Unter Venthas Willkür

Das große Meer ist launisch wie das Wetter. Einmal ist es friedlich und dann wieder die reinste Gefahr. Erfahrene Seemänner befahren es mit ihren großen Schiffen. Alle Reisen sind hier verzeichnet.
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Die Mantroner versuchen, gegen die Piraten vorzugehen.
Ein Teil der Amazonen, sowie das dunkle Volk sind Verbündete der Piraten.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Mittwoch 5. Oktober 2022, 12:24

Die Haltung des Körpers zuvor hatte sie bereits stutzig werden lassen. Nun allerdings auch ihren Vornamen aus seinem Mund zu hören, von dem sie nicht wusste, ob sie ihn ihm überhaupt bislang verraten hatte, noch dazu nicht in Garmisch, sondern in der allgemeinen Sprache und das mit einer irgendwie vertraut klingenden Betonung, dass sie einen unglaubwürdigen Verdacht hegte. Nicht, dass sie ihn so schnell hätte greifen oder gar benennen können, doch irgendetwas in ihrem Unterbewusstsein sprach darauf an.
Sie musste allerdings auch nicht sonderlich lange rätseln, denn mit einem Mal veränderte sich die Gestalt vor ihren Augen von allein und wurde zu... Corax! Direkt vor ihr, unversehrt und... lebendig! Eine Wendung, die sie nie und nimmer auch nur im Entferntesten hätte ahnen können, sodass er schon wieder daran arbeitete, ihre Nerven zu zerrütten. Ganz so, als wenn sie nicht schon angeschlagen genug wären!
Das zeigte sich auch bei ihren Reaktionen, denn sie würde erneut von ihren Gefühlen übermannt und wusste sich kaum anders zu helfen, als auf ihn loszugehen. Zu schlimm war sein blutverschmierter, lebloser Anblick gewesen, als dass sie ihm das nicht hätte vorwerfen können.
Und was tat er?! Nichts! Absolut gar nichts! Er stand nur da und ließ sie gegen ihn hämmern, als könne ihn auch all die Kraft, die sie im Moment aufbringen konnte, nicht beeindrucken.
Viel zu schnell verließ sie diese wütende Kraft auch schon wieder, sodass sie schluchzend gegen ihn sank und nichts weiter wollte, als dass er sie umarmte und tröstete. Ob mit Worten oder Liebkosungen wäre ihr vollkommen gleichgültig gewesen.
Stattdessen aber unterstellte er ihr schon wieder, dass sie sich mit einem anderen vergnügte, kaum, dass er weg war. Ja, sah man ihr denn an der Nasenspitze an, dass sie in ihrer Verzweiflung und ihrem Bestreben danach, den Schrecken wenigstens ganz kurz vergessen zu können, zu solch einem entwürdigenden Schritt hatte greifen wollen?!
Aus echt empfundener Empörung darüber, dass er sie als, in ihren Augen, leichtes Mädchen hinstellte und einem Hauch Reue schwenkte sie erneut zum Angriff um. Dieses Mal jedoch fing er einen ihrer Arme ein und obwohl sie ehrlich zornig war, erschauerte sie auch unwillkürlich bei dieser Berührung. Eine Reaktion die sie weder unterdrücken, noch gänzlich bei ihren aufgerichteten, noch immer entblößten Brustspitzen verbergen konnte.
Es dauerte, bis sie fertig war und Luft holen musste, während sie in dem Griff zu zappeln begann. Erst seine wütenden Worte ließen sie kurz innehalten und ihn angriffslustig anfunkeln. "Ach ja?!", fauchte sie ihm entgegen. "Und warum tust du es dann nicht endlich?!"
Das war eine ordentliche Herausforderung und wären seine Schlussfolgerungen andere gewesen oder ihre Reaktionen, er hätte sich sicherlich nicht zweimal bitten lassen. Zumindest würde sie davon ausgehen, wenn sie zu derart reifer Reflexion dieser Situation fähig wäre. So allerdings lief alles mehr oder weniger aus dem Ruder.
Azura blieb weiterhin gekränkt von seinen Unterstellungen und ihrem schlechten Gewissen über die Beinahe-Untreue ihm gegenüber. Und das, obwohl er sie längst eingetauscht und seinerseits gewiss betrogen hatte, noch dazu mit der vermaledeiten Göre!
Als wäre das noch nicht genug, kam ihr noch ein anderer Gedanke, der sie wahrlich in Schrecken zu versetzen wusste. Was, wenn sie hier nicht nur einem riesen Schwindel, sondern einer äußerst gefährlichen Illusion aufsaß, ausgeführt von einem dieser fürchterlichen Wesen, die so gerne quälten? Sie wich vor ihm zurück, ohne es bewusst zu tun, und spürte, wie sie der Mut zu verlassen drohte.
Doch ehe sie sich erneut ihrer Verzweiflung hingeben konnte, sprach er wieder zu ihr und holte sie, vorerst, noch zurück in die Wirklichkeit. Noch einmal kochte der Zorn in ihr hoch, wenngleich bei weitem nicht mehr so stark wie zuvor. "Mit mir? Was mit mir los ist?! Du sagst mir so etwas Wichtiges und spuckst auf einmal Blut und klappst zusammen, dass ich gerade noch auffangen kann, und... und..." Ihr stiegen die Tränen in die Augen, zumindest jener schon mögliche feine Film, den ihr Körper inzwischen wieder produzieren konnte, und ihr versagte einen Moment lang die Stimme bei der Erinnerung an diesen furchtbaren Anblick.
Sie versuchte, ihn zu verdrängen, sich zu konzentrieren und dennoch... hätte er nicht etwas gesagt, das sie stutzen ließ, sie hätte es höchstwahrscheinlich bei weitem nicht so schnell schaffen können. "Was...?", entkam ihr der fragende Hauch und erst jetzt bemerkte sie jenen frischen Hauch auf ihrer Haut, der dort eigentlich nicht sein sollte.
Einer, viel zu spät erfolgenden, Eingebung nach sah sie an sich herab... und lief puterrot an! Sofort schlug sie einen Arm vor ihre Blöße und funkelte ihn erneut zornig an, als hätte er das verschuldet. "Und das sagst du mir erst jetzt? Hast den Anblick lieber genießen wollen, als mir das zu sagen oder mir zu helfen?!", schimpfte sie schon wieder mit ihm und konnte doch nichts gegen die aufkommenden Fragen tun, die sich in ihren Gedanken festzusetzen begann.
Wie lange war sie obenrum schon entblößt? Was hatte der Schiffskoch alles gesehen? Und wieso hatte er ihr nichts gesagt?!
Während der von den Toten Auferstandene vor ihr zurück wich, kam sie auf die zündende Idee, ihre Brüste endlich wieder dorthin zu packen, wo sie hingehörten. Allerdings wollte sie nicht das gesamte Mieder öffnen und wieder schließen müssen, weswegen sie anfangs erst einmal versuchte, ihre Oberweite zurück zu drücken. Ein Unterfangen, das von wenig... besser gesagt, gar keinem Erfolg gekrönt war.
Unwillig schnaufte sie und zerrte an dem oberen Verschluss ihres Mieders. "Jetzt hilf mir doch!", murrte sie dabei und sah erst jetzt wieder auf. Um bei dem Anblick seiner leidenden Mimik in allem innezuhalten, als ahne sie, dass es gleich viel schlimmer werden würde.
Nun war es an ihr, ihn verständnislos anzublinzeln. "Was...?", wiederholte sie sich wenig geistreich und begann langsam, den Kopf leicht zu schütteln. "Was redest du da?"
Aber er hatte sich seine Meinung bereits gebildet und... veränderte sich schon wieder! Er wurde immer kleiner, bekam Federn und... wollte einfach wegfliegen! Perplex beobachtete sie ihn und es dauerte seine Zeit, bis ihr klar wurde, was er vorhaben könnte, als er gegen das Fenster anging.
Anstatt die Gelegenheit allerdings zu nutzen, ehe er eine Öffnung sich geschaffen hatte, und ihn einzufangen, stemmte sie die Hände in die Hüfte und starrte funkelnd den Vogel an. "Und was wird das jetzt, wenns fertig ist?", schalt sie ihn und ging davon aus, dass er aufhören und bleiben würde.
Doch er schaffte es, die Scheibe zu zerstören und sich hindurch zu zwängen. Nicht sofort, dazu war die Öffnung zu klein, sodass sie noch die Möglichkeit hatte, Luft zu holen und ihre erneut hochkochende Wut zu äußern. "Du widerlicher Schuft, du hundsgemeiner Kerl, du... du..." Ihr fiel nicht sofort eine weitere, passende Beleidung ein, während er plötzlich durch war und wegflattern konnte.
"... du elender Wicht! Bleib gefälligst hier, wenn ich mit dir rede!", rief sie ihm nach und lief zum Fenster. Doch er hatte schwarzes Gefieder und draußen war tiefste Nacht, sodass sie ihn nicht lange im Auge behalten konnte. "Komm gefälligst zurück!", versuchte sie es dennoch brüllend und starrte einige Momente lang wie erstarrt nach draußen.
Dann, als sie erkennen musste, dass er ihr nicht folgen würde, wandte sie sich wütend ab, griff sich eine der beiden kleineren Laternen auf dem Tisch und schmetterte sie gegen die Fensterfront mit einem zornigen Schrei. Die Keramik zerbarst an dem Fenstersteg, da das Holz eben stabiler war, und das restliche Öl lief langsam in einigen Bahnen daran herab. Wie gut, dass die Flamme bereits erloschen war, sonst hätte sie weit größere Probleme als ihr Gefühlschaos.
Keuchend und mit bebendem Busen stand sie einige Momente da, bis ihr allmählich wieder kalt wurde. Was sie an etwas erinnerte...
Ungeduldig zerrte sie an dem Mieder, bis es mit einem unschönen Geräusch nachgab und schließlich zu Boden fiel, wo sie dagegen trat und dafür sorgte, dass es halb unter dem Bett verschwand. So befreit konnte sie endlich wieder ihre Brust bedecken.
Danach jedoch verließ sie die Kraft und sie sank schluchzend zu Boden, die Hände vors Gesicht geschlagen und schlichtweg verzweifelt. Irgendwie schaffte sie es noch, sich soweit zum Fenster zu schieben, dass sie sich mit dem Rücken an den unteren Teil anlehnen und die Beine anziehen konnte, aber dann war es vorbei für sie. Schluchzend und bebend hockte sie da wie ein Häuflein Elend und konnte keinen Finger mehr rühren.
Sollte sich irgendwann wider Erwarten jemand zu ihr verirren, würde sie nicht einmal aufsehen, sondern lediglich in kindlich-bockigem und zugleich tieftraurigen Tonfall ein "Geh weg!" verlangen. Allerdings... wer sollte schon zu ihr kommen und nach ihr sehen wollen? Sie war allein, von allen verlassen, unbedeutend und... wertlos!
Warum taten die Götter ihr das an? Sie hatte nichts verbrochen, dass sie solch eine Qual verdient hatte! Aus welchem Grund also musste sie dermaßen leiden...?
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 6. Oktober 2022, 14:29

Azura:
Sofern ihre Beziehung hielt, würde man Azura unc Corax als das Paar der missverständlichen Liebe auf Celcia kennen. Bisher sah es aber nicht danach aus, als erhielte die Adlige diesen Titel. Wo sie zuvor noch befürchtet hatte, ihren widerlichen Schuft niemals wieder zu sehen, stand er plötzlich so lebendig und unversehrt vor ihr, dass sie es nicht hatte glauben können. Wenn sie das nur gewusst hätte, sie wäre niemals Caleb an den Hals gefallen! Wobei Corax ihr das vielleicht noch verziehen hätte. Waren seine Worte nicht gewesen, ihm sei es egal? Warum reagierte er dann dermaßen impulsiv, dass er sein Heil in der Flucht suchte und auch noch in Rabengestalt gegen das Fenster schlug? So gleichgültig konnte es ihm dann doch nicht sein und wer konnte es ihm verübeln?
Er hatte Azura endlich seine Gefühle gestanden und das nicht nur auf seine ihm eigene, bizarre Art und Weise. Er hatte offen ausgesprochen, dass er sie liebte ... und war anschließend tot zusammengebrochen, von seinem eigenen Blut besudelt. Davon hatte sie eben nichts mehr gesehen. Was war das nur wieder für ein Spiel? Dafür hielt Azura es erneut, als sie vor ihm zurückwich und somit das Drama seinen Lauf nahm. Corax interpretierte ihren Abstand zu ihm als Ablehnung und zog sich seinerseits zurück. Nun waren sie beide immer noch nicht wieder vereint, im Gegenteil. Der Rabe hatte sie verlassen. Er war in die Nacht davongeflogen ... zu wissen, dass er lebte und vor ihr geflohen war, schmerzte noch mehr als ihn durch einen unglücklichen Wink des Schicksal zu verlieren.
Azura knickten die Beine ein. Sie kauerte sich unterhalb des zerbrochenen Fensters zusammen, zog die Beine an und ergab sich ihrem Schmerz. Auf einen zweiten Retter zu hoffen, wäre vergebens. Niemand würde kommen, um sie dieses Mal in den Arm zu nehmen. Niemand betrat die Kabine des Kapitäns. Niemand war hier...
Das stimmte nicht. Denn wie die irdische Vesion sich vom Licht anziehen ließ, so lockte Azuras Leid eine kleine schwarze Motte ihren Weg durch die Fensteröffnung und hinein in die Kammer. Zunächste flatterte sie kaschierend um die verbliebene Laterne herum, ehe sie ungesehen in den Schatten landete. Dort zogen sich zwei der sechs Beinchen in ihren Körper zurück. Dafür wuchsen die anderen um ein Vielfaches, entwickelten hölzerne Gliedmaßen und knorrige Gelenke. Die Flügel pressten sich gegen den Rücken und verschwanden unter einer Schicht runzliger Haut, aus der bald kleine Warzen und Haare wie Dornen sprossen. Das unheimliche Stockmännchen richtete seine blutig roten Augen aus dem Schatten heraus auf Azura. Es zupfte sich das Kinn und murmelte leise: "Wie kann es sein, dass er noch lebt? Und warum habe ich davon nichts mitbekommen?" Wütend über das Verpasste stampfte das Wesen mit dem Fuß auf. Azura hörte nur ein leises, hölzernes Knacken. Es hätte aber auch vom Schiff stammen können. Das Männchenhin hingegen winkte ab. "Es muss daran gelegen haben, dass ich mich mit dem anderen verbunden habe. Das hatte aber zu sehr Spaß gemacht, hehehe ... und ich konnte unser Räbchen als Junge ja auch darunter leiden sehen. Schade, dass es nun vorbei ist. Der komische Glatzkopf hat's bemerkt und sich in seiner Kammer eingeschlossen, bis er mich losgeworden ist. Vonwegen Klabauter, ha! Ich bin doch keiner von meinen wassersüchtigen Verwandten. Igitt, Wasser!" Die roten Augen musterten Azura länger. Das Männchen schüttelte den Kopf. "Die da hat mir auch zu viel mit Wasser zu tun. Ich sollte nicht ... aber sie ist gebrochen. Guter Boden, jaja. Sehr guter Boden. Sie duftet, hehehe."

