihm genommen worden. Jetzt genoss er den leichten Wind, Elodis warme Hand in der seinen und die Schönheit des Tages. Er lächelte leicht.
Plötzlich berührte eine Zärtlichkeit seine Wange, dass er sich instinktiv schon dagegen neigte, ehe er wusste, woher sie kam. Es handelte sich um Elodis Finger, die sanft an seiner Haut entlang strichen, während sie vor ihn getreten war und ihm nun tief in die Augen schaute. Er erwiderte den Blick, so dass ihr Gespräch für eine Weile gleichermaßen still stand wie die Welt um beide herum. Sie musterten einander und das genügte vollkommen. Kazels Lächeln schwand nicht. Ihm stieg lediglich erneut eine seichte Röte in die Wangen.
Beides schwand, als Elodi und er begannen, ihren gemeinsamen Hintergrund aufzubauen. Die Geschichte der Feldschwester erschreckte Kazel. Sie rührte ihn sogar zu Tränen, so dass er aus bloßem Mitgefühl den weichen Frauenkörper in die Arme zog. Es war jedoch Aufrichtigkeit, die ihn dazu bewog, eine Entscheidung zu treffen. Elodi hatte ihr Schicksal in Einsamkeit verbracht. Jenes Schicksal hatte Kazel zu ihr geführt, mit ein wenig Hilfe von Gevatter Tod. Es wurde Zeit, dass die Einsamkeit durchbrochen wurde und so ernannte er sich kurzerhand zu Elodis neuer Familie. Er würde für sie da und dabei mehr sein als ein einfacher Fremder, mit dem sie fortan zusammenarbeiten sollte. Er wünschte sich das, auch damit er selbst einen Anker in seiner neuen Welt besaß.
Erneut fühlte er ihre Finger an seiner Wange. Elodis Daumen befreiten seine Haut von der Salzspur der eigenen Tränen. "Du ... weinst ja!" Sie schüttelte leicht den Kopf. Kazel aber schämte sich nicht dafür, dass sie es bemerkt hatte. Er wurde oft rot unter ihren Worten, gerade wenn sie ihn selbst betrafen, aber jetzt konnte er vollkommen unberührt davon zu diesen Tränen stehen. "Ich werde meine Gefühle nicht verbergen", teilte er ihr mit. Er klang dabei so entschieden, dass sich vielleicht heraushören ließ, dass die Worte im Grunde nicht nur für sie bestimmt waren. Schicksal hatte ihm angeraten, emotionale Distanz zu wahren - zu den Lebenden! Kazel hatte angedeutet, dass ihm das schwerfallen würde. Jetzt entschied er sich, dass er nichts davon unterdrücken wollte. Er mochte sich nicht mehr daran erinnern, dass er Jahre lang eine selbst auferlegte Neutralität gelebt hatte, dass man ihm die Seele zeitweise entrissen und er quasi ohne Emotionen gedacht und gehandelt hatte, aber nur weil sein Geist es vergessen hatte, löste sich die Spur nicht unbedingt von seinem Sein. Etwas in ihm sagte ihm, dass er sich seine Gefühle niemals wieder - weder im Leben noch darüber hinaus - nehmen lassen wollte. Sie machten ihn aus, unterstrichen seine Persönlichkeit, unabhängig ob im Positiven oder Negativen. Er wollte und würde diesen Teil seiner selbst weder einsperren noch aufgeben. Dazu zählte eben auch, seine Gefühle in Form von Nähe auszudrücken, von Zugehörigkeit und dem Angebot, Leid zu teilen. Nur deshalb hatte er Elodi anbieten können, für sie Familie zu werden. Und nur deshalb war er bereit, einen ausgedachten Hintergrund zu leben, weil er eigentlich keinen eigenen mehr besaß.
Gemeinsam mit ihr sponn er sich seine Vergangenheit zusammen. Elodi schlug jedoch vor, dass es nicht nötig wäre, anderen von seiner Amnesie zu erzählen. Grundlegend fand sie seine Geschichte gut, zupfte hier und da aber noch die Fäden etwas zurecht, bis das Gebilde aus ihrer Sicht stimmiger wäre. Kazel nickte es ab, denn ihm war es einerlei. Er befürchtete lediglich, bei Fragen nach Santros in die Mangel genommen werden zu können, weil ihm nicht mehr darüber geläufig war als der Name selbst.
"Ich lernte und arbeitete in der Apotheke von Santros. Du ... was könntest du in Santros gearbeitet haben?"
Kazel hob hilflos die Schultern. "Ich habe im Grunde nie etwas gelernt, außer auf mich gestellt zu überleben ... draußen. Ich kann ein wenig mit dem Dolch umgehen, bin passabel darin, Wurfsterne zu führen, aber ich muss keiner Profession nachgehen. Wahrscheinlich hab ich mich als Tagelöhner durch Santros geschlagen und alles versucht, nur um am Ende des Tages einen Unterschlupf und einen vollen Magen zu haben." Er konnte keinen erlernten Beruf vorgaukeln, das funktionierte nicht. Sonst erwartete man von ihm Kenntnisse und Fähigkeiten, die er nicht an den Tag legen könnte und schon würde er auffliegen. Es waren nicht die besten Aussichten, aber Kazel konnte die Welt weniger negativ sehen. Er machte das Beste aus seiner Situation. "Auf diese Weise bin ich in der Siedlung beim Aufbau vielseitig einsetzbar", schmunzelte er. "Oder ich helfe dir einfach im Haushalt, damit du dich auf deine Arbeit konzentrieren kannst. Ich ... kann kochen." Er war nicht perfekt und jede Meisterküche würde ihn nun wohl ob seiner Behauptung auslachen, aber er hatte gerade in der Zeit mit Janay mehrmals für Essen sorgen müssen. Für die einfache Haushaltsküche würde es mehr als reichen. Er wäre vermutlich sogar in der Lage, ein Rindvieh oder ein Schwein zu schlachten, auch wenn er sich damals eher von Kleintier wie Kaninchen ernährt hatte. Ihr Fell abziehen, sie ausnehmen und die guten Fleischstücke zubereiten beherrschte er und würde es auch anwenden können, sobald man ihn dazu aufforderte. Sein Körper kannte die Handgriffe und würde in eine Routine zurückkehren, wenn sie abgefragt würde.
Somit stand der Hintergrund fest. Es gab nur eine Sache, die ihn noch nicht ganz losließ und das war Kions Ableben. Kazel dachte als Geselle des Gevatters natürlich in ganz anderen Bahnen. Nämlich, dass es ihm vielleicht noch möglich wäre, für Elodi den Kontakt zu ihrem Bruder aufzubauen und sei es nur, damit sie sich von ihm würde verabschieden können. Kazel schweifte gedanklich ab, kehrte in ein geistiges Zwiegespräch und rief seinen Meister auf den Plan. Er meldete sich sofort. Kazel dankte der Kühle, die durch sein Innerstes lief, als er die knöcherne Stimme wahrnahm. Es beruhigte ihn immer wieder auf's Neue. Leider hatte er nichts Gutes für Kazel zu verkünden.
Er ist nicht auf Kata Mayan. Aber die Frage sollte sein, ob du nach ihm fragen solltest! Auch wenn sie Schicksals Gesellin ist, gelten für sie dieselben Regeln, Kazel. Du kannst nicht jedem seine Wünsche nach einem Abschied gewähren, versuchte er es zu erklären im Wissen, dass sein Schützling sich nur schwer mit dieser Tatsache anfreunden konnte. Er hatte Recht. Sowohl im Geiste als auch in der Reatlität legte sich Schermütigkeit über ihn, so dass Elodi bemerkte, dass den in sich gekehrten Mischling etwas beschäftige, das ihm nicht gefiel. Sie interpretierte Überforderung, aber sie ahnte auch nicht, wofür er gerade kämpfte.
Eine Ausnahme bedeutet gleichzeitig, dass du anderen dieses Privileg verweigerst! Wie willst du entscheiden, wem eine solche Ausnahme gewährt und wem verwehrt werden soll?"
Weil ich Elodis Geschichte gehört habe und etwas ändern könnte, wenn ich mir die Zeit für diese Ausnahme nehme. Und das würde er. Kazel hatte sogar schon eigene Lebenszeit geopfert, um derartige Ausnahmen herbeizuschaffen. Er hatte 11 Minuten seines Daseins auf Celcia geopfert, um 40 mal 40 Frauen von ihrem düsteren Schicksal als misshandelte Geburtenmaschinen zu erlösen, denn wenn er die Zeit in diesem Moment nicht verlangsamt hätte, wäre es ihm unmöglich gewesen, sie alle zu retten. Tod wusste, dass er nur allzu schnell und bereitwillig war, etwas zu opfern um anderen zu helfen ... oder Ausnahmen zu schaffen.
"Kazel...?" Elodi durchbrach das Zwiegespräch, indem sie ihn versuchte, zu sich zurückzuholen. Sie lockte nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch durch sanften Druck, den sie an seinem Arm ausübte. Er hatte keine Chance, Tod weiter zu drängen oder zu verhandeln. Der Gevatter beendete das Gespräch: Sie kommt klar.
Kazel nahm es hin, ließ sich abwimmeln, aber nicht ohne seinem Meister etwas zum Denken mit auf den Weg zu geben. Denn nicht nur Elodi war tapfer und durchlebte standhaft die Ewigkeit in Einsamkeit, zum Wohle Celcias. So wie ... du? Oder Schicksal?, richtete er seinen letzten Gedanken folglich noch einmal nach innen, ehe er ins Hier und Jetzt zurückkehrte. Er blinzelte und schaute Elodi direkt an. Sie sah besorgt aus, also hob er zaghaft die Mundwinkel, um ihr jegliche Unsicherheit nehmen zu wollen.
"Es ist ganz schön viel, nicht wahr?", interpretierte sie seinen Zustand, da sie möglicherweise eigene Erfahrungen auf ihn projizierte. Und ja, sie musste vollkommen allein gewesen sein im Gegensatz zu ihm. Sie hatte noch tapferer sein müssen als er jetzt. Umso wichtiger wäre es ihm gewesen, ihr mit einem letzten Abschied von Kion ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern und das schwer gewordene Herz einmal hüpfen zu lassen. Doch es war Elodi selbst, die sprang. Plötzlich schlang sie ihre Arme um Kazels Nacken, zog sich an ihn heran und streichelte mit ihrer Wange die seine. Nun war er der Überrumpelte, aber nicht lang. Dazu war ihr Körper zu weich, zu warm und seiner reagierte prompt auf die angenehme Wärme. Wie von selbst legte er die Hände an ihre Hüften, damit sie bloß nicht auf die Idee käme, sich nun von ihm zu lösen.
"Was auch kommen mag ... ich helfe dir und bin für dich da!"
Er lächelte auf, schnaufte. "Das ist es nicht", entgegnete er. "Also ... ich meine, ich freue mich darüber. Sehr sogar. Es ist nur ..." Er zögerte. Warum sie nun damit belasten, Zugang zu Kion zu schaffen, wenn Tod es ihm nicht gewährte? Sie würde kurz Hoffnung hegen, nur um sie zerschmettert zu bekommen und das würde Elodi in einem schlimmeren Zustand zurücklassen als jetzt. Kazel entschied sich dagegen. "Schon gut", meinte er. "Ich danke dir einfach. Ich glaube, ich bin das einfach nicht gewohnt, dass jemand ... so lieb zu mir ist." Im Grunde war er es schon, sehr sogar. Denn er hatte die Liebe Janays und die Freunschaft von Zissus erfahren dürfen. Beide aber existierten niemals für ihn. Kazel hatte sie vergessen. Er erinnerte sich nur noch an einen Mangel aus Liebe. An Vernachlässigung durch die eigene Mutter, weil er ihr schlichtweg egal gewesen war, bis seine Haut durch die hellere Farbe das Mischlingsblut offenbarte. Dann war er noch tiefer gefallen. Doch in Kazel blieb all das Wissen schmerzfrei zurück. Es war wie Fakten über Pflanzen aus einem Naturkundebuch zu entnehmen. Er wusste darum, aber es berührte ihn nicht tief. Es war einfach wie es war und Kazel stand blieb aufgrund der gekappten Verbindungen zu allem, die ihm je das Gegenteil bewiesen hatten, dass er ein Leben ohne Liebe, Zuneigung und Fürsorge erhalten hatte. Niemand scherte sich um ihn, so glaubte er. Dass sein Körper es anders wusste, bewies er, weil seine Umarmung nicht unbeholfen war und weil seine Hände sich so schlicht ohne Scheu an Elodis Leib gelegt hatten. Weil sein Leib vertrauten Routinen folgte, an deren Ende immer etwas Gutes gewartet hatte. So ließ er sich von diesen Bewegungen erneut leiten. Seinen Worten folgte eine Tat, rein aus einem Reflex heraus. Kazel drehte den Kopf und spitzte die Lippen. In Zeiten, in denen er Janay umarmt hatte, war es immer ein Hochgefühl, sie dabei auch zu küssen. Es gehörte dazu, hatte sich antrainiert, weil es schön war. So suchte sein Leib auch jetzt die gewohnten Pfade, suchte den Kuss. Kazels Lippen legten sich auf zarte Haut. Er hätte sich schon erschreckt, wenn er dabei nur Elodis Wange getroffen hätte, ihr Ohr oder die Schläfe. Doch sie musste sich ja in jenem Moment ausgerechnet ein wenig drehen. Weit genug, dass er die Süße ihrer Lippen schmecken konnte.
Kazel erstarrte. Sein Mund verharrte an ihrem. Sein Blick war gebannt auf sie gerichtet. Sämtliches Blut in seinem Körper verteilte sich nun von den Wangen bis in seine Ohrspitzen. Dann griff der Verstand ein und teilte ihm mit, was er gerade getan hatte. Mit einem Japsen zog Kazel sich von ihren Lippen zurück, dass es auf den seinen eine seltsame Kühle hinterließ. Sein gesamter Körper kribbelte vor Sehnsucht. Er wollte mehr.
"I-ich... e-es ... d-das, ich meine... ich...", stammelte er und hatte ihre Frage überhaupt nicht gehört. Doch die Antwort wäre klar: Er würde lieber noch mehr Zeit allein mit ihr verbringen. Sein gesamter Leib schrie danach. Außerdem fühlten sich seine Beine gerade ohnehin zu weich an, als dass er glaubte, auch nur einen Schritt mit ihnen gehen zu können. Gleichzeitig wollte er sich aber auch einfach nur umdrehen und so weit fortrennen wie möglich, nur um sich irgendwo im Erdboden zu vergraben. Er hatte sie geküsst! Vielleicht würde er es sogar noch einmal tun, wenn sein wilder Herzschlag weiterhn so heftig gegen seine Brust hämmerte, dass er damit den Rest von Kazel erneut in ihre Richtung bewegte. In Richtung dieser weichen, süßen, rosigen Lippen...
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 26. Juni 2024, 21:41

Sowohl Kazel, als auch Elodi sprachen miteinander, als würden sie einander schon deutlich länger kennen, als nur ein paar Stunden. Zwischen ihnen bestand eine Vertrautheit, die schwer zu erklären war und erst recht nicht zu begründen. Sie waren quasi Fremde und doch bestanden Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, die wie eine Brücke wirkte und den Zeitfaktor dadurch ausglich.
Sie begegneten sich offen und neugierig – wollten einander kennenlernen und wissen, wie der andere so war und was er erlebt hatte. Elodi fiel es natürlich einfacher von ihrem Leben zu erzählen, denn sie besaß noch all ihre Erinnerungen, ganz im Gegensatz zu Kazel. Doch einiges über sich selbst wusste auch er noch und so lernte die junge Menschenfrau zum Beispiel, dass er in Morgeria aufgewachsen und mit dem dort vorherrschenden Glauben an Faldor und Manthala, erzogen worden war.
Kazel wusste nicht, dass er auch diesen Gottheiten bereits begegnet war – sogar einen Pakt mit einer von ihnen geschlossen hatte, um den Segen des erholsamen Schlafes zu erhalten, der ihm ansonsten durch seine schweren Erfahrungen verwehrt geblieben wäre.
Dieses Abkommen schien nun nicht mehr zu existieren und die Göttin ließ dies offenbar kommentarlos zu.
Elodi lächelte leicht. „Ich wurde mit dem Glauben an Venthas und Lysanthors groß!“, erzählte sie ihm und sah dabei ruhig zum blauen Himmel, über den sich hier und da eine watteähnliche Wolke schob. „Mittlerweile weiß ich nicht mehr so ganz, wie ich zum irdischen Glauben stehe. Es ist nun einfach … anders!“, gestand sie und schien für die Beschreibung kein passenderes Wort hätte wählen können. Alles war für sie beide anders geworden und würde es auch in Zukunft sein. Die Götter waren Teil der Welt, die ihnen immer weiter zugänglich wurde und dadurch würden sie früher, oder später und sicher immer öfter, auf diese stoßen. Wie sie es vermutlich schon getan hatten – nur, dass sich Kazel an nichts davon erinnerte!
Beide lernten die Unterschiede zueinander, doch sorgten sie nicht für Enttäuschung oder Distanz. Es war eher so, als würde jede neue Information den Drang wecken, mehr zu erfahren. Vielleicht zu verstehen, wie der andere die Welt durch seine Augen sah!
Ihre Finger waren miteinander verschränkt und immer wieder tauschten sie – scheinbar unbewusst und ohne die zeitlich erwartete Reihenfolge zu beachten, kleine Berührungen miteinander aus. Beiden schienen diese kleinen Gesten etwas zu geben, doch was, war ihnen vermutlich noch nicht so ganz klar.

Im Zuge der Besprechung über ihre gemeinsame Vergangenheit, offenbarte Elodi Kazel, was ihr im Leben geschehen war. Kazel erkannte mitleidig, dass die junge Frau, die ein so unbelastetes Lächeln besaß, schon viel Schmerz erlitten hatte und… dass sie mit diesem vollkommen alleine gewesen war. Vielleicht hatte sie später in Schicksal eine Art Beistand gefunden, so wie er in Tod, doch machte das noch immer einen Unterschied. Es existierte ein Loch im Leben der Rothaarigen, das Kazel … mit seiner Anwesenheit und seinem Beistand füllen wollte!
Von ihren Worten gerührt vergoss der Mischling sogar Tränen. Als Elodi eben diese entdeckte strich sie ihm diese liebevoll fort und schüttelte leicht mit dem Kopf, als wollte sie ihn beruhigen und sagen: Mach dir keine Sorgen! Ich komme mittlerweile damit zurecht!
Doch sah man ihr an, dass sie seine Reaktion rührte. Natürlich hatten auch andere schon gehört, dass sie einen Bruder gehabt und dieser verstorben war, doch bisher hatte nie jemand mehr getan, als die üblichen Anstands- und Beileidsbekundungen zu äußern. Kazel… war er offenbar der Erste, der dabei nicht nur Worte aussprach, sondern wirklich etwas empfand!
In eben diesem Moment schien es beinahe schon wirklich so zu sein, als wären sie Familie! Und Elodis Lächeln sprach wortlos aus, dass es ihr bereits jetzt gelang Kazel als eben diese zu sehen und akzeptieren.
Vielleicht lag es an den Umständen, doch verwoben sich ihre Schicksalsfäden dabei wie von selbst, als wären sie dafür geschaffen zusammen ein Muster zu bilden!
„Ich werde meine Gefühle nicht verbergen“, teilte er ihr auf ihre überraschten Feststellung mit, dass er um sie weinte. Und wieder – ganz leicht schüttelte sie mit dem Kopf, ihr blauer Blick, in dem sich ein ganz kleiner Spritzer grün gemischt zu haben schien, lag … fast ein wenig ehrfürchtig auf ihm.
„Das musst du auch nicht!“, bestätigte sie ihm leise und vielleicht ohne zu ahnen, dass Kazels Gefühle zugleich seine größte Stärke, als auch größte Schwierigkeit für sein Sein als Geselle darstellte. Auch sie wusste um die Forderung nach Neutralität, doch bedeutete das in ihren Augen nicht, dass man seine Gefühle deshalb verleugnen oder aufgeben musste.
„Ich bin es nur nicht gewohnt, dass sich jemand um mich solche Gedanken macht!“, fügte sie – ein wenig verlegen und nachdenklich hinzu und Kazel konnte auch ohne sie lange zu kennen sehen, dass sie der Typ Mensch war, der für andere da war und auf sich selbst weniger achtete. Sie stellte sich hinten an … doch gab es noch eine andere Seite, die ihm bisher verborgen blieb: Elodi war Schicksals Gesellin und als diese, war es auch ihre Aufgabe in das Schicksal einzugreifen. Doch was das bedeuten konnte… würde er noch lernen!

Die beiden sponnen weiter ihre gemeinsame Vergangenheit und einigten sich auf einige Abläufe und Details. Auch dabei lernten sie wieder mehr voneinander:
„Ich habe im Grunde nie etwas gelernt, außer auf mich gestellt zu überleben ... draußen. Ich kann ein wenig mit dem Dolch umgehen, bin passabel darin, Wurfsterne zu führen, aber ich muss keiner Profession nachgehen. Wahrscheinlich hab ich mich als Tagelöhner durch Santros geschlagen und alles versucht, nur um am Ende des Tages einen Unterschlupf und einen vollen Magen zu haben.“, schlug Kazel für seinen Werdegang vor, woraufhin Elodi kurz nickte.
„Ich finde, das ist schon eine Menge, das du kannst! Mit diesen Fähigkeiten wärst du in Santros gut zurechtgekommen und hättest vielfältig Arbeit gefunden. Das ist auch nichts, was irgendwie selten oder unüblich ist!“ Ihre Stimme klang munter und ihr Blick verriet, dass sie sich in Gedanken dieses Leben vorstellte!
„Auf diese Weise bin ich in der Siedlung beim Aufbau vielseitig einsetzbar“, sinnierte Kazel weiter, woraufhin sie zustimmend nickte. „Das ist prima! Im Dorf gibt es viele, die keine andere Berufung erlernt haben, als das Leben beim Militär. Ich denke, dass dich keiner dort hinterfragen wird, erst recht nicht, wenn du Einsatz zeigst und mit anpackst!“, versicherte Elodi, ehe Kazel noch einen weiteren Vorschlag machte.
„Oder ich helfe dir einfach im Haushalt, damit du dich auf deine Arbeit konzentrieren kannst. Ich ... kann kochen.“ Auf ihre Augen legte sich ein etwas überrascher Ausdruck, doch nicht weniger interessiert.
„Du kochst?“, fragte sie freudig und betrachtete sein dabei sein Profil. „Ehrlich gestanden… beherrsche ich nur ein paar Gerichte und bin ansonsten nicht die beste Köchin! Ich backe gerne und ganz passabel, aber wenn man von mir ein neues Gericht erwartet … uh… ich schaff es immer wieder etwas anbrennen zu lassen!“ Elodi sah bei dieser Beichte ein wenig peinlich berührt drein.
„Aber in meinem Leben musste ich in der Regel nur für mich, oder für Patienten kochen und dafür nutze ich immer schnelle, unkomplizierte und einfache Gerichte. Besonders Erkrankte dürfen oftmals keine schwere Kost zu sich nehmen.“

So floss ihr Gespräch dahin, wie ein klarer Gebirgsbach. Nichts wirkte verfälscht oder verkrampft und Elodi zeigte, dass sie sich sichtlich wohl in Kazels Gegenwart zu fühlen schien. Vielleicht lernte er sogar eine Elodi kennen, die sonst niemand außer ihm und vielleicht Schicksal je kennenlernen würden.
Kazel fühlte zu ihr eine unerklärliche Anziehungskraft. Vielleicht, weil sie ihm sympathisch war – vielleicht, weil sie ganz hübsch war und sie in dem jungen Erwachsenen ganz besondere Bedürfnisse weckte!? Er konnte es nicht sagen! Er wusste nur, dass er für sie da sein wollte! Und so war der Gedankenschritt nicht weit, dass er Tod nach ihrem Bruder Kion fragte. Wenn Elodi die Gelegenheit bekäme mit ihm noch einmal in Kontakt zu treten – sich wirklich verabschieden zu können – dann würde er in ihrem Gesicht sicher ein glückliches Lächeln sehen!
Doch Tod erwies sich dieses Mal als harter Lehrmeister und sagte nichts, dass seine Hoffnung schürte. Eher im Gegenteil!
Während seiner gedanklichen Unterhaltung mit dem Gevatter verdüsterte sich sein Ausdruck und Schwermut befiel ihn. Hatte Elodi nicht solch eine kleine – und für ihn umsetzbare – Geste verdient? Wieso sollte er ihr nicht helfen?
Tod wies auf das Gleichgewicht und Gerechtigkeit der Masse gegenüber hin, doch Kazel begehrte gegen dieses Argument auf:
Weil ich Elodis Geschichte gehört habe und etwas ändern könnte, wenn ich mir die Zeit für diese Ausnahme nehme!“, argumentierte er und machte es Tod dadurch nicht ganz so einfach das Thema schnell fallen lassen zu können. Doch dieser wusste um diese … liebeswerte und in gewisser Weise auch ehrbare Macke seines Schülers.
Also haben nur die ein Anrecht darauf, die das Glück haben deine Aufmerksamkeit zu erregen? Auch der Gevatter konnte Gegenargumente liefern. Dennoch war es niemals so, als würden sie in einen Streit ausbrechen. Tod selbst sah man es nicht an, doch in seiner Stimme schwang sogar eine gewisse Heiterkeit mit. Es war nichts schlechtes, wenn Kazel und er über solche Themen debattierten.
Elodi, die von alldem nichts wirklich mitbekam, erregte Kazels Aufmerksamkeit, als sie ihn besorgt ansah und ein wenig Nähe aufzubauen begann. Und diesen Moment nutzte der ewige Begleiter das Gespräch zu beenden. Zumindest – wäre es nach ihm gegangen. Sein Geselle überraschte ihn mit einem letzten Einwurf, den er so nicht erwartet hätte:
So wie ... du? Oder Schicksal? Einen Moment lang wirkte es so, als würde Tod ihm schon nicht mehr zuhören und gedanklich anwesend sein. Doch dann erklang in Kazels Kopf ein knöchern-amüsiertes Lachen.
Guter Konter! geckerte der Skelettmann. Doch anders, als du nun vielleicht glauben magst, liegt es uns fern euch unseren Weg aufzuzwängen! Du wirst von ganz alleine verstehen lernen, dass das Leben noch einmal anders ist, als du es bisher siehst! Und dann verstehst du, dass es gefährlich ist, Ausnahmen zu gewähren! Elodis Griff um Kazels Arm wurde ein wenig fester, was offenbar Tod mitbekam.
Ich bin froh, dass dein Weg anders werden wird, als meiner! In diesem Moment war der tiefe Klang des Gevatters mit vaterähnlichen Gefühlen belegt. Bis …
Findest du sie hübsch? Für eine Menschenfrau scheint sie es zu sein, wenn ich nach den irdischen Standards beurteile. Sie hat zumindest alles, was Mann glücklich macht! In den Ton mischte sich eine kaum hörbare und doch für Kazel zu bemerkende Nuance an Piesackerei! Er wartete noch die Reaktion seines Schülers ab, ehe er mit einem amüsierten Lachen und dem etwas kryptischen Rat: Versuch nur herauszufinden, ob deine Gefühle ihr gegenüber wirklich für sie sind!, verstummte und sich aus den Gedanken des Mischlings verabschiedete.

