Unter Venthas Willkür

Das große Meer ist launisch wie das Wetter. Einmal ist es friedlich und dann wieder die reinste Gefahr. Erfahrene Seemänner befahren es mit ihren großen Schiffen. Alle Reisen sind hier verzeichnet.
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Madiha Al'Sarma
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 20. Oktober 2022, 13:30

Das Knallen der Tür war wie das Zerplatzen eines Ballons, der mit zu viel Luft gefüllt wurde. Der Druck stieg stetig an, bis das Gehäuse es nicht mehr aushielt und nachgab. In Madiha löste es die Dämme, die sie noch bis zur Tür gehalten hatte. Doch jetzt brannten ihre Augen, verschwammen noch während sie den verzweifelten Weg suchte, um sich irgendwo zu verkriechen. Sie hatte nie vorgehabt, zu der Hängematte zu gehen und zu schlafen. Dass sie keinen Schlaf finden würde, war teils eine lahme Ausrede gewesen und zum Teil auch der Wahrheit entsprungen. Wie hätte sie schlafen sollen, nach allem, was es zu verdauen galt? Draußen schlug ihr die kalte Luft entgegen und brannte zusätzlich in ihren Augen. Sie fror nicht, dafür war sie viel zu aufgewühlt, doch das würde nicht ewig so sein. Sie hatte ja kaum etwas am Leib. Die geborgte Kleidung von Fischauge schlackerte um ihren schmalen Leib, während sie angezogen wurde, von den Schatten der Treppe. Niemand begegnete ihr und damit das so blieb, rutschte sie mühelos hinter einige der Fässer und verkroch sich so sehr es ihr der Platz dort möglich machte. Madiha zog die Beine zu sich, um niemandem zu verraten, wo sie sich befand. Sie sollten sie allesamt in Frieden lassen! Sobald sie halbwegs eine Position gefunden hatte, stellte sie die Flasche Rum beiseite und ihre Tränen rollten ohne jegliches Zutun ihrerseits unablässig über ihre Wangen. Sie presste ihr Gesicht an ihre Knie und binnen Sekunden war das Leinen der Hose durchtränkt mit den salzigen Tränen. Sie schniefte und presste die Lippen aufeinander, um nicht auf sich aufmerksam zu machen. Doch je mehr Tränen flossen, desto größer wurde ihre Trauer, die sie einfach rauslassen musste. Madiha weinte und zog die Arme um ihren Kopf, wollte noch kleiner werden, noch weniger anwesend sein. Wie konnte jemand nur solche Schmerzen haben? Tief in sich drin? Sie hatte ähnliches erlebt und gefühlt, aber aus vollkommen anderen Gründen. Jetzt war das ganz anders und ihr unklar, wieso es sich in ihrem Herzen so anfühlte. Wer sollte es ihr erklären? Das ging nicht, denn sie würde es niemandem erzählen. Hinzu kam, dass sie sich über Azura ärgerte. Die hochnäsige Adelige zeigte ihr immer wieder, dass sie nichts wert war. Dass sie ihren anerzogenen Status nicht würde ablegen können und es immer jemanden gab, der über sie bestimmte. Neben der Traurigkeit, kam auch Trotz zum Vorschein und die salzigen Tränen, wurden ein wenig mit säuerlicher Wut garniert. Nein! Sie war etwas wert! Sie war… sie würde es einer Azura schon noch zeigen! Sie konnte auch jemand sein – irgendwann! Und dann besäße sie mehr als nur einen Vornamen. Und geliehene Kleidung. Irgendwann… Madiha weinte noch immer, drehte aber den Kopf zur Seite und schniefte, bevor sie ihren Ärmel dazu verwendete, sich einmal über die nassen Augen und die nasse Nase zu wischen. Es dauerte nur wenige Momente, als beides wieder nass die Haut zum Glänzen brachte. Doch ihr Schluchzen ebbte langsam ab und sie schaute nur noch traurig zwischen den Ritzen der Holzbretter der Reling hindurch, um das Meer darunter zu betrachten. Der Mond glitzerte etwas hindurch und nun spürte sie auch die Kühle der klaren Nacht. Ewig würde sie hier nicht sitzen können, doch noch eine Weile… Nur noch ein Bisschen, um endlich zur Ruhe kommen zu können. Zudem kribbelten ihre Hände und fühlten sich gar nicht mehr so heil an, wie Corax‘ ihr hatte weismachen wollen. Alles nur Illusion… Madiha starrte aus verschmierten Augen ziellos auf das Wasser und hatte keinen Schimmer, wie lange es gedauert hatte. Dass es nur ein paar Minuten gewesen sein konnten machte das Öffnen der Tür der Kapitänskajüte deutlich. Sie zuckte zusammen und wandte den Kopf. Ihr Nacken war etwas steif und im Grunde wollte sie auch gar nichts wissen von den anderen. Dennoch obsiegte die Neugierde. Sie neigte sich etwas zurück, bis sie mit dem Rücken gänzlich gegen die Wand lehnte, die Deck und Rumpf teilte und sie hinter einem der Fässer durchluschern konnte. Fast erwartete sie, dass sich Caleb und Azura aus dem Zimmer stahlen, um wer weiß was zu tun. Madiha schmeckte die Bitterkeit ihrer Gedanken und verzog den Mund. Doch auch wenn sie Caleb erkannte, war es tatsächlich Corax, den er da scheinbar eher im Schlepptau hatte, anstatt sich freiwillig zu bewegen. Schmiss er ihn nun hinaus? Aussortiert von Fräulein Von-und-Zu? Nein, auch das entsprach offenbar nicht der Wahrheit und entsprang diesem neuerlichen Gefühl, dessen Namen sie nicht kannte.

Madiha wischte abermals ihre Nase mit dem Ärmel ab und wartete neugierig ab, was das zu bedeuten hatte. "Was schleifst du mich mit und weg von ihr? Dann noch an Deck. Warst du es nicht, der sagte, ich solle mich nicht zeigen.", das war Corax. "Sprich leiser, Mann! Bleiben wir in den Schatten, dann sieht uns niemand. Außerdem kannst du dich doch in Windeseile verwandeln, dann sieht dich niemand." "Und in wen? Du bist bereits an Deck." Madiha versuchte sich noch etwas mehr zurückzulehnen, doch das Holz gab eher nicht nach und so fiel ihr Blick auf Caleb etwas schmal aus, doch sie erkannte die Geste, die so vieles von ihm verriet. Madiha hielt die Luft an. "In Dunia.". Erneut schwammen ihre Augen, ohne dass sie aktiv daran etwas hätte ändern können. Madiha presste ihre Hand an ihren Mund, um keinen Mucks zu machen. Sie wurde abermals von einem Schluchzer geschüttelt, den sie gerade noch so tonlos halten konnte. "In Dunia", wiederholte Caleb abermals und Madiha schloss leidend die Augen.
"Das geht nicht."
"Warum nicht? Du hast doch-"
"Ich kann mich nur in andere verwandeln, wenn ich zumindest weiß, wie sie aussehen. Und deine Dunia kenne ich nicht."

Aber Madiha kannte seine Dunia. Und sie hatte geweint. Wegen ihm. Madiha kam ein Gedanke, warum das alles so wehtat, doch recht greifen konnte sie ihn immer noch nicht. Sie wusste aber, dass sie Caleb mochte. Und das es wehtat, wenn er andere mochte und nicht sie. Enttäuschtes Schweigen konnte so lautstark sein. Madiha brauchte nicht mal hinzusehen, um zu erkennen, dass Caleb diese Antwort nicht hatte hören wollen. "So ... es ist also wirklich nicht möglich.", folgte die Bestätigung anhand seiner Stimme. "Warum verlangst du das von mir? Du bist nicht mein Herr. Glaub also nicht, ich würde überhaupt in Erwägung ziehen, dir diesen Wunsch zu erfüllen."
"Dann einen anderen."
"Ich bin nicht dein Sklave."

Sie hatte sich zumindest so weit beruhigt, als dass sie es wagte, ihre Hand von ihrem Mund zu nehmen und sich eine neue Position zu suchen. Madiha lehnte sich etwas vor, um zwischen zwei Fässern und unterhalb der Treppe, zu den beiden Männern zu blicken. So schmerzhaft die Worte für sie waren… sie musste weiter zuhören. Sie hatte gar keine andere Wahl, denn zeigen würde sie sich gewiss nicht! Allerdings geriet das Gespräch in eine Richtung, die sie ein wenig von ihrem Leid ablenkte. Sie konnte Corax erkennen, wie er sich schützend die Arme um den Leib legte. Die Geste kannte sie nur zu gut und fühlte sich, an sich selbst erinnert. Madiha schluckte und das Mitleid, was sie für Corax empfand, trat ein wenig hervor. Ihre Tränen versiegten, trockneten auf ihrer Haut und hinterließen salzige Rückstände, die davon zeugten. Doch sie schaffte es, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Was war es, was Caleb von Corax wollte? Er sagte Männersachen… was sollte das denn heißen? Zudem war er recht verlegen, als er es sagte. War das nun eine Ausrede gewesen? "Was willst du dann?"
"Du hast doch schon einmal mit Frauen ... naja ... mit Azura und deinen Herrinnen ..."
Madiha’s Augenbrauen wanderten überrascht in die Höhe. Erneut hielt sie die Luft an, und starrte auf die Tuschelnden. "Erklär es mir. Wie es geht. Damit ich... Also, falls ... ich meine ..." "Du hattest sie doch schon! Du kriegst sie kein zweites Mal und erst recht nicht mit meiner Hilfe" Und während Corax‘ Stimme immer mehr nach einer Flucht in luftige Höhen klang, erstarrte Madiha zur Salzsäule. Was?! Sie… Er… Madiha zögerte glücklicherweise eine Sekunde zu viel, bevor sie erneut unglücklich zusammengesackt wäre und sich vermutlich doch verraten hätte: "Ich sagte dir bereits, dass nichts geschehen ist. Es war ... ein Missgeschick. Und ich hab nicht vor ... ich müsste es wissen für ... naja ... nur für den Fall ... ach, ich weiß auch nicht!" Madiha spürte, wie sich eine gewisse Erleichterung ihrer bemächtigte. Glaubte sie ihm? Oder wollte sie ihm glauben? Nein… es war eine Mischung aus beidem, die von Corax‘ Reaktion jedoch getragen wurde, denn der Rabe drosch nicht auf ihn ein und machte seiner Wut über eine mögliche Zweisamkeit von Azura und Caleb Luft. Er schien es auch zu glauben… Was Madiha einen großen Stein vom Herzen hob. Obwohl sie nicht wusste, was er mit ‚Missgeschick‘ meinte, war sie erleichtert. Und Caleb’s Haltung war etwas, was Madiha nachdenklich werden ließ.

Seine Hände suchten beide nun seine Haare und seinen Nacken. Ihm schien das ganze Gespräch furchtbar unangenehm zu sein. "Wahrscheinlich bilde ich es mir ein. Ich bin ohnehin ein alter Mann. Das kann nicht stimmen." Sie musterte ihn. Zwar stand er im Schatten, doch Madiha reichte es, dass sie seine Konturen sehen konnte. Ein alter Mann? Unwillkürlich lächelte sie aus ihrem Versteck heraus. Zahlen waren nichts weiter als etwas, woran man sich entlanghangelte. Zudem konnte sie eh nichts mit ihnen anfangen, ebenso wenig wie mit geschriebenen Wörtern. Für sie war er gewiss nicht alt. Sie lehnte ein wenig verklärt ihren Kopf gegen eines der Fässer, um ihn weiter zu betrachten. Das feine Lächeln verblasste langsam wieder. Sie musste aufhören, ihn so anzusehen. Der Schmerz war deutlich in ihrer Brust zu spüren, aber seine Reaktionen und seine Gestiken trafen sie immer wieder dort und ließen ihr Herz leichter werden. "Die Herrin", Madiha hob den Kopf an und runzelte die Stirn. Was war mit ihr? Sie hatte nicht zugehört. Sie war so abgelenkt gewesen… Caleb nickte und es entstand eine Pause in der Madiha nur ratlos von einem zum anderen blickte. Sie rekapitulierte die Worte, die gesagt wurden und fasste das Gespräch in ihrem Innern als Ganzes zusammen. Die fragmentierte Betrachtungsweise hatte ihr den Sinn verborgen. "Ich sagte dir bereits, dass nichts geschehen ist. Es war ... ein Missgeschick. Und ich hab nicht vor ... ich müsste es wissen für ... naja ... nur für den Fall ... ach, ich weiß auch nicht Wahrscheinlich bilde ich es mir ein. Ich bin ohnehin ein alter Mann. Das kann nicht stimmen." "Die Herrin" Und er… nickte!. Madiha öffnete den Mund und starrte den Dieb aus ihrem Versteck heraus an. Sie war die Herrin! Corax nannte sie, Madiha, Herrin! Er meinte sie…
Ihre Ohren rauschten, ihr Herz hämmerte mit einem Mal so wild, dass sie tief die Luft einsaugen musste. Sollte das… war das… Das Mädchen konnte nicht benennen, wieso all der Schmerz ihr Herz so quälte. Doch ebenso wenig wusste sie, wieso sie auf einmal vor Freude hätte aufjubeln können. Ihr Gesicht erhellte sich ungesehen und sie lächelte – nein strahlte über die gesamte Breite ihres Mundes. Den Satz von Corax hörte Madiha gar nicht mehr, denn sie grinste, berauscht von einer Freude, die sie nie zuvor in ihrem Leben gefühlt hatte. So glücklich war sie nicht mal bei ihrer Rettung gewesen. Sie vergaß allerdings in ihrem Überschwang, dass sie kaum Platz hatte in ihrem Versteck und so stieß sie mit einer unbedachten Bewegung die Flasche Rum um, die zwar nicht zu Bruch ging, aber trotzdem ein Geräusch machte. Madiha griff erschrocken danach und presste sie an sich, die Augen zusammengekniffen, in Erwartung entdeckt zu werden. Vielleicht hatte sie aber auch Glück und die beiden waren in ihr Gespräch genug vertieft, um es nicht wahrzunehmen. Vielleicht suchten sie sich aber auch ein ruhigeres Plätzchen, um ungestört reden zu können. Madiha harrte in ihrem Versteck aus, bis die Luft rein wäre. Sie konnte nicht glauben, was sie gehört hatte, und spulte die letzten paar Worte immer wieder ab. Konnte es wahr sein? Hatte sie es nicht falsch verstanden? Ihr Herz hämmerte immer noch aufgeregt. Aber was war mit Dunia und Azura…? Nein. Er sprach nicht von Dunia. Und nicht von Azura. Es ging tatsächlich um sie, Madiha!
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Donnerstag 20. Oktober 2022, 15:05

Auch der jungen Adeligen gegenüber benahm sich der neue Kapitän zeitweise sanft, mitfühlend... und ganz so, wie es sich ein romantisch veranlagtes Frauenherz nur wünschen konnte für all die Träumereien, denen sie sich mitunter aussetzte. Doch dann war er so tölpelhaft und unbeholfen, dass es nichts weiter als eine Kränkung sein konnte.
So auch jetzt bei seinem Vorschlag, die beiden Frauen sollten sich gemeinsam ins Bett legen und schlafen. Was fiel ihm eigentlich ein?! Hatte er nun vollkommen den Verstand verloren? Oder wollte er...?!
In ihrer Wut hatte sie es nicht mehr ausgehalten und sich aus seiner unmittelbaren Nähe befreit, indem sie ihre Meinung sehr deutlich und unmissverständlich kundtat. Um daraufhin zum Kamin zu gehen und dort nach Ruhe zu suchen. Dass sie diese ausgerechnet beim Anblick der kleinen Flammen finden könnte, während sie auf diese Feuermagierin in ihrem Rücken und deren Begleiter zornig war, war beinahe schon so ironisch, dass sie am liebsten laut aufgelacht hätte. Wenn sie denn eine Stimme besessen hätte...
So hingegen konnte sie hören, wie die Göre wenigstens den Raum verließ und sie damit von ihrer direkten Anwesenheit befreite. Damit nicht genug, hatten sich ihre Nerven insoweit beruhigt, dass sie dem größer werdenden Bedürfnis in ihrem Inneren nach körperlicher Nähe nachgeben konnte. Sie suchte Zuflucht bei der einzigen Person, die sie bislang nicht enttäuscht hatte.
Er hatte ihr vieles angetan, oftmals seelische Schmerzen bereitet und irgendwie war er sicherlich auch noch an viel mehr schuld. Und trotzdem hatte sie dieses widersprüchliche Gefühl, dass er der Einzige war, dem sie tatsächlich trauen konnte. Obwohl auch er sie längst ausgetauscht hatte, mehrfach. Nur... er war immer wieder zu ihr zurück gekehrt und hatte jetzt sogar dieses Wunder vollbracht, das sie sich wie daheim fühlen konnte. Nein, er würde sie nicht verraten, daran wollte sie... musste sie einfach glauben. Zumindest noch nicht...
Mit einem lautlosen Seufzen lehnte sie sich hauchzart gegen ihn, einfach, um den Eindruck seiner Nähe haben zu können. Dabei wollte sie die Augen schließen und wenigstens auf diese Weise ein wenig Erholung finden.
Was der Mann hinter ihr zunichte machte mit seiner Bemerkung. Ihre Augenbrauen hoben sich skeptisch an. Was sollte das nun wieder heißen? Es hatte nämlich nach einigem geklungen, jedoch definitiv nicht nach einem Kompliment!
Als sie sich allerdings zu ihm drehen wollte, traf sie plötzlich eine Hand auf ihrem Kopf, die sie zusammen zucken und erstarren ließ, ehe sie sich darüber klar wurde, zu wem diese Finger gehören mussten. Dennoch brauchte sie noch einen Atemzug, bis sie sich wieder etwas entspannen konnte, während sie langsam zu ihm hochsah.
Fragend blinzelte sie bei seinem Gemurmel. Sie und brüllen? Ha, sie konnte ja nicht einmal etwas flüstern! Wie sollte sie da lauter werden können?
Doch sie erkannte auch einen seltenen Zug um seinen Mund, da er bislang sehr spärlich mit seinen Lächeln gewesen war, vor allem, wenn sie einen freundlichen, warmen Ausdruck besaßen. Unwillkürlich biss sie sich auf die Unterlippe, um es nicht sofort zu erwidern, was sie schmerzvoll an die verkrusteten Wunden darin erinnerte.
Instinktiv griff sie nach dem Tuch um ihr Gesicht und versuchte, mit gesenktem Blick, ihren Zustand auch vor ihm zu verbergen. Es war ihr schlicht peinlich, dass er sie so sah, er mit dem perfekten, anmutigen Antlitz, auf dem sich das Feuer so vorteilhaft zu spiegeln verstand. Was musste er sie hässlich finden!
Nun sprach er auch noch ihren Namen aus und begann, mit ihrem Haar zu spielen, was sie durchaus mochte. Mit einem lautlosen Schluchzen, umfasste sie sein Bein fester und verbarg ihr Gesicht an ihm, damit er sie nicht einfach so allein lassen konnte.
Wie immer musste sich der Kapitän ausgerechnet jetzt einmischen und daran erinnern, dass auch er noch zugegen war! Azura drückte sich fester an das Bein und schloss gequält die Augen. Über ihr wurde indes genickt, was sie nicht sehen konnte.
Erst, als er langsam sprach, hielt sie inne und lauschte. Ein Zauber? Irritiert blinzelte sie gegen den Stoff der Hose und brauchte in etwa die selbe Zeit wie er, um sich zu einer weiteren Reaktion aufzuraffen.
Langsam sah sie wieder zu ihm hoch, spürte, wie er sie streichelte, und konnte es dennoch nicht so genießen. Viel zu schwer wog, was er ihr lächelnd mitteilte. Ein Zauber sollte das sein? Etwas Magisches, das sie ihrer Stimme beraubt hatte? Aber... wie war das möglich? Sie hatte noch nie gesprochen! Oder etwa doch...?
Unbewusst lockerte sie ihren Griff um das Bein und hob ihre Hand, um mit den Fingerspitzen ihren Hals abzutasten, als ob sie auf diese Weise eine Antwort finden könnte. Auch öffnete sie ihren Mund, wollte versuchen, einen Laut hervor zu bringen, obwohl das ja eigentlich nicht möglich sein durfte! Allerdings verhinderten die Umstände dieser Situation ein ernsthaftes Probieren, denn der Kapitän ließ ihr keine Zeit, um sich ausschließlich auf sich konzentrieren zu können.
Stattdessen kam nun auch er mit absolut haltlosen Vorwürfen daher und zeugte dabei davon, dass er nicht auf ihrer Seite stand! Gerade wollte sie die Arme vor der Brust verschränken und mit ihrer Miene deutlich machen, was sie von diesem Benehmen hielt, als er ihr auch noch Corax wegnahm!
Stumm öffnete sie den Mund und streckte den Arm mit dem gesunden Gelenk aus, war jedoch zu langsam. Es kam noch schlimmer, er zog den Dunklen mit sich, weg von ihr, schneller, als sie sich aufrappeln konnte.
Sie kam gerade erst auf die Beine bei seinen ironisch gemeinten Worten und konnte ihm nichts weiter als einen bitterbösen Blick zuwerfen. Endlich stand sie wieder, wäre dazu fähig gewesen, ihrerseits nach Corax zu greifen, als der Kapitän die Tür öffnete... und sie im nächsten Moment allein in dem Raum war.
"He!", entfleuchte es ihr in diesem Atemzug. Die junge Frau versteifte und schlug sich die Hand vor den Mund. War das etwa...?!
Ihr Herz schlug mit einem Mal wie wild, ihre Augen waren groß und rund, soweit die Schwellungen es zuließen, und sie konnte kaum atmen vor aufsteigender Aufregung. Langsam sank ihre Hand wieder herab. "Ich... kann... sprechen...", wisperte sie und konnte es kaum glauben. Kurz gab sie sich diesem Gefühl der Erleichterung und Freude hin und lächelte selig.
Dann aber holte sie die Wirklichkeit wieder ein und damit auch der Zorn auf diese neuen Frechheiten, die sie sich hatte anhören müssen. Dabei sah sie sich in ihrem Gemach um, auf der Suche nach etwas, das sie werfen und damit kaputt machen könnte, um den größten Ärger erst einmal herauslassen zu können.
Bei dieser Gelegenheit fiel ihr Blick auf das umgefallene Kuscheltier, das zuvor nicht so gelegen hatte. Ihre unversehrte Hand ballte sich zur Faust, ehe sie auf das Bett zustapfte, es sich griff und mit einem gut hörbaren Laut des Frusts von sich in Richtung Kamin schleuderte. Es landete in den Flammen und entlockte ihr bei diesem Anblick einen Schluchzer, denn eigentlich hatte sie dieses kleine Geschenk stets sehr lieb gehabt und ihm nie etwas tun wollen.
Jedoch... nein, das hatte sie ja auch nicht! Wenn das mit ihrer verlorenen Stimme nichts weiter als eine Illusion gewesen war, dann war auch das hier um sie herum...
Azura senkte den Blick und rieb sich über die brennenden Augen. Nein, es war nicht echt, genauso wenig wie ihr Leid es gewesen war... oder die Freundlichkeit des Kapitäns. Und Corax...? Was war mit seinen Gefühlen...? Inwieweit waren diese real? Ihr schnürte sich erneut die Kehle zu und sie brachte keinen Ton mehr heraus, wenngleich eher deswegen, weil ihre Empfindungen sie zu übermannen drohten.
Zugleich formte sich ein Entschluss in ihrem Inneren. Hinterher, sie musste dringend hinterher! Ohne sich weiter darum zu kümmern, was ihre eigenen, aufgestiegenen Zweifel mit dem Raum machten, strebte sie zur Tür und verließ ihr Gemach... oder was auch immer es war, um den Männern zu folgen und diesen gehörig den Kopf zu waschen. Sie einfach so allein zu lassen, ohne der Gelegenheit sich zu verteidigen, eine absolute Frechheit!
Als sie draußen in die Nacht trat, blieb sie erst einmal stehen und musste blinzeln, damit ihre Sicht sich auf die neuen Lichtverhältnisse einstellen konnte. Erst, als sie sich an das Sternenlicht ein wenig gewöhnt hatte, konnte sie sich umsehen. Wo steckten diese Kerle jetzt wieder?!
Da drangen Stimmen, gedämpft und unverständlich, an ihr Ohr. Das mussten sie sein! Am liebsten hätte sie aufgestampft und wäre laut in deren Richtung getrampelt, um ihnen die Leviten zu lesen. Aber die aufkeimende Neugier hielt sie zurück und sorgte dafür, dass sie leiser vorging. Ob es sich nun um diese... Männersache handeln würde? Wäre doch gelacht, wenn sie diesen Umstand nicht zu ihrem Vorteil würde nützen können!
Instinktiv duckte sie sich und obwohl sich das für eine andunische Adelstochter nicht ziemte, schlich sie sich heran, um zu lauschen. Die zahlreichen Fässer an Deck, die Dunkelheit der Nacht und die Tatsache, dass die Männer mit sich selbst beschäftigt waren, halfen ihr dabei, nicht sofort entdeckt zu werden. So kam sie schließlich nahe genug heran, um sie zwar nicht sehen, jedoch hören und verstehen zu können.
Gerade sprach dieser Möchtgern-Kapitän davon, etwas erklärt haben zu wollen, wodurch sich ihre Stirn leicht runzelte. Was zu einem ordentlichen Protest von Corax führte und der neuerlichen Behauptung, er hätte jemanden schon gehabt. Wen meinte er...?
Im selben Moment, in dem Azura die Idee kam, dass er die Sache während seines scheinbaren Todes damit ansprechen könnte, war auch schon die andere Stimme zu hören, die diese Aussage dementierte. Die Röte schoss ihr in die Wangen und zugleich wurde ihr heiß und kalt. Missgeschick... So sah er das also! Anstatt sie darauf hinzuweisen, dass ihr Dekolleté offenherziger als gedacht gewesen war, hatte er sich daran ergötzt und... und... Und nun war sie nichts weite als ein Missgeschick gewesen! Von wegen sie war doch noch zu etwas anderes nutze...
Allerdings sollte es noch schlimmer kommen, denn in der Zwischenzeit unterhielten sie sich weiter. Der Kapitän wollte mehr über Intimitäten wissen für... für... die Herrin? Wer, bei Ventha...
Die Augen der jungen Frau weiteten sich, als ihr klar wurde, wen der Dunkle so bezeichnete. Schlagartig wurde ihr schlecht und ihre Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an, dass sie Mühe hatte, nicht zittrig Luft zu holen. So war das also... sie war nichts weiter als ein Missgeschick und eigentlich wollte dieser Kerl ja sowieso nur diese magere, unverschämte Göre und...
Ihre Gedanken wurden von einem lauten Poltern unterbrochen, ehe sie sich in eine Spirale verfangen und sie zu unbedachten Dummheiten treiben konnten, sodass sie aufschrak. War sie das etwa...? Nein, nichts in ihrer Nähe hatte sie bewegt oder umgestoßen oder hatte sich gelöst. Sie befand sich weiter bei den Fässern, verborgen vor den Blicken anderer, und fühlte sich hundeelend.
Auch ihr klopfte das Herz wie wild, rauschte das Blut in ihren Ohren und pochte unangenehm in jeder wunden Stelle ihres Körpers. Instinktiv griff sie nach dem Tuch und zog es fester um ihr Gesicht.
Natürlich... sie war nicht mehr unberührt und durch die vielen Schläge war ihr Antlitz entstellt, nicht auf Dauer, aber trotzdem. Wie hatte sie auch nur einen Moment lang glauben können, sie könne noch einen anderen Mann faszinieren! Und Corax...? Wie lange würde es dauern, bis auch er sich von ihr abwenden würde...? Von ihr, einem Menschen, der viel schneller altern würde, von dem er nicht einmal ein verbindendes Kind erhalten könnte...
Eine einzelne Träne schaffte es zu entstehen und aus ihrem Augenwinkel zu treten, um rasch von dem feinen, durchscheinenden Stoff darunter aufgesogen zu werden.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Freitag 21. Oktober 2022, 15:36

Wie schön hätte der Moment doch sein können! Corax sah besser aus, wenn er lächelte. Seine sonst eher harte Miene ließ ihn unnahbar und kalt wirken, selbst wenn seine Augen rot leuchteten. Er schien sich gar nicht bewusst zu sein, wieviel Wärme und Herzlichkeit er ausstrahlte, wenn er einfach nur lächelte. Dann schlich sich Wärme in die Rubine und seine Züge wirkten weich, dass man versucht war, herauszufinden, ob seine Lippen sich ebenso samtig anfühlten wie sie aussahen. Vielleicht hätte Azura sich sogar dazu verleiten lassen, allein schon weil ihre aufegesprungenen Lippen sich so uneben anfühlten und einen leicht metallischen Geschmack schenkten, als würde man auf einer Münze herum lutschen.
Hätte der neue Kapitän der Blauen Möwe sich nicht eingemischt, wäre die Stimmung eine andere geblieben. Dann wäre nicht alles zerstört worden, so wie ihr schönes Gesicht, das sie selbst vor Corax noch verbarg. Er hatte schon die Hand zum Seidenstoff gehoben, um ihn zu entfernen. Leider kam es nicht mehr dazu. Caleb packte das Handgelenk zuvor und riss den Elfen aus seiner Position und fort von Azura. Plötzlich fand sie sich allein in ihrem Schlafzimmer wieder. Eigentlich genoss sie solche Momente, wenn die Dienerschaft endlich fort war und keine Pflichten auf sie warteten. Dann konnte sie ihren Träumereien nachhängen, den Blick auf die andunische Bucht aus dem Fenster heraus genießen oder sich für einen abendlichen Ball zurecht machen. Doch jetzt füllte sich die Stille ihrer eigenen Wände mit Einsamkeit. Das Einzige, was noch nachhallte, war ihr winziger Laut des Widerstands. Nur sie hörte ihn noch. Caleb hatte Corax einfach zu schnell von ihr genommen, als dass er überhaupt noch darauf hätte reagieren können. Aber der Ton, sei er auch noch so schmächtig gewesen, blieb nicht ungehört. Sie hatte ihn vernommen und es änderte alles.
"Ich ... kann ... sprechen..." Kaum hatte sie es sich durch Worte selbst klar gemacht, wich auch die Überzeugung von ihr, das ganze Leben lang stumm gewesen zu sein. Sie zerfaserte wie ein Traum, sobald man erwachte und sich die Erinnerung daran aus den Augen rieb. Stattdessen kehrte Wissen in ihren Geist zurück, auf das sie bislang keinen Zugriff gehabt zu haben schien. Wissen, das ebenso im Verborgenen gehalten worden war wie die Selbstverständlichkeit, dass sie schon immer hatte sprechen können. Azura erinnerte sich schlagartig an die goldene Kette, die niemand hatte sprengen können - bis Corax klar wurde, dass er magisch begabt war und sie selbst geschaffen hatte. Sie erinnerte sich an ihre bis zur Haut abgebrannten Haare, die von jetzt auf gleich wieder in ihre alte Lockenmähne zurückverwandelt worden waren, kaum dass jemand sie auf ihre Schönheit aufmerksam gemacht und sie es endlich wieder geglaubt hatte. Sie erinnerte sich an ihr eigenes Vorhaben, den Dolch der Stockmännchen eigentlich nur vor Corax' Füße werfen zu wollen. Das war nicht gelungen, weil sie für den Bruchteil von Sekunden festen Glaubens gewesen war, ihn damit verletzten oder gar töten zu wollen!
Die Emotionen über all das Wissen, die Fähigkeit wieder sprechen zu können und nicht zuletzt auch ein hoch wallender Zorn überwältigten Azura so sehr, dass sie sich nur befreit davon sah, wenn sie sofort etwas warf. Das Stofftier fiel diesem Impuls zum Opfer, als es in den Flammen des Kamins landete. Sofort bereute die Adlige ihre Tat und doch erschütterte es sie nicht vollkommen. Ihre Unfähigkeit zu sprechen, die goldene Kette, die verbrannten Haare ... es war doch alles nur Illusion gewesen. Ein fauler Zauber.
Das Kaminfeuer löste sich auf, noch ehe das Plüschtier gänzlich hatte zerfressen werden können. Es wäre gar gerettet, wenn es nicht ebenso ein Teil all dessen gewesen wäre, mit dem Corax die Kapitänskajüte ausgestattet hatte. Verzierungen verschwammen vor ihren Augen. Holzvertäfelungen tauschten sich mit dem sperrigen, eher praktisch veranlagten Holz, das ein Schiff ordentlich zusammenhielt. Ihr schönes Bett verwandelte sich wieder in die verschwitzte, klamme Schlafnische, die immer noch nach Madiha roch. Ihr Schminktisch nahm wieder Gestalt eines an den Boden vernagelten Schreibtisches an und auch ihr Seidentuch schwand. Einzig ihre Verletzungen blieben, denn auch wenn Stumpelrilzchen Kapitän Edleys Gestalt nur angenommen hatte, waren zumindest seine Gewalttaten echt gewesen. Schmerzlich musste Azura dies feststellen, als sie gezwungen war, ihre andere Hand zu nutzen, um sich aus der Kabine zu stehlen. Ohne die Magie wollte man sowieso nicht mehr hier verweilen. Außerdem hatte sie vor, Caleb nun ordentlich die Meinung zu sagen ... und Corax zurückzuholen.
Im Schatten der Nacht fand sie ein Versteck bei einigen Fässern nahe der Treppen, die zum erhöhten Heckbereich führten. Azura ahnte ja nicht, dass sich dort bereits eine andere Gestalt verbarg. Zwischen ihr und Madiha fand sich nur eine Wand aus zwei dicken Fässern mit einer kleinen Lücke. Sie hätte hindurch greifen und nach dem Bein des Mädchens fassen können, das dort zusammengekauert hockte und dem Gespräch der beiden Männer lauschte, welche Azura eigentlich hatte finden wollen. Auch ihre Aufmerksamkeit richtete sich nun auf Corax und Caleb. Letzterer wollte offenbar seine Männersachen klären. So langsam schwante der Adligen auch, worauf es hinaus lief. Aber nicht nur ihre Augen wurden groß. Madiha, die ebenfalls lauschte, konnte die Zusammenhänge schneller deuten. Es ging um sie, um die Herrin von Corax! Caleb suchte ihren Sklaven auf, um sich Tipps und Ratschläge geben zu lassen, wie man eine Frau verführte. Oder generell, wie man einleitete, was er bei Azura ausgschlagen haben musste. Wer auch nur ein wenig Erfahrungen bezüglich körperlicher Zweisamkeit besaß - und bis auf Caleb konnten alle anderen Anwesenden darauf zurückgreifen! -, für den war sofort klar, dass der Kapitän in senem ganzen Leben noch keiner Frau so nah gekommen sein konnte wie Azura und ihren offen gelegten Brüsten vor kurzem. Nun war nachzuvollziehen, warum er keinen Ton, aber stattdessen Körperflüssigkeiten herausgebracht hatte. Jedenfalls könnte Azura zu diesem Schluss kommen. Madiha wusste überhaupt nicht Bescheid und Corax schien die Situation nur anhand der verräterischen Flecke interpretiert zu haben. Falsch interpretiert, wie er nun wohl feststellte, als Caleb erneut beteuerte, es sei nichts geschehen.
Und der Dunkelelf glaubte ihm. Nicht nur das, er wusste auch, für wen das Herz des Kapitäns offensichtlich heftiger Schlug. Er nannte Madiha zwar nicht beim Namen, aber es war ausgeschlossen, dass er mit der Bezeichnung der Herrin eine andere meinen könnte. Azura nannte er nicht so. Sie hatte ihn verschmäht, als er ihr gehören wollte und wahrscheinlich nagte dieses Wissen noch immer an ihm, obgleich er es sich nicht anmerken ließ. Dass er an Azura hing, war nach wie vor klar. Er hatte ihr nun schon zwei Mal seine Gefühle offenbart und kehrte immer wieder zu ihr zurück. Mit der "Herrin" meinte er eindeutig Madiha.
Als das Mädchen sich dessen ebenfalls gewahr wurde, vergaß sie alles um sich herum. Leider auch die Flasche Rum, welche sie in ihrem Freudentaumel versehentlich umstieß. Zwar zerbrach das dicke Glas nicht, aber es erzeugte einen hörbaren, klirrenden Klang. Jener schreckte nicht nur Azura, sondern auch die beiden Männer auf.
"Was war das?" Caleb blickte sich sofort um. Seine Augen huschten jedoch zur Treppe und wo er neugierige Matrosen vermutete. Corax konnte mit seinen feinen Elfensinnen deutlicher ergründen, woher die Geräuschquelle gedrungen war. Er kam nämlich direkt auf die Fässer zu. Frauenherzen blieben für einen Schlag lang stehen, als der Elf sich über die bauchigen Holzbehälter beugte und einen Blick in die Schatten warf.
Azura befand sich zwar auf der anderen Seite der Fässer, aber wenn Corax nur ausgiebig genug schaute, würde er sie entdecken. Instinktiv griff sie zu ihrem Gesicht empor, um das Tuch vor die Blessuren zu ziehen. Da musste sie feststellen, dass es sich ebenso wie die Illusion ihres Zimmers gänzlich augelöst hatte. Alles, was noch halb über ihrem Ohr hing, war eine dem Geruch nach zu urteilen bereits benutzte Socke mit einem winzigen Loch dort, wo der große Zeh hinpasste. Ein weitaus größeres Problem, um sich zu verbergen, hatte Madiha. So schmächtig und dürr sie auch war, sie bestand nicht aus Luft.
Corax' Brauen zuckten empor, als er sie sah. Er blickte sie einen Moment lang an, ohne sich zu rühren. Dann zuckten auch seine Mundwinkel knapp - nach oben. Er beugte sich vor, die Hand nach ihr ausgestreckt und...
"Hast du jemanden entdeckt?", raunte Caleb leise hinter ihm. Corax drückte Madiha seinen Zeigefinger an ihre Lippen. Dann streckte er sich etwas weiter und angelte nach der Rumflasche. "Nur eine Ratte, die eine Flasche umgestoßen hat." Er hob den Rum an und winkte damit, ehe er ihn auf dem Fass platzierte. Caleb reckte den Hals. "Eine schwarze Ratte mit roten Augen?", fragte er mit Unbehagen in der Stimme. Corax schüttelte den Kopf. "Die sind alle tot. Ich fühle es." Er grinste auf, was den Kapitän sichtlich irritierte. Dann wandte er sich von den Fässern ab und ihm wieder zu. Er trat sogar an ihn heran.
"Erwartest du für die Ohrfeige eine Entschuldigung von mir?"
"Nein, die war verdient."
"Allerdings."
Beide Männer blickten einander an und das Lachen fand nur stumm dazwischen statt. Trotzdem wirkte die Stimmung leichter zwischen ihnen. Caleb schien glatt vergessen zu haben, dass er Corax mal als Mörder verurteilt hatte, aber er versuchte, sich gut mit ihm zu stellen. Offenbar sah er im Dunkelelfen den einzigen, den er nach sexuellen Themen befragen konnte.
"Ich erklär dir das ein anderes Mal. Du hast es doch nicht eilig, oder?" Er überrumpelte Caleb, denn dieser griff sich zum wiederholten Mal in den Nacken. "Gut. Da kommt nämlich eine Menge auf dich zu und für all die Details hab ich keine Zeit. Obwohl du im Grunde nur deinen eigenen Instinkten folgen brauchst. Du machst das schon."
"Ich weiß nicht ... ich muss sehr behutsam vorgehen, glaube ich. Außerdem ...", Caleb räusperte sich. "Du weißt, wie ich aussehe."
"Ja, du gesegneter Speerkämpfer."
Jetzt mussten beide Männer glucksen. Die Stimmung hob sich, zusammen mit Calebs Hand, die er Corax auf die Schulter legte. "Ich will sie nicht verschrecken ... also, das heißt, falls ich mich nicht irre."
"Die Herrin ist dir zugetan. Hab Vertrauen. Aber jetzt musst du mich zurückgehen lassen. Ich will nicht entdeckt werden und ich muss zu Azura. Sie .. braucht mich. Auch, damit sie wieder sprechen kann. Ich muss sie überzeugen, dass es nur Rückstände der Magie von ... ihnen ist. Nur sie kann das brechen."
Caleb nickte. "Du klingst, als weißt du, was zu tun ist. Ich kann dich mit ihr allein lassen?"
"Such die Herrin."
Caleb klopfte Corax noch einmal die Schulter, ehe er ihn Richtung Treppe schob, damit er zur Kajüte des Kapitäns zurückkehren konnte. Beide ahnten ja nicht, dass sie vollkommen leer war. Der Kapitän selbst wandte sich aber erst einmal der Reling zu. Er blickte zum Mond auf, stämmte die Hände in die Hüften und zuckte dann leicht zusammen, ehe er beide Hände an seine Seite presste. "Hab ich ganz vergessen", brummte er auf, rieb sich die Stelle und schnaufte dann aus, um sich auf das Schiffsholz zu lehnen.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Freitag 21. Oktober 2022, 20:53

