Dass beim bloßen Anblick bereits nahezu alles in ihr heraufkam, was Madiha fest in sich verschlossen hatte, war ihr nicht bewusst. Nun aber, da sie sich direkt bei Khasibs Anwesen befand, spürte sie ein kontinuierliches Unbehagen. Immer wieder tanzten Bilder vor ihrem inneren Auge oder aber sie hörte ihre eigene Stimme aus Szenen, die sie sich nie wieder in Erinnerung hatte rufen wollen. Warum lud Caleb ihr das auf. Er wusste es doch! Oder ahnte er nicht, was es sie kostete, hierher zu kommen? Konnte er nicht verstehen, was es für sie bedeutete?!
Kjetell'o verstand, zumindest zu Teilen. Er erkannte jetzt, dass er im Irrtum gelegen hatte. Madiha war nicht als Prinzessin in einem Palast wie diesem aufgewachsen, sondern als Sklavin. Ihm blieb zwar vollkommen verborgen, was genau sie dort hatte tun müssen, um zu überleben, aber allein der Umstand ihrer Rolle schien ihm zu genügen, um Khasibs Heim nicht mehr als so prunkvoll anzusehen wie zuvor. Weil er schon zuvor bemerkt hatte, wie seltsam seine Gefährtin auf jegliche Berührung seinerseits reagierte, unterließ er es, ihre Hand zu greifen. Stattdessen musterter er seine eigene auf dem Weg in den Garten. Er schaut auch auf sie herab, als alle hinter der Hecke kauerten und die unliebsamen Geräusche direkt aus dem Garten mit anhören mussten. Die Worte gaben Madiha den Rest. Sie musste gar nicht erst sehen, was jenseits des Gebüschs geschah. Sie wusste es. Bilder bauten sich in ihr auf. Sie selbst nahm die Position jener jungen Frau ein, die soeben ihre Unschuld an Khasib verloren haben musste. Sie sah ihn, seinen feisten Körper und sein Grinsen, weil er Macht über sie hatte und zwar in jeglicher Hinsicht. Sie verspürte eine Wut in sich aufkochen, die der von damals in nichts nachstand, außer dass sie nun kein Feuer produzierte. Aber Madiha konnte sie wie schon einst nicht zurückhalten. Sie ließ sich von ihrem Zorn überwältigen und folgte ihm. Anders als bei Caleb jedoch, dessen Hände bereits zitterten, um sich im Zaum zu halten, brach es nicht wutentbrannt aus Madiha heraus. Vollkommen ruhig, beinahe einem Geist gleich, erhob sie sich, schlich an ihren Gefährten vorbei und trat zwischen den Sträuchern hervor.
"M-Ma....di...?!" Caleb starrte ihr nach. Er war drauf und dran, die Hand nach ihr auszustrecken, um sie aufzuhalten. Allerdings legte sich eine andere an sein Handgelenk. Es waren Kjetell'os Finger, schlank und fast schon elegant, aber viele Elfen besaßen diese unterschätzenswerte Optik. Sie konnten dennoch gut zupacken. Bei Caleb war es nicht nötig. Kjetell'o berührte ihn nur, damit er die Aufmerksamkeit des Diebes gewann. Jener wandte den Kopf um, schaute den Shyáner fragend an.