Kazels Aufmerksamkeit kehrte langsam, aber sicher zu Elodi zurück, die ihn aufmerksam und nachsichtig betrachtete. Ihre blauen Augen waren verdammt … klar – ehrlich und… die Gefühle darin wirkten keine Sekunde lang aufgesetzt. Ihm konnte kein Zweifel aufkommen, dass sie wirklich ihn sah…
Kazel hob die Mundwinkel, um ihre Sorge ein wenig zu zerstreuen. Vielleicht geisterten noch Tods Worte in seinem Hinterkopf, doch schaffte es die junge Gesellin von Schicksal völlig natürlich ihn abzulenken.
Sie missinterpretierte offenbar seinen Zustand, doch das konnte man ihr nicht verübeln. Sie bot ihm Verständnis und dadurch wortlos… Beistand an. Und als würde sie all die Zweifel daran ausräumen wollen, schlang Elodi plötzlich ihre Arme um Kazels Nacken, um ihn zu sich in eine sanfte Umarmung zu ziehen. Der junge Elf fand sich in einer unerwarteten … jedoch keineswegs unangenehmen Situation wieder. Er spürte ihren warmen und weichen Körper an seinem, der ihn dazu verleitete sie näher an sich zu drücken. Ein frischer und angenehmer Duft, der nicht zu süß aber doch lieblich war, drang an seine Nase und ließ ihn erkennen, dass er von ihr kam. Sie roch ein wenig nach Pfingstrosen – sollte er je diesen Duft einmal wahrgenommen haben.
„Was auch kommen mag ... ich helfe dir und bin für dich da!“, versprach sie und berührte dabei etwas in Kazel, das etwas in ihm wachrief. Er mochte es vergessen haben, doch er kannte das Gefühl der Geborgenheit, das er nun durch sie neu entdeckte.
Seine Hände legten sich an ihren Hüften und hielten sie, ganz unterbewusst, damit sie sich nicht lösen konnte. Doch offenbar hatte Elodi das noch gar nicht vor. Sie schmiegte ihren Kopf an seinen Hals – entdeckte dabei vielleicht den Eigengeruch des Mischlings – und wirkte so, als würde sie selbst dabei völlig entspannen können.
Er lächelte auf und schnaufte leicht, jedoch nicht abfällig: „Das ist es nicht! Also ... ich meine, ich freue mich darüber. Sehr sogar. Es ist nur ...“ Er spürte, dass sie sich nicht rührte, sondern ihm einfach nur zuhörte. Leider konnte er in dieser Position nicht ihr Gesicht sehen, doch spürte er ganz sachte und streichelnd ihren Atem an seinem Schlüsselbein und Halsbereich.
Dennoch war er gerade mit den Gedanken bei seinem Wunsch ihr ein Wiedersehen mit Kion zu ermöglichen – und sei es nur über seinen Mund. Doch da die Umsetzung schlecht aussah, beschloss er, in ihr keine Hoffnungen zu wecken. „Schon gut! Ich danke dir einfach. Ich glaube, ich bin das einfach nicht gewohnt, dass jemand ... so lieb zu mir ist.“ Würde er sie nun sehen können, würde er eines der Lächeln sehen können, das er sich von ihr erhoffte, wäre ihm die Zusammenkunft gelungen.
„Gern geschehen!“, sagte sie leise, aber vollkommen ehrlich. Elodi schloss die Augen und atmete leise und befreit durch. Es war so, als würde sie ihm… vollkommen vertrauen! Als wären sie das, was sie vorhatten nur vorzugeben…!
Sie hielten die Umarmung aufrecht und nun spürte Kazel, dass sein Körper begann auf Elodi zu reagieren. Er war nun einmal ein junger Mann – sie eine junge Frau, die er… sogar ganz hübsch zu finden schien und…. Himmel, die Hormone begannen ihm zuzusetzen!

Anders, als der Mischling vielleicht selbst erwartet hätte, löste ihre Nähe in ihm keine peinliche Berührung oder Scheue aus! Nein… es war so, als würde er etwas tun, was er bereits kannte.
Und so tat Kazel etwas, was er nicht bewusst plante: Er wandte den Kopf leicht, spitzte ganz instinktiv die Lippen und berührte…
„Weißt du ich - …!!!“ … weiche und warme Haut!
Kazel erstarrte, als ihm bewusst wurde, was gerade passierte! Sein Blick lag auf Elodis Gesicht gerichtet, die wie er erstarrt war! Ihre Lippen umschmiegten sanft die des anderen und doch rührten sie sich nicht.
Kazel küsste Elodi! Er hatte es gewollt und doch… so nicht!? Was war nur in ihn gefahren? Sein Körper hatte sich geradezu verselbstständigt! Und, als würde Schicksal ihre Finger im Spiel haben, um ihn zu ärgern, hatte Elodi den Kopf leicht angehoben und seitlich gedreht, weil sie ihm etwas hatte sagen wollen. So war es geschehen – ihre Lippen waren aufeinandergetroffen und lagen nun… schon einige endloswirkende Sekunden, zärtlich aufeinander!
Hitze schoss in seine Wangen und sein Herz machte einen, wenn nicht mehr Sätze! Ihre Lippen fühlten sich süß an – obwohl dieses Wort im Sinne nicht richtig gewählt war, schien es doch hervorragend zu passen! Er sah sie gebannt an - sah, dass auch sie dieser Kuss völlig überrumpelt hatte! Kazel erkannte in ihren Augen aufkeimende Verlegenheit und … es sah so aus, als würde auch in ihr ein kleines Gefühlschaos entstehen!
Bei den Göttern – sein Körper reagierte von ganz alleine weiter und drängte ihn nach mehr! Und eben dieses Gefühl brachte ihn dazu, dass er japsend den Kuss löste.
„I-ich... e-es ... d-das, ich meine... ich...“, stammelte er und brachte ein klein wenig Abstand zwischen sie. Würde ihm nun eine Ohrfeige drohen? Würde sie ihn zurechtweisen und wütend werden?
Unsicherheit befiel ihn! Sein Körper fühlte sich schwebend und weich an – lediglich die plötzliche Distanz verschaffte dem Mischling das Gefühl nach… einer quälenden Sehnsucht, der er doch nicht nachgeben konnte?
Sein Blick tastete sich vorsichtig zu Elodis Gesicht vor. Und was er sah, ließ sein Herz einen Takt aussetzen, bevor es erneut loszustürmen begann:
Vor ihm stand eine junge Frau, deren Wangen eine verlegene Röte zierte. Ihre blauen Augen, waren nachdenklich und zugleich, einem verlegen-verträumten Zustand ähnlich, zur Seite gerichtet, während zwei Finger federleicht ihre eigenen Lippen berührten. Ihre Brust bebte ganz leicht, vermutlich durch den erhöhten Herzschlag, der auch ihr zu schaffen machte.
Ganz zaghaft hob nun auch Elodi wieder den Blick und sah Kazel in die Augen. Auch sie wirkte ein wenig unsicher und … überrumpelt. Doch das Wichtigste wurde für ihn jetzt erst sichtbar: der Kuss hatte keinen Widerwillen – keine Abscheu in ihr geweckt!
„Nein, das… also es… ist in Ordnung… ich meine…“ Ihre Stimme wurde immer leiser während sie sprach und erneut wandte sie den Kopf etwas verlegen zur Seite „… ich war es ja… die den Kopf anhob und…“
Schweigen trat zwischen sie und Kazel spürte erneut den Drang ihr nah sein zu wollen. Er… wollte dieses Gefühl noch einmal spüren? Sie … küssen?
Während er mit sich debattierte versuchte auch Elodi sich wieder zu fangen. Sie strich sich eine gelöste, kuperrot, gelockte Strähne hinters Ohr und sah zum See hinüber – schien nach etwas zu suchen, mit dem sie das Thema wechseln könnte. Noch immer sah man ihr die Verlegenheit an, genauso, dass ihre Gedanken hinter den blauen Augen arbeiteten. Was wohl in ihrem Kopf vor sich ging?
Plötzlich erklang ein donnerndes Krachen und hinter dem Waldstück, aus dem sie gekommen waren, tauchten aufgeschreckte Vögel auf, die sich in die Lüfte erhoben hatten.
Elodi, wie auch Kazel fuhren herum. Das Geräusch war ganz eindeutig aus der Richtung des Dorfes gekommen! Über ihre Körper flogen, sich lauthals mit krächzenden Schreien beschwerende Rabenkrähen. Ihr Blick suchte den von Kazel und wirkte plötzlich alarmiert.
„Das Dorf…! Etwas muss passiert sein!“, sagte sie und in ihrer Stimme schwang Sorge mit! Die beiden mussten sich nur ansehen und verstanden sich auch ohne Worte! Und so liefen sie los – den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren!

Als sie das Grasland hinter Elodis Haus erreicht hatten, konnte man von der Nähe des Dorfplatzes aufgewirbelten Staub erkennen, der bis über die Hüttendächer ragte. Aufgeregtes Gemurmel, wie aufgeregte Stimmen drangen bis zu ihnen hinüber. Und als sie das letzte Stück hinter sich gebracht hatten sahen sie die Ursache des Krachs: Eines der Gebäude, das sich noch im Aufbau befunden hatte, war eingestürzt! Nur wenig an diesem Haufen aus Brettern, Balken und Steinen erinnerte noch an das recht große Gebäude, das sicher einmal für verwaltende Tätigkeiten genutzt hätte werden sollen.
Um und teils auf den Trümmern waren vereinzelt Männer zu entdecken, die mit hastigen Bewegungen und Zurufen versuchten, die obersten Schuttstücke anzuheben. Es war eindeutig: Es gab Verschüttete!
Elodi und Kazel waren kurz stehen geblieben, um sich einen Überblick zu verschaffen, doch nun setzte sich die junge Frau wieder in Bewegung. Mit einer unerwarteten Schnelligkeit war sie bei dem Unfallort angekommen.
„Thorgk!“, rief sie nach einem hünenhaften Ork, der grünliche Haut besaß. Aus seinem Mund ragten zwei kleine Hauer und in seinem linken Ohrläppchen ragte ein breites Loch, an dem ein schwer aussehender schwarzer Ring hing.
„Wer - …?“, begann sie, doch der Ork fiel ihr bereits ins Wort: „Wir können Barret und Tarek nicht finden! Aber…“ Elodi hatte sich schon abgewandt und griff nach dem ersten gebrochenen Balken. „Elodi… Miro war bei Tarek!“
Die junge Frau erstarrte und drehte sich zu dem riesenhaften Ork um. Kazel konnte sehen, wie aus ihrem Gesicht alle Farbe wich und sie minimal den Kopf schüttelte. Dann traf ihn ihr Blick.
„Wir… müssen sie rausholen!“, rief sie und sah Kazel hilfesuchend an, ehe sie wieder den Balken griff. Der Zauber vom See war verflogen! Nun kämpfen sie um Leben und Kazel… obwohl er noch mit niemandem hier bekannt war, half. Weder kannte er diesen Barret noch Miro – nur Tarek war ihm ein Begriff. Um wen sich Elodi so sorgte? Bei der Erwähnung des letzten Namens war sie geradezu erstarrt! Es blieb kaum Zeit zu fragen, doch sollte er es tun, würde sie antworten.
„Miro…! Er… er ist ein Waisenjunge – gerade 8 Jahr und… er hängt immer an Tareks Rockzipfel!“ Elodi achtete nicht auf ihre Hände. Wie auch alle anderen versuchten sie alle nur die Verschütteten zu finden – zu den Göttern betend, dass sie überlebten!
Dann plötzlich geschah noch etwas Sonderbares. Kazel spürte hinter sich eine eiskalte und dunkle Kraft, die jedoch, als er sich umdrehte … verschwunden war!
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Donnerstag 27. Juni 2024, 18:05

Das Kennenlernen setzte sich fort. Nicht alles wurde von Mitleid oder gar Tränen begleitet. Elodi und Kazel sprachen sich auch weiterhin ab, wie ihre gemeinsame Vergangenheit ausgesehen haben mochte. Dabei kristallisierte sich heraus, dass der Mischlingself vielleicht keine Ausbildung bei irgendeinem Meister genossen hatte, seine Fähigkeiten wohl aber einen Abnehmer in Santros gefunden hätten. Außerdem kam heraus, dass Kazel passabel kochen konnte. Besser jedenfalls als Elodi, wie er schnell feststellte. Sie erwähnte nämlich, dass ihr die Mahlzeiten hin und wieder auch mal anbrannten.
"Ehrlich gestanden ... beherrsche ich nur ein paar Gerichte und bin ansonsten nicht die beste Köchin! Ich backe gerne und ganz passabel, aber wenn man von mir ein neues Gericht erwartet ... uh ... ich schaff es immer wieder etwas anbrennen zu lassen!"
"Dann übernehme ich das", bot er sich an. "Meine Kenntnisse berufen sich zwar auch nur auf simple Hausmannskost, aber ich traue mir auch zu, neue Dinge am Herz auszuprobieren." Er hatte in Morgeria dem Bärenhybriden Kodiak zwar nicht intensiv über die Schulter geschaut. Jener nahm die Küche vermutlich immer noch in Beschlag und ließ sich seine Leidenschaft nicht entreißen. Aber Kazel hatte ausgeholfen, viel Gemüse geschnitten und allein schon durch deren Zusammenstellung, sowie Kodiaks Erklärungen, wie er diese und jene Mahlzeit nun fertigte eine Menge dazugelernt. Kazel traute sich zu, mehr Essbares zu zaubern als das, was er Jahre lang in der Stillen Ebene geschaffen hatte. Woher er diese Kenntnisse besaß, wusste er jedoch nicht mehr. Dass Kodiak ihm vieles mit auf den Weg gegeben hatte, war verloren. Die Gerichte und ihre Zubereitungen aber hatten sich doch irgendwo verankert. Ein paar würde er abrufen können und insgeheim beschloss er bereits, Elodi mit einem Frühstück zu überraschen. Das geschah ganz ohne Hintergedanken, abgesehen von seinem Bedürfnis, ihr dadurch zu danken und etwas Gutes zu tun. Doch jemand Anderes vermutete bereits mehr dahinter.
Doch eher er seinen Lehrling damit aufziehen würde - vielleicht auch, um die Stimmung zu lockern - mussten ernstere Dinge besprochen werden. Gevatter Tod wusste, dass diese Diskussionen aufkommen würden und dass sie jedes Mal bedeuteten, seinen Schüler irgendwo enttäuschen zu müssen. Aber er blieb hart wie sein Schädel und Kazel erhielt keine Gelegenheit, Elodi noch einmal mit Kion sprechen zu lassen. Unter Tods Argumentationen fühlte er sich allerdings nach und nach irgendwie ... schlechter. Zurechtgewiesen ob seiner anscheinend irrwitzigen Annahmen und folglich damit belehrt, dass andere es stets besser wussten als er. Dies waren Momente, an denen er zweifelte und sich fragte, warum sein Meister ihn überhaupt ausgewählt hatte, wenn er sich doch nicht in dessen System einfinden konnte. Wenn er für den Posten als Gevatter mit seiner Denkweise und seinen Lösungsansätzen nicht taugte.
Also haben nur die ein Anrecht darauf, die das Glück haben, deine Aufmerksamkeit zu erregen? Kazel verstand, worauf sein Meister hinauswollte. Dass er es für richtiger hielt, akzeptierter er jedoch nicht. Trotzdem verpasste ihm diese Debatte einen Dämpfer. Es heißt also: entweder alle oder keiner. Grauzonen gibt es nicht, damit wenigstens ein paar es etwas leichter haben, glücklicher sein können oder Frieden finden? Weil man nicht alle bedienen kann, wird niemandem Glück vergönnt. Kazels Stimmung trübte sich. Er empfand es mehr als bitter, so schwarz-weiß denken zu müssen, aber er verstand es. Soweit es seine Erinnerung und sein Wissen über das Volk der Dunkelelfen zuließ, ging es stets darum, anderen überhaupt nichts zu gönnen. Man freute sich nicht für das Glück anderer, sondern neidete es nur. Das schien im Leben wie im Tod eine Konstante sein, die sich nicht entfernen ließ. Warum eigentlich nicht? Er konnte sich kaum vorstellen, dass das Gleichgewicht Celcias dadurch beeinträchtigt wurde. Nicht, wenn es darum ging, andere glücklicher zu machen, denn das war etwas Gutes. Er selbst wollte ja auch glücklich sein. In Elodis Nähe spürte er dieses Glück tatsächlich etwas. Er fühlte sich bei ihr sehr wohl. Musste er es aufgeben und fortan nur noch mit geschäftlicher Haltung mit ihr zusammenarbeiten? Sein Innerstes krampfte sich zusammen bei der Annahme.
Anders, als du nun vielleicht glauben magst, liegt es uns fern, euch unseren Weg aufzuzwängen! Du wirst von ganz alleine verstehen lernen, dass das Leben noch einmal anders ist als du es bisher siehst! Und dann verstehst du, dass es gefährlich ist, Ausnahme zu gewähren!
Das heißt, nur weil ein Risiko besteht, soll ich am besten gar nichts unternehmen? Tod drängte ihm sein Denken wirklich nicht auf. Dennoch wies er Kazel mit der Belehrbarkeit eines Besserwissers an, dass er von selbst schon noch lernen würde, dass nur das nicht Augezwungene der richtige Pfad wäre ... und er ihn folglich doch würde gehen müssen. Er gab Kazel somit lediglich die Möglichkeit, es am eigenen Leib zu lernen, aber über den Tellerand schauen und außerhalb dieses Systems zu erkunden, zu experimentieren und möglicherweise andere Ansätze anzuwenden schien nichts, was man sich wünschte. Sobald es also gefährlich wird, soll man die Füße still halten?, fragte er seinen Meister mit einem bitteren Kloß im Hals. Wäre es dann nicht besser, einfach nichts zu tun? Nicht einmal zu leben? Denn dann kann wahrlich gar keine Gefahr bestehen. Manchmal war es wichtig Risiken einzugehen. Derzeit tobte ein Krieg auf Celcia. Die dunklen Völker waren auf Eroberungsfeldzug. Müssten dann nicht alle sofort aufgeben, weil es zu gefährlich wäre, die Heimat zu verteidigen? Man könnte hier wohl ewig philosophieren. Kazel aber war niemand, der das gern tat. Es führte zu nichts, außer zu diesem Unbehagen, es nicht richtig machen zu können.
Der Gevatter bemerkte seinen Kummer und versuchte, auf seine Weise für Ablenkung zu sorgen. Er wechselte das Thema, kehrte zu etwas zurück, das ihn bislang beflügelt hatte: Elodi.
Findest du sie hübsch? Für eine Menschenfrau scheint sie es zu sein, wenn ich nach den irdischen Standards beurteile. Sie hat zumindest alles, was Mann glücklich macht! Tod traf ins Schwarze. Schon wischte er alle trüben Gedanken beiseite, denn Kazel lief innerlich fast erneut rot an. Fast! Er wurde in der Echtwelt tatsächlich nicht rot, denn im Geiste wog er ab, was er seinem Meister darauf antworten würde. Denn wie er beim In-sich-Hineinhorchen soeben feststellte, fiel ihm wahrlich etwas auf. Ich finde sie hübsch, aber ... nicht nur zum Ansehen. Sie... Wie sollte er es ausdrücken?
Versuch nur herauszufinden, ob deine Gefühle ihr gegenüber wirklich für sie sind!
Für wen sollten sie sonst-? Aber da kehrte er wieder in das Reale zurück, denn Tod verstummte und somit war das Zwiegespräch beendet. Kazel schaute auf, nachdenklich und noch immer ein wenig in sich gekehrt. Trotzdem musterte er Elodi. Er hatte beinahe definieren können, wie er sie sah. Aber wie ein Schmetterling, den man versuchte, mit der Hand zu fangen, entwischte ihm der Gedanke spielend.
Er kehrte zurück, sogar schneller als geahnt. Denn Zufall - oder Schicksal? - wollte es, dass Elodi in jenem Moment den Kopf in die richtige Richtung drehte, da Kazels reflexartig gespitzte Lippen nach vorn zuckten. Sie sanken auf die ihren, versiegelten und umschmeichelten sie kurz. Dann war es vorbei. Erschreckt zog der Mischling sich zurück, stammelte eine Erklärung, die er nicht parat hatte und wagte es kaum, aufzusehen. Doch die Neugier lockte ihn, vor allem, weil Elodi weder in Tränen ausbrach noch ihn anschrie. Eine Backpfeife kassierte er ebenfalls nicht. So hob er den Blick und sah ... dieses charmante, zierliche und doch Stärke ausstrahlende Wesen, welches den Blck verlegen zur Seite richtete. Eine liebliche Röte umspielte ihre Wangen, färbte sie mit dem Geschmack ihrer Lippen. Jene Lippen, an denen nun zwei ihrer Finger lagen, um die Stellen nachzufahren, wo Kazel sie mit seinen berührt hatte. Sein Herz schlug wild. Er wagte nicht zu atmen. Er ergötzte sich an diesem Anblick, dieser unbeschreiblichen Schönheit. Ob er sie hübsch fand? Und wie! Aber endlich kehrte der Schmetterling von einem Gedanken zu ihm zurück. Er ließ sich immer noch nicht fangen, setzte sich aber federleicht auf seine Schulter, so dass er die Antwort für Tod endlich wusste.
Ihre Seele ist wunderschön!
Gerade, als Kazel es fertig brachte, seinen Mund zu öffnen, um genau diesen Gedanken offen auszusprechen, erschütterte ein nahes Krachen die Idylle des Sees. Vorbei war der Moment und mit ihm schwanden erneut die Worte, die schon auf seiner Zunge gelegen hatten. Kazel riss zeitgleich mit Elodi den Kopf herum. Sie aber war es, die nach seiner Hand schnappte und ihn sofort mit sich zog. Er stolperte nur die ersten Schritte hinter ihr her. Wenig später rannte er fast schon einen Deut schneller als sie durch den Wald zurück Richtung Siedlung. Für den eldorischen Part seines Blutes war es ein Leichtes, über Stock, Stein und Moose zu springen.
Im Dorf angekommen musste er sich jedoch wieder etwas mehr an Elodi halten, da sie die kleinen Gassen und Trampelpfade besser kannte. Grundlegend brauchten sie aber nur dem aufgewirbelten Staub zu folgen, um das Desaster zu entdecken. Eines der Häuser musste schlecht abgestützt worden sein. Was auch immer der Grund gewesen war, es war in sich zusammengestürzt und die Hektik der Leute ringsum deutete daraufhin, dass es Verschüttete gab.
Elodi sprang sofort hinzu, um zu helfen und auch Kazel war nur eine Hand breit hinter ihr. Er zögerte nicht. Es interessierte ihn auch nicht, wer da unter Balken und Trümmern liegen mochte. Jemand benötigte Hilfe. Er könnte helfen, also würde er es tun. Im letzten Moment aber hielt ihn etwas zurück. Eine kühle, schwach nur, aber immens vertraut. Sie ließ auch ihn einen kühlen Kopf bewahren, hatte ihn in brisanten Situationen schon so oft beruhigt und seine Seele umfangen, damit sie nicht in Tausend Scherben zerbrach, so wie das Haus. Jetzt aber hinterließ sie eine düstere Ahnung und dass der Gevatter einfach klammheimlich verschwand in der Hoffnung, unbemerkt an seinem Schüler vorbeiziehen zu können, bestärkte dieses Gefühl nur.
Kazel schaute sich um, verfolgte die unsichtbare Spur der langsam schwindenden Kühle. Sein Blick erhaschte gerade noch so etwas, aus dem er einen Kuttenzipfel des Gevatters interpretieren könnte. Sicher war er sich aber nicht. Doch allein die Annahme ließ seine Vermutung langsam Gewissheit werden. Verdammt! Es ist Elodis und mein neues Zuhause. Gerade hier hättest du mich hinzuziehen können und jetzt verschwindest du einfach. Wieviele hast du mitgenommen? Er wusste, Tod würde ihm nicht antworten und da er seinen Gesellen nicht rechtzeitig herbei geholt hatte, schlussfolgerte Kazel daraus, dass er ihn hier überhaupt nicht hatte involvieren wollen. Nicht als Lehrling des Todes, also musste er für die Lebenden da sein.
Es kam Bewegung in den Mischling, als Elodi voller Schrecken erklärte, dass sich hinter dem Namen Miro ein Waisenkind verbarg, das Tarek ständig am Rockzipfel hing. Tarek. Jenen Namen kannte Kazel. Er gehörte zu dem Mann, der ihn Prinzessin geschimpft hatte. Eine dritte Person - Barret - wurde ebenfalls und mit großer Sorge vermisst. Elodi rief einen Ork herbei, während Kazel endlich ebenfalls in die Trümmer stieg, um Balken anzuheben. Vielleicht konnte er zwei von dreien noch retten.
"TAREK!", rief er den Namen des Mannes, den er nicht einmal kannte. "BARRET! MIRO! Kann jemand antworten? Gebt uns ein Zeichen, damit wir wissen, wo wir freiräumen müssen!" Solange er keines erhielt, versuchte Kazel einfach irgendetwas hervorzuziehen, um sich ein Schlupfloch zu schaffen, in das er besser hineinschauen konnte. "Licht!", forderte er einen der Umstehenden auf. Dabei war es ihm gleich, ob er nun eine Laterne oder magische Unterstützung erhielt. Sie mussten irgendwie in die Trümmer leuchten und schauen, ob sich jemand Lebendes entdecken ließ. Er selbst scheute keine Anstrengung, gerade weil er hoffte, dass sein Meister maximal einen von ihnen mitgenommen hätte. Ohne Verluste war es ob seiner Anwesenheit wohl nicht vonstatten gegangen. Andererseits ... vielleicht hatte der Gevatter nur geschaut und festgestellt, dass es niemanden zu holen gab. Vielleicht hatte er deshalb Kazel unbehelligt gelassen.
Sie leben noch, oder? Sonst wärst du geblieben. Du wärst geblieben!
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 3. Juli 2024, 20:41