Es ließ ihr Herz schneller schlagen, als er sie anlächelte, ein warmer Ausdruck, der ihn so viel vertrauenswürdiger erscheinen ließ als jede noch so grimmige Miene. Obwohl sie es auch genossen hätte, ihn so richtig auf die Palme zu bringen, was sich auch stumm bewerkstelligen ließ, war derzeit nicht der rechte Moment dafür.
Im Gegenteil, allein dieses Lächeln, das er ihr schenkte, machte so viel anderes vergessen. Wie schön es hätte werden können, wenn... ja, wenn sich dieser vermaledeite Kapitän nicht eingemischt und alles zerstört hätte!
Noch ehe sie beide diese neue Art von Zweisamkeit wirklich bewusst auskosten und vertiefen konnten, entzog er ihr Corax einfach. Nicht nur das, er kanzelte sie wie ein lästiges Dienstmädchen ab und sorgte dafür, dass sie sich plötzlich allein in ihrem Gemach wiederfand. Das einzig Positive daran war der leise Laut des Protests, der ihr dadurch endlich entfleuchen konnte.
Und dieser eine Ton änderte wahrlich alles. Plötzlich war der Bann gebrochen, zwar noch zögerlich, aber für ihre eigenen Ohren deutlich vernehmbar, erklang jene Stimme, die zu ihr gehörte. Ja, sie konnte sprechen, war niemals stumm gewesen!
Denn auch die Erinnerungen kehrte in ihr Gedächtnis zurück, waren für sie wieder greifbar. Bilder aus ihrer Kindheit, als sie ihre Mutter mit Fragen gelöchert oder mit ihrem ersten Jagdfalken gesprochen hatte. Oder jene aus späteren Jahren, in denen sie gelernt hatte, Konversation zu betreiben und wie man geschickt Worte einsetzte, die vermeintlich nett klangen, eine Konkurrentin oder sonstige unliebsame Person in Wahrheit diffamierten. Und nicht zuletzt ihre Stimme, wenn sie sich mit Corax angelegt hatte, Momente, in denen das Feuer zwischen ihnen geknistert und letztendlich in den heißen Quellen zur Explosion geführt hatten.
Wie hatte sie nur das alles vergessen können? Die Macht der Illusion schien sehr groß zu sein. Ihre Gedanken wanderten zu dem goldenen Kettchen zurück, wegen dem sie sogar in eine äußerst hochnotpeinliche Situation in einer stinkenden Nische geraten war. Oder ihr fürchterliches Aussehen mit den verbrannten Haaren... Aber auch das Gasthauszimmer mit der Buntschelmin, das diese nach ihrem eigenen Geschmack verschönert hatte.
Und nun? Was blieb davon übrig, wenn der schöne Schein verblasste und man nicht länger daran glaubte? Nichts, wie ihre Umgebung eindrucksvoll bewies.
Mit einem Mal befand sie sich wieder auf dem Schiff, nicht nur gefühlt, sondern auch ersichtlich. Aber dafür hatte sie ihre Stimme zurück... und war gewillt diese einzusetzen! Sie hatte jemandem kräftig die Leviten zu lesen!
Also verließ sie den Raum und musste dennoch ein wenig innehalten, um ihren Augen Zeit zu geben, sich an das veränderte Licht zu gewöhnen. Alles andere ergäbe keinen Sinn, denn sie befand sich in einer Umgebung, in der unzählige Stolperfallen auf sie lauerten. Außerdem musste sie die Kerle erst einmal suchen und das könnte sie nur, wenn sie auch halbwegs sehen konnte, wohin sie tappste. Immerhin konnte sie leise Stimmen vernehmen und dadurch eine ungefähre Richtung ausmachen.
So gelangte sie in ihr selbst gewähltes Versteck und ahnte nicht, wie nah sie dabei ausgerechnet jener Göre kam, die ihr solch ein Dorn im Auge war. Ohnehin zog das Gesprochene ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie hatte definitiv einen Gutteil verpasst und musste sich konzentrieren, um einen Sinn erkennen zu können.
Aber sobald dies der Fall war, waren die neugewonnenen Informationen schlicht und ergreifend niederschmetternd für sie. So sehr, dass sie entsetzt in die Dunkelheit starrte, während ihr Herz sich verkrampfte und ihr Stolz einen ordentlichen Dämpfer erhielt. Mehr noch, all die Gefühle und Unsicherheiten, die sich dem Kapitän anvertraut hatte, waren schlagartig wieder da, als sie begreifen musste, dass sein Verhalten ebenso eine Illusion gewesen war wie so vieles anderes.
Während sie zu leiden begann, ließ ein lautes Geräusch sie plötzlich zusammen fahren. Was war das gewesen?! Unwillkürlich hielt Azura die Luft vor Schreck an.
Was würde jetzt kommen? Sollte sie sich hastig davon schleichen, um nicht zufällig entdeckt zu werden, so nah, wie dieser Laut bei ihrem Versteck gewesen war? Ja, das wäre wahrscheinlich das Gesündeste gewesen.
Allein, ihr Körper spielte nicht mit. Die junge Frau war nicht fähig, sich zu rühren. Stattdessen rauschte ihr das Blut in den Ohren und schlug ihr Herz dermaßen wild, als wolle es gleich herausspringen und davon hüpfen. Wobei... das würde ihr zumindest einiges an Schmerzen ersparen, die zugleich dafür sorgten, dass sich ihr Magen verkrampfte und ihr übel davon zu werden drohte.
Um im nächsten Moment einen kleinen Herzinfarkt zu erleiden, als sie Schritte hören musste, die sich ihr näherten. Instinktiv wollte sie sich den Schleier fester ums Gesicht ziehen. Der Geruch jedoch machte sie darauf aufmerksam, dass etwas damit nicht stimmen konnte. Mit spitzen Fingern nahm sie das Ding von ihrem Kopf, besah es sich notgedrungen in dem spärlichen Licht, verzog angewidert das Gesicht und warf den Socken kurzerhand von sich.
Schon wurde ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Gefahr auf zwei Beinen gelockt, denn sie konnte eine Bewegung im Augenwinkel wahrnehmen. Oder besser gesagt, einen Schatten, der die Umgebung noch mehr verdunkelte. Nun hielt sie erneut die Luft an, da sie zwischendurch welche benötigt hatte, und wagte es kaum, ihren Kopf zu drehen, um dem Unheil ins Auge zu blicken.
Schon erklang wieder die Stimme des Kapitäns, der auch eine Antwort folgte. Am liebsten hätte sie den Atem laut vor Erleichterung ausgestoßen, hielt sich allerdings im allerletzten Moment noch selbst den Mund zu. Diese Reaktion wäre absolut fatal gewesen!
Indes wurde die Unterhaltung über ihr fortgeführt und ihre Muskeln konnten sich allmählich entspannen. Gut, sie war nicht entdeckt worden und es schien, als würde sich die Konzentration nicht länger auf die Suche nach einem Übeltäter richten. Aber eine Ratte...?! Unwillkürlich schüttelte sich die junge Frau vor Ekel und suchte mit den Augen in der Dunkelheit ihres Verstecks nach Anzeichen dieses Biests, damit sie ihm rechtzeitig entkommen könnte. Also, theoretisch...
Dadurch verpasste sie ein paar Aussagen und horchte erst wieder auf, als es erneut um die Göre ging. Azura wurde wieder schlecht, als die Bezeichnung für sie zurück in ihren Sinn kam. Missgeschick...
Erneut hob sie ihre Hand für ihren Mund, doch dieses Mal, um sich selbst fest in die Fingerknöchel zu beißen. Dieser neue, physische Schmerz sorgte dafür, dass sie den Rest in sich drin behalten konnte, vor allem jenen Laut der Wut, der so sehr nach draußen drängen wollte. Oh, fast wünschte sie sich, sie wäre noch immer stumm! Aber das hatte sich ja geändert, die Illusion war verpufft. Wie so viele andere auch in der letzten Zeit...
Eine Bemerkung ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken. Ihr Name war gefallen... Warum dieses Mal? Die Erklärung folgte und wäre sie nicht noch so verletzt gewesen von der Erkenntnis, dass all die schönen, beruhigenden Worte des anderen Mannes lediglich Schall und Rauch gewesen waren, hätte sie sich womöglich freuen können. Darüber, dass sie nicht von allen vergessen wurde und dass es jemanden gab, der ihr helfen wollte.
So allerdings musste sie schlucken. Jetzt wäre der rechte Zeitpunkt, sich endlich aus ihrem Versteck zu schleichen und zurück zu kehren. Sie musste nur aufstehen, sonst nichts! Nur... ihr Körper gehorchte ihr nicht. Nicht einmal ihre Hände regten sich, als sie ihnen eigentlich befehlen wollte, sich auf die Planken zu stemmen, damit sie sich hochdrücken könnte.
Nein, Azura blieb dort hocken, wo sie war, während dieses eine, quälende Wort immer wieder in ihren Gedanken hämmerte, als wolle es auf diese Weise das räumliche Gefängnis ihres Schädels sprengen. Missgeschick, Missgeschick, Missgeschick! Ob sie das womöglich auch für Corax war...?
Ein kleines, kaum hörbares Schluchzen der Verzweiflung entrang sich ihrer Kehle, als sie ihre Beine anzog, die Arme darum schlang und ungeachtet ihres schmerzenden Gesichts, dieses in der dadurch entstehenden Dunkelheit verbarg.
Sie wollte nach Hause, wollte in ihr altes Leben zurück. Wie hatte sie nur damals denken können, es würde sich jemals lohnen, aus diesem ausbrechen zu wollen! Wie falsch all diese romantischen Schmöker waren, wie sehr sie die Realität verdrehten, um Flausen in die Köpfe junger, verträumter Adelstöchter zu setzen!
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 21. Oktober 2022, 22:12

Selbst wenn Madiha in ihrem Leben noch nichts über die schönen Seiten der Intimität zwischen zwei Menschen gelernt hatte, wusste sie dennoch plötzlich, worum es bei dem Gespräch der beiden Männer ging. Das Mädchen hatte in ihrem Leben lediglich die Schattenseiten körperlicher Nähe erfahren und hatte inzwischen traurige Erfahrung sammeln können. Caleb holte sich Unterstützung bei Corax. Weil er… -Ihre Gedanken wirbelten ein wenig durcheinander, weil die Euphorie sie so erfasst hatte, wie sie es in ihrem Leben noch nicht gespürt hatte-, weil er was? Weil er sie mochte… Der Gedanke war so banal, so klein und doch bettete er in diesem Moment Madiha’s Seele und ließ sie verträumt den Blick auf Caleb richten. Sollte diese Illusion doch wahr werden? Konnte es denn möglich sein? In ihrem klopfenden Herzen und trudelnden Gedanken verfangen, vergaß Madiha, dass sie sich versteckt hatte und stieß mit einer unbedachten Bewegung die Rumflasche um. Sie zuckte zusammen, griff sie und presste die Augen zusammen. "Was war das?", verlor sie die Hoffnung, dass Caleb und Corax es nicht gehört hätten und schon folgten Schritte in ihre Richtung. Madiha öffnete die Augen wieder und blickte kurz auf die Fässer und auf den Schlitz. Nur für eine Sekunde hatte sie das Gefühl, dass dort jemand hockte, doch Madiha hatte keine weitere Zeit, sich damit zu beschäftigen. Sie wandte sich wieder um, sodass sie frontal denjenigen erwarten konnte, der sie gleich entdecken würde. Wie ein scheues Kätzchen, presste sie die Flasche Rum an sich und ihren Körper in die Schatten, so gut es eben ging. Ihr Herz klopfte und in ihrem Kopf wirbelten tausende Erklärungen umher, die allesamt Mist waren! Schon baute sich ein Schemen über den Fässern auf und starrte direkt in ihr Versteck. Madiha starrte zurück. Die Rubine brauchten kaum Zeit, da hatten sie das Mädchen im Dunkel erfasst. "Hast du jemanden entdeckt?" Madiha’s Herz platzte fast vor Scham und Nervosität. Ihre Wangen wurden mit einem Mal heiß und sie war sicherlich rot wie eine Tomate. Sie klappte den Mund auf, doch da neigte sich Corax vor und legte ihr den Zeigefinger auf die Lippen. Sie erstarrte und hielt den Blick in seinen Augen. Er würde sie nicht verraten… Er… sie ließ ihre Dankbarkeit in ihren Blick einfließen und entspannte sich ein wenig. Sie war Corax so dankbar in diesem Moment, der ohnehin aufwühlend war und das stumme Wissen, welches sie mit ihm teilte, ließ sie zusätzlich erröten. Er wusste schließlich, wie sehr sie sich nach der Nähe gesehnt hatte, die er als falscher Caleb gegeben hatte. Und er wusste, dass Caleb sie zumindest mochte. Dass er sich nun als Kuppler entpuppte und sie nicht verriet, das rechnete sie ihm sehr hoch an. Er nahm ihr die Flasche aus den Fingern und sie gab sie bereitwillig her. Ein leichtes Lächeln und ein kleines Nicken folgte seinem Aufrichten und sie hielt ein wenig die Luft an, während er sich abwandte und Caleb beruhigte. "Nur eine Ratte, die eine Flasche umgestoßen hat.“ "Eine schwarze Ratte mit roten Augen?" "Die sind alle tot. Ich fühle es." Das Grinsen konnte Madiha nicht sehen, sehr wohl aber die sich lockernde Haltung der Männer einander gegenüber erkennen. Es tat gut, nach all dem schweren Erlebnissen, ein wenig Ausgelassenheit zu sehen.

"Erwartest du für die Ohrfeige eine Entschuldigung von mir?"
"Nein, die war verdient."
"Allerdings."

Sie runzelte die Stirn. Wieso verdient? Was war nur gewesen, dass eine Ohrfeige als verdient angesehen wurde? Kurz flammte die Unsicherheit in ihr auf. Doch Madiha ließ sie kaum zu Wort kommen. Sie zehrte noch von dem schönen Gefühl, das ihr dieser kleine Lauschangriff beschert hatte. Sie kroch nochmal leise hervor, deutlich behutsamer, dass sie nicht noch eine Dummheit begehen würde und brachte sich wieder in ihre Ausgangsposition. "Ich erklär dir das ein anderes Mal. Du hast es doch nicht eilig, oder?", brachte Corax das Gespräch wieder zum eigentlichen Thema. Madiha’s Blick flog von ihm zum Dieb. Erneut wirkte er etwas unbeholfen. "Gut. Da kommt nämlich eine Menge auf dich zu und für all die Details hab ich keine Zeit. Obwohl du im Grunde nur deinen eigenen Instinkten folgen brauchst. Du machst das schon."
"Ich weiß nicht ... ich muss sehr behutsam vorgehen, glaube ich. Außerdem ... Du weißt, wie ich aussehe."
"Ja, du gesegneter Speerkämpfer."
"Ich will sie nicht verschrecken ... also, das heißt, falls ich mich nicht irre."

Madiha machte erneut große Augen. Dieses Mal aber aus dem Grund heraus, dass sie nicht recht die Anspielung verstehen wollte. Bis sich ihr eine kleine Erinnerung vorwitzig ins Hirn stahl: "Wenn es dich entspannt, befriedige ich dich. Naja, vielleicht nur mit den Fingern oder der Zunge? Du bist so schmal und ... ich bin wirklich gut gebaut!", schoss es ihr durch den Sinn und ihre Wangen glühten mit einem Mal. Ihr wurde warm und sie musste einmal die Augen schließen, um das ja schnell wieder zu vergessen! Zudem ging es ihr nicht darum, sodass sie diese Gedanken beiseiteschob. "Die Herrin ist dir zugetan. Hab Vertrauen. Aber jetzt musst du mich zurückgehen lassen. Ich will nicht entdeckt werden und ich muss zu Azura. Sie .. braucht mich. Auch, damit sie wieder sprechen kann. Ich muss sie überzeugen, dass es nur Rückstände der Magie von ... ihnen ist. Nur sie kann das brechen."
"Du klingst, als weißt du, was zu tun ist. Ich kann dich mit ihr allein lassen?"
"Such die Herrin."

Als es um Azura ging, merkte Madiha kurz auf. Also ein Zauber hatte ihr die Stimme geklaut? Madiha sah kurz zur Seite und verzog das Gesicht. Dann hatte Azura also zumindest geglaubt, die Wahrheit zu sagen. Nun… Damit hatte sie ihr Unrecht getan, doch das änderte kaum etwas daran, dass sie sie für undankbar hielt. Doch der Groll wollte derzeit nicht recht wieder aufkochen. Sie war ohnehin viel zu sehr abgelenkt. Corax wollte, dass Caleb sie suchte… Hoffentlich sah er nicht gleich unter der Treppe nach! Doch der Dunkle ließ seinen Worten Taten folgen und verschwand in Richtung Kajüte zurück. Madiha wartete einen Moment, ehe sie von der Tür zurück zu Caleb schaute. Er war inzwischen einige Schritte weitergegangen und schaute über die Reling auf das Wasser. Ihr Herz klopfte. Noch wagte sie es nicht, sich aus ihrem Versteck zu schälen. Was sollte sie ihm denn sagen? Sie konnte doch nichts sagen… Madiha überlegte noch einen Moment und entschloss sich dann, einfach ihrem Impuls zu folgen. Sie schob sich vorsichtig aus dem Versteck und kam auf die Beine. Sie wischte sich die Hände, die etwas feucht geworden waren, an ihrer Kleidung ab und straffte die Schultern. Nur Mut! Sie brauchte nur Mut… Ihr Blick war die ganze Zeit auf den Rücken des Diebes gerichtet. Mit jedem Schritt, den sie in seine Richtung machte, wurde sie nervöser und kribbeliger. Ihr Blick fiel auf seine Haltung, als er sich plötzlich den Bauch hielt. Madiha blieb stehen. Der Wind frischte für einen Moment auf, fuhr ihr durch das gekürzte Haar und kühlte ein wenig ihre brennende Haut. Dann trat sie vorsichtig noch einen Schritt an ihn heran und schluckte den nervösen Kloß hinunter. Madiha klappte den Mund auf, doch sie brachte keinen Ton heraus, so nervös war sie. Dabei wusste er ja nicht, was sie gehört hatte. Für ihn hatte sich nichts geändert. Für sie hingegen alles. Madiha holte tief Luft und fasste sich ein Herz. Sie trat neben ihn und legte die Hände, die noch immer kribbelten, auf die Reling, während sie den Blick auf das Meer gerichtet hatte. Einen Moment sagte sie nichts, dann wandte sie sich ihm seitlich zu und musterte ihn. Ein kleines Lächeln ließ sich nicht aufhalten und stahl sich wie von selbst auf ihr Gesicht. „Entschuldige…“, begann sie leise und räusperte sich, weil das Rauschen sie sonst verschlucken würde. „Ich… ich musste raus aus dem Zimmer. Ich… brauchte frische Luft.“, versuchte sie so unverfänglich wie möglich das Gespräch zu eröffnen. Sie schluckte abermals. „Ich habe mich daneben benommen…“, räumte sie trotzdem ehrlich ein und legte ihren Unterarm auf die Reling. Sie musterte ihn einen Moment und konnte nicht verhindern, dass ihr Herz unablässig hüpfte. Doch dann sank ihr Blick über seine Brust, bis zu seiner Seite. Ihre Miene wurde besorgter. „Wie geht es dir?“ Und bevor er sie wieder mit einem verwegenen Grinsen und einem lockeren Spruch abspeisen konnte, fügte sie an: „Ich meine… wie geht es dir wirklich, Caleb?“ Sie hob ihren Blick wieder. All das Gesagte tauchte wieder in ihrem Geist auf, sodass sich eine feine Röte auf ihre Wangen legte. Wie sollte sie vergessen, was sie gehört hatte, wenn es das war, was sie schlagartig all ihren Kummer vergessen ließ? Wie sollte sie vor ihm verbergen, dass sie ihn am liebsten umarmt hätte, um ihm nahe zu sein? Das war eine harte Prüfung. Doch sie wollte nicht gleich alles falsch machen. Also bemühte sie sich – irgendwie – um Unverfänglichkeit.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Samstag 22. Oktober 2022, 12:07

Der Lernprozess, der bei Azura einsetzte, gab ihr zu Denken. Eigentlich brachte er sie eher zum Verzweifeln. Zugleich war sie aber auch wütend. Es musste schwer sein für jemanden, plötzlich abgelehnt zu werden, wenn man sein Leben lang Mittelpunkt der Welt gewesen war. Nicht nur das, Kapitän Caleb hatte sogar noch mehr Interesse an der Göre als an ihr. Daran nagte Azura immens und drehte sich aus den eigenen Gedanken nach und nach einen Strick. Sie suchte nach dem Grund für die Ablehnung. Es konnte unmöglich ihr Charakter sein. Sie wurde angehimmelt und hofiert, das war schon immer so! Wenn es also nicht am mangelnden Geschmack des Kapitäns lag, musste es ihr derzeitiges Aussehen sein. Oh, wie hässlich sie war! Kein Wunder, dass er nur Augen für ihre Brüste gehabt hatte. Das geschwollene Gesicht wollte sich kein Mann Celcias antun! Dass an dieser Stelle die Logik einen Widerspruch in die Zweifel gefügt hätte, darauf kam Azura nicht. Stattdessen verstrickte sie sich weiter in ihr Gedankengut, wob düstere Ahnungen, die sich inzwischen auch wieder um Corax drehten. Er würde sie garantiert ebenso verschmähen und wenn nicht, dann würde er ihrer irgendwann müde werden. Spätestens, wenn sie eine alte, faltige Matrone wäre, wohingegen sein Elfenantlitz vermutlich nicht einmal Spuren der Alterung aufweisen sollte.
So tief in ihre Ängste versunken bemerkte sie viel zu spät, dass der Dunkelelf sich verabschiedete und an ihrem Fassversteck vorbei zog. Zwar wärmte seine Sorge um ihr Wohlergehen ihr Herz, aber dieses Gefühl konnte aktuell nicht gegen ihre Befürchtungen ankämpfen. Sie verbarg sich vor der Welt, machte sich klein und wünschte sich in ihr altes Leben zurück.
Bei Madiha war das nicht der Fall. Niemals würde sie ein Sklavinnenleben bei Khasib gegen das eintauschen, was sie jetzt hatte. Zumal ihr Herz mit Glück erfüllt war, während sie verträumt Caleb beobachtete, der sich an die Reling lehnte. Er hatte Corax wegen ihr ausgefragt! Dass er vorab gebeten hatte, der Elf möge sich in Dunia verwandeln, fiel dabei über die Kante ihrer Erinnerung. Sie konnte gerade nur noch daran denken, dass ihm wohl auch ganz heiß wurde, wenn sie einander anschauten. Aber wie sollte Madiha die Situation nun initiieren? Corax hatte genug getan und dem Kapitän sogar geraten, sie zu suchen. Dass er nicht bereits auf dem Sprung war, zeugte nur davon, dass auch er sich erst einmal mental mit der Situation befassen musste. Der Grund mochte aber auch einen anderen Ursprung besitzen. Durch die rosarote Brille hindurch stellte Madiha fest, dass der Kapitän sich an die Hüfte fasste. Er presste sogar beide Hände daran und krümmte sich etwas, nur um sich anschließend auf der Reling abzustützen und den Schmerz weg zu atmen.
Der Anblick allein zog sie aus ihrem Versteck heraus. Ebenso das Wissen, dass er ihr gar nicht antworten würde, wenn sie jetzt nicht nachhakte. Also trat sie neben ihn an die Reling. Caleb wandte den Kopf in einer Bewegung, die ihn Corax nochmal erwarten ließ. Er stutzte, als er Madiha sah und im nächsten Moment richtete er sich auf. Die lockere Haltung, die er einnahm, konnte in Wahrheit nur Schmerzen bedeuten. Ihm war absolut nichts anzusehen.
Es fiel Madiha schwer, sich nun zunächst auf ein plänkelhaftes Gespräch einzulassen, aber sie musste vorsichtig sein. Caleb ahnte nichts davon, dass sie ihn und Corax belauscht hatte. Das durfte er nicht erfahren, vielleicht wäre er wütend ... oder so peinlich berührt, dass er Distanz aufbaute. Also musste Madiha so tun, als sei sie auf seinem Stand: Beide wussten nichts von den Gefühlen des jeweils anderen. Sie entschied sich, das Gespräch mit einer Entschuldigung zu gewinnen, um Caleb entgegen zu kommen. Das half, denn in seiner üblichen Art winkte er sogleich ihre Erklärungen ab. Er verzieh ihr. Mehr noch!
"Ich habe mich daneben benommen..."
"Nicht doch. Azura macht es uns allen nicht einfach." Er seufzte. "Adlige sind anstrengend und leider alle gleich. Sie tragen kokette Masken aus Heuchelei und falschen Freunden, echauffieren sich über die geringsten Belanglosigkeiten und sind erbost, wenn sich nicht alles um sie dreht." Er schaute zum Mond auf. "Es ist schwer, wenn das eigene Bemühen auf so wenig Wertschätzung trifft. Das Schlimme daran ist aber, dass sie es nicht einmal böse meint. Sie ist so. Sie sind alle so und sie ändern sich nicht. Aber wenigstens haben wir es versucht. Jetzt kann Corax sich um sie kümmern. Ich ..." Er verstummte unter einem Kopfschütteln. Auch er war es leid, so vieles zu versuchen, ohne das es gewürdigt wurde. Oder befolgt. Caleb wäre vermutlich weiterhin gut auf Azura zu sprechen gewesen, hätte sie Madiha anders behandelt, aber da hatte die Adlige einen Nerv getroffen, der ähnlich zwicken musste wie die Hüfte des Mannes. Er zeigte es nicht offen, aber in seinen Bewegungen fuhr er immer wieder wie reinzufällig mit der Hand an der Hüfte entlang, legte sie kurz dort ab und streichelte sich, als könnte er dadurch irgendetwas bewirken.
"Wie geht es dir?"
Da war er wieder: Der Caleb, den Madiha kannte. Der Wüstendieb, dem die Strähnen so verboten gut in die Stirn fielen, dass der Anblick benommen machte. Der Fassadenkletterer mit dem Bartschatten und ersten Stoppeln, die ihm viel zu gut zu Gesicht standen! Der sorglose Tunichtgut mit seinem verschmitzten Grinsen, das nicht nur seine Abenteuerlust repräsentierte, sondern auch alles herunterspielte, mit dem er sich nicht beschäftigen wollte. Da war es! Er grinste auf, aber ehe Caleb eine ausweichende Antwort geben konnte, hakte Madiha nach. Sie kannte ihn bereits zu gut. "Ich meinte ... wie geht es dir wirklich, Caleb?"
Er blinzelte. Das Grinsen schwand. Er erkannte, dass sie der Wahrheit auf der Spur war. Es hatte keinen Sinn, ihr etwas zu verheimlichen, also legte Caleb die Hände beide wieder an seine Hüfte. Nach wie vor war nicht abzusehen, wie groß der Schmerz war. Sein Blick flackerte leicht, aber zu mehr ließ er sich nicht hinreißen. "Ich schätze, ich hab mich in letzter Zeit einfach zu gewagt bewegt. Nach Corax' Kraken-Attacke an Deck ist die Wunde wieder aufgerissen. Ich hab sie neu verbunden, aber seitdem fühlt es sich nicht mehr allzu gut an." Er lachte freudlos auf. "Was musste er auch ausgerechnet den einzigen Medicus an Bord ins Meer schleudern?" Dann winkte er ab. "Mach dir keine Gedanken. Wir steuern den nächsten Hafen an und dann suche ich jemanden auf, der aushilft. Bis dahin halte ich durch. Es ist nur halb so wild, bestimmt. Außerdem ist die Tasche mit den Heilsalben und Verbänden in der Kapitänskajüte. Willst du da jetzt wirklich hin?"
Caleb rechnete schließlich damit, dass Azura sich weiterhin dort aufhielt. Auch Corax glaubte das. Er betrat die Kabine und blieb in der Tür erstarrt stehen. Seine Augen weiteten sich, als er weder das warme Kaminfeuer, noch das gemütliche Bett oder den überladenen Schminktisch erblickte. Am meisten erschreckte ihn aber, dass Azura nicht anwesend war. Trotzdem konnte er gerade nichts Anderes tun als die verflogene Illusion zu betrachten, die nur noch wie ein verflüchtigter Traum in der Luft hing. "Warum?", krächzte er, tappte in die Kammer und hoppste dann auf winzigen Rabenfüßen über das Holz. Er hüpfte mit ausgebreiteten Flügeln einmal quer durch den Raum, suchte in den Ecken und Winkeln, aber starrte auch all das an, was nicht mehr war. Dann stieß er einen seichten Krächzruf aus udn flatterte auf den sperrigen Tisch des einstigen Kapitäns. Dort wetzte er die Krallen am Holz, bewegte unstet die Flügel und ließ den Kopf hängen. "Nimmermehr", krächzte er, ehe es sich zu einem Ruf erhob, den nur ein Rabenvogel aus einem Schauermärchen ausstoßen konnte. "Nimmermehr! Nimmermehr!", sprach der Rabe. "NIMMERMEHR!"
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Samstag 22. Oktober 2022, 14:47

Es schmerzte, was sie zu hören bekommen hatte. Nicht nur, dass dieser Kapitän sie beinahe genauso schändlich behandelt hatte, wie die Göre es ständig tat, hatte er ihr, kaum, dass sie endlich einmal etwas gesehen hatte, das ihr Herz tief berührt hatte, als Corax so gelächelt hatte, diesen Moment auch schon wieder zunichte gemacht. Mehr noch...
Hätte sie den Männern nicht folgen und sie belauschen sollen, nachdem sie ihre Stimme zurück erhalten hatte? Nein, das war schon richtig gewesen. Wenigstens kannte sie nun die Wahrheit, auch wenn diese dazu angetan war, sie endgültig innerlich zu vernichten.
Lug und Trug, nichts weiter war es gewesen, was dieser Mann ihr hatte angedeihen lassen, um weiter in den Genuss des Anblicks ihrer entblößten Brüste zu kommen. Nichts steckte hinter seinem Gerede, dass sie weiterhin etwas wert wäre und etwas anderes aus ihrem Leben machen könnte, sobald sie einen rechten Weg erkennen würde. Ja, es wurde noch schlimmer, er bezeichnete sie als Missgeschick und nährte damit in ihr auch jene Zweifel, die sie an den Gefühlen ihres ehemaligen Begleiter hegte.
Er hatte sich ihr schließlich angebiedert als Sklave, wollte nur auf diese Weise bei ihr sein und nicht wirklich aus freien Stücken. War also seine Liebe auch nichts weiter als eine schöne Illusion gewesen, die nicht anhielt, sobald sie nicht mehr daran glauben konnte? So wie... wie ihr Zimmer zuvor?
Ihr verengte sich die Kehle, dass sie nach dem kurzen, von niemandem beachteten Schluchzen keinen weiteren Laut mehr heraus brachte, ganz so, als wäre sie wieder stumm geworden. In ihrem Herzen jedoch, da wütete ein Sturm und schien alles zerreißen zu wollen, selbst ihr pochendes Organ.
Es tat so weh und gleichzeitig lähmte es sie auch. Das hatte sie nun davon, dass sie gedacht hatte, sie könne irgendjemandem vertrauen. Hatten ihre Eltern sie nicht schon davor gewarnt, immer und immer wieder, einem Mann mehr als einen Handkuss zu erlauben, bevor er sie nicht geehelicht hätte? Doch sie hatte es ja besser gewusst, hatte sich verführen lassen und war jetzt das geworden, wovor sie stets hatte bewahrt werden sollen, ohne, dass sie es erkannt hätte: wertlos.
Zu was diente sie schließlich noch? Der eine, der ihr Herz und ihren Körper erobert hatte, wollte nicht aus freien Stücken bei ihr bleiben, obwohl er ihr seine Liebe versprach, sondern hatte sich gleich zwei Herren nach ihr gesucht. Wie ernst sollte sie da bitte seine Gefühle nehmen? Von all den Untaten, die er in seiner Vergangenheit getan hatte, ganz zu schweigen. Denn obwohl sie es besser wusste, wäre sie vielleicht sogar mit der Zeit gewillt gewesen, ihm diesen Kindsmord zu vergeben... oder es wenigstens soweit zu verdrängen, um in seinen Armen Wärme und Halt zu finden.
Der andere hingegen... pah! Begaffen hatte er sie wollen, sonst nichts weiter! Und wer wusste zu sagen, was er getan hatte, nachdem sie eingeschlafen war?! Oh, wie dumm sie gewesen war! Aber anstatt ihre Hilflosigkeit anzuerkennen und würdevoll zu behandeln, bezeichnete er sie als Missgeschick.
Azura würgte an dem Kloß in ihrem Hals, der sich kaum bändigen ließ, so massiv war er bereits angeschwollen. Was sollte sie also als nächstes tun? Sich einem dieser verbliebenen Matrosen an den Hals werfen und damit endgültig besiegeln, dass sie zu nichts mehr zu gebrauchen wäre? Wer würde sie denn jetzt noch, mit diesem geschändeten Gesicht, nehmen wollen?! Was, wenn nicht alles folgenlos verheilen würde, wie die anderen es behauptet hatten? Eigentlich kein Wunder, dass keiner der beiden Männer sie noch wirklich haben wollte...
Stimmen drangen bis in ihr Versteck und auch wenn sie es unter gar keinen Umständen wollte, konnte sie nicht gänzlich weghören, zumindest nicht am Anfang. Beinahe hätte sie zustimmend genickt, als die Göre eingestand, dass sie einen Fehler begangen hatte, als ihr bereits der Beginn dieser angedeuteten Bewegung durch die Nähe zu ihrem eigenen Knie Schmerzen in der malträtierten Wange bescherte. Also hielt sie lieber still.
Die Antwort hingegen... So war das also, sie war eine Adelige und deswegen anstrengend! Als ob sie sich ihre Lage wahrlich ausgesucht hätte! Mehr noch, er unterstellte ihr Heuchelei, gerade er! Nein, das war genug, sie hatte genug! Genug von allem hier!
Ohne weiter zu zuhören und damit womöglich ein wenig in ihrem Denken korrigiert zu werden, schälte sie sich lautlos aus ihrem Versteck und schlich auf die andere Seite des Decks, so weit wie möglich weg von diesem elenden Pärchen, das sich nichts weiter als über sie lustig machte. Wahrscheinlich würde er jetzt bald von ihrem missglückten Versuch eines Kusses erzählen, dass er sie halb entblößt ungestört hatte anstarren können und wer weiß noch alles Schlechte über sie zu berichten hatte! Und die Göre würde mit einstimmen, würde weitere Unterstellungen von sich geben.
Während niemand bei diesen Beiden war, um ihre Ehre zu verteidigen, denn Corax war ebenfalls weg, zumindest hatte sie von ihm nichts mehr vernehmen können. Er hatte ja auch gesagt, er wolle nach ihr sehen, oder? Ja, wahrscheinlich nur, um sie genauso zu benutzen und sich hinterher darüber zu amüsieren, wie dumm und leichtgläubig sie war.
Ihre Augen begannen verräterisch zu brennen und die Sicht verschwamm ihr, selbst ohne Tränen. Mit letzter Kraft fand sie Halt an der Reling und starrte auf die weite See hinaus. Was sollte sie hier denn noch in einer Gesellschaft, die ihrer mehr als überdrüssig war? Die nichts als Hohn und Spott für sie übrig hatte, anstatt Verständnis für ihre Lage? Die nicht früher oder später an nichts weiter denken würde, als daran, sie möglichst schnell loszuwerden?
Ihre Knie wurden weich, der Knoten in ihrem Magen verhärtete sich und die Luft zum Atmen schien knapper zu werden, so sehr, wie der Kloß in ihrer Kehle anschwoll. Allein... sie war vollkommen allein! Mehr noch als je zuvor in ihrem Leben. Würde das ab jetzt immer so sein? Sie, die Wertlose, die Entehrte, der jedermann scheinbar ansehen konnte, wie nutzlos sie geworden war? Was hatte sie denn bislang in ihrem Dasein auch schon vollbracht?
Ihrer Mutter hatte sie das Leben erschwert, weil sie jung und dumm gewesen war, voller Flausen im Kopf und in der festen Überzeugung, es besser zu wissen, seitdem sie nicht mehr jenes wissbegierige Kind von damals gewesen war, das in dem neuen Leben unendlich viele Möglichkeiten gesehen hatte. Ihren Stiefvater, der sie zu gut behandelt hatte, hatte sie ausgenutzt und ihre Privilegien mit der Zeit als selbstverständlich hingenommen, um sie weidlich auszureizen. Wann hatte sie ihm eigentlich zum letzten Mal für etwas gedankt...? Das Schluchzen blieb bei dem Kloß in ihrem Hals stecken und schien diesen noch mehr anschwellen zu lassen, obwohl sie längst das Gefühl hatte, daran ersticken zu müssen und dass es nicht noch schlimmer werden könnte.
Ihre sogenannten Freundinnen und die ganze Galane, die ihr zu Füßen gelegen hatten... Was würden die nun von ihr denken? Wie gut, dass sie wenigstens denen nicht unter die Augen treten musste, nach allem, was geschehen war! Nicht auszudenken, wie sich das Blatt für sie, den früheren Mittelpunkt, um den sich alles gedreht hatte, wenden würde! Und dann waren da noch Corax, der Kapitän, die Göre...
Ihre Finger krallten sich in das Holz der Reling, dass ihre Knöchel weiß unter der einst so perfekten Haut hervor stachen. Es war zu viel für sie, alles war nur noch ein Karrussell aus Schmerz und Leid und wiederkehrendem Schmerz. Unter ihr hingegen fluteten Wellen, beständig und mit einem leisen, beruhigenden Rauschen.
Ihr Blick senkte sich und fast war ihr, als kehrte ein wenig Ruhe in ihr aufgewühltes Inneres. Wasser... die See... Schon immer hatte sie die junge Frau angezogen, seit sie denken konnte. Auch wenn ihre Mutter es nie gut geheißen hatte, sobald Azura gekonnt hatte, war sie in der Nähe der Docks gewesen, um auf das Meer im Hafen starren zu können. Und wenn ihr das nicht möglich gewesen war, hatte sie andere Wege gesucht und gefunden, um die Wellen zu sehen. Die salzige Luft hatte ihr immer gut getan. Nie hatte sie dieses Element im Stich gelassen, war immer beständig gewesen, so, als hätte alles zwangsläufig zu diesem einen Moment im Hier und Jetzt führen müssen.
Sie zwang sich zu einem Schlucken, obwohl der Kloß es kaum ermöglichte. Ja, die See... Sie hatte oft ihren Zauber auf sie gewirkt, unabhängig von ihrer Magie, hatte sie stets angezogen und wenn sie einmal etwas weiter entfernt gewesen war, hatte sie große Sehnsucht danach verspürt. Es war sogar soweit gegangen, dass sie mit ihrem Stiefvater darüber debattiert hatte, dass, sollte sie jemals heiraten, die oberste Bedingung wäre, dass sie niemals ihren Wohnsitz im Landesinneren nehmen oder eine sonstige lange Trennung zum Meer dulden würde! Ein feines, trauriges Lächeln huschte über ihre Lippen bei dieser Erinnerung.
Das Wasser hatte sie bislang niemals enttäuscht, nicht einmal bei der großen Illusion, durch die sie und Corax nicht ertrunken waren. Oh, wenn sie nicht darauf bestanden hätte, ein Schiff zu suchen und wieder ein Mensch zu werden! Wie anders ihr Dasein hätte verlaufen können... Doch so...?
Was sollte sie eigentlich noch hier, wo niemand sie mehr beachtet, wertschätzte... haben wollte? Was hielt sie noch? Wäre es nicht viel sinnvoller, sie ginge dorthin, wo sie schon immer hatte hinwollen? Dass es ihren Tod durch qualvolles Ertrinken bedeuten würde... Was machte es schon? Sie war sowieso unerwünscht und wertlos. Besser, sie bestimmte wenigstens diesen einen letzten Schritt selbst, jetzt, wo sie kein verlogener Schiffskoch... Kapitän... oder sonst was aufhalten würde, weil sie ja ohnehin niemand beachtete!
Einen Moment lang zögerte sie, aber dann deutete sie ein kleines Nicken an. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen und das war für sie unumstößlich. Dann wäre es endlich vorbei und mit etwas Glück hätte sie vielleicht einen schönen Traum, wie zum Beispiel in einem Ballsaal zu sein, in dem sie endlich wieder jene Position hätte, die sie kannte und die sie früher für selbstverständlich gehalten hatte.
Mit diesen Gedanken lockerte sie ihren Griff um die Reling und begann, darüber zu klettern. Das Herz pochte ihr wild in der Brust und noch einmal zögerte sie kurz. Dabei hätte sie sich so viel erwartet von ihrem Leben! Einen Ehemann, der wusste, was er an ihr hatte, und auf sie hörte, den sie nicht unbedingt lieben, jedoch wenigstens mögen könnte. Kinder, gesunde Kinder, die sie erziehen könnte und auf die sie stolz gewesen wäre. Ein schönes Anwesen, viele Feste, deren Glanz und Zierde allein sie wäre. Noch ein paar andere Aufgaben, um keine Langeweile zu haben, eventuell einen treuen Jagdfalken, um ihre spärliche Freizeit mit ihm zu verbringen.
Ja, es wäre alles so schön gewesen! Doch das war vorbei, endgültig vorbei. Worauf wartete sie also noch?
Die Umgebung hatte sie längst ausgeblendet, sah nur noch die dunklen Wellen unter sich und merkte nicht, ob jemand sie sah und eine Warnung ausstoßen würde oder nicht. Warum auch? Sie war ja sowieso nicht gewollt auf diesem Schiff...
Ein letztes Mal atmete sie tief durch. "Ventha, lass mich in dein Reich!", wisperte sie noch, dann ließ sie los.
Mit einem lauten Platschen landete sie in den Fluten und stieß vor Schreck ob der plötzlichen Kälte erst einmal die Luft aus ihren Lungen. Wobei... das war vermutlich sogar besser. Würde es dann nicht schneller gehen? Instinktiv begann sie zu strampeln und wollte trotz allem noch versuchen, sich über Wasser zu halten, ein letzter Funke Lebenswille.
Doch dann zwang sie sich dazu, damit aufzuhören. Es hatte doch keinen Sinn mehr! Sie stieß noch einen letzten Abschiedsgruß in Gedanken an Corax aus, auch wenn dieser ihn niemals hören können würde.
Danach stellte sie ihre eigenen Bewegungen endgültig ein, entspannte sich bewusst, schloss die verquollenen Augen und ließ es zu, dass sie wie ein Stein in die Tiefe zu sinken begann.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 22. Oktober 2022, 21:22