"Sie war ... Fleisch. Es ist ihre Rache, nicht deine", wisperte er. Kjetell'o verstand. Er verstand besser als Madiha es sich ausmalte. Denn er hatte nicht nur Gespräche mit ihr geführt, sondern auch mit Corax. Er hatte ihn nicht umsonst zum Leidträger ernannt. Er musste seine gesamte Geschichte gehört haben oder zumindest sehr essentielle Teile davon. Genug Inhalt, um zu verstehen, warum der Elf sich und Madiha so gut hatte vergleichen können. Eine Woche lang war es ihm möglich gewesen, in Corax' Seele einzutauchen, so wie Madiha und Azura es in seinen Träumen getan hatten. Kjetell'o besaß ähnliche Empathie wie die Sarmaerin. Etwas, das man seiner eigenen Tochter nicht unbedingt zusprechen konnte. Manchmal war es doch recht seltsam, dass Geschöpfe, die einem weniger nahe standen, doch so vieles besser nachvollziehen konnten. Caleb kämpfte noch damit, alles zu begreifen, wo Kjetell'o bereits wusste und auch anerkannte, dass dieser Moment Madiha gehörte. Sie brauchte niemanden, der sie verteidigte, selbst wenn es nötig gewesen wäre. Niemand durfte diese Sache nun für sie erledigen. Es war an ihr. Diesen Atemzug der Historie zu verändern - ihrem eigenen Kapitel ein Ende zu setzen, damit sie ein neues beginnen konnte - das musste sie tun. Der Elf hielt sie nicht auf, als sie die Gärten betrat. Er sorgte dafür, dass Caleb es nicht würde, jedenfalls noch nicht. Natürlich verblieben ihre Freunde im Hintergrund. Sie würden zuschlagen, wenn es nicht anders ging. Vorerst aber verweilten sie als stille Beobachter im Schutz des Unentdeckten. Und während Madiha an den Gewächsen, kleinen und großen Zierpflanzen, sowie einem Brunnen im Zentrum des Gartens vorüber schritt, da flüsterte Kjetell'o auf Caleb ein, der plötzlich in schmerzlichem Verständnis die Augen weitete.
Seine Geliebte bekam es nicht mehr mit. Sie war längst aus dem Schutz ihres Verstecks geschritten und machte auf sich aufmerksam. Sie sah die etwas zerrupften Ziersträucher nicht. Das Heckenkamel, dessen Höcker außer Form geraten waren blieb ebenso unbeachtet wie die Pflanzkübel mit jorsanischen Rosengewächsen. Die Blüten kämpften bereits darum, nicht vom Stängel zu fallen. Jemand hatte den Garten vernachlässigt. Angesichts des Krieges war es schwer, sich auf den Alltag zu konzentrieren, auch für Adlige. Noch schwerer war es, einen Luxusalltag zu bestreiten. Khasib ließ sich davon aber nicht abbringen. Es milderte lediglich seine Laune und das Problem hatten andere auszubaden. Dennoch erklärte es seine Handhabe mit der erwischten Einbrecherin nicht. Der aktuelle Zustand Sarmas änderte nichts an Khasibs Charakter. Er besaß nämlich keinen, ebenso wenig wie er ein Herz besaß. In seiner Brust schlug ein schwarzer Klumpen aus Gier, Lust und Dekadenz. Er spuckte schwarzen Teer direkt in die Blutbahn des Mannes, besudelte ihn und seinen Körper mehr als er es bei der Frau unter ihm geschafft hatte. Oh, sie war nur erst von ihm zur Frau gemacht worden. Was Madiha hier sah war beinahe noch ein Kind. Die kleine Einbrecherin mochte nicht älter sein als sie selbst, als Khasib sich das erste Mal über ihren dürren Leib gebeugt hatte und wie Madiha damals war auch das Mädchen hier kaum mehr als ein Stecken. Ihre dürren Arme hielt sie sich schützend vor ein dreckiges Gesicht mit verfilzten schwarzen Haaren, an denen das Blut der Straße klebte. Khasib hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihr die Kleidung gänzlich vom Leib zu reißen. Lumpen bedeckten die Brust des Mädchen, aber unterhalb ihres Nabels lag alles frei. Ein Knöchel war angeschwollen und das Fuß auf unnatürliche Weise abgeknickt. Neben den beiden lag ein zertrümmerter Rest eines Pflanzkübels am Boden. Khasib musste ihr das steinerne Gefäß direkt auf das Fußgelenk gedonnert haben, um ihr im Schmerz jegliche Fluchtmöglichkeit zu nehmen. Sie selbst lag breitbeinig auf einer langen Pflanzkiste mit ... kleinen Kakteen. Ihr teils nackter Leib drückte sich auf die Nadeln, mit denen sie bereits gespickt war. Khasib hatte ihre erste körperliche Erfahrung so unangenehm wie möglich gestaltet. Schmerz mit jedem Stoß in ihren viel zu zierlichen Leib hatte es bedeutet und er verlangte noch, dass sie dabei nicht wimmerte!