Je mehr sie beide übereinander erfuhren, je einfacher fiel es ihnen sich ein Zusammenleben vorzustellen. Es gab Bereiche, wo sie sich unterschieden, gleichzeitig aber auch Ergänzungen fanden. So fanden Elodi heraus, dass Kazel vermutlich der bessere Koch von ihnen war und so bot er an dies zu übernehmen. Die junge Frau nickte zustimmend und schien gespannt auf eine Kostprobe zu sein. Es war ein netter Gedanke, dass sie manche Sachen auch aus der Hand geben konnte!
„Ich geh dir dabei auch gerne zur Hand! Vielleicht werden dann meine Fähigkeiten in der Küche besser werden!“
In Kazel schien sich die Vorstellung des Zusammenlebens ebenfalls vorfreudig zu verankern. Es fiel ihm mittlerweile nicht mehr so schwer, sich auf diese neue Situation und Rolle einzulassen, die ihm quasi vorgegeben worden war. Dank Elodi fand er Orientierung. Sie bemühte sich redlich ihrem Partner den Halt zu schenken, den er durch das Aufgeben seiner Erinnerungen verloren hatte und wurde ihm zumal immer sympathischer. Es war fast so, als würden sie sich wirklich schon länger und besser kennen!

Zu Kazels Frust schienen er und Tod derzeit nicht mehr ganz so einfach übereinzukommen. Gedanklich gerieten sie in kleinere Diskussionen, bei dem sein Lehrmeister ungewöhnlich ernst und streng zu bleiben schien.
Es heißt also: entweder alle oder keiner. Grauzonen gibt es nicht, damit wenigstens ein paar es etwas leichter haben, glücklicher sein können oder Frieden finden? Weil man nicht alle bedienen kann, wird niemandem Glück vergönnt. Sobald es also gefährlich wird, soll man die Füße still halten? Wäre es dann nicht besser, einfach nichts zu tun? Nicht einmal zu leben? Denn dann kann wahrlich gar keine Gefahr bestehen, äußerte Kazel frustriert und über das Schwarz-Weiß-Denken des anderen erbost. Er wollte doch nur denen etwas zurückgeben, bei denen er es vermochte! Elodi half ihm, den Kopf auf seinem neugewählten Weg, oben behalten zu können. War es da zu viel verlangt, dass er ihr etwas zurückgeben wollte? Etwas, was sie sicher freuen würde und nur er vermochte? Was nutzte es besondere Kräfte zu haben, wenn er sie nicht einsetzen konnte? Der Tod war stets mit Trauer verbunden! Wieso konnte er ihm nicht… einen Moment Freude und Trost einhauchen?
Ganz und gar nicht! Und sei nun bitte nicht so verärgert Kazel! Zusammen mit deinen Erinnerungen hast du auch gewisse Erfahrungen eingebüßt. Du wirst Neue sammeln... Aber ich bitte dich, auch ein wenig Geduld zu haben und Urteile mit der Zeit entstehen zu lassen. Mir ist nur wichtig, dass du dich nun nicht kopfüber auf alles stürzt, ohne dich an die Vielseitigkeit der möglichen Auswirkungen zu erinnern! Du besitzt Kräfte, die dir erlauben in die Welt der Sterblichen einzugreifen und diese zu verändern – zu manipulieren! Aber jeder dieser Eingriffe verändert etwas, was du vielleicht nicht vorhersehen kannst! Das Gleichgewicht hat zwei Waagschalen. Und nimmst du etwas aus der einen, kippt das Gewicht wohlmöglich zur anderen, oder reißt eine andere dafür hinab.
Tod versuchte seinem Schüler mit einer, für seine Verhältnisse, milden Stimme diese Umstände zu erklären. Es war hörbar, dass er nicht wollte, dass sich Kazel nur kritisiert fühlte. Ähnlich, wie auch Kinder aus Unwissen heraus, mit wachen Augen in eine Situation liefen, von denen sie nicht ahnen konnten, ob sie Gutes oder Schlechtes bringen würde, schien Kazel seine Gedanken, Gefühle und seinen Blick noch nicht weiter auszustrecken. Es sollte kein Vorwurf sein – denn der Gevatter vertraute darauf und wusste, dass sein Schüler all dies neu, weiter erlernen und verstehen würde. Doch gerade war sein Herz, das sich emotional kaum an etwas Schlechtes erinnern konnte …, wie ein Kompass, ohne Orientierungpunkte. Er konnte und sollte nicht allen helfen und durfte seine Kräfte nicht missbrauchen. Ob Kazel das vorhatte, oder tun würde, konnte Tod derzeit nicht sicher einschätzen – immerhin musste er den Mischling auch auf einer neuen Ebene wieder zu nehmen lernen.
Lass uns darüber später reden. Aber, wenn es dir hilft, kannst du dich ja mit Elodi darüber unterhalten. Vielleicht helfen dir ihre Sichtweisen. Immerhin ist sie, wie du noch Teil beider Seiten! Tod schob den Zeitpunkt des Gesprächs auf einen anderen Moment. Gerade sollte sich Kazel auf das Diesseits konzentrieren und sich zurechtfinden lernen. Die Pflichten würden schon von ganz alleine und früh genug zu ihm zurückfinden!
Er wechselte das schwere Thema und sprach seinen Schüler auf die junge Gesellin an, die Kazel bereits unerwartet nah war. Tatsächlich hatte er die Frage nicht aus Eigeninteresse gestellt, sondern, weil er den Mischling dazu hinführen wollte, dieses Gefühl für sich selbst einzuordnen. Anders, als Kazel wusste Tod, was und wen dieser aufgegeben hatte und dass sein Körper, wie auch seine Instinkte über ein anderes Erinnerungsvermögen verfügte, als sein Gedächtnis. Er konnte nichts sagen – doch er wollte sowohl Kazel, als auch Elodi vor unwissentlich verwechselten Gefühlen bewahren.
Ich finde sie hübsch, aber ... nicht nur zum Ansehen. Sie...
Versuch nur herauszufinden, ob deine Gefühle ihr gegenüber wirklich für sie sind!
Für wen sollten sie sonst-?
Tod hatte sich zurückgezogen, so dass er auf diese Frage keine Antwort erhielt.

Elodi gewann schnell wieder die Aufmerksamkeit des jungen Mannes, der gedanklich über die Beschreibung nachgrübelte, wie er sie überhaupt wahrnahm. Doch, bevor er passende Worte fand, kam es zu einem kleinen … Missgeschick: Eine kleine Drehung ihres Kopfes, das impulsive Spitzen seiner Lippen, die plötzlich auf den ihren landeten! Kurz schmiegten sie sich aneinander, ehe der unbeabsichtigt nahe Moment wieder vorbei war, indem Kazel zurückschreckte. Wie hatte das nur geschehen können? Es war doch gar nicht seine Absicht gewesen, sie zu küssen! Doch… wo seine Gedanken gerade um dieses Thema schwirrten, wieso fühlten sich ihre Lippen so weich an und schmeckten süß?
Von Verlegenheit ergriffen wagte es der Mischling kaum den Blick zu heben. Doch als er sich doch dazu durchrang wurde ihm ein Anblick zuteil, den er so nicht erwartet hatte und der sich tief in sein Gedächtnis und Herz bohrte!
Elodi – er sah ... dieses charmante, zierliche und doch Stärke ausstrahlende Wesen, welches den Blick verlegen zur Seite richtete. Eine liebliche Röte umspielte ihre Wangen, färbte sie mit dem Geschmack ihrer Lippen. Jene Lippen, an denen nun zwei ihrer Finger lagen, um die Stellen nachzufahren, wo Kazel sie mit seinen berührt hatte.
In diesem Moment fand Kazel die passenden Worte um Elodi zu beschreiben:
Er fand sie nicht nur optisch hübsch - ihre Seele war es, die ihm gerade den Atem raubte! Denn diese fand er in dieser Sekunde wunderschön!

Dieser einzigartige Moment wurde mit einem Mal durchbrochen, als ein lauter Knall an ihre Ohren drang. Beiden wurde augenblicklich klar: Im Dorf war etwas geschehen! Und ohne Zeit zu haben, diesen schmetterlingsflügelzarten Gefühlen noch einen Gedanken zu widmen, liefen sie beide los, zurück in Richtung Dorf! Auch hier bewegten sich die beiden bereits ähnlich einer Einheit. Kazel hätte vermutlich schneller am Unfallort sein können, doch er war noch auf die Orientierung Elodis angewiesen.
Am Unfallort angekommen sahen sie das Desaster! Eines der Häuser, an denen einige Dorfbewohner gearbeitet hatten, war in sich zusammengebrochen. Ein Ork namens Thorgk teilte Elodi – und so auch indirekt Kazel mit, welche Dorfbewohner verschüttet waren und der jungen Frau entwich alle Farbe aus dem Gesicht. Es war unmöglich zu übersehen, dass es ihr nicht egal war – dass es sie traf und ihr bange wurde.
Das Gefühl Elodi so zu sehen zog unangenehm in Kazels Herzen, doch war es sein eigener Wunsch zu helfen! Obwohl er noch keinen anderen Bewohner kannte, wollte er nicht, dass jemand zu Schaden kam und er würde all seine Kraft aufbringen, um ihnen zu helfen. Denn noch bestand Hoffnung…
Eine vorbeiziehende und ... bekannte Kälte streifte Kazel und ließ ihn kurz innehalten. Konnte es sein…? Nein, das hätte er nicht getan, ohne ihn einzuweihen! Oder… etwa doch?
Verärgert sah er sich um und glaubte einen Wimpernschlag lang die Kutte des Gevatters gesehen zu haben, ehe er sich in Luft auflöste, wie auch die kühle und düstere Spur! Der Verdacht bestärkte sich, dass Tod hergekommen war, um die Seelen der Verunglückten abzuholen und eine unsagbare Wut, die vielleicht ein wenig durch den Frust über ihr letztes Gespräch aufgekommen war, bahnte sich einen Weg durch seine Seele.
Verdammt! Es ist Elodis und mein neues Zuhause. Gerade hier hättest du mich hinzuziehen können und jetzt verschwindest du einfach. Wie viele hast du mitgenommen?, fuhr Kazel Tod in Gedanken erbost an, während er gleichzeitig nach Schutt griff, um diesen beiseite zu schaffen. Er half mit vollen Einsatz mit, Tarek, Barret und Miro freizulegen! Doch unerwarteter Weise hallte die knochige Stimme des Gevatters in seinen Gedanken wider, der offenbar bereit war seinem Schüler doch zu antworten:
Nerv nicht! Ich bin körperlich nicht einmal in deiner Nähe!, rechtfertigte sich Tod und klang für seine Verhältnisse ebenfalls verärgert.
Mein eigener Geselle kann meine Aura nicht von der eines Plagegeists unterscheiden! Glaub bloß nicht, dass ich dir noch einmal etwas von meinem Puffmais abgebe! Vermutlich war Kazel gerade nicht zum Scherzen zumute. Allerdings war der Einwurf des Ewigen halb ernst gemeint, denn die ungerechte Anklage seitens seines Schülers hatte den Gevatter dann doch ein wenig verletzt.
Ich sagte dir doch, dass du für dieses Gebiet zuständig sein wirst! Nun sieh zu, dass du das regelst - die Zeit der Opfer sollte noch nicht gekommen sein! Und damit zog sich Tod wieder aus Kazels Gedanken zurück und schloss die Verbindung, wie eine Türe, die feste zugestoßen wurde. Offenbar fühlte sich er sich falsch behandelt!

Doch darum konnte sich der Mischling nun kaum Gedanken machen. Vielleicht würde er später noch einmal versuchen den Kontakt herzustellen, doch nun musste er seiner ersten Aufgabe entgegentreten:
„TAREK! BARRET! MIRO! Kann jemand antworten? Gebt uns ein Zeichen, damit wir wissen, wo wir freiräumen müssen!“, rief er laut nach den Verschütteten und auch Elodis Rufen mischte sich dazu. Die Rothaarige griff ein Schuttstück nach dem Nächsten und warf es hinter sich, um schnell voranzukommen. Dass sie sich dabei selbst an den Händen verletzte schien ihr dabei vollkommen egal zu sein!
„TAREK – MIRO! BARRET BITTE! Gebt ein Lebenszeichen von euch!!!“
Doch nichts, außer dem Rumpeln von weggeräumten Geröll und Schutt war zu hören. Elodi sah zu Kazel, als würde sie hoffen, dass er die Situation ändern könnte. Doch, ob er diesen Blick überhaupt wahrnahm? Oder war er zu sehr in sein Tun vertieft?
Mittlerweile entstand Stück für Stück ein Schlupfloch. Allerdings ging es nur schleppend voran, denn alle mussten aufpassen, dass der Schutt selbst nicht noch weiter in sich zusammensackte und die Verschütteten vielleicht so noch stärker verletzte. Dann plötzlich:
„… h…ier…!“ Eine leise Stimme drang an seine feineren Elfenohren. Sie war eindeutig männlich, doch nicht besonders kraftvoll – eher kratzig und schwach.
Ein Moment verging, ehe sie noch einmal zu hören war, gefolgt von einem Wimmern, das eindeutig das eines kleinen Jungen war. Auch Elodi hörte diese Stimme und angestrengt lauschend deutete sie auf eine Stelle etwas weiter links des Schlupflochs.
„Dort!“, rief sie und beeilte sich selbst zur besagten Stelle zu kommen. Alle packten wieder an – Steine – Bretter – Pfosten – alles wurde zur Seite geschafft. Und als Kazel in das neu entstandene Loch griff, umfassten seine Hand blutige und schwache Finger.
„… ein…geklemmt… erst Miro…!“, murmelte der Besitzer der Hand, der ganz offenbar Tarek war. Und tatsächlich konnte Kazel nun erkennen, dass der großgewachsene Tarek mit seinem Körper einen kleineren Jungen schützte. Miro – ein schmaler Junge mit schwarzen Zottelhaaren und hellbraunen Augen, hatte feste seine Arme um Tareks Nacken geschlungen und klammerte zitternd und wimmernd an ihm. Tarek kniete auf dem Boden, war vorgebeugt und auf seinem Rücken lastete noch immer eine Menge Schutt. Sowohl über das Gesicht des Mannes, als auch des Kindes lief Blut und wenn der Mischling seinen Blick zu den Beinen des Schützenden sehen würde, war zu erkennen, dass seine Beine zwischen eingestürztem Material eingeklemmt war.
Elodi hatte es nicht mehr ausgehalten und war neben Kazel geeilt. Sie sah über seine Schulter und das Bild, das sich ihr bot, weckte die Krankenschwester in ihr.
„Wir müssen Miro herausheben! Und dafür sorgen, dass der Druck auf Tarek abnimmt!“, meinte sie und warf Kazel einen bittenden Blick zu, ehe sie sich an den Verschütteten wandte.
„Tarek… wo ist Barret?“, fragte sie, doch der verletzte Mann bekam nur ein sachtes Kopfschütteln zustande. Daraufhin biss sie sich leicht auf die Unterlippe.
„Sucht weiter! Barret ist nicht bei ihnen!“, rief sie den umstehenden Dorfbewohnern zu, die sich daraufhin gleich aufmachten an anderer Stelle zu suchen.
Elodi wandte sich nun wieder dem Loch zu.
„Miro… Miro! Du musst Tarek loslassen und dich uns entgegenstrecken! Kannst du das?“
Der kleine Junge reagierte nicht sofort. Er klammerte sich noch fester an Tarek und zitterte laut schluchzend. „Nein… nein!!!“, rief er nur und war sichtlich verängstigt. Das machte die Situation nicht besonders einfach, denn es war klar und deutlich zu sehen, dass der junge Soldat, der Tarek war, schwer verletzt war und darum rang sein Bewusstsein zu behalten.
„Kazel… kommst du an ihn heran?“, fragte Elodi und sah angespannt in seine blauen Augen.
In diesem Moment, konnte Kazel es erneut spüren: eine kalte und düstere Präsenz! Doch nun konnte der Mischling den Unterschied ausmachen! Der Geist war tot und besaß eine ähnlich kalte Aura, wie Tod! Allerdings umgab diese noch weitaus mehr Empfindungen, die für Kazel spürbar wären, würde er sich darauf konzentrieren: Wer auch immer dieser Geist war – er war erfüllt von Wut, Hass, Schmerz und Rachegelüsten!
Auch Elodi erstarrte plötzlich. „Wir müssen uns beeilen…!“
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Samstag 6. Juli 2024, 14:01