Die reine Tatsache, dass Caleb sich überhaupt für sie auf andere Art zu interessieren schien, als er ihr noch hatte weismachen wollen, war etwas, was sie ungemein freute. Madiha hatte in ihrem Leben selten bis keine Gelegenheit gehabt, einen eigenen Wert bei sich zu erkennen. Ähnlich wie wohl auch Azura sich manchmal fragte, wer sie ohne all dem Schein und Sein war, war Madiha das Selbstbewusstsein diesbezüglich gehörig aus dem Körper gepeinigt worden. Schon als Kind zu spüren, nicht mehr wert zu sein als der Dreck unter den Nägeln, machte etwas mit einem Menschen. Und so war es kaum verwunderlich, dass sie vorerst alles andere vergaß und sich einfach nur dem Gefühl hingeben wollte. Viele Fragen wären im Grunde noch zu klären, doch jetzt nicht. Jetzt wollte sie ihm nachgehen und – was eigentlich? Unsicher war sie aus dem Versteck geklettert, um dann unbeholfen in seinem Rücken zu stehen. Sie bekam ja nicht mal das leise Schniefen der anderen, die sich versteckt hielt, mit, so nervös war sie mit einem Mal. Doch sie fasste sich ein Herz und trat schließlich doch noch neben ihn. Angespannt und mit flatterndem Herzen brauchte sie einen Moment, bevor sie ihn ansprechen konnte. Ihr Blick ruhte auf seinem Gesicht und seine Antworten ließen sie aufmerken. "Nicht doch. Azura macht es uns allen nicht einfach. Adlige sind anstrengend und leider alle gleich. Sie tragen kokette Masken aus Heuchelei und falschen Freunden, echauffieren sich über die geringsten Belanglosigkeiten und sind erbost, wenn sich nicht alles um sie dreht. Es ist schwer, wenn das eigene Bemühen auf so wenig Wertschätzung trifft. Das Schlimme daran ist aber, dass sie es nicht einmal böse meint. Sie ist so. Sie sind alle so und sie ändern sich nicht. Aber wenigstens haben wir es versucht. Jetzt kann Corax sich um sie kümmern. Ich ..." Während seiner Worte, war ihr Blick nachdenklich zum Wasser gerutscht. Sie kannte davon nichts, war aber erstaunt, wie einfühlsam er sich in Azura’s Lage hineinversetzen konnte. Er hatte offenbar Ahnung davon, oder bildete sie sich das ein? Madiha sah zurück, als er stockte. Sie betrachtete ihn wieder und nickte langsam. „Du scheinst dich auszukennen…“, räumte sie leise ein und ließ es im Raum stehen, woran sie dabei dachte. Ob sie sich fragte, ob er bereits mit Adeligen in diesem Maße zutun gehabt hatte oder, ob sie glaubte, er interessiere sich einfach nur besonders für die andere. Madiha wollte die unschönen Gedanken nicht zulassen. Doch auch wenn der Freudentaumel echt und nachhaltig in ihr wirkte, war sie einfach unsicher mit diesen Gefühlen. Sie nahm nichts als gegeben hin. Nichts hielt sie für in Stein gemeißelt. Und zusammen mit der Hoffnung, dass er meinte, was er sagte, kam eben auch die Angst, dass sie sich einfach irrte. Dass sie es falsch verstanden hatte und ihr etwas Wichtiges entgangen war. Doch sie ließ es noch nicht zu. Ihr Plan, es vorsichtig mit einem unverfänglichen Gespräch zu versuchen, verschaffte auch ihr eine gewisse Sicherheit. Denn er war so wie immer zu ihr. So wie sie ihn kannte und wie er es geschafft hatte, sich in ihr Herz zu schleichen. Ohne großes Zutun, ohne großes Wollen. Er war einfach hineingepurzelt und nun musste sie zusehen, was daraus wurde. Denn, dass das absolutes Neuland für Madiha war, lag auf der Hand. Gefühle wie Zuneigung und Liebe kannte sie nur dem Namen nach. So etwas hatte es für sie noch nie gegeben. Sie erkundigte sich nach ihm. Und sah sofort, wie er sich in seine Maske flüchtete, ihr die Verwegenheit entgegenlächelte und sie darauf ansprang, wie ein ausgehungerter Hund den Knochen. Madiha schluckte. Sein Anblick trieb ihr die Röte in die Wangen und brachte ihr sich langsam beruhigendes Herz wieder in Wallung. Doch sie blockte sein Abwinken ab und hakte sofort konkreter nach. Sie wollte wirklich wissen, wie es ihm ging. Es war ihr wichtig.

"Ich schätze, ich hab mich in letzter Zeit einfach zu gewagt bewegt. Nach Corax' Kraken-Attacke an Deck ist die Wunde wieder aufgerissen. Ich hab sie neu verbunden, aber seitdem fühlt es sich nicht mehr allzu gut an. Was musste er auch ausgerechnet den einzigen Medicus an Bord ins Meer schleudern? Mach dir keine Gedanken. Wir steuern den nächsten Hafen an und dann suche ich jemanden auf, der aushilft. Bis dahin halte ich durch. Es ist nur halb so wild, bestimmt. Außerdem ist die Tasche mit den Heilsalben und Verbänden in der Kapitänskajüte. Willst du da jetzt wirklich hin?" Sie hatte kurz die Nase krausgezogen als er erwähnte, dass Corax ausgerechnet den einzigen Heiler verbrannt hatte, der ihnen jetzt hätte helfen können. Ihr ja selbst auch, denn ihre Hände fühlten sich ebenfalls weniger gut an, doch noch hielt sie den letzten Rest Glauben aufrecht. Dennoch… Madiha wurde wieder ernst und zog die Augenbrauen tiefer. Sie lehnte sich einmal kurz an Caleb vorbei, um abwägend zur Tür der Kajüte zu blicken, bevor sie mit ihrer Aufmerksamkeit zurückkehrte. „Ich mache mir aber Gedanken…“, leitete sie ihre Antwort leise ein und blickte auf die Stelle, die ihr so viel Angst gemacht hatte. Madiha verlor sich einen Moment in den Erinnerungen daran, bis sie blinzelte und zu ihm aufsah. „Du musst besser auf dich Acht geben… nicht nur auf alle anderen..“, murmelte sie und konnte ihre Sorge nicht hinter zur Schau gestellter Zuversicht verbergen. Sie wusste, dass diese Wunde beinahe sein Leben gefordert hatte. „Ich… würde es dir nicht verzeihen, wenn du… mich… allein lässt.“, ein kleines Lächeln sollte ihn daran erinnern, dass sie diese Unterhaltung bereits geführt hatten. Doch Madiha war es ernst damit. „Weißt du..“, begann sie weiter – jetzt oder nie! – und schob beinahe unwillkürlich ihren auf der Reling ruhenden Arm vor, um ihn zu berühren. Kurz bevor das geschah, stoppte sie aber. „Ich weiß nicht … wie ich es sagen soll. Aber…“, ihr Blick brach mutlos ab und sie schluckte. Die Nervosität war ein echtes Hindernis. Ebenso ihre Unerfahrenheit mit solchen Gefühlen umzugehen. Madiha folgte ihrem Gefühl, doch leitete es sie überhaupt richtig? „Ich weiß auch, dass… dass ich nicht… ich nicht so… also ich meine…“ Madiha kämpfte und versuchte sich nicht von ihrer Scham übermannen zu lassen.
Was das Gestammel aber nicht besser, sondern sie nervöser und nervöser machte. Zudem mischte sich ausgerechnet jetzt die Erinnerung in ihren Geist, dass er Dunia vermisste. Sein betrübter Blick kehrte in ihr Bewusstsein zurück. Und dass er Corax gebeten hatte, sich zu verwandeln. Und seine Träne, die er vergossen hatte, als Madiha ihn im Laderaum stellte. Sie sah ins Wasser und spürte, dass der Mut sie verließ, ihm zu sagen, was sie fühlte. Aber hatte sie nicht seine eigene Bestätigung auf ihrer Seite? Sie hatte es doch gehört… Madiha atmete tief durch und machte schließlich ein entschlossenes Gesicht. Sie musste es ihm sagen! Sie wandte sich zu ihm um, hob den Blick und öffnete den Mund: „Ich wollte sagen, dass ich di-“ Es platschte laut. Madiha zuckte zusammen und wandte sich, aus dem Konzept gebracht, um. „Was war das?!“, wollte sie wissen und instinktiv bekam sie ein ungutes Gefühl. Es klang so seltsam, ganz anders als das Rauschen der Wellen zuvor. Sie sah zum Wasser runter und erkannte in der Dunkelheit nicht viel. Zudem war die See unruhig neben dem Schiff. Ob das ein Wal gewesen war? Sie wusste ja nicht, was sonst noch im Meer schwamm und dass sich ausgerechnet, während sie versuchte etwas Mut zu zeigen, jemand mutlos in die Fluten stürzte. Madiha war in jedem Fall abgelenkt davon, was sie Caleb doch so dringend hatte sagen wollen. Das Mädchen blickte weiter über die Reling, bevor sie sich etwas zurücklehnte und fragend zu dem Dieb sah.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Samstag 22. Oktober 2022, 22:54

Was sich gerade in der inzwischen wieder illusionsfreien Kapitänskajüte abspielte, bekam niemand von draußen mit. Obgleich Corax einige Rabenschreie von sich ließ, sie waren bei weitem nicht so laut wie sein übliches Gekrächze. Er stieß sie verzweifelt und für sich aus, während Gedanken ihn umzingelten und in die Ecke drängten. Auch Azura fühlte sich so, nur ließ sie sich an Deck von ihnen auf die andere Seite der Reling treiben. Dabei ging auch sie sehr leise vor, so dass Madiha und Caleb nichts davon mitbekamen. Aber vermutlich hätten sie auch nicht sofort reagiert, wäre die Adlige offen und zurück in ihre Kabine geschritten. Calebs Blick ruhte auf Madiha und die junge Frau kämpfte damit, Mut zu finden. Die Situation war neu für sie. Mit Khasib oder einem seiner Gäste in einen Raum zu verschwinden, in den sie sich nur rücklings auf das Bett legen und warten musste, bis es vorbei war, konnte man mit dem Chaos an Emotionen in ihrem Inneren nicht vergleichen. Zumal die wilden Gefühle sie zwar vollkommen durcheinander brachten und Unsicherheit schürten, gleichzeitig aber auch irgendwie ... schön waren. So schön wie Caleb, wenn er schief aufgrinste. Leider passte es Madiha ausgerechnet jetzt nicht in den Kram, auch wenn sie ihn fast am liebsten so sah. Nur seine eigene Verletzung sollte er unter keinen Umständen herunterspielen. Sie hatte ihn in den geheimen Labyrinthtunneln der Wüstendiebe beinahe das Leben gekostet und jetzt benahm er sich, als sei es nur ein Kratzer.
Männer!
Wengistens spornte Calebs Arglosigkeit Madiha zu Worten an. Wenn er nur verstünde, wie wichtig er ihr war, dann würde er vielleicht auch etwas besser auf sich achten! Obwohl sie es besser wusste. Sie selbst hatte ihn angehalten, nicht immer bei jedem - vor allem nicht ihr - den Retter zu spielen. Wenn jemand Platz in Calebs Herzen fand und sei es nur auf einer harmlosen Sympathie-Ebene, dann setzte er sich für denjenigen ein. Das ließ ihn vergessen, dass Corax eine halbe Schiffsmannschaft auf dem Gewissen hatte. Es führte dazu, dass er Azura mit ihrer hochnäsigen Art davonkommen ließ und es sorgte auch dafür, dass Madihas Herz ihn nicht loslassen konnte.
Endlich hatte sie genug Mut gefasst, um erste Worte zu fomulieren, wo ihr Arm es nicht schaffte, Berührung zu ihm aufzubauen. Caleb schaute auf sie herab. Er war ruhig geworden, wartete ab und gab ihr tatsächlich alle Zeit, die sie brauchen mochte. Azura war da weniger geduldig. Die Andunierin dachte aber auch gar nicht an die Göre im Augenblick. Ihr Herz war schwer, so dass sie bereits davon ausging, es würde sie weit genug in die Tiefe sinken lassen, dass sie ihr eigenes Ende nicht einmal mehr mitbekam.
Mit einem "Ventha, lass mich in dein Reich!" auf den Lippen und ihren letzten Gedanken bei Corax erklomm sich behände die Reling und sprang. Ihr Aufprall und das gleichzeitige Durchstoßen des Wassers ließen sie erkennen, dass es mitunter nicht einmal ein Ende durch Ertrinken sein könnte. Venthas Wogen waren eisig, auch schon am Tage. Bei Nacht aber fühlte es sich an, wie in ein reines Eisbad zu springen. Ihre Füße fühlten sich sofort taub an und ein Stechen in ihrer Brust teilte ihr mit, dass nicht nur Herzschmerz den wichtigen Muskel betäuben konnte. Wo bald über ihr die Sonne aufgehen sollte, wurde es dunkler um Azura herum. Sie sank, sah nur noch verschwommen einige Luftblasen zwischen ihren Lippen entweichen. Dann hüllte jemand sie in ein Gewand aus Finsternis. Dies sollte also das Ende der einzigen van Ikari sein, die nicht einmal gebürtig adelig gewesen war. Wenn sie es objektiv betrachtete, hatte Caleb mit seiner Aussage nicht ganz Unrecht gehabt. Sie hatte sich selbst oft genug vorgegaukelt, durch Rang und Namen von Bedeutung zu sein. Letztendlich war es aber nur das Erbe ihres Ziehvaters, weil sie Glück hatte, dass er ihre Mutter liebte. Sie besaß kein adliges Geburtsrecht. Wie sah es mit einem Totenrecht für gut Betuchte aus? Sie würde es gleich erfahren...

Ein lautes Platschen erfüllte die wieder ruhig gewordene Nachtluft. Madiha wandte sich sofort um, denn das Geräusch war von der anderen Seite des Schiffes gekommen. "Was war das?", richtete sie sowohl die Frage als auch ihren Blick an Caleb. Der war ebenfalls herumgefahren, spähte in die Nacht hinein und dann zum Krähennest empor. Sein Blick hatte den hölzernen Ausguck kaum erreicht, da rief der wachende Matrose lauthalt herunter: "MANN ÜBER BORD! BACKBORD!"
Auch der Seemann am Ruder reagierte, indem er selbiges so herum schwang, dass das Schiff sich zwangsläufig in die andere Richtung bewegte. Wenn wirklich jemand über Bord gegangen war, sollte er nicht mit dem Rumpf kollidieren. Aus dem Laderaum drangen erste Geräusche. Dort würde es aber noch eine Weile dauern, bis die schlafende Mannschaft den Ruf überhaupt deuten und entsprechend reagieren konnte. Es war sonst niemand da und das löste bei Caleb seine typischen Charakerzüge aus. Ohne darüber nachzudenken, dass er verletzt war und Madiha ihn eben noch daran erinnert hatte, auch ein Auge auf sich selbst zu haben, stürmte er los. Er musste Schmerzen beim Laufen haben, ignorierte sie aber. Er war der Kapitän und jemand aus seiner Mannschaft war über Bord gegangen. Natürlich rannte er los.
Auf der anderen Seite angekommen sah er jedoch niemanden. So riss er den Blick wieder zum Ausguck empor. Falls der Mann dort oben etwas zeigte, ging es in der Dunkelheit unter. Aber man hörte ihn rufen: "Dort unten, direkt vor dir!" Er erkannte den Kapitän nur an seinem Hut. Niemals zuvor hatte Caleb sich das Licht der Sonne mehr herbei gesehnt. "Madi!", brüllte er nach ihr und packte sich ein Seil, das er sogleich um seine Hüfte band. Er verzog das Gesicht, als der Strick offensichtlich direkt auf der Wunde zum Liegen kam.
Erste Matrosen rannten an Deck. Im nächsten Moment wurde eine Tür aufgerissen und unter einem lauten Krächzen, das irgendwie nach "Nimmermehr!" klang, rauschte ein schwarze Schatten hinaus und in den Nachthimmel. Der Rabe Corax drehte seine Kreise, um zu sehen, was geschehen war. Jetzt hallten seine Schreie ungehindert über die gesamte Blaue Möwe hinweg. "Azuuuuuuraaaaaaaa!", krächzte er, was Caleb nur noch mehr mobilisierte. Er hatte so eine Ahnung.
"Haltet mich fest", befahl er allen, die nah genug an ihm heran waren und warf ihnen das Ende des langen Seils zu, das er sich um die Hüfte gebunden hatte. Dann sprang auch er. Ein zweites Mal platschte es. Ein zweites Mal unterschätzte ein Körper die eisige Kälte der See. Ein zweites Mal brachte jemand Ventha ein Opfer dar...

"Ich sende dir ein Bild in deinen Geist", sprach jemand mit einer sehr hallenden Stimme, dass es fast einem Echo gleich kam. "Nein, du brauchst nicht extra erscheinen. Ich mach das schon. Du hast genug zu tun. Erst einmal. Aber richte deine Aufmerksamkeit ein bisschen auf das, was du vor deinem geistigen Auge siehst. Dann lernst du was. Vielleicht sagen Bilder mehr als tausend Worte oder ein Äonen alter Schädel, ha!"
Schwärze umgab Azura und die Kälte hatte ihr jegliches Gefühl für ihren Körper geraubt. Aber diese eine Stimme konnte sie noch hören, ohne dass sie in der Lage war, ihr ein Gesicht zu geben. Jenes tauchte Sekunden später direkt vor ihr auf, dass es ihr den Atem verschlug. Moment einmal! Sie befand sich unter Wasser. Sie konnte gar nicht atmen! War dieser bleiche Mond mit den glühenden Sternen in den Augenhöhlen etwa...?
Das Skelett schob den Schädel unter der Kutte aus reinster Finsternis etwas nach vorn. Die Seelen der Verblichenen glommen als winzigste Funken in den tiefen Kavernen seiner Augenhöhlen auf. Azura würde dieses Schicksal teilen und es gab nun kein Zurück mehr. Sie hatte sich für diesen Weg entschieden. Es war vorbei.
"Hallo", grüßte der Gevatter und auch wenn sich Azura nicht länger unter Wasser befand, so schwebte sie doch im Raum. Sie konnte weder festen Boden unter sich, noch etwas Greifbares um sich herum spüren. Auch die Kutte des Todes löste sich in schwarzen Rauch auf, wenn sie danach fasste. Das hieß, falls sie es überhaupt wagte. Dieser gewaltige, bleiche Schädel wirkte schon sehr einschüchternd. Kein Wunder, dass seine Stimme so stark hallte. Der Knochen musste innen gänzlich hohl sein.
"Du kannst von Glück sprechen, dass die See so kalt ist. Da ging alles sehr schnell und schmerzfrei. Du weißt, wo du bist?" Er wartete einen geraumen Moment lang. Azuras Antwort konnte aber nichts an seinem Monolog ändern. An dieser Stelle könnte der Gevatter auch wieder lernen, etwas zurück zu rudern. Die Ewigkeit hatte ihn vergessen lassen, dass es manchmal sinnvoll war, auf andere einzugehen. "Du weißt auch, was nun passiert? Ich begleite dich auf deinem letzten Weg. Keine Sorge, der Schmerz bleibt zurück ... wie du siehst."
Mit einer langen, dünnen Knochenhand, die Azura zwangsläufig an die Glieder von Stumpelrilzchen und den anderen Schauergestalten erinnern musste, wies der Gevatter über sich. Dort befand sich aber auch nur Schwärze. Nein, sie war etwas heller und von einem Blau durchzogen, das beinahe schwarz war. Davor kreiste ein kleiner Schatten mit geplustertem Gefieder. Er schrie. Sie konnte ihn nicht verstehen und doch wusste sie, dass es ihr Name war. Der Schmerz strömte in zählflüssigen Bahnen zu ihr herunter. Sie konnte ihn beinahe schmecken. Da wischte Tod ihn mit der Skeletthand zur Seite, ehe er Azura einnahm. "Ich sagte ja, er bleibt zurück. Jetzt ist es ohnehin zu spät, noch etwas zu ändern. Außerdem glaube ich, dass auf dich kein schlechter Ort wartet. Wenn ich nur an das reiche Bankett denke, wünsche ich mir einen Magen zurück." Er grinste. Nun, er war auch ein Schädel, die grinsten immer.
Plötzlich reichte der Gevatter Azura die Knochenhand. "Es ist mehr symbolisch. Du brauchst nicht zuzugreifen, aber die meisten Seelen wünschen es sich, dass ich sie auf diese Weise führe. Komm mit. Es ist nicht sehr weit."
Ein erstickter Schrei durchbrach die Kutte des Gevatters. Es war kein rabenhaftes Krächzen, ja nicht einmal Azuras Name. Vielmehr war es der Laut einer weiteren Seele, die die Kälte der See in den Hintergrund gerückt hatte, um jemanden zu retten ... und dabei vergessen hatte, wie dumm diese Aktion eigentlich war. Tod seufzte. "Manche sind sinnlos. Ihr beide zählt dazu", sagte er ohne Vorwurf in der hohlen Stimme. Es war einfach nur eine Feststellung.
Vor Azura bildete sich der Schatten eines erwachsenen Mannes. Rote Sterne verließen seine Hüfte, während seine Konturen immer schwächer leuchteten. Tod hob seine Hand von Azuras fort. Über den Knochen bildete sich ein Stundenglas, in das er hineinschaute und den Kopf schüttelte. Aber es war nicht an ihm, die Entscheidungen der Stebrlichen zu verurteilen. Er würde sie lediglich führen. Dass er nun sofort doppelt zu tun hatte, kam ... unerwartet.
"Also gut", richtete er die Stimme an Azura. "Warte noch einen Moment, bis ich auch ihn eingesammelt habe. Naja. Wir haben ja Zeit."

"Haltet das Seil!" Briggs hatte schon das Tau gepackt. Dass ihm die Hose auf Höhe der Kniekehlen gerutscht war und er nun in einer mehr als ramponierten Unterhose dastand, ignorierte er. Wenn niemand das Seil festhielt, würde man Caleb nicht wieder an Bord zurückziehen können.
"Das ist Wahnsinn. Sie werden beide erfrieren", kommentierte Jakub, der ebenfalls an Deck gekommen war. Trotzdem packte auch er das Seil. Und über ihnen kreiste der Rabe wie ein unheilvolles Omen. Immer wieder krächzte er Azuras Namen oder schickte ein gequältes "Nimmermehr!" hinterher.
"Ist das der Fluch des toten Elfenzauberers?", fragte einer der anderen Matrosen und sah auf. Briggs maulte ihn an, lieber das Seil zu halten. Jakub nickte. "Er wird niemanden retten, sondern nur erfrieren. Zieht ihn raus!", befahl er den Männern und auch wenn er durch seine Rolle als Kapitän ein großes Maß an Gunst verloren hatte, jetzt hörten die Männer auf ihn.
"Hoffentlich ist es noch nicht zu spät", knurrte Briggs. Er musste rufen, um das Gekrächze über seinem Kopf zu übertönen. "Er wird erfrieren. Schneller!" Da stob der Rabe gen Deck, rauschte über die Versammelten hinweg und erreichte sein Ziel. Wie schon zuvor kam Corax auf Madihas Schulter zum Landen. Er verkroch sich sofort an ihrem Hals. Sein Gefieder war aufgeplustert und auch wenn es Raben im Grunde nicht möglich war, keuchte er geradezu panisch. Sein Zittern ging auf Madihas Haar über. "Zu schwach, bin zu schwach", brachte er unter halb ersticktem Krächzen hervor. "Kann nichts tun. Nimmermehr ... immer mehr ... kraaahh!" Wenn Madiha ihn nun nicht auffing, fiel er wie ein Klumpen aus Federn auf das Deck und blieb dort liegen. Damit wäre er nicht nur eine Gefahr für sich selbst, sondern auch für die weiteren Matrosen, die nun an Deck stürmten und auf alles achteten außer auf einen kleinen Vogel, der mit aller Kraft versuchte, seine Gestalt zu wahren ... weil der über Bord gegangene Kapitän ihm geraten hatte, sich nicht als er selbst an Bord zu zeigen.

Besagter Kapitän nahm seinen Hut vom Kopf und blickte dem Skelettschädel entgegen. Beide grinsten einaner an. Calebs Mund war jedoch schief und die Unsicherheit konnte die Erkenntnis kaum überspielen. "Scheiße", sagte er, fuhr sich mit einer Hand in den Nacken und korrigierte: "Äh ... ich bin Caleb. Tot, schätze ich?"
"Tod. Das bin ich. Tot ... ja, das bist du. Ihr beide." Er stob ein wenig zurück, damit Azura und Caleb einander sehen konnten. Sie waren beide nur noch Schatten ihrer selbst, die Konturen ein nebelhaftes Schimmern. Caleb schaute die Adlige in einer Mischung aus Traurigkeit, Ratlosigkeit und seinem arglosen Grinsen an. Schon hatte er die Frage nach dem Warum auf den Lippen, da unterbrach ihn der Gevatter mit erhobener Hand. "Ihr müsst euch bei mir nicht gleich wieder streiten. Diese Zeiten sind ohnehin vorbei." Er streckte beiden die Knochenhände hin. "Na kommt. Auf euch wartet die Ewigkeit. Sie ist geduldig, so wie ich. Aber mein Schüler ist es nicht und ich glaube, ich sollte ihm bald wieder zuhören."

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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 22. Oktober 2022, 23:55

Warum nur fehlte ihr der Mut? Sie hatte endlich die Chance, ein klein wenig Glück in ihrem Leben zu erfahren. Was waren Worte denn nutze, wenn man sie nicht aussprechen konnte, wann man wollte? Madiha hatte Angst. Ihrem ganzen, zähen Wesen zum Trotz, schaffte sie es einfach nicht, dem Mann an ihrer Seite zu gestehen, dass er ihr so wichtig war. Wieso nicht? Was hielt sie denn auf? Vielleicht war ja ihr zerstörtes Selbstbild doch um einiges stärker, als sie bisher angenommen hatte. Jegliche Hoffnung auf eine andere Zukunft löste sich in Luft auf, weil ihr der Mut fehlte. Doch Madiha hatte schon seitjeher einen gewissen Willen besessen. Und sich jetzt dieser Hoffnungslosigkeit ergeben zu wollen, das kam nicht in Frage! Sie musste es nur aussprechen. Alles andere würde sich zeigen. Also drehte sie sich entschlossen zu ihm und begann endlich das zu sagen, was sie zu sagen hatte. Doch das Schicksal hatte gänzlich andere Pläne mit ihr. Etwas platschte. Und raubte ihr die Aufmerksamkeit für etwas, was ihr Leben hätte in eine neue Richtung wenden können. Abgelenkt von dem Geräusch, war auch Caleb auf einmal alarmiert. Und nur kurz darauf brach das Unheil über ihren Köpfen herein, als der Mann im Krähennest das Unglück hinausschrie. Madiha zuckte zusammen, ein kalter Schauer erfasste sie. Wer war denn über Bord gegangen?! Mit erschrockenen Augen sah sie zu, wie Caleb sich aus ihrer Nähe befreite und zum Ort des Geschehens wetzte. Sie brauchte deutlich länger. Madiha sah ihm nach und begann nur langsam den Kopf zu schütteln. Jede seiner Bewegungen alarmierte sie. Seine Schmerzen, die er haben musste, das Seil in seinen Händen, der Knoten, den er schnürte. Madiha wurde noch kälter. Er rief nach ihr, was sie endlich in Bewegung setzte. Madiha rannte auf ihn zu und Corax schürte eine klamme Erkenntnis. Azura! Sie war es, sie hatte sich über die Reling gestürzt. Madiha war entsetzt. Ihr Blick war nach oben gerichtet auf Corax, der leidend seine Kreise zog. Dann brüllte Caleb, sie sollten ihn festhalten: „Was?!“, stieß sie aus und schüttelte panisch den Kopf. „Nein! Caleb!!“, flehte sie voller Angst um ihn, doch er ließ sich nicht aufhalten. Madiha konnte nur mit wachsender Hilflosigkeit zusehen, wie der Mann, dem sie doch eben noch sagen wollte, wie viel er ihr bedeutete, vom Deck des Schiffes sprang. Madiha erstarrte.

Eben war er noch da, dann platschte es erneut. Das lose Ende des Seils folgte seinem Weg. Erschüttert reagierte sie langsam, doch bevor das Seil ebenfalls in die Tiefen des Meeres sinken konnte, waren da die Männer der Mannschaft. Madiha stand nur da und starrte auf die Stelle, an der das verwegene Lächeln verschwunden war. Wie in Watte gepackt, hörte Madiha die Worte von Briggs und Jakub. "Das ist Wahnsinn. Sie werden beide erfrieren“ Dazwischen Corax geisterhaftes Geschrei "Nimmermehr!" "Er wird niemanden retten, sondern nur erfrieren. Zieht ihn raus!" Madiha aber stand nur da und starrte. Alles in ihr wurde irgendwie leer und das Blut sackte ihr aus dem Gesicht. Dafür aber stiegen die Tränen an. Die Worte der Crew halfen ihr nicht, die Zuversicht zu bewahren. Sie kannten sich aus. Sie wussten, um die Tücken. Madiha wusste es nicht. Aber… Wieso fühlte sie sich dann so leer? Wo eben noch Freude und ein warmer Gefühlstaumel waren, war alles weg. Er war gesprungen. Einfach so… Weil er ein gutes Herz hatte und jedem in Not helfen musste. Aber… war ihr Wort nicht zu ihm durchgedrungen? Hatte sie ihm nicht noch vor Sekunden gesagt, er solle auf sich achten. Sie würde es ihm nicht verzeihen, wenn er sie allein ließe? Madiha spürte, wie etwas in ihr aufsteigen wollte. Es war ein bitterer, bitterer Geschmack. "Hoffentlich ist es noch nicht zu spät" Madiha’s Kopf ruckte zu Briggs. Was?! Zu..spät? Nein..! Das Kind der Wüste wollte gerade aus der Trance aufwachen, als ihr plötzlich etwas entgegenflog. Instinktiv hob sie die Hände und fing auf, was dort landete. Es war Corax. „Tu etwas!“, hörte sie ihre Stimme flehen und es klang seltsam in ihren Ohren. Noch immer starrte sie völlig verloren auf die Stelle, an der Caleb verschwand. „Tu etwas, Corax bitte!“, flehte sie weiter, doch der Rabe machte ihre Hoffnungen zunichte und fiel selbst völlig entkräftet von ihrer Schulter. Sie hielt ihn und presste ihn an sich. Sie hielt sich an ihm fest, während ihr Körper zu zittern begann. Madiha ahnte etwas, doch sie wollte das nicht zulassen. Das Unheil füllte ihren Körper und bemächtigte sich ihrer. Das Mädchen konnte nicht verhindern, dass sich ihre Augen füllten und die Tränen über ihre Wangen rann, wie unerschöpfliche Quellen. „Corax… bitte… hilf ihnen…“, flehte sie abermals, zog den kleinen Vogel aber an sich und wusste, dass er es längst getan hätte, wenn er gekonnt hätte. Madiha’s Herz wurde zu Zement. „Zieht ihn rauf…“, versuchte sie es mit belegter Stimme, bei den anderen. „Zieht ihn wieder rauf!“, wurde sie lauter und allmählich zitterte sie am ganze Körper. „Zieht ihn verdammt noch mal endlich rauf!!“, schnauzte sie energisch und war doch nur ein Häufchen Elend, das in sich ein Gefühlschaos barg, welches seines Gleichen suchte. Madiha war regungslos, bis auf die Tatsache, dass sie zitterte wie Espenlaub. Und dass ihr die Tränen liefen, ohne Unterlass. Ihr Herz drohte zu zerspringen, während sich ihre Finger in das Gefieder des Raben krallten, um irgendwelchen Halt zu finden. „zieht ihn doch endlich rauf…“, hauchte sie tonlos und plötzlich kam Bewegung in den dürren Körper, der noch vor einer Minute so glücklich gewesen war. Sie stürzte nach vorne an die Reling und beugte sich vor. „Caleeeeb!“, dehnte sie seinen Namen und rief so laut sie konnte. Die Dämme brachen. Sie weinte bitterlich und sank in sich zusammen. Madiha schluchzte ganz unverhohlen und sank an der Reling herab, brach zusammen und ließ Corax auf ihren Schoß sinken. Sie klammerte sich an das Holz und starrte zu den Männern. Warum zogen sie ihn nicht hinauf? Wieso dauerte es so lange…
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Sonntag 23. Oktober 2022, 09:42

Sie ahnte nicht, welch ein Missverständnis sich bei Corax abspielte, während sie selbst ebenso einem Irrtum aufsaß. Oh, wenn die beiden doch nur die Fähigkeit zum Gedankenlesen gehabt hätten! Oder einen Übersetzer, der ihnen ständig die Augen darüber öffnete, wie es der jeweils andere meinte. Dem war aber nicht so und dadurch konnte es zur wahren Tragödie kommen. Nicht zu jener, zu der ihr Leben verkommen war seit dem Überfall auf ihre Heimatstadt. Nein, zu jener einen, endgültigen, in der all ihre Gedanken letzten Endes gipfelten.
Sie ging zur Reling und der Anblick der Wellen gaben ihr den Einfall, der im wahrsten Sinne des Wortes ihr Leben auslöschen würde. Noch zögerte sie zwar, jedoch nicht lange genug, um davon abgehalten zu werden oder gar selbst auf die Idee zu kommen, es nicht zu tun. Also kletterte sie über das schützende Holz, empfahl sich der Göttin des Meeres an... und sprang.
Laut klatschte es, als sie auf die eisige See traf, die ihr sämtliche Luft aus den Lungen presste, auch ohne unter der Oberfläche zu sein. Instinktiv schnappte sie gierig danach und strampelte ein wenig, bis ihr klar wurde, wie sinnlos das war. Sie wollte schließlich untergehen! Trotzdem gab es noch einen Rest Lebenswillen in ihr, bis sie diesen bewusst losließ und somit immer tiefer in die Tiefe sank, mit dem Wunsch, es möge nun wenigstens schnell gehen, ihr ihr liebstes Element einen letzten Gefallen tun.
Tatsächlich war es derart rasch vorbei durch die Eiseskälte, dass sie, wenn sie nach oben geblickt hätte, nichts mehr erkennen konnte, was zu ihrer Rettung übernommen wurde. Oder gar dumpf den Schrei eines Raben gehört, der weit über ihr erklang. Nein, sie umfing dichteste Schwärze und eine Stille, die regelrecht wohltuend war, denn selbst ihre Gedanken hörten einen Moment lang auf in ihrem Kopf zu kreisen.
Bis plötzlich eine Stimme diese selige Ruhe durchbrach. Wie viel Zeit wohl bis dahin vergangen war? Sicherlich nicht mehr als ein Wimpernschlag! Und dennoch... alles hatte sich verändert.
Das Bild vor ihren Augen fing an, sich allmählich zu klären, die Dunkelheit wurde verdrängt und vor ihr erschien ein... Knochenschädel! Azura erschrak leicht bei diesem Anblick, wenngleich nicht dermaßen, wie es wohl früher der Fall gewesen wäre. Früher... in ihrem alten Leben...
Dieser Gedanke blitzte auf und sorgte dafür, dass sie sich voller Traurigkeit fühlte, wenngleich kein Bedauern darüber, dass dies nun vorbei war. Wobei... ihr wirklich altes Dasein war längst vergangen gewesen und das darauf folgende... hatte sie bisher geführt. Was würde also jetzt folgen?
Die junge Frau blinzelte kurz und tat etwas seltenes: sie wartete ab. Bei seinem Gruß war es ihr noch nicht möglich zu sprechen, dazu musste sie sich erst einmal in ihrer neuen Lage einfinden, also deutete sie lediglich ein knappes Nicken als Erwiderung an.
Langsam wanderte ihr Blick umher, wollte erfassen, wo sie sich befand, denn unter Wasser war es nicht mehr. Die eisige Kälte war verschwunden und auch fühlte sich nichts mehr nass an. Trotzdem hatte sie kein Gefühl unter den Füßen, ganz so, als würde sie schweben. Was mochte das sein?
Wieder erklang die Stimme und allmählich sickerte eine Erkenntnis in ihr Denken. Tot... sie war tot! Es war also tatsächlich geschehen, sie hatte diesen einen letzten Schritt gewagt und niemand hatte sie rechtzeitig gerettet. Lautlos seufzte sie betrübt und fühlte dennoch keine Reue. Wozu auch? Was hätte sie sonst in ihrem Leben noch erwartet außer Mühsal und Traurigkeit und Schmerz?
Langsam kehrte ihr Blick ebenfalls zu dem Gerippe zurück und sie musste schlucken, um ein aufkeimendes Unbehagen nicht zu rasch aufsteigen zu lassen. "Ich... ich denke schon...", murmelte sie leise und war sich dennoch nicht vollkommen sicher.
Da wies die Gestalt nach oben und ihr Schauen folgte der Geste. Über ihr war ein Blau, dunkel und zugleich wunderschön, dahinter allerdings zeichnete sich ein kreisender Schatten ab, der voller Schmerz etwas rief. Sie konnte es nicht hören und war trotzdem davon überzeugt, was es sein würde, nämlich ihr Name.
Kurz wurde ihre Miene traurig. "Leb wohl...", wisperte sie in dem Bedürfnis, zumindest auf diese Weise einen allerletzten Abschied von ihm nehmen zu können, auch wenn er es niemals hören würde.
Schon plapperte es vor ihr wieder los und lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Gestalt. Das Bedauern, Corax nie wieder umarmen, riechen und schmecken, ja, mit ihm ordentlich streiten zu können, war weiterhin vorhanden. Und dennoch... Es war nicht zu ändern und sie wollte es auch nicht.
Stattdessen nickte sie langsam, als ihr ein weiterer Gedanke kam. Gerade wollte sie den Mund öffnen, als eine dargereichte Hand sie leicht zusammen zucken ließ. Sie starrte ungläubig darauf und brauchte ihre Zeit, dann hätte sie vermutlich tatsächlich sie ergriffen. Doch plötzlich veränderte sich etwas.
Ein Schrei erklang und lenkte ihn ab. Mehr noch, er kommentierte etwas und wählte dabei Worte, die sie zusammen fahren ließen. Sie wandte den Blick ab und umarmte sich selbst.
Sinnlos... War das selbst im Tod noch ihr Los? War sie sogar hier unerwünscht und frei von jeglichem Wert?!
Fest presste sie die Lippen aufeinander, als ein Schatten vor ihren Augen entstand und sich zu einer Gestalt formte, die sie weder erwartet, noch erwünscht hatte. Was sollte das...?
Ihre Augenbrauen hoben sich leicht an und sie verschränkte die Arme vor der Brust, als deutliches Zeichen der Ablehnung. Erst recht, als er sich ihr zuwandte und etwas sagen wollte. Wie gut, dass das Gerippe ihm zuvor kam, sonst hätte ihr die ein oder andere Erwiderung durchaus auf der Zunge gelegen.
Also drehte sie sich lieber von ihm weg und konzentrierte sich auf dieses unheimliche Wesen. Sie gab sich einen inneren Ruck und ergriff die knochigen Finger. "Werde ich meine Eltern wiedersehen?", entkam ihr nun doch jene Frage, die sich vorhin schon in ihrem Kopf zu formen begonnen hatte.
Vielleicht gab es ja letzten Endes doch noch einen Sinn in ihrer Verzweiflungstat und so könnte den Mut sowie die Reife finden, sich bei ihnen zu entschuldigen. Womöglich lebten sie noch, dann würde sie fragen, wie sie ihnen eine Botschaft zukommen lassen könnte, gewohnt, ihre Wünsche zu äußern und erfüllt zu bekommen. Und wenn nicht...
Was hatte dieses Ding erst eben gesagt? Sie hatte die Ewigkeit... Eventuell wäre sie wenigstens bei diesen Beiden nicht vollkommen unerwünscht und kein... Missgeschick.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Sonntag 23. Oktober 2022, 13:13