Jemand kam. Ob es sich dabei um einen Retter handelte, würde Azura selbst entscheiden müssen. Aber es näherte sich ihr jemand. Die Schritte erinnerten an die Holzpuppen, die sie am Anfang ihrer adligen Lebenszeit besessen hatte. Schöne Holzpüppchen in Rüschenkleidern, mit denen sie über das Parkett getanzt war und sie selbst hatte miteinander tanzen lassen. Schritt um Schritt. Trappel, trappel, trappel. So hörte es sich an. Aber das Männlein, das sich ihr näherte, hatte nichts mit den Holzpuppen gemein. Es war das genaue Gegenteil. Wie unheimlich es aussah mit den viel zu langen Gliedern, den knorrigen Gelenken, den riesigen Augen, die sie wue blutige Seen musterten. Das krautige Haar wuchs wirr von senem Kopf und das Männlein war nackt, besaß aber keinerlei Geschlechtsmerkmale. Da wuchsen nur zwei Eicheln über einem kleinen Ast, als sei es ein Baum!
"Armes Kind", grüßte es Azura. Seine Stimme klang schneidend und keineswegs voll Mitgefühl. Noch hielt es sicheren Abstand zu ihr, dass sie ihn nicht einmal treffen würde, wenn sie nach ihm trat. Es hob sogar beschwichtigend die Hände. "Ich weiß, ich bin dir ein Dorn im Auge. Wir sind nicht das, was man Freunde nennen könnte, nein nein. Aber ich sehe dein Leid und du siehst mich: allein. Mir fehlt es an Gesellschaft, so wie dir." Es hob einen langen Zeigefinger, der auch irgendwie an einen Ast erinnerte. "Keine Sorge, ich hab's nicht auf dich abgesehen. Pfui, nein, sowas interessiert mich nicht! Aaaaaaber ... du könntest mir etwas schenken, das mich interessiert, jaja!"
Plötzlich tanzte es auf einem Bein eim Kreis und sang dabei in einer fremden Sprache: "Heute tricks ich, nachher schau ich und morgen hol ich mir ein Kind!" Das Wesen kicherte, erinnerte sich offenbar wieder Azuras Anwesenheit und drehte sich in ihre Richtung. Dabei breitete es die Arme aus, dass goldener Glitzerstaub von seinen Fingern aus zu Boden fiel. Dort blieb jedoch nichts liegen. "Ich könnte dir Stroh zu Gold spinnen, wenn du möchtest. Oder dich in feinste Kleider hüllen, dir ein Schloss am Meeresgrund bauen und dich zu einer Prinzessin der See machen, jaja. Du kannst ein zauberhafter Schwan sein, der von diesem Schiff entkommt, um am Land seinen Schwanenprinzen zu finden. Oder ein nobles Haus, angereichert mit den Schätzen der Welt. Du glaubst mir nicht? Solltest du, denn ich kann's!" Dass Männlein stemmte beide Hände in die Hüften und grinste breit. Trotz alledem besaß es immer noch etwas Unheimliches. "Und ich verlang dafür auch nicht viel. Aber etwas muss ich haben, eine Hand wäscht den Popo des anderen oder so. Jaja. Keine Sorge, du kannst es mir geben. Gerade du würdest mir das beste Geschenk von allen machen!" Das Männlein senkte den Kopf verschwörerisch zwischen die Schultern. Sein Grinsen nahm etwas Diabolisches an. "Ich will ein neues Räbchen. Du könntest mir eins machen, jaja. Darfst dir sogar aussuchen, mit wem hier an Bord. Ich schick ihn dir und dann machst du eins. Mit meiner Hilfe wird's auch ganz schnell gehen. Heute schnackst du, morgen wachst du, übermorgen flutscht aus dir ein Kind!" Das Männlein tanzte einmal im Kreis. "Und anschließend .... Gold, Reichtümer, Status, Harmonie, Glück und Freude! Dein altes Leben vielleicht? Du kannst es haben. Kostet nur ein neues Räbchen. Was sagst du? Ja? Natürlich! Denn es ist ganz leicht. Du musst nicht einmal was tun ... nur einen aussuchen, den ich dir schicke und dich hinlegen. Den Rest wird er schon erledigen, jajajaja. Machst du mit? Jaa? Jaaaa?"
Das Männlein hatte aus der letzten Begegnung und dem Tod seiner Brüder gelernt. Es reichte Azura nicht die Hand, sondern ließ ein Pergament aus dem Nichts erscheinen, sowie eine golden schimmernde Feder. Beides flog geisterhaft zu Azura herüber und blieb bei ihren Füßen liegen. Auf dem Papier standen einige Zeilen:

Hiermit schwöre ich feierlich,
dem noblen und hoch angesehenen Stumpelrilzchen ein Räbchen zu machen, mit wem auch immer am Bord der "Blauen Möwe" ich es kredenzen will. Dafür lässt er meinen Bauch auch nur einen Tageslauf lang rund und voll werden, bis das neue Räbchen herausschlüpft. Ich werde es dem noblen Männlein schenken und als Gegenleistung meinen Wunsch erhalten, der wie folgt lautet:"
Schriftrolle Fuss
Unter dem Text befanden sich zwei Linien. Auf die eine konnte man einen Wunsch eintragen. Die andere war für eine Unterschrift vorgesehen. Es handelte sich um einen Vertrag. Das Männlein wartete und tappte ungeduldig mit dem Fuß auf. "Mach schon, mach schon. Schreib deinen Wunsch auf und wenn er mir gefällt und ich ihn erfüllen kann, dann soll's so werden! Du deinen Wunsch, ich mein neues Räbchen!" Dan zogen sich die Mundwinkel nach unten und der Raum schien sich etwas zu verdunkeln. "Oder du sagst einfach, du willst nicht. Dann gibt's zwar keinen Wunsch, aber auch keinen Vertrag. Dann gibt's ... jede Menge Spaß." Das Grinsen, in das Azura nun schaute, erinnerte sie mehr denn je an die Momente, in denen Corax ihr seine Freude über den Mord an zahlreichen Besatzungsmitgliedern des Schiffes gestanden hatte. Aber er war nicht hier.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Donnerstag 6. Oktober 2022, 21:26

Hatte das Grauen denn nie ein Ende? Zuerst biederte er sich bei der erstbesten Gelegenheit diesem Kapitän und daraufhin der Göre an, anstatt freiwillig bei ihr zu bleiben, dann starb er in ihren Armen und jetzt... jetzt ließ er sie einfach stehen, anstatt sich ihren Vorwürfen zu stellen, nachdem er sie schon wieder beleidigt hatte. Sie war schließlich keine Hafendirne oder sonstige Käufliche, nur weil er ihr das gerne an den Kopf warf!
Sie hatte sich ihm hingegeben, weil er ihr Herz erobert und ihren Körper in Brand gesetzt hatte! Wann sah er das endlich ein?! Und wieso wollte sie noch immer, dass er sie in einem guten Licht sah, sie weiterhin mochte, obwohl ihr längst klar war, dass das zwischen ihnen beiden niemals funktionieren würde. Nicht auf Dauer, nicht bei seinem Verhalten und nicht bei... bei seiner Verstümmelung.
Voller Verzweiflung sank sie irgendwann zu Boden und verspürte eine Einsamkeit, wie sie diese noch nie gekannt hatte. Es war... anders als zuvor, als sie gedacht hatte, er wäre tot, sofern das jetzt keine noch peinigendere Illusion gewesen war. Es war viel absoluter, endgültiger und irgendwie... Ihr fehlten die Worte dafür. Da war es vermutlich ganz gut, dass niemand auf die Idee kam, einmal nach ihr zu sehen, sodass sie auch keinem beschreiben musste, was in ihrem Inneren für eine Art Leere herrschte.
Irgendwann verebbte auch das Schluchzen, wurde ihr Körper ruhiger und zugleich scheinbar innerlich gefühllos, weil ihr die Kraft fehlte, noch länger etwas zu empfinden. Es war alles wie taub vor Verzweiflung und Schmerz.
Sie verlor jegliches Empfinden für Zeit, sodass sie nicht zu sagen wusste, wann sie ihren Kopf drehte, weil sie allmählich das Gefühl hatte, schlecht Luft zu bekommen, wenn sie es nicht täte. Dabei ließ sie anfangs die Augen noch geschlossen.
Erst ein leises Knarren, das sicherlich zum Schiff selbst gehörte, ließ sie trotzdem die Augen öffnen und sie blicklos vor sich in die Schatten starren. Dabei war auch ihr Kopf wie leer gefegt und sie hätte sicherlich Stunden in dieser Haltung verbringen können. Wenn... ja, wenn sich da nicht etwas bewegt hätte.
Zuerst hielt sie es für eine Sinnestäuschung, blinzelte und wollte sich weiterhin nicht aus ihrem Kokon der Taubheit rühren. Doch dann tat sich etwas und sorgte dafür, dass sie es nicht länger ignorieren konnte. Etwas schälte sich allmählich aus den Schatten hervor, wurde deutlicher, bekam mehr Konturen... und sorgte dafür, dass ihr beinahe das Herz stehen blieb vor Schreck.
Um im nächsten Moment umso schneller zu schlagen und die Kraft in ihre Glieder mitsamt dem Blut zu pumpen, dass sie sich intuitiv aufrappelte. Das war mit Schmerzen verbunden, denn ihr Körper fühlte sich steif an nach dem langen Hocken auf dem harten Boden, aber da musste sie durch, wollte sie nicht hilflos sitzen bleiben.
Hinter ihr befand sich die zerbrochene Scheibe und der kühle Hauch in ihrem Nacken ließ sie erschauern. Zugleich weckte es auch ihre Lebensgeister, holte sie aus der abgrundtiefen Verzweiflung heraus, dass sie allmählich klarer zu denken anfangen konnte.
"Was willst du?!", zischte sie dem Männchen entgegen und war innerlich auf dem Sprung, um nicht noch einmal in jene Falle wie vorhin zu tappen. Sie würde keine Waffe mehr annehmen, schon gar nicht, um sie vermeintlich ihrem Liebsten nur vor die Füße zu werfen und ihm danach an den Kragen zu gehen.
Doch dieses Mal schien dieses Ding es... anders angehen zu wollen, hielt Abstand und hob sogar leicht die Hände an. Dennoch... Azura blieb misstrauisch.
Um auf den müden Beinen zu bleiben, da die Knie noch immer weh taten, griff sie hinter sich und fand einen Fenstersteg, um sich daran etwas abzustützen. Sonst hätte sie wahrscheinlich die Arme ablehnend verschränkt. Trotzdem hörte sie zu. Warum, das wusste sie nicht zu sagen, denn eigentlich wusste sie, dass sie möglichst schnell Abstand zwischen sich und dieses Ungeheuer bringen sollte. Und trotz allem blieb sie vorerst stehen und sah zu.
Wobei sich ihre Stirn runzelte, vor allem, als dieses Männchen auf einmal herum tänzelte und in einem unverständlichen Gebrabbel vor sich hin plapperte. Bis es plötzlich sich ihr wieder zudrehte und von Dingen sprach, die sie nicht einmal im Ansatz zu locken vermochten. Es war... viel zu übertrieben, zu phantastisch, als dass sie auch nur eine Silbe davon ernst nehmen könnte! Nein, so war sie nicht zu ködern, definitiv nicht!
Ihre Augen wurden schmal, als es weiter ging und auf einmal auch von einer Gegenleistung die Rede war, obwohl sie absolut nichts gesagt hatte bisher. Die Finger schlossen sich fester um das Holz in ihrem Rücken und sie presste die Zähne fest aufeinander, als es damit Wut in ihr nährte mit dieser Option.
Dabei begriff sie noch nicht einmal das volle Ausmaß dessen, sondern hörte anfangs allein die Unterstellung, sie würde einfach so die Beine für jemanden breit machen, schlichtweg, weil dieser Jemand sich gerade zufällig an Bord und in ihrer Nähe befand. So schwieg sie auch weiterhin, bis zwei Gegenstände vor ihr erschienen und zu ihren Fußspitzen am Boden landeten.
Weiterhin äußerst misstrauisch starrte sie das Männchen einige Sekunden lang noch an, ehe sie langsam und wenig elegant in die Knie sank, um zumindest das Pergament aufzuheben. Es fiel ihr leicht, die Schrift zu entziffern, doch den Sinn dahinter zu verstehen, benötigte weitaus mehr Zeit. Jene, die sie sich auch nahm, während sie sich wieder aufrichtete.
Langsam ließ sie ihre Hand mit dem Stück darin herab sinken und drehte ihren Kopf zur Seite, hin zum Bett, und obwohl sie es nicht direkt von ihrer Position aus und mit dem schlechten Licht sehen konnte, wusste sie, was dort ins Laken gestickt worden war. Ein Herz... in schwarz...
Allmählich, wie von unsichtbaren Fäden gezogen, kehrte ihr Kopf zurück in die mittlere Position, sodass sie das Männchen erneut ansehen konnte. "Ein Kind willst du also...", wisperte sie tonlos und fühlte neben dem Entsetzen beim Anblick dieses Gesichts auch etwas anderes.
Ihr wurde klar, dass sie nicht die Einzige wäre, die benutzt werden sollte, nein. Dieses widerliche Ding da vor ihr wollte ein neues Kind... einen Säugling, um auch diesen zu quälen und zu etwas zu machen wie Corax. Nein... es gab keinen Wunsch, der das jemals rechtfertigen würde! Abgesehen davon, dass sie ohnehin diesbezüglich gerade viel zu leer war...
In ihr begann es leise zu brodeln, ganz so, als wolle sich ihre Magie zusammen raffen und zeigen, dass sie wieder vorhanden war. Azura hingegen hatte etwas anderes vor. "Eines, das es nicht anders kennt, eines, das du nach Belieben foltern und zerstören kannst...", fuhr sie langsam fort und hob neben der Feder auch das Pergament an.
Damit drehte sie sich, ging zu dem Tisch, legte das Schreibgerät ab und holte sich die Lampe heran, als könne sie sonst nicht sehen, was sie schreiben würde. Jedoch... sie hatte nicht vor, auch nur eine Silbe auf dieses verfluchte Pergament zu setzen!
Stattdessen hielt sie das brennbare Material plötzlich an die kleine, noch nicht erloschene Flamme, bis diese darauf übergreifen konnte, wandte sich rasch ab und warf es, erstaunlich geistesgegenwärtig, aus dem Fenster.
Dann wirbelte sie herum. "Niemals!", fauchte sie und holte tief Luft. Das Brodeln in ihrem Inneren wurde stärker und wenn sie alles gäbe, könnte sie womöglich etwas Wasser in Bewegung versetzen. Darauf aber konnte und wollte sie sich gerade nicht verlassen, dazu war auch ihre Angst vor diesem Wesen einfach zu groß.
Doch stattdessen hatte sie eine ebenfalls nicht zu unterschätzende Waffe. Ihre Stimme! Noch ehe dieses Ding vor ihr hoffentlich reagieren konnte, begann sie zu schreien, laut und schrill, was ihre Stimmbänder hergaben. Sie kreischte regelrecht, als litte sie Höllenqualen, was im Prinzip wahrscheinlich auch bald so wäre, wenn sie sich dieser Situation vollständig bewusst werden würde. Da war es ihr auch gleichgültig, dass sie am Ende heiser oder gar eine Zeit lang stimmlos sein würde.
Nein, jetzt brüllte sich Azura erst einmal die Seele aus dem Leib und war davon überzeugt, dass man sie hören würde, wenn schon nicht durch die geschlossene Tür, dann zumindest aufgrund des zerstörten Fensters. Und hoffentlich würde bald jemand herkommen und nach ihr sehen!
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Freitag 7. Oktober 2022, 11:27