Kazel und Elodi harmonierten binnen kürzester Zeit erstaunlich gut zusammen. Nicht nur, dass sie sich ob ihrer häuslichen Fähigkeiten ergänzen würden - Kazel wollte schließlich das Kochen übernehmen -, sie arbeiteten auch in Gefahrensituationen gut zusammen. So achtete der Mischling beim Sprint zurück durch die Wälder darauf, Elodi nicht abzuhängen. Sie wiederum gab ihm schnell zu verstehen, in welche Richtung sie laufen mussten, um zu der Lärmquelle im Dorf zu gelangen. Ein Gebäude war eingestürzt, unter dem drei Männer - davon ein Junge - verschüttet gegangen waren. Elodi und Kazel agierten weitaus schneller als die Umstehenden und auch hier handelten sie mit Rücksicht auf den jeweils anderen, bezogen ihn mit ein und konnten sich so gegenseitig nur besser unterstützen.
Schicksal und Tod hatten ihre Nachfolger gut gewählt. Kazel sah das im Moment allerdings anders, zumindest in Bezug auf sich selbst. Er war wütend und auch ein wenig enttäuscht. Ausgerechnet in der Siedlung, die man ihm als Startpunkt für sein neues Leben bereitstellte, war nun ein Unglück geschehen und der Lehrling des Todes spürte dessen Präsenz als sanften Hauch soeben in die Heimlichkeit verschwinden. Warum nahm er ihm bei diesem Ereignis nicht mit? Warum hielt er nicht die Zeit an, um Kazel zum einen jene zu zeigen, die nicht mehr zu retten waren als auch die, die nach Kata Mayan übergeführt werden mussten? Genau das hatte er doch nun schon einmal in Andunie tun dürfen - daran erinnerte er sich, aber wohl auch nur, weil selbst die junge Frau, deren Gesicht er in Sarma schon einmal hatte sehen dürfen, nicht direkt mit ihm zu tun hatte. Sie waren miteinander in keinster Weise verknüpft, als dass man sie aus seinem Leben hätte streichen müssen. Kazel erinnerte sich aber auch, wie der Gevatter durch die in Zeitstarre versetzten Lebenden tanzte. Er hatte Pirouetten gedreht, um seinem Schüler das tägliche Handwerk auf eine bizarre Art und Weise positiv darzustellen. Dabei hatte Kazel diese Arbeit nur zu gern ausgeübt. Er hatte sich dort zugehörig gefühlt, als sei die Aufgabe schon immer für ihn bestimmt gewesen und Tod musste das auch gesehen haben. Sein Schüler war immerhin sehr behutsam mit den Seelen umgegangen, die er mit seinem Sensendolch von ihrem sterblichen Band getrennt hatte. Warum schlich er sich nun so klammheimlich von dannen, als wollte er gar nicht, dass Kazel überhaupt etwas dazulernte?! Ohja, es frustrierte ihn so sehr, dass er seine Emotionen für einen Herzschlag nicht unter Kontrolle hatte. Im nächsten Moment aber erstarrte er, auch in der Echtwelt, wo er garantiert auf die Umstehenden wie ein vor Entsetzen Erstarrter wirken musste. Was ihn jedoch wirklich erschreckte, war die harsche Art, mit der Tod auf seine eigenen Worte reagierte.
Nie zuvor hatte der Gevatter ihn dermaßen angefahren, dass es ihm durch Mark und Bein ging. Er lauschte der Standpauke und fühlte ... Reue. Die Predigt kam zurecht. Er hätte sich zusammenreißen müssen, aber angesichts der Gefahrenlage war auch sein Gemüt unter Spannung. Doch konnte er seine Worte weder damit rechtfertigen, noch sich entschuldigen. Tod, welcher nicht einmal anwesend war, schwand nach seiner verärgerten Erwiderung so schnell wieder aus Kazels Gedanken wie er gekommen war. Den Mischling aber ließ er mit dem Nachhall seiner Worte im Geist zurück.
Ein ... Plagegeist...? Der Begriff war Kazel natürlich nicht fremd. Die Lebenden nutzten ihn aber eher für ihre zu frechen oder ständig schreienden Kinder. In Bezug auf die gespürte Kälte konnte er sich keinen Reim darauf machen. Mit derart speziellen Geistern hatte er es schließlich nur einmal zu tun bekommen, damals, als Janay gestorben war und ihre Seele sich in viele kleine Fetzen ihrer selbst zerteilt hatte. Ob man sie deshalb gleich als Plagegeist hätte betiteln können, wusste Kazel nun nicht. Er hatte die Fetzen ihrer Seele damals nur eingesammelt und wie ein Schneider wieder zusammengeflickt, bis seine Liebste vollständig und bereit gewesen war, vom Gevatter eine erneute Chance zu erhalten. Kazel hatte immerhin von ganzem Herzen darum gebettelt. Und nun? Nun erinnerte er sich nicht einmal mehr, dass Janay existierte. Mit dem Verblassen seines Wissens um sie war auch die Erfahrung verschwunden, einen echten Geist gesehen zu haben. Ansonsten war er nur dieser Hand voll Verstorbener in der andunischen Spelunke begegnet. Ihre Seelen hingen da noch an den Körpern und Kazel hatte sie losschneiden dürfen, damit sie von Tod übergeleitet werden konnten. Nicht einmal war in ihrem Bezug der Begriff des Geistes gefallen, schließlich hatten sie sich nicht selbstständig von den Körpern gelöst oder waren vom Gevatter übersehen und vergessen worden. Ja, auch das kam vor. Vielleicht sogar hier, wenn sich ein von Rache erfüllter Geist aktiv am Geschehen der Leben beteiligte. Aber das würde Kazel noch herausfinden müssen. Jetzt war nicht die Zeit dafür. Er konnte sich auch kaum mehr der Frage hingeben, was hinter einem Plagegeist stecken mochte und dass Tod ihn tadelte, obgleich er gar nicht hatte wissen können, womit er ihn verwechselt hatte.
Nein, es blieb keine Zeit über die Toten - oder Geister - nachzudenken. Nicht, solange hier Lebende verschüttet waren und offenbar noch eine Chance hatten. "Er ist nicht hier!", teilte Kazel Elodi mit, ohne ins Detail zu gehen. Vielleicht konnte sie die Zusammenhänge selbst ergründen. Wenn der Gevatter weit weg war, gab es Hoffnung. Dann würde hier niemand sterben, noch nicht. Aber auch hier verpasste Tod ihm einen Dämpfer.
Ich sagte dir doch, dass du für dieses Gebiet zuständig sein wirst! Nun sieh zu, dass du das regelst. Kazel presste die Lippen aufeinander. Er hatte es nicht auf diese Art aufgenommen. Die Graslandsiedlung wäre sein ... Zuständigkeitsbereich? Müsste er gleich die toten Seelen bergen und fortschicken? Er versuchte, das aufkommende flaue Gefühl im Magen zu ignorieren und sich für seine Bestimmung zu wappnen. Natürlich würde er es als Geselle des Gevatters mit Toten zu tun bekommen. Seine Pflichten wären niemals fröhlich, das wusste er. Es kam gerade nur sehr plötzlich und dass Tod ihn angefahren hatte, saß ihm tief im Herzen. Sobald es vorbei wäre, würde er sich entschuldigen. Doch zunächst musste er wohl ein totes Kind und zwei Männer finden.
Die Zeit der Opfer sollte noch nicht gekommen sein!
Es bestand noch Hoffnung? Kazel riss sich aus seiner Starre und arbeitete nun umso eifriger daran, einen Zugang zu den Opfern freizulegen. Nach und nach entstand ein kleines Schlupfloch, aber dort ließ sich niemand ausmachen. Elodi, er selbst und auch andere riefen bereits beherzt nach Tarek, Barret und dem kleinen Miro. Schließlich riss Kazel seine Hand hoch. "Ruhe! Einen Moment!" Er lauschte. Seine Elfenohren besaßen feinere Sinne als die der Menschen. Er bemerkte, dass zwei Dunkelelfen in der Nähe ebenfalls innehielten. Einer drehte sogar den Kopf und nickte. Auch er hatte das leise Wimmern unterhalb der Haustrümmer vernommen. Schon zeigte er an die richtige Stelle. Elodi war am schnellsten dabei, den Schutt beiseite zu räumen und sie fand daraufhin auf Tarek, der Miro mit seinem Körper vor den Trümmern abschirmte, die schwer auf seinem Rücken lasteten.
Kazel war es, der sich nach vorn schob, um in das neu entstandene Loch zu greifen. Finger legten sich um seine. Sie klebten von Blut und obwohl sie kräftiger und größer waren als Kazels eigene, zitterten sie leicht vor Schwäche.
"... ein... geklemmt ... erst Miro...!"
"Keine Sorge, wir holen euch beide da raus." Kazel erkannte die Stimme des Mannes wieder. Es war jene, die ihn gegenüber Elodi noch so scherzhaft als Prinzessin bezeichnet hatte. Und da er Miro als jenen erwähnte, den er schützte, blieb nur noch einer übrig, nach dem er fragen konnte. "Ist Barret auch bei dir? Tarek, wir retten euch. Alles wird gut!" Er sprach zu ihm, hörte nicht damit auf und nannte auch seinen Namen, damit er die Aufmerksamkeit des Mannes nicht verlor. Wenn jener jetzt bewusstlos wurde, würden er und das Kind endgültig unter dem Schutt begraben werden. "Tarek! Halt noch ein wenig durch, nur noch ein bisschen!"
Wärme breitete sich neben ihm aus wie eine Aura aus Mut. Kazel spähte flüchtig, aber lange genug über die eigene Schulter, um Elodi an seiner Seite zu bemerken. Sorgenvoll schaute sie an ihm vorbei und hinein in das schmale Loch. "Wir müssen Miro herausheben! Und dafür sorgen, dass der Druck auf Tarek abnimmt!" Der Mischling nickte. "Der Ork ist groß und stark", meinte er und versuchte, nun noch weiter an Elodi nach hinten zu schauen. Sein Krz'ner war nicht das beste, denn das Orkische zählte nun einmal nicht zu Kazels Muttersprache. Aber in seiner Jugend hatte er genug davon aufgeschnappt, um durch den bloßen Einsatz nun hoffentlich die Aufmerksamkeit des Grünlings zu erhalten. "Thorgk! Helfen ... Elodi. Die Trümmer! Du heben von Kopf ... von Rückseite. Nimm die Last von Tarek herunter!" Besser ging es gerade nicht, denn Kazel bot sich für den anderen Teil der Aufgabe an. Er war zwar kein Kind, aber schmal und er steckte nun schon mit dem Arm im Loch. "Ich zieh Miro hinaus!", rief er Tarek zu, tauschte noch einen Blick mit Elodi und drängte sich dann in den kleinen Zugang hinein. Schnell merkte er, dass auch er ohne Hilfe nicht mehr heraus gelangen würde, also rief er noch einmal nach hinten: "Jemand muss meine Beine festhalten und uns wieder herausziehen. Vorsicht, ich komme. Miro, halt dich an mir fest!"
"Nein ... nein!!!" Der Junge war vollkommen verschreckt. Niemals wollte er jetzt den Mann loslassen, der aktuell sein Überleben sicherte. Es war der einzige Schutz, den er hatte und rationales Denken durfte man von dem Kleinen nun nicht erwarten. Trotzdem musste Kazel es irgendwie gelingen, dass Miro sich statt an Tarek an ihm festklammerte.
Die Situation wurde nur noch durch das plötzliche, aber erneute Eintreten einer kalten Präsenz erschwert. Es war nicht der Gevatter. Jetzt, da es sich stärker anfühlte, bemerkte Kazel einen Unterschied. Die Kälte des Todes war gleich, aber in dieser eisigen Brise schwangen Hass, Wut, Schmerz und Rache mit. Das musste der Plagegeist sein, von dem sein Meister gesprochen hatte. Nur wie sollte Kazel jetzt mit ihm umgehen? Er hatte das Kind zu überreden, sich an ihm festzuhalten, damit es gerettet werden konnte. Und wie Elodi gerade sagte, mussten sie sich beeilen. Es war nicht klar, wie lange Tarek noch durchhalten könnte.
"Plagegeist!", stieß der Elf aus, nicht um Miro zu beschimpfen, sondern um Elodi einen Hinweis zu geben. Vielleicht wusste sie, etwas mit einem solchen Wesen anzufangen. Kazel konnte die Kühle spüren und meinte sogar, ihn gesehen zu haben, als er dessen Anwesenheit mit der Kutte des Gevatters verwechselt hatte. Vielleicht war er in der Lage, sich mit ihm zu unterhalten. Er versuchte es und gleichzeitig appellierte er auch an Miro, Tareks Arme gegen die seinen zu tauschen.
"Ich weiß, es tut weh. Vermutlich bist du wütend und ängstlich, weil etwas Unerwartetes geschehen ist. Ich weiß nicht, ob ich es wiedergutmachen kann, aber ich bin hier, um zu helfen. Ich helfe dir, hörst du?" Er streckte sich, bemerkte, dass er tiefer in das Loch rutschte. Jemand musste ihn festhalten, aber Kazel wollte unbedingt auch Miro erreichen. Er hielt ihm beide Arme entgegen. "Ich strecke dir meine Hand als Angebot entgegen. Du musst nur zugreifen." Komm schon, Miro! Er sprach zu beiden und wenn nur einer ihne erhörte, wären sie alle schon einen Schritt weiter. "Wir kennen uns nicht, aber ich lasse dich nicht im Stich. Na, komm schon!"
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Sonntag 7. Juli 2024, 16:40

Kazels neue Situation – sein neuer Weg schien zu Spannungen zwischen Lehrmeister und Schüler zu sorgen. Keiner der Beiden hatte das erwartet und doch spürten beide eine Schwere auf ihren Herzen. Bei Tod wortwörtlich nur metaphorisch, da man durch sein Skelett keine Organe sehen konnte und doch besaß er wie ein Lebender alle Bandbreiten an Gefühlen. Er trug Kazels aufgegebenes Leben mit – hatte sogar Janay einen Besuch abgestattet, um ihr zumindest einen Schlussstrich und Trauer zu ermöglichen. Denn, obwohl gerade noch alles recht holprig von Statten ging, war er davon überzeugt, dass sich mit der Zeit wieder alles zwischen ihm und Kazel regeln würde – und er ein noch herausragenderer Vertreter des Todes werden würde, als er es schon war.
Kazel würde irgendwann verstehen, dass er keine Selbstzweifel haben musste. Und doch wusste der Gevatter, dass dieser Weg noch viele Kämpfe für seinen Schüler bereitstellte. Reale Konfrontationen, wie sich zum Beispiel gerade anbahnte, wie auch inneres Ringen mit sich, seinem Handeln und der Welt! Doch auch, wenn Tod aufgrund seiner leichten Befangenheit in Bezug auf Janay und der kleinen Familie, die er bis vor ein paar Tage mitbegleitet hatte, wusste er, dass Schicksal seinem Gesellen eine gute Seele und fähige Hilfe zur Seite gestellt hatte. Er kannte Elodi und konnte daher die stürmisch aufkeimenden Gefühle Kazels ihr gegenüber verstehen. Noch dazu hegte er die Hoffnung, dass der tapfere Mischling, der sich in den tiefen seines Herzens stets um ihn – seinen Lehrmeister – sorgte, nicht so enden würde wie er selbst. Die Einsamkeit war zu einem festen Teil seiner selbst geworden. Doch Kazel… nein ihm sollte es nicht so ergehen. Und das war ein weiterer Punkt, weshalb er sich Schicksals Gedanken angeschlossen hatte – noch dazu, weil sie eine tiefere Einsicht in die Gefüge des Lebens besaß, als er selbst!
Zu Beginn hatte Tod gewollt, dass Kazel sein irdisches Leben weiter auskostete, auch wenn er ihn schon zu seinem Lehrling bestimmt hatte. Er hatte daher seine Liebe und das Wachsen der kleinen Familie unterstützt. Doch war ihm im Laufe der Zeit immer stärker bewusst geworden, dass er Kazels irdisches Glück dadurch höher gestellt hatte, als seinen ewigen Seelenfrieden. Janay war anders – sie war für den sterblichen Kazel sicher gut, doch war ihre Beziehung endlich und dieses Schicksal ließe sich nicht umgehen. Sie konnte keine Weltenspringerin werden und ihre Seele würde eines Tages zerrieseln und sich zurück in das große Ganze der Weltenzeit einfügen. Sein Geselle aber würde weiter bestehen und seine Seele wäre vermutlich für immer an die Trauer gefesselt, die ihr Verlust in ihm bewirken würde. Daher konnte er nicht anders, als die getroffenen Entscheidungen und Veränderungen – diesen Neuanfang … zu unterstützen!
Abgesehen davon, dass er auch die Pflicht hatte auf das Gleichgewicht des Lebens zu achten, wollte er, dass Kazel die Ewigkeit anders erleben würde, wie er selbst! Und die großen Drei sollten … zu einer wahren Einheit werden…! Daher würde Tod auch die Wut und den Frust seines Schülers annehmen – egal, wie schwierig das alles auch für ihn war!
Mittlerweile denke und empfinde ich für ihn wirklich, wie ein Vater über einen Sohn…


Von alldem wusste Kazel nur wenig. Er hatte viel vergessen und sah auch noch nicht das große Ganze, was er in seinem momentanen Zustand auch gar nicht konnte. Die Zeit würde früher oder später alles regeln…!
In diesem Moment sah sich der Mischling zu forderst einer ersten Herausforderung gegenübergestellt. Das zusammengestürzte Gebäude hatte drei Leben unter sich begraben, deren natürlich Zeit noch nicht abgelaufen war! Es war eine Grauzone für Weltenspringer, denn in solchen Fällen konnten sie noch etwas bewirken und verändern. Kazel könnte sie noch retten und würde sie dann nicht auf die andere Seite überführen müssen.
Dennoch kam gerade viel zusammen! Sie mussten nicht nur gegen die Zeit arbeiten und die Verschütteten bergen – nein, die Ursache des Unfalls bedrohte sie auch weiter in Form eines Plagegeistes! Ein Wesen, mit dem der Mischling bisher keine großen Erfahrungen gesammelt hatte. Wie hätte er den Unterschied zu Tods Aura wahrnehmen sollen und wie sollte er dieser Herausforderung gegenübertreten, ohne zu wissen, wie man diesen begegnete?

Kazel versuchte all solche Gedanken gerade beiseite zu schieben. Erst einmal mussten sie die Vermissten finden und retten. Und an diesem Ziel, arbeiteten sie alle zusammen!
„Er ist nicht hier!“, teilte Kazel Elodi mit, woraufhin sie kurz den Blick hob und ihre Arbeit beim Wegräumen des Schutts unterbrach. Seine Worte konnten auf mehreres hindeuten, doch sie verstand, dass er in diesem Fall vom Gevatter sprach. Und diese Information löste in ihr eine gewisse Erleichterung aus. Sie nickte mehrfach hintereinander und warf ihm ein dankbares Lächeln zu. Doch dann machte sie sich wieder daran, weiterzusuchen!
Es verstrichen mehrere angespannte Minuten, die sich gefühlt deutlich länger hinzogen, als üblich, bis Kazel endlich etwas bemerkte! Ein wimmernder Laut drang gedämpft durch all den Schutt an seine empfindlichen Ohren. Und auch zwei Dunkelelfen, die auf der anderen Seite des zusammengestürzten Gebäudes standen, hielten inne und lauschten!
Kazel riss seine Hand hoch und forderte Ruhe! Augenblicklich erstarrten alle in der Bewegung und horchten angestrengt nach einem hörbaren Laut. Und da war es – das Wimmern wurde lauter und verriet ihnen endlich die Richtung, in der sie suchen mussten!
Elodi war sofort an der Stelle und griff nach allem, was sie zu fassen bekam, um es zur Seite und von der Stelle zu räumen, unter denen sich ganz offenbar Miro und vermutlich auch Tarek befanden! Ihre Hände bluteten bereits an manchen Stellen, doch das war ihr völlig egal! Auch andere Dorfbewohner halfen und so schafften sie es endlich einen Zugang zu den Verschütteten zu erschaffen. Doch dieser war Schmal… und wie alles andere auch einsturzgefährdet! Nicht jeder hier würde sich hindurchzwängen können.
Kazel dachte in diesem Moment gar nicht an seine eigene Sicherheit. Er beugte sich vor und griff in das entstandene Loch, woraufhin er – zu seiner Erleichterung – die Finger eines Lebenden zu fassen bekam. Es war Tarek, der mit seinem Körper versuchte den kleinen Miro vor der Last des zusammengestürzten Baumaterials abzuschirmen.
Kazel konnte erkennen, dass der Junge augenscheinlich nicht schwer verletzt war. Zwar blutete auch er und war von Kopf bis Fuß verdreckt und voller Schrammen, doch schien der Körper des Soldaten ihn vor größeren Schäden bewahrt haben. Tarek hingegen… sah nicht gut aus! Sein Körper war übersäht mit blutigen Wunden und er zitterte stark durch die Anstrengung der zu tragenden Last.
„Keine Sorge, wir holen euch beide da raus.“, versuchte Kazel dem Mann Mut zuzusprechen und gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass sie sich beeilen mussten.
„Ist Barret auch bei dir? Tarek, wir retten euch. Alles wird gut! Halt noch ein wenig durch, nur noch ein bisschen!“ Elodi stand hinter Kazel und ihr Blick verriet ihre Sorge und Anspannung. Als sich der Blick des Mischlings mit ihrem Verband keimte allerdings so etwas, wie Hoffnung in ihr auf, das er in ihr auszulösen vermochte. Es war ein Vertrauen, dass er sich nicht hatte erarbeiten müssen. Sie schien es ihm gegenüber einfach zu empfinden.
„Wir müssen Miro herausheben! Und dafür sorgen, dass der Druck auf Tarek abnimmt!“, sagte sie, woraufhin er nickte und sich etwas umsah. Sein blauer Blick fiel auf den Ork Thorgh, der am Rand des Trümmerhaufens stand, um mit seinem Gewicht keinen Schaden anzurichten. Er räumte dort schwere Balken zur Seite und warf sie mit erstaunlicher Leichtigkeit auf einen freien Haufen hinter sich.
„Der Ork ist groß und stark“, meinte er und rief dann auf Krz'ner nach dem morgerianischen Wesen:
„Thorgk! Helfen ... Elodi. Die Trümmer! Du heben von Kopf ... von Rückseite. Nimm die Last von Tarek herunter!“ Der Ork hielt inne und hob den Kopf – dann nickte er entschlossen und kam näher, um zu helfen.
„Der Querbalken vom Dach! Schaffst du es ihn zu sichern, so dass er nicht nachgibt, Thorgk? Er drückt auf die Trümmer, die Tarek und Miro umgeben!“, rief Elodi dem grünen Wesen zu, der seine kleinen Augen auf den schrägliegenden Balken richtete, ehe er entschlossen nickte.
„Thorgk schafft das!“, rief er und suchte sich dann etwas umständlich einen Weg über den Schutt, um den großen Holzbalken mit den Armen zu umschließen und zu sichern.
Kazel wandte sich in der Zeit wieder an Tarek, dessen sichtbare Gesichtshaut, die nicht von Blut bedeckt war, beunruhigend blass war. „Ich zieh Miro hinaus!“, rief er und drängte sich dann in den kleinen Zugang hinein. Er konnte plötzlich Elodis Hand in seinem Rücken spüren, die sich in den Stoff seines Hemdes krallte.
„Sei bitte vorsichtig!“, sagte sie im Wissen, dass sich ihr Partner dadurch selbst in Gefahr begab. Doch sah sie ein, dass es anders keine Rettung geben würde.
„Jemand muss meine Beine festhalten und uns wieder herausziehen. Vorsicht, ich komme. Miro, halt dich an mir fest!" Erst griff Elodi nach Kazels Beinen, doch kaum zwei Sekunden später kamen ihr die zwei Dunkelelfen zur Hilfe, die dem Mischling zuvor aufgefallen waren.
„Wenn wir ziehen sollen sag uns Bescheid!“, meinte der Elf mit kurzen weißen Haaren und ähnlich dunkelblauen Augen, wie Kazel sie selbst besaß! In diesem Moment zeigte sich sichtbar, dass dieser Ort anders war – hier schien die Herkunft und die Rassenzugehörigkeit keine wirkliche Rolle zu spielen! Andernorts hätten sich Dunkelelfen vermutlich nicht dazu erniedrigt, einem Mischblut unter die Arme zu greifen.

Kazel hatte allerdings kaum Zeit diesen Umstand bewusst wahrzunehmen. Er sah sich einer weiteren Herausforderung gegenüber, denn Miro war vollkommen verängstigt und schien den Blick für das Vernünftige verloren zu haben. Das einzige, was der Junge tat, war sich an Tarek zu klammern, ohne zu bemerken, dass er es seinem Retter dadurch noch schwerer machte.
„Nein ... nein!!!“ wimmerte Miro und verstärkte seinen Griff, wodurch Tarek vor Schmerzen aufkeuchte. Und wäre das nicht schon schlimm genug … spürte Kazel die immer näherkommende und stärker werdende Präsenz des Plagegeistes. Der Gefühlsmix aus Hass, Wut, Schmerz und Rache war atemraubend und erdrückend. Und dem Mischling wurde klar, dass der Geist auf weiteres Unheil aus war!
„Plagegeist!“, stieß der Elf aus, um Elodi zu warnen, die aufmerkte und sich umsah, was er allerdings nicht sehen konnte. Ihr Blick wurde immer ernster.
„Hilf Tarek und Miro!“, bat sie nur noch einmal, ehe sie vorsichtig die Trümmer hinabkletterte. Was sie vorhatte … würde Kazel in diesem Moment verborgen bleiben. Dieser versuchte es auf seine Weise – ihm blieb ja kaum mehr übrig!
„Ich weiß, es tut weh. Vermutlich bist du wütend und ängstlich, weil etwas Unerwartetes geschehen ist. Ich weiß nicht, ob ich es wiedergutmachen kann, aber ich bin hier, um zu helfen. Ich helfe dir, hörst du?“ Seine Worte würden sowohl den Plagegeist, als auch Miro erreichen können. Doch nur das sterbliche Wesen schien zu reagieren. Langsam hob sich der schwarze Schopf und Kazel sah in hellbraune Augen, die am ehesten mit der Farbe von klarem Honig zu vergleichen waren. Das Weiß seiner Augen war durch das Weinen stark gerötet!
Kazel streckte sich noch tiefer und die Dunkelelfen stützten ihn dabei. Er hielt Miro beide Arme entgegen und versuchte durch den Blickkontakt wenigstens zu ihm durchzudringen: „Ich strecke dir meine Hand als Angebot entgegen. Du musst nur zugreifen. Wir kennen uns nicht, aber ich lasse dich nicht im Stich. Na, komm schon!“ Der Junge sah von Kazels Gesicht zu seinen Händen und in seinem Blick lag weiter nichts als Angst. Dann drückte er sich wieder an Tarek.
„… Mi..ro! Du musst … mich loslassen!“, sprach nun auch der Verwundete auf den Jungen ein, der stark mit dem Kopf zu schütteln begann.
„Nein! Ich will nicht weg! Ich will nicht sterben!“, rief er und Tarek geriet in arge Bedrängnis, weil Miros Bewegungen einige Schuttteile lockerte, die staubaufwirbelnd in den engen Holraum fielen, in denen sie sich befanden. Es waren glücklicherweise keine großen Teile und doch war klar, dass sie Trümmerwände jederzeit einstürzen könnten!
„…wenn du bleibst… sterben wir! Ich… kann… nicht mehr…!“ Tarek hatte Miro anschnauzen wollen, doch seine Stimme war dazu bereits zu kraftlos. Mühsam wandte er den Kopf zu Kazel und löste seinen Griff von seiner Hand. Er fasste Miros Unterarm mit scheinbar mühsamen Kraftaufwand und drückte diesen dann in die Hand des Elfen.
Nun musste Kazel den beiden Dunkelelfen nur ein Zeichen geben – ein Wort sagen und sie würden ihn und Miro herausziehen! Tareks Blick fand wieder den des Mannes, den er Prinzesschen genannt hatte und der Geselle des Todes konnte erkennen, dass er sich selbst aufgegeben hatte. Er wusste, dass vermutlich alles um ihn herum einstürzten würde, sobald Kazel Miro herausziehen würde. Und dennoch … lächelte der Mann.
Auf der anderen Seite des Schutthaufens drangen laute Rufe an seine Elfenohren. Offenbar hatten andere Dorfbewohner Barret gefunden, der an einer anderen Stelle begraben gewesen war. Die Wortfetzen verrieten Kazel allerdings, dass dieser zwar verletzt zu sein schien, aber lebte!
Einer war bereits sicher! Und ein Leben hielt er in seiner Hand, das er retten könnte. Nüchtern betrachtet war es der zweitbeste Ausgang, den sie erreichen konnten. Doch Kazel würde nicht aufgeben! Er würde auch alles in seiner Machtstehende versuchen, um Tarek zu retten! Um aber überhaupt die Chance zu haben, mussten sie Tareks Leben riskieren. Denn, wenn sie Miro nicht herausziehen würden, würden beide vermutlich sterben!
Sollte Kazel sich dafür entscheiden, würde er den Jungen tatsächlich an die Oberfläche gezogen bekommen. Um Tarek würde einiges an Schutt zusammensacken, doch nicht genug, um ihn vollständig zu vergraben. Noch bestand also Hoffnung!
Miro hingeben klammerte sich nun weinend an den Mischling. Erst hatte er sich gegen den Zug gewehrt, doch nun, wo er wieder an der frischen Luft war, schien er verstanden zu haben, dass er außer Gefahr war.
Doch Kazel spürte im nächsten Augenblick, dass dem nicht so war! Die eiskalte Präsenz tauchte wie ein Donnerschlag auf und hob der junge Mann den Kopf, würde er den Plagegeist auf dem großen Querbalken, den Thorgk mit viel Kraftanstrengung stützte, stehen sehen! Niemand sonst schien diesen wahrzunehmen – die beiden Dunkelelfenmänner versuchten Miro ein wenig zu beruhigen – zogen gar lustige Grimassen, um den Schock des Kindes zu durchbrechen.
„Das lass ich nicht zu! MISCH DICH NICHT EIN!!!“, schrie der Geist Kazel mit einer merkwürdig dunkel und zugleich schrill verzerrten Stimme an. Die Gestalt der herumtreibenden Seele war eindeutig menschlich – sein Körper war für den Mischling sichtbar und doch war er leicht transparent. Eine dunkle und sichtbare Aura waberte um ihn herum, wie bedrohlich wirkender schwarzer Nebel. Der Anblick war der eines Mannes, der lebendig und in einer Menschenmenge kaum groß aufgefallen wäre. Und das einzige, was seinem Blick irgendeinen Ausdruck zu verleihen vermochte, war dessen unbändiger Hass!
„Er soll sterben! Sterben! Ich hasse ihn – ich hasse sie alle!“, schrie er, wieder nur für Kazels Ohren hörbar. Und doch veränderte sich etwas, was auch alle anderen spürten: Die dunkle Aura des Geistes, ließ den Grund erbeben so, dass die kleinsten Geröllstücke bereits zu kullern, zu rutschen und zu rieseln begannen. Und als würde der Geist über eine unmenschliche Kraft verfügen, begann der große, schräg über Kazel und Tarek schwebende Dachbalken zu rutschen!
Thorgk ließ einen hörbar angestrengten Laut von sich vernehmen: „Argh… ich … kann ihn nicht mehr lange halten!“, rief er, wodurch noch andere Dorfbewohner versuchten dem Ork zu helfen, doch es war vergebens: Allen wurde klar: ihnen war die Zeit davongelaufen!