Gevatter Tod streckte seine bleichen Hände aus der Kutte heraus, die um die einzelnen Knochen wie eine Mischung aus Rauch und Nebel umher waberten. Geduldig wartete er darauf, dass sie ergriffen wurden, damit er die beiden Seelen mit sich nehmen konnte. Wie sinnlos er noch immer deren Tode empfand, aber er sprach es nicht an. Wie oft hatte er seinem Lehrling schon erklärt, dass sie beide weder bösartig waren noch das Recht hatten, über die Entscheidungen der Sterblichen zu richten. Die eine Seele hatte ein vorzeitiges Ende nehmen und die andere hatte sie retten wollen. Er würde beide in das Reich mitnehmen, das sie sich jeweils vorstellten. Bei Azura hatte er bereits einen Blick hineinwerfen können. Sie würde ihre Ewigkeit in einem Palast verbringen, mit weiten paradiesischen Gärten, Heckenlabyrinth, Pavillons und seltsamerweise auch einer heißen Quelle als romantisches Zentrum. Auf sie warteten Feste, Tanzabende und Luxus. Caleb wiederum... Tod blickte den Mann an, der seines Erachtens nach ebenfalls zu früh von Celcia geschieden war. Doch er hatte es so gewollt. Nein, er hatte die junge Frau retten wollen, aber wie so oft vergaßen Helden dabei, dass sie nur in den Geschichten mit der Hand der Prinzessin davon kamen. Zumal die seine auf der anderen Seite wartete, während es ihr Herz beinahe vor Trauer und Angst zerriss. Gleiches galt für den Raben, den er schon einmal wieder zurückgeschickt hatte. Eine zweite Chance, dieses Mal ohne die Liebste, aber so geschah es manchmal. Jetzt war es Zeit zu gehen.
"Werde ich meine Eltern wiedersehen?"
Der Gevatter neigte sich herab. Unter der Kutte knackten Knochen, ohne zu brechen. Er musterte Azura eingehend. "Mal sehen ... Azura ... van Ikari." Der Schädel wiegte sich leicht von einer auf die andere Seite. "Irgendwann vielleicht, aber nicht heute." Dann wandte er sich dem zweiten Verstorbenen zu und gab auch ihm Antwort, ehe er gleich Ansprüche stellen konnte. Doch Caleb hob nur beide Hände an. Er wollte es gar nicht erfahren. Zu spät. "Caleb Tjenninger ... nein, Caleb van Tjenn zuletzt. Deine Elt-"
"Nur Caleb und mich interessiert mehr, ob ich wieder zurück kann." Er lächelte verschmitzt. Bei anderen hätte es eine entwaffnende Wirkung gehabt, aber mit Tod machte man keine Geschäfte. Er richtete sich wieder auf und meinte sachlich, vielleicht etwas herzlos: "Du hast das Ende gewählt, dann gibt es kein Zurück mehr."
Erstmals entgleisten Caleb die Gesichtszüge. Er warf den Kopf herum und blickte nach oben, wo inzwischen kein schwarzer Fleck mehr kreiste. Trotzdem suchte er den beinahe gleich dunklen Himmel nach Anzeichen von Leben ab. "Aber sie hat mich gebeten, sie nicht allein zu lassen." Sein Kopf fuhr herum. "Sie wird mich umbringen, wenn..."
"Oh, auch dafür ist es zu spät", entgegnete der Gevatter. "Ihr hättet euch vorab verabschieden müssen. Jetzt geht es nur noch in eine Richtung. Ich weiß, das klingt sehr ernüchternd, aber so ist es nun einmal. Die Lebenden sind für euch nicht mehr von Belang. Ihr lasst sie und alles andere nun zurück. Also dann, es ist Zeit aufzu-"
"Nicht so schnell!"
Schon zum zweiten Mal binnen kürzester Zeit wurde der Gevatter unterbrochen. Dieses Mal war es aber nicht die Stimme eines Sterblichen, die ihm kaum etwas entgegenzubringen vermochte, wenn er es nicht wollte. Dieses Mal stürmte ein Orkan von einer kraftvollen, dennoch schönen Frauenstimme herbei und zerfaserte sein Satzende wie ein dünnes Blatt in einem Tornado. Ähnlich betrat die Besitzerin dieser Stimme auch die Bühne. Ihre Schritte waren Donner und jedem Schlag eines ihrer mit Muscheln besetzten, hoch hackigen Schuhe aus reinem Silber folgte ein Aufblitzen des Metalls, dass es sich durch die gesamte Finsternis von Tods Kutte zog. Ihr gerafftes Gewand waren Fluten. Wo der Stoff aus schäumendem Wasser Falten schlug, da bauten sich Wellen auf und brachen an ihren schlanken Beinen, die so perlmuttfarben waren wie Perlen. Eine Kette aus solchen trug sie um den Hals, ein Armband an der Linken und ihr Haupt zierte eine solche Krone, welche zusätzlich mit Seesternen verziert war. Ihr Haar, das an schwarzen Seetang erinnerte, zierten winzige Korallenäste, weiße Möwenfedern und kleine Bernsteine, die sich teilweise mit den Strähnen selbst verbunden hatten. Sie glühten in tiefem Orange, doch nichts konnte man mit ihrem eigenen, sturmgrauen Blick vergleichen. Darin wüteten Gewitterwolken, die Blitze nicht nur auf den Gevatter warfen, sondern auch auf Azura und Caleb, als sie beide musterte und ihre schlanken Hände in die Hüften stämmte. Ein Delfin sprang aus der Wellenschleppe ihres Kleides, ließ Schaumkronen aufspritzen und verschwand wieder in den Tiefen. Weitere Fische tanzten um den Leib innerhalb des Kleides, von dem man alles und doch nichts sah. Ein winziger Krebs hielt sich mit seiner Schere am unteren Ende einer Haarsträhne fest. Jedes Mal, wenn die Frau den Kopf bewegte, drohte er, hinabzufallen, konnte sich im letzten Moment aber immer noch halten.
Gevatter Tod blickte unbeeindruckt drein, was das Temperament der Hinzugekommenen nur noch mehr schürte. Sie fauchte ihre Stimme in den Wind, dass er drohte, Caleb und Azura umzureißen. Der Kapitän packte rechtzeitig zu und zog die Adlige an sich, um ihr Halt zu geben - ob sie wollte oder nicht. Derweil erhob sich die Stimme der Fremden zu einer heftigen Böe, die Tods Kutte aufwirbelte: "So lässt du sie nicht davonkommen. Diese Gläubige hat es gewagt, mich für ihren Abgang zu missbrauchen. Das lasse ich nicht auf mir sitzen! Ständig schreien sie von Unglück und dass sie sich der See opfern. Niemals wird die unsagbar schöne Weite gewürdigt. Ich bringe Leben auf trockenes Land. Ich verteile die Saat, die das Paar von Flora und Phauna heranzüchtet, aber spricht darüber jemand? Nein, wieder nur hat sich die See eine Seele genommen mit ihren eiskalten Wellenkrallen und ihrer skrupellosen Tiefe!" Die Fremde klagte, während ihr ganze Ozeane aus Tränen die Wangen herab liefen. Wo immer Caleb und Azura sich befanden, es schmeckte salzig. "Ich lasse mich nicht dafür verantwortlich machen! Wirf sie zurück oder was auch immer, aber dieses Mal nicht mit mir, Gevatter! Du hast bereits ein halbes Dutzend Seelen erhalten. Ich werde ja praktisch zugemüllt mit Sterblichen. Es reicht! Wenn du nicht willst, dass ich das ganze Schiff versenke, dann überlass sie mir, damit ich sie zurück an ihr Holzdeck spucken kann." Sie berührte in theatralischer Geste ihre Stirn und wurde gar melancholisch, wiegte sich plötzlich hin und her, dass Caleb nur hypnotisch gebannt auf ihre Gestalt starren konnte. "Oh, wie hätte es schön sein können, als der Zauber diese Gläubige durch meine Welt tauchen ließ, zusammen mit dem anderen. Das hab ich gern gesehen. Oder sie gegrüßt, als sie so traurig aus dem Fenster der Kabine auf mich hinab blickte. Ich hab die Wellen extra ruhig rauschen lassen. Warum kann ich das nicht haben? Warum nicht? An Land wird mein Liebster ständig bejubelt, wenn er nur den halben Tag lang auf sie herab lächelt, aber kaum schicke ich einen wohligen Regenguss, da verschwinden die Sterblichen in ihre Häuser und maulen herum, wie hässlich es doch draußen geworden ist."
"Beruhige dich", kommentierte Tod vollkommen tonlos. Das hätte er nicht tun sollen. Die wässrige Schönheit verwandelte sich in eine stürmische Furie. Ihre Haare wehte es in alle vier Himmelsrichtungen und dieses Mal stoben wirklich Blitze aus ihren Augen. Ihre Tränen fuhren nach oben, um als Hagel auf sie alle herab zu prasseln. Wären Caleb und Azura nicht bereits tot, hätte es sehr schmerzhaft werden können. Tods Schädel gab ein mehrfaches Klackern von sich, als die kalten Eistropfen ihn trafen.
"Es ist gut, hör auf", gemahnte er. "Ich möchte kein Loch in meiner Schädeldecke haben. Dann klettern da nur wieder die Mäuse hinein."
"Dann erfülle meine Forderung."
"Ich kann nicht. Ich bin nur der Diener des Lebens. Ich entscheide nicht darüber." Er verneigte sich vor der Gewittrigen, die sofort eine Faust empor riss. "LEBEN!", schrie sie, dass es donnerte, blitzte und sich die Umgebung zu einem Wald aus grauen Wolken erhob. "Mach deinem Namen Ehre, du verdammtes Scheusal!"
Und dann wurde es schwarz ... und kalt ... und nass...

Bis zum Morgengrauen würde es noch ein paar Stunden andauern. Noch immer war die Nacht kalt, aber nichts ließ sich mit der Kälte vergleichen, die sich wie ein Leichentuch über Madiha gelegt hatte. Sie betäubte alles in ihr, dass sie gar nicht mehr glauben mochte, dass ihr eigenes Herz noch schlug. Ob Caleb sich jetzt so fühlte? Das Wasser war eisig.
Mit Corax zwischen ihren Fingern, dass der Rabe richtig gequetscht wurde, wandte sich das Mädchen endlich ebenfalls der Reling zu. Dort hatten inzwischen mehrere Männer das Tau gepackt und zogen daran. Trotzdem dauerte es quälend lang. Jakub neigte sich über den Rand des Schiffes und sah in die Tiefe. Die Laterne, welche er hielt, vermochte nicht, auch nur den kleinsten Teil der See zu erhellen. Unnachgiebig schlugen die Wellen gegen den hölzernen Rumpf. Ihr Rauschen drang in Madihas Ohren. Es war wirklich nur Rauschen. Kein Rufen, keine Schreie, nicht einmal ein Schmerzenlaut. Nichts war ihr von Caleb geblieben. Und auch Corax hatte nur noch sich selbst. Er reckte den Schnabel zu Madihas Hand, pickte sachte, damit sie ihn nicht zu fest drückte, aber es war nur halbherzig. Auch in ihm war gerade etwas zerbrochen. "Nimmermehr, nimmermehr", krächzte er. Niemand achtete auf ihn. Niemand achtete auf Madiha, die immer hysterischer verlangte, man möge Caleb doch endlich emporziehen. Die Männer hatten auch so genug zu tun.
Es dauerte so schrecklich lange ... zu lange, als dass ein Herz die damit schwindende Hoffnung ertragen konnte oder sich mit der harten Erkenntnis auseinandersetzen musste, dass niemand so lange die Luft anhalten könnte. Mit zwei großen Schritten war das Kind der Wüste neben Jakub an der Reling, beugte sich darüber und schrie: „Caleeeeb!“
"Azuuuuuuuraaaaaaaa!", schrie der Vogel zwischen ihren Fingern.
Nichts. Nur das Rauschen der tanzenden Wellen, das seichte Poltern des Schiffes und das Knarren des Stricks, der von den Männern weiter empor gezogen wurde. So klang die Nacht, wenn sie zwei Leben nahm. Jakub lehnte sich zurück und legte den Kopf in den Nacken. Seine Hand drückte sich an Madihas Rücken, wo er den Stoff ihres Hemdes griff und sich daran klammerte. Er versuchte nicht, ihr Halt zu geben. Er suchte selbst welchen. Die Fronten zwischen ihm und Caleb mochten zuletzt etwas verhärtet gewesen sein und zu Azura hatte er keine Sekunde lang ein gutes Verhältnis aufbauen können, aber auch dieser Mann hatte gerade zwei Besatzungsmitglieder verloren. Noch zwei.
Briggs sah zum Ersten Maat herüber. Er zerrte wie die übrigen Seemänner weiter am Seil, aber dann erhob er die Stimme. Er sang:

"Sag mir Lebwohl mein Herz, tra-lala, la-lala-la
Auch wenn der Abschied schmerzt, bleibe ich dir immer nah
Jetzt keine Träne mehr, tra-lala, la-lala-la
Ich weiß, es fällt dir schwer, doch im Herzen bin ich da

Komm und sing dein Lied für mich, sing für meine Seele
Komm und sing dein Lied für mich, sing für meine Seele"

Plötzlich stimmte auch Kerf ein, dann ein weiterer Seemann und schließlich sangen sie alle mit kräftigen Männerstimmen:

"Tribute für das Meer, tra-lala, la-lala-la
Alles geb ich her, Venthas Kind für immer dar
Tribute für das Meer, tra-lala, la-lala-la
Meine Seele geb ich her, in Venthas Heer für immer dar

Sing nochmal dein Lied für mich, sing für meine Seele
Sing nochmal dein Lied für mich, sing für meine Seele"

Der Chor hob an, wurde prächtiger und lauter, bis er das Wellenrauschen übertönte. Und mit jedem weiteren Mal, da die Matrosen den Refrain wiederholten und so für die Seelen aller sangen, die Teil von Venthas Heer geworden waren, zogen sie das Tau ein Stück weiter empor. Plötzlich brach etwas durch die Wasserobferfläche. Corax, der den Blick nicht von den Fluten gelöst hatte, krächzte lauthals in den Gesang hinein: "Daaaa, daaa, krah krah, Azuuuraaaaaaa!"
Nun beugte auch Jakub sich wieder über die Reling. "Der Vogel hat Recht, da ist etwas. Zieht weiter!" Der Gesang verstummte. Umso kräftiger zogen die Männer nun an und nach und nach bargen sie zwei Gestalten aus dem Wasser. Wie Caleb es geschafft hatte, Azura in den Tiefen überhaupt zu finden und nun auch noch immer zu halten, obwohl er selbst vollkommen reglos schien, wusste nur die Meeresgöttin selbst. Endlich tauchte sein Kopf - ohne Hut - über der Reling auf. Jakub packte den klatschnassen Leib und hievte ihn an Bord. Briggs ließ das Tau los, um zu helfen und Kerf griff auch nach der schlankeren Gestalt von Azura. Beide wurden sofort auf die Planken gelegt und schnell untersuchte man sie. Aller Augen waren auf die Leiber gerichtet.
Corax konnte sich nun nicht mehr halten. Er pickte Madiha so fest in den Finger, dass sie ihn zwangsläufig loslassen musste. Schon hoppste er mit aufgeplusterten und wild abstehenden Federn auf Azura zu, landete auf ihrer Brust und neigte den Kopf dicht an ihr Gesicht. Er betrachtete sie, dann zupfte er an ihrer Lippe und kratzte sacht ihre Haut, ohne wirklich Spuren darauf zu hinterlassen. "Azuuuuuraaaa!", krähte er in die Nacht hinein, ehe einer der Matrosen ihn harsch beiseite wischte. Die Frau wurde angehoben, aber bei ihr fiel die Reaktion ähnlich aus wie bei Caleb, den man nun wieder zurück auf die Planken ließ: Kopfschütteln und hängende Schultern.
"Da rührt sich nichts", teilte einer der Männer den Versammelten mit und sofort herrschte betretene Stimmung.

"Ich hab dir gesagt, du sollst sie zurückschicken." Die Göttin von Meer und Sturm stampfte erneut mit dem Hacken ihres Schuhs auf. In Tods Domäne donnerte es, aber nur in ihren Augen zuckten die Blitze. Inzwischen hielt sie die Arme vor der wohlgeformten Brust verschränkt, deren Vorzüge nur durch winzige Muscheln in einem Korallgewirr bedeckt wurden. Ein bunt schillernder Fisch verschwand in der Mulde beider Hügel.
"Und ich sagte dir, das kann ich ohne Erlaubnis nicht tun", erwiderte der Gevatter.
"Ich werde so lange nicht gehen, bis das ausdiskutiert ist."
"Du meinst, bis du deinen Willen hast."
"Exakt."
Wo andere mit den Augen gerollt oder entnerft aufgestöhnt hätten, blieb Tod ganz ruhig. Einzig der Gedanke, eine temperamentvolle Furie wie Ventha persönlich möglicherweise für die Ewigkeit hier warten zu haben, behagte ihm nicht. Die Ewigkeit dauerte nämlich sehr, sehr lange und dass Venthas Geduld mehr als kurz war, hatte sie bereits bewiesen. "Ich erkundige mich", schlug er vor. Dann blickte er zu den Verstorbenen, um die es schließlich ging. "Bis dahin befindet ihr euch gewissermaßen in einem Zwischenstadium. Ihr könnt sehen und hören, was ihr zurückgelassen habt, aber euch nicht mit Worten oder Gesten verständigen. Nicht, bis die Situation geklärt ist. Wie lange das dauern wird, kann ich nicht sagen."
Ventha stieß ein Schnauben aus. Der Herr über die Zeit wusste nicht, wie lange es dauerte! Sie begann, mit ihrem Fuß zu trippeln. Tod zog sich in die Dunkelheit zurück. "Ich bin bald wieder da. Beschäftigt euch. Genießt etwas von dem gepufften Mais." Das Skelett verschwand. Dafür erschienen drei hohe Lehnstühle und ein Tisch, auf dem eine Schale mit Puffmais stand. Ventha griff grimmig zu und wirbelte anschließend einen Teil ihres Gewandes auf, der aufrecht stehenblieb, so dass man die Welt der Lebenden wie durch ein wässriges Fenster beobachten konnte. Caleb und Azura sahen sich selbst. Sie sahen die Mannschaft und auch Madiha und Corax in Rabengestalt. Sie hörten, was an Bord gesprochen wurde. Sie konnten nur nicht erwidern. Dafür sahehn sie aber auch, was der Mannschaft der Blauen Möwe jetzt erst gewahr wurde.

"Jakub", rief Briggs, der neben den Geretteten kniete. Er zeigte auf Azuras schlanken Hals und dann auf Calebs Adamsapfel. Jener hob sich ein wenig, genauso wie die Brust der Adligen. Sie atmeten noch, beide. "Aber sie wachen nicht auf. Was sollen wir jetzt tun?"
Jakub erkannte, dass er ohne einen aktiven Kapitän erneut in die Rolle des Wortführers fiel. Sein Gesicht versteinerte sich. Er schob beide Hände auf den Rücken und suchte Madihas Blick. "Ich lasse dir die Entscheidung", sagte er. Bevor es wieder zu einer Meuterei kommen konnte, wies er die Verantwortung lieber der einzig Hinterbliebeenen zu. Der Rabe des toten Elfenzauberers zählte schließlich nicht.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Sonntag 23. Oktober 2022, 14:36

Für stand unumstößlich fest, dass sie den Pfad, den sie betreten hatte, nicht mehr verlassen oder zurück gehen könnte. Wozu auch? Was erwartete sie schließlich dort, wo sie hergekommen war? Nichts und niemand, der sie so würdigte und so behandelte, wie sie es sich erträumt hatte. Oder zumindest nicht so lange, wie sie es sich erträumt hatte. Also wollte sie nach vorne sehen.
Das beinhaltete auch einen Gedanken, den sie aussprach, als sie nach ihren Eltern fragte. Die Antwort erklang zuerst recht vage, ehe sie fortgeführt wurde und sie aufhorchen ließ. "Nicht heute? Heißt... heißt das, sie... sie könnten...?" Azura brachte es nicht über die Lippen und zugleich spürte sie eine große Erleichterung sie durchfluten.
Sie selbst mochte tot sein, dank ihres eigenen Tuns. Aber zu hoffen, dass ihre Eltern es noch nicht wären... Oh, wie hoffte sie, dass diese rechtzeitig weit genug von Andunie weg gewesen waren, um in kein Unglück zu geraten!
Dann jedoch musste sie erneut die Aufmerksamkeit teilen, denn ausgerechnet jener Mann, der ihr endgültig den Lebenswillen geraubt hatte, indem er jegliche Illusion zerstört hatte, hatte ihr unbedingt folgen müssen. Warum eigentlich? Um sich mal wieder als Retter in der Not brüsten zu können?
Allerdings bekam sie etwas zu hören, das sie den Kopf ruckartig trotz jeglichen Vorsatzes zu ihm drehen ließ. Van Tjenn... Irgendetwas klingelte bei diesem Klang, irgendetwas, tief in ihrem Unterbewusstsein vergraben.
Nicht, weil es nach einem adeligen Namen klang, dies konnte man sich auch ohne tatsächliche Privilegien einfach anmaßenderweise zulegen und sich als etwas Besseres ausgeben, als man war. Nein, es war ein Gedanke, eine ferne Erinnerung an etwas, das dadurch hevorgeholt werden wollte. Nur konnte sie es nicht greifen, noch nicht jedenfalls. Und eigentlich wollte sie es auch gar nicht, wollte nichts mehr mit diesem Kerl zu tun haben!
Ohnehin begann dieser Kapitän nun tatsächlich damit, verhandeln zu wollen. Azura deutete ein Augenrollen an und wandte sich ab, Ungeduld drohte sich ihrer zu bemächtigen. Sie hatte die Hand des Gerippes erfasst und musste sie nun wieder los lassen, weil es doch nicht weiter gehen sollte. Wohin auch immer...
Was musste der sie jetzt denn noch aufhalten?! Und fing er da tatsächlich wieder mit der Göre an? Warum war er nicht bei ihr geblieben, wenn er sie doch so gern hatte?! Sie verschränkte ablehnend die Arme vor der Brust und schnaubte wenig damenhaft.
Wenigstens war Tod unerbittlich und drängte ebenfalls zum Aufbruch. Nur... wieder kamen sie nicht dazu, wenngleich die Unterbrechung dieses Mal gänzlich anderer Natur war. Oh ja, und eine Naturgewalt war es wahrlich, die da heranrauschte, im wahrsten Sinne des Wortes!
Der Kopf der jungen Frau ruckte herum und als sich aus der Dunkelheit die Gestalt schälte, die mit energischen, regelrecht stürmischen Schritten näher stöckelte, klappte ihr der Mund auf. Sie hatte schon viele Kleider gesehen, sich oftmals mit deren Schnitten befasst, um stets ein Vorbild und nach neuester Mode perfekt gewandet auftreten zu können. Das hier... nun, das war definitiv eine ganz andere Kategorie von Erscheinung! Und zugleich...
"Bei Ventha, welche Schönheit!", entfuhr es ihr keuchend. Sie konnte sich kaum satt sehen an dieser Person, an allem und dennoch vor allem nicht an dem Kleid aus Fluten. Sofort stieg Sehnsucht in ihr empor, einzutauchen und sich darin treiben zu lassen.
Voller Staunen vergaß sie ihr eigenes Denken, ihre Erziehung, einfach alles, sodass sie sogar ihre Hand leicht anhob, als wolle sie es wagen, den Stoff zu berühren, ob sie auch wirklich darin versinken könnte. Es war so atemberaubend schön, dass sie am liebsten in Tränen ausgebrochen und vor Anbetung in die Knie gegangen wäre.
Schon spürte sie, wie ihre Beine einzuknicken drohten, als der vermaledeite Kapitän sie packte und wegzog. Aus der Gefahrenzone, die sie nicht einmal bemerkte. Im Gegenteil, sie wand sich in dem Griff. "Lass mich los! Was fällt dir ein?!", fuhr sie ihn an, einen kurzen Moment lang von diesem Naturwunder abgelenkt.
Bis dieses die Stimme erhob... und ihr Vorwürfe machte? Ohne es recht begreifen zu können, schossen Azura nun wirklich Tränen in die Augen. Nun ja... zumindest das, was sie dafür hielt, eine bloße Erinnerung an das menschliche Leben, das sie bis vor kurzem geführte. Und tatsächlich ging sie nun auch in die Knie, eine demütigende Pose, die sie in ihrem bisherigen Dasein fast niemals eingenommen hatte.
"Nein, das ist nicht wahr!", wisperte sie mit einem erstickten Schluchzen. "Ich wollte mich Ventha anvertrauen, weil ich sie verehre! Weil ich endlich begriffen habe, dass ihr Reich der einzige Ort ist, an dem ich sein möchte!", verteidigte sie sich und ahnte nicht, dass sie mit jener Göttin selbst sprach und nicht mit einem Zauberwesen aus eben jenem Reich, das ihr Ziel gewesen war. "Wann, sagt mir, wann habe ich die Schönheit der See nicht gewürdigt? Wann habe ich darin Unglück gesehen, wie Ihr es mir gerade vorwerft?" Doch es schien, als würde sie kaum Gehör finden, während diese beiden Gestalten sich unterhielten.
Und dann drang die Forderung an ihr Ohr, die Azura erbleichen ließ... wenn sie noch einen Teint besessen hätte. "Nein!", stieß sie entsetzt aus und rappelte sich wieder auf. Wie konnte sie eigentlich stehen und knien ohne einem festen Boden unter den Füßen? Unwichtig, darüber könnte sie sich ein andermal Gedanken machen!
Heftig schüttelte sie den Kopf. "Nein, bitte nicht! Schickt mich nicht zurück! Verbannt mich nicht aus der See!", bettelte sie aus vollstem Herzen.
Um wenig später weitere Klagen vernehmen zu müssen, auch welche, die sie betrafen, sodass sie Kopf und Schultern hängen ließ. Ja, es stimmte, sie hatte diese Illusion, die sie in ein Meerwesen verwandelt hatte, nicht auf Dauer ertragen. Es war schön gewesen, wunderbar und dennoch... es war nicht richtig gewesen. Nur... wieso fühlte sie sich jetzt so schuldig? Warum war es falsch gewesen, auf ihr Herz zu hören und die Wahrheit herausfinden zu wollen...?
Stumm wischte sie sich mit dem Handrücken über die Wange und glaubte, eine gewisse Feuchtigkeit darauf spüren zu können. Auch wagte sie nicht länger, etwas zu sagen, als wäre sie nichts weiter als eine Delinquentin, über die nur noch der abschließende Richtspruch gefällt wurde. Als wenn die Zeit für ihre Verteidigung vorbei wäre...
Dabei liebte sie das Meer, seit sie denken konnte, hatte es so gerne betrachtet, eine Fahrt auf einem Schiff oder wenigstens in einem Boot oftmals genossen... Auch Regen war ihr oftmals willkommen gewesen, obwohl ihre Mutter es nicht gern gesehen hatte, wenn sie nach draußen ging, sobald es zu tröpfeln begonnen hatte. Die Gefahr einer Erkältung war groß gewesen, natürlich! Dennoch hatte sie es manchmal geschafft... oder wenigstens einen Arm aus dem Fenster gestreckt, um das Nass des Himmels auf ihrer Haut fühlen zu können.
Oh, und erst die salzige Luft in der Nähe der See, wie herrlich diese gerochen und geschmeckt hatte! War das denn gar nichts gewesen? Hatte ihre Freude daran denn auch jetzt, nach ihrem Tod, weiterhin keinen Wert, so wie sie? Konnte sie gar nichts tun, um nicht mehr vollkommen nutzlos zu sein, eine einstmals schöne Hülle und sonst nichts?!
Traurig und einsam umfasste sie sich selbst, klammerte sich an ihren Oberarmen fest und weinte stumm sowie tränenlos vor sich hin. Dazu passte der Hagel, der nun auf sie herabprasselte und den sie trotz ihres neuen Zustandes wie kleine Schläge auf ihrem Körper zu fühlen glaubte. Ja, das hatte sie verdient...
Indes ging die Diskussion weiter und in ihr krampfte sich alles gefühlt zusammen. Bis plötzlich das Gerippe sich wieder direkt an sie beide wandte und dann verschwand.
Es dauerte empfundene Ewigkeiten, bis sie die Kraft fand, ihren Kopf zu heben und die Schönheit zu betrachten, die sich so wütend dagegen sträubte, sie aufzunehmen. Traurig, wie ein kleines Kind, dem die Mutter gerade eröffnet hatte, es solle nie wieder nach Hause kommen, sah sie die andere schließlich an. "Warum bin ich selbst in Venthas Reich nicht erwünscht...?", hauchte sie gequält und wollte nicht beobachten, war in der Zwischenzeit mit ihrem Körper geschah.
Wozu auch? Sie wollte nicht zurück, wollte auch nicht sehen müssen, wie hässlich sie geworden war. Was sollte sie damit noch? Sie hatte sich gegen das Leben entschieden... Wieso wurde ihr das also auch noch verwehrt?
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 23. Oktober 2022, 15:13

Sie starrte in die Fluten und hörte ihre eigene Stimme seinen Namen rufen. Vergeblich. Madiha wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Die Verzweiflung, die sich ihre Sinne stahl, die sich all ihre glücklichen Momente einverleibte und vernichtete… Sie hielt den Raben in ihren Händen und brauchte ihn als Anker, sonst wäre sie wohl ebenfalls ertrunken. Ertrunken an ihrem Schmerz, der sich mehr und mehr manifestierte, zusammen mit einer dunklen Ahnung, die sie krampfhaft niederringen wollte. Madiha litt. Und sie hatte in ihrem Leben noch nicht so gelitten, was schon etwas heißen sollte. Das Zwicken von Corax holte sie für den Bruchteil einer Sekunde zurück, sodass sie ihren Griff lockerte. Aber es konnte sie nicht ablenken von der schwarzen See, die ihr einfach das Schönste in ihrem Leben genommen hatte. Plötzlich spürte Madiha einen Druck auf ihrem Rücken. Verzögert wandte sie den Kopf von den Schaumkronen der Wellen ab und sah zu Jakub hinauf. Der Erste Maat hatte den Kopf in den Nacken gelegt und trauerte. Nein! Er durfte nicht trauern! Denn es bedeutete, dass… dass… Madiha schluckte einen viel zu großen Kloß hinunter und richtete ihre Augen wieder auf das Wasser. Dann stimmten die Männer plötzlich ein Lied an. Madiha durchlief ein eiskalter Schauer und sie sank unter Tränen zu Boden. Sie ließ Corax auf ihren Schoß sinken und hatte den Mund geöffnet, weil ihr Entsetzen sonst keinen Platz fand. Ihre Brust hob und senkte sich stockend, ihr fehlte die Luft zum Atmen und der Gesang der Männer trug ihre Seele auf einem einsamen Schiff davon, dass jegliche Freude mit sich nahm. Ihre Finger suchten das Federkleid des Raben und sie begann ihn fast hypnotisch zu streicheln. „Du hattes Recht…. Wir verdienen das Glück nicht.“, krächzte sie mit belegter Stimme und unter Tränen. Sie hatte Caleb nicht sagen können, was ihr doch so wichtig gewesen war. Madiha schloss die Augen und schmiegte sich an den kleinen Raben, der ebenso Kummer spürte, wie sie. „Corax…“, flüsterte sie erstickt. „Wir reichen einfach nicht.“, kam die bittere, düstere Erkenntnis, die sich ihrer bemächtigte. Es reichte Azura nicht, dass Corax ihr die Liebe gestand, dass er sie von den Stockmännchen befreite, dass er sich um sie kümmerte – wenn auch auf seine Weise. Und es reichte Caleb nicht, dass Madiha ihn erneut angefleht hatte, sie nicht im Stich zu lassen. Er hatte es nicht mal versucht, sondern war sofort losgestürmt und …. Sie sah zu der Stelle hin, an der das Seil stark über die Reling gespannt war und die Männer immer noch sangen und zogen. „Wir reichen nicht…“, murmelte sie noch mal und ihr Blick wurde von all den Tränen der Trauer völlig verklärt. Dann schüttelte sie das Weinen ordentlich durch und sie konnte kaum aufhören damit. Madiha machte sich ganz klein, damit sie dem Schmerz nicht so viel Raum gab. Doch es tat nur noch weh. Eisige Kälte umfasste ihr Herz und drohte, dass es aufhörte zu schlagen. Wie seines. So musste er sich gefühlt haben, als die eisige See seine Seele holte. Wie in dem Lied… Ein Opfer für Ventha. Madiha schluchzte erneut auf und presste die Augen zusammen. Sie wollte das Lied nicht hören. Sie wollte das nicht fühlen. Hätte sie Corax nicht gehalten, sie hätte sich auf die Planken gekauert und die Hände über ihren Kopf gezogen. Doch stattdessen riss der Rabe sie aus diesem Gedanken: "Daaaa, daaa, krah krah, Azuuuraaaaaaa!"

Sie hob schwerfällig den Kopf und wischte sich abermals mit ihrem Ärmel das Gesicht, um besser sehen zu können. Corax wurde aufgeregter. "Der Vogel hat Recht, da ist etwas. Zieht weiter!", sagte nun auch Jakub, was Madiha aufmerken ließ. Hoffnung wärmte ein wenig ihr Herz. Trügerische Hoffnung. Madiha kam zitternd auf die Beine und konnte nun auch sehen, dass sie endlich die beiden Körper aus den Fluten gezogen hatten. Doch… er bewegte sich nicht. Sie beide nicht. Das Mädchen schüttelte unablässig den Kopf und presste ihren dürren Körper an das Holz der Reling. Er bewegte sich nicht… er war viel zu lange dort… er war viel zu lange da unten gefangen… Madiha verlor ihre Hoffnung augenblicklich und Dunkelheit kehrte in ihr Herz zurück. Plötzlich durchzuckte sie ein Schmerz, sodass sie Corax freiließ. In ihre Gedanken versunken, hatte sie nicht mitbekommen, dass man beide Tote über die Reling auf das Deck zurückgebracht hatte. Erst jetzt erfasste Madiha den Raben auf der Brust von Azura. Daneben Caleb. Ihre Augen wagten es nicht, ihn länger anzusehen. Sie stand verkrampft und zitternd an ihrem Platz und krallte ihre Hände in das Holz. Die Tränen wollten einfach nicht versiegen. Tot… einfach tot. Wie sollte sie damit umgehen? Wie sollte sie das ertragen? Er war so leichtfertig mit ihrer Bitte umgegangen… Sie war allein. Einfach allein. Das Mädchen wagte nicht den Blick auf den Dieb, also starrte sie Azura an, die angehoben wurde. "Da rührt sich nichts", kam die Botschaft, die ihr einen Dolch ins Herz rammte. Madiha schnappte nach Luft und drohte an ihrem Kummer zu ersticken. Sie wandte sich ab von den beiden am Boden Liegenden. Sie war nicht genug gewesen, ihn aufzuhalten. Wie konnte er nur so leichtfertig mit ihrer Angst, ihn zu verlieren, umgehen? Madiha bebte vor Anspannung und dem heftigen Weinkrampf, der sie einfach nicht freigeben wollte. Doch dann wandte sie den Blick doch zurück über die Schulter und sah Caleb dort liegen. Schluchzend riskierte sie den Anblick, auch wenn es drohte, sie zu zerreißen. Ein letzter Blick... Ein Ruck ging durch ihren Körper und sie löste sich von dem harten Holz, um sich zwischen den umstehenden Männern durchzudrängeln. Sie nahm sie gar nicht wahr. Ihr Blick lag einzig und allein auf seinem Gesicht. Eine dunkle Strähne hatte sich über seine Augen verirrt und verdeckte diese. Madiha glitt zu Boden und mit einem erneuten Schluchzen hob sie zitternd die Hand. Ihre Hand… verbrannt und verkohlt. Den Glauben leistete sie sich jetzt nicht mehr.
Corax und sie waren nicht für das Glück bestimmt. Das gab es für die anderen und für sie? Für sie war es reinste Illusion… Madiha spürte dennoch nicht die Folgen davon. Sie war wie betäubt und strich Caleb – ihrem Caleb – die Strähne aus dem Gesicht und legte seine Augen frei. Sie versuchte tapfer zu sein, doch das hielt nur eine Sekunde. Dann schloss sie die Augen, während unablässig Tränen auf ihn niedertropften. Sie hörten gar nicht mehr auf zu fließen. Dann sank sie ihm entgegen und legte ihren Kopf auf seiner Brust ab, während ihre Hände sich ungeachtet ihrer Verletzung, in sein Hemd krallten. Sofort durchnässte sein Körper den ihren, doch das spürte sie nicht. Madiha weinte. Und weinte. Und wusste nicht mehr ein noch aus. "Jakub", begann Briggs plötzlich und Madiha ignorierte seine Stimme. Sie verbarg ihr Gesicht an der Brust des Wüstendiebes und wollte ihm wenigstens ein letztes Mal nahe sein. Dann spürte sie plötzlich, auch ohne die Geste gesehen zu haben, dass sich etwas bei Caleb tat. Sie erstarrte. Da war es wieder! Aber sie bildete es sich doch ein? Das musste Einbildung sein. Und wieder. Madiha hob den Kopf an und schniefte ungeniert. Sie wischte ihr Gesicht an ihrer eigenen Schulter ab, wagte nicht, Caleb loszulassen. "Aber sie wachen nicht auf. Was sollen wir jetzt tun?" Madiha hob den Blick und fing den von Jakub auf. "Ich lasse dir die Entscheidung". Sie starrte ihn an. Dann glitt ihr Blick zurück zu Caleb und sie legte ihm eine Hand auf die Brust. Sie brauchte Gewissheit. Da! Er atmete. Madiha starrte in sein Gesicht und ihre Augen brannten. Sie schniefte wieder. „Wach auf…“, flüsterte sie ihm hoffnungsvoll entgegen und blickte wie gebannt auf seine Lippen. Sie erwartete jeden Moment das Grinsen. Dass er sich nur in der Aufmerksamkeit sonnte, um ein wenig die Heldentat zu genießen. Er hatte Azura gerettet. Unter Einsatz seines Lebens. „Wach auf..“, flehte sie erneut, doch er rührte sich nicht. Madiha schluckte abermals und ihre Hoffnung schwand erneut dahin. Doch sie lebten. Beide… irgendwie. Während sie gehofft hatte, dass Caleb die Augen aufschlug, starrten die Umstehenden sie an, denn sie erwarteten eine Entscheidung. Madiha sah zu Azura, dann zu Corax. „Bringt sie in die Kajüte des Kapitäns. Und lasst den Raben bei ihr bleiben!“, sagte sie mit zarter Stimme, doch wurde sie dann fester. „Und bringt ihn in das Bett von Fischauge.“, entschied sie und schluckte. „Bringt trockene Kleidung. Sie müssen sich aufwärmen…“, meinte sie und sah hilfesuchend zu Jakub hoch. „Oder nicht?“, flüsterte sie tonlos, denn sie wusste es nicht recht. Sie war völlig durcheinander und ihr Blick glitt wieder zu Caleb. Würde er aufwachen? Sie ließ ihren Blick über sein Gesicht wandern. Dann neigte sie sich zu ihm hinunter und lehnte ihre Stirn gegen seine Wange, die Augen schließend. „Komm zurück… bitte…“, hauchte sie inständig flehend mit kraftloser Stimme und erneut kullerten ihre Tränen hervor.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Montag 24. Oktober 2022, 11:59

