Die gewölbte Decke der steinernen Halle verlor sich im vorherrschenden Dunkel, denn die Kerzen in ihren Halterungen und am Boden reichten nicht annähernd aus, um einen Bereich größer als das 6 Meter durchmessende Rund im Zentrum der Halle zu erhellen. Dabei waren recht viele Kerzen angezündet worden, sechshundertsechsunsechzig um genau zu sein. In den Augen Lysanthorgläubiger stellte dies eine faldorische Zahl dar, aber wenn sich ein Diener des Lichtgottes in diese Hall verirren würde, riefe er wohl ohnehin recht schnell die Inuqisition auf den Plan. Jorsan lag nicht allzu fern und dort gab es einen Sitz dieser Männer und Frauen, welche lysanthorketzerische Sekten nur mit allzu großer Vorliebe sofort auslöschten. Aber die Inquisition würde in diesem Teil Celcias genauso wenig Fuß fassen können wie Jorsan selbst. Denn obgleich es sich um den Nachbarn handelte, das hier war das Königreich Grandessa, verhasster Feind und finsterer Rivale.
Tatsächlich zeigte der aktuelle Standort eine Halle direkt inmitten des grandessanischen Königreichs und noch dazu im Innenring der Hauptstadt, wo der König regierte. Er persönlich wäre allerdings ebenso wenig in die hohe Räumlichkeit geladen worden wie einer der Jorsaner. Hierher hatten nur sehr ausgewählte Personen Zutritt und viele von ihnen waren versammelt; 12 um genau zu sein. Die Hälfte dieses Dutzend stand auf jeweils einem Zacken des Hexagrammes, das im Zentrum der Halle mit magischer Kreide auf den kalten Steinboden gezeichnet worden war. In jedem dieser Zacken befand sich auch eine von vielen Kerzen. Diese unterschieden sich zu ihren wächsernen Artgenossen allerdings in Farbe und Machart. Alchemistische Ingredenzien sorgten für eine tiefblaue Flamme und weitere magische Substanzen würden ritualmagische Beschwörungen stärken. Das Hexagramm selbst befand sich wiederum in einem Schutzkreis, auch mit Zauberkreide gezogen und alle zwei Meter mit verschiedenen Edelsteinen versehen. In sie hatte man Magie eingebunden, um dunkle Mächte an einem Ausbruch zu hindern.
Die übrigen sechs Personen warfen aufmerksame Blicke in das konstruierte Rund, achteten auf das Flackern der Kerzen und waren diejenigen, welche ihre Brüder und Schwestern im Falle eines Scheiterns zu eliminieren hätten. Was hier vor sich ging, war eine ernste und hoch gefährliche Angelegenheit, allerdings stellte das im Zirkel der Ritualmagier unter den Kennern und Meistern der Zauberer bereits Routine dar. Viele von ihnen hatten sich hier versammelt, sangen bereits seit Stunden magische Ritualworte, die zum einen die Beschwörung vorantreiben sollten und zum anderen einen Schutz vor dem Beschworenen zu bieten hatten. Alle Anwesenden waren sich bewusst, dass sie hier ein Dämonenwesen anriefen. Sie luden eine Bestie des Harax in ihre Welt ein, diese zu unterdrücken oder einer Aufgabe abzuringen, für die man gewiss eine Gegenleistung würde erbringen müssen. Die Magier wussten, dass Gold hier in den seltensten Fällen aushalf und es würde Geschick erfordern, die Gunst des Dämons zu gewinnen. Deshalb hatte man auch Rasputin Sturmwasser heran gezogen. Er galt nicht nur als Experte der Ritualmagie, sondern zugleich auch noch als ziemlich wortgewandt. Er führte das Ritual an, stand deshalb im ersten Zacken des Hexagrammes und als einziger ohne über den Kopf gezogene Kapuze. So reflektierte das Licht der Kerzen auf seinem blanken Schädel, während sein tiefschwarzer Bart es beinahe zu verschlucken drohte. Seine Augen leuchteten in einem satten gelb, das nicht nur andere Ritualmagier einzuschüchtern vermochte. Seine alte Augenfarbe kehrte schon seit Jahrzehnten nicht wieder. Zu viele Mittelchen hatte er eingenommen, zu viele Tränke an sich selbst ausprobiert und der eine oder andere im Zirkel sprach hinter vorgehaltener Hand von Paktiererei mit den Haraxwesen. Es rankten sich Geschichten um diesen Mann, eine bizarrer als die andere, eine schauriger als die vorhergehende und niemals dementierte oder bestätigte dieser Mann sie. Dies allein schürte das Mysaeriöse wie Unheimliche um seine Person, dass er selbst es nicht mehr nötig hatte, Gerüchte zu streuen.
"Blasphemor! Ich rufe dich! Ich, Rasputin Sturmwasser, ein Eingeweihter und angehender Meister der Ritualmagie, rufe dich, Herr des Heeres! General der Generäle! Aufstrebender Kriegsmeister und Stratege des Feldes! Blasphemor, wir brauchen dich! Erscheine in unserem Kreis, tritt in unsere Mitte!" Die kraftvolle, donnernde Stimme des Magiers hallte bis weit in den Saal hinauf. Die Kerzen flackerten, als seien sie von einem nicht erkennbaren Windhauch aus ihrer Ruhe gebracht worden. Gleichermaßen raschelten Roben, als etwas nach den Säumen griff, mit ihnen spielte, um sich anschließend in der Mitte des Hexagrammes zu sammeln.
Die Ritualmagier hoben wieder mit ihren Ritualgesängen an, ihre Stimmen gesellten sich zu Rasputins Anrufung hinzu, wirbelten den nicht sichtbaren Windhauch auf, bis dieser sich zu einem Tor aus rotschwarzen Rauch formte. "Da kommt er." Rasputin riss die Hände empor, dass die Ärmel seiner langen, schwarzen Robe bis zu denn Ellenbogen zurück rutschten. "Blasphemor, ich heiße dich Willkommen! Tritt heraus aus dem Harax und in unsere Welt! Zeige dich in all deiner Pracht!"
Es zeigte sich jemand, tatsächlich, aber niemand, den die Magier wohl erwartet hätten. Geisbart, auf Asmodeus' Schulter sitzend, legte die Ohren an und blickte sich wachsam nach allen Richtungen um. "Hier sollten wir nicht sein", wisperte er dem Mann, mit dem er nach Celcia gekommen war und der auch noch eine Bewusstlose mit sich führte, ins Ohr.