Ihr Schoß war ein blutiger Beweis für seine Tat. Sie würde nicht daran sterben, sich aber ewig erinnern und es vermutlich noch schwerer haben als Madiha, jemals einen anderen Mann an sich heranzulassen im Vertrauen, dass ... das hier ... überhaupt gut sein könnte. Und Khasib? Der hatte sie nicht nur geschändet, sondern wollte sie auch leiden sehen. Er stand vor ihr, seine Gewand wie einen geöffneten Bademantel zu beiden Seiten seines Körpers herabhängend. Darunter war er nackt und noch immer erregt. Das Blut des Mädchens klebte an seinem Schritt, zusammen mit anderen Flüssigkeiten, mit denen er ihr die letzte Ehre genommen hatte. Madiha kannte jeden Zentimeter dieses widerlichen Körpers. Sie konnte ihn auch aus der Entfernung schon riechen. Sie wusste, wie Ekel erregend sein Anblick war und wieviel Zorn er in ihr auslöste. Sie spürte nur keine Hitze in sich hochkochen, obwohl sie allen Grund dazu hatte. Aber ihr Einschreiten war die Rettung des Mädchens vor einer neuen Ebene der Pein. Denn Khasib stand vor ihrem ausgebreiteten Leib, einen kleinen Blumentopf in der Hand, aus dem ein pfahlartiger Kaktus ragte. Die Haltung seiner Pose sprach Bände, was er damit vorgehabt hatte. Das Mädchen wäre unter dieser Folter definitiv gestorben. Nun aber wurde der sarmaer Adlige unterbrochen, als Madiha unerwartet die Bühne dieser Tragödie betrat.
"Schluss damit! Du wirst nie wieder einer Frau so etwas antun!" In Madihas Geist mischten sich Erinnerungen mit der Realität. Sie sah Khasib, aber er drehte sich ihr nicht zu. Sie sah ihn wie damals, nachdem er mit ihr fertig war. Da lag er ebenfalls mit offenenen Gewändern auf einem der großen Palastkissen, ein Bein angewinkelt, während ihm die Körpersäfte von jenem Stück seines Leibes tropften, das sie nach all der Schandtat noch hatte mit ihrer Zunge reinigen müssen. Sie sah nicht, wie Khasib soeben den Kaktus zurück zu weiteren kleinen Blumentöpfen stellte. In ihrer Vorstellung platzierte er das eigene Glas Wein, dem natürlich nichts beigemischt worden war. Aber sowohl in Erinnerung als auch der Wirklichkeit griff er nun nach seinem schlechtesten Stück, um die gesamte Länge dieses Marterinstruments entlang zu reiben. Er grunzte und Madiha konnte sehen, dass er unter ihrem Anblick und ihren Worten nur wieder bereit für die nächste Gräueltat wurde. Es erregte ihn, sie und andere Frauen leiden zu sehen. Bei Madiha schürte es nur den Zorn.
"Sieh an, sieh an. Du lebst ja wirklich noch. Also hätte ich den Überbringer der Nachricht, dein Sandloch wäre leer gewesen, gar nicht hängen lassen müssen. In der Tat, da stehst du ... mit deinem hässlichen Körper." Er grinste auf. "Aber zum Abreagieren reichst du, wie damals schon. Lass mich das billige Stück Dreck hier nur noch schwängern, dann widme ich mich voll und ganz deiner ausgeleierten Mitte. Mal sehen, ob ich es dir nach all der Zeit immer noch so besorgen kann, dass du schreist. Hahahaha!"