Van Tjenn. Gewiss war es ein Adelstitel und irgendwo klingelte es bei Azura, als die schaurige Gestalt des Gevatters es über die lippenlosen Knochen brachte, aber sie konnte den Namen nicht mit Caleb verbinden. Überhaupt konnte sie ihn nicht zuordnen. Selbst wenn sie ihn sich in nobler Gewandung vorstellte, drang kein Bild der Erinnerung zu ihr durch. Dennoch, dieser Name ... er war Teil davon. Sie glaubte, ihn nicht zum ersten Mal gehört zu haben, aber im Leben einer jungen Adligen, die das perfekte Alter erreicht hatte, um sich den Galanen zu präsentierten, schnappte man reichlich Namen auf. Die Adelstitel wurden oftmals auch sehr kreativ gewählt, denn nicht jeder wurde in einen solchen Rang hinein geboren. Manch stolzer Ritter verdiente ihn sich, hieß dann allerdings auch "von und zu Drachentöter" oder "Orkenschlächter aus dem Westen". Van Tjenn klang nicht nach etwas, mit dem man sich rühmte und trotzdem wollte kein Stammbaum vor Azuras geistigem Auge aufblitzen ... und sie hatte viele auswendig lernen müssen, inklusive ihrer Heraldik und Familiengeschichte, damit sie sich bei einem potenziellen Ehemann keine Blöße gab, nichts von seiner angesehenen Familie zu wissen. Caleb van Tjenn ... nein, diesen Namen hatte sie nie erlernen müssen, sonst wäre er für sie eindeutig abrufbereit gewesen. Ihr Mitverschiedener schien aber auch keinen Wert darauf zu legen. Ohnehin rückte es rasch in den Hintergrund, als die fleischgewordene Herrin von Sturm und See im Rampenlicht erschien. Azura hatte nur noch Augen für sie, ihr Kleid, ihre Erhabenheit und ihre Impulsivität. Nur eine Göttin wagte es, den Tod in die Schranken weisen zu wollen!
Und wie schön sie war ... Azura musste sich in ihrem Licht wie ein graues Mäuschen vorkommen, aber welcher Sterbliche tat dies nicht? Ventha stand vor ihr! Ventha persönlich echauffierte sich darüber, dass sie sich in ihre Fluten gestürzt hatte. Sofort stach es im Herzen der Adligen, die schon immer tief verbunden mit der Göttin gewesen war. Ihr Element begleitete Azura, seit sie denken konnte und nun hatte sie sich entschieden, dass es auch ihr Tor in die Nachtwelt sein sollte. Warum gefiel es ihrer Göttin dann nicht? Hatte sie nicht in ihrem Sinne, in ihrem Glauben gehandelt?
Es ließ Azura keine Ruhe. Sie und Ventha besaßen Ähnlichkeiten, denn auch sie wagte es, einem höheren Wesen entgegen zu treten und es anzusprechen. Das beeindruckte selbst die Stürmische. Sie würdigte Azura eines Blickes. Darüber hoben sich allerdings beide Brauen, dass sie die schöne Bogenform von Delphinen im Sprung annahmen.
"Ich wollte mich Ventha anvertrauen, weil ich sie verehre! Weil ich endlich begriffen habe, dass ihr Reich der einzige Ort ist, an dem ich sein möchte! Wann, sagt mir, wann habe ich die Schönheit der See nicht gewürdigt? Wann habe ich darin Unglück gesehen, wie Ihr es mir gerade vorwerft?"
Ventha setzte die Hände auf ihren Hüften ab und verlagerte ihr Gewicht vom rechten auf das linke Bein, so dass ihr Körper nun eine zackige Kurve bildete. Ihre Beine waren unendlich lang und schön. Ihre Taille schlängelte sich durch das Flutenkleid wie ein windiger Aal zwischen Felsen. Sie passte perfekt in dieses Gewand und nur sie konnte es tragen! Ihre Haltung zeugte jedoch auch von einer gewissen Art der Überheblichkeit, die sie ebenfalls durchaus an den Tag legen konnte. Immerhin war sie eine Göttin. Trotzdem zollte sie Azura gewissermaßen Respekt, als sie sich dazu herabließ, auf Garmisch zu antworten: "Als du dich in meinen Ozean gestürzt hast, im Glauben mir so nahe zu sein." Sie warf unter einem verärgerten Seufzen den Kopf zurück. "Ihr Menschen und Elfen und Zwerge nehmt euch das Recht heraus zu entscheiden, dass ihr euch meinem Meer übergebt. Wer gab euch dieses Recht dazu? Ich nicht und sind meine Meere!"
"Wir sind keine Götter"
, mischte Caleb sich plötzlich ein und schwebte an Azuras Seite. "Wir machen Fehler. Sie verehrt Euch." Den Tod konnte er mit Worten und Blicken nicht entwaffnen. Bei einer Göttin gelang es. Ventha musterte Caleb einen Moment lang. Dann griff sie sich an die Stirn und schloss die Augen. "Tsss!" Mit der anderen Hand wedelte sie in Azuras Richtung. "Fehlerhaftes Menschenkind, weißt du denn nicht, dass du mir immer nahe bist? Ihr alle? Ihr besteht zu drei Vierteln aus meinem Element. Jede Träne, jeder Tropfen Schweiß, sogar der Speichelfluss in eurem Mund, wenn ihr gutes Essen riecht oder der Flüssigkeitenaustausch, wenn ihr der schönsten Sache Celcias nachgeht ... ich bin immer da. Wasser umschließt und erfasst euer endliches Dasein. Ihr müsst euch nicht in meine Meere stürzen, um mir irgendetwas zu beweisen!" Sie öffnete die Augen, richtete ihren Blick auf Azura. Oh, ihre Augen! Wenn die Andunierin schon dachte, das Kleid aus Fluten sei schön, so versank sie nun in einem Gemisch blauer Facettenvielfalt, dass es ihr selbst im Tod eine Gänsehaut bescherte. Unergründlich tief war der Kern, der die Pupillen Venthas bildete. Darum zog sich ein Kreis hellen Blaus. Azurblau, fast wie der Name der jungen Adligen. Er bildete eine Grenze zu den Gewässern der Iris, die sich immer wieder neu zu formen schienen. Sie verschwammen, bildeten kreisrunde Wellen, als hätte man einen Kiesel in einen ruhigen See geworfen. Und sie schillerten im Wechsel aus blau, grün und dann wieder stahlgrau - die Farbe von Wasser bei einem Sturm. Ventha war so unendlich schön!
Außerdem konnte sie auch mild sein, ruhig udn verständnisvoll. Wasser besaß viele Zustände. "Hast du das verstanden, Kindchen?", fragte sie sanft. Dann seufzte sie und schon wechselte ihr Gemüt erneut. Wellen gleich, die eine Klippe emporsprangen, um daran zu brechen, erhob sich ihre Stimme erneut, dieses Mal wieder im Celcianischen: "Und du könntest diese Erkenntnis in dir tragen, daraus lernen und fortan eine viel bessere Gläubige sein, würde Gevatterchen dich zurück ins Leben lassen. Aber wir sitzen hier und ... warten! PHA!" Verärgert ließ sie einen Blitz durch die Domäne fahren, als sie erneut mit dem Fuß aufstampfte. Dann senkte sich ihr Körper aus Wellen, Fischen und reiner Schönheit auf einen der Lehnstühle. Sie griff in die Schale mit Puffmais, vertilgte ihn recht undamenhaft. "Beobachten wir, was die Lebenden mit euch anstellen", murrte sie und schaute in die aufgeschlagenen Falten ihres Kleides, die nun einen Teil der realen Welt abbildeten. "Wenigstens singen die Seeleute ein Lied für mich. Das gefällt mir."

Sie sangen, für Ventha und das Opfer, das ihnen gegeben worden war. Briggs begann und am Ende hatten alle außer Madiha und Corax in den Gesang eingestimmt. Der Männerchor erhob sich in die Nacht, erfüllte die Dunkelheit mit kräftigen Stimmen und ließ kein Herz unberührt. Madihas schlug trotzdem heftiger, als die Mannschaft es schaffte, endlich Caleb und Azura zu bergen. Reglos lagen beide an Deck, dass der kleine Funke Hoffnung sofort wieder zu erlöschen drohte. Der Anblick des Raben, der auf Azuras Brust umher hopste und verzweifelt versuchte, ihr ein Lebenszeichen zu entlocken, indem er sie zwackte und mit ihren Lippen schnäbelte, war wenig hilfreich. Caleb sah nämlich ähnlich aus. Die kalte See hatte sie beide erblassen lassen. Ihre Haut bedeckte ein Gefühl von Kälte, weil sie seich bläulich schimmerte, ebenso wie ihre Lippen. Am schlimmsten war es für Madiha ab, Caleb nicht schief grinsen zu sehen. Alles, was ihm diese spitzbübische Verwegenheit geschenkt hatte, war aus ihm gewichen. Er lebte nicht mehr. Azura lebte nicht mehr. Sie hatten ihre Liebsten an Bord zurückgelassen, in einem Leben, das nun vollkommen trostlos war.
Nicht einmal die Weite der See konnte es mit der Leere aufnehmen, die sich in Madiha ausbreitete. Ließ sie sich darin treiben, würde alles vergehen. Dann starb sie auch, hier und jetzt - ohne Caleb ein letztes Mal gesehen zu haben.
Mit einem Ruck stieß Madiha sich von der Reling, dass ihr ein Fingernagel abbrach und einen hauchfeinen Riss im Holz hinterließ. Es kümmerte sie nicht. Ihre Hände waren ohnehin ruiniert, denn der Glaube an magische Heilkräfte war ebenso dahin wie die Hoffnung. Trotzdem wollte sie nicht in den Abgrund ihrer Seele stürzen, ohne sich verabschiedet zu haben. Ein letztes Mal sein Gesicht sehen, seine Haut fühlen, wenngleich beides nicht wie gewohnt sein würde. Aber es war mehr als sie bis eben noch hatte hoffen können. Es war alles, was ihr blieb.
Madihas Knie protestierten, als sie auf den harten Planken aufschlugen. Der Schmerz aber erreichte sie gar nicht. Sie hatte ihn endlich angesehen und jetzt nur noch Augen für ihn. Wie schnell man doch einem Gegenstand glich, wenn nichts mehr da war, was einem Leben einhauchte. Er hatte sich selbst weggeworfen, in die See. Jetzt war er kaputt, für immer. Als könnte sie noch irgendetwas richten, strich sie die nasse Strähne aus Calebs Gesicht. Er sollte nicht so aussehen!
Ein Schluchzen erfasste ihren Körper, der daraufhin auf Calebs Brust niedersank. Dass sie dadurch selbst vollkommen durchnässt wurde, störte sie nicht. Was gab es noch auf Celcia, das sie kümmern könnte? Während sie so über ihm hing und weinte, stand die Besatzung der Blauen Möwe mit betretenen Mienen um sie im Kreis. Niemand wusste, etwas zu sagen, bis ein wachsames Auge wieder Hoffnung schürte. So tot wie man beide gehalten hatte, waren sie nicht! Tatsächlich atmeten sowohl Caleb als auch Azura noch. Sie lebten ... irgendwie.
Angesichts von Madihas Zustand, sowie ihrer Verbindung zum erneut Nicht-mehr-Kapitän - das Schiff war verflucht! - wagte keiner einzuschreiten. Jakub sah es schließlich als seine Pflicht an, zumindest das Wort zu erheben. Die Entscheidung, was mit ihren Gefährten geschehen sollte, überließ er jedoch Madiha. Sie musste sich aber erst wieder selbst davon überzeugen, dass nicht alle Hoffnung verloren war.
Er atmete. Er lebte - beide lebten. Corax krächzte und hüpfte wie trunken auf Azura herum. Er sprang auf ihr Herz, immer und immer wieder, als wollte er es dazu animieren, wieder kräftig zu schlagen. Doch weder sein Bemühen noch das von Madiha bewirkten ein Erwachen. Aber sie lebten.
"Bringt sie in die Kajüte des Kapitäns. Und lasst den Raben bei ihr bleiben! Und bringt ihn in das Bett von Fischauge." Die Matrosen teilten die Aufgaben mit stummen Blicken untereinander auf. Caleb wurde bereits auf Briggs und Kerfs Arme gehoben. "Bringt trockene Kleidung. Sie müssen sich aufwärmen... Oder nicht?" Jakub nickte Madiha zu. "Sie leben, also brauchen sie Hilfe von außen, damit es so bleibt. Ich kümmere mich selbst darum", sagte er. Zwei andere Seemänner wandten sich Azura zu, aber Corax verjagte sie. Er pickte energisch nach ihren Händen, verletzte sogar einen Finger. Der verärgerte Aufschrei des Matrosen zog Aufmerksamkeit auf sich. Doch Corax buhlte um mehr. Mit einem Teil von Azuras Hemd im Schnabel und einem kläglichen Versuch, sie ganz allein anzuheben, flatterte er mit den Flügeln. Dass er sich nicht zurückverwandelte, um sie eigenhändig zu tragen, zeugte vom Respekt von Calebs letzter Aufforderung an ihn - von seiner Bitte abgesehen.
"Krrrahh, Herrin!", krächzte er und es klang etwas nasal, weil er den Schnabel voll hatte. "Lass uns nicht allein, Herrin." Der Rabe fand sich in einem Dilemma. Natürlich wollte er einen guten und warmen Platz für seine Azura, aber er diente auch Madiha und die brauchte seine Hilfe nun ebenso. Er war ihr Sklave. Doch nicht zuletzt... "Krah, ich hab nur noch dich ... und du mich ... schick mich nicht weg!"

"Nein, bitte nicht! Schickt mich nicht zurück! Verbannt mich nicht aus der See!"
"Warum nicht?", erwiderte Ventha und wirkte sichtlich überrascht. Es kam nicht oft vor, dass jemand sich einer zweiten Chance verweigerte. Dann aber engten sich ihre Augen. "Noch einmal: Die See und ich stecken in jedem Lebewesen - in dir sogar mehr als in anderen. Und er dort hat sein Leben gegeben, damit du zurück kannst." Sie zeigte auf Caleb, der vor dem Flutenvorhang stand und die Szenerie in der realen Welt betrachtete. Er betrachtete Madiha und hätte fast die Hand nach ihr ausgestreckt. Jetzt erkannte er seine unüberlegte Handlung. Alarmiert von der Situation an sich hatte er einmal mehr wenig überlegt, sondern Hals über Kopf gehandelt und nicht erkannt, was er damit noch alles auf's Spiel setzte. Solche Aktionen hatten ihm Wege versperrt. Türen hatten sich hinter ihm geschlossen. Dunia war allein in Sarma zurückgeblieben ... und hatte um ihm geweint. Madiha würde ihr Versprechen ihr gegenüber nicht halten können. Warum nur, war er auch immer so ... dumm?!
Dann fiel seine Aufmerksamkeit auf Corax, der verzweifelt versuchte, Azuras Körper mit sich zu zerren und doch in Madihas Nähe bleiben zu können.
"Du hast es nicht verdient, zurückzukehren", sagte Caleb. Er schaute über seine Schulter hinweg nach hinten zu beiden Frauen. Sein Finger zeigte jedoch auf den rotäugigen Raben. "Aber er. Er gibt sich verdammt viel Mühe damit, dir zu gefallen und er duldet keine Konkurrenz dabei." Caleb berührte seine linke Wange. "Du siehst es nicht oder willst es nicht sehen. Du hast nicht einmal etwas auf sein Liebesgeständnis erwidert."
"Und trotzdem bist du ihr nachgesprungen ... in den Tod." Ventha neigte nachdenklich den Kopf. Caleb hingegen nickte. Er wusste, was er getan hatte. "Ich bin der Kapitän und sie ging über Bord."
"Verdienst du es also mehr, zurückzukehren?" Die Göttin verschränkte die Arme. Caleb hob seine in einer Geste der Ratlosigkeit an. "Ich würde schon gern zurück", meinte er. "Weil auch Madi einen Verlust nicht verdient."
"Ihr sprecht ständig davon, als sei es schon in Stein gemeißelt, aber noch steht nichts fest." Tods Stimme hallte vom Nichts der Schwärze wieder, die den ganzen Raum einzunehmen schien. Er löste sich daraus mit rauchig nebeliger Kutte. Dieses Mal führte er eine gewaltige Sense mit sich. Das Metall glänzte silbern. Trotzdem schaffte sie es kaum, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. An Tods Hand führte er eine weitere Gestalt zu der Gruppe. Es war ein Mädchen aus reinstem Licht, so dass man es kaum lange anschauen konnte. Doch entgegen zum Gott des Lichts - Lysanthor - wirkte sie nicht wie die Sonne. Ihr Licht war wärmer, dimmte sich nun auch herab, als es einen sanften Grünton annahm. Bei jedem Schritt des Kindes hinterließ es einen Flecken saftigen Grases im Nichts, aus dem Blumen sprossen. Wo Tod vorbei zog, verwelkten sie sofort wieder. Das Mädchen trat zwischen Caleb und Azura. Es hob stumm eine kleine Laterne an, in der ein grünes Lichtlein funkelte.
"Es besteht Hoffnung", meinte der Tod. "Aber nur für eine Seele von euch. Ihr werdet entscheiden müssen, wem die Chance gewährt wird. Ob es passiert, hängt dann noch von mir ab ... ich kann wirklich nicht jeden einfach so zurückkehren lassen. Es nimmt Überhand, allein schon weil mein Schüler sein Herz an ... ach, lassen wir das. Es ist für euch nicht von Belang." Tod deutete mit ausgestrecktem Knochenfinger auf seine Sense. "Wisst ihr, warum mein Werkzeug wie ein Sichelmond aussieht? Weil ich mir erlaubt habe, ein paar Eigenschaften von der Göttin Manthala abzukupfern." Er schien fast zu glucksen vor Schelmigkeit, aber im Grunde hörte man nur seine Zähne klappern. Ventha musste plötzlich grinsen. Sie ahnte, worauf es hinauslief, also begab sie sich zu ihrem Lehnstuhl zurück und setzte sich. Mit einer Hand winkte sie zu den sterblichen Seelen. "Mir wär es tatsächlich lieb, wenn es der Kapitän wird - er hat es wirklich verdient für seine selsbtlose Tat. Andererseits möchte ich das Potenzial des Mädchens nicht verschwendet sehen. Wenn sie so sehr in meinem Reich sein möchte, sollte sie lernen, es zu beherrschen. Tot gelingt ihr das nicht."
Der Gevatter betrachtete Ventha, Azura und Caleb ungerührt. "Mir ist es gleich", meinte er. "Jede Seele ist gleichermaßen wertvoll und jeder vorzeitig herbeigeführte Tod ein sinnloses, trauriges Unterfangen - was mir ebenfalls gleich sein muss." Er ließ einen weiteren Lehnstuhl erscheinen. Er bestand aus den bleichen Gebeinen zahhloser Verstorbener, aber jemand hatte für Gevatters knochigen Hintern ein besonders weich anmutendes Polsterkissen auf die Sitzfläche gelegt. "Ich bin lediglich daran interessiert, wer gegen mich um sein Leben spielen möchte und welches Spiel es sein wird. Die Dame zuerst, sofern sie spielen mag?" Tod wies einladend in Azuras Richtung.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 24. Oktober 2022, 15:59

Das Leben war nicht fair. Das war etwas, was Madiha stets hatte lernen müssen. Obwohl.. war es das Leben? Oder das Schicksal, das für einige härtere Prüfungen bereithielt als für andere? Madiha zog keinen Vergleich, weil sie nur das ihre kannte. Und damit lebte. Doch dass hier… der Verlust der hier in ihren Armen lag und einfach nicht zu ihr zurückkehren wollte… das forderte sehr viel ihres Willens ein, ein anderes Leben haben zu wollen. Leidend ließ sie die Umstehenden daran teilhaben, wie viel der einstige Kapitän ihr bedeutet hatte. Und bedeutet. Mit Worten flehte sie ihn an, dass er zu ihr zurückkommen sollte. Dass er die Augen aufschlug, um sie anzulächeln und sie ihn dafür erleichtert umarmen könnte. Doch er tat es nicht. War er bereits soweit fort? Hatten sie jeden Chance verwirkt, offen miteinander zu sprechen? Dass sie irgendwie doch noch lebten, drängte zum Handeln. Madiha musste eine Entscheidung treffen, denn in diesem Zustand, waren sie vollkommen hilflos. Dass die Mannschaft sie auserkoren hatte, nun die Sprecherin zu sein… Madiha fühlte sich leicht überfordert damit. Trotzdem schaffte sie es, dass ihre Stimme genug Kraft aufwandte, um die Richtung vorzugeben. Das stumme Absprechen unter der Mannschaft entging ihr, als sie wieder zu Caleb blickte. Seine Lippen waren ganz blau und auch seine Haut wurde blasser. Wärme… sie brauchten Wärme. Das Mädchen würde, wenn man es fragte, nicht sagen können, wie es geschafft hatte, sich von dem Dieb zu lösen, um Platz zu schaffen für Briggs und Kerf, die sich Caleb auf die Arme hoben. Ihre Hand rutschte von seiner Brust, doch sie blieb auf den schmerzenden Knien sitzen. Die Kälte kroch nun auch an ihr empor, jetzt, da Caleb aus ihrem Sichtfeld verschwand.
Madiha zuckte verschreckt zusammen, weil der Matrose, der sich um Azura kümmern wollte, aufschrie. Sie blickte Corax an, der kläglich versuchte, sie eigenständig zu tragen. Madiha beobachtete ihn für einen Moment, dann krächzte er ihr seine Sorgen entgegen. Noch mehr Sorgen… das Wüstenkind schlug die Augen nieder. Sie seufzte und nickte langsam. „Bringt beide in die Kapitänskajüte.“, murmelte sie und sah Corax an. „Kannst du ein weiteres Bett erschaffen?“, murmelte sie ihm zu und sah, wie der Rabe nickte. „Wenn… wenn da zwei Betten sind… legt sie hinein. Sonst müssen sie zusammen… müssen sie zusammen in eines…“, nuschelte Madiha und sie tat das gewiss nicht für sich. Sie tat das für Corax. Sie selbst wollte allein sein. Wollte sich daran gewöhnen, wie es wäre für sie in Zukunft. Denn auch, wenn Jakub sagte, dass sie lebten… wieso wachten sie dann nicht auf? Noch bevor sich einer der Matrosen traute, sich abermals an Azura zu wagen, sah sie Corax mit einem Gemisch aus Wut und Trauer an. „Sie wollen helfen! Lass sie!“, zischte sie dem Raben entgegen, denn Madiha verstand nicht, warum er es nicht zulassen wollte. Schon Azura ließ sich nicht helfen und wohin hatte es geführt? Caleb hatte es versucht, er hatte sich für sie eingesetzt und sogar erklärt, dass sie nicht mal was dafür konnte. Und wie dankte sie es? Madiha’s Blick fiel auf den leblosen Dieb, der von Briggs und Kerf an ihr vorbeigetragen wurde, um zur Kajüte zu gelangen. Sie selbst saß noch immer auf den Knien auf dem Deck. Unfähig sich zu rühren. Sie zog ihn mit sich in den Abgrund… und alle anderen auch. Egoistisch und verbittert… Azura van Ikari würde von ihr keine Milde erfahren. Einzig Corax tat ihr leid. Weil er sein Herz jemandem geschenkt hatte, der es nicht würdigen konnte… oder wollte. Und ihr eigenes Herz?

Madiha sank nach vorne auf die Planken und stützte sich auf ihre Handrücken. Die Verbrennungen waren wieder da, doch sie kümmerte sich nicht darum. Dennoch konnte sie ihre Handflächen nicht benutzen, sodass sie sich mühsam aufrappelte und die Knie eine gemeine Rückmeldung gaben, weil sie sie so beansprucht hatte. Dann stand sie endlich, starrte jedoch zu der kleinen Meute, die sich in Richtung Kapitänskajüte schob. Diejenigen, die mit ihr zurückblieben, nahm sie nicht wahr. Madiha hatte inzwischen aufgehört zu weinen. Ihre Augen und ihr Gesicht glänzten feucht und wirkten gerötet. Ihre Nase lief noch immer, sodass sie ab und an schniefte. Ihre Kehle war belegt und ihr Hemd, so wie die Hose völlig durchnässt. Sie fror, doch das Gefühl hielt sie aufrecht. Sie fühlte sich so leer. Sie versuchte ihr Herz zu finden, damit sie darin die Wärme, die ihre Zuneigung zu Caleb entstehen ließ, nutzen konnte. Doch da war nichts mehr. Sie hatte es gut versteckt, damit sie ertragen konnte, was sie erlebte. Nur langsam kam Madiha den anderen hinterher. Ihre Beine wollten nicht so recht, sodass sie um jeden Schritt kämpfen musste. Alles fühlte sich so taub und bleiern an. „Jakub?“, sprach sie den Matrosen direkt an und blieb wieder stehen. „Er hat eine Wunde… an der Seite… die, die muss irgendwie versorgt werden.. sonst., sonst… sonst..“, stammelte sie und brachte es nicht über sich. Er war doch schon fort. Warum hielt sie nun die Hoffnung aufrecht? Madiha schloss die Augen als sich erneut Tränen bildeten. „Wusstest du, dass er sich für egoistisch hielt-… hält?“, fragte sie und wusste nicht mal, ob Jakub überhaupt noch da war. Sie blendete ihre Umgebung aus und starrte weiter, bis die Männer und Corax in der Kajüte verschwanden. „Ich kenne niemand selbstloseren…“, flüsterte sie und senkte den Kopf, weil erneut die Tränen flossen.
Für Augenblicke blieb es so, doch dann endlich wischte sie sich mit den Handrücken ihre Augen und schaffte es, dass sie aufhörten aus ihr hinauszufließen. Wenn Ventha in allen war und jede Träne ihre Existenz pries, dann musste Madiha derzeit sehr fromm sein. Doch die Tränen galten nicht der Göttin der Meere… Allmählich schaffte sie es, dass sie die Distanz zur Kajüte überbrückte. An der Tür blieb sie noch mal kurz stehen, dann atmete sie tief durch und betrat sie. Hier glich nichts mehr dem Prunk von vor ein paar Momenten, die wie Ewigkeiten zurückzuliegen schienen. Nichts erinnerte an die Schaffenskraft des Raben. Und nichts erinnerte an den schönen Moment, in dem sie Corax und Caleb belauschen konnte, um zu erfahren, dass sie einander näher waren als sie geglaubt hatte. Ihre Augen suchten nach Corax und nach Caleb, während die Männer letzteren noch betteten. Was aber würde weitergeschehen? Wie sollten sie essen? Wie sollten sie… Madiha fand den Raben und stellte sich zu ihm. Sie beobachtete die Matrosen bei ihrem Tun, wollte nicht im Weg stehen. „Was, wenn sie nicht aufwachen?“, wollte sie von dem Raben wissen und holte zitternd Luft. „Warum wachen sie nicht auf… wollen sie denn nicht zurück?“, flüsterte Madiha und ertrug ihre eigene Frage nicht. Vielleicht war es da, wo sie waren, einfach… schöner? Vielleicht waren sie befreit von Sorgen und Kummer… Madiha kniff die Augen zusammen, damit sie nicht erneut Tränen verlor. „Was können wir tun?“.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Montag 24. Oktober 2022, 21:03

Er trug einen Namen, der nach Adel klang. Und dennoch konnte es kein alter, andunischer Adel gewesen sein, die konnte sie selbst im Schlaf... oder Todeszustand noch aufsagen. Aber so vollkommen unbekannt war es ihr auch nicht. Sie kam nur gerade nicht darauf, warum... Nein, falsch, sie wollte es auch gar nicht! Sie wollte sich nicht länger mit ihm beschäftigen, am liebsten nie wieder auch nur an ihn denken müssen!
Doch anstatt ihr diesen Wunsch zu erfüllen, war er ihr nachgesprungen und befand sich deswegen nun mit ihr in diesem seltsamen Reich, leistete ihr Gesellschaft, ohne erwünscht zu sein. Ohnehin wurde er absolut unwichtig, als eine weitere Gestalt sich zu ihnen gesellte, die Azura den Atem verschlug... wenn sie diesen denn noch gehabt hätte. Sie war von atemberaubender Schönheit, so unerreichbar fern, dass ausnahmsweise nicht ein Hauch Neid in ihr aufstieg, sondern nichts weiter als der Wunsch, diese Person anzubeten, zu huldigen und alles zu tun, um ihre Gunst erreichen zu können.
Allein schon das Kleid... Oh, sie könnte es stundenlang andächtig betrachten! Auch wenn ihr diese Zeit gerade nicht gewährt wurde.
Sie fühlte sich verwirrt von all dieser Pracht und konnte es kaum fassen, dass die Göttin der See ihr direkt erscheinen sollte. Wer war sie schon, um dieses Privileg zu erhalten?
Aber anstatt sich darüber tatsächlich freuen, sich geehrt zu fühlen, bekam sie Vorwürfe zu hören, die sie bis tief ins Mark trafen. Sie versuchte, sich instinktiv zu verteidigen, um nicht auch noch diesen letzten Hoffnungsfunken zu verlieren, dieses eine Element, das sie bislang nicht verstoßen hatte. Sollte sie sich etwa geirrt haben?
Dass es mehr als großen Mut bräuchte zu tun, was sie gleich tun würde, war ihr nicht bewusst. Sie bewunderte diese Frau vor sich, fand keine passenden Worte, um ihre Schönheit und ihre Erscheinung angemessen würdigen zu können, und hätte sich am liebsten vor ihr zu Boden geworfen, um sie demütigst anbeten zu dürfen. Zugleich aber fühlte sie sich gekränkt und missverstanden, hatte das große Bedürfnis, sich zu rechtfertigen, um eben nicht für deren Zorn verantwortlich zu sein, denn es stimmte nicht, was diese über sie behauptete.
Nein, sie hatte sich nicht in die Wellen fallen lassen, weil sie es als letzten Anker, als das Paradies empfinden wollte, als Retter in der Not vor einem Leben der Mühsal und Qual. Also kam sie gar nicht erst auf die Idee, dass sie mit einem göttlichen Wesen sprach, als sie sich zu verteidigen suchte. Die Erwiderung ließ sie erbleichen... sofern das in ihrem Zustand überhaupt möglich wäre.
Mit einem verletzten Keuchen wich sie leicht zurück. "Aber... aber... das war kein Unglück für mich, das war...", entkam es ihr schwach, während ihre Lippe zu zittern begann. Hätte sie Tränen besessen, wären diese wohl in ihre Augen zurück gekehrt. Stattdessen wandte sie den Blick ab und umarmte sich wieder selbst. Also war sie selbst bei der Göttin der Meere nicht erwünscht...?
Natürlich musste sich der vermaledeite ehemalige Schiffskoch nun wieder einmischen. Sie sah ihn einen Moment lang böse an. "Ich brauche niemanden, der das Wort für mich führt!", fauchte sie in seine Richtung.
Ein Wedeln von eleganten Fingern in ihrem Augenwinkel lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück zu der Göttin. Diese war noch nicht fertig mit ihrer Zurechtweisung, sodass sich Azura auf die Unterlippe biss und erneut den Blick demütig senkte.
Was so gut wie niemandem bei ihr bislang gelungen war, bei dieser Frau war es ihr das größte Bedürfnis überhaupt: sich fügen! Sie wollte dieser Gestalt gefallen, ihr Wohlwollen erreichen und ihr nahe sein, soweit es eben möglich war.
So ließ sie die Erklärungen über sich ergehen wie eine gescholtene Dienerin und wagte es erst, erneut aufzusehen, als die Göttin verstummte. Da trafen sich ihrer beider Blicke und erneut war ihr, als müsse ihr die Luft wegbleiben. Was waren diese Augen wunderschön!
Noch niemals hatte sie solch eine atemberaubende Schönheit zu Gesicht bekommen und sie wusste zugleich, dass sich nichts daran messen könnte. Früher war sie überzeugt gewesen, sie besäße ebenfalls eine gewisse Schönheit, hatte es oft hören dürfen und sich in der Bewunderung anderer gesonnt. Nun allerdings wusste sie, dass sie ein Nichts, ein absolutes Nichts im Vergleich zu dieser Göttin war, die noch schöner in ihrer Gesamtheit war als das Meer, dessen Anblick sie bislang als das Schönste in der Natur betrachtet hatte.
Wenn sie nur einen Hauch dieses Glanzes besäße... Nein, niemals wieder würde sie jemandem glauben können, der sie als hübsch bezeichnen würde, nachdem sie dieses Wunder auf zwei Beinen hatte erblicken dürfen!
Es war allerdings am Ende auch zu viel für sie, sodass sie erneut zu Boden... oder ins Bodenlose herab sah. Sanft drang erneut die Stimme an ihr Ohr und obwohl sie die Botschaft nicht sofort verinnerlichen konnte, sondern Zeit dafür bräuchte, erwiderte sie ungewöhnlich kleinlaut:"Ja, Herrin."
So unterwürfig war sie nicht einmal gegenüber ihrer Mutter gewesen, wenn die ihr, viel zu selten, den Kopf gewaschen hatte! Bei ihrem Gegenüber indes... Nein, da konnte und wollte sie gar nicht anders sein!
Schon brauste Ventha wieder auf und widmete sich dem Leben, das sie alle während der Wartezeit beobachten könnten. Azura hatte kein Bedürfnis danach. Viel eher beschäftigte sie eine andere Botschaft, sodass es schließlich auch aus ihr herausbrach. Sie wollte nicht zurück, sie wollte ein Opfer des Meeres bleiben und davon bis in alle Ewigkeit träumen können.
Prompt kam die Gegenfrage. Die junge Frau öffnete ihren Mund, wollte argumentieren, am besten so überzeugend, wie sie es gelernt hatte. Allein, es kam kein Ton aus ihr heraus.
Bis der Hinweis selbst von der Göttin erfolgte, in wessen Gesellschaft sie sich noch befand. Nun war es an ihr, wütend zu werden. Ihr Brustkorb begann, sich rascher zu heben und zu senken, obwohl sie keine Atmung mehr hatte und es lediglich aus einer Erinnerung heraus geschah. Ihre Hände sanken herab und ballten sich zu leicht zitternden Fäusten. Ihre Lippen pressten sich fest aufeinander und ihr Blick verdüsterte sich. "Worum ich ihn niemals gebeten habe!", zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähne.
Und dann... dann folgte die endgültige Frechheit! Ihr Kopf ruckte herum zu ihm und wäre sie auch nur ein Hauch von einem Abglanz dieser wunderbaren Göttin in ihrer Nähe gewesen, ihre Augen hätten ebenfalls Blitze geschossen, so zornig funkelten sie. "Ach ja? Und wie lange, glaubst du, wird er noch dabei bleiben? Wie lange, bis ich ihm zu schnell altere oder ihn einfach nur langweile, wie das bei euch Männern stets passiert?!", fauchte sie ihn an und blieb bei ihrer Muttersprache.
Sie wusste, er verstand sie auch so, und sie war viel zu aufgebracht, um ins allgemeine Celcianisch zurück zu fallen. Es war schlichtweg die Sprache, in der sie sich den größten Teil ihres Lebens verständigt hatte, erst recht, je aufgewühlter sie gewesen war. Damit nicht genug, gab auch die Göttin etwas zu bedenken und Azura fühlte sich in ihre Haltung bestärkt.
"Ja, und? Dann wärst du mich wenigstens los gewesen. Wäre doch eine elegante Lösung gewesen, bei der du dir nicht mal die Hände hättest schmutzig machen müssen. Einfach abwarten und das Missgeschick wäre nie wieder aufgetaucht, bereit, vergessen zu werden, Herr Kapitän!", legte sie nach und spuckte die Bezeichnung für seine neue Tätigkeit regelrecht aus vor Wut.
Auch scherte sie sich nicht darum, ob er dadurch erkennen würde, dass sie ihn belauscht hatte, oder nicht. Was machte es auch noch für einen Unterschied? Sie wollte ihn nicht hier haben und schon gar nicht von ihm belehrt werden, dazu hatte er schließlich kein Recht!
Indes gab Ventha weiter zu bedenken, dass es wohl niemand von ihnen beiden verdient hatte... oder beide gleich viel, wieder zu leben. Nur... Azura wollte doch gar nicht! Verstockt presste sie die Lippen aufeinander und wandte den Kopf ab, als Zeichen, dass sie dazu nichts mehr sagen wollte.
Doch in diesem Moment erklang wieder die Stimme des Gerippes und ließ sie leicht zusammen zucken. Die unheimliche Gestalt tauchte auf und brachte ein Kind, ein Mädchen mit sich, dessen Licht sie im ersten Moment blendete, sodass sie den Arm hob, um ihre Augen zu beschatten.
Es dauerte, bis sie sich daran halbwegs gewöhnt hatte und nicht länger das Gefühl hatte, nichts sehen zu können und Schmerzen zu haben. Langsam sank ihr Arm herab und sie musterte dieses neue Wesen. Sie strahlte Wärme, Lebendigkeit aus in schönen Farben und voller Sehnsucht auf das Morgen. Beinahe hätte sie sich versucht gefühlt, ihren Sprung zu bedauern.
Jedoch ehe es soweit kommen konnte, erhob das Knochengerüst erneut seine Stimme und durchbrach diesen Zauber für sie. Leicht deutete sie ein Kopfschütteln an. Was sollte das? Warum wurde hier noch eine Wahl offen gelassen, wo die Entscheidung längst gefallen war? Sie hatte genug von diesem sinnlosen Dasein, zu dem ihr Leben verkommen war. Welchen Grund also hätte sie, auch nur einen Moment lang zu überlegen, sich darauf einzulassen?
Die Göttin entfernte sich ein wenig von ihnen und setzte sich hin. Dann erhob auch sie ihre Stimme und Azura verspürte einen Stich der Eifersucht, als sie zuerst von dem Kapitän sprach. Sie musste noch einmal ihre Hände zu Fäusten ballen, dieses Mal aber, um das Zittern ihrer Finger zu unterdrücken, während sie sich auf die Unterlippe biss. Wie gut, dass sie keinen Körper hatte, erst recht keinen geschundenen, sonst hätte sie sich wohl blutig gebissen.
Dann jedoch ging es um sie. Ihr Kopf ruckte hoch und zur Seite, ihre Augen wurden eine Spur größer, ehe sie betrübt wieder den Blick senkte. "Also wollt auch Ihr mich nicht...", hauchte sie tonlos, die Aussage komplett missverstehend.
Es bestätigte lediglich die Meinung, die sich in ihr längst gefestigt hatte, dass niemand noch ein ernsthaftes, dauerhaftes Interesse an ihr haben konnte. Dass sie für niemanden einen Wert hatte. Wie kam sie nur auf die abwegige Idee, dass sie gerade für eine Göttin von Bedeutung sein... oder zumindest werden könnte?
Sie begann damit, sich innerlich zurück zu ziehen und diesen allerletzten Funken Hoffnung in sich zu begraben. Da drang die Stimme des Gerippes wieder an ihr Ohr, sprach sie am Ende sogar direkt an. Langsam, unendlich langsam und mit scheinbar großer Kraft hob sie ihren Kopf an und richtete ihren Blick auf die Gestalt. "Wo...?", begann sie und folgte einem Impuls, der sich als großer Fehler erweisen sollte.
Sie sah zu der Szene der Lebenden, entdeckte den Raben, der so absolut verzweifelt versuchte, sie zurück zu holen, das es ihr erneut die Sicht verschwimmen lassen wollte voller ungeweinter Tränen. Leise seufzte sie und trat an die geisterhafte Leinwand heran, blickte traurig zu dem Tier. Langsam hob sich ihre Hand mit den zittrigen Fingern, wollte sich nun ihrerseits danach ausstrecken. Doch sie hielt auf halber Strecke inne und nur im richtigen Winkel könnte man erkennen, dass sie gedanklich das Gefieder wie zum Abschied streichelte.
Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis ein Ruck durch ihren Körper ging. Ihr Arm zog sich zurück und sie trat auch ein paar Schritte nach hinten, ehe sie sich langsam umdrehte und ein Kopfschütteln andeutete. Mit fester Stimme, obwohl sie sich absolut nicht danach fühlte, setzte sie erneut an:"Warum sollte ich? Ich bin dort nicht erwünscht, also habe ich keinen Bedarf an diesem Spiel."
Sie deutete, ohne hinzusehen, zu dem Kapitän. "Schickt ihn einfach zurück, er hat einen Fehler begangen, und lasst es damit gut sein."
Nein, sie würde nicht mehr kämpfen. Aus welchem Grunde auch sollte sie das noch länger tun? Corax wäre ohne sie besser dran, so oder so. Und da nicht einmal die Göttin der Meere sie für wertvoll genug erachtete, sie bei sich aufzunehmen... Nein, welchen Sinn und Zweck hatte ihr Dasein dann noch? Da konnte sie allemal gleich tot bleiben und darauf hoffen, irgendwann einmal ihren Eltern mitzuteilen, wie leid es ihr tat, einfach alles.
"Dann sind alle das Missgeschick los...", wisperte sie erstickt und wünschte sich eine Möglichkeit, sich zurück ziehen und mit ihrem Schmerz erst einmal für sich sein zu können.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Dienstag 25. Oktober 2022, 22:57