Es war dieser Moment in dem Kazel Elodis Stimme hörten konnte: „Kazel! Du musst die Zeit anhalten! Halt sie an!“, rief sie, doch war ihre Stimme dieses Mal nur in seinem Kopf zu hören! Ihre Gestalt tauchte auf der anderen Seite des Schutthaufens auf, als wäre sie durch ein Loch in Raum und Zeit gefallen. Doch niemand außer ihm schien sie das gesehen oder wahrzunehmen zu haben! Würde Kazel ihrer Bitte nachkommen, würde alles und jeder, bis auf Elodi, ihn und den Geist stillstehen. Nicht ein Körnchen Schutt würde sich regen!

Sobald die Zeit stillstehen würde, würde Elodi sich hinknien und ihre Hände auf die Trümmer legte.
„Seelenfessel!“ Dieses seltsame Wort verließ ihren Mund und im gleichen Augenblick schossen aus dem Boden helle bläulichweiße Fäden hervor, die die Gestalt des Geistes eng umwickelten. Die Fäden waren denen Ähnlich, aus denen Schicksals Umhang bestanden hatte.
Der Poltergeist schrie auf, wie ein Wahnsinniger und doch wirkte es nicht so, als würde er Schmerzen erleiden. Sein Körper warf sich zwar auf der Stelle hin und her, wehrte sich gegen den Druck der dünnen Schlingen und doch waren seine Schreie nur Ausdruck seines enormen Hasses und der Wut.
„Lass los! Lass los! Du Schlampe ich töte dich!!!“ spie der Mann und sein aufgerissener Blick lag mordlüstern auf Elodi. Sie hielt weiter mit den Händen Kontakt zum Boden und würde Kazel ihr Gesicht aufmerksam mustern, würde er erkennen, dass das, was sie gerade tat, einiges an Kraft zu kosten schien. Nun war sie es jedoch, die ihr Gesicht dem Elfen zuwandte.
„Seine Seele müsste eigentlich mit seinen Überresten verbunden sein! Doch sein enormer Hass …. hat diese Verbindung getrennt, so dass er sich ungebunden in der Zwischenwelt bewegen und den Lebenden Schaden zufügen kann! Ich… weiß nicht, wie wir diese Verbindung wieder herstellen können! Ich… kann ihn nur mit Hilfe seiner Lebensfäden festhalten, aber … er… Eine düstere Welle der kalten Aura fuhr über sie beide weg und brachte den Körper der jungen Frau ins Wanken, als würde etwas schwer auf sie drücken. Der Geist war stark – sein Hass schien ihn vollkommen verzehrt zu haben.
„NIMM SIE WEG!“, schrie der Geist weiter und seine düstere Aura gewann immer mehr an Kraft.
„… er…“, begann Elodi und bekam unter der Anstrengung selbst kaum noch Kraft in ihre Stimme. „Er… war im Leben ein Freund von … Tareks Vater!“ Elodi besaß die Fähigkeit die Lebensfäden eines jeden Wesen zu lesen. Und das schien sie bei dem Geist getan zu haben, was ihr einen Einblick in dessen Leben gewährte und sie dazu befähigte Zusammenhänge zu erkennen, die Kazel beispielsweise verborgen waren, sollte eine Seele es ihm nicht erzählen.
„Er… hatte immer weniger und… versuchte seinem Freund immer ebenbürtig zu sein. Dadurch verkannte er seine… eigenen Stärken. Seine Eifersucht wurde… immer größer und er wollte alles, was Tareks… Vater besaß. Er verliebte sich in dieselbe Frau, doch sie… wählte nicht ihn, sondern seinen Freund. Das vergiftete immer weiter seine Seele, bis er … sie und ihn… umbringen wollte! Doch beim Abwehren des Angriffs… kam es zum Kampf, bei dem … er starb!“ Elodis Arme sackten zusammen, so dass sich ihr Oberkörper immer weiter dem Boden näherte. Ihre Lippen verließ ein Schmerzenslaut, doch… sie hielt weiter gegen die Kraft des Geistes an.
Die beiden Gesellen steckten in der Klemme! Kazel war das erste Mal in eine Konfrontation mit einem solchen Rachegeist verwickelt. Und auch Elodi schien nicht zu wissen, wie sie seine Seele überführen konnten. Denn das war nicht ihr Metier – das Ernten von Seelen oblag Tod und dessen Gesellen!
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Montag 8. Juli 2024, 05:50

Was der Gevatter wirklich von ihm hielt und mit welcher väterlichen Nähe er über seinen Gesellen urteilte, würde Kazel noch herausfinden müssen. Er ahnte nichts von alledem, im Gegenteil. Er hatte sich in den kurzen Momenten, die ihm zum Nachdenken verblieben, dazu entschlossen, noch einmal mit Tod zu sprechen. Er würde sich für seine harschen Worte entschuldigen. Sie waren angesichts der adrenalingeladenen Situation unbedacht und schnell durch seinen Geist geschossen. Vor allem aber hatte es an der Präsenz des Plagegeists gelegen, einem Wesen, mit dem Kazel es niemals zuvor zu tun bekommen hatte. Doch er würde sich nicht auf sein Unwissen stützen, damit es als Ausrede für seine eigene Unzulänglichkeit herhielt. Stattdessen würde er lernen müssen, damit umzugehen. Dass er hierbei mehr oder weniger erneut ins kalte Wasser geworfen wurde wie schon damals bei seiner Konfrontation mit dem Lebenszeit pervertierenden Dämonenwurm, war gewiss nicht geplant. Trotzdem hing er nun hier, in dem schmalen Loch, das sie bis zu Tarek und Miro durchgegraben hatten. Dunkelelfen umklammerten seine Beine, während er versuchte, den Jungen dazu zu bewegen, sich an ihm festzuhalten. Und im Hintergrund war nach wie vor die kalte Präsenz des Plagegeistes spürbar. Er richtete seine Worte somit nicht nur an Miro allein. Er versuchte auch, ersten Kontakt zu dem Geisterwesen aufzunehmen, unabhängig davon, ob es ihn verstehen könnte. Ihm blieb eben nur der Versuch. Dafür zeigte er in Bezug auf beides vollen Einsatz. Hätten die fremden Elfen ihn nicht an seinen Beinen gepackt, wäre Kazel nämlich schon längst zu den Verschütteten ins die viel zu enge Zwischehöhle gerutscht. Er streckte sich noch mehr nach Miro aus und endlich verstand der Bursche, dass es hier nur den Tod zu finden gäbe, wenn er sich nicht helfen ließ. Rasch huschte er in Kazels Arme und jener umschlang den zittrigen Leib eng. Sein Blick aber glitt an Miro vorbei zu Tarek. Er erstarrte innerlich. Der Verletzte lächelte kraftlos. Das war kein gutes Zeichen. Er nahm das Schicksal an, das nicht seines werden sollte, wenn Kazel es verhindern könnte.
Schicksal... Elodi wäre von ihr sicherlich gewarnt worden. Alles andere wäre doch auch für seine neue Bekanntschaft seelische Folter! Schicksal konnte ihre Gesellin unmöglich verzweifelt und besorgt hier im Schutt wühlen lassen, wenn bereits feststand, was aus Tarek, Miro und Barret würde. Gerade Miros Schicksal schien sich nun doch noch zum Guten zu wenden, aber der Blick des Mannes, der Kazel Prinzessin geschimpft hatte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Er war abschließend.
Kazel zog die Brauen zusammen. Der Gevatter war nich hier! An diese Hoffnung klammerte er sich nun, vollkommen ignorierend, dass eben jener ihm dieses Gebiet quasi als Zuständigkeitsbereich übergeben hatte. Es konnten wohl immer noch Personen sterben, der Mischling würde es jedoch erst kurz davor mit Sicherheit wissen, wenn überhaupt. Tod hatte es in der Vergangenheit schon einmal angedeutet, dass er im Laufe der Ewigkeit noch lernen würde, die Zeichen so weit zu deuten, dass er stets ein wenig Vorwissen besäße, ob und mit wem es zu Ende ginge. Jetzt aber war er als junger Geselle noch viel zu unerfahren. Er dachte ja nicht einmal daran, dass Tarek immer noch draufgehen konnte! Er wollte nicht daran denken.
"Zieht!", gab Kazel den Dunkelelfen ein Zeichen. Er hatte den kleinen Miro fest im Griff. Fest im Blick behielt er allerdings Tarek. "Und du", warnte er ihn. "Wage es nicht, aufzugeben. Bin gleich wieder da!" Für mehr genügte es nicht, da wurde er schon durch das Loch zurück an die frische Luft gezerrt. Er konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Miro sich aus seinen Armen löste. Vielleicht wurde ihm das Kind auch direkt abgenommen. Er hörte nur das Wimmern und angestrengte Luftholen nach der Tortur in dem stickigen Loch. Aber der Mischling konnte sich auch nicht wirklich darauf konzentrieren. Noch waren nicht alle gerettet, wenngleich zwei von dreien bereits ein guter Schnitt waren. An anderer Stelle holte man soeben Barret an die Oberfläche.
Sein Blick wanderte schon wieder zu der Öffnung. Er wusste noch nicht, wie, aber er würde Tarek da schon herausbekommen. Ehe sich in seinem Kopf jedoch auch nur ansatzweise ein Plan bilden konnte, glitt die kalte Präsenz des Plagegeist wie ein Schauer über ihn hinweg. Sie lenkte ihn ab, so dass Kazel den Blick umwandte und schon sah er sich mit dem Geist direkt konfrontiert. Jener stand auf dem Querbalken, den Thorgk mit aller Kraft zu stützen versuchte. Kazel achtete kaum darauf, ob andere das Wesen sahen. Er sah es und das genügte. Seine ganze Haltung veränderte sich. Seine Muskeln spannten sich an und er bereitete sich innerlich darauf vor, sich sofort in Bewegung zu setzen, um ... ja, was eigentlich zu tun?
"Das lass ich nicht zu! MISCH DICH NICHT EIN!!! Er soll sterben! Ich hasse ihn - ich hasse sie alle!" Seine Existenz bestand aus purem Hass, der Kazel zusammen mit der Kühle entgegenschwappte. Sie traf ihn wie ein Faustschlag, gleichzeitig aber hatte er das Gefühl, bis zu den Hüften durch Teer waten zu müssen. Die Schwere des Hasses zog ihn herunter, wollte auch ihn in die Knie zwingen. Würde sie Tarek erreichen, gäbe dieser endgültig auf.
Nein, das lasse ich nicht zu!
"Kazel! Du musst die Zeit anhalten! Halt sie an!"
Elodis Stimme wie jene des Gevatters plötzlich in seinem Kopf zu hören, ließ ihn zunächst stutzen. Es war ungewohnt, aber der Befehl eindeutig. Er musste die Zeit anhalten. Er war dazu in der Lage, inzwischen sogar, ohne eigene kostbare Lebenszeit dafür zu opfern. Darauf hatten Tod und er sich geeinigt. Er durfte die Gaben des Gevatters anwenden, sofern er sie bereits beherrschte und ausschließlich ... im Dienst. Dazu müsste er nur seine eigene Totenkutte überstreifen, die er jederzeit aus dem Nichts herbeirufen konnte. Anschließend stünden ihm die Fähigkeiten zur Verfügung, auch seinen Sensendolch zu manifestieren, um Seelen von ihren Körpern zu trennen, die Stundengläser der Lebenden zu betrachten und wie viel ihnen noch blieb - er hätte das bei Tarek tun sollen! Es fiel ihm zu spät ein. Darüber hinaus aber konnte er auch durch Zeit und Raum springen, wenn er schon einmal am Zielort gewesen war, sowie die Zeit selbst zum Stillstand bringen. Letzteres wandte er an, noch bevor die im Geiste hervorgerufene Kutte sich über seinen Körper legte. Alles hielt still, während der schwarze Stoff sich um ihn schmiegte. Nun stand er da, wie der Tod selbst, außer dass Kazel nicht die skelettierte Optik aufwies. Er war immer noch er selbst, verströmte unterhalb der Kutte nun aber auch die Kühle seines Meisters. Sie ging von ihm selbst aus, ein erstes Anzeichen für seine Profession. Trug er aber dessen Stoff, schien der Effekt sich nur noch zu verstärken. Zwei kühle Präsenzen standen sich nun also gegenüber, doch noch immer wusste Kazel nicht, wie er mit dem Plagegeist umgehen sollte.
"Seelenfessel!" Plötzlich schossen mehrere helle Linien wie silberne Lichtfäden an ihm vorbei. Sterne schienen auf ihrem Weg aufzublitzen und die Farben unmittelbar um sie herum zu einem Nachtblau zu verblassen. Es erinnerte Kazel schlagartig an Schicksals beeindruckendes Gewand, während die Stimme als Elodis von ihm erkannt wurde. Schon schlangen sich die Fäden um die Extremitäten des Geistes, hielten ihn an Ort und Stelle und hinderten ihn daran, noch mehr Kraft auf den Balken auszuüben. Die Zeit mochte stillstehen, aber jene, die sich auch in diesem Halt bewegten, konnten natürlich Einfluss auf die Umgebung nehmen. Elodi hatte es soeben bewiesen. Mit Kazel unbekannten Mächten hielt sie den Plagegeist gefesselt. Jener schrie und zeterte. Seine Kraftausdrücke klingelten dem Mischling in den Ohren. Elodi hatte ganz schön mit dem Geist zu kämpfen. Es stand fest, dass sie es allein nicht schaffen würde. Kazel musste etwas unternehmen. Wenn er nur eine Idee hätte!
Da hallte erneut Elodis Stimme durch seinen Geist: "Seine Seele müsste eigentlich mit seinen Überresten verbunden sein! Doch sein enormer Hass ... hat diese Verbindung getrennt, so dass er sich ungebunden in der Zwischenwelt bewegen und den Lebenden Schaden zufügen kann!" Kazel erinnerte sich an bruchstückhafte Gespräche mit Tod. Er hatte mal erwähnt, dass manche Verstorbenen von ihm vergessen wurden oder sich ihm gar bewusst entzogen. Jene wurden zu Geistern und war schwierig für den Schnitter, dieses anschließend zu finden, um sie nach Kata Mayan zu bringen. Dass sie so voller Hass waren wie dieses Exemplar hier, hatte er allerdings nicht erwähnt. Was trieb den Plagegeist nur an? Elodi hatte eine Antwort darauf. Es strengte sie an, weshalb sie sich nicht mehr auf den geistigen Kontakt konzentrieren konnte. Für Kazel war es jedoch kein Problem ihre Worte auszumachen. Alles andere, auch Geräusche, waren mit der Zeit erstarrt.
"Er ... war im Leben ein Freund von ... Tareks Vater! Er ... hatte immer weniger und ... versuchte, seinem Freund immer ebenbürtig zu sein. Dadurch verkannte er seine ... eigenen Stärken. Seine Eifersucht wurde ... immer größer und er wollte alles, was Tareks ... Vater besaß." Sie gab eine rasche Zusammenfassung dessen, was sie über den Geist wusste. Er war im Laufe seines Lebens blind für selbiges geworden, hatte in allem nur noch den Konkurrenzkampf zu Tareks Vater gesehen und trug den Frust um seinen Misserfolg nun bis über den Tod hinaus mit sich. Sein Ableben musste das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Er war nicht mehr, Tarek hingegen durfte noch kämpfen.
"Er ist nicht Schuld", rief Kazel dem Plagegeist entgegen. Er kannte dessen Namen nicht, was sicherlich geholfen hätte. Aber unabhängig davon versuchte der Mischling, auf das Wesen einzureden. Er griff nicht mehr sofort und blind zur Klinge wie früher ... als er unbedarft verstorben und von einem mächtigen Elfenmagier ins Leben zurückgeholt worden war, um die Lektion noch lernen zu können. Vielleicht hatte er sich damals schon mit seiner Seele dem Tod verschrieben. Er dachte jetzt nicht darüber nach. Jetzt galt seine volle Aufmerksamkeit dem Plagegeist. Er näherte sich ihm und erklommt sogar den Felsen, den Thorgks erstarrte Statur darstellte. Er musste lediglich aufpassen, dass Gewicht des Balkens nicht in die falsche Richtung zu belasten. Vorsichtig bewegte er sich auch um die Lebens- oder Schicksalsfäden herum, mit denen Elodi den Geist gebannt hielt. Erst als Kazel auf einer Höhe mit dem Wesen war, ihm direkt gegenüber stand und in dessen durchscheinenden, hasserfüllten Augen sehen konnte, sprach er weiter. "Tarek kann nichts dafür, als Sohn deines Freundes geboren worden zu sein. Es ist auch nicht seine Schuld, dass dein Leben nicht zu deinen Gunsten verlief. Es ... ist nicht gerecht. Das ist es nie. Wir können alle nur kämpfen." Für den Geist war es allerdings zu spät. Kazel bedauerte aufrichtig, dass er seine Chancen nicht hatte nutzen können. Er kam ihm noch näher, bedrohlich nahe. Er kannte die Fähigkeiten dieses Wesens nicht und doch riskierte er es, in seinen Wirkungsbereich zu gelangen. Hier spürte er die Kälte ganz deutlich. Sie besaß keine beruhigende Wirkung auf ihn wie beim Gevatter. Sie umtoste ihn wie ein Eissturm, der mit gefrorenen Splittern aus Hass in seine Haut schneiden wollte.
"Wenn du an der Stelle deines Freundes gewesen wärst", setzte er fort, appellierte an einen Kern im Wesen des Geistes, von dem Kazel nicht wusste, ob er ihn noch besaß. Aber was blieb ihm übrig? "... das könnte nun dein Sohn sein, der in den Trümmern um sein Überleben kämpft. Würdest du wollen, dass sein Vater - dein Freund - seinen Hass auf ihn ablädt, damit er stirbt? Dein Sohn? Wäre das gerecht? Würde es irgendetwas ändern?" Was es änderte, war Kazels Anwesenheit. Er bezweifelte, dass der Gevatter so auf diesen Geist eingeredet hätte. vielleicht hätte er ihn gegen die durchsichtige Stirn geschnippt und ihn so zur Ruhe gebracht. Möglicherweise hätte er ihn mit Puffmais beworfen ... nein, der Galgenhumor des Gevatters war doch ein anderer. Aber sicherlich hätte er nicht gewagt, was Kazel nun versuchte. Möglicherweise kassierte er bald schon den nächsten Tadel für seinen Versuch, aber er wusste es nicht besser ... und das Schicksal dieses toten Mannes bewegte ihn.
"Es tut mir wirklich leid", sagte er und versuchte, dem Geist in einer mitfühlenden Geste die Arme um den halb transparenten Leib zu legen, notfalls auch nur symbolisch. Es kam ihm darauf an, dass der Verstorbene mit all seinem Schmerz und dem Hass nicht allein war. "Du hast genug gelitten, findest du nicht?" Es wurde Zeit, zu gehen. Das war alles, was Kazel wohl für ihn tun könnte, aber dazu musste der Geist sich beruhigen ... oder nun lange genug abgelenkt sein, damit Elodi einschreiten könnte.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Samstag 13. Juli 2024, 15:54