Azura:
Azura erinnerte sich nur noch allzu gut an das unheimliche Stockmännchen hinter ihr, in dessen Augen Corax den Dolch versenkt hatte, der für sein Herz bestimmt gewesen war. Gleichermaßen erinnerte sie sich an die Schrecken, die sie mit ihm, der Göre und Caleb schon einmal in der Kajüte hatte durchstehen müssen. Und nicht zuletzt waren da die Bilder und Empfindungen aus der Vergangenheit des Dunkelelfen. Bei Madiha hatten sie sich sofort eingeprägt und dafür gesorgt, dass das Mädchen eine Form von Verständnis zu dem Mann hatte aufbauen können, der se zuvor noch hatte erwürgen wollen. Bei Azura dauerte es länger, zu begreifen, was sie gesehen hatte. Dass sie die Bilder aber zwangsläufig mit den schaurigen Raben, den rotäugigen Ratten, den widerlichen Kakerlaken und jetzt auch dem Astwesen verknüpfte, als sie es wiedersah, machte ihr schnell eines klar, kaum dass der Vertrag auf Pergament zu ihr herüber geflogen kam. Das Wesen - Stumpelrilzchen sein Name - wollte einen Ersatz für Corax. Es wünschte sich ein neues Kind, das es entführen und aufziehen konnte. Eine kleine, unschuldige Seele, die es mit ähnlichen Erfahrungen füttern würde, bis es genauso geschädigt aus seinem Leben hervorging wie der Dunkelelf. Folter, Missbrauch und Leid stand dem bevor, den Azura für ein bisschen Glück opfern würde und sie wusste nicht einmal, ob das garstige Männlein auch sein Wort hielt.
Es war viel zu riskant, viel zu falsch, auf den Vertrag einzugehen! Ein Schicksal, wie Corax es hatte mitmachen müssen, durfte nicht erneut geschehen. Erst Recht nicht wollte sie den Grundstein dafür legen, indem sie sich von wem-auch-immer schwängern ließ! Azura ließ sich nicht verführen. Sie machte gute Miene zum bösen Spiel. Sie ergriff den Vertrag udn täuschte vor, die Laterne für mehr Licht zu benötigen. Tatsächlich aber setzte sie damit das Papier in Brand und warf es anschließend in die Fluten der See. Als hätte Ventha ihre Opfergabe wohlwollend entgegengenommen, brandeten die Wellen am Heck des Schiff so weit empor, dass Azura einige Spritzer der kalten Gisch abbekam. Sie wurde nicht durchnässt. Vielmehr erfrischten die wenigen, kalten Tropfen und beruhigten ihr Gemüt. Aber sie spürte auch, dass sie deren Aufbäumen nicht zu ihrem Vorteil würde nutzen können. Ihre Kräfte hatten bei weitem nicht genug Zeit, sich zu erholen. Es hatte sie schon so viel gekostet, für den entflogenen Rabenschuft noch ein paar Tränen zu vergießen. Sie brauchte deutlich mehr Ruhe, um auch nur wieder an das Wirken von Wassermagie denken zu können. Somit konnte sie sich auch nicht wirklich gegen den nun geweckten Zorn des Stockmännchens wehren. Und Stumpelrilzchen war mehr als wütend. Er fauchte: "Falsches Weibsbild! Was fällt dir ein? Aber du wirst schon sehen!" Mit diesen Worten stampfte er mehrmals fest mit dem kleinen Fuß auf und packte seinen eigenen Leib. Er zerrte daran und riss sich vor Wut entzwei! Aber damit war es nicht vorbei mit ihm.

(Spoilerwarnung: Der folgende Abschnitt beinhaltet Gewaltszenen, die nicht für jeden etwas sind)
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Aus den herabfallenden Hälften von Stumpelrilzchen entwickelten sich Späne, dann Nadeln und schließlich formten sie sich zu einem neuen Körper. Er war größer, sogar noch ein ganzes Stück größer als Azura selbst. Breit und kräftig, mit Muskeln und reichlich Brusthaar, an das sie sich in ihrer verzweifelten Not vielleicht gern angeschmiegt hätte. Jetzt bereitete ihr der Anblick einfach nur Angst. Vor allem, als sie erkennen musste, zu wem Stumpelrilzchen wurde. Sie erkannte das schwarze Haar und den gleichfarbigen Bart sofort, erinnerte sie sich doch nur zu gut an den Moment, als sie beides zum ersten Mal gesehen hatte. Damals waren ihr die grauen Strähnen darin attraktiv erschienen, weil sie dem von Meeresbrisen zerfurchten Gesicht noch mehr männliche Reife verliehen. Nur sein Blick wirkte jetzt nicht mehr warm wie beim ersten Aufeinandertreffen, sondern lüstern und skrupellos wie damals, als er sich einfach über Azura gebeugt hatte. Auch trug er jetzt nicht mehr den blutroten Seefahrermantel mit den schönen, goldenen Knöpfen und eine Pfeife fand sie ebenfalls nicht im Mundwinkel. Stattdessen präsentierte er sich ihr splitterfasernackt und mit einem aufgerichteten Entermesser aus Fleisch, das nur noch gewaltiger wirkte als die sanfte Erinnerung an Calebs ausgebeulten Schritt. Mit dieser zuckenden Klinge würde er Azura definitiv bis zum Hals aufreißen. Aber es war nicht möglich, dass er vor ihr stand. Er, Kapitän Edley Gilles, war tot! So mausetot wie Corax es gewesen war ... der nun als Rabe irgendwo umherflattern musste, um nie wieder in Azuras Leben zurückzukehren. Dafür war der Mann wieder da, der sich beinahe gegen ihren Willen an ihr vergangen hätte und dieses Mal schien er bereit zu sein, es zu Ende zu bringen. "Heute pack ich, gleich, da hau ich und bis morgen gebierst du mir mein Kind, ehehehe!" Seine Stimme mischte sich mit dem keckernden Lachen von Stumpelrilzchen. Er kam bereits näher und schwang sein Becken, als wollte er es gleich wie einen Rammbock durch die Pforten von Azuras Heiligtum preschen lassen.
Sie schrie auf. Sie schrie sich die Lunge aus dem Brustkorb und die Seele aus dem Leib. Jemand musste sie hören. Jemand musste sie retten. Sie schrie nur noch lauter ... und dann ...
"Ah, ah, ahh ... so nicht. Hast du es vergessen? Du kannst gar nicht schreien. Du warst seit jeher stumm, kleines Gefäß. Du wirst auch nicht schreien, wenn ich dir mein Räblein in den Leib spucke." Edley Gilles kicherte mit hölzernem Knarren. Allein seine Worte schienen bei Azura den Effekt auszulösen. Es genügte die winzigste Unsicherheit, der geringste Zweifel oder einfach nur reine Angst. Schon versagte ihr die Stimme, aber sie war darüber nicht erschreckt. Wie auch? Sie hatte niemals zuvor eine Stimme besessen. Schon immer war sie stumm gewesen. Ja, sie wusste nicht einmal wie sie eigentlich klang. Niemals würde sie ihren Namen aussprechen können. Sie konnte ihn nur hören, wenn andere ihn sprachen. Wenn Corax ihn raunte ... sie würde niemals seinen Namen selbst sagen können. Oder ihm mitteilen können, dass ... "Wenn du dran glaubst, wird es wahr, ehehehe." Gilles erreichte und packte sie. Er war viel stärker als Azura, so dass sie ihn nicht einmal mit Kratzen, Beißen oder gar Schlägen zurückhalten konnte. Vor allem nicht, weil er selbst auf sie einprügelte. Seine riesigen Hände holten aus und verpassten ihr mehr als eine Ohrfeige. Er drosch auf sie ein, ohne dass sie um Hilfe rufen konnte. Immer wieder setzte er nach, bis er glaubte, sie hatte genug. "Jetzt ist es soweit. Heute spreiz ich, gleich, da reiz ich und in ein paar Momenten mach ich mir ein Kind." Gilles griff nach Azuras Beinen, um sie wie eine Schere auseinander zu klappen. Nicht einmal der kostbare Seidenstoff ihrer Unterwäsche würde seine Bereitschaft aufhalten können. Jetzt half nur noch ein Wunder oder Venthas Gnade.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 8. Oktober 2022, 22:20

Es kam fast einem Wunder gleich, dass es ausgerechnet Madiha war, die es schaffte die Wogen zu glätten. Vielleicht war sie auch einfach zum rechten Zeitpunkt anwesend, um die Aufgabe übernehmen zu können, die keiner der Umstehenden aufgrund seines Standpunktes noch ausfüllen konnte. Wie auch immer es dazu kam, das Ergebnis zählte. Und Madiha war sogar ein klein wenig stolz auf sich, dass sie diesen Konflikt hatte auflösen können und die Waffen allesamt unblutig niedergestreckt wurden. Das Wüstenmädchen fror im eisigen Fahrtwind, doch das spürte sie derzeit kaum. Das Adrenalin wärmte ihren Körper und blies die vorherrschende Schwäche beiseite. Sie fühlte sich lebendig und mutig, erfüllt von dem Erfolg. Auch das Problem mit Jakub und Corax löste sich in Wohlgefallen auf, denn der einstige Kapitän akzeptierte es, dass Corax offenbar gestorben war. Was Madiha mehr als verwirrte, sie aber einfach unkommentiert ließ. Immerhin hatte sie Corax höchst lebendig erlebt… äußerst lebendig. Doch das alles schob sich in den Hintergrund, als sie mit Caleb einen Moment alleinstand. Madiha beobachtete den Dieb vor sich genau und erkannte die Unsicherheit in seiner Handlung. Ein feines Lächeln zierte ihre Lippen. Er war also nervös? Irgendwie wirkte es ungewohnt, ihn so zu erleben und gleichzeitig fügte es eine weitere Ecke ihres schwarz-weiß-Bildes von Caleb in Farbe hinzu. Er hatte nicht mal geleugnet, dass er das Zeug dazu hatte. Dass er offenbar mitbrachte, was man für diesen Posten brauchte. Die Mannschaft war sich einig gewesen und erhob ihn ohne Zögern in diesen Stand. Kapitän. "Was sagst du, hm? Käpt'n van Tjenn ... Madiha stutzte und Fragen zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab. Er stutzte ebenso. “Was rede ich da? Käpt'n Caleb natürlich ... natürlich..." Doch Madiha überhörte seinen Einwand geflissentlich. Kapitän van Tjenn? War das etwa sein wahrer Name? Das Mädchen biss sich an diesem Ausspruch fest und ihre Gedanken begangen sich zu drehen. Sie hatte ihn nie nach seinem Nachnamen gefragt. Für sie war er stets nur Caleb gewesen. Völlig unbedeutend, wer seine Familie war. Madiha hätte sicher nicht mal besonders lange darüber nachgedacht, wenn sie nicht durch Azura einen äußerst kleinen Einblick darin erhalten hätte, dass sie auch ‚van Ikari‘ hieß.
Und sie vollkommen selbstverständlich davon ausging, dass der Name allein ausreichte, um ihr Respekt entgegenzubringen. Madiha’s Herz klopfte ein wenig. Sollte es etwa möglich sein, dass ausgerechnet Caleb ebenso wie Azura…. Plötzlich wurden ihre Gedanken unterbrochen. Etwas erschrocken, weil sie so in Gedanken versunken gewesen war, spürte sie das weiche Gefieder des Raben an ihrer Haut. Sie japste nach Luft und zuckte mit den Armen hoch, sodass sie ihn instinktiv festhalten konnte. „Corax?!“, flüsterte sie beinahe tonlos in Caleb’s Zischen hinein. Allerdings war diese unerwartete und weiche Geste für Madiha so überraschend, dass sie tatsächlich kurz lächelte. Wann hatte das Mädchen jemals mit irgendwem oder irgendetwas gekuschelt? Es fühlte sich schön an und Corax war so weich in dieser Gestalt, dass sie ihn sogar kurz streichelte. Ihre Hände fühlten sich noch immer wund an, aber sie konnte mit ihnen das samtige Gefühl dennoch ertasten.