Azura fiel in einen immer tieferen Abgrund. Schon als sie den letzten Sprung gewagt hatte, war ihr Bild völlig zerrüttet gewesen. Sie hatte nichts Schönes mehr hören und sehen können ... oder wollen, was schlussendlich dazu geführt hatte, dass sie einen Schlussstrich zog. Sie hatte sich in Venthas Welt flüchten wollen, aber nun schien selbst die Göttin sie abzulehnen. Dabei missverstand die Adlige die Worte der Göttin vollkommen, so wie sie schon den Bezug eines Missgeschicks zu sehr auf sich statt auf die Situation geschoben hatte und auch Corax' Liebe für eine viel zu vergängliche Komponente einstufte, allein weil sie deutlich schneller altern könnte als er. Zusätzlich kam noch der Faktor ihrer Erziehung, dass sie ihm niemals würde Kinder schenken können, weil er gar nicht mehr in der Lage war, einen Erben zu zeugen. So baute sich ein Gedankenkonstrukt um Azura auf, das sie zu einem Schloss modellierte. Ein Schloss mit schwarzen Dornenranken, an denen jeder noch so gute Gedanke sich verfing und zu Tode gestochen würde, ehe er ihr Seelenheil im höchsten Turm des Schlosses erreichte. Wo sie schlief und darauf wartete gerettet zu werden. Aber niemand kam. Dabei waren genug unterwegs. Corax kämpfte sich noch durch die Ranken hindurch und selbst Madiha hatte versucht, an ihnen empor zu kraxeln. Sie waren beide gescheitert. Dann war Caleb aufgetaucht oder besser gesagt: mir Azura untergetaucht. Er hatte aus einem Reflex heraus den Kampf gegen die tödliche Hecke aufgenommen, doch in einem Moment, in dem Azura ihm nur aus dem Turmfenster hinaus hätte eine Hand reichen müssen, hatte sie stattdessen die Läden zugezogen. Mehr noch, sie nahm eine Heckenschere und trennte jegliche Vebrindung zu ihrem Schutzraum ab. Niemand würde mehr dort emporklettern, aber sie hatte weiterhin Blick auf alle. Von dort oben konnte sie den Raben sehen, der vergeblich versuchte, sie zu erreichen. Corax gab noch nicht auf und eigentlich müsste Azura das allein schon ausreichen, um zu erkennen, dass es zumindest ihn gab, der an ihr festhielt. Und wie er sie hielt!
Er hackte in der Welt der Lebenden gerade erneut nach den Fingern der Matrosen. Niemand sollte Azura anrühren und in die Kapitänskajüte bringen! Nicht, weil er sich und ihr nicht helfen lassen wollte. Da verstand Madiha ihn falsch und ihre harschen Worte in seine Richtung waren ungerechtfertigt. Er wollte nur nicht von seiner Herrin getrennt sein, ebensowenig aber Azuras Körper zurücklassen. Sie war hilflos. Sie brauchte ihn doch! Aber als Madiha die Worte ausstieß, zuckte er zusammen und senkte den Kopf. Endlich konnten die Männer den Leib der Adligen aufnehmen. Glücklicherweise erkannte das Kind der Wüste inzwischen Corax' Motive. Zu dumm nur, dass die Blaue Möwe über keinen Raum mit mehr als einem Bett verfügte. Zwar hätten Caleb und Azura im Bett des Kapitäns genug Platz gehabt - vor allem, weil Madiha wohl noch das riesige Adelsbett erwartete -, aber etwas in ihr sträubte sich dagegen, sie nun zusammenzulegen.
In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an den Raben. "Kannst du ein weiteres Bett erschaffen?" Corax nickte zwar, aber sie beide wussten, wieviel Kraft ihn bereits das Kreieren von Azuras Schlafkammer gekostet hatte. Genug, dass er für längere Zeit am warmen Kaminfeuer außer Gefecht gesetzt war. Würde er noch in der Lage sein, Madihas Bitte Folge zu leisten? Er sträubte sich nicht. Sie war die Herrin und natürlich befolgte er dann auch ihre Befehle oder erfüllte ihre Wünsche. Außerdem gewährte sie ihm dafür die Möglichkeit, bei Azura zu bleiben und ihr trotzdem noch dienen zu können. "Gute Herrin, gute Herrin", krächzte er, während er hinter ihr und neben Azuras Trägern über das Deck hopste.
In der Kapitänskajüte angekommen musste Madiha feststellen, dass jeglicher Zauber gewichen war. Fort war all der prinzessinnenhafte Prunk, der Komfort und die Schönheit eines Märchens mit glücklichem Ende. Zurück blieb die bittere Wahrheit in Form eines erneut kapitänslosen Schiffes, das es hoffentlich bald in irgendeinen Hafen schaffte. Zurück blieb ein Mann, der so selbstlos war, noch eine Frau retten zu wollen, die auf sie alle mit einer Arroganz herabgeschaut hatte, dass man sich fragte, ob sie es denn wert war. Aber auch ein Mann, der viel zu oft arg- und kopflos handelte, was ihn nun vielleicht sein Leben kosten würde. Noch atmete er, lag zunächst auf dem großen Schreibtisch des Kapitäns. Die Matrosen wollten ihn noch nicht in das Bett legen, solange seine Kleidung nass war. Aber sie sahen sich auch nicht mehr in der Notwendigkeit, höflich zu bleiben. Auch sie wollten, dass Caleb lebte. So begannen sie damit, ihn zu entkleiden, unabgängig davon, dass Madiha gerade den Raum betrat. Die Matrosen, die Azura trugen, warteten. Es gab nicht genug Ablageflächen und Corax hüpfte gerade erst in die Kammer. Er flatterte los und landete auf Madihas Schulter. Mit dem Schnabel schob er ihr gekürztes Haar beiseite, um ihr Ohr zu erreichen und entgegen aller Erwartungen nutzte er Sendli, als wäre es eine Geheimsprache: "Herrin, schick sie weg, sobald sie fertig sind. Dann zaubere ich für dich." Und für Azura. Für Caleb. Jetzt wollte er es noch nicht tun oder konnte es nicht? Was auch immer die Gründe waren, er hielt sich zurück, solange sie nicht allein waren.
So musste Madiha warten und mit ansehen, wie Caleb entblättert wurde. Er war wirklich verletzt, wie sie es Jakub mitgeteilt hatte. Seine Hüfte war eindeutig neu verbunden worden, leider nicht sehr professionell. Durch den Sprung ins Meer hatte sich der Verband gelöst. Die Matrosen wickelten ihn ab, weil auch er vollkommen nass war. Madiha konnte dunkelrote Flecken auf den Leinen ausmachen. Die Wunde war wieder offen.

Der Schmerz erreichte sogar Caleb im Zwischenraum von Leben und Tod. Er zuckte zusammen, als ein rotes Leuchten an seiner Hüfte entstand und dazu führte, dass er sich sogar krümmte. Der Gevatter blickte ihn an. Hätte der Sterbliche seine Hand ergriffen und wäre sofort mit ihm gegangen, wäre er nun frei von Schmerz. Aber er wollte ja unbedingt kämpfen, wollte zurück ... ebenso wie die sture Göttin, die hier das eigentliche Problem war. Nicht einmal Azura besaß noch den Wunsch einer zweiten Chance, aber sie wurde - ebenso wie der Gevatter - übergangen, denn niemand stellte sich gegen die Entscheidung Venthas. Nicht, weil sie über ihnen stand, sondern weil sie stur und furchtbar impulsiv, sowie wankelmütig war. Es würde mehr Schaden verursachen, wenn die gekränkte Göttin sich für eine Umweltkatastrophe entschied, als einmal mehr ihren Willen zu erhalten. Trotzdem konnte Tod auch ihr nicht jedes Mal alles durchgehen lassen. Doch er hatte offenbar mit jemandem gesprochen, dem auch er unterstand. War es das Mädchen mit der grünlich schimmernden Laterne? Hoffnung? War nicht der Kidnergott Feylin dafür zuständig? Dann konnte er es nicht sein. Ohnehin, wo steckte das Kind plötzlich? Es hatte sich einfach so lautlos und heimlich wieder aus dem Staub gemacht wie es erschienen war!
Dafür wurde die Göttin Ventha umso lauter. Sie hielt Azura gewissermaßen eine Predigt und machte ihr klar, dass sie zurück ins Leben kehren sollte. Azura interpretierte es erneut als Ablehnung. Selbst die Göttin, die sie schon immer anhimmelte, wandte sich von ihr ab?! Hätte sich Boden unter ihren schlanken Füßen befunden, er wäre ihr nun gänzlich weggerissen worden. Stattdessen kam es noch schlimmer: Azura fügte sich. Aber selbst ihre Unterwürfigkeit schien der Göttin zu missfallen. Sie verzog die Lippen verärgert. Vielleicht lag es aber auch daran, dass man ihr gerade nicht die erwartete Aufmerksamkeit schenkte. Sie und Azura hatten viel gemein. Die Adlige ging aber derzeit eher auf Caleb los. Allein, dass er sich ständig einmischte, schürte ihren Zorn und jetzt wollte er auch noch über ihren Kopf hinweg entscheiden, dass sie ein Leben weiterführen sollte, an dem sie nichts mehr hielt. Nicht einmal Corax, den er gerade erwähnte.
"Ach ja? Und wie lange, glaubst du, wird er noch dabei bleiben? Wie lange, bis ich ihm zu schnell altere oder ihn einfach nur langweile, wie das bei euch Männern stets passiert?!"
"Du hast dich offensichtlich dein Leben lang mit den falschen Männern umgeben, wenn du so denkst." Caleb hielt sich die Seite. Warum spürte er nur Schmerzen? Er war doch tot! es fiel ihm schwer, den Fokus auf Azura zu behalten. "Warum unterstellst du Corax, dass auch er so ist? Siehst du denn nicht, wie sehr er an dir hängt?" Azura nächsten Erguss aus Zorn bekam er kaum mit. Seine Sicht verschwamm und etwas zog an ihm. Eine alte Redewendung besagte, dass man sich glücklich schätzen sollte, wenn man den Schmerz spürte. Es bedeutete, dass man noch am Leben war. Das Leben zerrte an ihm, wollte ihn zurück zu seinem verletzten Körper bringen. Zurück zu mehr Schmerzen. Ein einziger Begriff riss den Kapitän aus dieser Ablenkung heraus: Missgeschick. Diesen Begriff verwendete man nicht aus dem Blauen heraus. Sie musste ihn aufgeschnappt haben. Das bedeutete, sie hatte dem Gespräch gelauscht! Die geistig schimmernden Wangen des Kapitäns färbten sich beinahe so rot wie seine Hüfte, wenngleich der Farbton eine andere Nuance besaß.
Ehe er der Andunierin aber antworten konnte, offerierte der Gevatter beiden Seelen, dass eine von ihnen um einen Weg zurück ins Leben spielen könnte. Azura wurde auch sogleich danach gefragt, ob sie diejenige sein wollte. Für den Moment, da sie Corax' Verzweiflung auf der Wasserleinwand von Venthas Gewandung sah, regte sich in ihr die Sehnsucht, doch leben zu wollen. Es dauerte leider keinen Herzschlag lang. Sie hatte sich entschieden. Es gab kein Zurück mehr. Sie würde diesem Weg folgen - allein und unabhängig davon, ob selbst die Göttin sie ablehnte. Niemand wollte sie. Das war ihre Überzeugung, während sie den Blick vom Raben abwandte, der nervös darauf wartete, dass die Matrosen endlich die Kajüte verließen.

Die Seefahrer hatten Caleb endlich der Kleidung entledigt und Madiha könnte einen ersten Blick auf ihn werfen. Die Wunde blutete, was gewiss Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie musste schnell gereinigt und neu verbunden werden, am besten noch mit irgendeiner unterstützenden Salbe zur Heilung versorgt. Vielleicht würde man sie sogar nochmal nähen müssen. Zunächst griff Kerf aber nach einem Stück Stoff und trocknete Calebs Leib damit so gut ab, wie er konnte. Er ließ keine Stelle aus und was für Stellen dieser Mann besaß! Keiner von Khasibs Gästen konnte mit Caleb mithalten. Nun verstand sie, warum Corax ihn einen gesegneten Speerkämpfer schimpfte. Welcher Gott auch immer dafür verantwortlich war, sie musste auch einem namenlosen Wesen für die Erschaffung weiter Hosen danken, sonst wäre ihr Dieb gewiss stets mit schmerzender Enge im Schritt unterwegs. So viel ... Mann! Corax schaute bewusst nicht hin.
Die Matrosen hoben Caleb an und trugen ihn endlich in das Bett - nackt, denn Kleidung musste erst noch organisiert werden. Aber man deckte ihn lieber zu, bis das geschehen wäre. Die Wunde hatte man mit einem frischen Tuch umwickelt, doch das reichte nicht. "Jemand muss sich das ansehen", brummte Briggs missmutig. Sie hatten keinen Heiler mehr an Bord.
Corax zupfte Madiha am Ohrläppchen. "Ich, ich!", krächzte er. Briggs hob beide Brauen, betrachtete den Vogel und schüttelte dann den Kopf. Aber auch er hatte keine Idee. "Mal sehen, ob ich Tjure auffinden kann. Er hat dich versorgt", nickte er in Madihas Richtung. Aber mehr als einen Verband anlegen, kann er auch nicht. Ich weiß nicht, ob das ausreicht."
"Sie ist soweit unverletzt", ließ sich einer der anderen Matrosen vernehmen. Jetzt lag Azura auf dem Schreibtisch und auch ihr Körper war von der nassen Kleidung befreit worden. Corax reckte den Hals. Sie schimmerte bläulich und dennoch krächzte er fast sinnlich: "Wie schön sie ist."

Azura könnte das hören, hätte sie ein Ohr dafür. Aber sie steckte fest verbissen in ihrem Glauben fest, dass niemand und wirklich niemand ihre Existenz wünschte. Nicht einmal Ventha wollte sie in ihrem Reich haben. Somit sah sie auch keinen Grund darin, ihr Leben weiterzuführen.
"Warum sollte ich? Ich bin dort nicht erwünscht, also habe ich keinen Bedarf an diesem Spiel." Hätte Tod Augen besessen, sie hätten seine Höhlen nun verlassen, um symbolisch durch den Raum zu rollen. Dafür verdrehten Ventha und Caleb gleichzeitig die ihren. "Schickt ihn einfach zurück, er hat einen Fehler begangen, und lasst es damit gut sein."
Damit konnte der Gevatter umgehen. Er strebte nicht danach, zwingend einen von beiden zurückzuschicken. Wenn jemand das Schicksal des Endes annahm, stand er bereit. Er führte keine Diskussionen, befürchtete aber, dass ein bestimmter Geselle sich dazu verleiten lassen könnte. Darum würde er sich noch kümmern müssen ... oder beobachten, wie es ausging. Hier aber entschied er und für ihn genügte diese Aussage. Er reichte Azura wiederholt die Knochenhand. "Ergreif sie und es endet", sagte er.
Ventha schaute gar unglücklich drein. "Dir ist klar, dass ich damit eine Gläbuige verliere und auf Celcia weniger Macht haben werde? Du lässt meine Meere mit deiner Entscheidung sterben, du naives Ding." Sie wandte sich ab, hinterließ eine Zorneskette aus Tränenperlen in der Luft. Erneut stampfte sich mit dem Schuh auf, murmelte aber für sich: "Natürlich will ich unter diesen Umständen niemanden bei mir haben. Glaube im Tod erreicht mich nicht." Sie war zu hören. Wenn ringsum nur Schwärze herrschte, hörte man selbst eine Stecknadel.

Silbern war sie, als Corax sie zückte. Sobald die Matrosen Azura entkleidet und getrocknet hatten, war er sehr schnell dabei, durch den Raum zu fliegen und unter wildem Krächzen mitzuteilen, dass niemand sie mehr anrühren sollte. Er jagte Briggs und die anderen quasi aus dem Raum und Madiha musste die Türe schließen. Erst dann flog er Kreise um den Tisch. Wo seine Federn das Holz berührten, da veränderte es sich. Trotzdem musste er sieben Runden drehen, bis der Zauber vollbracht war. Dieses Mal verwandelte er nicht den ganzen Raum. Calebs Kapitänsbett blieb ebenfalls unangetastet. Er schuf lediglich ein Bett für Azura, in dem sie auch bereits unter einer Decke ruhte, als die Magie vollzogen war. Ein schlichtes Bett aus einem einfachen Holzgestell, stabil aber fern von ihrem adligen Prunk. Für mehr reichte es nicht. Corax nahm erschöpft seine elfische Gestalt an und selbst hierbei musste er Einbußen machen. Er trug noch immer ein Federkleid, das ihm wie ein schwarz gefächerter Überwurf über die Schultern hing und seine Arme hinab führte. Seine Füße waren Krallen, die leises Kratzen über dem Holz erzeugten, als er so zu Madiha ... hopste. Er atmete schwer, Schweiß stand auf seiner Stirn und trotzdem zückte er eine silberne Nähnadel.
"An Bord ist keiner mit genug Wissen, um ihm zu helfen." Seine Augen huschten kurz zu Caleb. Auch dessen Atmung ging schwerer, seit man die Wunde offengelegt hatte. Er blutete. Das Laken unter ihm hatte schon kleine, rote Flecken. "Ich weiß nicht, wie Dunia aussieht, aber du?", richtete der Rabenmann seine Worte an Madiha. "Herrin, wenn du es weißt, dann zeig sie mir. Ein Blick in deine Träume, Gedanken und Sehnsüchte - ich kann es nicht trennen, werde nicht wissen, was ich zu sehen bekomme. Aber wenn du dich lang genug auf sie konzentrieren kannst, damit ich weiß, wie sie aussieht." Dann könnte er ihre Gestalt annehmen. "Und ihre Fähigkeiten", sprach er aus, was Madiha in der kurzen Zeit nicht einmal hätte in Gedanken fassen können.
Es bestand ein letzter Funke Hoffnung.

Auch in der Zwischenwelt von Leben und Tod war er vorhanden. Azura aber wollte ihn nicht ergreifen. Sie wollte mit dem Tod gehen, falls sie sich nach Venthas Worten nun nicht doch noch umentschied. Caleb hielt sich die Seite. Der Schmerz lockte mit allem, was man sich im Leben nicht wünschte, aber es schmeckte süß. Er versuchte dennoch, sich auf etwas Anderes zu konzentrieren.
"Wenn du schon lauschst, dann begreife auch den Kontext", knurrte der Kapitän. "Nicht du bist das Missgeschick. Es war ... die Situation." Er knurrte, nicht nur ob der Schmerzen, sondern weil er sich nun genötigt sah, vor einer echten Göttin und dem Gevatter höchstpersönlich sehr pikante Informationen preiszugeben. Wenn sich in einem geisterhaften Körper der verstorbenen Seele noch Blut ansammeln konnte, so musste es derzeit gänzlich in Calebs Kopf anzutreffen sein. Er glühte, dass er einen roten Schimmer auf Venthas Meeresgewand warf und Tods Schädelgesicht zu noch mehr Einschüchterung verhalf.
"Ich hab noch nie zuvor so viel ... Frau gesehen. Und du warst mir schrecklich nahe. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte nichts sagen können. Nagut, bei Venthas Wellenti-"
"Hmmmm?" Genannte Göttin hob eine Braue.
Caleb strahlte noch mehr Röte aus. Ihm war heiß. "Ich wollt's auch nicht. Du bist schön, lässt sich nicht bestreiten. Selbst, wenn mein Herz für jemand Anderes schlägt, meine Hose tut's nicht. Dagegen kann kein Mann etwas tun." Er seufzte, als wollte er Mitleid einheimsen. Das arme starke Geschlecht, das sein Geschlecht nicht unter Kontrolle hatte! "Deshalb hat Corax mir doch auch eine verpasst. Ha, der wollte mir die Augen auspicken! Als Rabe! Ich konnt's ihm zum Glück ausreden. Glaub mir, ich bin weit davon entfernt, dich ihm wegzunehmen."
"Das werde ich nun tun", gab Tod von sich. Er mochte die Ewigkeit als Zeitfaktor an seiner Seite haben, das hieß aber nicht, dass er auch mit ewiger Geduld haushalten konnte. "Da sie nicht spielen will, liegt es nun an dir. Wähle und wir werden sehen, ob du zurück kannst oder meine andere Hand ergreifst."
"Wie? Er kommt nicht einfach so zurück?", fragte Ventha nun überrascht. Tod grinste sie an. Er grinste immer, aber jetzt funkelte es geradezu verschmitzt in seinen Höhlen. "Es soll doch spannend bleiben und nach all dem erwarte ich wenigstens etwas Unterhaltung. Das seid ihr mir schuldig."
Caleb schnaufte amüsiert. "Auch dir bin ich was schuldig, he?" Nun grinste auch er und trat weiterhin in gekrümmter Haltung an den Gevatter heran. "Wirf eine Münze", bot er an. "Kopf, ich gewinne. Zahl, du verlierst."
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 26. Oktober 2022, 02:34

Auch wenn ihr durchaus auffiel, dass Corax‘ Magie nicht länger Bestand hatte, störte sich Madiha nicht daran. Sie war ohnehin nie viel gewohnt gewesen und machte sich nichts aus solchem Luxus. Für sie hatte es ein Lager am Boden gegeben oder auch mal ein karges Holzbett, doch nie durfte sie sich in die weichen Kissen legen, wenn nicht irgendein verschwitzter Körper den ihren hineindrückte. Madiha suchte kurz nach Caleb und fand ihn, flankiert von Kerf und Briggs, auf dem Schreibtisch wieder. Das Mädchen suchte daraufhin Corax, doch der Rabe kam erst nach ihr in das Zimmer. Madiha wandte sich einer Ecke zu, in der sie niemandem im Weg wäre. Sie war so dankbar, dass die Mannschaft sie nicht einfach dem Schicksal überließ... sie war auf die Hilfe angewiesen und ließ sie ihre jetzigen Aufgaben in Ruhe durchführen. Corax kam auf sie zu und blieb noch immer in Rabengestalt auf ihrer Schulter sitzen. Sein Schnabel kitzelte sie am Ohr, sodass sie tatsächlich die Mundwinkel etwas hob. Welch komisches Gefühl, zu dieser Stunde! "Herrin, schick sie weg, sobald sie fertig sind. Dann zaubere ich für dich." Madiha nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hätte und lenkte den Blick zurück auf die Helfer. Es dauerte keine Minute, da begannen die beiden Matrosen damit, Caleb zu entkleiden. Das Wüstenkind blinzelte und wusste im ersten Moment nicht so recht wohin mit ihren Augen, weshalb sie sich etwas zur Seite wandte und sich irgendeinen belanglosen Punkt am anderen Ende des Raumes suchte. Doch Madiha nahm im Augenwinkel sehr wohl die Bewegungen wahr und konnte nicht verhindern, dass sie immer mal wieder ein wenig den Kopf wandte, um besser sehen zu können. Ihr Herz setzte sich ein wenig schneller in Gang und der graublaue Blick erfasste sein Gesicht. Er wanderte langsam den Bewegungen der Matrosen nach… sein Hals, seine Schultern. Die ein oder andere Narbe vielleicht. Der Brustkorb mit der breiten Brust. Muskulös und durch sein Geschick Fassaden zu erklimmen, gestählt. Madiha konnte den Blick nicht abwenden. Es war skurril, denn im Grunde trauerte sie noch immer um ihn. Der Dieb, der ihr Herz gestohlen hatte und damit in den Tod gesprungen war. Das Mädchen aber, die Körperliches durchaus schon viel zu oft gesehen hatte, musste feststellen, dass es etwas gänzlich anderes war, den Körper desjenigen zu betrachten, dem man zugetan war. Ihr Herz klopfte etwas mehr und gerade, als sie wieder wegsehen wollte, trat Kerf zur Seite und entblößte, was Corax bereits angedeutet hatte, während ihres kleinen Lauschangriffs. Madiha starrte regelrecht, bis sie über beide Ohren furchtbar rot anlief und sich nicht mal wehren konnte, trotz aller Umstände ein tiefes Ziehen zu verspüren.
Sie schluckte und keuchte leise, ehe sie den Blick mühevoll doch noch abwandte. Madiha hatte viel gesehen. Madiha hatte genug für 2 Leben gesehen. Doch sie konnte nicht behaupten, überhaupt mal etwas dabei empfunden zu haben. Nicht so wie jetzt. Dennoch. Es war unangebracht und gehörte derzeit gewiss nicht zu den Dingen, denen sie nachweinte. Überhaupt ging es ihr nicht darum, wie gut oder schlecht er gebaut wäre…

Madiha dachte so viel unschuldiger, wenn sie an Caleb dachte. An sein Blitzen in den Augen, sein verschmitztes Grinsen, seine Haarsträhnen, wenn sie ihm in die Stirn fielen… sein grünblauer Blick, der ihr die Knie weich werden ließ. Sie dachte an seine Wärme, die er nun verloren hatte. An seine Stimme, die ihr stets ein kleinen Schauer über den Körper jagte… seine Verlegenheit und die Geste dazu. Das Mädchen war hoffnungslos verliebt und war sich dessen kaum bewusst. Sie wusste schon, dass sie ihn mochte, dass er ihr so wichtig war. Aber Liebe? Madiha erfuhr keine Liebe, an die sie sich erinnern könnte. Dementsprechend war für sie nur klar, dass sie ihn auf einmal mit anderen Augen sah und seine Nähe längst nicht mehr so unschuldig wirkte, wie noch zu der Zeit, als sie sich in den Zellen von Khasib getroffen hatten… Madiha hob verlegen eine Hand an und strich sich, den Blick abgewandt, eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Bis sie zu der Wunde kamen. Vorbei mit dem hungrigen Blick. Die Sorge trat wieder an die erste Stelle und blendete alles weitere aus. Briggs brummte, was sie ahnte und dennoch nickte Madiha knapp. „Danke.“, meinte sie, denn die Männer hatten sicherlich anderes zu tun und halfen dennoch. Dass die Wunde wieder blutete, ließ Madiha erneut an die Entstehung denken und an den verzweifelten Versuch, ihm zu helfen. Sie schluckte kloßig, bevor sich die Matrosen an Azura machten, nachdem Caleb ins Bett gelegt wurde. Er war bedeckt, sodass sie ihn wieder ohne Scham ansehen konnte. Leider würde das provisorische Tuch über der Wunde nicht helfen auf Dauer. Und wenn sie sich nichts einfallen ließ, würde er sterben. Noch mal.
In ihr flammte der Schmerz erneut auf, sodass sie entschlossen zurück zu denjenigen sah, die sich nun um Azura kümmerten. Corax fasste in einem Satz zusammen, was Madiha nicht ganz neidlos anerkennen musste: Azura war wunderschön. Alles passte zusammen, bis auf die bläuliche Hautfarbe, doch auch die entstellte sie nicht. Madiha schluckte auch hier, aber aus anderen Gründen. Azura zeigte dem Mädchen, was sie nicht hatte und das auf eine ziemlich perfekte Art und Weise. Nun wagte Madiha nicht mehr hinzusehen, wie Corax es bei Caleb nicht gewagt hatte. Corax aber sorgte dafür, dass sie endlich allein waren. Die Matrosen erhielten von Madiha einen Dank, als sie die Tür passierten, bis sie diese hinter ihnen schloss. Sie waren allein, was Madiha kurz durchatmen ließ.
Ihr Blick fiel auf ihre dunkle Hand, die sie gegen die Tür drückte, um sie zu schließen. Doch davon löste sie sich, das war nicht wichtig, es gab wirklich sehr viel Vorrangiges zu tun, denn Corax wandte gerade seine Magie an, um ein Bett für Azura zu kreieren. Es hätte vermutlich ihre Misslaune geschürt, aber Madiha war auch ihm dankbar. Schon verwandelte er sich zurück, schaffte es aber nur halb. Das Wüstenkind betrachtete den Raben einige Momente besorgt. „Geht es dir gut?“, wollte sie wissen und ließ ihren Blick einmal an ihm hinunterwandern.

Doch Corax lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Caleb. Ihr Blick glitt zu ihm und er wirkte friedlich, in dem Bett. Als würde er nur schlafen… Bevor sie wieder im Schmerz versinken konnte, konzentrierte sie sich lieber auf Corax: "An Bord ist keiner mit genug Wissen, um ihm zu helfen. Ich weiß nicht, wie Dunia aussieht, aber du?“ Madiha stockte. Dunia. Er sollte sich in Dunia verwandeln. Ihr Blick glitt zu Caleb zurück und sie sah die erschwerte Atmung erst jetzt. So wie die rötlichen Flecken. Rasch wandte sie sich wieder dem Raben zu und nickte entschlossen, zur Bestätigung, dass sie wusste, wie die Heilerin aussah. "Herrin, wenn du es weißt, dann zeig sie mir. Ein Blick in deine Träume, Gedanken und Sehnsüchte - ich kann es nicht trennen, werde nicht wissen, was ich zu sehen bekomme. Aber wenn du dich lang genug auf sie konzentrieren kannst, damit ich weiß, wie sie aussieht. Und ihre Fähigkeiten“ Die Erkenntnis oder besser: Die Offenbarung, traf Madiha wie ein Eimer eiskaltes Wasser. „Das… kannst du?!“, wollte sie eigentlich gar nicht wirklich wissen, denn eine neue Hoffnung formte sich in ihrem Herzen. Könnte Corax, in Gestalt von Dunia, tatsächlich das Zünglein an der Waage werden?! Das Wüstenkind brauchte kaum eine Handvoll an Sekunden, um Corax bestimmt zuzunicken. „Was muss ich tun?“, fragte sie entschlossen und würde alles dafür tun, dass Caleb heilen würde. Wie sie bereits unter Beweis gestellt hatte, als er in den Labyrinthen der Diebe schon mal fast aus ihrem Leben gerissen wurde.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Mittwoch 26. Oktober 2022, 08:08

In letzter Zeit schien ihr gesamtes Leben nur noch aus Missverständnissen zu bestehen, ohne, dass sie es merkte. Früher war alles so simpel gewesen im Vergleich zu dem, was seitdem geschehen war. Dabei war es ihr mitunter schon recht kompliziert erschienen, wie sie jene Bemerkung über die Nase einer Konkurrentin richtig formulieren sollte, um nur zwischen den Zeilen beleidigen zu können, oder wie sie dieses Tuch zu ihrem Kleid und ihrer Frisur kombinieren sollte.
Doch was war das zu all dem, was sie jetzt hatte durchmachen müssen? Nichts, absolut nichts! Ständig wurde sie gedemütigt, verlassen, enttäuscht. Nur das Meer war stets an ihrer Seite gewesen, oftmals fühlbar, sobald sie in dessen Nähe sein konnte, und immer ein Trost, beständig und niemals so, wie es sich nicht ankündigte. War es daher ein Wunder, dass sie sich als letzte Rettung ausgerechnet diesem ihrem Element hatte anvertrauen wollen?
Und nun... nun erschien es ihr auch so, als ob die Göttin der See sie nicht einmal mehr haben wollte, weil sie wertlos geworden war. Sie fühlte sich so... so... leer.
Bekümmert schlug sie ihre Augen nieder und wünschte sich nur noch, dass all das endlich ein Ende haben würde. Sie wollte vergessen und wollte nicht länger mit diesem Schmerz leb... besser gesagt, existieren müssen. Warum mussten alle sie daran erinnern, was sie zurück gelassen hatte, weil sie es nicht länger ertragen konnte? Mussten ihr Leid noch vertiefen, weil sie nicht einfach loslassen durfte?!
Der Kapitän mischte sich wieder ein, beleidigte sie und verlangte von ihr auch noch gefühlt die andere Wange, um zuschlagen zu können. Und wie so oft, keimte auch in ihr der Zorn, stieg hoch und verleitete sie zu Worten zu ihrer Verteidigung, die einzige Waffe, die sie je besessen hatte. Wütend funkelte sie ihn an, wie eine menschliche Kopie von ihrer so hoch verehrten Göttin, bei seiner Erwiderung.
"Was weißt du schon von meinem Leben?! Es ist ja nur falsch und heuchlerisch gewesen, nicht wahr?!", giftete sie und ihre Augen wurden schmal, als er fortfuhr. "Und, was soll er mit mir anfangen? Früher oder später werde ich ihn langweilen und sobald ich alt werde, hält ihn sowieso nichts mehr bei mir.", hielt sie dagegen und presste die Lippen einen Moment lang fest aufeinander bei der Erinnerung daran, wie schnell er sich anderen angebiedert hatte, anstatt aus freien Stücken bei ihr zu bleiben.
Warum nur kehrte er dann ständig zu ihr zurück? Azura deutete ein Kopfschütteln an und verdrängte diese Gedanken, um sich auf ihre Wut auf den Kapitän konzentrieren zu können.
Es war das Gerippe, das dafür sorgte, dass sie sich auch einem anderen Thema widmen musste. Instinktiv sah sie auf das herrliche Kleid der Göttin und dort ausgerechnet auf jenes Tier, um das es zuvor gegangen war. Sehnsucht wollte in ihr aufkeimen und die Erinnerung an den schönen Traum, den sie kurzfristig gehabt hatte.
An einen Mann an ihrer Seite, der sie aus ganzem Herzen liebte, vor allen Gefahren beschützte, sie auf Händen trug und der sie... Nun ja, das hatte er hinlänglich bewiesen in den heißen Quellen und ihr Körper sowie ihre Seelen hatten es genossen. Auch sie hegte Gefühle für ihn, wobei sie inzwischen daran zu zweifeln begonnen hatte, ob das ausreichte, was sie empfand. Doch all das war eben nichts weiter als ein Traum gewesen. Früher oder später hätte er genug von ihr, sähe sie nicht mehr als schön genug an, um sie zu begehren, und langweilen würde sie ihn sowieso, da sie keinerlei Erfahrungen mit Männern, also, keine richtigen, hatte und somit mit keinen Überraschungen aufwarten könnte, um ihn bei Laune zu halten. Was also sollte er dann noch mit ihr anfangen? Nein... besser, er wäre frei und erlöst von ihr, auch wenn das hieß, ihn tatsächlich der Göre überlassen zu müssen.
Diese Erkenntnis schmerzte und dennoch... es hätte ihr eigentlich den Abschied leichter machen sollen. Warum aber lauerte der Wunsch nach einer Rückkehr zu ihm am Rande ihres Bewusstseins, um in ihr dieses Gefühl nach seiner Umarmung wach zu halten?
Seufzend wandte sie sich ab, zwang sich dazu, um nicht schwach in ihrem Entschluss zu werden. Erst recht, als auch die Göttin sich von ihr abzuwenden schien. Es war beinahe schon eine logische Konsequenz, dass sie die Aufforderung zu dem Spiel um eine mögliche Rückkehr ablehnte.
Als Reaktion erhielt sie eine Hand, die sie lediglich zu ergreifen brauchte. Schon hob sie die ihre, doch ehe sie die Knochen berühren konnte, erklang die Stimme der Göttin neben ihr.
Instinktiv erstarrte Azura, wenige Millimeter vor dem sicheren Ende. Ihre eigenen Finger begannen zuerst zu zittern, dann sank ihre Hand allmählich und ungenutzt herab. Ihr Kopf drehte sich langsam und in einer Mischung aus Verwunderung und unendlicher Traurigkeit, gepaart mit Selbstzweifel höchster Stufe sah sie zu der Schönheit der Meere hin. "Warum kümmert Euch das? Ich bin nicht mächtig oder sonst wie von Bedeutung, das hat selbst der dort..." Sie wies mit dem Kinn in die Richtung des Kapitäns, ohne ihn anzusehen. "... schon erkannt. Niemals könnte ich Eure Herrlichkeit schmälern."
Das meinte sie tatsächlich ernst, sprach aus vollster Überzeugung darüber, dass sie für irgendjemandem noch von Wert sein könnte. Ihre Magie war verpufft, nachdem sie diese zu sehr eingesetzt hatte, und sie hatte keine Erfahrung damit, um sich darüber sicher sein zu können, dass sie zurückkehren würde. Ihre Schönheit war verblasst durch all die Schwellungen, die die Schläge in ihrem Gesicht verursacht hatten.
Und ihre Unberührtheit... die war sowieso dahin und diese Erinnerung wollte sie als das bewahren, was es gewesen war, ohne es mit neuerlicher Sehnsucht oder Traurigkeit zu trüben, ein atemberaubend schönes, aber eben einmaliges Erlebnis.
Die Stimme des ehemaligen Schiffskochs drang durch ihre Gedanken und weckte schon wieder den Zorn in ihr. Beinahe war es wie mit Corax, nur eben nicht so... amüsant oder mit Aussicht auf eine definitiv herrliche, unvergessliche Versöhnung. Sie warf ihm einen schrägen Blick zu. "Oh, du Armer, verzeih, dass sich mein Mitleid mit dir in Grenzen hält.", erwiderte sie schnippisch.
"Du kannst es dir jetzt schön reden, wie du willst. Aber du hast mich nicht angezogen oder mich darauf aufmerksam gemacht. Du hast den Anblick genossen. Du warst es, der mir einen zweiten Kuss angeboten hat. Wer weiß, was du alles noch mit mir getan hättest, wenn ich..." Nun war es auch an ihrem Geist, die Erinnerung an rote Wangen zu produzieren, sodass sie sich auf die Lippe biss und den Blick abwandte. "Du bist doch das beste Beispiel für die Treue von euch Mannsbildern. Aber mir Heuchelei und dergleichen unterstellen!"
Ihr Blick fiel wieder auf das Kleid und die Szene, die sich dort abspielte. Wie sie unter einer Decke auf einem ihr unbekannten Bett lag und wie Corax eine Nadel gezückt hielt.
Sie schluckte schwer und musste einen Moment lang daran denken, was er unter dem bösartigen Einfluss damit schon angerichtet hatte. Würde er auch jetzt...? Nein, diese Dinger waren vernichtet, er war endlich Herr seiner selbst und nichts und niemand würde ihn mehr zu etwas dergleichen zwingen. Auch hatte er sich mit dem Kapitän gut verstanden an Deck, hatte sie den Eindruck, sodass die Nadel auch nicht zu dessen Schaden bestimmt sein könnte. Oder...?
Warum interessierte sie das eigentlich? Sollte er sich doch diesem Kapitän van Tjenn widmen, wie er wo...
Azura zuckte leicht zusammen, als ein Erinnerungsfetzen in ihrem Geist aufblitzte. Moment! War da nicht...?
Es war schon länger her, ohne, dass sie es so genau zu sagen wusste, wie lange, da hatte sie eines Nachts nicht schlafen können und sich aus ihrem Zimmer gestohlen. Sie war mit bloßen Füßen in die Küche geschlichen, um sich dort eine kleine Leckerei zu stibitzen und auf diese Weise hoffentlich danach Ruhe zu finden.
Auf ihrem Rückweg, als sie sich gerade die Finger ableckte, war sie an einer angelehnten Tür vorbei gekommen und hatte die Stimme ihres Ziehvaters gehört, wie er mit einem noch späten Besucher gesprochen hatte. Dabei war dieser Name doch gefallen, van Tjenn! Oder... etwa nicht?
Sie wusste, dass sie aus Neugier weiter gelauscht hatte und dass es irgendwie um sie gegangen war. Nur... das Thema, das konnte sie noch nicht greifen. Würde es ihr gelingen, wenn sie sich stärker darauf konzentrierte?
Wieder wanderte ihr Blick unbewusst zu dem Kleid und der Szene im Reich der Lebenden. Die Sehnsucht nach Corax Umarmung wuchs, obwohl sie genau das eigentlich nicht hatte erreichen wollen. Ob es ihr wenigstens beim Denken helfen würde...?
Dass indes der Kapitän mit einem simplen Trick zu betrügen versuchte, ging an ihr vorüber, da sie nicht länger zuhören wollte.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 26. Oktober 2022, 13:16

