"Ich war der Meinung, dass wir zwischen uns bereits alles geklärt haben!", lenkte Skýler die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Eleyna erhielt Gelegenheit, sich anzuziehen. Tatsächlich hatte Minx nur Augen für ihn und wartete still, bis er sein Hemd angezogen hatte. Aufrichtiges Bedauern über den Verlust ihrer morgendlichen Aussicht war aus ihrem Blick abzulesen. Schließlich hob sie die Schultern an. "Naja ... ihr wisst ja gar nicht, dass es noch was zu klären gibt und ich..." Ein Angebot war es, aber worum es sich genau handelte, da war ein spürbares Zögern zu erkennen. Außerdem spähte Minx hin und wieder flüchtig über die Schulter zurück. Wenig später stampfte der Grund für ihre Zaghaftigkeit wohl auch heran. Bolte machte erst Geräusche, als er längst bei der Gruppe war. Der Sand hatte unter seinen nackten Füßen gewiss auch schon vorher geknirscht. Er brachte es dennoch irgendwie fertig, dass es trotz seiner gewaltigen Masse im Rauschen der heran brandenden Wellen, dem Kreischen der Möwen und dem sanften Pfeifen des Windes unterging. Man traute ihm wahrlich nicht zu, von dem Duo der bessere Schleicher zu sein. Aber Bolte besaß diese Diskretion. Er sprach zwar mit kräftiger Stimme, für seine Verhältnisse jedoch auch gedämpft, als er sich zunächst einmal mit Minx unterhielt. Dass auch er nicht viel von ihrem Angebot hielt, kristallisierte sich schnell heraus. Warum er dennoch zuließ, dass Minx an die Mischlinge herantrat, behielt er für sich. Er musterte beide jedenfalls mit einem nachdenklicheren Blick als zuvor. Jener erhielt einen Riss, als Minx nun lauthals zum Aufbruch aufforderte. Die mangelnde Begeisterung aller kugelte zusammen, um einen großen Ball zu schaffen.
"Ihr seid laut! Wollt ihr, dass euch ganz Rumdett hört?", fuhr Skýler die Piratin nun harsch an. Er erntete ein Grinsen seitens des Fleischbergs, der versuchte, die feisten Arme vor dem Brustspeck zu verschränken. Es misslang, also stämmte er sie in die Hüften, genau zwischen zwei Falten seiner Körpermasse. Es sah fast so aus, als würde sein eigener Leib die Hände verschlingen wollen. Skýler ließ sich davon nicht beirren. Er war immer noch ungehalten über die Taktlosigkeit beider und zornig über Minx' Geplärre. "Dein Spinnenfreund bekommt in seiner Höhle vermutlich jedes Wort mit!", fauchte er. Minx winkte ab und rollte mit den Augen. Ganz Unrecht hatte sie nicht. Außer ihnen fand sich niemand an dieser Stelle der Küste. Erst nahe Rumdett konnte man überhaupt Bewegungen ausmachen. sie deuteten daraufhin, dass einige Piraten sich auch als Fischer verdingten und ihre Kutter zu Wasser ließen. Die Stadt selbst lag überraschend friedlich da. Noch zog niemand auf See aus, um zu rauben und zu brandschatzen.
"Was auch immer ihr vorhabt, mich interessieren weder eure Angebote noch Neuigkeiten!"
"Azael, das trifft mich", gab Minx zurück und starrte ihn überraschend ehrlich an. Ihre Unterlippe bebte sogar leicht. "Dabei finde ich dich so hübsch", murrte sie, verschränkte die Arme. Bei ihrer Figur gelang es. Bolte lachte gehässig. "Die haben keine Lust auf deinen Weg, Kätzchen. Besser so. Damit verlierst du an Konkurrenz - falls sie drauf eingestiegen wären." Er winkte ihr. "Na los, lass die zwei ziehen. Gehen wir in den Rochen. Ich bin hungrig."
"Erinnere mich nicht an Essen." Minx hielt sich sofort den Bauch und wirkte noch eine Spur blasser. Die Mahlzeit des Spinnenhybriden musste ihr wirklich schwer zugesetzt haben und offenbar war sie letzte Nacht Zeugin dessen geworden. Sie wandte sich schon halb ab zum Gehen - offenbar gab sie tatsächlich auf - da wurde sie von Eleyna angesprochen. Auch wenn jene ähnlich wenig Interesse an Angeboten besaß, so war sie doch milder im Umgang mit der Piratin und vielleicht allgemein etwas neugieriger als Skýler.
"Was sollen das für Neuigkeiten sein, Minx? Und wieso redet ihr von irgendwelchen guten Worten und dergleichen? Wir werden uns euch nicht anschließen. Das können wir gar nicht ... Wir müssen zusehen, dass wir hier wegkommen." Minx, die von Bolte bereits gen Rumdett geschoben wurde, entwand sich seiner Pranke und drehte sich wieder um. Der große Pirat stöhnte, hielt sie aber nicht auf.
"Aber darum geht's doch - sagt unser Freund zumindest. Von ihm ging auch die Idee aus, ich weiß nicht, warum. Er will's euch selbst sagen, deshalb solltet ihr jetzt mitkommen." Sie stockte kurz, streckte nachdenklich die Zunge heraus und traf schließlich eine Entscheidung, gefolgt von einem Nicken zu sich selbst. "Wenn's euch nicht gefällt, könnt ihr immer noch abdampfen. Aber hört ihm wenigstens zu. Er ist kein schlechter Kerl, nur weil er wie ein Ungeheuer aussieht ... und 'ne halbe Spinne ist."