Kazel wurde mal wieder nicht verschont. Er war gerade erst in seinem neuen Leben angekommen und doch schienen Unruhen und Gefahren ihn immer wieder neu aufzufinden. Dabei fühlte er gerade noch nicht wieder gefestigt. Ein großer Teil seiner selbst fehlte und dadurch schien es zu Unsicherheiten und Missverständnissen zu kommen.
Doch gerade konnte er sich darüber gar keine Gedanken machen. Nun war die Zeit zum Handeln gekommen. Und vielleicht tröstete ihn ein wenig das Bewusstsein, dass er nicht vollkommen alleine war. Elodi war da! Und sie versuchte mit ihren Möglichkeiten zu helfen, auch wenn es nicht so wirkte, als wäre sie eine ständige Begegnung mit Geistern gewohnt.
Kazel beherzte Elodis Bitte und hielt tatsächlich die Zeit an. Als Geselle von Tod war ihm dies nun uneingeschränkt möglich, solange er die Kutte des Todes trug. Diese umhüllte nun seine Gestalt und auch seine Aura war kälter geworden. Seine blauen Augen wirkten noch ein wenig intensiver, als zuvor und die junge Frau, die die Bewegungen des Geistes mit hellen, silbrig-gold changierenden Fäden fesselte, hob den Blick kurz. Es war auch für sie das erste Mal, dass sie Kazel in seiner Arbeitskleidung sah und offenbar... löste dieser Anblick eine Reaktion in ihr aus.
Sie gab Kazel alle Informationen, die sie ihm geben konnte – geriet allerdings in arge Bedrängnis, als die dunkle Aura des Geistes auf sie drückte, als würde die Schwerkraft der Erde verdoppelt werden. Es war sichtbar, dass er Elodi wehtat, doch sie hielt tapfer an dem fest, was sie tat! Sie wollte nicht, dass Tarek oder jemand anderem etwas geschah, auch wenn dieser Vorfall sicher als Schicksalsschlag abgestempelt werden könnte.
Doch vielleicht folgten die Geschehnisse nicht Schicksals Entscheidungen, sondern einem anderen Muster?! Darüber konnte sich der Mischling keine Gedanken machen. Er verstand, was den Geist umtrieb – welche Gefühle ihn beherrschten und was für Auslöser sie gehabt hatten. Die Wut und Eifersucht auf Tareks Vater hatte ihn völlig blind gemacht. Sie hatte den Mann von damals den Verstand und jegliche Moral vergessen lassen. Die enttäuschte Liebe war offenbar der letzte Tropfen gewesen.
Doch Kazel erkannte ganz richtig! Der Geist hatte sich den falschen ausgesucht:
„Er ist nicht Schuld“, rief Kazel dem Plagegeist entgegen, der sich wie ein wütender Kobold in Elodis Fäden wand. Es war fraglich, ob die Worte überhaupt zu ihm durchdrangen.
Kazel betrachtete die aufgewühlte Seele vor sich, für die es kein Zurück in sein Leben gab, um es besser zu machen. Die einzige Möglichkeit seinem Leid ein Ende zu machen war ihn auf die andere Seite zu führen, so dass seine Seele an den Strand von Kata Mayan zurückkehren uns in die Ewigkeit übergehen könnte. Bis daraus wieder ein neues Leben entstehen würde.
Angestrengt dachte der Mischling nach. Wie konnte er das erreichen? Konnte er seinen Dolch einsetzen? Wieso war Tod nicht hier und gab ihm wenigstens einen Ratschlag, wenn schon keine Lehrstunde? Auch Schicksal mischte sich offenbar nicht ein… oder?
Würde der Dunkelhaarige einen Blick zu Elodi werfen, würde er sehen können, dass sie in arge Not geriet. Ihr Gesicht zeichnete den Schmerz ab, den sie fühlte und sie krümmte sich leicht, machte sich dadurch noch schmaler. Der Geist wollte sie zwingen die Fäden zu lösen, doch… das tat sie nicht!
Kazel überlegte nicht mehr lange. Er folgte seinem Herzen, denn auf dieses zu hören schien ihm die richtige Entscheidung zu sein. Er erklomm ohne Schwierigkeiten Thorgks erstarrte Gestalt und näherte sich dem Plagegeist.
Dieser nahm nun seine Präsenz und Nähe wahr. Seine Augen zuckten zur Seite, in seine Richtung und würden Blicke töten können, würde Kazel nun seinen Lehrmeister wiedersehen!
„Verschwinde!!!“, schrie das Überbleibsel des Mannes und nun ging auch seine Aura gegen Kazel vor. Eine gewaltige Druckwelle fegte über den jungen Mann hinweg und zog ihm sogar die Kapuze der Kutte vom Kopf. Der Umhang flatterte hastig in seinem Rücken. Auch Kazel konnte es nun spüren: Es tat weh! Wie eiskalte Nadelstiche, die sich in seine Haut bohrten.
„Kazel… was… tust du?“, hörte er Elodi besorgt fragen, die die aufgebaute Nähe scheinbar nicht für vernünftig hielt. Vermutlich war das kein Wunder! Würden sie ihre Kräfte verlassen, wäre der Mischling viel zu nah an dem Geist. Es könnte ihn umbringen…!
Doch das war Kazel offenbar egal. Er wusste ja, dass er zurückkommen konnte, doch das war es nicht einmal! Er wusste keinen anderen Weg – es war, als würde sein Instinkt ihn leiten. Und so näherte er sich trotz der Schmerzen noch weiter, begegnete dem hasserfüllten Blick und ergriff erneut das Wort:
„Tarek kann nichts dafür, als Sohn deines Freundes geboren worden zu sein. Es ist auch nicht seine Schuld, dass dein Leben nicht zu deinen Gunsten verlief. Es ... ist nicht gerecht. Das ist es nie. Wir können alle nur kämpfen. Wenn du an der Stelle deines Freundes gewesen wärst ... das könnte nun dein Sohn sein, der in den Trümmern um sein Überleben kämpft. Würdest du wollen, dass sein Vater - dein Freund - seinen Hass auf ihn ablädt, damit er stirbt? Dein Sohn? Wäre das gerecht? Würde es irgendetwas ändern?“ Die Augen des Mannes drehten sich fast vor den sich überschlagenden Gefühlen. Aber es war ein Zeichen dafür, dass die Worte ankamen. Nur erreichten sie ihn auch?
„Was weißt du schon? Du hast nie so gelitten wie ich! Das hat niemand!!! Niemand!!!“, schrie der Mann ihn an und dann wandte er das Gesicht zum Eingang der Schutthöhle, in der Tarek erstarrt von der Zeit lag.
„Er ist schuld! Er hat alles und ich nicht! Er hat mir nicht einmal sie gegönnt!!!“ Wahnsinnig vor Wut riss er an den Fäden und Elodi gab eine Mischung aus Schreck- und Schmerzenslaut von sich. Ihr Körper wurde ein Stück weggeschleudert, wodurch sich die Fäden einen Moment lockerten. Und das war der Moment, in dem er seine Hände um Kazels Hals schloss und zudrückte. Kräftig… kräftiger, als er es als Mensch je hätte tun können.
„Sein Sohn sollte meiner sein! Meiner!!!“, schrie er und hätte er einen Körper gehabt, hätte er vermutlich gespukt vor Wut. Aber wenigstens bewahrte diese Geistergestalt Kazel vor diesem Schicksal, obwohl es seine Lage nicht besser machte.
„Nicht!“, schrie Elodi und in ihrer Stimme war eindeutig die Angst um ihren Partner zu hören. Auch wenn er zurückkehren könnte… das müsste sie doch wissen?! Sie rappelte sich auf und die Fäden festigten sich wieder. Doch der Griff um Kazels Hals lockerte sich nicht. Er war unnachgiebig wie ein Schraubstock, bis…
Plötzlich erstarrte der Geist. Sein Blick nahm einen schockierten Ausdruck an, ehe er den Kopf zur Seite wandte, wieder in das Loch und auf Tareks Gestalt.
„Sein… Sohn…!“ Erst jetzt sickerte offenbar die Erkenntnis durch, dass Tarek nicht sein verhasster Freund war. Der Griff um den Hals des Mischlings lockerte sich und der Geist taumelte zurück, wurde von den Fäden sogar noch ein Stück mitgerissen.
„Nein, Lüge! Er ist es… er sieht genau so aus! Er hat mich betrogen, sie betrogen, wieso also nicht die auch die Zeit..?“ Wie ein Wahnsinniger, der er wohl war, murmelte er diese Worte vor sich hin. Immer wieder flog sein Blick auf Tareks Gestalt und sein Hass kämpfte mit den keimenden Zweifeln und der Erkenntnis seiner Verwechslung.
Kazel, der auch ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden war, achtete in diesem Moment nicht auf seinen Zustand. Er nutzte die einzige Gelegenheit, die sich ihm bot. Und damit näherte er sich dem Geist des Mannes wieder und legte ihm in einer mitfühlenden Geste die Arme um den Körper.
Elodi starb innerlich tausend Tode, als sie das sah.
„Es tut mir wirklich leid“, sagte er ruhig und in Hoffnung, den Rachegeist endlich zu erreichen. Die Arme des Geistes packten ihn wieder.
„Er ist es…!“, murmelte er noch immer, aber schwächer. „Du hast genug gelitten, findest du nicht?“, versuchte Kazel es weiter mit mitfühlender Stimme. Und dann geschah etwas, was vermutlich keiner der beiden erwarten, oder kontrollieren könnte: Als der Geist sich innerlich seinen Fehler eingestand, entstand eine Verbindung zu Kazel. Diese Verbindung, vielleicht auch sein Sein als Weltenspringer und Tods Geselle, war plötzlich wie eine Brücke und all die negativen Gefühle durchströmten den Mischling. Es war … zerreißend. Die Wut, der Hass, die Eifersucht … sie stachen auf Kazel ein, als wären es tausend Dolche. In seinem Kopf sah er jede Erinnerung, die die Seele umhergetrieben hatte. Tareks Vater, der ihm wirklich verdammt ähnlich sah. Er sah jeden Moment, der in dem Mann solche Gefühle ausgelöst hatte und doch war zu erkennen, dass Tareks Vater es offenbar nicht ... bewusst oder absichtlich getan hatte. Er hatte einfach sein Leben gelebt und war sich der Gefühle seines Freundes erst bewusstgeworden, als dieser seiner Frau und ihm nach dem Leben getrachtet hatte.
Der Schmerz war so groß, dass sich Kazel kaum bewegen konnte. Ganz weit entfernt, wie ein Echo konnte er Elodi seinen Namen rufen hören, doch es wirkte so, als wäre auch er in diesem Moment zeitlich gefangen. Bis die Zeit gefühlt wieder losbrach und die Empfindungen, Erinnerungen und der Schmerz mit einem Mal… verschwanden.
Kazels Beine gaben nach. Und der Geist… nicht länger von einer dunkeln Aura umgeben, seufzte und löste sich auf, bis nur noch ein schimmernder Lebensfaden zurückblieb, der sich sanft, wie der Rauchfaden einer Kerze, hin und herwiegte.
„Kazel!!!“ Elodi ließ sich vor ihm auf die Knie fallen und griff nach seinem Gesicht, legte ihre warmen Hände auf seine Wangen. „Kazel, komm zu dir…!“, rief sie voller Sorgen, lehnte ihn an sich und sah sich kurz hastig um, als würde sie nach Hilfe suchen. Doch sie waren noch immer in der Zwischenwelt – Zwischen Diesseits und der ewigen Seite und die Zeit stand noch immer still.
Sie strich mit einer Hand seine Haare aus dem Gesicht und drückte ihn etwas an sich. „Du… Dummkopf! Was hast du nur… was war das?“ Offenbar schien auch sie das Geschehene nicht verstanden zu haben. Kazel bekam jedes ihrer Worte mit, doch spürte er nur langsam seine Regungen zurückkehren. Der Nachhall all dieser unkontrollierten Gefühle aus Hass und Wut war noch immer wie eine Wunde spürbar. In seinen Ohren poche der Blutdruck, doch langsam fand er aus diesem Schockmoment…
Als sich seine blauen Augen zeigten merkte Elodi auf. Sie tastete sein Gesicht besorgt ab und strich über seine Wange. „Kazel! Wie … wie geht es dir? Hast du Schmerzen?“, fragte sie hastig und schien sofort bereit alles für ihn zu tun, was sie tun könnte. Doch als er ihr den ersten Schreck nahm, senk ihr Gesicht an seine Schulter und sich drückte sich an ihn – ihre Finger spürbar im Stoff seines Umgangs, der sich nun wieder an seinen Rücken schmiegte.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Sonntag 14. Juli 2024, 16:59

In Gefahrensituationen wie jener, in der Kazel sich gerade befand, wären viele an der Front vielleicht froh über das Wissen, nicht allein zu sein. Auch er musste sich dem Plagegeist nicht ohne Unterstützung stellen. Elodi war da. Die Gesellin des Schicksals deckte ihm den Rücken. Für Kazel bedeutete es keinen Trost, auch wenn er wohl ganz instinktiv Kraft daraus schöpfte. Was bei ihm schwerer wog, war das Verantwortungsgefühl, jene zu schützen, die an seiner Seite standen. Dabei war es für ihn unerheblich, ob er jemanden leiden könnte oder gar mit demjenigen verfeindet wäre. Somit bot auch Elodi keine Ausnahme, denn sie fand er smypathisch, möglicherweise bereits mehr. Ihre von Schmerz verzerrte, angestrengte Miene zu sehen, versetzte ihm nämlich einen gehörigen Stich in der Brust und umso drängender war sein Bedürfnis, den Zorn des Geistes zu mindern. Aber wie sollte Kazel es anstellen? Weder Schicksal, noch Gevatter - nein, niemand! - hatte ihn hierauf vorbereitet. Im Gegenteil, er war erneut ins kalte Wasser geworfen worden, so wie damals bei dem Lebenszeit fressenden Dämonenwurm. Wie Kazel diesen überhaupt hatte überwinden können, daran hätte er sich auch ohne Gedächtnisauslöschung nicht mehr erinnern können. Er wusste nur, dass es ihm gelungen und dies der Schritt gewesen war, der ihn vom einfachen Lehrling zum Gesellen befördert hatte. Tod war stolz auf ihn gewesen. Er hatte damals alles richtig gemacht, um Celcia vor dieser Bestie zu bewahren. Würde es ihm nun ebenfalls gelingen?
Für Kazel aber bestand ein vehementer Unterschied zwischen einem haraxischen Wurm und dem Plagegeist. Letzteren sah er nicht von grundauf als böse an. Der Geist wollte niemanden unterjochen oder für einen höheren Meister ganz Celcia in die Knie zwingen. Ihn drängten ganz persönliche Motive, innerer Schmerz. Elodi ließ Kazel an diesem Wissen teilhaben. Er lauschte ihr, ohne noch einmal den Kopf umzudrehen. Ihr gequälter Anblick hatte ihm einmal genügt. Er musste sich beeilen und ... irgendetwas unternehmen. Etwas, damit der Geist nicht seinen ganzen Hass als offensichtliche Schmerzwelle auf seiner Gefährtin ablud.
Kazel verließ sich auch hierbei wie in den meisten Dingen auf seine Intuition. Selbst wenn ihm bewusst gewesen wäre, nun eine bestimmte Handlung durchzuführen, hätte er sie abgewogen. Da zeichnete sich aus, dass er weder ein kriegerisches, noch soldatisches Denken besaß. Er dachte durchaus nach, entschied sich aber meist, indem er gerade die emotionale Seite berücksichtigte. Er war ein zu gutherziges Gemüt, um sowohl seine als auch die Gefühle anderer beiseite zu schieben. So traf er den Geist mit all seiner Empathie, die ihn auf den wie zur Statue versteinerten Ork klettern ließ.
"Kazel ... was ... tust du?"
"Irgendwas!", rief er auf Elodis Frage hin zurück, ohne sich umzudrehen. Seine Konzentration benötigte er vorn. Schon traf ihn die Wut des Plagegeistes, schickte ihn beinahe wieder von Thorgk herunter. Kazel hatte mit Widerstand gerechnet, nicht aber mit der Intensität des Hasses, der ihm entgegenspülte. Er ging auf die Knie und klammerte am Schädel des Grünlings fest, um nicht zu fallen. Der Schmerz des Geistes traf nun auch ihn, schoss in einem Sturm aus Myriaden von Eissplittern über ihn hinweg, die ihn zwar nicht körperlich, wohl aber mental verletzen konnten. Der Schmerz des Geistes war nun sein eigener und riss Wunden in die Oberfläche seiner eigenen Seele. Er sickerte in ihn hinein, ließ ihn an allem teilhaben, was der Geist Zeit seines Lebens hatte durchmachen müssen. Dabei war es unerheblich, ob seine Umgebung oder seine eigenen Gedanken der Auslöser waren, um all das Negative in ihm zu nähren. Er hatte gelitten und Kazel tat der Halbdurchsichtige einfach nur leid.
Er kam ihm weiterhin näher, redete auf ihn ein und versuchte, die wütenden Worte des Geistes an sich abprallen zu lassen, ebenso wie die weiteren Wellen aus Hass, Leid und Schmerz. Letztere setzten aber auch ihm zu.
"Was weißt du schon? Du hast nie so gelitten wie ich! Das hat niemand!!! Niemand!!!"
"Das ... weiß ich nicht", entgegnete Kazel und es kam ihm vor, als müsste er mit der Stimme eines Mäuschens gegen einen Sturm anschreien. "Aber du weißt es. Willst du, dass andere es auch wissen? Sich so fühlen müssen wie du?" Seine Worte erzürnten desn Geist offenbar noch mehr. Plötzlich legten sich dessen durchsichtige Hände um seine Hals. Kazel spürte die Kühle von Tod, aber sie fühlte sich anders an als jene, die er von sich und seinem Meister kannte. Chaos war untergemischt und der Hass vertrieb das Beruhigende des ewigen Friedens. Stattdessen heizte er die Seele weiter auf, damit sie sich gegen das Schicksal der Endlichkeit sträubte. Hass und Wut schürten ein Feuer ihn ihm, das seine Seele verbrennen würde, wenn er keinen Ausweg fände. Aber auch Kazel schwebte nun in Gefahr. Er könnte sein Leben verlieren. Elodi schrie ihm etwas zu, vielleicht meinte sie auch den Geist. Er verstand nicht einmal den Sinn der Worte. Die untote Plage drückte ihm langsam die Luft ab. Er dachte selbst nicht daran, dass Gevatter ihn wieder zurückschicken würde, käme er beim Versuch jetzt um's Leben, den Geist zu retten. Er dachte überhaupt nicht. Sein Handeln wurde von Instinkt und Emotionen getrieben. Nach wie vor fühlte er für den Geist, auch wenn dieser gerade versuchte, ihn umzubringen. Und Mitgefühl sorgte für Beistand, für Nähe. Teilte man das Leid, nahm es ab. Kazel wollte dem Geist einen Teil seiner Last nehmen. Er wusste nun von den Hintergründen, wenngleich sie für ihn immer noch ein wenig verwirrend waren. Aber er konnte es nicht länger als gänzlich Unbeteiligter ignorieren. Schlimmer aber wäre, damit weiterleben zu müssen, obwohl er wusste, dass er zumindest einen Versuch hätte wagen können, das Leid des Geistes ein wenig zu mildern. Also handelte er erneut nach Bauchgefühl und Herz. Wo die Hände des Plagegeistes um seinen Hals lagen und beständig zudrückten, da hob Kazel seine eigenen samt der Arme und schlang diese um den Leib des bereits Toten. Er hielt ihn in seiner Totenkühle geborgen und riet ihm gar, nun lieber seinen Frieden zu finden, auch wenn ihm die Worte abgehackt und heiser über die Lippen kamen. Würde der Geist nicht von ihm ablassen, wäre er nämlich bald mit seinem eigenen Rat betraut.
Es sollte jedoch anders kommen. Der Geist war nicht vollkommen von Wut und Hass zerfressen gewesen. Ein winziger Teil in seinem Inneren, jenes Stück Seele, an das Kazel appelliert hatte, hörte zu ... und erkannte, dass es einen Fehler begangen hatte. Dass eine mangelnde Einsicht zu mehr Leid, Hass und Schmerz führte. Sein Eingeständnis würde den Frieden bringen und mit dieser Erkenntnis zerriss es den Panzer negativer Schwingungen, in dem der Plagegeist so lange gefangen gewesen war. Er brach auf, explodierte, jagte durch Kazel hindurch und hinterließ auf dessen Seele, was der Geist selbst schon hatte durchstehen müssen. Eifersucht, daraus resultierende Wut, die in Hass überging ... sie alle wandelten sich zu scharfen Schneiden, die tief in das Fleisch des Mischlings stachen. Sie bissen sich in dessen Seele, rissen tiefe Wunden und ließen das Gift der Erinnerung hineinsickern. Die Erinnerung eines Fremden, an der er nun teilhaben musste. Kazel erlebte im Schnelldurchlauf wie es hatte dazu kommen können, dass aus einem eigentlich friedfertigen Mann ein Plagegeist hatte werden können. Was der Freund von Tareks Vater als schleichenden Prozess im Laufe seines Lebens hatte durchmachen müssen, erfuhr Tods Geselle nun binnen weniger Herzschläge und der Schmerz ließ seine eigenen dabei fast aussetzen. Er keuchte in den zerreißenden Schmerz hinein, der ihn befiel und spürte, wie ihn die Kraft verließ, den Geist weiter in den Armen zu halten. Sein Kopf drohte zu zerbersten. Er hingegen war vollkommen paralysiert. Inmitten dieses Chaos hörte er leise und fern seinen Namen, gerufen von einer weiblichen Stimme, die er mit Positivem verband, doch nicht jetzt. Jetzt spürte er nur den Schmerz, das Leid, die Wut, welche sich endlich vom Plagegeist löste und ihn auf seinen eigentlichen Pfad zurückführte. Nichts als sein in Schicksal schimmernder Lebensfaden blieb zurück, aber davon bekam Kazel nichts mehr mit.
Er fiel - glaubte er. Er wusste es nicht, ließ es einfach geschehen, bis auch sein Körper Schmerz meldete. Er musste irgendwo aufgetroffen sein. Jemand rief wieder nach ihm. Wärme legte sich um seine Wange, aber er konnte es nur dumpf durch die Woge an Schmerzen spüren, die nur langsam von ihm abebben wollte. Seine Sicht war verschwommen. Er nahm nur Flecken war ... einen rosig blassen Farbklecks vor einem rötlicheren Hintergrund, der sich in Wellen ausbreitete. Wenigstens erhielt er die nötige Zeit, sich langsam von dem Zustand zu erholen. Denn das Leben setzte seinen Gang noch nicht fort. Kazels Stillstand der Zeit hielt noch immer an. Dafür schwand langsam der Schmerz eines anderen von ihm und er musste nur noch mit dem Nachhall kämpfen, der seine Glieder ganz bleiern machte.
Zum Glück war er nicht gezwungen, sie selbstständig zu heben. Jemand zog ihn hoch, hielt ihn. Körperwärme lullte ihn ein. Sie war noch angenehmer als die beruhigende Kühle seines Meisters. Die Worte hingegen, welche nun zu ihm durchdrangen, hatten wenig Warmes an sich.
"Du ... Dummkopf! Was hast du nur ... was war das?"
Er spürte, wie seine Lippen sich teilten. Er wollte antworten, aber nicht einmal ein Laut drang aus ihm heraus. Er hörte sich atmen und das war es auch schon. Immerhin konnte er sich darauf konzentrieren, fand diesen Rettungsanker inmitten des Rauschen und Pochen seiner verwundeten Seele und der Schwere seines Körpers. Der Schock ließ nach...
Irgendwann, er konnte nicht sagen wie lange es dauerte, fand er seine Sicht wieder. Kazel blinzelte mehrmals und aus den Farbklecksen formte sich Elodis feines Gesicht, umrahmt von ihrem Meer an Haaren. Sie wirkte etwas blass um die Nase, dass ihre Sommersprossen nur noch intensiver hervortraten. Kazel starrte sie eine ganze Weile an, während sie sein Gesicht voller Sorge abtastete.
"Kazel! Wie ... wie geht es dir? Hast du Schmerzen?"
"Wie schön du bist...", wisperte er kaum hörbar. Es war auch eigentlich nicht für Elodis Ohren bestimmt, sondern nur ein ausgesprochener Gedanke. Nach der emotionalen Explosion aus Hass und Leid, in deren Zentrum er sich befunden hatte, konnte er Elodis Anblick nur als schön empfinden. Es tat gut, sie zu sehen. Doch Kazel erinnerte sich auch an den Grund, der zu seinem jetzigen Zustand geführt hatte. Statt aber nach sich selbst zu schauen, galt seine Sorge in seiner ersten, bewusst gestellten Frage wie üblich anderen. "Wie geht es dem Geist? Haben ... wir ihm helfen können? Und du ... bist du verletzt?"
Endlich richtete Kazel sich von selbst auf, so dass er eigenständig sitzen konnte. Das schien auch bei Elodi den Schrecken etwas zu lindern. Sogleich fand sich ihr Gesicht an seiner Schulter wieder, während sie ihn an sich drückte. "Elodi...", murmelte Kazel, aber schob wie schon beim Geist seine Arme nun um ihren Körper. Er hielt sie, streichelte ihr Haar und den Rücken. Derweil schaute er sich um und erkannte, dass die Zeit noch stillstand. Er atmete durch. Sie und er hatten nun also die Ewigkeit, sich zu sammeln. Er musste keine Sorge um Tarek und die übrigen Dorfbewohner haben, jedenfalls vorerst nicht. So konzentrierte er sich auf Elodi und musste zugeben, dass er ihre Nähe nach diesem Schock durchaus genoss.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 18. Juli 2024, 20:23

Vermutlich hatte Kazel selbst nicht damit gerechnet, dass er noch zu dem Rachegeist durchdringen könnte. Dieser war erfüllt von Hass und seine Wut schlug auf alles, was sich ihm in die Quere stellte. Und doch gab Tods Geselle nicht auf! Nicht nur wegen Elodi, den Dorfbewohnern, oder Tarek – nein, er wollte, dass diese von Leid gequälte Seele endlich Erlösung fand! Es war ein Teil seiner Arbeit und doch … hatte er in diesem Fall keine Ahnung gehabt, wie er vorgehen sollte.
Tod wäre vielleicht völlig anders vorgegangen – doch er war weder hier, noch hatte er ihm einen Ratschlag erteilt. Und so hatte der Mischling seinen ganz eigenen Weg gewählt und war diesen – mit überraschenden Erfolg – zu Ende gegangen! Die Geistergestalt löste sich auf – ein erlöstes Seufzen von den Lippen gebend – und ließ nichts außer dem neu verbundenen Lebensfaden der Seele zurück.
Kazel fiel – einmal von seiner erhöhten Position und gleichzeitig in eine Schmerzerlösende Bewusstlosigkeit. So spürte er glücklicherweise nicht den Aufprall und wenn doch, nur als dumpfe Wahrnehmung. Sein eigener Geist schien nicht ganz loslassen zu wollen und so hielt er sich an den kleinen Wahrnehmungen fest, die um ihn herum geschahen.
Elodi hatte sich sofort aufgerappelt und war zu ihm gerannt, nur um bei ihm angekommen, sich auf die Knie fallen zu lassen und ihn in die Arme zu ziehen. Sie stützte ihn vorsichtig und suchte seine Gestalt nach schwereren Verletzungen ab, die seinem Körper glücklicherweise erspart geblieben waren. Was seine Seele betraf … musste sich noch zeigen, welche Auswirkungen dieser unvorhergesehene Überfall an blindwütigen Gefühlen in ihm ausrichtete.
Elodi strich ihm über die Wange und durch die zerzausten Haare. Ihr blauer Blick war erfüllt von Sorge, um ihren neuen Kameraden, der mehr als leichtsinnig gewesen war! Und doch… hatte er alles zum Guten geführt!