Azura:
"Was weißt du schon von meinem Leben?! Es ist ja nur falsch und heuchlerisch gewesen, nicht wahr?!"
Caleb verschränkte auf Azuras Anfeindung hin die Arme, ohne es wirklich zu tun. Er konnte nicht. Seine Hüfte machte ihm zu schaffen, aus der in stetigen Impulsen ein rotes Licht Venthas Meeresgewand mit einem gleichfarbigen Schimmer belegte. Aber gewiss hätte er diese Haltung eingenommen, wenn der Schmerz nicht so sehr ablenkte. "Ich weiß mehr von adligem Geplänkel, Debütantinnenbällen und arrangierten Ehen, um sich Vorteile zu erkaufen als du ahnst", brummte er zurück, beließ es dann aber dabei. Nicht nur, weil Azura sich ohnehin dem Gespräch abwandte, sondern weil er sich darüber hinaus auch dem Tod zuwenden musste. Da die Andunierin nicht vor hatte, ins Leben zurückzukehren und darum zu spielen, fiel diese Chance automatisch Caleb zu. Und er ergriff sie. Es genügte nur ein Blick auf die wellige Leinwand und Madihas leidendes Gesicht, dass er seine Möglichkeiten nicht unversucht lassen wollte. Warum Azura sich weiter sträubte, zu Corax zurückkehren zu können, wollte ihm nicht in den Sinn kommen. Er konnte ihre Beweggründe absolut nicht nachvollziehen. Nicht einmal, als sie erneut das offenbar einzige Argument nutzte, das ihre Entscheidung für den Freitod rechtfertigte.
"Früher oder später werde ich ihn langweilen und sobald ich alt werde, hält ihn sowieso nichts mehr bei mir."
"Stattdessen willst du lieber tot sein und nicht die Zeit nutzen, in der er bei dir bleiben will und die möglicherweise Bestand haben könnte?" Caleb schnaubte. Er schwebte zum Gevatter herüber, der dem Mitspieler sogar eine Sitzfläche anbot: Einen erneuten Stuhl, dieses Mal in Form eines Schädels, welcher nicht minder grinste als der Gevatter selbst. Allerdings musste er von einem Troll oder ähnlichem Ungetüm stammen, so riesig wie er war. Caleb ließ sich darauf sinken und seufzte aus, weil die neue Haltung seinen Schmerz ein wenig linderte. Es trieb ihn dafür aber auch weiter aus dem Leben fort, das er durch ein Spiel gegen den Gevatter anstrebte. Als Sarmaer und zusätzlich Mitglied des Bundes der Wüstendiebe war es klar, dass er von vorneherein auch Tricks versuchte.
Tod musterte ihn. Eine Aura unbehaglicher Stille breitete sich um seine skelettierte Gestalt aus. Totenstille.
Derweil starrte Azura zu ihrer Göttin herüber. Sie hatte deren Worte vernommen und erneut war sie es, die die Adlige daran hinderte, die Knochenhand des Gevatters zu ergreifen. Unglaube stand in Azuras Zügen, ebenso wie Überraschung. Schon immer hatte sie die Götter für die mächtigsten Wesen Celcias gehalten. Ihr Wille war Gesetz und dass Ventha als wankelmütig galt, hatte sie umso mehr fasziniert. Sie schuf Gesetze, hielt sich aber nur daran, wenn sie wollte. Diese Freiheit besaß nicht einmal eine Adelstochter, aber so manches Mal hatte Azura sich ebenfalls göttlich gefühlt, wenn sie im Zuge einer Stimmungsschwankung dennoch alles bekommen hatte, was sie sich wünschte. Dass Ventha aber von ihrer Glaubensgemeinschaft derart abhängig war, erstaunte.
"Niemals könnte ich Eure Herrlichkeit schmälern."
Ventha gluckste freudlos. Ihr Gewand schlug größere Wellen, damit die Leinwand in die Lebendwelt bestehen blieb, sie sich aber dennoch setzen konnte. Auch sie schuf Mobiliar dafür und so wie der Riesenschädel zu Tod passte, so suchte auch sie ihren eigenen Stil für jedwede Sitzgelegenheit. Ventha drapierte sich nahezu perfekt auf einen Felsen, der sich genau an ihre bevorzugte Sitzhaltung zu schmiegen schien. Wie eine sehnsüchtige Statue saß sie auf dem Fels, die Beine leicht angewinkelt, dass sie unter dem sich bewegenden Wasserkleid beinahe einer Fischflosse gleichkamen. Eine, wie Corax Azura verpasst hatte, als sie gemeinsam durch Venthas Ozeane gezogen waren.
Der Adligen bot sie einen bequemeren Platz in Form einer offenen Muschel an. Die Sitzfläche war weich udn winzige Perlen säumten den Rand des Kissens, auf dem sie sich niederlassen konnte. Ventha beobachtete das Zwischenspiel von Tod und Caleb, während sie zu der jungen Frau sprach. "Weißt du, wer Nep Thunfisch war? Oder Atlantia? Hermeticon, der auf den Winden ritt? Auch nicht?" Sie hob die Schultern. "Das waren alles Vorgänger von mir. Götter von Wind und Wetter, Herren der See und Herrscheinnen über Zivilisationen, die ebenso im Meer versanken wie diese Wesenheiten in der Bedeutungslosigkeit. Wenn niemand da ist, der an dich glaubt, dann bist du machtlos. Was nützt ein Donnerschlag, wenn niemand ihn hört? Was Blitze, wenn niemand sie sehen will? Und wie kann man die erhitzten Gemüter mit einem sanften Regenguss abkühlen, wenn sie sich anderen Gottheiten zuwenden und dich vergessen?" Ihr Kopf ruckte herum, damit sie Azura mustern konnte. "Ihr bedeutungslosen, kleinen Sterblichen habt mehr Einfluss auf unser Fortbestehen als ihr glaubt. Glaube ist so wichtig." Sie ließ den Blick schweifen. Er landete auf dem Bewegtbild der Lebendwelt, wo Corax gerade eine silberne Nadel zückte. "Er weiß es", sagte Ventha. "Auch seine Macht baut nur auf dem Glauben auf. Unter dem Einfluss der verdorbenen Kobolde hat sich viel zu viel Macht auf ihm abgeladen, an die er noch immer glaubt. Ich sehe den Fluch, der sich allein noch von ihm nährt. Wenn man dran glaubt, wird es wahr"

Madiha:
"Das ... kannst du?!"
"Wenn du dran glaubst, wird es wahr", raunte Corax. Er drehte die Nadel, dass sie silbern im Licht der Kajüte funkelte. "Sie funktioniert beinahe so wie die, aus denen sich die Albtraumschlange geformt hat. Sie lassen dich Erinnerungen sehen. Sie haben mich nur immer das sehen lassen, was mich erinnerte, warum mein Weg der des Leids ist." Corax schauderte, dass sein Gefieder leise raschelte. Ihm ging es nicht gut, aus wenn er Madihas Frage von vor wenigen Augenblicken einfach mit einer Handbewegung abgetan hatte. Er war schon vorher erschöpft gewesen. Nicht nur das Kind der Wüste und die andunische Adlige hatten sich verausgabt. Dass Corax sich noch immer nicht gänzlich aus seiner Rabengestalt befreien konnte, sprach Bände. Dennoch ... wenn er jetzt nichts unternahm, würde Caleb definitiv sterben. Warum er sich selbst dann einem Risiko aussetzte, konnte Madiha nur erahnen. Er tat es gewiss nicht aus Nächstenliebe. Er mochte sich mit Caleb inzwischen besser verstehen, so dass man darauf hoffen könnte, dass sich eine Männerfreundschaft aufbaute, aber noch bedeutete ihm der Kapitän nicht so viel, um die eigene Gesundheit dermaßen zu gefährden. Er tat es für seine Herrin und auch hier spielte Sympathie nur eine geringere Rolle. Er tat es für die Herrin, weil er ihr Sklave war und weil jede Herrin und jeder Herr es von ihm bisher erwarteten. Es ging niemals um ihn, seine Bedürfnisse oder Wüsnche. Es ging darum, die Gunst der Herrschaft zu erhalten, ihr Wohlergehen zu sichern und alles zu bewahren, was ihr wichtig war. Auch ein Menschenleben. Seines war nichts wert.
"Was muss ich tun?"
"Nichts weiter. Konzentriere dich einfach auf deine Erinnerungen, in denen diese Dunia vorkam. Ich brauche ein möglichst gutes Bild von ihr. Oh, und atme jetzt besser tief ein. Es könnte pieken." Ohne weitere Vorwarnung, denn ihnen blieb nicht mehr viel Zeit, ließ Corax die Nadel auf Madihas Haut niedersausen. Schon schob sich die silberne Spitze darunter und in ihren Oberarm. Es piekte nicht nur, es brannte. Schelmenmagie breitete sich von dort aus und suchte ihre Träume und Erinnerungen heim, um sich an ihren zu laben und um eigene Visionen zu schaffen.
Da Madiha sich ganz auf Dunia konzentrierte, konnte sie die Richtung wenigstens ein bisschen lenken. Sie bekam tatsächlich die heilkundige Wüstendiebin zu sehen, allerdings wurde ihr ausgerechnet jene Erinnerung gezeigt, auf die sie am wenigsten gern zugegriffen hätte. Sie erkannte den Raum wieder, das Mobiliar und die angenehme Wärme, die alles ausstrahlte, obgleich weit über ihm Sarma von Dunkelelfen und Orks angegriffen wurde. Aber hier unterhalb der Erde, in Dunias kleinem Reich, fühlte sich alles ruhig an. Zu ruhig. Nicht einmal mehr ein Echo von Calebs Schritten war zu vernehmen, obwohl er sie gerade erst verlassen hatte. Er kehrte ihr und Sarma - und auch Madiha! - den Rücken, weil er diesen Krieg nicht führen wollte. Er suchte sein Heil in der Flucht und ließ alles zurück, an dem doch sein Herz hing. Er ließ Dunia zurück. Sie saß am Tisch, die Hände um die Tasse mit dampfendem Tee gelegt. Sie starrte in das Gebräu und kämpfte um das, was sie Madiha oftmals gepredigt hatte: Professionalität durch Perfektion. Eine Frau weinte keinem Mann hinterher, den sie niemals an sich heran gelassen hatte. Sie musste stark und unabhängig bleiben, durfte sich auf keine Liebschaft mit einem so arglosen Abenteurer einlassen. Sie hatte richtig entschieden, ihr Herz nicht an ihn zu verschenken. Denn er war gegangen. Sie wusste, dass er irgendwann gehen würde. Zum Glück weinte sie ihm keine Sekunde hinterher, weil sie die Liebe nicht zugelassen hatte. Dieser viel zu gut aussehende Dieb! Er hatte sich nicht nur aus dem Staub gemacht, sondern auch ihr Herz gestohlen. Madiha, die tief in ihrer Erinnerung steckte, spürte Dunias Schmerz. Oh, es fühlte sich ganz genauso an wie bei ihr! Diese tiefe Leere und unsagbare Kälte, weil er fort war. Diese Reue, ihm nicht gesagt zu haben, was sie empfand. Die Sehnsucht und die Furcht, nie wieder Gelegenheit zu bekommen.
Und dann schlug die Schelmenmagie zu. Grau war sie und demnach darauf ausgerichtet, das Schlechte zu schüren. Sie verursachte Leid, Missgeschick und Unglück. Das Bild vor Madihas geistigem Auge wandelte sich. Ohne Caleb hatte Dunia der Mut verlassen. Sarma war ohnehin gefallen. Die Wüstendiebe hatten keine Chance. Es war Corax' Volk, das nun regierte und sie nahmen sich, wonach ihnen der Sinn stand. Madiha hörte das vertraute Schnaufen und Stöhnen, noch bevor sie ein Bild dazu erhielt. Ihre Nase nahm den penetranten Gestank eines verschwitzten Körpers wahr, der sich bewusst nicht gereinigt hatte und es genoss, dass die fremde Zunge den Schmutz von seiner verhärteten Haut würde lecken müssen. Doch noch nicht jetzt. Jetzt lag er auf ihr, verursachte Schmerzen, Leid und Not, um sich selbst einen kurzen Moment des Glücks zu bescheren. Ein Glück, das nicht echt sein konnte. Er gaukelte sich selbst etwas vor, während die Frau unter ihm die Augen fest geschlossen hielt und nur darauf wartete, dass es endete. Dunia kannte es noch von früher und Madiha lernte nun kennen, was sie bislang nur als Gerücht gehört hatte. Die emanzipierte Dunia, die sich von keinem Mann unterdrücken ließ, lag auf einem schmutzigen Bett in einer billigen Kaschemme, während vor ihrer Tür bereits weitere Kundschaft wartete. Sie wurde im Schichtwechsel genommen, dass sie sich kaum noch erholen konnte. Irgendwann würde ihr Körper kapitulieren und aufgeben, so wie es ihre Seele bereitsgetan hatte. Sie lag einfach nur da, ließ es geschehen, während die dunkelelfischen Soldaten einer nach dem anderen mit einem düsteren Grinsen ihren nackten Körper über sie beugten. Sie spürte den Schmerz längst nicht mehr. Sie hatte gelernt, ihn auszublenden und sich sonst immer in eine Erinnerung gerettet, die ihr Kraft gab. Die Erinnerung an Caleb, der sie besucht und sogar bezahlt hatte, um ... von ihr abgelehnt zu werden. Niemals hatte er verlangt, doch zu erhalten, was andere sich nahmen. Er war dennoch regelmäßig zu ihr gekommen, wann immer er das Geld hatte auftreiben können. Nur, damit er bei ihr sitzen und ihr beim Lesen und Lernen zuschauen konnte. Und damit in dieser Zeit niemand ihre Seele schändete. Doch diese Erinnerung war für Dunia nicht länger abrufbar. Er war fort. Für immer. Und sie hatte den Weg zurück in ihr altes Leben gefunden, würde es fortführen bis irgendein Mann ihren Leib endgültig zerriss.
Auch der Albtraum zerriss plötzlich, als Corax die Nadel aus Madihas Haut zog. Er keuchte, taumelte zurück und krachte zu Boden. Er hatte genug gesehen, genug gefühlt. Nicht nur Madiha hatte Zugriff aus Dunias Emotionen erhalten. Der Halbrabe zitterte und umklammerte den eigenen Körper. Die Erinnerungen waren zu nah an seinen eigenen Lebenserfahrungen, als dass nicht auch er darunter litt. Es dauerte einige Zeit, bis er die Kraft fand, sich wieder der eigentlichen Aufgabe zu besinnen und Corax legte alle Kraft genau dort hinein. Für ihn und nicht einmal für Madiha blieb da jetzt Zeit. Mit wackligen Beinen stand er auf, wischte sich das Federkleid von den Armen und schüttelte langsam die Krähenfüße ab. Sein Körper nahm eine neue Gestalt und mit ihr eine gänzlich andere Haltung an.
Perfekt stand sie da, so wie Madiha sie kannte. Groß und schön in ihrer Makellosigkeit. Keine Falte der schwarzen Bluse lag falsch. Die gleichfarbige Lederhose betonte ihre Figur, aber das was nicht der Sinn der Sache. Sie sollte praktikabel sein, damit sie sich besser bewegen konnte, ohne ständig eine Schicht aus Stoff und Rüschen vor ihren Beinen voran zu schieben. Um ihren Oberschenkel war ein Lederband mit den notwendigsten Utensilien gelegt, die eine Medizinerin schnell griffbereit haben musste. Eine Gürteltasche beinhaltete mehrere Tinkturflaschen und sorgsam aufgerollte Verbände. Um ihren Hals hing ein Gerät, mit dem Madiha nichts anfangen konnte. Es besaß drei Endstücke. Zwei konnte man sich wohl in die Ohren stecken, das letzte war eine flache, aber glänzende Metallscheibe. Offenbar war sie kalt, denn Caleb zuckte unter der Berührung zusammen, als sie sich auf seine Brust legte. Tatsächlich steckte Corax in Dunias Gestalt nun die verbliebenen Stöpsel in seine Ohren. Er lauschte. Nein, sie lauschte und sie nickte. Dann zog sie sich den einzigen Stuhl im Raum heran und legte langsam Calebs Wunde frei.
"Ich brauche warmes Wasser, feuchte Tücher Alkohol. Besorg mir das so schnell wie möglich, dann hat er eine Chance. Los, los", befahl Dunia mit ihrer einzigartigen Stimme, mit der sie bei Madiha schon bewirkt hatte, dass jene sich eine Morgenroutine aneignete oder vor dem Schlafengehen tatsächlich noch versuchte, sich Buchstaben einzuprägen. Sie war es. Dunia. Sie saß da und tupfte Caleb das Blut von dem Riss an seiner Hüfte. Und sie würde ihn retten, wenn Madiha ihr alles brachte, was sie brauchte. "Beeil dich!"

Azura:
Was immer Azura auf der Leinwand mit ansah, sie bekam von dem Traum nichts mit, in dem Corax und Madiha sich befunden hatten. Die Szenerie zeigte ihr lediglich, dass ihr widerlicher Schuft von einem Gefährten, der nur zum Teil Dunkelelf und zum anderen derzeit ein Rabenwesen war, mit der Nadel auf das Mädchen losging. Er piekte sie und beide erstarrten. Wenig später taumelte Corax zurück, fiel zu Boden und als er aufstand, nahm er die Gestalt einer ihr unbekannten Wüstenschönheit an. Sie besaß strenge, kantige Züge, aber ihr dunkler Blick verriet einiges über ihr Selbstbewusstsein. Oh, sie ließ sich von niemandem etwas sagen und das verlieh ihr eine ganz eigene Form der Schönheit.
Eine, die Azura nicht mehr erreichen würde. Nicht in der Welt der Lebenden. Ihr Körper lag im Hintergrund in einem Bett, zugedeckt, aber das Gesicht nicht. Man konnte noch immer die geschwollene Wange und die geprügelten Gesichtspartien erkennen. Wie hatte Corax sie eben nur als schön bezeichnen können? Nichts an ihr war mehr schön. Wie konnte er sich nur noch für sie interessieren? Aber sie musste sich auch fragen, warum ihre Gedanken nach wie vor zum Kapitän der Blauen Möwe zurückkehrten, wo er sie doch ebenso wenig länger interessieren sollte. Er war kein Umgang für sie, da mochte er noch einen so nobel klingenden Namen besitzen.
Van Tjenn...
Schlagartig erfüllte Azura die Erinnerung, wo und wann sie diesen Namen aufgeschnappt hatte. Nicht nur bei ihrer heimlichen Tour durch das nächtliche Haus und als sie am Arbeitszimmer ihres Vaters vorbei kam, nein. Auch auf einem von vielen Bällen Wochen später war der Name gefallen. "Darf ich dir den geschätzten Gregor van Tjenn vorstellen, meine Tochter?" Mit diesen Worten hatte ihr Vater sie damals vor einem Mann knicksen lassen, über den Azura sich später hinter vorgehaltener Hand noch mit ihren adligen Freundinnen lustig gemacht hatte. Der Mann besaß viel zu viele Kerben und Falten im wettergegerbten Gesicht, als dass er wahrlich nobler Abstammung hatte sein können. Van Tjenn, der zählte doch nur zum Neu-Adel, jenem verächtlichen Zweig von Anduniern, die glaubten, es brauchte nur Geld, um mit einem gekauften Titel Teil dessen zu sein, worauf andere mit einem Generationen weiten Stammbaum zurückblicken konnten. Azura hatte damals unter dem Gekicher der anderen Mädchen geschwiegen, denn auch sie konnte nicht wirklich auf eine solche Blutlinie zurückblicken. Dass ihr Ziehvater sich ihre Mutter ausgesucht hatte, war reines Glück gewesen. Sie hatten sich in einen Adelsstand gekauft, ohne auch nur eine Münze dafür zahlen zu müssen.
Wieviel wohl dieser Gregor van Tjenn gezahlt hatte? Das wussten sie und ihre Freundinnen nicht. Ebenso wurde spekuliert und gescherzt, ob Azuras Vater es tatsächlich zuließ, dass sie einen so alten und unansehnlichen Edlen würde ehelichen müssen. "Ich wette, sein Liebesbusch ist schon so grau wie das wenige Haupthaar unter der schiefen Perrücke", hatte Amalia gekichert. "Ja und seine Rute ist verdorrt und mit Pusteln übersät", hatten Gwendolinas Worte Azura sogar erschreckt. Aber es sollte sich herausstellen, dass sie ihrem Ziehvater vertrauen konnte. Alycide van Ikari verscherbelte sein Mündel nicht an irgendeinen alten Sack. Er hatte Gregors Sohn im Blick gehabt, der bedauerlicherweise den Ball hatte absagen müssen. Eine Krankheit? War das der Grund gewesen? Azura konnte sich nicht erinnern, aber dunkel kamen Momente in ihrem Geist hoch, da sie erneut hatte auf den Spross Gregors treffen sollen ... was jedes Mal fehlgeschlagen war. Er lernte auf einem der Handelsschiffe, damit er eines Tages auch mit Erfahrung sein Erbe würde antreten können. Er war auf großer Fahrt. Er hatte in der Werft ausgeholfen und sich dabei verletzt. Er war wieder auf großer Fahrt. Er war ... verschollen mitsamt dem Schiff. Danach hatte ihr Vater sie nicht mehr mit den van Tjenns sprechen lassen und andere Galane waren an deren Stelle gerückt.
Van Tjenn ...
Verschollen in Sarma? Und jetzt saß er dort auf einem großen Schädel, dem Gevatter gegenüber und versuchte tatsächlich, ihn bei einem Spiel um Leben und Tod zu betrügen. Der Gevatter erkannte dies auch. Er musterte ihn noch immer in der Blase aus Totenstille, die beide umgab. Dann platzte sie, als der Kopf des Skeletts zurückklappte und er lachte. Oh, er lachte laut und mit reichlich Hall. Es erinnerte an aufgeschreckte Fledermäuse des Nachts auf einem Totenacker. Sein Gelächter stob mit wildem Galopp über ein Schlachtfeld, auf dem er die Seelen der Gefallenen erweckte, damit sie als Geisterarmee hinter ihm her marschieren konnten. Sein Lachen zerriss als silberne Sense den Himmel und ließ die Sterne verstorbene Seelen über sie alle niederregnen.
Dann erlosch es, als er den Kopf wieder nach vorn beugte. In seinen Augenhöhlen funkelte es bedrohlich und seine Stimme klang hohler als zuvor. "Du versuchst, mich auszutricksen."
"Erwischt", gab Caleb offen zu. Er fuhr sich durch die Haare und landete so mit der Hand im Nacken. Dann gluckste er entwaffnend.
"Dieses Spiel ist annuliert." Er streckte seine Knochenhand vor. War es das nun? Erhielt Caleb keine Chance mehr, weil sein Betrug aufgeflogen war? "Es ist nun an mir, ein Spiel vorzuschlagen und ich rate dir, darauf einzugehen. Wir spielen Stein, Schere, Papier. Drei Runden. Wer zwei gewinn, entscheidet das Spiel für sich."
Caleb blinzelte. Er neigte den Kopf und senkte die Hand aus dem Nacken. Dann schob er sie nach vorn, während er den Schädel vor sich genau musterte. "Stein ... Schere, Papier, ja? Einverstanden", sagte er und beide winkten im Takt mit den Händen. Drei Mal, dann enthüllten sie, für welches Symbol sie sich entschieden hatten.
"HA!" Caleb grinste auf. "Papier umwickelt den Stein, ich hab gewonnen."
"Nur eine Runde. Auf zur nächsten", erwiderte Tod. Lag da etwa Frust in seiner Stimme? Er knirschte mit den Zähnen. Calebs Brauen zuckten kurz empor. Tods Lichter in den Augenhöhlen funkelten. Dann schwenkten sie erneut die Hände und der Dieb grinste schon, als er wieder seine flache Hand vorzeigte, die das Papier symbolisierte. Sein Grinsen gefror und schwand. "Warum hast du nicht erneut den Stein gewählt?"
Tods Knochenfinger legten sich um Calebs, als er mit seinem Scherensymbol dessen Papierhändchen anschnitt. "Auch mit ist bekannt, dass statistisch gesehen Männer eher dazu neigen, den Stein zu wählen. Das Faustsymbol strahlt Stärke aus und viele sind im Irrglauben, ein starker Stein gewinn. Frauen wählen zumeist die Schere in der ersten Runde und beide Parteien bleiben bei ihrer Wahl, wenn sie damit gewinnen." Er ließ diese Information sacken, während Caleb missmutig auf seine Papierhand schaute und sie dann zurückzog. Jetzt ging es um alles oder nichts.
"Ich werde dein Papiersymbol wählen", sagte Tod. Caleb starrte ihn an. Dann grinste er und schüttelte den Kopf. Beide Männer schenkten erneut die Hände. Stein. Schere.
"...Papier..." Caleb starrte auf die flach ausgestreckte Knochenhand vor sich. Der Gevatter hatte ihm gesagt, was er wählen würde und er hatte Wort gehalten. Papier umwickelte Stein. Caleb, der Mann, hatte auf den starken Stein zurückgegriffen.
"Weil du frustriert über deine Niederlage in Runde zwei warst, hast du dich entschieden, das Symbol zu wechseln. Weil du mir nicht glaubtest, dass ich ehrlich zu dir sein und Papier wählen würde, blieb für mich nur die Schere. Der Stein schlägt die Schere, aber ich habe sie nicht gewählt. Das macht mich zum Gewinner. Damit ist es entschieden."
"Niemand besiegt den Tod", murmelte Ventha, die dem Spiel gebannt zugeschaut hatte und nun tatsächlich eine Träne für Calebs Niederlage weinte, welche sofort Teil ihres Kleides wurde.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Mittwoch 26. Oktober 2022, 20:49

Stets machte er ihr Vorwürfe und dadurch immer deutlicher, wer hier heuchlerisch gehandelt hatte. Von wegen, er hätte gar nicht anders gekonnt und wäre auch nur ein Mann!
Starren und grapschen hatte er wollen, während er ihr ins Ohr etwas davon gesäuselt hatte, dass jeder seinen Wert hätte und somit auch sie, obwohl sie nicht länger unberührt war! Hätte er tatsächlich etwas von dem Gesagten ernst gemeint, hätte er sie wenigstens darauf aufmerksam gemacht und ihr die Chance gegeben, ihre Blöße wieder zu bedecken. Stattdessen hatte er, während sie sich verzweifelt an ihn geklammert und eine verdächtige Beule gespürt hatte...
Ihre geisterhaften Wangen veränderten ihre Farbe noch stärker ins Rötliche, während sie ihm Vorwürfe machte, die in ihren Augen vollkommen gerechtfertigt waren. Doch es kam keine Einsicht von ihm!
Ihre Augen wurden schmal bei seinen Worten und sie gab einen spöttischen Laut von sich. Mehr hatte sie ihm diesbezüglich nicht zu sagen. Wenn er mehr von all dem aus ihrer Welt wusste... dann müsste er sich ihr gegenüber definitiv auch besser zu benehmen wissen!
Trotzdem konnte sie ein leichtes Zusammenzucken nicht unterdrücken, als er ihr noch eine Antwort gab, ehe er sich dem Gerippe zuwandte. Fest presste sie die Lippen aufeinander und senkte ihren Blick. "Zeit nutzen... Wozu? Lieber erlöse ich ihn gleich von mir...", nuschelte sie in sich hinein und musste an sich halten, um nicht das Bedürfnis zu verspüren zu weinen und zu... bereuen.
Schließlich deutete sie ein Kopfschütteln an und straffte daraufhin wieder die Schultern. Nein, sie hatte ihm nichts zu bieten, das ihm einen Grund liefern könnte, länger als notwendig bei ihr zu bleiben. Also war dieser Schritt der Richtige gewesen, um es gleich zu beenden und ihnen beiden noch größeres Leid zu ersparen. Und trotzdem...
Kurz glitt ihr Blick zu der wellenartigen Leinwand zurück, obwohl sie es lieber nicht tun sollte. Wie kam es dann, dass er ihr schon jetzt fehlte? Dass die Erinnerung an seine Umarmung zu verblassen begann, weil sie sich eigentlich wünschte, er würde sie erneuern?
Die Göttin der See lenkte sie davon ab und forderte wieder ihre Aufmerksamkeit ein. Notgedrungen löste sie sich von dem Bild und wandte sich der Person zu, die sie anbetete. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass sie für diese Schönheit von irgendeinem Wert sein könnte. Sie war nur eine kleine Sterbliche, nichts Besonderes, nicht einmal wirklich in ihrer Wassermagie geschult und auch bei ihren Gebeten und Opfern mitunter... nachlässig gewesen. Wie also könnte sie auch nur von irgendeiner Bedeutung sein?
Azura verstand das nicht, bekam aber nicht sogleich eine Antwort, sondern die Göttin bequemte sich erst einmal in eine angenehmere Position. Eine, die sie nur staunend und bewundernd dastehen ließ. Ventha war so schön, so herrlich, so... perfekt in allem, was sie tat, dass sie selbst sich noch kleiner und unwichtiger vorkam.
Dennoch bekam sie einen Platz an deren Seite angeboten, eine offene Muschel, die riesige Ausmaße hatte. Als erste Reaktion konnte sie nur mit leicht geöffnetem Mund staunen. Dann besann sie sich ihrer Erziehung, senkte demütig den Blick und knickste formvollendet als Dank für diese Position.
Sie ging über unsichtbaren Boden und ließ sich schließlich auf dem weichen Polster nieder. Ihr war, als würde ihr Herz aufgeregt bei der Nähe zu ihrer Göttin schlagen, die beinahe zum Greifen nahe war, eine Erinnerung an ihr sterbliches Dasein. Ob dies auch bei ihrem bläulich verfärbten, zugedeckten Körper der Fall wäre?
Jedoch beschlich sie auch ein Hauch von Unbehagen in dieser Sitzgelegenheit. Der obere Teil der Muschel ragte hoch über ihr auf und könnte jederzeit zuklappen, ohne dass sie rasch genug aus diesem Gefängnis entkommen könnte. Ob das so gewollt war? Als Mahnung, die Herrin des Wassers nicht zu verärgern?
Ein wenig Unsicherheit flackerte in ihrem Blick, als sie zu der Gestalt sah, die nun wieder das Wort an sie richtete. So aufmerksam wie möglich lauschte sie und musste den Kopf leicht schütteln, da ihr diese Namen tatsächlich nichts sagten. Nun gut, sie hatte sich auch nie sonderlich für den Glauben interessiert oder gar für dessen Geschichte und Entwicklung. Für sie war Ventha von Anfang an selbstverständlich die Göttin gewesen, zu der sie betete und an die sie sich hielt, ohne je daran zu zweifeln, dass sie nicht die Richtige dafür wäre. Es machte Sinn, was die andere ihr erzählte, auch wenn sie es so noch nie betrachtet und erst recht nicht für möglich gehalten hätte.
Plötzlich fuhr der Kopf von Ventha herum und ihre herrlichen Augen nahmen sie ins Visier, dass sie ihren eigenen Blick demütig und auch ein wenig reuig senkte. Bis sie selbst nun auf Corax und dessen Magie hinwies.
Azura schluckte schwer und sah ebenfalls zu der Leinwand. Ein Fehler, denn die Sehnsucht nach ihm wurde mit jedem Mal, wenn sie ihn beobachtete, größer. Sie zwang sich, sich abzuwenden. Vor allem auch, weil ihr einige Fragen in den Sinn kamen, die sie stellen wollte, ehe sie der Mut dazu verlassen würde. Oder die Muschel sich schließen würde...
"Warum ich?", wisperte sie leise und umarmte sich selbst ein weiteres Mal, drehte den Kopf weg, sodass sie weder die Göttin, noch Corax im Blick hätte, nicht einmal unabsichtlich. "Ihr habt so viele Gläubige, viele, die Euch tagtäglich, vielleicht sogar stündlich anbeten und immer an Euch glauben. Die sich viel mehr darum bemühen, Euch zu gefallen, Eure Gaben besser zu nutzen wissen. Dennoch seid Ihr mir erschienen, um zu verhindern, dass ich mitgehe. Warum...?" Sie seufzte leise und zog unbehaglich die Schultern hoch. "Ich verstehe das nicht..."
Damit meinte sie nicht länger die Tatsache, warum die andere ein Interesse an lebendigen Glaubenden hatte, das hatte sie nun begriffen. Jedoch ging ihr nicht auf, weswegen sie aus dieser Menge herausstechen sollte. Ihre Augen wurden unruhig, denn sie wollte die Göttin ansehen, in der Hoffnung, die Wahrheit hinter der Antwort zu erkennen, und zugleich wagte sie es nicht.
So kam es, dass ihr Blick stattdessen auf jene andere Stelle fiel, die sie eigentlich nicht treffen wollte. Aber ausgerechnet dorthin zog es sie und genau in diesem Moment zog der Dunkle eine silberne Nadel aus der Haut der Göre, taumelte nach hinten und fiel zu Boden. "Nein!", entfuhr es ihr heftig, während sie aufsprang und den Arm ausstreckte. "Lass ihn in Ruhe!"
Doch es würde sie niemand hören, sie würde nichts bewirken und ihn erst recht nicht schützen können. Nie mehr... Diese Erkenntnis raubte ihr die Kraft, sodass nun sie es war, die zurück plumpste. Leicht schüttelte sie den Kopf und fuhr sich mit den Händen über ihr Gesicht, wie als könne sie damit ihre Fassung zurück erlangen.
Als sie es erneut wagte, zu der Szene an Bord zu sehen... war er verschwunden. Stattdessen befand sich dort eine ihr unbekannte Frau, deren Erscheinung ihr nicht behagte. Sie war irgendwie... falsch und zugleich auch wieder nicht. Und wo war er? Hatte er sich etwa in...?
Azura schluckte schwer und umarmte sich nicht mehr nur selbst, sondern zog auch noch die Beine an. Das wollte sie nicht, das war nicht richtig, ihn schon wieder in eine Form zu zwingen, die nicht seiner wahren Gestalt entsprach!
Auf der anderen Seite... würde es ihr den endgültigen Abschied nicht wenigstens erleichtern, wenn sie ihn nicht mehr ständig entdecken musste? Ja, vielleicht... obwohl... wollte sie das denn wirklich? Oh, wieso war sie nur aufgehalten worden? Vorhin war ihr noch alles so einfach, so klar erschienen, während sie jetzt immer mehr Zweifel zu plagen begannen.
Und als wäre das nicht auch noch schlimm genug, öffnete sich in ihrem Geist jene Tür zu ihrer Erinnerung, die ihr schlagartig bewusst werden ließ, warum ihr dieser Name Van Tjenn etwas gesagt hatte. Wobei sie gern auf diese Erkenntnis verzichtet hätte! Doch einmal geöffnet, ließ sich jene Pforte nicht mehr so schnell schließen und all die damit verbundenen Gefühle von damals kehrten ebenfalls in ihr Bewusstsein zurück.
Jenes heftige Herzklopfen, als sie heimlich an der Tür gelauscht und eine Ahnung von dem darin besprochenen Thema bekommen hatte. Ihre ehrlich empfundene Erleichterung, als sich herausgestellt hatte, dass nicht der alte van Tjenn etwas von ihr wollte... oder besser gesagt, seinem Sohn den Vortritt lassen würde, um endlich einen besseren Erben zu bekommen. Aber auch ihre Scham darüber, wie sich ihre sogenannten Freundinnen darüber lustig gemacht hatten und sie alle Mühe hatte, um ihre Position allein wegen dieser Möglichkeit trotzdem zu verteidigen. Wie oft hatte sie nachts geweint oder davon geträumt, sich heimlich davon zu stehlen, um dieser Schmach zu entgehen.
Allerdings ebenso verletzend war es gewesen, diesen ominösen Sohn und potentiellen Werber um ihre Hand niemals zu Gesicht bekommen zu haben. Stets hatte es einen Grund gegeben, weswegen er vereinbarte Treffen nicht hatte einhalten können, plausibel, im Endeffekt jedoch wahrscheinlich... Ausflüchte!
Es war für sie Kränkung und Erleichterung zugleich gewesen, als dieses leidige Thema endlich ein Ende gefunden und sie nicht einen von neuem Adel hatte heiraten müssen. Obwohl sie durchaus eine Zeit lang die Befürchtung gehegt hatte, dass sie aus diesem Grunde von zukünftigen Galanen geschmäht werden könnte. Doch sie hatte es verstanden, ihre Opferrolle zu nutzen und schließlich als Mittelpunkt umso strahlender aus dieser Geschichte hervor zu gehen.
Trotzdem traf sie die Erkenntnis, wem sie beinahe versprochen worden wäre, wie ein Schlag in die Magengrube, sodass sie sich ob der imaginären Schmerzen leicht krümmte, die Augen weit aufgerissen und den Brustkorb rasch hebend und senkend, als benötigte sie noch Atemluft, die kaum in ihre Lunge zu dringen vermochte. In diesem Moment lachte das Gerippe laut und hallend, sodass ihr Kopf in die Höhe ruckte und ihre Augen aus den Höhlen gequollen wären vor Schreck, wenn sie noch in einem Körper gesteckt wäre. Es dauerte, bis er sich beruhigt hatte, und noch länger, bis Azura nicht mehr das Gefühl hatte, als erschiene gleich eine ganze Armee von Geistern, um sie beide in den schlimmsten Teil des Harax' zu schleifen.
Indes ging vor ihren Augen das Feilschen weiter und ob sie es wollte oder nicht, sie wurde davon in den Bann gezogen, musste regelrecht zusehen und fing an mitzufiebern. Die erste Runde gewann der Kapitän und ihr Mund öffnete sich leicht vor Fassungslosigkeit.
Wie konnte das sein? Konnte das Gerippe nicht voraussehen, was folgen würde? Oder... oder ließ es einem eine tatsächliche, eine reelle Chance zu gewinnen? Sollte sie womöglich doch versuchen...?
Nein, schon erzielte das unheimliche Wesen einen Punkt und machte damit ihre aufkeimende Hoffnung, ein Spiel könnte etwas an ihrem Dasein zum Positiven verändern, zunichte. Nicht nur das, er verriet auch, was er als nächstes tun würde. Azuras Augenbrauen hoben sich skeptisch an, aber er hielt Wort. Doch wie sie hatte auch der Kapitän nicht daran geglaubt und somit verloren. So, wie sie auch...
Das Murmeln neben ihr sorgte dafür, dass sie zu der Göttin sah. Fragend und irgendwie auch irritiert neigte sie leicht ihren Kopf zur Seite und ehe sie sich eines Besseren besann, entschlüpften ihr bereits folgende Worte. "Ihr wolltet doch unbedingt, dass wir nicht in Eurem Gewässer verweilen, sondern wieder leben. Wieso akzeptiert Ihr dieses Ergebnis jetzt? Das widerspricht sich schließlich." Ihr Tonfall war ehrlich fragend, ohne Vorwurf. Vielmehr wirkte sie wie ein Kind, das das Verhalten der Erwachsenen zu verstehen suchte und es ohne Hilfe nicht vermochte.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 26. Oktober 2022, 21:33

"Wenn du dran glaubst, wird es wahr", murmelte der Rabe und Madiha sah kurz auf ihre Hände. Sie hatte es hier nicht mehr geglaubt. Der Schmerz, Caleb verloren zu sehen, hatte ihr den Glauben an einen guten Ausgang genommen. Unsicher, ob sie den nötigen Glauben aufbringen würde, hob sie dennoch den Kopf und sah Corax entschieden an. Was musste sie dafür tun, dass er Dunia werden konnte? Er hob die blanke Nadel und kurz blendete sie Madiha im Auge, ehe er weitersprach. "Nichts weiter. Konzentriere dich einfach auf deine Erinnerungen, in denen diese Dunia vorkam. Ich brauche ein möglichst gutes Bild von ihr. Oh, und atme jetzt besser tief ein. Es könnte pieken." Bevor Madiha noch irgendetwas anderes hätte erwidern können, denn ihr fielen noch so einige Fragen ein, die sie vorher gern gestellt hätte, spürte sie erneut Schmerz. Doch dieses Mal war er, verglichen mit dem, den sie derzeit ein wenig unter Verschluss hielt, um weiterzumachen, nur geringfügig. Das Brennen entlockte ihr dennoch ein Zischen. Dann spürte sie die Magie in ihrem Arm und sah erschrocken Corax an, bevor das Bild in ihre Gedanken abtauchte. Madiha schwamm für einen Moment hilflos umher, bis sie sich an ihre Aufgabe erinnerte. Ein Bild von Dunia… Sie brauchte nur an den Namen der Heilerin zu denken, um sofort in jene letzte Erinnerung aus Sarma katapultiert zu werden, die mit ihr zutun gehabt hatte. Eben jene, die sie nicht mehr hatte sehen wollen. Die Erinnerung war so lebendig, dass Madiha sich gleich wieder wie damals fühlte. Caleb hatte sie verlassen und Dunia weinte. Sie hatte ihr mitgeteilt, dass er fort war und Madiha erinnerte sich an ihren diffusen Traum, der ihr das Gespräch der beiden gezeigt hatte. Ihr Herz litt unter der Erinnerung. „Dunia…“, flüsterte sie betreten, denn die Heilerin hatte ihr ein Versprechen abgenommen. Sie hatte ihr aufgetragen, Caleb zu ihr zurückzubringen. Wer war sie, dass sie ihr Caleb nun wegnehmen wollte? Madiha’s Magen zog sich unangenehm zusammen. Die Erinnerung war schmerzhaft und quälte sie auf ihre ganz eigene Weise. Das Mädchen schluckte leer, denn das schlechte Gewissen konnte sie wahrlich nicht aufhalten. Sie hatte ihr Wort gebrochen. Und mehr noch, sie beanspruchte Caleb obwohl sie wusste, dass die beiden einander näher waren… Madiha wollte das nicht sehen und sie wollte das nicht erkennen. Wann wäre sie mal dran? Wann wäre es genug? Nein... sie war niemals genug und niemals würde sie Caleb haben können. Entweder starb er endgültig, oder aber sie würde zur Seite treten müssen, weil das nun mal der Platz einer Sklavin war. Madiha’s Gedanken trudelten mehr und mehr ins Dunkle, ohne zu ahnen, dass der Ursprung die Magie war, die durch ihren Arm floss. Denn das Bild veränderte sich mit einem Mal und gab ihr eine Vision von einer Zukunft, die Dunia vermeintlich ereilt hatte. Madiha fror plötzlich und starrte mit weitgeöffneten Augen in den wabernden Nebel, der sich mehr und mehr zu einer Szenerie formte. Ihr Herz pochte bis zum Hals, während die Geräusche ihr bereits verrieten, was sie gleich sehen würde. Im ersten Moment glaubte sie noch, dass sie sich selbst sehen würde, dass Corax weiter abglitt und auch aus ihrem Leben verschiedene Momente erkennen würde. Doch die Wahrheit war viel schrecklicher: Dunia lag, mit schmerzerfülltem Gesicht unter einem Dunklen und ergab sich ihrem Schicksal. Ausgerechnet Dunia. Madiha klappte der Mund auf, denn sie war entsetzt. Das sehen zu müssen, erkennen zu müssen, dass sie womöglich sogar schuld daran war, dass Dunia aufgegeben hatte, zerriss ihr zum wiederholten Male an diesem Tag das Herz. Sollte es jemals wieder vollständig werden, hätte es grobe, hässliche Narben, die niemand je würde heilen wollen. Madiha wurde schlecht. Der Geruch, das Bild, die Idee davon… ihre Knie wurden weich, just in dem Moment, als Corax die Nadel entfernte und zu Boden ging. Auch Madiha sank in die Knie und starrte mit einem zum stummen Schrei geöffneten Mund auf den Raben. Corax schien ebenso zu leiden – natürlich, er kannte es doch auch… Doch anders als Madiha, schaffte er es, sich schneller aufzurappeln und sich zu besinnen, weshalb sie das taten.