Im Schutz der Hecke und Arkadengänge zuckte Caleb zusammen. Kjetell'o musste sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den Dieb stämmen, damit dieser nicht vorpreschte. "Lass sie!", zischte er ihm zu und suchte den grünblauen Blick. "Sie muss es schaffen. Das ist wichtig für sie. Das verstehst du doch."
Caleb starrte Kjetell'o entgegen. Er legte eine Hand an seinen Gürtel. Dort hing der Einhorndolch, den er von dem Elfen geschenkt bekommen hatte. Jener Dolch, mit dem Caleb Serpentis' Leben ausgehaucht hatte und zum Schutz seiner Freunde zum Mörder geworden war. Kjetell'o sah den kurzen Blick und schüttelte entschieden den Kopf. "Nicht hier, nicht heute und nicht er. Er gehörte deiner Madiha. Rette sie danach ... mit deiner Liebe."
Das war, was Caleb hören musste. Er zuckte zusammen, ehe seine Körperspannung sich löste. Wie ein kräftiger Fels sackte er in sich zusammen und nickte sacht. Erleichtert atmete Kjetell'o auf. Dann drehte er sich wieder der Szenerie im Garten zu.
"Ich wusste nicht mal im Ansatz wie sehr sie gelitten hat ... ich hab ihr das angetan, Kjet", murmelte Caleb in einer Trance aus Schrecken und Schuld. Der Elf tätschelte seinen Unterarm. "Wir alle machen Fehler. Schau zu wie sie damit arbeitet und daran erstarkt. Und dann sei stolz auf sie. Das heilt ihr Herz jetzt mehr als ein gezielter Stich mit dem Dolch direkt in das Herz dieses ... Wurms." Wieder nickte Caleb. Beide Männer hielten still. Dann aber zischte er entsetzt seinem Freund zu: "Sie ... kann doch nicht mehr zaubern, sagte sie!"
Kjetell'o nickte und Caleb löste sich plötzlich etwas von ihm, als er eine unnatürliche Wärme wahrnahm. Kjetell'os Fingerspitzen sprühten winzige Flammenfunken. Sein Haar knisterte. "Ich gebe ihr nur die Quelle. Mal sehen, ob sie damit arbeiten kann", raunte er und weckte sein Feuer weit genug, damit die Hitze bis an Madihas Rücken heranreichte. Sie brauchte keine Feuerschalen, von denen ohnehin nicht viele im Garten zu finden waren. Aber sie bräuchte nun eine Quelle, die jenseits ihrer eigenen Leere wäre. Sie brauchte etwas, mit dem sie gegen Khasib vorgehen könnte.
"Runter von ihr oder ich werde dich brennen lassen!"
Der Adlige lachte auf. Hohn tropfte aus seiner Stimme wie die Körpersäfte und das Blut des Mädchens von der Spitze seines erregten Krummsäbels. Madiha war nie aufgefallen, wie schlecht er eigentlich geformt war. Nicht zu vergleichen mit Calebs eleganter Männlichkeit. Jene verschaffte ihr aber auch Wonnen. Dieses Stück Fleisch hier zerriss Seelen. Madiha würde diese krumme Kerze anzünden und verglühen lassen, dass nicht einmal mehr ein Docht übrig blieb. In ihr kochte es! Nein, die Hitze drang von außen herein. Sie spürte Wärme im Rücken. Sie war ihr ... vertraut. Es handelte sich nicht um ihr eigenes Feuer, aber sie kannte es. Sie hatte mit diesem geübt. Sie hatte ihm zugesehen und versucht, es nachzuahmen. sie hatte kleine Zylinder, Kugeln und Kegel geformt. Sie hatte es zu Hilfe genommen, um ihre eigenen Kräfte zu stabiliseren. Aber würde es nun gelingen, Kjetell'os Fremdfeuer zu nutzen, um sich an Khasib zu rächen?