Bis Caleb weitersprach: "Ich habe dir gesagt, du sollst in der Kapitänskajüte bleiben, vor allem aber in meiner Gestalt, damit niemand Verdacht schöpft. Hast du nicht zugehört? Die halten dich alle für tot! Und mir hast du auch noch nicht erklärt, warum du plötzlich wieder munter umherwanderst." Madiha schwieg, denn die Männer hatten ganz offensichtlich eine Vorgeschichte, die sie nicht kannte. Schweigend lauschte sie den Worten und zwischen den Zeilen. Je mehr die beiden sagten, desto weniger verstand sie. "Du hast auch nicht gefragt", wirkte Corax etwas verschnupft. Erst da fiel ihr auf, wie seltsam es doch war, dass er auch als Rabe genauso sprechen konnte. Madiha versuchte einen Blick auf den Raben zu erhaschen, wurde aber durch Caleb wieder abgelenkt: "Dafür war keine Zeit. Ich war viel zu spät dran für die Meuterei. Lassen wir das. Wie geht es deiner Schönen? Warum bist du nicht bei ihr? Du hattest es sehr eilig, sie zuzudecken, mir eine zu kleben und mich aus der Kabine zu schmeißen. Und jetzt hockst du hier auf Madis Schulter..." Dass er sie schön nannte, passte Madiha irgendwie nicht, doch sie hielt sich weiter zurück. Das war keine bewusste Empfindung, mehr ein kleiner Stich, irgendwo hinter ihrem Brustbein. Sie konnte es übergehen, irgendwie. Dass Caleb allerdings das Wort ‚kleben‘ verwendete, verwirrte sie zusätzlich. Warum sollte Corax denn auf Caleb losgehen? Was würden ihn denn dazu veranlassen, auf Caleb auf diese Weise loszugehen? "Ich muss nach meiner Herrin sehen und nicht nach ... sonst wem" Nun aber drehte Madiha doch den Kopf. „Sonst wem?!“, hakte sie nach und mäßigte ihren Ton etwas, damit niemand Verdacht schöpfte. „Du hast mich fast angefleht, zu ihr zu kommen…“, hielt sie dagegen und verstand das alles nicht. Was ging denn hier vor sich?! Sie fing den Blick des Diebes auf und sah ihn ratlos an. "Ich schätze, hier besteht Redebedarf. Kümmern wir uns darum, ehe die wirklichen Pflichten auf mich zukommen?" Madiha nickte.
Es war wohl gut, einige Missverständnisse aufzuklären und die Details zu erfahren. Zudem hatte Madiha ohnehin das Gefühl etwas verpasst zu haben. Noch bevor sie geschlafen hatte, waren Caleb und Corax nicht gerade gut aufeinander zu sprechen. Und nun? Nun wirkten sie irgendwie… einvernehmlich. Auf eine groteske Art und Weise. Das Mädchen musterte Caleb einen Moment, als er für sich seinen Gedanken nachhing. Dann traf sie sein Blick und etwas in ihr klang augenblicklich an. Wieso sah er sie so an? War das etwa… Schuld? Wieso? Hatte er denn Corax geschickt?! Hatte er ihm gesagt, er solle auch Madiha in seiner Gestalt... war das etwa möglich?! Die fehlenden Worte, die dennoch irgendwie ohrenbetäubend im Raum standen, verwirrten Madiha nur zusätzlich. „Würde mich mal jemand aufklären, was das ganze soll?“, platzte sie flüsternd heraus und sah beide abwartend an. „Wieso glauben alle, Corax wäre tot? Und wieso war er statt dir, Caleb, bei mir in der Kabine? Und warum bist du nicht bei Azura und redest endlich mit ihr, Corax? Das war doch alles, was du wolltest. Wir waren uns doch einig, du schickst Caleb her dann kümmerst du dich um sie? Was hat sich denn geändert?“, sie sah zwischen den Männern hin und her und erwartete eine Aufklärung des ganzen, verwirrenden Debakels. Sie konnte es sich zwar nicht erklären, fühlte sich aber irgendwo außenvor. Sie ahnte, dass es etwas gab, was sie nicht wusste. „Sagt schon!“, verlangte sie nachdrücklich. Nur einige Momente später, trat dann der Matrose Kerf an sie heran und zeigte Caleb den Hut, den der Kapitän wohl tragen sollte. Madiha hob zweifelnd eine Augenbraue. Irgendwie wollte der Hut nicht ganz zu dem Dieb passen, was dieser wohl gleichwohl so sah. Dennoch schien die Symbolik dahinter wichtig zu sein, zumindest für die Crew. Sie selbst wusste von solchen Dingen nichts, doch auch in Sarma trugen die wichtigsten Männer die größten Turbane. Es war ein Zeichen von Macht. Und Caleb besaß nun die wohl meiste Macht auf diesem Schiff. Er war für sie alle verantwortlich. Wie er sich wohl dabei fühlte? Gefiel ihm die Rolle? Sie konnte es kaum glauben. Nach allem, was sie bisher von ihm hatte kennenlernen dürfen, war er eher jemand, dem Verantwortung nicht in den Kram passte. Er hatte sie stets von sich geschoben, war vor der Verantwortung sogar aus Sarma geflohen und hatte auch sie zurücklassen wollen. Jetzt aber würde es sich zeigen müssen, ob er bereit wäre, sie alle zu retten.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Sonntag 9. Oktober 2022, 10:14

Die Fragen, welche sich zu Calebs Versprecher aufbauten und sich um 'van Tjenn' drehten, schwirrten Madiha noch immer durch den Kopf, auch als das eigentliche Thema bereits an ihr vorüber gezogen war. Sie erinnerte sich Azuras vollen Namens und dass sie nur aufgrund dessen eine noblere Behandlung erwartete. Caleb tat dies nicht, aber er hatte auch niemals auf den Namen - seinen Namen? - zurückgegriffen, um irgendwelche Vorteile zu erreichen oder sich mehr Respekt zu verschaffen. Seit Madiha ihn kannte, war er immer nur Caleb gewesen. Caleb, der Verschmitzte. Caleb, der Sorgelose. Caleb, der Verwegene. Caleb, der Fassadenkletterer. Caleb, der Dieb. Caleb, der Wüstendieb. Caleb, der Retter. Caleb, der Fürsorgliche. Caleb mit dem nackten Rücken, unter dem sie seine Muskepartien hatte spielen sehen...
Ehe Madihas Erinnerungen die Bilder aus der Schublade ihres Geistes hervorkramen konnte, lernte sie etwas Neues kennen. Federn waren weich. Kuscheln war ein unsagbar schönes Gefühl und Corax beherrschte auch das auf hohem Niveau. Es bereitete ihr eine Gänsehaut, als das weiche Federkleid und seine vogelhafte Wärme sich an ihren Hals schmiegten. Nie zuvor hatte Madiha etwas Ähnliches gespürt. Es fühlte sich wunderbar an, so dass sie im ersten Moment gar nicht richtig auf den Raben aufmerksam werden konnte, der sich auf ihre Schulter geflüchtet hatte. Sie genoss das Gefühl und gab es instinktiv in einem Streicheln zurück. Dann erst erkannte sie anhand der roten Augen, Calebs Zischen und nicht zuletzt der Antwort des Raben, dass es sich um Corax handelte. Das verwirrte nicht nur den Dieb, auch wenn seine Art auf anderen Dingen fußte. Er hatte dem Dunkelelfen befohlen, in Calebs Gestalt in der Kapitänskajüte zu verbringen. Er wusste zumindest, dass Corax offenbar einmal tot gewesen war. Warum er nun wieder lebte, konnte sich der neue Kapitän aber auch nicht erklären und Corax hatte es bislang wohl ebenfalls vermieden.
Doch auf Madiha musste er hören. Sie war seine Herrin. "Du hast mich fast angefleht, zu ihr zu kommen..." Corax schob den Schnabel unter das Gefieder. Caleb schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. Er riskierte einen Blick aus ihrem Kreis hinaus, aber die Matrosen hatten noch nichts bemerkt. Die wenigen Verbliebenen kümmerten sich um die Taue und rollten gerade ein Fass über Deck, das sich aus seinen Sicherungsseilen gelöst hatte. Bei Madihas kleinem Ausbruch lenkte er die Aufmerksamkeit zurück auf sie. "Würde mich mal jemand aufklären, was das Ganze soll? Wieso glauben alle, Corax wäre tot? Und wieso war er statt dir, Caleb, bei mir in der Kabine?"
"Weil er tot war", erhob Caleb das Wort, hielt es dennoch gedämpft. Sicherlich hätte er gar auf Sendli gesprochen, um es unter ihnen zu halten, aber er ahnte ja nicht, was der Rabe auf Madihas Schulter inzwischen gelernt hatte. "Ich kam aufgrund von Tumult an Deck. Deshalb hab ich auch deine Kabine verlassen, Madi. Da lag er ... blutend und leblos, in Azuras Armen."
"W-was?!", entkam dem Raben ein ungläubiges Krächzen. "Du lügst doch!"
"Leugne es, aber nenn mich nicht einen Lügner", brummte Caleb zurück. "Er war definitiv tot. Wir haben es überprüft. Keine Atmung, kein Herzschlag und überall Blut. Damit Azura sich beruhigen konnte und damit er nicht einfach wie Abfall über Bord geworfen wurde und auch vor Jakub sicher war, hab ich ihn in unsere Kabine bringen lassen. Leider konnte ich nicht mitkommen, weil Azura..." Caleb stockte. Den Kuss wollte er Madiha gegenüber irgendwie nicht erwähnen und auch bei Corax war er sich nicht mehr sicher, wie der es auffassen würde. Also sagte er: "Sie war vollkommen aufgewühlt. Ich konnte sie nicht allein zurücklassen. Sobald es ging, hab ich sie in die Kapitänskajüte gebracht."
"Und warum bis du nicht bei Azura und redest endlich mir ihr, Corax? Das war doch alles, was du wolltest."
Der Rabe nickte und selbst ohne Schultern sah es so aus, als schob er seinen Kopf dazwischen. Unglücklich ließ er den Schnabel hängen. Madiha aber bohrte weiter. Auch sie wollte endlich wissen, was vor sich ging. Corax konnte sich ihrer Forderung nicht erwehren. Sie war seine Herrin. "Was hat sich den geändert? Sagt schon!"
Caleb presste die Lippen aufeinander. Er und der Rabe tauschten Blicke. Corax' Augen blitzten einmal auf, dann hob er den Schnabel zu Madiha empor. Er schnäbelte sie! Er rieb die kühle spitze behutsam gegen ihre Wange. Erst dann sollte sie eine Antwort erhalten. Dass dem Vogel dabei entgegen seiner tierischen Natur eine Träne entkam und den Schnabel entlang rann, ignorierte zumindest er. "Sie will mich nicht mehr. Ich habe ... einmal zu oft Probleme bereitet. Wäre sie noch meine Herrin, hätte sie mich jetzt verstoßen, aber sie will mich gar nicht mehr."
Weder Madiha noch Caleb erhielten zunächst Gelegenheit, es anzusprechen. Ihre kleine Runde wurde unterbrochen, als der Matrose Kerf sich ihnen näherte. Er brachte einen überdimensionalen, auffälligen Hut heran. Ein Dreispitz mit Feder wie Kapitäne sie trugen und genau das verlangte der Seemann nun auch von Caleb. Wo Jakub sich verweigert hatte, war Missgunst geboren worden. Caleb wollte die Truppe im Vertrauen halten, deshalb musste er das Symbol aufsetzen, auch wenn es irgendwie lächerlich an ihm aussah. Er tat es trotzdem. Er nahm den Kapitänshut entgegen und mit dem Schrei einer entsetzten Sirene landete er auf seinem Kopf.
Moment, ein Schrei?
Alle zuckten zusammen. Selbst oben im Krähennest hatte man dieses erzitternde Gekreisch gehört. Doch noch ehe sich alle darüber bewusst werden konnten, verstummte es. Viel zu abrupt, viel zu plötzlich. Es klang nicht einmal aus, wie man es gewohnt war. Auf Madihas Schulter hatten sich sämtliche Rabenfedern gesträubt. Jetzt fühlten sie sich nicht mehr kuschelig und weich an. Sie piekten ihr in Hals, Wange und verfingen sich in ihren Haaren. Corax wusste, wem die Stimme gehörte. "Azura!", krächzte er ohne Rücksicht auf Verluste, denn Kerf konnte ihn ebenso hören. "Ich muss zu ihr, zu ihr!"
"Ha-hat der Vogel eben...?"
Kerf wurde übergangen. Auch um seine Frage nicht beantworten zu müssen, packte Caleb kurzerhand nach Madihas Arm und zog sie samt ihrem Raben mit sich. Er brachte beide Richtung Kapitänskajüte, die glücklicherweise direkt unter ihnen war. Sie mussten nur die knarrende Treppe nehmen. Derweil rief der Mann im Ausguck zu Kerf herab, was denn passiert sei. Der Matrose zuckte mit den Schultern, doch weil dies nicht gesehen werden konnte, nutzte er seinen Weg die Takelage empor. Der Schiffsjunge, der eigentlich ein Mädchen war und den Konflikt zwischen Jakub und der Mannschaft hatte klären können, besäße viel Macht. Nach dem Tod des Elfenzauberers, der irgendwie plötzlich ihr statt Jakub gedient hatte, seien die Raben ihr nun unterwürfig. Kerf habe es gesehen! Eins der Tiere hatte auf ihrer Schulter Platz genommen und mit der Macht des Mädchens zu ihr gesprochen!
Und während sich Gerüchte verbreiteten, ereichten Caleb, Madiha und Corax die Tür. Von dort drang nun kein Schreien mehr zu ihnen. Stattdessen hörten sie ein dumpfes, aber boshaftes Keckern. Erneut gefror dem Raben das Blut in den Adern. "Schnell, aufmachen!", verlangte er, weil er in seiner Gestalt dazu nicht in der Lage war. Warum er sich nicht zurückverwandelte, verdankte er ... Caleb. Was immer die beiden besprochen hatten, Corax hielt sich zumindest an die Anweisung, an Deck nicht seine ursprüngliche Gestalt anzunehmen. Erst, als Caleb mit Madiha in die Kapitänskajüte stürmte, ließ er davon ab. Im Sturzflug von Madihas Schulter noch herunter verwandelte er sich zurück und noch ehe die beiden anderen überhaupt begreifen konnten, dass Azura soeben von einem großen, nackten Mann bedrängt wurde, hatte Corax ihn schon erreicht. Er prackte den Fremden an der Schulter, riss ihn herum und ... erstarrte.
"Aber ich hab dich getötet!", fauchte er. Die Reaktion war ein eiskaltes Grinsen aus Kapitän Gilles' Gesicht heraus. Corax umfasste den Hals des Mannes und hievte ihn entgegen aller Erwartungen empor. "Dann töte ich dich eben nochmal!"
Caleb ließ Madihas Hand los und machte einen Schritt auf die beiden zu, nur um im nächsten Atemzug erneut stehen zu bleiben. Der fremde Mann beendete sein Grinsen nicht, aber er löste sich aus seiner Erscheinung. Auch er war ein Wandler wie Corax. Die Gestalt des nackten, erregten Mannes fiel von ihm ab. Zurück blieb ein Männlein mit langen Gliedern und knotigen Gelenken. Die dürren Finger hoben sich wie Geäst an Corax' Unterarm und umschlangen ihn dort, dass er zusammenzuckte. Die Fingernägel erinnerten an schwarze Dornen, welche sich von allein in Corax Haut bohrten. Das Haar des Männleins tanzte einem Gestrüpp mit Eigenleben gleich auf dessen Kopf. Es grinste noch immer. "Du kannst mich nicht töten, Rabenschrey (Corax). Das weißt du auch. Du kannst es nicht."
"Ich hab deinen Bruder unter meinem Fuß zerquetscht", hielt der Elf entgegen, aber seine Stimme bebte. Das Männlein bemerkte es sehr wohl. Es grinste nur breiter. "Oh, aber da wusstest du nicht, dass es mein Brüderchen war. Keine Sorge, für diese Tat ... spielen wir eine Extrarunde."
Corax erstarrte. Er wollte zurückweichen, aber seine Füße versagten ihm den Dienst. Angst erfüllte seine Augen und er schüttelte den Kopf. Er wollte nicht spielen. Dieses Mal aber war er nicht einmal mehr imstande, es zu verlangen. Das musste er jedoch auch nicht. Jemand Anderes setzte sich in Bewegung.
Caleb erreichte die beiden und riss dem Elfen das garstige Männchen aus den Händen. Er machte mit ihm kurzen Prozess. Die Zeit für Verhandlungen war vorbei. So packte er das nun zappelne Ding an Hals und Beinen und brach es über seinem Knie wie einen Bund Reisig. Ähnlich knackten auch die Knochen. Mit einem Sirren rissen Sehnen und Muskelstränge. Harten Nudeln gleich splitterte Stumpelrilzchen unter einem schmerzhaften Kreischen auseinander. Dann zerbrach er in Dutzende winziger Äste und war ... nicht mehr.
Corax starrte Caleb an. Er starrte die Überreste des letzten Männleins an, das Macht über ihn besessen hatte. Er schluckte und suchte den Blick des Diebes. "Jetzt hast du doch getötet...", brachte er heiser hervor. Caleb warf die Stöcke achtlos beiseite, die er noch gehalten hatte und welche einst einem Lebewesen gehört hatten. Keinen Tropfen Blut hatte es vergossen und doch musste es nun fort sein. Die gesamte Atmosphäre in der Kabine hatte sich verändert. Düsternis und das bedrohliche Unbehagen waren gänzlich verschwunden.
Caleb trat an Corax heran. Dieser nickte sachte. "Ich schulde dir..." Weiter kam er nicht. Der Kapitän der Blauen Möwe klopfte ihm auf die Schulter und schob den Elfen so auf Azura zu, damit jener sich auch endlich um sie kümmern konnte. Er selbst nickte der Adelstochter nur zu und trat dann einen Schritt zurück, die Hand nach hinten ausgestreckt. Er hatte Madiha nicht vergessen, Corax schon. Jedenfalls für den Moment. Seine Augen huschten über Azuras Gestalt. Zaghaft löste er sich aus seiner Starre, näherte sich vorsichtig, nur um sie dann in eine stürmische Umarmung zu ziehen und fest an sich zu drücken. Gegen ihr Ohr keuchte er voll Erleichterung und Sorge zugleich: "Es ist mir egal, was du tust und mit wem. Ob du es tust oder nicht. Ob du mich willst oder nicht. Es ist mir egal. Ich kann dir nicht den Rücken kehren. Ich werd's nicht. Ich liebe dich zu sehr ... Azura."
Und dieses Mal spuckte er kein Blut. Dieses Mal verdrehte er nicht die Augen oder brach zusammen, um sich nicht mehr zu rühren. Das letzte Männlein hatte sein Ende gefunden und keine Macht mehr über das Räblein. Das Spiel war vorbei.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Sonntag 9. Oktober 2022, 13:54

