Der Weg in die Stadt selbst hinein war nicht weit. Sie hatten kaum eine Viertelstunde zu laufen. Hinter Tahmo trotteten in gehörigem Abstand Nachtwind und Faro. Das leichte Klappern ihrer Hufe vermittelte einen Rhythmus, dem er folgen konnte. Faro wieherte hin und wieder. Es gefiel ihm nicht, an einer Leine geführt zu werden, noch dazu weil es nicht Tahmo war, der ihn führte. Aber dem Pony blieb kaum eine Wahl. Sicher, es hätte versuchen können, zu türmen, aber das treue Tier wollte seinen Menschenfreund nicht im Stich lassen. Außerdem wusste es nicht, ob Nachtwind ihm folgen würde. Das Pferd gab sich ruhig, die zurückgelegten Ohren kündeten jedoch von seinem Misstrauen gegenüber den Soldaten.
Hinter den beiden Tieren zogen mehrere Männer des grandessarischen dritten Regiments den Karren, in den man Lua und Ikarus gehievt hatte. Man hatte darauf verzichtet, die beiden zu fesseln. Ihre Verletzungen würden sie genug behindern, als dass sie erfolgreich würden fliehen können. Der Hymlianer hatte das Bewusstsein noch immer nicht zurückerlangt. Schlapp lag er neben Lua, die sich in einem tranceartigen Zustand befand. Der Schmerz machte sie unempfänglich für ihre Umgebung, obgleich sie wach war. Sie wand sich leicht, ächzte und stöhnte bei jeder holprigen Bewegung des Karrens. Man hatte ihr zwar die Schulter verbunden, aber die Pfeilspitze steckte noch immer darin und die Leinen darum färbten sich bereits wieder blutrot. Es sah kritisch aus.
Zum Glück lag das Stadttor endlich direkt vor ihnen. Es erhob sich geradezu gigantisch auf, gleichermaßen gewaltig ragten die Mauern vor Tahmo empor. Wachtürme zu beiden Seiten des Tores waren mit genug Schützen besetzt, um feindliche Angreifer sofort einem ganzen Pfeilhagel zu überhäufen. Auch jetzt richteten sich mehrere der Fernwaffen auf die Ankömmlinge, ehe man das Banner erkannte, das von einem der Soldaten geführt wurde. Ein Horn wurde geblasen und schließlich schob sich das breite Tor auf, um die heimkehrenden Soldaten Willkommen zu heißen.
Hauptmann Hartwaldt Aczek verzog keine Miene. Er warf lediglich einen flüchtigen Blick zu Tahmo hinüber. Dieser hatte ihm auf den letzten Metern zur Stadt hin endlich seine Fragen beantwortet - mehr oder weniger. Er ahnte offenbar nicht, dass der Bursche mit dem bäuerlichen Akzent ihm Details verschwieg. Jedenfalls ging er nicht darauf ein - vorerst. Einzig ein Wort wiederholte er gedankenverloren und leise murmelnd: "Luftmagier." Er blieb überraschend ruhig, bis Tahmo sich nicht länger beherrschen konnte und einen dreisten Kommentar zum Besten gab. Daraufhin hob der Hauptmann seine linke Hand. Nicht, um den Blondschopf zu ohrfeigen, sondern um seinen Männern das Zeichen zum Anhalten zu geben. Nun standen sie direkt vor offenen Toren und traten doch nicht hindurch. Selbst die Wachen, die unten am Portal postiert waren, tauschten verwirrte Blicke. Hauptmann Azcek ließ sich dadurch nicht beirren. Er schaute Tahmo nicht an, als er sprach. "Ihr seid die ersten und ob ihr unschuldig seid, wird sich noch zeigen. Ihr steht unter Arrest, Luftmagier." Er winkte den Torwachen zu. "Diesen hier zum Wachhaus bringen und legt ihn in Ketten. Die beiden auf dem Karren brauchen zunächst medizinische Versorgung. Los! Worauf wartet ihr?!" Die Männer setzten sich in Bewegung. Der Hauptmann besaß Einfluss. Dass Tahmo beteuerte, kein Feind zu sein, prallte wirkungslos an ihm ab. Er selbst marschierte nun durch das offene Stadttor, wandte sich anschließend nach links. Währenddessen wurde Tahmo von den Wächtern und zwei weiteren Soldaten umringt. Man griff nach seinen Armen, um ihm Ketten anzulegen.
"Zeig dich kooperativ, Kleiner", mahnte ihn einer der Wächter. "Dann wird es für uns alle leichter." An seinen Kameraden gewandt erkundigte er sich: "Bringen wir den Kleinen ins Wachhaus?" Der andere nickte. "In eine der Zellen. Ein Rekrut soll ihn bewachen. Er sieht harmlos aus."
"Mitkommen!", schnaubte er Erste und zeigte durch das Tor hindurch auf ein festungsartiges Gebäude. Es war nicht größer als ein einfaches Wohnhaus, aber die Mauern waren solide, ein hoher Zaun säumte es und die vergitterten Fenster verhießen nichts Gutes.