"Hilf mir!", bettelte das Einbrechermädchen aus dem Hintergrund. Sie konnte nicht einmal mehr Tränen weinen. Ihr Körper zuckte ungelenk und Madiha glaubte für einen Moment den pochenden Impuls ihres schmerzenden Knöchels selbst spüren zu können. Khasib hingegen rieb sich unter wachsender Begierde sein eigenes Fleisch. Er war arglos, aber Madihas Anblick versetzte ihn in Stimmung. "Einer von uns wird brennen, aber ich bin's nicht", knurrte er ihr entgegen und konnte seine Lust, sie seine Macht spüren zu lassen, nicht verbergen. Er kam auf Madiha zu. Wenigstens hatte sie ihn von dem Mädchen gut genug abgelenkt, aber die Geschändete schaffte es nur, von der Pflanzkiste zu rutschen. Sie stöhnte unter Schmerzen, als sie im Gras des Gartens landete, zuckte und kauerte sich zusammen, hielt ihr Bein. Khasib rückte näher. Sein Säbel baute sich vor Madiha auf. Auch er zuckte bereits. "Ich werde dich nehmen, bis alles in dir brennt. Ich werde es dir besorgen, bis dein kleines Loch in Fetzen hängt ... und dann nehme ich mir deine andere Öffnungen vor."
Das genügte. Der schwarze Klumpen in Madihas Innerem platzte. Es war der Teer, den Khasib Jahre lang in sie gestoßen und hatte wachsen lassen. Jetzt zerbarst er und besudelte ihr Innerstes. Aber Madiha kochte. Sie brachte den Teer zum blubbern, bis sich giftige Dämpfe aus Rachelust und Hass ausbreiteten. Sie wollte diesen Mann nicht nur brennen sehen. Auch sie würde hier und heute zur Mörderin, mit weniger gäbe sie sich wohl nicht zufrieden.
In ihren Ohren rauschte es oder war es das Überfliegen des Drachens, der eine weitere Runde über Sarma drehte? War es Kjetell'os Feuer, das sie schon im Rücken spürte? Es wartete nur darauf, von ihr genutzt zu werden. Flammen, brennen, zerstören und vernichten! Hier und jetzt ging es nicht um Geborgenheit oder Wärme. Madiha wollte sich befreien, sich und alle, die unter Khasib hatten leiden müssen. Etwas baute sich auf. Sie spürte ein Prickeln, ohne dass es auf ihrer Haut lag, aber es war vertraut. Sie spürte Hitze. Sie atmete jene. Ihre Lungen blähten sich und sie fühlte, wie jede Faser von ihnen sich gegen die Hitze wappnete, die im Zentrum ihrer Luftbeutel gesammelt wurde. Sie würde Khasib das Feuer entgegenspucken, um ihn brennen zu sehen. Sie spürte es. Es war da! Oh, welche Macht sie fühlte. Es war zurück und stärker als jemals zuvor. Beinahe überwältigte es sie, so kräftig fühlte sie es lodern. Die Welt lag ihr zu Füßen und Khasib war nicht einmal ein Wurm gegenüber ihrem eigenen erhabenen Sein. Sie würde ihn zerstampfen mit Klauen aus Flammen! Sie würde ihn mit brennenden Zähnen zerfetzen, im heißen Dampf ihrer Nüstern kochen und sein Fleisch von dem erbärmlichen Gerippe nagen, das es trug. Sie würde alles Brennbare an ihm zu Asche verwandeln. Madiha hörte das sanfte Klimpern, als sie sich anspannte und die schützende Schicht aus rotgolden glänzenden Schuppen an ihrem Körper sich blähte. Sie spürte die Kraft des Windes, der sich unter ihre Schwingen legte, diese wie die Segel der Schiffe spannte, mit denen sie das Meer bereist hatte. Sie fühlte ihren langen, geschuppten Schwanz, der mit leichtem Schlingern ihren Körper am Himmel balancierte, während sie vom Auftrieb und den Windströmungen getragen die richtige Schneise für einen Sturzflug suchte. Sie atmete Feuer, dass der Rauch ihr bereits aus den Nüstern stieg. Es roch ein wenig wie die Kohlebecken dieser kleinen Menschen unter ihr. Dabei waren ihre Versuche, das Element zu bändigen, vollkommen lachhaft. Diese winzigen Wesen wussten nicht einmal, was der Begriff Feuer überhaupt bedeutete. Macht. Macht über alles und jeden! Sie war das mächtigste Männchen der gesamten Insel! Die Wüste gehörte ihr und mit ihr jedes noch so kleine Wesen darin. Sie alle hatten sich ihr zu beugen, wenn sie mit ihrem glänzenden Leib über sie hinweg flog. Sie hatten sich ihrer Macht zu beugen. Der Macht des Feuers. Die reine Urgewalt von Hitze ... geschenkt und wieder entfacht von einer dieser winzigen Geschöpfe, damit es seine verkümmerte Flamme erwärmte und neu entfachte. Damit er tun konnte, was nun richtig war. Er spürte, dass es nur diesen Weg gab. Er spürte Madiha und sie ihn.
