Unter Eile betrat Sarin, dicht gefolgt von Iryan, das Portal in eine andere Welt. Das Ziel war der Harax, doch zunächst musste sie sich durch einen wirbelnden Widerstand aus Farben und einer seltsamen Konsistenz kämpfen, die die Nachtelfe an Wackelpudding erinnerte. Sobald sie mit bloßer Hand die Wand durchbrochen hatte, wurde sie fast schon von dem dahinter liegenden Was-auch-immer eingesaugt. Es zog an ihr, bis es sie vollständig verschlungen hatte. Sarin konnte gerade noch nach hinten sehen, bevor der Sog sie mit sich riss. Das Letzte, was sie erkannte, war Iryans Gestalt. Auch er zwängte sich mehr durch das Portal, als dass er es durchschritt. Sie sah ein von Schmerz verzogenes, ansgestrengtes Gesicht. Sie hörte ihn, dumpf nur, aber sie vernahm es. Er litt. Es war die Magie des Portals selbst. Sie machte ihm zu schaffen. Aber Sarin erkannte auch, dass Iryan vor mehr verschont blieb. Weder verbrannte er sich die Haut, noch griff er sich an sein Herz. Es funktionierte. Manthalas Umhang funktionierte. Die Herrin des Mondes legte schützend Sarins Opfergeschenk über den Dunkelelfen und gewährte ihm Zugang durch reine Magie. Nichts Anderes stellte das von Vikreth gerufene Portal dar und Iryan konnte es mit ein wenig Mühe durchschreiten.
Dann ging alles ganz schnell. Die Pudding-Konsistenz ließ nach und Sarin fand sich für eine Schrecksekunde im freien Fall. Schließlich setzten ihre Stiefelsohlen auf festem Grund auf. Sie fand den Boden. Er kam so plötzlich, dass sie durchaus ins Straucheln geraten könnte, doch sie hatte es geschafft. Iryan folgte dichtauf, stieß gegen sie und stolperte dann einige Schritte zur Seite. Vorgebeugt blieb er stehen, stützte seine Hände auf den Knien ab und keuchte. Er betrachtete sich die Finger seiner rechten Hand. Jene waren nicht vom Umhang abgeschirmt worden. Er hatte sie aber nach Sarin ausgestreckt, um ihr ins Portal zu folgen. Er hatte ihre Hand gehalten, sie dann im Wirbel der chaotischen Farben verloren und nach ihr gesucht. Hier hatte Magie Zugang zu ihm erhalten.
Die Fingerspitzen waren etwas dunkel. Sie wirkten ein wenig verkohlt, ohne dass man abgebranntes Fleisch erkannte. Es sah vielmehr danach aus, als hätte der Elf seine ohnehin schon obisianschwarze Haut zu lang im Wasser behalten, dass sie runzlig geworden war. Behutsam strich er nun mit den Fingern der Linken darüber und atmete dann auf. "Das heilt wieder", murmelte er zu sich selbst. Anschließend schaute er sich nach Sarin um. "Sarin! Geht es dir gut?"
Das tat es. Vielleicht war sie etwas benommen und durch das Straucheln oder einen möglichen Sturz nicht frei von blauen Flecken hier gelandet, aber sie hatte es geschafft. Sie und Iryan fanden sich im Harax wieder. So genau, das ließ sich nicht sagen. Das Reich der Dämonen war groß, vor allem aber noch vielfältiger als Celcia. Hier herrschte das Chaos und zugleich auch nicht, denn Chaos ließ sich nicht in Rangsysteme pressen. Es war chaotisch genug, sich eben nicht an Regeln zu halten. Das bedeutete auch, dass Domänen des Harax sowohl wie Inseln durch den Raum schweben konnten, als auch selbst fließen, wie Wind wirbeln oder einfach nur ein seltsames Konstrukt aus Farben und Formen darstellten. Manch Ritualmagier gehauptete gar, er hätte Domänen gesehen, die gänzlich nur aus Nullen und Einsen bestanden und in denen er der störende Faktor Zwei gewesen wäre, der gar nicht existieren dürfte. Die ganze Domäne hatte ihm Widerstand geleistet und noch heute traumatisierte dieser arme Magus von einem "Fehler im Update-System, bitte Systemwiederherstellungspunkt nutzen, ansonsten Harax neu installieren oder auf Harax 11 updaten". Was immer das bedeutete, würde wohl niemals jemand erfahren.
Sarin und Iryan hatten Glück mit ihrem Landeziel. Sie fanden sich auf einer Art schwebenden Felseninsel. Leider war es nicht mehr. Keine Bäume, keine Natur. Es gab nur seltsames Gestein, das nicht wirklich an solches erinnerte. Ja, es war fest und grau. Aber sobald man einen Fuß darauf setzte, durchdrang die Materie ein seltsames Leuchten und Zucken. Sarin erkannte darin sofort eine Nuance des ihr bekannten Dämonenblau, aber es mischten sich noch mehr Farben darunter. Ein grelles Violett, umrandet von gleißendem Weiß. Es sah aus, als würde jedes Gewicht auf dem Untergrund einen Blitz im Gestein selbst auslösen. Solange er sich nirgends entlud, war es gut, aber man musste sich auch an diesen Anblick zunächst einmal gewöhnen.