Es war der Schrecken einfach zu viel, sodass sie nicht einmal in die Verlegenheit kam, auch nur einen Atemzug lang zu überlegen, dieses fragwürdige Angebot anzunehmen. Zu oft schon hatte sie mit diesem... diesem... Ding zu tun gehabt und es war niemals gut ausgegangen. Hinzu kam die Erinnerung an die Bilder aus der Vergangenheit ihres ehemaligen Begleiters, die noch sehr präsent in ihrem Gedächtnis waren und die sie niemandem wünschte. Na ja... fast niemandem zumindest...
Jedoch keineswegs einem unschuldigen Säugling, den noch dazu sie gebären sollte, um ihn dann herzugeben! Nein, so lief das nicht, weder mit ihrem Körper, noch mit ihrem Willen! Doch sie konnte das Pergament nicht einfach zerreißen, das hätte sie nicht einmal im äußersten Zorn geschafft, dazu war dieses Material zu widerstandsfähig.
Aber es gab eine andere Möglichkeit, um es zu zerstören und deutlich zu machen, was sie von diesem faulen Trick hielt! Lange würde die Lampe nicht mehr brennen, jedoch war die Flamme noch absolut ausreichend, um das Material erfassen und vernichten zu können, während sie es auch schon aus dem Fenster warf.
Um dann ihre Meinung kund zu tun und in einem lauten Kreischen zu enden, alles einzusetzen, was ihre Stimmbänder hergaben. Wobei dieses Wesen es vor ihr ihr beinahe schon zu einfach machte, indem es sich regelrecht in seiner Wut entzwei riss und dadurch das Grauen in ihrem Inneren nur noch mehr schürte.
Was darin gipfelte, dass sich ihre noch lauter werdende Stimme regelrecht überschlug vor aufsteigender Panik. Denn vor ihr stand nicht mehr nur etwas Angsteinflößendes, sondern ihr wahr gewordener Alptraum auf zwei Beinen... mit einer ihr entgegen gereckten Lanze, deren Anblick allein ausreichte, ihr Übelkeit zu bescheren. So laut und verzweifelt sie konnte, schrie sie sich die Seele aus dem Leib, während sie nach hinten zurück wich, bis das Fenster sie aufhielt, und innerlich zugleich Ventha um ihre Magie anflehte.
Nicht viel, nur ausreichend Wasser, um den Fluchtweg an ihm vorbei finden zu können, denn sie bräuchte ein Wunder, um an diesem Klotz von Kerl vorbei bis zur Tür und hinaus gelangen zu können. Nur... dieses Mal erhörte die Göttin sie nicht. Und auch sie selbst sollte nie wieder gehört werden! Abrupt versagte ihr die Stimme und lediglich ihr geöffneter Mund kündete von dem Entsetzen, das sie gerade noch hinaus gebrüllt hatte.
Hatte sie doch... oder? Hatte sie sich das etwa nur eingebildet, weil sie eigentlich stumm war?! Aber... wieso klingelten ihr dann noch die Ohren, als hätte sie sich selbst mit viel zu großer Lautstärke malträtiert? Nein, das musste etwas anderes gewesen sein! Die Wellen draußen eventuell? Hatte sie dort etwas gehört, das zu laut für sie gewesen war?
Wie auch immer, dieser Kerl... dieser abscheuliche Widerling näherte sich ihr unerbittlich. Azura wich mit schreckgeweiteten Augen zurück, instinktiv und leicht geduckt wie ein verängstigtes Reh, ohne daran zu denken, dass die Tür so nicht erreichbar wäre für sie. Stattdessen wurde sie immer weiter in Richtung Bett gedrängt, während sie im stummen Flehen den Kopf schüttelte und die Hände hob. Er kam näher und näher, und als sie in ihren Kniekehlen etwas Weiches spürte, schien ihr das Herz regelecht aussetzen wollen vor Angst.
In einer Kurzschlussreaktion wollte sie ausbrechen, so abrupt an ihm vorbei huschen, dass sie ihm entkommen würde. Das Problem war nur... er war längst zu nahe und sie zu ungeschickt, sodass er sie mit scheinbarer Leichtigkeit packen konnte. Sofort strampelte, kratzte und schlug die junge Frau so wild und heftig wie sie nur konnte, wenngleich ohne einen nennenswerte Effekt zu erzielen. Sah man davon ab, dass sie eine Ohrfeige nach der anderen kassierte, auf die jeweilige Wange, die ihm gerade zugewandt war nach dem Schwung des letzten Treffers. Ihre Haut brannte und irgendwann biss sie sich sogar in die Zunge, sodass sie einen metallischen Geschmack im Mund verspürte.
Dennoch gab sie nicht auf, sondern wand sich weiterhin voller Verzweiflung, während ihre Augen sich wie Feuer anfühlten vor lauter ungeweinter Tränen und ihre Lippen weit aufgerissen waren, ohne, dass ein Ton ihre Kehle verließ. Blut sickerte tröpfchenweise hervor und zeichnete eine unschöne Spur auf ihrer einst makellosen Haut.
All ihre Gegenwehr war indes vergebens, dieser Kerl war viel zu stark und dennoch... im Gegensatz zu jenen Momenten auf dem anderen Schiff lähmte die Angst sie dieses Mal nicht. Stattdessen gab sie ihr die Kraft, sich zu wehren, solange es ihr möglich war. Sie gab nicht auf, sie trat und versuchte zu kratzen, auch dann noch, als er ihr beinahe die Hüfte ausrenkte, als er ihre Beine spreizte. Ein heißer Schmerz durchzog sie da unten und trotzdem wand sie sich in purer Verzweiflung, um ihm nur ja nicht die Möglichkeit zu geben, sie aufzuspießen.
Und all das geschah bei ihr in einer beängstigenden Stille, denn keinen noch so leisen Ton konnten ihre gelähmten Stimmbänder bilden. Eigentlich war es sinnlos, oder? Wäre es nicht besser, sie würde aufgeben und es über sich ergehen lassen, damit es schneller vorbei wäre?
Ehe sie jedoch diesen Gedanken weiter verfolgen und tatsächlich erschlaffen konnte, wurde plötzlich die Tür aufgerissen. Jemand kam herein und... und zog den Kerl von ihr weg. Azura sah nur verschwommen und konnte kaum begreifen, wer ihr hier zur Hilfe eilte.
Was sie aber konnte, war, sofort die Flucht anzutreten, kaum, dass der Griff sie nicht länger auf dem Bett fixierte. Sie plumpste regelrecht herunter auf die Schiffsplanken, stauchte sich dabei das Handgelenk und bemerkte den pochenden Schmerz kaum, während sie weiter krabbelte. Wohin, das konnte sie nicht sehen, weil sie den Blick voller Panik auf die Szenerie rund um ihren Peiniger richtete.
Erst etwas Hartes in ihrem Rücken, die Wand, stoppte sie und sorgte dafür, dass sie zitternd alle Gliedmaßen so eng wie möglich an sich zog, um sich ganz klein zu machen. Zitternd und sich instinktiv leicht wiegend beobachtete sie, was dort vor sich ging... weiterhin ohne einen Laut von sich zu geben.
Solange bis auch der Schiffskoch hinzu trat, das ekelige Knochengestell nahm und über seinem Knie regelrecht entzwei brach. Das war dann doch des Guten zu viel für sie, sodass sie nun auch noch ihr Gesicht in ihrem eigenen Knäuel verbarg, um nichts mehr sehen zu müssen. Dunkelheit, ja, willkommene Dunkelheit... wenn sie doch nur hinein sinken könnte!
Sie wollte auch nichts mehr hören, was um sie herum vor sich ging. Auf diese Weise verpasste sie das grüßende Nicken des Einen und das zögerliche Nähern des anderen. Erst, als sie plötzlich berührt und an einen Körper gedrückt wurde, schreckte sie auf, machte sich ganz steif und wagte es nicht einmal zu atmen.
Die Stimme an ihrem Ohr... sie klang schön und vertraut und so, dass sie sich eigentlich hätte wohlfühlen müssen. Doch das Grauen steckte ihr noch viel zu sehr in den Gliedern, sodass sie instinktiv erneut zu strampeln begann und verzweifelt versuchte, diesen Kontakt zu beenden. Damit ihr niemand doch noch Gewalt antat, von dem sie eigentlich glaubte, dass es niemals geschehen würde!
Dabei blieb sie allerdings stumm und versuchte auch gar nicht erst, erneut zu schreien. Glaubte sie noch immer daran, keine Stimme mehr zu haben, wie es ihr dieses Ding eingepflanzt hatte, obwohl es längst nicht mehr war? Oder waren ihre Stimmbänder dermaßen in Mitleidenschaft gezogen worden, dass sie auch unter normalen Umständen nicht viel mehr als ein Krächzen hervor gebracht hätte? Ungewiss... Azura wollte sich lediglich befreien aus lauter Angst!
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 9. Oktober 2022, 23:16