"MADI! PASS AUF!" Calebs Stimme war das Letzte, was sie hörte. Die Bilder aus Erinnerung und Wirklichkeit verschwammen vor ihr, dann brachen sie fort und zurück blieb nur flammendes Rot. Madiha hatte doch den Luftzug schon gespürt, der den Drachen ankündigte. Sie hatte gewusst, dass er nun direkt über Khasibs Palast hinwegfegen würde. Sie hatte aber auch gewusst, dass sie weder in Deckung springen noch anderweit Schutz suchen würde. Denn sie wollte brennen. Sie wollte, dass alles brannte. Unter seinen Flammen. Unter ihrem Feuer, das er ihr genommen hatte, so wie nun auch ihre Rache und gleichzeitig spürte sie doch alles daran, als wäre sie es, dir ihr Maul öffnete. Sie war es, die die Schwingen ein wenig einklappte, damit sie nahe genug an den Garten heran käme. Sie war es, die die Schreie von Adligen und ihren Elitewachen aus dem Viertel der Reichen hörte. Sie war es, die das Maul weitere und die Hitze im Hals emporsteigen fühlte. Sie war es, die es lenkte, zu einem Strahl formte und anschließend direkt in den Garten schickte. Sie war es, die Khasib zum Schreien brachte, ihn schmelzen ließ. Ihn und alles um ihn herum, das nur Böses im Sinn hatte. Sie sah einen Busch brennen, der sich über die anderen kleineren Sträucher hatte hinwegsetzen wollen. Nicht, um sein Überleben zu sichern, sondern um sie zu unterjochen, denn er war der einzig wahre Busch, der alles Wasser Sarmas erlangen sollte. Er brannte, ebenso wie Khasib brannte.
Beide wurden gereinigt von den Flammen, die nur diesen Zweck besaßen. Das Böse ausbrennen. Vernichtung, Zerstörung, aber nur jene Anteile, die es verdienten. Sie würden geläutert. Der Rest der Welt wurde von ihnen gereinigt, durfte in der Wärme und Geborgenheit baden, die die Flammen nicht für ihre schwarzen Seelen zuließen.
Der Drache füllte den gesamten Garten des Adelspalastes mit seinem feurigen Rot. Die Flammen züngelten bis über Khasibs Kuppeldächer hinaus. Niemand konnte dem Wirbel entkommen. Madiha, das geschändete Mädchen, Kjetell'o und auch Caleb wurden gänzlich vom Feuer erfasst. Sie hatten keine Chance.
Wärme hüllte Madiha ein. Sie sah nur noch rot und gold und gleißendes Weiß, aber sie fühlte eine liebliche Wärme. Etwas streichelte sie. Ich liebe dich, sagte es und jede Silbe weckte in ihrem Herzen die Liebe, die sie zu ihrem Feuer empfunden hatte. Schau, was wir geschafft haben. Dank dir. Bist du stolz auf mich? Liebst du mich wie ich dich liebe?