Die Insel selbst war überschaubar groß. Sie ragte nur wenige Hundert Meter in nahezu alle Richtungen. An ihren Enden brach sie in zerklüfteten Klippenfelsen ab, die teilweise spitz in alle Richtungen davonragten. Hier lösten sich auch die Blitze vom Gestein und gaben sich selbst als energetischen Schub in die Umgebung an. Die Insel selbst schwebte in einem Raum aus Neonfarben. Pink, Violett, Blau und Schwarz waren Vorreiter. Sie umgaben alles. Man konnte jedoch nicht genau sagen, ob sie nun eine Masse aus Blitzgewitter, Wolken oder Himmel bildeten. Irgendwo hinter all dem brannten eine weiße Sonne als greller Lichtball, sowie ein Mond als schwarzer, sichelförmiger Schatten. Immer wieder trafen sie aufeinander, vereinten sich und stießen sich wieder ab. Sie umkreisten die Insel, auf der Sarin und Iryan ich befanden. Sie beschienen ihre Gestalten, aber beide warfen ebenso wenig einen Schatten wie das gigantische Gebilde vor ihnen. Es erinnerte an eine Festung mit hohen Mauern. Aber es war kein Gestein, das sich hier formte. Alles wirkte irgendwie ... organisch. Mauern und Dächer des Gebildes bewegten sich leicht wie unter dem Füllen und Leeren einer innen verborgenen Lunge, die das gesamte Gewebe dehnte. Es wirkte fleischig, nur die Farbe erinnerte nicht daran. Die Festung war eher gräulich mit einem violetten Schimmer. Würden Sarin und Iryan ein Kind zeugen, mochte es diese Hautfarbe erhalten. Die Festung machte allerdings einen kränklichen Eindruck. Ob das an all Steinzacken lag, die spitz und wie Dornen aus dem Fleisch des Gebildes ragten? Wer immer sie zum Schutz vor Eindringlingen angebracht hatte, hatte dem Organ keinen Gefallen getan. Wo das Gestein tief ins Fleisch gebohrt war, da hatte die Masse darum sich in dunklem Purpur zu wahren Geschwulsten verdickt. Widerlich gelbe Eiterpusteln reiften heran. Wo sie teilweise schon aufgeplatzt waren, ergoss sich die gleichfarbige Flüssigkeit in einem barbarischen Gestank über die Fleischmauern. Sie verätzte das Gewebe sogar, so dass Sarin auf ... blanken Knochen in der Festungsmauer schauen konnte. Das Konstrukt machte den Eindruck eines Lebewesens und falls es eines war, so musste es sehr krank sein.
"Berühre es nicht", warnte Iryan, der Sarins Intention zu helfen bereits erahnte. "Wir wissen nicht, ob es nicht gefährlich ist." Er blickte nocht einmal auf die Fingerspitzen seiner Rechten, ehe er die Hand unter den Umhang gleiten ließ. Dann musterte er das organische Ding. "Ist das ... ein Lebewesen oder ein Gebäude?" Es besaß zumindest einen großen Toreingang und jener ... wurde bewacht. Da hockte etwas, das man endlich einmal als Dämon bezeichnen konnte, wenn auch im kompakten Format.
Auf einem Auswuchs aus hautartigen Lappen, die sich zu einem weichen Sockel türmten, saß ein graues Wesen. Es wirkte humanoid, besaß sowohl zwei Arme als auch Beine. Letztere enden jedoch in einer Verkrümmung, dass sie in ihrer Form eher einer Krallen bewährten Version von Hufen gleich kamen. Außerdem besaß das kleine Geschöpf einen langen Schwanz, der in einer ledrigen Dreiecksspitze endete. Gleiches galt für sein Flügelpaar. Die Schwingen mochten ihn durch den Harax tragen, würde er sie ausbreiten. Im Moment waren sie angelegt, aber Sarin und Iryan erkannten, dass die ledrigen Flügel von dunklerem Grau waren. Aus den Schultern und dem Kopf wuchsen dem Gesellen mehrere Hörner, spitz wie Zacken. Vom Kopf ragten vier empor, zwei große halbrund geschwungene und kleine spitze, wie bei einer jungen Ziege. Die Ohren glichen jenen von Elfen, nur dass auch hier ledrige Hautlappen zwischen Ohrmuschel und Kopf eine Verbindung herstellten. Sie erinnerten so an Flossen. Ansonsten sah das Wesen nicht danach aus, als könnte es schwimmen.
Es drehte den Kopf in Richtung der Neuankömmlinge, rührte sich aber sonst nicht. Giftgelbe Augen musterten erst Iryan, dann Sarin. Schließlich hisste das Dämonenwesen genervt, rutschte von seinem Sockel und tappte zu auf die beiden zu. "Fremde ... Freund oder Nahrung? Oh, ich glaube, Letzteres." Es schnupperte und als es bemerkte, dass man sein Haraxisch wohl nicht verstand, wechselte es ganz natürlich ins Celcianische - als wäre die Sprache im Harax üblich. "Ich rieche ... Seelen. Seid ihr Wirte? Nehmt ihr mich in eurem Körper auf und mit in diese andere Welt? Nach Celcia? Ich werde euch gut führen. Von mir Besessene bereuen es nicht, niemals, hrhrhrhrr. Oh, ihr riecht wirklich schmackhaft. Wie ein Teller von Leid. Ohhhhhh .... mir geht gleich einer ab. Darf ich mal kurz an euch lecken, hrhrhrhr? Ohhhh, dann aber lieber am Kerl. Ich wette, du hast eine gewaltige Leckstange, harhar!"
Iryans Wangen färbten sich rot. Er tauschte einen Blick mit Sarin. "Äh... Ich..." Er räusperte sich. "Was machen wir jetzt?", raunte er seiner Nachtelfengefährtin zu. Das Teufelchen hatte ihn bereits jetzt aus dem Konzept gebracht.