Das Mädchen der Wüste aber rührte sich nicht, als er sich bereits zu verwandeln begann. Was hatte sie angerichtet? Erst als Corax seine Verwandlung vollendet hatte, blickte Madiha zu der Wüstenschönheit hinauf. Dunia. In Perfektion. Ihr Herz klopfte wie wild. „Duni…a…“, keuchte sie und war noch etwas mitgenommen von den Eindrücken. Erneut stiegen Madiha Tränen in die Augen. „Es tut mir so leid…“, entfuhr es ihr, auch wenn sie im Grunde wusste, dass es Corax war. Doch um ehrlich zu sein, betraf es einfach jeden hier im Raum, dass sie sich entschuldigte. Fast jeden. Corax gab seine letzte Kraftreserve her, denn er fühlte sich ihr verpflichtet. Er sah schlecht aus, zumindest vor seiner Verwandlung. Es ging nur alles viel zu schnell, sodass sie gar keine Chance mehr gehabt hatte, auch seinen Zustand zu bedenken. Dann war da Caleb, denn er würde Dunia vermutlich sofort retten wollen, wenn er erfuhr, was Madiha eben erlebt hatte. Doch würde sie es ihm sagen? Das hässliche Gefühl von Eigennutz flammte in ihr auf… Madiha senkte den Kopf und befand sich in einem emotionalen Dilemma. Wie viel konnten die Schultern eines Mädchens tragen? Dunia galt die Entschuldigung am meisten. Der echten Dunia. Wenn das wahrlich eine Vision gewesen war, dann hatte sie einen schweren Fehler begangen und Caleb – sollte er je wieder zu ihr, Madiha, zurückkehren – würde sie vermutlich erneut verlassen. Für sie. Sie, die an seinem Bett saß und sich wie eh und je, um seine Wunden kümmerte. Dunia, der sie so viel verdankte und die sie enttäuschte. Das Wüstenkind brauchte noch einen Augenblick, denn die Last zwang sie weiter in die Knie. Doch Corax – Dunia – wie auch immer, schaffte es spielend, sie wieder zur Ordnung zu rufen. Wie sie es von Anfang an getan hatte. Madiha erhob sich sichtlich erschöpft. Noch immer trug sie die nassen Klamotten, noch immer kämpfte ihr Körper mit den verletzten Händen, noch immer trug ihr Herz viel zu schwer an der Tatsache, dass Caleb in Gefahr schwebte und sie nichts tun konnte, außer abzuwarten. Dennoch merkte sie auf, denn auch sie kannte es, dass es niemals um sie oder ihre Bedürfnisse gegangen war, ebenso wie bei Corax und hörte Dunia zu, die ihr das auftrug, was sie brauchte. „Ich beeile mich.“, versicherte Madiha mit kratziger Stimme und wandte sich zur Tür.

Sie ging darauf zu und mit jedem Schritt weg von Caleb, traten wieder die Tränen in ihre Augen. Dort angelangt und während sie diese öffnete, wandte sie den Blick zurück. Er war in den allerbesten Händen. Ihr Blick glitt zu Corax, der Caleb weiter als Dunia untersuchte. Er gab sein Bestes. Und wieder unsicher zu Caleb. Doch dann fasste Madiha ein Herz und schob all ihre Zweifel, ihre Gedanken, ihre Ängste und ihre immense Trauer beiseite, um den letzten Funken nicht erlöschen zu lassen. Das Mädchen verließ die Kajüte und atmete einmal tief durch. Sie begann zu zittern, denn die Kälte kroch ihr nicht nur in Form des Windes in den Körper. Noch bevor sie aber einen Schritt machen konnte, trat Jakub vor sie. Sie hob den Blick und sah ihm ins Gesicht. Er trug in den Armen das, was Dunia verlangt hatte, und Madiha musterte ihn fragend. Der erste Maat erkundigte sich nach den beiden und Madiha presste die Lippen aufeinander. Seine Frage zerrte gehörig an ihr, doch sie öffnete die Lippen und setzte ein äußerst halbherziges Lächeln auf. „Wird schon.“, nuschelte sie und das Lächeln erstarb gleich wieder. Die Frage allerdings, ob sie Hilfe bräuchten, verneinte sie mit einem Kopfschütteln. Dann griff sich Madiha die Dinge und klemmte sie sich unter den Arm, da sie kaum Gefühl in den Händen hatte. Bevor sie jedoch wieder in die Kajüte trat, wandte sie sich noch mal über ihre Schulter Jakub zu. „Vielen Dank…“, murmelte sie, bevor sie wieder hineinschlüpfte. Eilig überbrückte sie die paar wenigen Schritte und reichte Corax-Dunia die Dinge. Dann trat sie zur Seite und starrte die Heilerin an. Es war verrückt. Sie war es, bis zur perfekt drapierten Frisur eines Dutts. „Kann ich helfen?“, wollte sie leise wissen und fühlte sich wieder sehr viel kleiner in ihrer Nähe. Brav und abwartend, würde sie auf ihre Anweisung reagieren. Wie sie es gelernt hatte. Madiha aber konnte ihre Augen nicht stillhalten, sodass ihr Blick auf Caleb ruhte. Erst jetzt verließ sie die Perfektion und sie sank neben dem Bett und seinem Kopf auf die Knie. „Caleb?“, murmelte sie in sein Ohr und wusste eigentlich nicht, ob er sie hören konnte. Doch er hatte gezuckt, als Dunia ihn abgehört hatte mit diesem Ding. „Caleb… Corax er.. sie ist hier.“, versuchte sie ihm Durchhaltevermögen zu schenken. Ihre Finger berührten sanft seinen Haaransatz, indem sie leicht darüber streichelte. „Hörst du? Es gibt Hoffnung… bitte… halte etwas durch“, flehte sie nahe seinem Ohr und schloss die Augen. "Ich brauche dich... Ich.. ich muss dir noch so vieles sagen." Wann hatte das ein Ende? Wann würde sie ihn wiederhaben? Ihr Blick glitt zu Corax. Und würde er es überhaupt schaffen? Er war bereits geschwächt. Madiha schloss für einen Moment die Augen. In ihr tobten die Eindrücke, die Entscheidungen, die sie zu treffen hatte, das eigene Wollen und das, was richtig wäre... Alles kollidierte in ihr und machte sie kraftlos. Sie alle waren das… was ist aus ihnen nur geworden? "Dunia", sprach sie ihn direkt an, damit die Illusion nicht verloren ging und wandte den Kopf leicht ihm zu. "Wirst du das aushalten können?", kratzte ihre Stimme fast schon tonlos. Vielleicht verstand er, dass sie ihn persönlich meinte. Nicht die Heilerin aus Sarma. Doch Madiha wollte auch nicht an der Magie rütteln. Im Grunde wollte sie nur, dass das alles ein Ende hätte und sie nicht Gefahr lief, sich in all den Dingen selbst zu verlieren, denn sie könnte es ebenso nicht ertragen, wenn Corax sich völlig aufzehrte, nur, weil er sich ihr zu Gehorsam verpflichtet hatte. Sie hätte ihn vielleicht doch aufhalten müssen... Aber er war so schnell mit der Nadel gewesen. Doch auch wenn sie sich schlecht gegenüber Dunia fühlte und sie ahnte, dass Corax sich vielleicht verausgabte…, hoffte sie inständig, dass sie beide dazu in der Lage waren, ihr Caleb zurückzugeben.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 27. Oktober 2022, 11:03

Mit mehr als gemischten Gefühlen verließ Madiha die Kapitänskajüte. Sie ließ Caleb in Corax' Obhut. In Dunias. Der Albtraum, den die silberne Nadel offenbart hatte, hinterließ tiefes Unbehagen im Herzen des Mädchens. Sie wusste nicht, ob das, was sie gesehen hatte, der Wahrheit entsprach oder nur eine düstere Zukunft für die Sarmaerin darstellte, die sie zurückgelassen hatten. Die Frau, welche ihr das Versprechen abgerungen hatte, auf Caleb aufzupassen und ihn zurückzubringen. Zurück zu ihr. Wie konnte sie auch nur eine Minute lang glauben, sich zwischen die beiden zu drängen?! Wäre es eine einseitige Zuneigung gewesen, Madiha hätte ihr Handeln damit rechtfertigen können, dass sie nun die Gelegenheit genutzt hatte. Aber so war es nicht, auch Caleb hatte um Dunias Verlust eine Träne vergossen. Es bereitete ihr eine Gänsehaut, die auf ihrem gesamten Körper Schuldgefühle hinterließ. Selbst wenn der Dieb überlebte und wieder erwachte, wie könnte sie ihm dann mitteilen, was sie bis vor kurzem noch bereut hatte, nicht längst gesagt zu haben? Wie nur, ohne dass sie Dunia damit ein Messer in den Rücken rammte?
Die Kälte an Deck holte das Mädchen ab und vertrieb für einen Moment die belastenden Gedanken. Die salzige Brise eines herannahenden Morgens kroch ihr bis unter die wenige Kleidung, die sie trug und erinnerte sie daran, dass auch ihr Stoff vollkommen nass war, weil sie sich auf Caleb geworfen hatte. Jetzt kroch die klamme Kälte bis tief in ihre Glieder hinein, dass es sie frösteln ließ. Es betäubte aber auch für eine Weile ihr Herz. Sie konnte sich der Aufgabe besinnen, weswegen sie die Kajüte verlassen hatte und so entkam sie gerade noch rechtzeitig einem Zusammenprall mit Jakub.
"Vorsicht!", warnte er und hob all die Dinge an, welche er hatte zum Kapitän bringen wollen, um zu helfen. Auch wenn er selbst kein Heilkundiger war, hatte er doch so weit mitgedacht, dass er genau wusste, was Verletzte jetzt brauchen könnten. Er trug eine hohe Schale, gefüllt mir Wasser. Es dampfte ihm ins Gesicht, dass seine sonst so strengen Züge richtig rot geworden waren. Die Schale stand auf einem Holztablett, auf dem auch einige Tücher verschiedener Größen lagen, außerdem noch eine kleine Kanne, aus der ebenfalls Dampf stieg, mehrere gestapelte Tassen und ein Teller mit Hartkeksen. Sie schmeckten weder süß, noch besonders gut, aber sie füllten den Magen und wenn man sie etwas in Tee tunkte, konnte man sie perfekt auf der Zunge zergehen lassen. Damit die Leidenden wenigstens einen kleinen Lichtblick haben konnte, hatte Jakub sogar noch das Honigglas mitgenommen, aus dem Madiha sich in der Kombüse wegen ihrer Halsschmerzen bereits bedient hatte.
Über all diese Habseligkeiten hinweg musterte der Erste Maat das Mädchen. Sein Lied zuckte. "Alles in Ordnung? Wie geht es ihnen?", fragte er und Madiha nuschelte nur eine Antwort, von der sie selbst nicht ganz überzeugt war. Hilfe wollte sie dennoch nicht. Es würde allein deshalb schon problematisch, wenn sie jedem anderen plötzlich Dunias Anwesenheit würde erklären müssen. Glücklicherweise akzeptierte Jakub es sofort. Er nickte und drückte ihr dann das Tablett in die Hände. Dabei fiel sein Blick auf die dunklen Handflächen. "Schau mal, ob du das auch behandeln kannst. Ich glaube, unser Medicus sagte mal: Solange es nicht eitert und heiß wird, ist es tolerierbar." Er sprach es nicht direkt aus, aber man hörte heraus, dass es ihm lieber wäre, wenn Madiha kein Risiko einginge. Doch auch Jakub wusste, dass sie ein Heiler zu wenig an Bord waren. Wenn Corax nun aber Dunias Fähigkeiten besaß, könnte er vielleicht auch für das Wüstenkind etwas tun. Caleb hatte dennoch Vorrang.
Mit dem Tablett kehrte sie rasch zu beiden zurück. In der Kabine hatte sich kaum etwas verändert, sah man davon ab, dass Dunia - Corax! - inzwischen die Wunde halbwegs gereinigt hatte. Irgendwo musste er doch noch eine Flasche Alkohol gefunden haben. Richtig! Hier befand sich ja noch die Tasche, die Caleb hergebracht hatte. Bevor das Unglück passiert war. Das heiße Wasser und die Tücher begrüßte die Medica dennoch. Sie winkte Madiha sofort heran. Selbst diese Geste war perfekt. Wie schaffte Corax es nur, sie so gut zu imitieren?
„Kann ich helfen?“
"Natürlich", erwiderte Dunia. "Ich brauche dich sogar sehr. Du musst mir Dinge reichen oder die Tücher fortnehmen, wenn sie zu sehr von Blut durchtränkt sind." Sie fragte nicht, ob Madiha sich dem gewachsen sah. Wie immer hatte sie Vertrauen in ihren Schützling, dass sie das meistern würde. Das hatte sie schon in Sarma gehabt, als sich Madiha mit den Buchstaben abquälte und plötzlich zur Prüfung für Feuermagie geschickt worden war. Hätte sie nur mehr Zeit gehabt! Dann wären ihre Hände nun nicht so verkohlt, weil sie gewusst hätte, wie sie sich vor ihren eigenen Kräften bewahren könnte. Dann könnte sie Calebs Haut noch unter den Fingern fühlen, die jetzt nur noch kribbeln wollten, wenn sie ihn berührte. Leise flüsterte sie ihm und vor allem sich Mut zu.
"Das ist gut. Rede mit ihm. Er muss wissen, dass jemand hier auf ihn wartet. Dann fühlt er sich genötigt, zu uns zurückzukehren." Dunia versorgte derweil die Wunde. Sie zückte Corax silberne ... nein, sie zückte eine Nadel. Eine simple aus irgendeinem Metall, das bei weitem nicht so schön funkelte wie die des Dunkelelfen. Sie sollte auch keine Albträume schüren oder Erinnerungen an dunkle Erlebnisse wecken, sondern lediglich verschließen, was aufgerissen war. Dunia ging auch hier vollkommen perfekt vor. Mit einem kleinen, aber sehr scharf aussehenden Messerchen trennte sie fetzige Hautteile ab und zog die geschnittenen Stellen dann gut zusammen, um sie zu vernähen. Die Wunde blutete mehrmals und Madiha musste ab und an eingreifen, die Tücher wechseln oder mit einem feuchten Tuch die roten Flecken wegtupfen. Niemals wischen, nur tupfen, bläute Dunia ihr streng, aber nicht unfreundlich ein.
Erst als alles vernäht war und die Medizinerin eine Kompresse gegen die Schmerzen vorbereite, wagte es das Wüstenkind, den Elfen hinter der Fassade anzusprechen. "Dunia?"
"Was ist?"
, entgegnete er noch immer mit ihrer Stimme. Madiha holte ihn nicht aus der Illusion heraus. Das durfte jetzt nicht passieren. Trotzdem sorgte sie sich. Sie hatte Dunia niemals zuvor schwitzen sehen, aber jetzt standen mehrere Perlen auf ihrer Stirn. Ihre Wangen hatten eine dunklere Farbe angenommen und die Haut um ihre Augen herum besaß einen Schatten, als fehlte ihr Schlaf. "Wirst du das aushalten können?"
Sie hielt in ihrem Tun inne und rührte sich eine ganze Weile nicht, als sei sie erstarrt. Dann setzte sie die Arbeit ungehindert fort. Erst als die Kompresse fertig war und sie diese gegen Calebs Nahtstelle gedrückt hatte, gab sie Madiha eine Antwort. "Zweifle nicht an mir. Ich bin stärker als du glaubst. Und ich werde mich von keinem Feind unterdrücken lassen." Sie verfiel in Schweigen, griff zu den Verbänden und deutete Madiha an, Caleb zusammen mit ihr anzuheben, damit sie ihm diese umlegen konnte. Menschen waren unglaublich schwer, wenn ihnen die Körperspannung fehlte. Mörder, die ihre Opfer fortschafften, mussten enorme Kraft aufbringen. Plötzlich meinte Dunia: "Ich sage immer wieder, dass du glauben sollst, damit es wahr ist. Bei den Bildern, die wir in deinem Kopf gesehen haben, darfst du es nicht tun. Niemals ... sie sind Lug und Trug. Sie mischen sich unter die Wahrheiten deiner Vergangenheit, schleichen sich ein und wiederholen sich mit jedem silbernen Nadelstich. Sie prägen sich ein, damit sie wahr werden. Lass das nicht geschehen. Diese Frau darf nicht gebrochen werden, weil sich ihr Herz von einem Mann abhängig gemacht hat. Das hat sie nie gewollt." Dunia schaute auf. Sie streckte eine Hand aus und schnippte ganz untypisch für sie und doch wieder nicht Caleb gegen die Stirn. "Deshalb bist du auch noch Jungfrau!" Sanfter fügte sie an: "Es hatte nie damit zu tun, dass ich dich nicht mag."
Plötzlich blinzelte sie, löste sich von Caleb und machte einen halben Schritt zurück. Das war nun nicht mehr Dunia. Die Bewegung besaß Makel. Sie war nicht so fließend, nicht so einstudiert wie alles von ihr. Sie war nicht perfekt. Außerdem spielte sie nun mit ihren Fingernägeln und es war Caleb, der Madiha plötzlich mit ihren dunklen Augen betrachtete. "Wenn ich jemand Anderen zu lange trage, kann ich mich verlieren. Das ist die größere Gefahr. Den Rest schaffe ich schon." Er schmunzelte mit ihren formvollendeten Lippen. "Manchmal wusste ich nicht mehr, ob ich noch ich selbst bin. Als ich Azura aus ihrem Heim entführt habe, war ich Soldat und Leibwächter der Dunkelelfe Serpentis Mortis. Ich ... hatte ganz vergessen, dass ich nie zuvor in einem Krieg gewesen bin, geraubt und gebrandschatzt habe. Azura hat mich zurückgeholt." Dunia schluckte leer, warf einen Blick über die Schulter und hinüber zum Bett, in dem die Adlige lag. "Ich will sie auf versorgen, solange ich das kann. Und dich auch ... Herrin." Er hielt an gewissen Dingen fest. Das musste er, damit er sich nicht verlor. Damit er nicht wirklich zu Dunia wurde. Und nun, da man bei Caleb nur abwarten konnte, machte sich die Heilkundige daran, auch Azuras Blessuren zu verarzten.

Die Adlige spürte eine milde Kühle auf ihrer Wange, welche in der Lebendwelt dich angeschwollen war. Es fühlte sich an, als hätte sie jemand gestreichelt. Wundsalbe konnte so gut tun! Man spürte es bis ins Zwischenreich. Außerdem lockte es ihren Blck noch einmal zur Wasserwand aus Venthas Kleid.
Ventha. Die Göttin beobachtete das Spiel, welches Caleb gegen den Gevatter führte. Sie saß so vollendet auf dem Stein, dass man sich wünschte, ein Künstler zu sein, um dieses Bild für immer festzuhalten. Es würde sich tief in Azura einprägen und sollte sie doch noch jemals ins Leben zurückfinden, könnte sie in Zeiten der Not und mit genug Glauben darauf zurückgreifen. Ventha war so schön, wenn Wind und See ruhten.
"Warum ich?", fragte Azura. Sie konnte nicht begreifen, welchen Wert sie nur für eine Göttin haben konnte. Natürlich verstand sie, was Ventha ihr erklärt hatte. Sie brauchte Gläubige, damit sie nicht in Vergessenheit geriet, aber was machte eine weniger schon aus? Vor allem eine, die ohnehin keinen Wert sah, auch fernab ihres Glaubens. Sie fühlte sich weniger wert als die Sklaven, die um Calebs und ihr Leben kämpften. Sie fühlte sich nutzlos und hielt noch immer daran fest, ein Missgeschick zu sein. Nicht begehrenswert genug, dass Caleb sie hätte haben wollen und doch ausreichend, dass er sie lieber begaffte als allein aus der Etikette heraus den Fauxpas anzusprechen. Dass sie sich selbst hier schon in Widersprüche verstrickte, bemerkte die Andunierin nicht. Sie war schon zu tief in der Spirale aus Selbsthass gefangen und die Stufen führten weiter nach unten. Nur eine Göttin könnte sie da noch herausholen.
"Weil du du bist. Azura van Ikari. Azura aus den Straßen." Sie sprach ruhig, diskret, um ihr Geheimnis nicht vor Caleb auszuplaudern. Tod wüsste es ohnehin, aber der Kapitän musste es nicht erfahren. Es bestand immerhin noch die Chance, dass er zurückkehrte und dann besäße er Wissen, auf dass er normalerweise nicht so einfach Zugriff gehabt hätte. Doch er war abgelenkt und so nutzte die Göttin die Gelegenheit, auch heikle Wahrheiten anzusprechen, wenngleich leise. "Wenn die Götter Liebenden wohlgesonnen sind, segnen sie diese mit einem Kind. Sie suchen aus, wer es wert ist, die Welt von Celcia zu betreten und sie entscheiden auch, ob jemand auf einen Teil ihrer Göttilichkeit zugreifen kann. Ihr nennt es Magie." Ventha reckte ihr Kinn. "Ich habe dich nicht entstehen lassen und mit Fähigkeiten ausgestattet, damit du beides - dein Leben und dein magisches Talent - ungenutzt lässt und dich lieber hier versteckst, nur weil das Leben selbst gerade nicht nach deinen Wünschen läuft." Ihre Augen schoben sich in die Winkel, so dass sie Azura von der Seite her mustern konnte. "Du fragst, warum du? Weil: gerade du! Es ist spannend für mich, dich zu beobachten. Ich genieße es, aich wenn ich mange tief im Landesinneren nur sehen kann, wenn es regnet oder ein kalter Sturm über das Land fegt." Sie schmunzelte. "Es macht Spaß, an den Fenstern zu rütteln und einen Blick hinein zu werfen. Nicht alle fürchten sich. Aber besonders die Menschen an der Küste liegen mir am Herzen. Die, die auf's Meer schauen und sich freuen, mich zu sehen. Darum du, Azura. Aktuell mag deine Welt einen Wandel durchmachen. Veränderungen sind wichtig. Ich verändere mich stetig." Sie ließ die Wellen ihres Kleides ein wenig höher schlagen und genoss, dass winzige Fasern davon als Wasserspritzer ihr Gesicht benetzten. "Statt wegzulaufen oder sich zu verkriechen, muss man mein Element annehmen. Wasser ist flexibel. Es passt sich an. Es fließt und reißt Hindernisse fort. Oder es festigt sich, wird zu Eis, damit andere einen Weg über Schluchten finden. Es wird zu Dampf, weil dieser durch jede noch so kleine Ritze hindurch kommt. Pass dich an, bis das Leben, das dir nicht gefällt, sich wieder dir anpasst. Und dann kannst du erneut irgendwo an einer Küste sitzen und mir zusehen, wie ich meinen Liebsten am Abend küsse." Ventha wiegte sich in leichter Melancholie und Verliebtheit. Azura kannte gewiss die Geschichten, dass sie dem Sonnengott Lysanthor zugetan war, ihn abends zu sich in das Meeresbett holte und entweder in seliger Ruhe bei ihm lag oder in wilder Leidenschaft mit ihm schlief, wenn die Wellen des Nachts laut gegen die Klippen schlugen. Und am Morgen ließ sie ihn wieder ziehen, damit er die Freude ihrer gemeinsamen Nacht über ganz Celcia strahlen lassen konnte. Das waren die romantischen Geschichten eines Ventha-Gottesdienstes und viele erfreuten sich daran. Es lockte die Menschen ans Meer, um den Liebenden aus Wasser und Sonnenlicht zuzuschauen.
Ventha hatte ihre Frage beantwortet. Nun schaute sie mit weniger Romantik, aber umso mehr Spannung dem Spiel zwischen dem Gevatter und Caleb zu. Zu ihrem Bedauern gewann der Tod. Sie wirkte überrascht. Es schien also nicht von vornherein klar zu sein, dass er unbesiegbar ware. Trotzdem hatte er gewonnen.
"Ihr wolltet doch unbedingt, dass wir nicht in Eurem Gewässer verweilen, sondern wieder leben. Wieso akzeptiert Ihr dieses Ergebnis jetzt?"
Ventha seufzte. "Nur weil ich nicht erneut aufbrause, heißt es nicht, dass es mir gefällt. Aber an dieser Stelle kann ich nichts tun - obwohl ich eine Göttin bin. Ich wurde angehört und habe für euch die Möglichkeit erwirkt, um euer Leben zu kämpfen. Aber auch ich muss mich an Regeln halten. Vor allem ... an ihre." Sie sah zu Tod hinüber und doch schien sie ihn nicht zu meinen. Selbst er war nur ein Diener des Lebens. Wenn man die Gesetze des Lebens missachtete oder nach seinem Willen formte, entstand Chaos und dann würde alles sterben. Endgültig. "Die Einzigen, die nun etwas tun könnten, seid - oh, Überraschung! - ihr Lebenden. Weil ihr so unsagbar und wunderbar stur seid, dass ihr nichts auf Gesetze gebt. Deshalb seid ihr interessant. Ihr kämpft auch dann noch, wenn es doch aussichtlos ist. Stur ... und dumm ... und manchmal erfolgreich damit."
In diesem Moment sprang Caleb auf. Er reckte dem Tod zwei Finger entgegen und rief lauthals: "Zwei von drei! Komm schon, das ist üblich in Sarma. Niemand hört nach nur einem Spiel auf. Du bist doch kein Niemand, oder?"
Tod musterte den Sturen ... den Dummen ... den Erfolgreichen. Er nickte. "Zwei von drei. Nenne das zweite Spiel sodann."
Caleb sank auf seinen Schädelstuhl zurück. Das Schimmern an seiner Hüfte ließ nach und er konnte wieder aufrecht sitzen. Nachdenklich rieb er sich über die feinen Stoppeln an seinem Kiefer.
"Lass dir Zeit." Tod klang, als gluckste er, aber der Schädel verzog keine Miene. Schließlich meinte Caleb: "Kennst du das Spiel Karawane? Es ist in Sarma sehr beliebt."
"Und auf dem Festland, wo man keine Karawanen kennt, nennt man es Mühle", erwiderte der Tod. Er nickte, wischte mit seiner Kutte über die Leere zwischen ihm und Caleb. Ein Tisch entstand. Es handelte sich um einen liegenden Grabstein, getragen von einem Haufen Knochen. Darauf entstand aus schwarzem Rauch schließlich das Spielbrett, zusammen mit den Spielsteinchen. Schwarze für den Gevatter, weiße für Caleb. Er ließ ihn beginnen und Caleb legte den ersten Marker. Wenn er drei zusammenhatte, was er entweder durch direktes Legen - sofern er noch Steine hatte - oder durch verschieben jener auf dem Spielfeld erzielen konnte, entstand eine Karawane ... oder eine Mühle. Der Trick bei dem Spiel war, eine so genannte Zwickmühle zu gestalten, bei der man einen Stein stets von einer Mühle in die nächste schob und so die Spielsteine des Gegners einheimste, bis er nicht mehr genug hatte, um zu gewinnen.
Tod und Caleb gaben sich hier nichts. Beide spielten sehr verbissen miteinander, doch es zeigte sich hier tatsächlich, dass Caleb oft Karawane gespielt haben musste. Er kannte alle Tricks und hatte den Gevatter am Ende tatsächlich besiegt. Er grinste auf. "Gewonnen!", rief er und war schon drauf und dran, aufzuspringen, um den Weg zurück ins Leben zu finden.
"Zwei von drei", erinnerte der Gevatter. Trotzdem erhob er sich. "Ich wähle das nächste Spiel. Du kannst es dir anschauen, ich überlasse dir wieder den ersten Zug." Das Mühlebrett löste sich in Rauch auf. An seine Stelle trat ein neues Brett. Es bestand aus schwarzen und weißen Quadraten und zu beiden Seiten waren kleine Armeen aufgestellt. Caleb führte die weiße Armee an, Tod die schwarze. Die Figuren waren unterschiedlich und es handelte sich eindeutig um die Sarmaer Variante des Spiels. Denn statt eines Königs saß ein dicker Sultan mit Turban auf einem der mittleren Randfelder. Neben ihm stand eine mit Tüchern verhüllte Haremsdame. Den Figuren war Schmuck als Zierde angebracht, aber nur sie glitzerte unter Diamanten. Auf den Eckfeldern standen Karawanenzelte, daneben warteten Kamelreiter auf ihren Einsatz. Dann gab es noch die Sandläufer, die einzigen nicht menschlichen Figuren auf dem Brett. Sie waren Echsen auf zwei Beinen und mit hohem Hautkragen. Weil sie anders als alle anderen waren, erlaubten ihnen die Regeln, diagonal über das Feld zu gehen. Das durfte sonst nur die Haremsdame. Vor diesen Figuren bauten sich zu beiden Seite eine Reihe einfacher Sarmaer auf. Auf Calebs Seite waren es ... winzige Wüstendiebe. Und jetzt erkannte man auch, dass seine Echsenmenschen tatsächlich Dunkelelfen im Federkleid waren. Er selbst war der Sultan und die verhüllte Frau neben ihm ...
Caleb strich über ihren Schleier. Er schaute zu Tod auf. "Ich bin bereit", sagte er.
Der Gevatter aber hob eine Knochenhand. "Ich weiß. Überlege trotzdem in Ruhe deinen ersten Zug. Von ihm hängt eine Menge ab. Du hast genug Zeit. Ich werde mich inzwischen um jene kümmern, die ihre Entscheidung schon getroffen hat." Er trat an Azura heran. "Komm mit. Ich zeige dir dein neues Heim."
Ventha blickte zum Gevatter auf. "Es ist noch nicht entschieden", murrte sie sehr ungöttlich. Tod schaute mit leeren Höhlen auf sie nieder und in deren Tiefen schien Ventha irgendetwas zu erkennen, das selbst sie ruhig stellte. "Oh", meinte sie und erhob sich. "Dann ... gehe ich jetzt. Aber ich komme wieder. Glaub nicht, dass du mich schon los bist."
"Ja. Das habe ich befürchtet", erwiderte der Zeitlose. Er wartete nun darauf, dass Azura endlich seine Hand ergriff.
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Madiha Al'Sarma
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Moderator des Spielers: Kazel
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Fähigkeiten: Durchhaltevermögen (sehr gut)
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 27. Oktober 2022, 15:25

Wie auch immer der Rabenelf das hinbekam, wie auch immer seine Magie funktionierte: Sie war perfekt. Für Madiha bestand gar kein Grund daran zu zweifeln, dass Corax in Gestalt von Dunia helfen konnte. Die Art und Weise wie er sich in ihrer Haut bewegte, die Gestiken und die Mimik, ihre Stimme. Alles war so, wie Madiha die Sarmaerin in Erinnerung hatte. Leider viel zu gut. Denn es schürte ihr gegenüber Schuldgefühle, die sie einfach nicht mehr wegdenken konnte. Die letzten Stunden und die extremen Situationen, denen sie und die anderen ausgesetzt waren, hatte Madiha vergessen lassen, dass es da noch jemanden gab. Sie hatte vergessen, dass Dunia in Sarma auf ihn wartete, zumindest zeitweise. "Ich brauche dich sogar sehr. Du musst mir Dinge reichen oder die Tücher fortnehmen, wenn sie zu sehr von Blut durchtränkt sind." Madiha nickte gehorsam und wartete, bis Dunia sich an das eigentliche Versorgung seiner Wunde machte. Sie trennte die überschüssige Haut ab, reinigte und tupfte, bis sie dann eine Nadel zog. Das Wüstenkind an ihrer Seite zuckte kurz, war das Brennen noch präsent, doch es war lediglich eine einfache Nähnadel, ohne weitere Funktion. Den Atem stieß Madiha aus. Sie war wirklich müde und schreckhaft. Die Anspannung der ganzen Situation, gaben ihr Stück um Stück den Rest. Trotzdem achtete sie genauestens darauf, dass kein Blut, Dunia die Sicht nahm. Sie tupfte und wischte, nahm durchblutetes Material zur Seite und reichte ihr neues, wenn es sein musste. Ekel tat sich Madiha indes nicht davor. Sie hatte bereits einige Arbeiten getan und alle mit einer gewissen, stoischen, Ruhe. Zudem erschreckte sie das Blut nicht mehr so. Sie hatte es bereits selbst an den Händen gehabt und unter Tränen sich bemüht, sein Leben zu retten. Madiha beobachtete Corax genau dabei, wie er Dunia imitierte und das scheinbar auch zum Erfolg führte. Doch ihr fielen auch die kleinen Unebenheiten auf. Das Schwitzen, die Schatten. Unruhe erfüllte sie, denn Corax verausgabte sich immer weiter. Ihr Blick rutschte zur Wunde, die Dunia beinahe fertig genäht hatte. Der Blutstrom versiegte allmählich und Madiha fiel ein Stein vom Herzen. Was auch immer Caleb daran hinderte, zurückzukehren, es würde jetzt nicht mehr die Wunde sein. Dennoch… Madiha musste wissen, ob das nicht zu viel sein würde. Entgegen einer Meinung, die sie derzeit nicht hören konnte, hatte sie nicht vor, dass Corax litt. Sie wollte auch nicht seine Bedürfnisse übergehen. Das hatte sie nie gewollt. Also musste sie es von ihm hören, ob er wirklich in der Lage dazu wäre. "Zweifle nicht an mir. Ich bin stärker als du glaubst. Und ich werde mich von keinem Feind unterdrücken lassen." Madiha horchte auf. Die Vision kehrte in ihr Bewusstsein zurück und sie holte tief Luft. "Ich sage immer wieder, dass du glauben sollst, damit es wahr ist. Bei den Bildern, die wir in deinem Kopf gesehen haben, darfst du es nicht tun. Niemals ... sie sind Lug und Trug. Sie mischen sich unter die Wahrheiten deiner Vergangenheit, schleichen sich ein und wiederholen sich mit jedem silbernen Nadelstich. Sie prägen sich ein, damit sie wahr werden. Lass das nicht geschehen. Diese Frau darf nicht gebrochen werden, weil sich ihr Herz von einem Mann abhängig gemacht hat. Das hat sie nie gewollt.“ Einen Moment musste Madiha die Worte verinnerlichen. Sie schaute auf Dunia seitlich herab und runzelte die Stirn. Doch sie war ebenso erleichtert. Es war also nicht wahr. Dunia würde das Schicksal nicht ereilen, weil sie sich nach Caleb so sehr sehnte, dass sie aufgab. Madiha nickte. „Ich halte mich daran.“, versprach sie und holte tief Luft. Ihr Blick glitt dennoch zu Caleb und ihre Unsicherheit lag deutlich auf ihrem Gesicht. Verwundert hob sie beide Augenbrauen als Dunia ihm gegen die Stirn schnippte. "Deshalb bist du auch noch Jungfrau! Es hatte nie damit zu tun, dass ich dich nicht mag." Madiha’s Blick glitt erneut zu Caleb. Sie wurde etwas rot um die Wangen.

Corax nahm ihr zwar die Sorge, dass Dunia ein schweres Los ereilt hatte, doch das änderte nichts daran, dass ihr das Versprechen wieder deutlicher im Bewusstsein war. Und die Zuneigung, die beide miteinander teilten. Wie passte sie da hinein? Madiha wusste die Antwort längst. Ihre Gedanken wurden ein wenig aufgerissen, als Corax von dem Bett zurücktrat und sie ihm nachblickte. Madiha sah ihn fragend und besorgt an. "Wenn ich jemand Anderen zu lange trage, kann ich mich verlieren. Das ist die größere Gefahr. Den Rest schaffe ich schon. Manchmal wusste ich nicht mehr, ob ich noch ich selbst bin. Als ich Azura aus ihrem Heim entführt habe, war ich Soldat und Leibwächter der Dunkelelfe Serpentis Mortis. Ich ... hatte ganz vergessen, dass ich nie zuvor in einem Krieg gewesen bin, geraubt und gebrandschatzt habe. Azura hat mich zurückgeholt. Ich will sie auch versorgen, solange ich das kann. Und dich auch ... Herrin." Madiha hatte leicht das Schmunzeln erwidert, als er ihr das erzählte. Doch dann schüttelte sie den Kopf. „Kümmere dich um Azura, solange du es musst. Du hast schon so viel für mich… und ihn getan. Ich bin jetzt nicht wichtig, aber sie sind es.“, murmelte sie und nickte ihm auffordernd zu. „Ich möchte, dass du dich, sobald du Azura behandelt hast, zurückverwandelst. Du musst deine Kräfte sparen. Vielleicht kannst du mir erzählen, was ich zu tun habe, dann kümmere ich mich selbst darum.“, sprach sie leise, aber ernst. „Wir können keinen weiteren Verlust vertragen, Dun… Corax…“, wisperte sie und schluckte. Madiha wandte sich Caleb zu, als Corax sich um Azura kümmerte. Sie deckte den Dieb wieder behutsam zu und blickte auf ihn nieder. In ihrem Blick lag die Traurigkeit offen, doch ebenso ein Entschluss, den sie einfach zu treffen hatte. Nie würde sie es wagen, sich in den Vordergrund zu drängen. Das war nicht Teil ihrer Welt. Ebenso wie Corax seine Bedürfnisse unterordnete, konnte Madiha nicht einfach nehmen, was sie wollte. Konnte sie nie und dafür war sie noch nicht lange genug ihre eigene Herrin. Sie ließ den Kopf hängen und schloss für einen Moment die Augen. Dann sah sie wieder auf. „Fast hätte ich sie enttäuscht…“, murmelte Madiha, war aber trotzdem laut genug, als dass Corax sie hören könnte. „Sie hat mich gebeten, ihn zurück zu ihr zu bringen…“, erzählte sie dem Raben, während er sich in ihrem Rücken, um Azura kümmerte. „Wie könnte ich mich widersetzen? Ich schulde ihr so viel. Und er? … Er hat um sie geweint, weißt du? Er hat dich gebeten, sich in sie zu verwandeln. Weil er sie braucht.“, erkannte Madiha und nickte langsam, während die Luft seufzend ihren Lungen entwich. „Ich will ihm nicht im Weg stehen. Und ihr natürlich.“, sie wandte kurz den Blick zurück und lächelte traurig zu ihm rüber. Madiha brauchte den Moment der Ehrlichkeit und wenn man überlegte, wie Corax und sie überhaupt so… vertraut geworden waren, dass sie sogar einander etwas erzählten, war es vielleicht nicht verwunderlich, dass sich jetzt bei ihm revanchierte. „Wir dienen – aber nicht uns. Wir helfen anderen dabei, ihre Träume zu erfüllen oder ihre Sehnsüchte zu stillen.“ Madiha spürte den Schmerz nach wie vor. Spürte, wie es ihr Herz zerriss, dass Caleb noch immer nicht wieder aufgewacht ist. Und wie ihr die Entscheidung, dass ihr Wunsch bedeutend geringer einzustufen war, als der von Dunia, die ihr so viel gegeben hatte, ihr einiges abverlangte. „Ich… ich verstehe nur nicht, wenn sein Herz ihr gehört, wieso er mit dir darüber sprach, dass…“, Madiha’s Stimme zitterte leicht und sie wandte sich ab von sCaleb's Anblick. Sie drehte sich zu Corax und kam zu ihm rüber. „Brauchst du Hilfe?“, fragte sie nun, auch um sich abzulenken. Allerdings sah sie Azura nicht dabei an. Für Madiha stand fest, wer all diese Situationen heraufbeschworen hatte. Wer dafür die Verantwortung trug. Doch sie wollte das Bedürfnis von Corax unterstützen, der sein Herz an sie verloren hatte.
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