Langsam löste sich der Schock und endlich kam seine Wahrnehmung wieder zurück. Kazels Blick wurde wieder schärfer, wenngleich er sich noch immer benommen fühlte. Dennoch erkannte er endlich Elodis Gesicht!
Die junge Frau merkte auf, als sich seine Augen hinter den Lidern zeigten. Eine Welle der Erleichterung durchfuhr sie und in einer unbewusst liebevoll gewählten Geste streichelte sie mit ihrem Daumen über seine Wange.
"Kazel! Wie ... wie geht es dir? Hast du Schmerzen?", fragte sie und hoffte, dass ihre Stimme nun zu ihm durchdringen würde. Um sie herum stand noch immer die Zeit still. Die Gefahr war gebrannt und Kazel konnte sich ohne Druck von den Schmerzen erholen, die er hatte durchstehen müssen.
Doch in diesem Augenblick dachte er gar nicht daran. Sein Kopf fühlte sich noch immer wie mit Watte gefüllt an und so war es vermutlich ein einfacher Instinkt, dass er nach all dem Schmerz nach dem ersten Positiven griff und sich darauf fokussierte.
Der Mischling spürte Elodis Wärme, sah in ihr Gesicht, das er mit einer Person verband, zu der er positive Gefühle empfand. Und vielleicht spürte er auch die sanften Berührungen, die sie ihm schenkte.
"Wie schön du bist...", wisperte er kaum hörbar und doch verstand sie aufgrund der Nähe seine Worte. Elodi sah im ersten Moment überrascht aus, doch dann wurde ihr Blick weicher und ganz sachte, als würde sie nicht glauben können, was er sagte, schüttelte sie den Kopf.
„Du Dummi…!“, sagte sie leise und beugte sich tiefer, lehnte in ihrer Umarmung ihre Stirn vorsichtig an die Seine. Für einige Sekunden blieb sie so … verarbeitete die Sorge, die ihr Herz in Aufruhr versetzt hatte. In dieser Zeit schien Kazel mehr zu sich zurück zu finden, so dass ihm wieder der Geist einfiel, nach dem er auch gleich fragte:
"Wie geht es dem Geist? Haben ... wir ihm helfen können? Und du ... bist du verletzt?"
Elodi hob den Kopf und sah in die Richtung des Lebensfadens, der wie ein heller, sanfter Rauchfaden friedlich hin und her wog.
„Seine Seele hat… zur Ruhe gefunden!“, umschrieb sie den Zustand und half Kazel dabei sich aufzurichten, damit er seinen Erfolg selbst sehen konnte. Die junge Frau ließ ihn los, doch kaum, dass sie ihn nicht mehr berührte spürte sie, dass sie dazu wohl noch nicht bereit war. Und so sank ihr Gesicht an seine Schulter, während sie ihn an sich zog und ihre Finger in den Stoff seines Hemdes verkrallte.
Kazel hatte in diesem Moment den Lebensfaden betrachtet. Vielleicht war er von dem Ergebnis selbst überrascht, denn es hatte eine Weile nicht gut für ihn – ja, eigentlich für sie alle ausgesehen. Doch nun sah er den Beweis seiner Taten - eine Bestätigung dafür, dass sein Weg nicht falsch gewesen war! Die Seele wartete … wartete auf die Überführung, die Kazel ihm sicher mit dem durchschneiden des Fadens bald zukommen lassen können würde.
Doch bevor er sich darum kümmern konnte, forderte jemand anderes seine Aufmerksamkeit. Der rote Lockenschopf der jungen Frau, verdeckte ihr Gesicht, das sich an seiner Schulter verbarg. Da sich Kazel nicht an sein Vorleben erinnerte, entdeckte er vermutlich zum ersten Mal, dass sich jemand wirklich um ihn sorgte und ihn in Sicherheit wissen wollte. Ihr Griff an seinem Rücken sprach eine ganz eigene Sprache diesbezüglich.
"Elodi...", murmelte Kazel und schloss sie in seine Arme, um sie zu beruhigen. Seine Hände strichen über ihr Haar, ihren Rücken und für einen zeitlosen Augenblick … gehörte die Ewigkeit nur ihnen beiden.
„Geht es dir wirklich gut?“, fragte sie nach einer Weile leise und hob dabei nur sehr zögerlich den Kopf, so dass er in ihr Gesicht sehen konnte. Ihr blauer Blick hob sich langsam und sie tastete sein Gesicht ab.
„Das war… leichtsinnig!“, äußerte sie eine leise Schelte, bis sie den Blick wieder senkte und hinterhermurmelte „… und verdammt mutig…!“ Es war unverkennbar Bewunderung, die sie aussprach, die nur durch die empfundene Sorge ein wenig abgeschwächt wurde.

Sie zog die Hände langsam von seinem Rücken und stand langsam auf. Kurz ließ die den Blick über die eingefrorene Umgebung gleiten, in der nicht einmal ein Vogelzwitschern zu hören war.
„Lass uns später... reden. Wir sollten weitermachen! Die Seele wartet auf dich und wir müssen Tarek noch aus dem Loch bekommen.“, schlug sie vor und schenkte ihm ein kleines Lächeln.

Was nun folgen würde, war Kazel glücklicherweise bekannt. Sobald er den Lebensfaden mit seinem Sensendolch durchschneiden würde, würde die Verbindung der Seele mit dem Diesseits durchtrennt werden und er konnte sie endlich nach Kata Mayan führen.
Welche Gestalt die Seele für diesen letzten Schritt annehmen würde, war immer unterschiedlich. Meistens nahmen sie noch einmal das menschliche Abbild an, doch dieses Mal würde die Seele nur zu einem einfachen Lichtkreis werden. Der Geselle konnte nur vermuten, dass der Mann sich nun, wo die Wut verebbt war, für all seine Taten im Nachleben schämte und deshalb stumm und gestaltlos von allem Irdischen verschwinden wollte.
Elodi hielt etwas Abstand und ließ Kazel seine Arbeit machen. Sie kletterte zu dem Loch, in dem Tarek gefangen war und nutzte die stillstehende Zeit seine, um zu ihm in den engen Hohlraum zu kriechen. Sie betrachtete sich das eingeklemmte Bein und versuchte den Schutt darum zu lockern, damit sie ihn danach - hoffentlich unversehrt und ohne Zwischenfälle aus der Gefahr befreien konnten.
Als Kazel wieder bei ihr war, kletterte sie wieder hinaus.
„Tarek hat einiges abbekommen…! Ich muss ihn sofort verarzten, wenn wir ihn da rausbekommen haben!“, erklärte die junge Frau und deutete auf den Verletzen.
„Denkst du… der Hohlraum hält solange? Bis wir ihn herausziehen konnten?“
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Samstag 20. Juli 2024, 09:18

In dem Moment, da Kazel dem Geist seine Arme umgelegt hatte, war es ihm weder darum gegangen, die Graslandsiedlung oder deren Bewohner zu bewahren, noch darum, Elodi zu schützen. Nun, zu einem kleinen Teil vielleicht, aber gar nicht so bewusst wie er es sich selbst gern gewünscht hätte. Auch hatte er überhaupt nicht mehr angestrebt, einen Karriereerfolg zu erzielen. Sein Auftrag, die Seele nach Kata Mayan zu überführen, verflüchtigte sich ebenso wie alles andere angesichts des Mitgefühls, das er für den Plagegeist aufbrachte. Darum ging es ihm, als Kazel die Arme ausbreitete und sie um den halb transparenten Leib schlang. Er kannte den Namen des Mannes nicht und doch berührte ihn dessen Schicksal - sein Leid. Das Problem war, dass er davon nicht mehr loskam, seit er selbst zu seinen Emotionen zurückgefunden hatte, nachdem seine eigene Seele für Celcia beinahe einmal verloren gewesen wäre. Damals hatte Janay ihn gerettet und war ihm ein Anker aus Anteilnahme gewesen. Inzwischen erinnerte er sich weder an sie noch an dieses Ereignis. Trotzdem hatte beides Spuren auf seiner Seele hinterlassen, die ihn nun zum Handeln trieben. Er wusste nicht, was er tat. Er wusste nur, dass er etwas tun musste - für den Geist, nicht zuletzt aber auch für sich. Stilles Zuschauen hätte er mit sich selbst nicht vereinbaren können. Also handelte Kazel ... nach seinen üblichen Methoden, wenn er wieder einmal blindlings in etwas hinein stolperte. Und er hatte überraschenderweise Erfolg, ohne dabei mal wieder zu sterben und sich eine Standpauke von Tod in Form eines Schnipsens gegen seine Stirn einzuhandeln, das ihn zurück ins Leben beförderte.
Trotzdem war und blieb seine Aktion...
"Du Dummi...!"
Dumm? Aber es hat doch funktioniert ... oder? Auch wenn der Schock inzwischen von ihm abließ, kämpfte Kazel noch ein wenig mit der Benommenheit. Alles, was er wahrnahm, war Elodis schönes Gesicht, das er bei Erkennen auch gleichermaßen kommentiert hatte. Ihre Worte waren nur die Reaktion darauf, nicht auf den Ausgang seines wagemutigen Versuchs. Den Worten aber folgte eine Geste, die Kazel noch einmal die Augen schließen ließ. Er atmete tief durch, als er Elodis Stirn an der seinen spürte. Sie erdete ihn.
Kazel konzentrierte sich auf die wichtigen Fragen - nicht nach ihm, sondern den anderen. Er erkundigte sich natürlich auch nach Elodis Zustand, fragte zunächst aber einmal nach, was mit dem Plagegeist geschehen war. "Seine Seele hat ... zur Ruhe gefunden!", schilderte seine Gefährtin, ehe sie sich aus einer Woge der Erleichterung heraus an ihn kuschelte. Nicht nur Elodi brauchte jetzt etwas Geborgenheit. Der Mischling legte ihr den Arm um, streichelte und hielt sie. Es fühlte sich gut an, noch am Leben zu sein. Vielleicht hätte auch der Geist sich mehr davon gewünscht, nachdem er endlich zur Einsicht gekommen war, aber eine zweite Chance konnte Kazel ihm nicht gewährend. Er hatte bisher nur die Möglichkeiten, ihn aus seinem Zustand zur letzten Ruhe zu führen und darauf wartete seine Seele nun, die noch immer als schwebender Lebensfaden mit Celcia verbunden war.
"Geht es dir wirklich gut?"
Kazel nickte. "Ich schätze schon, ja." Er konnte zumindest nichts feststellen bisher. Verletzt war er nicht.
"Das war ... leichtsinnig! ... Und verdammt mutig...!"
Er schnaufte leicht amüsiert auf. "Du ... wirst dich daran wohl gewöhnen müssen", warnte er im Scherz, doch in Kazels Worten steckte durchaus etwas Wahrheit. "Im Grunde weiß ich selten, was ich tue. Ich ... kann nur nicht einfach nichts tun, verstehst du?" Niemand hatte ihn hierauf vorberietet, nicht auf einen Plagegeist. Gevatter Tod warf ihn wieder einmal ins eiskalte Wasser, aber offenbar nicht, um ihn quälen. Er prüfte Kazel, machte sich vielleicht aus der Ferne sogar ein Bild. Dass er damit möglicherweise aber nur Zweifel säte, ob er Schüler sich seinen Prüfungen gewachsen sah, erkannte der Knochenmann nicht. Falls doch, ignorierte er es bisweilen gekonnt. Grund dafür könnte sein, dass er mehr Vertrauen in seinen Gesellen besaß als jener in sich selbst. Es war nur schwer aufzubauen, wenn man mit unterdrückter Panik und Adrenalinrauschen in den Ohren von einer Gefahr in die nächste taumelte und dabei das Wissen nicht abschütteln konnte, wieviel Verantwortung auf den eigenen, doch eher schmalen Schultern lag. Aber Tods Schultern besaßen nicht einmal Muskeln ... diese Knochen wurden schwer belastet.

Elodi löste sich von Kazel, dass jener sich langsam eigenständig aufrichten konnte. Ungelenk, aber nicht schwach erhob er sich und als er stand, fühlte sich alles eigentlich wieder normal an - abgesehen von der Zeit, welche noch immer im Gefüge der Welt erstarrt war. Elodi ging es pragmatisch an. Vielleicht konnte und wollte sie das Erlebte nur noch nicht verarbeiten angesichts dessen, dass ihre Aufgabe noch nicht erledigt war. Sie mussten Tarek irgendwie helfen und das schlug sie nun auch vor. Kazel nickte ihr zu, deutete dann allerdings zu dem Lebensfaden des Geistes. Dieser hatte Vorrang.
"Ich kenne nicht mal seinen Namen", meinte er, durchaus mit Bedauern. Somit würde der Plagegeist vergessen, sobald Kazel ihm die letzte Ehre erwiesen hätte. Ohne Erinnerungen an ihn konnte er wirklich nicht mehr weiterleben, nicht fortbestehen. Aber manchmal passierte auch das. Hier konnte der Mischling nur noch tun, was noch übrig blieb. Er trat bis an bläulich leuchtenden Faden heran. Er schwebte auf Brusthöhe, weich und geshcmeidig wie ein Bündel Haare im Wasser. Kazel schlug seinen Umhang zurück und mit einer schnellen Bewegung seiner rechten Hand lag in jener ein blausilbern aufblitzender Dolch. Er manifestierte sich scheinbar aus der stillstehenden Zeit selbst und wirkte eigentlich recht schmucklos. Das Interessante an ihm war die leicht gekrümmte Klinge, die an eine Miniatursense erinnerte oder an eine dickere Mondsichel. Silbern war sie, schimmerte aber magisch blau auf, wenn Kazel den Dolch in der Hand drehte. Griff und knauf waren knochenbleich, bestanden möglicherweise auch aus jenem Material. Es ließ sich nicht genau sagen. Tod hatte seinem Schüler die bevorzugte Form seiner eigenen Sense gestattet und da der Mischling nicht als Bauer aufgewachsen war, sondern lange Zeit eher in den Schatten agierte, lag ihm ein Dolch mehr. Geschickt, mit einem einzigen Schnitt, durchtrennte er den Schicksalfaden des Geistes, damit dessen Seele sich endgültig von Celcia lösen konnte. Wie schon in der andunischen Taverne bei den dortigen Verstorbenen formte sie sich nicht zu seiner Gestalt, sondern blieb ein übergroßes, bläuliches Irrlicht. Kazel schob eine Hand darunter und nickte dem Leuchten zu. "Du hast es geschafft. Ruh dich aus. Es ist vorbei."
Beim letzten Mal hatte Tod all die Lichtseelen an sich genommen und mit nach Kata Mayan gebracht. Dieses Mal war nur Kazel hier. Er wusste nicht wirklich, wie er es anstellen sollte, aber sein Instinkt ließ ihn die Seele unter seinen Umhang ziehen. Sie wurde kleiner und kleiner, bis sie wie ein funkelnder, blauer Stern am Nachthimmel seines Umhangs einen Platz einnahm, ehe er jenen wieder umschlug und sich somit über die Schulter zog. Die Seele würde ihren Weg nach Kata Mayan finden oder aber mit der Geduld der Ewigkeit warten, bis der Geselle selbst einen Abstecher dorthin machte, um sie am großen schwarzen Sandstrand freizulassen. Im Grunde konnte er das wohl jederzeit tun. Er war oft genug auf Tods Insel gewesen, beherrschte den Sprung durch Raum und Zeit. Es sollte ihm gelingen, doch Kazel plante es jetzt nicht. Elodi wartete. Tarek wartete und mit ihnen die Zeit, auf dass sie weiterfließen dürfe.

Kazel kehrte zu dem Trümmerberg zurück, um den sich noch immer zahlreiche Siedlungsbewohner reihten, im Moment zu Statuen verdammt. Elodi aber lugt aus dem Loch heraus, in dem Tarek noch immer gefangen war. Sie hatte die still stehende Zeit genutzt, sich ein genaueres Bild zu machen. Der Mann konnte nicht von allein entwischen. Sein Bein war eingeklemmt und noch immer musste er die Trümmer halten. Wenn seine Kraft nachließ, würde es ihn zerquetschen.
"Denkst du ... der Hohlraum hält solange? Bis wir ihn herausziehen konnten?" Der Angesprochene musterte das Loch, Tareks erschöpftes Gesicht. Er hatte in dessen Augen bereits vor dem Erscheinen des Plagegeistes die Akzeptanz erkannt, Celcia hinter sich lassen. Tarek schloss mit sich Frieden und sagte im Stillen Lebewohl. "Wir müssen", gab Kazel zurück, der das nicht einfach so hinnehmen konnte. Wie er Elodi vorgewarnt hatte, würde er es zumindest versuchen und dabei auch Risiken eingehen. Er konnte nicht anders. Also stieg er nun selbst in das Loch herunter. "Ich weiß nicht, ob mein Meister gestattet, wenn ich die Zeit weiter stillstehen lasse", meinte er. "Denn ... im Grunde ist meine Aufgabe erledigt und das hier ... nun, es hat nichts damit zu tun, eine Seele vom toten Körper zu trennen und überzuführen. Noch nicht." Aber es würde wohl dazu kommen, wenn er nun einfach die Zeit wieder laufen ließ und sie nur zuschauten. Kazels Augen wanderten die unmittelbare Umgebung ab, wo Tareks Hände und Schultern die Trümmer hielten. Entschlossen nahm er einen Platz neben dem Mann ein, als wollte er ihn gleich beiseite schubsen und mit ihm die Positionen tauschen.
"Wir versuchen es. Trag die Trümmer weiter ab. Ich halte mich bereit. Falls die Zeit sich entschließt, Tods Willen zu folgen und weiterzulaufen, stoße ich ihn ins Freie ... irgendwie. Wir müssen sein Bein zuerst aus allem lösen!" Kazel wusste, was er hier sagte. Er wusste, dass er keineswegs so stark wie Tarek wäre. Falls sie wirklich die Plätze tauschten, würde er ihm nur hoffentlich genug Zeit verschaffen, aus dem Loch zu entkommen. Aber er selbst? Sein Blick suchte Elodis. Dieser Mischling war dumm ... und mutig ... und bereit, alle Mittel einzusetzen, die ihm zur Verfügung standen. Er lächelte beruhigend. "Mach dir keine Sorgen. Ich kann relativ problemlos sterben. Tarek nicht." Aber vielleicht würden Gevatter Tod und Schicksal Kazels Vorgehensweise sogar befürworten. Vielleicht würden sie ihm und Elodi ein Stück der Ewigkeit geben - genug, um den Mann zu befreien, der sein Leben für das eines Kindes hatte geben wollen.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Samstag 27. Juli 2024, 12:01

Manchmal war es schwer Entscheidungen zu treffen. Die vielfältigen Möglichkeiten liefen einem oft vor dem inneren Auge ab und die Gedanken Rätselten über die daraus resultierenden Folgen, die eine Handlung mit sich bringen konnte. Konnte man mit Sicherheit überhaupt eine richtige Entscheidung treffen? Es gab immerhin nicht nur einen Weg um an ein Ziel zu gelangen und manchmal hieß es, es einfach auszuprobieren. Das war vermutlich das Gesetz des Schicksals und machte das Leben so unberechenbar.
Kazel hatte in diesem Fall in einer völlig unerwarteten Situation und unter Stress eine Entscheidung treffen müssen, die nicht nur seine Sicherheit hätte gefährden können. Mit herumirrenden Seelen, die noch dazu Lebenden schaden wollten, hatte er so gut wie keine Erfahrung gehabt und doch hatte ihn sein Instinkt und sein gutes Herz zum Ziel geführt. Die Seele des Rachegeistes konnte er schlussendlich nach Kata Mayan bringen, wo sie endlich Frieden und Ewigkeit finden würde. Einzig, dass Kazel nicht den Namen des Mannes kannte, belastete ihn ein wenig, doch manchmal ließ sich eben dies nicht ändern.
Die Sorge, die er Elodi bereitet hatte, war eine ganz andere Geschichte. Die junge Frau umarmte den Mischling und suchte ganz eindeutig Nähe, um sich davon zu überzeugen, dass ihm wirklich nichts Schlimmeres geschehen war – und natürlich auch, um sich selbst zu beruhigen. Diese Sorge kam vielleicht überraschend, doch Kazel bemerkte, wie gut es sich anfühlte, wenn sich jemand Gedanken um einen machte und man jemandem etwas bedeutete. Elodi ließ daran keinen Zweifel – die beiden waren Partner und obwohl ihre gemeinsame Vergangenheit erfunden war, fühlte es sich so an, als wären sie sich genau so nahe, wie in ihrer erdachten Version.
Elodi verbarg ihr Gesicht an seiner Halsbeuge und seufzte ganz leise. Kazels schwarze Haare kitzelten bei den kleinsten Bewegungen ihr Gesicht und auch sein sanftes Streicheln fühlte sich angenehm an. Dass der Mischling bereits körperliche Nähe gewohnt war, wusste dieser nur durch Tods Bemerkung und doch mochte sich dieser Moment vielleicht ein wenig bekannt anfühlen.
Nur leise durchbrach Elodi die Ruhe, die sich zwischen ihnen ausbreitete, indem sie ihm noch einmal sagte, wie leichtsinnig und mutig er gewesen war. Seine darauf selbstreflektiert amüsierte Reaktion darauf ließ sie den Kopf heben und die Augenbrauen fragend heben.
„Du ... wirst dich daran wohl gewöhnen müssen“, warnte er im Scherz und fügte noch hinzu: „Im Grunde weiß ich selten, was ich tue. Ich ... kann nur nicht einfach nichts tun, verstehst du.“ Zumindest war er ehrlich mit sich und ihr. Das schien die junge Frau ihm auch anzurechnen, doch vermutlich konnte er nachempfinden, dass sie seine Aussage nicht in dem Maße beruhigte, die sie sich erhofft hatte. Dennoch lächelte sie leicht und schüttelte resignierend mit dem Kopf.
„Dann ist es ja gut, dass ich dir von nun an den Rücken stärke, soweit ich fähig bin. Nur … wirst du dich dann daran gewöhnen müssen, dass du danach eine Abreibung über dich ergehen lassen musst!“, erwiderte sie die scherzhafte Warnung und löste sich langsam von ihm.