Sobald Madiha die Augen wieder öffnete, durfte sie feststellen, dass der Drache wirklich über Khasibs Palas hinweg geflogen und seinen Flammenstrahl direkt in den Garten gelenkt hatte. Teile davon brannten. Nein, im Grunde war es nur einer der Büsche, der brannte. Er erhellte den gesamten Garten mit seinem lodernen Holzgerippe. Blätter hatten sich längst aufgelöst. Sie waren unter der Hitze sofort zerfallen, ebenso wie ... Khasib. Die Flammen hatten seine Haut und sein Fleisch geschmolzen, ihn aber nicht in einen Aschehaufen verwandelt. Dieses Schicksal verdiente er nicht. Seine Haltung war ... grotesk. Er kniete breitbeinig, aber dazwischen war nichts mehr außer Schwärze. Es roch nach verbranntem Fleisch und den Überresten seiner Gewandung. Ihre Asche hatte der Wind fortgetragen. Zurück blieb die schwarz verkohlte Silhouette von Khasib. Er kniete, reckte in Unglauben die Hände gen Himmel und auch sein Gesicht zeigte dorthin. Die Augenhöhlen waren leer. Seine Augäpfe hatten der Hitze nicht standhalten können. Das Letzte, was er gesehen haben musste, war Madihas Feuer, gespien aus einem Drachenmaul. Sie hatte ihn verbrannt, wie angekündigt. Noch immer fühlte sie es. Etwas prickelte durch ihren ganzen Körper, gleichzeitig erinnerte sie sich an die Streichelheinheiten aus Wärme und Geborgenheit, an die Worte in ihrem Herzen.
Das Feuer hatte nur verschlungen, verbrannt und vernichtet, was im Grunde der eigenen Seele bösartige Absichten besaß. Alle, die es einfach nur durch das Leben schaffen wollten, ihr Bestes gaben und versuchten, es irgendwie gut zu machen, blieben unberührt. Sie hatte ihr Feuer in Wärme gehüllt, ihnen Geborgenheit und eine Chance geschenkt. Etwas, das kein Drache bislang mit seinen Fähigkeiten auch nur erdacht hätte. Aber hier stand Madiha, die einen Flammenangriff unbeschadet überlebt hatte. Hier kamen ein verwirrter Caleb und ein neugierig fragend schauender Kjetell'o auf sie zu. Hier rappelte sich ein Mädchen im Gras auf und wusste nicht, welche Information es zuerst verarbeiten sollte.
Hier legten sich Arme um Madihas Körper, die ebenso viel Wärme und Geborgenheit versprachen wie das Feuer, das sie an den Drachen gegeben hatte. Sie wurde gehalten, geküsst und mit zitternder Erleichterung umarmt. "Du lebst. Es tut mir so leid. Ich ... ich hatte keine Ahnung. Oh, es geht dir gut! Madi. Madiha! Ich ... oh, ich liebe dich so sehr!" Caleb weinte gegen ihre Haut. Er bebte, klammerte sich an sie und es fühlte sich großartig an. Aber es war doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein im Vergleich zu allem, was Madiha bis eben noch in sich gespürt hatte. Diese drachische Überlegenheit, dieser Anflug von Göttlichem. Diese Macht, mit der er ihr Feuer spielen ließ wie ein Virtuose der Musik auf seinem Lieblingsintrument. Aber das Lied, das dieser Feuerdrache schuf, war anders als alles Flammenlieder, die ein Drache jemals auf Celcias Leben hinabgeworfen hatte. Es war keine Hymne aus Vernichtung, Zerstörung und fressender Hitze. Es war eine Symphonie aus Geborgenheit, Wärme, Schutz und ... Liebe.
Wir lieben dich. Ich liebe dich. Ruh dich aus. Wir finden dich ... später. Erst müssen wir säubern, was euresgleichen angerichtet hat. Keine Sorge. Ich kümmere mich darum. Bist du nicht stolz auf mich? Auf uns? Wir schaffen Großartiges. Wir lieben dich.