Bolte lachte erneut. "Also dann, nochmal ab in die Höhle. Am Tag geht er ungern raus." Der Dicke wandte sich endgültig ab. Anstatt Rumdett einzuschlagen, stiefelte er jedoch in Richtung des Höhleneingangs. Minx wartete noch Moment, seufzte dann und folgte. Sie schickte jedoch einen Blick zurück, ob Eleyna und Skýler ihrer Bitte wenigstens nachkämen. Es konnte nicht schaden. Der Spinnerich wollte offenbar ein Angebot unterbreiten und band sie nicht sofort daran, nur wenn sie sich es einmal anhörten. Sie hatten nichts zu verlieren.
Sollten die beiden Mischlinge sich durchringen, noch einmal die Höhle an der Küste zu betreten, erwarteten sie dieses Mal nicht nur weniger Spinnen, sondern auch mangelnde Dunkelheit. Bolte hatte Fackeln entzündet und war teilweise noch dabei. Er erklomm gerade einen nahen Felsen, um dann einige Pfähle abzuwandern und die Lichter zu entfachen. Die Höhle hellte sich auf. Minx hingegen war wieder die natürliche Rampe hinunter spaziert und zu der Nische, in die der Spinnling am Abend zuvor einige Felsen in polsterweiche Sitzmöglichkeiten verwandelt hatte. Am Anblick hatte sich nicht viel verändert, von einer Ausnahme abgesehen: Am Rand dieser "Räumlichkeit", auf einem flachen quaderartigen Felsen lagen Arvids Überreste. Es konnte sich nur um ihn handeln, auch wenn man nicht mehr viel davon sah. Eingewickelt in einen Kokon aus weißen Spinnenfäden ähnelte er eher einem Toten in einem Leichentuch. Nur sein Gesicht war freigehalten, darüber lag jedoch ein sanftes Seidentuch. Er war weder in der Mitte zerteilt, noch angefressen worden, sondern machte einen sogar respektvoll aufgebarten Eindruck.
Der Spinnenhybrid stand bei diesem steinernen Altar. Er sah erheblich kräftiger aus. Das Schwarz seines Spinnenleibes glänzte und er wippte in einer leicht federnden Haltung, als wollte er gleich losstürmen. Sein elfischer Teil hingegen war ruhig, wartete geduldig auf die Ankunft. Er lächelte sogar, als er Skýler und Eleyna wiedersah. "Ihr seid noch einmal gekommen. Ich ... danke euch. Und ich dachte, ihr wollt eurem Freund vielleicht ein letztes Lebewohl sagen, ehe Bolte ihn beisetzen wird."
"Mach ich gleich!", rief der Große von seiner steinernen Brücke herunter, auf der er nun ein paar Kerzen entlfammte. Der Spinnerich schickte ihm ein dankbares Nicken. Aber ehe er sich an Skýler und Eleyna direkt wenden konnte, warf Minx von ihrem Platz im Spinnwebnest ein: "Die zwei wollen das Angebot hören. Sag's ihnen schnell, halt sie nicht auf, sie wollen ablehnen."
Der Hybrid blinzelte zu beiden herüber. "Ist das so?", fragte er. Dann setzten sich seine acht Beine in Bewegung. Es war ein unheimliches Bild, wenn er lief. Es hinterließ ein ... unliebsames Kribbeln auf der eigenen Haut. Er erreichte die Mischlinge, senkte sich etwas herab, bis er mit ihnen auf Augenhöhe war. Sein Blick galt erst beiden, dann aber Eleyna. "Sie ist eine schreckliche Dunkelelfe", begann er ernst. "Sie hat viel Schlechtes vor. Und du ... bist von ihrem Blut." Er sagte es unverblümt. Dann neigte er sich noch dichter an Eleyna heran, bis seine Nasenspitze fast ihr Haar berührte. "Du riechst nach ihr und in deinem Blick funkelt ihr Ehrgeiz, aber ohne die Bosheit, mit der sie mich zu dem machte, was ich nun bin. Du bist ihr Fleisch und Blut, ich irre mich doch nicht? Ich hab dich gesehen, aus sicherer Entfernung und ..." Er erreichte ihr Ohr, falls er in seiner Handlung nicht unterbrochen wurde, um hinein zu wispern: "Dein lustvolles Stöhnen gleicht ganz dem ihren. Keine Angst, ich habe mich sofort zurückgezogen und euch Privatsphäre gelassen." Auch jetzt zog er sich von ihr zurück.
"Minx machte mir ein Angebot, als sie mich fand und meine Geschichte hörte. Sie meinte, allein würde ich in der Welt nicht bestehen - gegen sie nicht bestehen. Und Minx ist klug, das zu erkennen. Aber sie bot mir Hilfe an. Sie und Bolte gehören dieser Organisation an, die mindestens so weitreichenden Einfluss besitzt wie ihr Netz."
"Du fällst auch immer gleich mit der Tür ins Haus, Spinnchen! Hättest du es nicht ein wenig ... direkter angehen können?", beschwerte sich Bolte. Er setzte den Rückweg an, um dann aber bei Arvids Kokonleichnam zu warten. Sofern sich niemand mehr von dem Toten verabschieden wollte, würde er ihn nun in dem Loch an der Küstenklippe beisetzen, das er die Nacht zuvor gegraben hatte. Er ahnte ja, was der Spinnerich Skýler und Eleyna nun alles verraten würde.
"Ist euch die vornehme und altehrwürdige Diebeszunft Grandessas ein Begriff?", fragte der Hybrid und schaute beide nacheinander an.