Während Kazel die Seele von ihrem irdischen Band trennte und das kleine Seelenlicht einsammelte, versuchte Elodi einen Weg zu finden, wie sie Tarek aus seinem lebensbedrohlichen Dilemma retten konnten. Da die Zeit noch immer stillstand, fanden sich ein paar Möglichkeiten, die Situation zumindest ein klein wenig zu verbessern, doch würde es schlussendlich reichen, den Dorfbewohner davor zu bewahren verschüttet zu werden?
Diese Frage stellte sie auch Tods Gesellen, als dieser zurückkehrte.
„Wir müssen. Ich weiß nicht, ob mein Meister gestattet, wenn ich die Zeit weiter stillstehen lasse. Denn ... im Grunde ist meine Aufgabe erledigt und das hier ... nun, es hat nichts damit zu tun, eine Seele vom toten Körper zu trennen und überzuführen. Noch nicht.“, erklärte er ihr, woraufhin ihr Blick mit einem besorgten Ausdruck zu Tarek wanderte. Elodi wusste, dass auch sie sich nicht zu stark einmischen durfte. Sie hatte bereits das eingeklemmte Bein soweit befreien können, doch war fraglich, ob der Schutt, sollte die Zeit wieder laufen, dieses nicht sofort wieder rückgängig machen würde, wenn er in Bewegung geriet.
Kazel schien ähnliche Gedanken zu haben, doch setzte er sich bereits in Bewegung und kletterte in das Loch zu Tarek zurück. Das Gesicht seiner Begleiterin verzog sich dabei leicht.
„Kazel…!“, sprach sie ihn mit einem leicht grummelnden Tonfall an, der allerdings aus ihrer Sorge resultierte.
„Wir versuchen es. Trag die Trümmer weiter ab. Ich halte mich bereit. Falls die Zeit sich entschließt, Tods Willen zu folgen und weiterzulaufen, stoße ich ihn ins Freie ... irgendwie. Wir müssen sein Bein zuerst aus allem lösen!“[/i] Ein Seufzen löste seine Worte ab, doch kam dies nicht von ihm. Elodi rieb sich über den Nasenrücken hinauf zur Stirn und wieder zurück. Ihr gefiel das nicht und konnte man es ihr verdenken? Sie war nicht Tods Gesellin und hatte vermutlich auch noch keine Wiederkehr von den Toten erlebt!
„Mach dir keine Sorgen. Ich kann relativ problemlos sterben. Tarek nicht.“ Sein Lächeln schaffte es dieses Mal nicht den Ernst seiner Worte auszugleichen. Die blauen Augen der jungen Frau verengten sich leicht und sie sah Kazel unzufrieden an.
„Denkst du das beruhigt mich? Dein Körper wird trotzdem zerquetscht und du wirst Schmerzen erleiden!“, klagte sie, kam allerdings näher zu ihm, um gegebenenfalls eingreifen zu können. Man sah ihr an, dass sie gerade gedanklich hunderte Möglichkeiten wälzte, doch scheinbar keinen besseren Lösungsweg fand.
„Los… beeilen wir uns!“, stimmte sie dem Plan unglücklich zu. „Wenn du stirbst bekommst du einen heidenärger mit mir, wenn du zurückkommst!“
Und damit taten beide das, was sie vorhatten. Elodi trug so schnell sie konnte Schutt ab, doch Kazel und sie beide konnten spüren, dass ihnen die Ewigkeit entzogen werden würde. Ein gespanntes Gefühl zog durch die Luft, wie es an heißen Tagen oft der Fall war. Dann lösten sich langsam kleinere Steine. Die Gravitation der Welt begann wieder zu wirken und die Schwerkraft zog bereits kleinere Elemente wieder an. Tareks Fuß war befreit und im Grunde könnte man ihn nun herausziehen. Doch dafür schien ihnen die Zeit wegzulaufen.
„Kazel komm raus!“, forderte Elodi ihn auf und in ihrer Stimme schwang ein bittender Ton mit. Sie sah sich hastig um! Die beiden Dunkelelfen, die Miro herausgezogen hatten, standen noch in der Nähe. Wenn die Zeit wieder laufen würde, würden sich auch alle wieder bewegen und so auch helfen können.
Die Spannung in der Luft verstärkte sich immer weiter und größere Steinchen begannen sich nun zu lösen.
Du weißt schon, dass du Zeit und Raum beeinflussen kannst?, konnte Kazel plötzlich Tods Stimme in seinem Kopf hören. Sein Meister schien ihn offenbar nicht vollends alleine Erfahrungen sammeln zu lassen.
Na los! Länger als eine Minute lässt sich das Schicksal dieses Mannes nun wirklich nicht mehr aufhalten. Ich weiß, dass du es schaffst! Doch was genau bedeuteten Tods Worte? Würde Kazel in der kurzen Zeit, die ihnen offenbar noch blieb, die richtige Antwort finden?
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Re: Neuanfang

Beitrag von Kazel Tenebrée » Sonntag 28. Juli 2024, 14:45

Elodis Sorge um ihn überraschte Kazel nicht. Schließlich hatte auch er sich um das Wohlergehen eines längst Verstorbenen gesorgt - so sehr, dass er sich selbst einer Gefahr ausgesetzt hatte, nur um dem Plagegeist sein Mitgefühl zukommen zu lassen. Dass seine Partnerin aber derart heftig reagierte, ließ ihn staunen ... und es machte ihn erneut etwas verlegen. Die beiden kannten sich im Grunde noch keinen Tag, auch wenn gerade Schicksals Gesellin wohl schon deutlichere Einblicke auf Kazel erhalten hatte hinsichtlich seiner Anatomie. Trotzdem war es im Weltbild des Mischlingselfen verankert, dass tiefere Gefühle sich nicht allein durch eine optische Anziehung bilden konnten. Es brauchte die Sympathie für den Charakter einer anderen Person, sowie Zeit. Der letzte Faktor war noch nicht weit genug gegeben und dennoch genügte es Elodi, sich vollauf um Kazel besorgt an ihn zu schmiegen und sich festzuhalten. Nur so schien sie ihr eigenes Herz beruhigen zu können. Auf gleiche Weise hielt sie aber auch einen gewissen Zorn über ihn im Zaum, wie es schien. Denn nachdem Kazel mit einem Körnchen Wahrheit scherzte, sie würde sich an seine riskanten Methoden gewöhnen müssen, versicherte ihm die Rothaarige, dass er sich anschließend auf eine Abreibung gefasst machen konnte.
"Bin ich gewohnt", erwiderte er schneller als er über seine eigene Aussage nachdenken konnte. Er stutzte. War er es denn gewohnt? Im Grunde ja, denn auch der Gevatter hatte schon mehr als einmal genervt auf seine Art zu handeln reagiert. Aber er hatte ihn auch gelobt, wenn es gut ausgegangen war. Jedoch war dies noch nicht oft genug passiert, als dass es für Kazel zur Routine geworden wäre. Sein Geist und seine Erinnerungen - die verbliebenen - bekam wohl selten positive Reaktionen auf sein Handeln zu spüren. Tod konnte man es nicht vorwerfen. Er hatte einfach noch nicht viel Gelegenheit gehabt, denn Kazel hatte sich erst wenige Male beweisen können. Doch so wie er und Elodi jetzt würden Schüler und Lehrmeister ebenfalls ihre Zeit erhalten. Dennoch erkannte Kazel, dass er sich nicht ewig damit befassen konnte, seine Partnerin zu trösten. Nicht, solange weitere Leben noch in Gefahr schwebten. Tarek war noch nicht gerettet, also machten beide sich daran, etwas zu unternehmen. Erneut musste die arme Elodi sich mit den fragwürdigen Methoden ihres neuen Gefährten auseinandersetzen. Der Elf war nämlich sehr schnell bereit, sein eigenes Leben hinter das anderer zu stellen. Sein Vorschlag, den Platz mit Tarek zu tauschen, weil er nach dem eigenen Tod wieder zurückkehren könnte, war ... fraglich.
"Denkst du, das beruhigt mich? Dein Körper wird trotzdem zerquetscht und du wirst Schmerzen erleiden!" Kazel nickte. Er hatte das bedacht. Auch ohne weitere Verletzungen - seine meisten Suizide setzten immer irgendeine Klinge im Körper voraus, bisher - war es mehr als unangenehm, ins Leben zurückzukehren. Einfach, weil der eigene Tod auch bedeutete, dass man sich vom Weltlichen löste. Schmerz war nur noch ein Wort und der Körper wog als Geist längst nicht mehr so schwer. Zurückzukehren hieß, sich wahrlich die Last des Lebens auf's Neue aufzuladen. Und zu leben war extrem schwer. Der erste Atemzug kostete immer viel Kraft. Die Muskeln brannten, ganz gleich wie lange sein Körper ohne ihn gelegen haben mochte. Man spürte Schwindel, eine leichte Übelkeit und ja, auch Schmerzen. Wäre sein Leib zerquetscht, würde es wohl noch schlimmer sein. Kazel war das vollkommen bewusst und dennoch entschied er sich für diesen Weg. Denn für ihn wog ein anderes Argument mehr: "Ich würde Schmerzen erleiden, aber Tarek wäre tot ... für immer." Er setzte Prioritäten und er wollte diesen Mann leben sehen, von dem er kaum mehr wusste, als dass er ihn Prinzessin genannt hatte.
Unter Elodis Androhung von Ärger im Fall seines Ablebens beeilten sich beide, die Strukturen um Tarek herum weitgehend freizulegen. Als sie enldich seinen Fuß aus den Trümmern heraus hatten, bemerkten beide, dass die Zeit nicht ewig auf sie warten würde. Erste winzige Gesteinsbrocken bewegten sich schon, schwebten teilweise in der Luft, weil sie eigentlich bröckelten und fielen.
"Kazel, komm raus!", rief Elodi ihm zu. Sie klang harsch, aber es lag Sorge in ihrer Bitte. Kazel schüttelte dennoch den Kopf. "Ich muss die Zeit wieder gänzlich fließen lassen. Dann muss Tarek zuerst heraus. Ich komme nach." Niemals wäre er imstande, all die Trümmer zu stämmen, die der tapfere Soldat hielt als trüge er das Gewicht Celcias auf den Schultern. Es war vollkommen wahnsinnig. Das schien neben Elodi wenigstens noch jemand zu erkennen. Plötzlich meldete Tod sich nämlich im Kopf seines Schützlings. Er gab ihm keine direkte Lösung für das Problem, versuchte aber ihn an seine Möglichkeiten zu erinnern.
Du weißt schon, dass du Zeit und Raum beeinflussen kannst? Na los! Länger als eine Minute lässt sich das Schicksal dieses Mannes nun wirklich nicht mehr aufhalten. Ich weiß, dass du es schaffst!
Das Schicksal hatte hier also seine Finger im Spiel und drängte die Zeit selbst. Bislang hatte Kazel nämlich keine Probleme damit gehabt, sich Zeit zu lassen, aber bislang ging es dabei auch nur um sein eigenes Leben. Er hatte seine eigene befristete Zeit geopfert, um selbige stillstehen zu lassen. Erst seit er ein Geselle war, musste er den kostbaren Lebenssand seiner selbst nicht mehr hergeben. Dafür aber schien Schicksal nun Einfluss nehmen zu können und ob sie wollte oder nicht, sie musste fordern, was das Schicksal verlangte. Es klang mehr als paradox, aber Kazel verstand. Wohl verstand er auch, worauf sein Meister ihn hatte hinweisen wollen. Das war nicht das Problem gewesen bisher, sondern... Ich darf meinen Raum-Zeit-Sprung einsetzen? Damit hatte er nicht gerechnet. Tarek war nicht tot - noch nicht - und Kazel hatte sich doch verpflichtet, die Gaben des Gevatters nur einzusetzen, wenn er dessen Aufgaben erfüllte. Er war nicht davon ausgegangen, dass darunter auch zählte, das Leben anderer vor ihm - dem Tod - zu bewahren. Umso heller leuchteten seine Augen auf, als er aus dem Loch empor sah und seinen Arm unter Tareks Gestalt schon. "Zurück, Elodi! Hier stürzt gleich alles ein, schick die Helfer zurück! Wir kommen!" Dann konzentrierte sich der Mischling, sowohl auf den Fluss der Zeit, damit dieser nicht länger sickerte. Er würde dem Schicksal zurückgeben, was es verlangte. Zeitgleich aber würde er springen. Das beherrschte er. Durch Raum und Zeit, wohin er auch wollte, solange er nur schon einmal dort gewesen war. Er wusste auch, dass er andere mitnehmen konnte. Aktiv versucht hatte er es allerdings noch nicht, denn seine Reise vom Neldoreth bis nach Morgeria damals war auf andere Weise geschehen. Aber daran erinnerte er sich überhaupt nicht mehr. Zurück blieb einfach die Gewissheit, dass er Tarek würde mitnehmen können. Also wollte er genau das versuchen. Er stellte sich den Dorfplatz der Graslandsiedlung vor, dort, wo der Brunnen stand. Das war weit genug von den Trümmern weg, aber noch nah genug, dass die Bewohner ihnen sofort zur Hilfe eilen konnten. Wahrscheinlich erschreckten sie sich, wenn plötzlich alles in sich zusammenfiel, Tarek und Kazel aber hinter ihnen auftauchten. Doch es ging nicht schonender. Eine Ausrede fände sich schon. Es blieb keine Zeit mehr, er musste handeln. Jetzt!
Kazel spürte den Sog, der ihn aus der Realität reißen würde. Es fühlte sich immer ein wenig an, als packte ihn jemand im Genick. Gleichzeitig glaubte er, zu zerfasern und so klammerte er sich fest an Tarek, um ihn beim Springen nicht zu verlieren. Dumpf hörte er, wie die Zeit wieder ins Laufen kam. Sie verkünderte ihre Wiederkehr mit einem Krachen, als die Trümmerteile ohne Tareks starke Schultern einfach in das Loch stürzten und alles, was noch dort unten gewesen war, endgültig begruben. Den Grasländer und seinen Retter aber verschonten sie. Kazel löste sich aus der Ewigkeit, um mit seinem Ballast wieder in den Fluss des Geschehens einzutauchen. Schwer kamen er und Tarek auf dem Erdboden neben dem Brunnen auf. Der massige Leib des Geretteten kippte dabei einen Korb frisch gewaschener und geklöppelter Kleidung um, dass er im Dreck landete. Das war vertretbar, angesichts der Tatsache, dass Tareks Leben dadurch wohl noch eine Weile weitergehen durfte.
Kazel landete neben ihm im Dreck. Der Erdboden begrüßte sein Gesicht mit einem Kuss und er spürte, dass ihm die Lippe aufplatzte. Auch das nahm er hin, ächzte einmal, blieb aber liegen. Er konnte sich nicht sofort wieder erheben, dazu war er im Springen noch immer zu ungeübt. Die Übelkeit übernahm bereits die Oberhand und am liebsten hätte er Elodis Frühstück geradewegs wieder ausgespuckt. Er stöhnte, streckt die Hand nach Tareks Arm aus. Er drehte das Gelenk nach oben und suchte die Gabe seines Meisters. Er wollte die Sanduhr des Mannes rufen, die ihm zeigen würde, ob sein Sprung etwas bewirkt hätte oder ob gleich das letzte Körnchen herunterrieseln und Tarek doch noch sterben würde. Vorab könnte Kazel sich nicht weit genug entspannen, um beherrscht zu den anderen zu rufen: "Wir sind hier!" Schon schwappte die nächste Übelkeitswelle über ihn hinweg und er drückte sich mit geschlossenen Augen eine Hand vor den Mund. Hoffentlich gewöhnte er sich eines Tages auch daran.
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Re: Neuanfang

Beitrag von Erzähler » Freitag 2. August 2024, 16:09

Manchmal war alles was man tun musste in eine andere Richtung zu denken. Es war nicht so, dass Kazel seine Fähigkeiten vergessen hatte. Nur hatte er erwartet, dass er diese nicht unter diesen Umständen anwenden könnte. Tods Einmischung eröffnete ihm am Schluss einen Lösungsweg, den er auch sofort umsetzten wollte. Ihnen lief bereits die Zeit fort, um Tareks Leben noch zu retten. Schicksal schien irgendwie ihre Finger im Spiel zu haben, doch die Bedeutung dessen blieb noch unergründet. Elodi, als ihre Gesellin versuchte ja auch Tarek zu helfen. Hieß das also, dass sie gerade gegen den Willen ihrer Meisterin agierte?
Solche Fragen konnten sie sich gerade kaum stellen. Kazel umfasste den bewusstlosen Mann und rief Elodi eine Warnung zu, dass sie kommen würden. Der Ausdruck im Gesicht der rothaarigen Frau wechselten von nervös zu verständnislos, doch dauerte es kaum ein paar Sekunden und sie wurde Zeuge von seiner Aktion: Er setzte seinen Raum-Zeit-Sprung ein und brachte dadurch Tarek in Sicherheit.
Elodi sah zu, wie sich die beiden in Luft auflösten. Keine Sekunde später setzte der normale Fluss der Zeit wieder ein und begrub, mit einem fürchterlichen Krachen, den Hohlraum, in dem sich die Verschütteten zuvor befunden hatten. Staub wurde aufgewirbelt und die anderen Dorfbewohner wedelten mit ihren Armen durch die Luft, oder bedeckten ihre Nasen und Münder. Dann folgte ein weiterer lauter Krach, denn auch Thorgk war ins Wanken gekommen und ließ im Fall den schweren Stützbalken fallen. Wäre Tarek noch im verschütteten Loch gewesen, hätte die Last des Balkens seinem Körper vermutlich den Rest gegeben.
Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Menge. Elodi sah sich nach allen Richtungen um, ehe sie hinter sich in Richtung des Dorfbrunnens, einen weiteren ungewöhnlichen Laut vernahm.
Aufmerksam versuchte sie durch die, vom Staub diesige Luft etwas zu erkennen. An ihre Ohren drang ein leises Ächzen, woraufhin sie sofort in eben diese Richtung lief.
er massige Leib des Geretteten kippte dabei einen Korb frisch gewaschener und geklöppelter Kleidung um, dass er im Dreck landete. Das war vertretbar, angesichts der Tatsache, dass Tareks Leben dadurch wohl noch eine Weile weitergehen durfte.
„Kazel?“, rief die nach dem Schwarzhaarigen, der nach einem kurzen Moment auch antwortete.
„Wir sind hier!“, rief er und hörte sich irgendwie ein wenig gedrückt an. Elodi erreichte sie kurze Zeit später und sah auf die beiden Männer. Der eine lag mit blutiger Lippe auf dem Boden und hielt das Handgelenk des bewusstlosen Söldners.
„Du hast ihn durch einen Sprung da rausgeholt?“, fragte sie leise, jedoch aufgebracht, während sie sich zu Tarek kniete und seinen Zustand untersuchte. Um sie herum legte sich langsam der Staub und machte die Sicht klarer, wodurch nun auch andere Dorfbewohner auf sie aufmerksam wurden.

„Wie… ist das Tarek?“
„Aber er steckte doch im Schutt fest!“
„Wie kommen die beiden dort hin?“
Solche und noch mehr Fragen waren aus verschiedensten Mündern zu hören. Den Raum-Zeit-Sprung hatte keiner von ihnen mitbekommen und so war die mysteriöse Rettung des Dorflers natürlich ein Rätsel.
Angespannt und mit einem leicht besorgten Ausdruck untersuchte Elodi den jungen Mann. Dann sah sie auf und winkte zwei Männer herbei, die vermutlich ebenfalls Teil der Belagerung von Zyranus gewesen waren. Ihre muskulösen Körper sprachen zumindest für den Lebensweg eines Kriegers oder Söldners.
„Valéri, Iskar! Bitte helft mir ihn in sein Haus zu bringen. Legt ihn bitte so gerade, wie möglich in sein Bett“, bat Elodi und deutete auf Tarek. Die Männer kamen sofort hinzu und bedachten ihren Kollegen mit einem besorgten Ausdruck. Dann löste sich der Blonde – mit dem Namen Valéri und lief ein Stück zu einem der anderen Gebäude, an dessen Hausmauer ein, noch nicht benutztes Zaunstück lehnte. Diese Bretterkonstellation trug er zum Brunnen zurück, wo die Männer Tarek behutsam darauf betteten, damit er mit wenig Bewegung fortgetragen werden konnte.
In der Zwischenzeit hatten sich noch einige andere Dorfbewohner bei ihnen eingefunden, die das Geschehen beobachteten. Einige waren in Diskussionen verstrickt, die sich um den Unfall und Tareks Rettung drehten.
Mit einem kleinen Seufzen erhob sich Elodi und ließ sich vor Kazel nun nieder, zog aus ihrer Rochtasche ein Tuch, mit dem sie vorsichtig begann die blutenden Lippe des Mischlings zu betupfen. Ihr Ausdruck war schwer zu deuten, doch als sich ihre Blicke trafen, bildete sich ein ganz kleines Lächeln in ihren Mundwinkeln.
„Du bist ganz schön hart aufgekommen!“, meinte sie leise und betrachtete sich seine Lippe etwas näher. „Und du siehst… etwas blass aus. Ist dir schwindelig?“, fragte sie und drückte vorsichtig sein Kinn etwas hoch.
„Ich muss gleich zu Tarek. Wie es aussieht hat er einige Knochenbrüche und sicher eine Gehirnerschütterung. Aber…“, und damit sah sie ihm wieder in die Augen. „… dank dir wird er leben!“ Ihre Finger strichen ganz sachte zu seiner Wange, wo sie kurz verweilten. Dann stand sie wieder auf und wollte ihm gerade eine Hand zum Aufstehen reichen, als sich zwei dunkle Hände an ihr vorbeistreckten. Es waren die beiden Dunkelelfen, die zusammen mit Kazel Miro gerettet hatten. Beide standen neben Elodi und hielten dem Mischling eine helfende Hand hin.
„Du… hast beide gerettet!“, sagte der Dunkelelf mit den weißen Haaren und griff nach Kazels Hand, sollte er diese ergreifen. „Keine Ahnung wie… aber am Schluss zählt nur, dass niemand zu Tode kam!“, ergänzte der andere, mit recht dunklen Haaren und rotbraunen Augen.
Elodi machte einen Schritt zurück und als Kazel wieder auf die Beine kam, brach ein unerwarteter Applaus aus. Immer mehr der Dorfbewohner versammelten sich um das kleine Grüppchen. Immer mehr verstanden, dass die Gefahr gebannt war und stimmten in den Applaus ein, den eben jene zwei Dunkelelfen begonnen hatten.
Der kleine Miro lugte hinter einem etwas älter wirkenden Mann mit Stock hervor, der den Jungen offenbar nach seiner Rettung in Empfang genommen hatte. Dank Tareks Einsatz und Kazels Mut war ihm glücklicherweise nichts Ernstes geschehen! Zwar zierten den Körper viele Kratzer und beginnende blaue Flecke, wie auch Blutergüsse, doch schien das meiste Blut, das an seiner Kleidung haftete, nicht von ihm selbst zu stammen. Ihm stand noch immer der Schreck ins Gesicht geschrieben, doch blitzte langsam, aber sicher, aufkeimende Erleichterung und Verständnis in seinen Augen wider. Der ältere Mann nahm Miro bei der Hand und ging langsam zu dessen Retter hinüber.
„Ich danke dir junger Mann! Wir haben dich zwar noch nie hier gesehen, aber du hast uns allen geholfen diese Katastrophe zu bewältigen“, begann der Ergraute zu sprechen und legte Miro nun zärtlich eine Hand auf den schwarzen Schopf.
„Mein Name ist Hendrig Wiesenstiel. Ich bin einer der Dorfgründer und Sprecher der zyranischen Landwirte, die sich der Dorfgemeinschaft anschlossen.“ Elodi machte einen weiteren Schritt zurück. Ein warmes Lächeln zierte ihr Gesicht, ehe sie sich abwandte und zu Tareks Haus lief, da dieser nun am meisten ihre Hilfe brauchen würde. Und Kazel … nun ihn konnte sie in diesem Moment getrost zurücklassen. Denn die Dorfbewohner verstanden vielleicht nicht, wie dem Fremden die Rettung geglückt war, doch beachteten sie nur das Ergebnis und schienen nun den heldenhaften Neuankömmling kennenlernen zu wollen.
Hendrig Wiesenstiel besaß eine raue und zugleich angenehme Stimme. Sein Gesicht war nicht nur von Falten der Jahre, sondern auch des Lachens geprägt. Er war schlicht und zweckmäßig für einen Mann, der sein Leben lang Felder bestellt hatte, gekleidet. Zwar schien er nun nicht mehr aktiver Arbeit nachzugehen – sein leicht gekrümmter Rücken und der etwas steife Gang sprachen eindeutig für diese Vermutung – doch schien er von allen Dorfbewohnern als vollwertiges und respektables Mitglied der Gemeinde angesehen und geachtet zu werden.
„Du musste Elodis Gefährte sein! Sie erzählte uns von deinem Vorhaben herzukommen, doch ich scheine deine Ankunft versäumt zu haben“, sprach er weiter, während Miros Blick auf Kazels Gesicht geheftet lag.
„Verzeih dem alten Narren vor deinen Augen, doch mir ist dein Name entfallen.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln verzogen sich die graublauen Augen, in denen man viel Lebenserfahrung und dadurch gewonnene Weisheit erahnen konnte. Er wartete darauf, dass Kazel ihm seinen Namen nennen würde und sollte er dies tun, würde er seinen Blick auf den Jüngsten der Runde fallen lassen und sachten Druck auf den kleinen Rücken ausüben.
„Los Miro! Bedanke dich bei ihm.“, bat er den Waisenknaben, der sich leicht auf die Unterlippe biss. Dann jedoch trat er einen Schritt vor und hob den Blick zu dem Mischlingselfen.
„Danke…Onkel…! Danke, dass du Tarek gerettet hast!“, murmelte Miro und sah dann zu Wiesenstiel, der noch einmal auffordernd in Kazels Richtung nickte.
„U-und dass du mich gerettet hast!“ Zufrieden nickte der alte Mann und reichte Kazel nun die, von anfänglicher Gicht befallene Hand.
„Willkommen in der Grasland-Siedlung, junger Kazel. Wir freuen uns, dass du hergekommen bist!“
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