Madiha’s Gedanken drehten sich einen Moment um das neugewonnene Halbwissen um Caleb und wären mit Sicherheit in eine Richtung abgeglitten, die ihr erneut die Röte in die kühlen Wangen getrieben hätte. Sie war viel zu unerfahren mit diesen Dingen, als dass sie sich dagegen hätte rechtzeitig wehren können. Doch ihr kam der Zufall zur Hilfe. Oder besser, ein Rabe. Und dieser lenkte das Wüstenkind auf eine ebenfalls neue Weise ab, sodass Madiha instinktiv ihre Gefühle zur Schau stellte und lächelte. Sie streichelte das weiche Gefieder und spürte eine leichte Gänsehaut, die sich sanft über ihre Arme verteilte. Doch auch das hielt nicht so lange, denn schon kurz darauf entpuppte sich das weiche Gefieder als Corax‘ Federkleid. Verwundert lauschte Madiha den Worten der beiden Männer und kam dennoch nicht mit. Sie hatte Fragen und wollte Antworten! Schluss mit vagen Andeutungen und bedeutungsschwangeren Blicken. Sie verlangte, dass Corax sich erklärte, denn er war es doch, der unbedingt zu Azura zurückgewollt hatte. Also sah sie die beiden auffordernd an und es war dann schließlich Caleb, der wenigstens etwas Licht in das Dunkel bringen wollte. "Weil er tot war. Ich kam aufgrund von Tumult an Deck. Deshalb hab ich auch deine Kabine verlassen, Madi. Da lag er ... blutend und leblos, in Azuras Armen." Madiha starrte den Dieb verständnislos an und auch Corax konnte nicht glauben, was er hören musste. "Er war definitiv tot. Wir haben es überprüft. Keine Atmung, kein Herzschlag und überall Blut. Damit Azura sich beruhigen konnte und damit er nicht einfach, wie Abfall über Bord geworfen wurde und auch vor Jakub sicher war, hab ich ihn in unsere Kabine bringen lassen. Leider konnte ich nicht mitkommen, weil Azura...“ Madiha hob die Augenbrauen und fragte stumm, warum er nicht weitersprach. Sie ahnte ja nichts von seinem Geheimnis und wechselte somit nur kurz einen Blick zu Corax, dem das alles auch ordentlich zusetzen musste. "Sie war vollkommen aufgewühlt. Ich konnte sie nicht allein zurücklassen. Sobald es ging, hab ich sie in die Kapitänskajüte gebracht." In Ordnung, das konnte Madiha verstehen und versuchte daraufhin einen Blick auf den Raben zu erhaschen. Denn dass Azura erschüttert gewesen sein musste, musste ihm doch zeigen, wie sehr er ihr etwas bedeutete. Als Caleb beinahe gestorben wäre, war Madiha zu allem bereit gewesen und … Sie schob die Erinnerung beiseite. Zu sehr kannte ihr Herz noch den Schmerz und als sie für einen Moment Caleb einen Blick zuwarf, war da wieder dieses eigenartige Gefühl, das sie ihn in einem anderen Licht sah. Doch die sanfte Berührung an ihrer Wange, lenkte das Mädchen von ihren eigenen Gedanken alsbald ab.
Madiha zog die Augenbrauen zusammen und wusste die Geste nicht einzuordnen. Dann kamen die traurigen Worte aus dem Schnabel und sie spürte die Träne, wie sie feucht an seinem Schnabel entlanglief und auf ihr Schlüsselbein tropfte. Madiha blinzelte ratlos. „Woher willst du denn wissen, dass…“ – weiter kam sie nicht. Das verschwörerische Trio wurde kurz unterbrochen und Madiha betrachtete den Matrosen Kerf, der Caleb den passenden Hut zum Amt überreichte. Auch wenn die Situation eine völlig andere war, grinste das Mädchen zum Wüstenkapitän hinauf als er den Hut aufsetzte. So recht wollte er nicht zu ihm passen. Sie kicherte leise, was ihr allerdings mit einem Mal im Halse stecken blieb als ein markerschütternder Schrei das Deck erreichte.

Madiha fror augenblicklich und ihr Herz pochte lauthals in ihren Ohren. Plötzlich ging alles so wahnsinnig schnell und noch bevor Madiha den Schrei einordnen konnte, hatte Corax bereits des Rätsels Lösung parat und Caleb ihr Handgelenk gepackt. Madiha folgte den beiden mit klopfendem Herzen und eilte nach Caleb die Stufen zum Deck hinunter. Von den Gerüchten, die sich durch Kerf auf einmal verbreiteten, bekam Madiha überhaupt nichts mit. Es dauerte nur wenige Atemzüge, als Corax den Befehl krächzte und Caleb die Tür öffnete. Sofort verringerte sich die Last auf ihrer Schulter, denn der Elf verwandelte sich noch im Flug wieder in den Mann, den sie kannten. Doch Madiha hatte gar keine Augen für Corax. Viel eher starrte sie der Szenerie entgegen, die sich ihr bot. Ihre Ohren rauschten. Azura, die geprügelt wurde von einem nackten Mann, der sich ihrer bemächtigen wollte. Ihre entsetzte Fratze, weitaufgerissen und doch vollkommen tonlos. Und noch ehe Madiha überhaupt fähig war, das Gesehene vernünftig in Handlungen umzusetzen, verwandelte sich der Nackte in eines dieser Stockmännchen. Sie zuckte zusammen bei dem Anblick und griff instinktiv nach Caleb, als er den wagemutigen Schritt nach vorn machte, um dem erstarrten Corax zu Hilfe zu kommen. Wie in Zeitlupe glitt Madiha’s Blick von Corax zu Caleb, als dieser das kleine Männchen ergriff und ohne jedwede Umschweife über seinem Knie zerbrach. Madiha zuckte erschrocken zusammen. Sie starrte entgeistert auf das leblose Gehölz und wollte sich gerade über die Arme streichen, weil die Atmosphäre in diesem Raum so schrecklich kühl war als sie feststellte, dass das Gefühl verschwunden war. Der Raum wirkte heller… trotz der Dunkelheit vor den Fenstern. Das Mädchen begann schneller zu atmen. Das Ganze hatte sie gehörig erschreckt und Azura’s Anblick war grauenvoll. Sie tat ihr sofort leid. Denn sie erinnerte sich an unzählige derlei Situationen. Zumindest solche mit nackten, gewalttätigen Männern. Doch es ging nicht um sie und Madiha konnte nichts weiter tun, als blass vor Schreck auf Azura, Corax und Caleb zu starren. "Jetzt hast du doch getötet...", kam es von Corax und seine Stimme klang so unwirklich in Madiha’s Hirn. Sie wandte den Kopf und blickte auf die Stöcker, die so viel Leid hatten verursachen können. "Ich schulde dir...", setzte Corax an und Caleb unterbrach ihn mit einer verstehenden Geste. Er schob den Elfen zur zitternden Adeligen, die noch gar nicht recht zu verstehen schien, was vor sich ging. Madiha aber brauchte keinen Moment, als Caleb sich ihr annäherte und die Hand nach ihr ausstreckte. Sie trat vor und ließ ihre weiter abheilende Hand in seine gleiten, während die andere seinen Arm umfasste. Sie hielt sich an ihm fest und gleichzeitig drückte sie sachte zu, sodass er wusste, dass sie da war. Caleb hatte getötet und doch… doch war es etwas anderes, denn diese Wesen hatten eine schwarze Seele, durch und durch, besessen. Es wäre etwas anderes gewesen, wenn er Jakub auf dem Gewissen hätte. Doch das, was diese Wesen Corax und schließlich auch Azura angetan hatten… das musste ein Ende haben. Und er hatte es herbeigeführt.
Madiha erinnerte sich an seine Worte, als er ihr überschwänglich erzählen wollte, dass er bereits welche erwischt hatte, als diese Schlange sie anzugreifen versucht hatte. Ihr lief es eiskalt den Rücken hinunter und sie lehnte, die Augen geschlossen, ihre Stirn gegen seinen Rücken. Die Bilder verschwanden. Sie war sicher.

"Es ist mir egal, was du tust und mit wem. Ob du es tust oder nicht. Ob du mich willst oder nicht. Es ist mir egal. Ich kann dir nicht den Rücken kehren. Ich werd's nicht. Ich liebe dich zu sehr ... Azura.", hörte Madiha dann und hob den Blick von Caleb’s Rücken an. Sie lugte hinter seinem Körper hervor und betrachtete das Bild, welches sich ihr bot. Corax, wie er Azura endlich in seine Arme schloss und ihr den Halt geben wollte, den sie wohl so sehr brauchte. Madiha biss sich auf die Unterlippe und ließ das Bild auf sich wirken. Zuneigung in dieser Form war etwas, was sie bisher nicht erfahren hatte. Fasziniert starrte sie hin und sog das Bild in sich auf. Er liebte sie. Das hatte er gesagt. Und er konnte ihr nicht fernbleiben, auch wenn er sich verstoßen glaubte. War das also tatsächlich Liebe? Wenn man sich nach jemanden sehnte, auch wenn dieser einen nicht wollte? Madiha versuchte das, was sie sah, und lernte zu verstehen. Doch bevor sich das Bild der beiden in inniger Umarmung einbrennen konnte, war es Azura, die abermals dagegen ankämpfte. Zu groß war die Angst in ihr, zu sehr die Panik vorhanden. Madiha hatte sich während ihres inneren Verstehens an Caleb geklammert und gar nicht bemerkt, wie sehr sie wohl das ‚Liebespaar‘ angestarrt hatte, als wären die beiden eine saftig grüne Oase, nachdem sie monatelang in der Wüste Durst gelitten hatte. Doch jetzt ließ Madiha Caleb los und ging zielstrebig auf Corax zu. Sie legte ihm vorsichtig die Hände auf die Schulter, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten. „Lass sie los, Corax. Sie hat Angst…“, bat sie den Elfen und übte sanften Druck aus. „Sie braucht Platz.“, meinte sie und trat selbst ein Stück zurück. Madiha blickte auf Azura nieder und hockte sich, mit etwas Platz dazwischen, vor sie hin. Das Wüstenkind wusste nicht wirklich, was sie tat. Doch sie kannte den Schmerz, den Azura empfinden musste und so erhob sie die Stimme, um sie auf andere Art und Weise einzufangen: „Azura? Du bist sicher… du bist nicht allein und dir kann jetzt nichts mehr passieren.“, murmelte sie in ihre Richtung. Madiha erlebte eine Erinnerung, die sie nun widerspiegelte. Damals hatte sich eines der Mädchen zu ihr gesetzt, nachdem sie das erste Mal bei Khasib gewesen war. Vollkommen verstört und verängstigt, hatte sie in einer Ecke gekauert und nur die sanfte Stimme, eines der älteren Mädchen, konnte sie Stück um Stück beruhigen. „Corax ist hier… und er hat dich beschützt. Ebenso wie Caleb.“, erzählte sie weiter und hatte ihre Stimme auf eine beruhigende Lautstärke gesenkt. „Azura… wir sind alle hier und für dich da…“, sprach sie aus und meinte es wirklich so. Die zuvor gelebte Antipathie zwischen ihnen, spielte für Madiha in diesem Moment keine Rolle mehr. Madiha wusste einfach, wie sehr Azura unter der Behandlung durch diesen vermeintlichen Mann gelitten haben musste. Sie hatte es selbst erlebt. Und gerade deshalb, war es für sie keine Sekunde eine Frage, dass sie ihr die Sicherheit zuteilwerden ließ, die sie damals auch nötig gehabt hatte.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Montag 10. Oktober 2022, 12:03

Azura ist

- bitte im Profil aktualisieren.


Auch wenn Kapitän Gilles - Stumpelrilzchen - wer auch immer dieser garstige Berg aus Gewalt gewesen war, nun von ihr abgelassen hatte, konnte Azura die Angst noch nicht von sich schütteln. Sie stand unter Schock und das ließ sich nicht von einen auf den anderen Moment beheben. Adrenalin jagte durch ihren Körper, hielt sie in einer kontinuierlichen Wachsamkeit gefangen, die keine Entspannung für ihren gepeinigten Körper gewährte. So empfand sie auch den Anblick ihrer Retter nicht als einen Grund zur Freude. Sie registrierte sowohl Caleb als auch Corax, konnte dazu aber im Moment keine Empfindung abrufen. Zu präsent waren der Schmerz und die Furcht vor dem beinahe Erlebten.
Da half es auch nicht, dass der Dunkelelf zu ihr zurückgekehrt war, sie in die Arme schloss und auf's neue seine Liebe bekundete. Es war zu viel für sie, um alles in sich aufzunehmen, zu verarbeiten und zusätzlich als etwas Gutes zu verinnerlichen. Azura spürte nur die Enge, die plötzlich entstanden war. Sie versetzte sie erneut in Panik. So strampelte sie, wehrte sich und versuchte, von Corax loszukommen. Dass sie dabei immer noch nicht wieder schrie, würde sie als normal empfinden. Schließlich hatte sie ja nie zuvor sprechen können. Azura besaß keine Stimme wie alle anderen. Solange sie daran nicht zweifelte, hielt der Zauber auch noch nach der Vernichtung des letztens unheimlichen Männchens fest. Wie es gesagt hatte: Solange du daran glaubst, ist es wahr.
Corax glaubte hingegen immer mehr daran, dass Azura nur noch Verachtung für ihn übrig hatte. Er war ihr nicht nur zuwider, sie schien ihn schlichtweg zu hassen. Warum sonst reagierte sie mit dermaßen großem Widerstand gegen seine Versuche, für sie da zu sein? So gefühlvoll der Rabe auch sonst mit ihr umging, dass sie nun Freiraum brauchte, verstand er nicht. Auch er hatte Missbrauch erlebt, nicht nur einmal. Bei ihm hatten andere den Versuch sogar erfolgreich durchgezogen, aber Corax hatte sich danach nicht vor jedem verschlossen. Natürlich, er war froh gewesen, wenn seine Peiniger ihn für eine Weile in Frieden ließen, aber insgeheim hatte er sich dann nach Trost durch Nähe gesehen. Liebevolle Nähe. Die Wärme einer Mutter, die ihn hielt und versprach, es würde alles gut ausgehen für ihn. Mit vor Schreck geweiteten Augen und darin glimmendem Unverständnis klammerte er sich nur noch fester an Azura. Sah sie denn nicht ein, dass er trotz all ihrer Ablehnung nicht mehr von ihrer Seite weichen würde? Dass dies auch Quelle für ein sehr ungesundes Verhältnis sein konnte, kam ihm nicht in den Sinn. Er liebte sie! Warum erkannte sie es nicht, dass er für sie da sein wollte?
Verzweiflung hätte sich breit gemacht und Corax womöglich zu einer unüberlegten Handlung verleiten lassen, wäre Madiha nicht gewesen. Sie erkannte, was Azura nun brauchte. Denn sie konnte es besser nachvollziehen als der Dunkelelf. So legte sie ihrem Sklaven die Hände auf die Schultern, was ihn sofort innehalten ließ. Er spähte zu ihr empor, lauschte ihren Worten und ... zog sich dann von Azura zurück. Er ließ sie frei, rutschte von ihr weg, um sein Gesicht auf den Knien zu verteilen, als er sich hinhockte. Skeptisch, aber ohne Misstrauen beobachtete er Madiha nun dabei, wie sie sanft auf die Adlige einsprach ... und seine Augen wurden groß. Er starrte seine Herrin regelrecht an. Nur zwischendurch huschte sein Blick immer wieder flüchtig zu Azura, um eine Reaktion von ihr zu erhaschen. Dann aber kehrte die Aufmerksamkeit zu Madiha zurück. Nur ein Gläubiger, der seiner Göttin gegenüberstand, machte so große Augen. Selbst Caleb im Hintergrund blinzelte darüber einmal. Er verschränkte nun die Arme und beobachtete die Szene auf Abstand. Erst als Madiha auch ihn als Azuras Retter erwähnte, brummte er, schüttelte den Kopf und kommentierte: "Lass mal gut sein. Der Mist ist auf seinen Schultern gewachsen." Er nickte Corax zu. Und dann flog der rubinrote Rabenblick auch einmal zum Caleb. "Kapitän...", murmelte der Dunkelelf, was den anderen Mann stutzen ließ, ehe er sich wieder verlegen den Nacken rieb. "Da vorn spielt die Musik!", lenkte er ab. Es gelang. Corax wandte sich wieder der Szene zwischen Azura und Madiha zu. Letzterer galt dann sein Blick, nachdem sie beide der Adelstochter genug Abstand, ruhige Worte und vor allem etwas Zeit gönnten.
"Herrin...", wisperte er nun auch ihren Titel. "Soll ich ... irgendetwas tun?"
"Sie ist verletzt", mischte Caleb sich von hinten ein. "Wir haben keinen Medicus mehr an Bord, aber seine Sachen liegen noch in Madihas Kabine." Corax sprang sofort auf, aber Caleb hielt ihn mit einer eindeutigen Handbewegung davon ab, sofort aus dem Raum zu stürmen. "So nicht. Nach wie vor halten dich alle an Bord für tot. Vielleicht ist das auch besser so. Du bist ja schon bei uns in Erklärungsnot geraten. Bleib hier und nimm meine Gestalt an, falls jemand aufkreuzt, der nicht zu unserem geheimen Kreis gehört. Ich behalte den Hut hier auf, so können Madi und Azura uns unterscheiden."
Corax nickte langsam. "Da-"
"Ruhe! Über ide Ohrfeige reden wir noch", erinnerte er den Elfen mit halbherzigem Ernst daran, sich nun nicht überschwänglich für Selbstverständlichkeiten zu bedanken. Anschließend straffte Caleb die Schultern. "Ich hol die Pflegerutensilien, eine Schale Wasser und ... vielleicht etwas Alkohol, wenn sich welcher auftreiben lässt?" Er grinste schief auf. Dann wandte er sich der Tür zu.
"Azura, sag mir, was du brauchst. Ich kann es dir beschaffen", begann Corax in wachsender Ungeduld wieder, aber letztendlich war er nur besorgt und dieses Gefühl machte ihn nervös. Vor allem, weil er immer noch nicht einschätzen konnte, wie seine Angebetete nun über ihn dachte. Trotz allem hatte er sich entschieden. Er würde bei ihr bleiben! Einzig ein flüchtiger Blick in Madihas Richtung erinnerte ihn selbst daran, dass er sich entgegen seiner eigenen Bedürfnisse doch noch dem Wort einer anderen würde fügen müssen, wenn sie es verlangte. Ohne Widerrede, denn...
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Montag 10. Oktober 2022, 13:56

Die Angst war da und sie blieb auch noch, nachdem dieses Ding endlich zerstört worden war. Ihr gesamter Körper schmerzte, ihre Zunge pulsierte dort, wo sie sich drauf gebissen hatte, ihr Handgelenk fühlte sich leicht dumpf an und ihre Hüfte... Oh, hoffentlich hatte er ihr wirklich nichts ausgerenkt!
Ob sie noch gehen konnte? Zu ihrer jetzigen Position hatte sie sich mehr oder weniger geschoben und gerobbt, im Rückwärtsgang, ohne wirklich auf die Beine zu kommen. Somit würde sie es zu einem späteren Zeitpunkt herausfinden müssen, denn im Moment wäre sie so oder so nicht in der Lage, aufzustehen.
Sie zitterte am ganzen Leib und auch wenn es diesen demütigenden, schmerzhaften Akt nicht hatte vollziehen können... für Azura war dieser Übergriff per se weitaus schlimmer, als wenn es vollendet worden wäre. Schon auf dem anderen Schiff hatte sie sich danach in ihr Inneres geflüchtet, um sich der harten Realität nicht stellen zu müssen, die ihr unbedingt beweisen wollte, dass ihr Name allein sie eben nicht schützen konnte. Ganz gleich, wovor...
Jetzt hingegen wurde sie regelrecht bedrängt und konnte nichts weiter dagegen machen, als sich in den Armen zu winden und ihren Mund zu einem stummen, verzweifelten Schrei zu öffnen. Wenngleich nicht ein noch so kleiner Laut über ihre Lippen drang, denn sie konnte ja nicht sprechen. Hatte es noch nie gekonnt... Nur schreiben, ja, das war ihr möglich. Zumindest dann, wenn sie die entsprechenden Utensilien bei der Hand hatte und nicht gerade all ihre Kraft darauf verwendete, sich panisch zu befreien.
Dabei machte sie wilde Bewegungen, ohne Rücksicht auf Schmerzen oder die Tatsache, dass sie vielleicht noch den ein oder anderen nicht versickerten Blutstropfen verteilte. Und dann, plötzlich, wurde sie losgelassen. Keuchend, zitternd und wimmernd, wenn sie denn eine Stimme besessen hätte, presste sie sich enger an das Holz in ihrem Rücken und starrte voller Angst zu den Personen, die sich vor ihr versammelt hatten.
Sie kannte diese, das wusste sie, und dennoch war es ihr gerade nur äußerst schwer möglich, sie als Freund oder Feind einzuordnen. Zu tief saß der Schock darüber, einen weiteren Totgeglaubten wieder vor sich sehen zu müssen.
Wen wunderte es also, dass sie sich vor allem vor männlichen Gesichtern und Körpern fürchtete? So sehr, dass all ihre Gefühle für diesen einen Dunkelelf ihr nicht hatten helfen können, seine Berührung zu ertragen. Oder das leise, schlummernde Begehren für den anderen mit dem Hut auf dem Kopf.
Hut? Wieso eigentlich dieser seltsame Hut? Was Panik doch für merkwürdige Blüten treiben konnte, dass sie sich an diesem winzigen, im Prinzip unwichtigen Detail plötzlich gedanklich festhing und darauf starrte.
Einen Atemzug lang, dann noch einen... bis sich die Göre in ihr Blickfeld schob und auf sie einzureden begann. Es dauerte noch einen dritten Atemzug, ehe Azura blinzelte und langsam, ganz langsam ihren Fokus auf ihr direktes Gegenüber richten konnte. Bei ihr war die Angst nicht dermaßen groß, handelte es sich schließlich um keinen Kerl, der sie gleich überfallen könnte.
Wie grausam indes Frauen werden konnten und mit welchen Hilfsmitteln sie sich zu bedienen wussten... Nein, es war besser, wenn sie nicht sämtliche Ungeheuerlichkeiten und Schrecknisse innerhalb weniger Minuten durchleiden musste! Doch solcherlei Dinge lagen der anderen sowieso absolut fern.
Stattdessen sprach sie ruhig auf die junge Frau ein und tatsächlich half ihre Stimme dabei, dass das Zittern allmählich abebbte. Es versiegte nicht gänzlich, aber immerhin schüttelte es sie nicht mehr dermaßen durch, als wäre es nur die Vorstufe zu einem ungesunden Krampfen.
Schließlich blinzelte sie langsam und wollte sich über die brennenden Augen reiben. Da sie dabei jedoch ihr verletztes Handgelenk benutzen wollte, zuckte der Schmerz bei der Bewegung hindurch, sodass sie gequält das Gesicht verzog. Instinktiv griff sie mit der anderen danach und wollte das Gelenk auf diese Weise ruhig stellen, während sie voller Pein wieder aufsah.
So wirklich fassen konnte sie noch nicht, was ihr da gesagt worden war. Außerdem hatte sie im Moment ja nicht einmal die Möglichkeit zu antworten! Mit den Zeichen, die Hände machen konnten, hatte sie sich ja immer schwer getan, weil es so viele gab, die sie auch damit nicht verstanden hatten. Hinzu kam diese quälende Verletzung, die sie obendrein der Fähigkeit des Schreibens beraubte, da sie genau diese Hand dafür brauchen würde. Wie also sollte sie sich denn jetzt verständigen?
Indes kam auch Bewegung in die Szenerie vor ihr, denn der Schiffskoch schien eine neue Position erreicht zu haben. Tatsächlich sah Azura kurz auf und erneut fanden ihre Augen den seltsamen Hut, auf den sie einige schnelle Herzschläge starrte. Was war denn draußen geschehen, während sie hier drin gepeinigt worden war?
Wie gerne hätte sie danach gefragt, sich damit womöglich abgelenkt und sich nicht länger ihrer noch immer immensen Angst stellen müssen. Doch sie hatte ja keine Möglichkeit dazu, also musste sie abwarten und darauf hoffen, dass ihr niemand mehr zu nahe käme.
Was allerdings nicht bedeutete, dass hektische Momente sie nicht erneut erschrecken konnten. Denn plötzlich sprang der Dunkle vor ihr auf die Füße, als ihr Zustand erwähnt wurde, sodass sie zusammen fuhr. Schon machte sie sich wieder kleiner und das Zittern verstärkte sich ein wenig. Doch ihr passierte vorerst nichts.
Stattdessen erwähnte der Schiffsko... der Kapitän jenen Umstand, der sie in tiefste Verzweiflung gestürzt hatte. Azura hatte erneut das Bild vor Augen, wie ihr ehemaliger Begleiter leblos und voller Blut in ihren Armen gelegen hatte. Ihr schnürte sich das Herz zusammen und sie senkte lautlos schluchzend den Blick. Was eigentlich kontraproduktiv war, denn auf diese Weise beraubte sie sich selbst der Gelegenheit für Ablenkung und versank noch leichter in der schmerzvollen Erinnerung.
Wie gut, dass vor ihr weiter gesprochen wurde und sie zwar stumm, allerdings nicht taub war. So blickte sie auch überrascht auf, als von einer Ohrfeige gesprochen wurde. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Doch sie erhielt keine Antwort, wie denn auch?
Viel eher wandte sich der Kapitän ab und Corax ihr wieder zu. Er fragte sie etwas, direkt, ganz so, als könne sie ihm auch eine Erwiderung geben, wenn sie denn eine gewusst hätte. Aber so...
Sie öffnete den Mund, als wolle sie zu sprechen beginnen, instinktiv, auch wenn da kein Ton rauskommen konnte, lediglich ein dünner, blassrosa Speicheltropfen, der sich in ihrem Mundwinkel gesammelt hatte. Und als nichts geschah, schloss sie ihre Lippen langsam wieder und sah ihn mit herzerweichender Leidensmiene an, während sie etwas hilflos die Schultern anhob.
Zeitgleich stellten sich bei ihr die feinen Härchen an ihren bloßen Armen auf, denn sie trug weiterhin nur die dünne Bluse obenrum, unter deren Stoff sich bei einem gewissen Lichteinfall farbliche Hautakzente abzeichnen konnten. Das Mieder selbst würde wohl unter dem Bett verstauben, wenn es niemand hervor holte. Nun ließ allmählich das Adrenalin ihre Panik nach und hielt die Kühle der Nacht nicht mehr davon ab, mitsamt ihren zerrütteten Nerven sie frieren zu lassen.
Eine Decke wäre nun genau das Richtige. Nur... wie daran gelangen? Sie selbst fand keine Kraft, um aufzustehen. Aufs Bett selbst würde sie sich definitiv auch nicht mehr begeben, egal, auf welche Art! Und darum bitten... konnte sie ebenfalls nicht. Somit würde sie wohl nicht an etwas Wärmendes gelangen... Blieb ihr nur zu hoffen, dass sie sich keine Erkältung zuzog, die sich zu Schlimmerem auswuchs!
Wie lange es wohl noch bis zum Sonnenaufgang dauern würde, damit die Luft nicht mehr so kalt durch die zerstörte Scheibe eindringen konnte? Sofern Wolken sie nicht verdecken oder der Wind es verhindern würde!
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Dienstag 11. Oktober 2022, 19:44

Warum es ausgerechnet Madiha war, die sich von Caleb löste, um derjenigen zur Hilfe zu kommen, die sie bisher nicht gerade zuvorkommend behandelt hatte, wusste wohl niemand zu sagen. Auch das Wüstenmädchen selbst nicht. Madiha handelte nach ihrem Gefühl und das sagte ihr, dass Azura gerade deutlich zu viel durchgemacht hatte. Dass auch Caleb einmal an diesem Punkt gewesen war und ihr ‚ein wenig zu viel geholfen‘ hatte, ahnte sie indes nicht. Sie wollte nun das, was sie erfahren hatte, weitergeben. Dabei handelte Madiha nicht bewusst oder gar aus Berechnung. Sie wollte von der adeligen Schönheit nichts haben. Weder ihren Körper noch ihren Namen oder ihre Gunst. Es war ihr schlicht nicht wichtig. Aber sie wusste sehr wohl, wenn eine Seele genug Prügel bezogen hatte und einen Moment der Wärme bedurfte. Das Mädchen hatte sich vorsichtig angenähert und Corax davon abgehalten, Azura zu erdrücken. Seinen Blick sah sie indes nicht, war sie doch damit beschäftigt, behutsam auf die Verängstigte einzureden. Dass Caleb sich jedoch herauswand, als sie ihn ebenso als Retter bezeichnete, ließ sie einmal kurz zu ihm sehen. So war es aber doch gewesen? Er hatte sich, nach seiner Auskunft, um Azura bemüht, als sie völlig verzweifelt gewesen war, wegen Corax. Und jetzt war er es doch, der das kleine, baumartige Männchen zerbrach und sie alle von dieser Dunkelheit befreit hatte. Nachdem sie zurückblickte, streifte sie kurz den Dunkelelfen neben sich. Er starrte regelrecht und Madiha blinzelte fragend. Was war denn so besonders daran, dass sie sich einmischte? Madiha verstand es nicht, kümmerte sich allerdings weiter um Azura. Sie versicherte ihr, dass sie für sie da wären. Corax schien es kaum auszuhalten nichts zu tun, weshalb auch die Diskussion darüber aufkam, wer was wie tun könnte. Madiha sah zu den beiden Männern auf und wartete stumm ab, wie sie sich entscheiden würden. Das Wüstenkind ließ den Blick zwischen ihnen hin und herwandern, blieb allerdings auf Corax hängen. Er war so voller Eifer, so erpicht darauf, etwas tun zu können, zu dürfen, dass Madiha nachdenklich zur Rothaarigen blickte. Er war so besorgt um sie. Ihm lag ihr Wohlergehen doch am Herzen – wieso glaubte er nur, dass sie ihn verstoßen würde? Denn gelitten hatte sie ebenfalls wegen ihm. Oder hatte Madiha die Gegebenheiten völlig falsch interpretiert? Wundern würde es sie nicht. Immerhin hatte sie gar keine Ahnung von derlei Beziehungen. Vermutlich hatte sie Azura’s Allüren tatsächlich falsch gedeutet und somit ein vollkommen fehlgeleitetes Bild. Hatte sie Corax womöglich etwas Falsches suggeriert? Das täte ihr wirklich leid.

Das Mädchen sah auf, als Caleb sich entschied, die Heilerutensilien zu holen. Kurz flammte Unsicherheit bei Madiha auf. Das letzte Mal, als sie mit den beiden Streihähnen allein war, wäre sie beinahe gestorben. Ihr Blick glitt zu Corax. Er war unberechenbar und unstet. Wenn Azura nur etwas passierte, während sie dabei war… würde er nicht eine Sekunde zögern und sie erneut versuchen zu töten? Wie konnte sie sicher sein? Madiha musterte Caleb und bat ihn stumm darum, er möge sich beeilen. Ihr war einfach nicht wohl dabei, hier jetzt allein zu sein. Zudem wusste sie auch nicht viel mehr als das, was sie bereits getan hatte, um zu helfen. Sie war weder in Heilkunst bewandert noch besonders eloquent. Das, was sie sagte, hatte schon viel Mühe gekostet. Doch auf der anderen Seite, wurde Azura tatsächlich etwas ruhiger. Vielleicht würde es so weitergehen und sie könnte etwas Trost finden. "Ich hol die Pflegeutensilien, eine Schale Wasser und ... vielleicht etwas Alkohol, wenn sich welcher auftreiben lässt?" erneut hob Madiha den dunklen Schopf und sah Caleb nach wie er auf die Tür zuhielt. Im Grunde wollte sie nicht, das er ging. Aber sie durfte auch nicht egoistisch sein. Also blieb sie stumm und wandte sich, nachdem er die Kajüte verlassen hatte, wieder den anderen beiden zu. "Azura, sag mir, was du brauchst. Ich kann es dir beschaffen", kam es ungeduldig von Corax und Madiha beobachtete die Frau kritisch. Sie hatte bisher noch kein Wort gesagt und das, obwohl sie beruhigter schien und auch teilnahm an ihren Worten. "Du bist eine gute Herrin.", hörte sie Corax plötzlich sagen und hob erstaunt die Augenbrauen. Sie war überrascht, über seine Ehrlichkeit und blinzelte kurz, ehe sie ein wenig den Mundwinkel hob. Sie war keine Herrin. Aber sich verstand, was er damit sagen wollte, und nickte nur verlegen. Nur um sich dann zügig abzulenken und sich lieber wieder der Frau zu widmen. Madiha beobachtete Azura genau und versuchte zu verstehen, wieso sie denn nichts sagte. Hatte sie sich verletzt? Wurde ihr die Kehle zugedrückt, wie… ihr selbst? Madiha hatte danach auch kurz das Gefühl gehabt, nicht sprechen zu können. Doch sie sah keine Male an ihrem Hals, die darüber hätten Aufschluss geben können. Dann wanderte der graublaue Blick über ihre Gestalt. „Corax? Würdest du eine Decke holen?“, fragte sie ihn und blieb mit dem Blick auf Azura hängen. Madiha versuchte ein wenig zu lächeln. „Tut dir der Hals weh?“, wollte sie dann von ihr wissen. Irgendwie musste sie ja mal ein Wort sagen. Oder hatte der Schrei ihre Stimmbänder so sehr geschwächt? Nachdem Corax zurückgekehrt war, ließ Madiha ihm Platz, damit er die Decke um die Schultern der Verängstigten legen konnte. Das Mädchen rutschte etwas auf Abstand, damit die beiden anderen Platz hatten, sich vielleicht gemütlicher hinzusetzen, um etwas Bequemlichkeit zu generieren. Sie selbst saß auf ihrer linken Wade, das rechte Knie aufgestellt und den Arm daraufgelegt. „Meinst du, sie hat ihre Stimme so verausgabt beim Schreien, dass sie nun viel zu heiser zum Sprechen ist?“, fragte sie Corax direkt und sah ihn an. „Vielleicht kannst du sie heilen, so wie mich?“, wollte sie wissen und hielt die Hände etwas entgegen, um zu unterstreichen, was sie meinte. Ratlos zuckte sie die Schultern. „Ich weiß nicht, wieso sie nicht spricht?“, meinte sie, sah aber Azura fragend wieder an. „Der Schrecken ist weg… da…“ sie deutete auf die Stöcker am Boden, „da liegt er. Er war der letzte von ihnen. Ehrlich wahr… Du brauchst keine Angst mehr zu haben, sie können niemandem mehr etwas tun… Auch Corax nicht.“, lächelte sie leicht und nickte ihr aufmunternd zu. „Sag uns doch, was los ist. Ich denke, Corax würde alles für dich tun. Egal was du willst…“, unterstellte sie einfach mal und wartete ab, was die Adelige brauchen könnte.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 12. Oktober 2022, 11:53

Für Sklaven gab es kein Streben nach persönlichen Zielen. Für sie existierten nur die Herrschaften, denen sie dienten. Man bläute es ihnen regelmäßig ein, dass es nichts Wichtigeres gab - notfalls auch mit Stockschlägen, Peitschenhieben oder durch Methoden, bei denen sie keine Nahrung oder Schlaf mehr erhielten. Auf diese Weise lernten sie schon, so die besser Gestellten. Sie hatten Recht. Sklaven lernten, dass ihr eigenes Leben, Wünsche und Hoffnungen nicht zählten, wenn sie sich nicht um das Wohlergehen derer drehten, denen sie unterteilt waren. Das höchste Glück eines Sklaven bestand darin, einen zufriedenen Blick zu erhaschen, ein wohlwollendes Nicken oder in weitaus schlimmeren Verhältnissen das Wissen, die Nacht ohne von Missbrauch schmerzenden Gliedern verbringen zu dürfen.
Corax hatte sich noch immer nicht von der Sklavenrolle befreien können. Natürlich nicht! Ein solcher Prozess konnte Jahre in Anspruch nehmen, wenn er sich überhaupt noch abschütteln ließ. Manche Opfer blieben auf ewig gefangen in diesem Denken, nichts wert zu sein. Hier war es allerdings ein wenig anders. Azura war nicht seine Herrin. Corax hatte Madiha diesen Titel nun zugestanden. Er schien ihr ergeben. Wenn sie um etwas bat, erfüllte er ihr den Wunsch. Vor allem versuchte er nicht länger, sie umzubringen. Sie hoffte es, denn so ganz vertraute sie noch nicht darauf. Als Caleb sie mit ihm und Azura allein ließ, spürte sie durchaus noch das mulmige Gefühl im Magen und wie ihr Hals sich wie von selbst etwas zusammenzog. Der Dunkelelf aber widmete seine Aufmerksamkeit der Frau, die er eben nicht seine Herrin nannte. Das machte den Unterschied. Er liebte Azura, was sie automatisch in eine ähnliche Position erhob - ob sie es wollte oder nicht. Er würde für sie da sein.
So war es allerdings auch schwer für den Elfen, ihr Leiden zu sehen. Er ertrug es kaum, ihr nicht sofort Linderung verschaffen zu können. Dass sie sich zusammenkauerte, zitterte und noch immer nichts zu seinen Worten und Taten kommentiert hatte, machte ihn furchtbar nervös. Unstet lenkte er sich ab, indem er an seiner Kleidung herum knibbelte oder Madiha immer wieder einen Blick zuwarf. Wenn die Herrin ihm doch nur eine Aufgabe gäbe, damit er mit seinen Gedanken und Azuras Anblick nicht allein war.
Madiha hingegen konnte sich mit der Rolle einer Herrin, die einen Sklaven besaß, ebenso wenig abfinden. Auch sie musste erst lernen. Bis dahin blieb sie ihrem alten Schema treu, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Als Sklavin hatte sie niemanden, auf den sie sich hätte verlassen können. Am Ende war jeder doch sich selbst der nächste. Dass es auch anders sein konnte, das lernte sie selbst jetzt erst. Immerhin dachte sie an ihren Sklaven, jedoch nicht an diese Stellung, als sie Corax fragte, ob er Azura eine Decke bringen könnte. Er sprang sofort auf. Seine Bewegungen waren hektisch, schnell, aber nur bis er das Bett erreichte. Dann griff er nach der ersten Decke. Er begutachtete sie und legte sie beiseite. Sie besaß einen milchigen Fleck wie er ihn an Calebs Hose gesehen hatte. Er warf das Stück Stoff mit grimmigem Blick zu Boden. Dann suchte er nach einer besseren Version. Er nahm sich Zeit, denn er wollte Azura nur die höchste Qualität liefern. Gleichzeitig lauschte er Madihas Worten, was ihn nur noch ruhiger werden ließ. Ruhiger und nachdenklich.
Mit einer kuscheligen Decke und einem dicken, weichen Kissen kehrte er zu Azura zurück. Er näherte sich ihr behutsam, als wäre sie ein Reh und er der Jäger mit der Armbrust. Aber er trug sie auf dem Rücken, denn er wollte nicht jagen, sondern das arme Tier aus der Bärenfalle befreien, in die es getappt war. Langsam, sehr langsam kam er bei ihr an und hockte sich auf etwas Abstand neben sie. Um das Gespräch mit Madiha nicht zu stören, das ohnehin einseitig war, schwieg er und zeigte Azura lediglich die Bettwäsche. Er schob ihr das Kissen in den Rücken, damit sie sich warm und weich dagegenlehnen konnte. Anschließend präsentierte er die Decke und legte sie ihr um die Schultern. Vor ihrer Brust zog er sie zusammen, dass ihr ganzer Leib von dem wärmenden Stoff verborgen wurde und nur noch Kopf und Hände heraus lugten. Corax betrachtete ihre Finger. Er streckte seine danach aus, zögerte und senkte die Hand, bevor er Azuras auch nur erreicht hatte. Sie brauchte Freiraum und so schwer es ihm fiel, er würde ihr diesen Wunsch erfüllen.
"Tut dir der Hals weh?", fragte Madiha, da die Adlige noch immer nicht einen Ton herausgebracht hatte. Sie wandte sich an Corax. "Vielleicht kannst du sie heilen, so wie mich?" Corax nickte. "Das kann ich." Aber ehe er sich Azura wieder annäherte, denn er schien ihren Hals berühren zu müssen, fiel sein Blick auf Madihas Hände. Missmutig betrachtete er die teils verheilten Handflächen. "Die sind ja immer noch nicht wieder die Alten." Er seufzte. "Du musst dran glauben..." Dann neigte er den Kopf und nickte zu sich selbst. "Ich werde nachher nochmal heilen. Das sollte ausreichen, damit du sie wieder wie früher nutzen kannst." Jede gelogene Hoffnung stärkte den Glauben daran, aber in diesem Fall wäre es von Vorteil. Azura sollte nun aber zuerst drankommen. "Ich liebe dich", kündigte Corax an. Es tat ihm sichtlich gut, es auszusprechen, als wären es magische Worte, die jede Gefahr vertreiben könnten. Für Azura sollten sie ein Hinweis sein, dass er ihr kein Leid tun wollte, als er seine Hände zu ihrem Hals hob. Sofern sie es zuließ, legte er behutsam die Finger an ihre Haut. Er strich darüber, berührte sie ganz sanft und streichelte sie dann. Schließlich zog er sie aber zurück und schüttelte ratlos den Kopf. "Da ist nichts", meinte er. Sicherlich hatte Azura ihre Stimmbänder beansprucht. Würde sie sprechen, wäre der Klang gewiss heiser und vielleicht auch etwas schmerzhaft, bis sie genug getrunken hätte. Aber sie gab ja kein Wort von sich. Weil sie nicht sprechen konnte. Das war ihr auch nach dem Tod von Stumpelrilzchen vollkommen klar. Sie hatte nie gesprochen, niemals.
"Ich weiß nicht, wieso sie nicht spricht. Der Schrecken ist weg ... da... da liegt er. Er war der Letzte von ihnen. Ehrlich wahr ... du brauchst keine Angst mehr zu haben, sie können niemandem mehr etwas tun ... auch Corax nicht." Madiha versuchte, Azura Mut zu machen. Dass ihre Worte aber ebenso den Dunkelelfen erreichten, war ihr nicht klar. Er stutzte, wandte den Kopf und betrachtete als die gebrochenen Zweige am Boden. Kein Stockmännchen mehr, keine rotäugigen Ratten oder garstigen Raben. Keine Kakerlaken, keine magischen Schlangen aus Nadeln, die ihm albtraumhafte Erinnerungen zeigten.
"Keine Spiele mehr ... ich muss nie wieder spielen." Corax bemerkte nicht, wie ihm dicke Tränen aus den Augen quollen und in breiten Bahnen über seine Wangen liefen. Er bemerkte auch nicht das warme Funkeln in seinen Augen, so dass die Rubine wertvoller denn je aussahen. Ihm fiel nicht auf, dass er so erleichtert lächelte, wie es nur eine Seele konnte, die man von allen Bürden befreit hatte. Er spürte nicht, dass sein Körper ähnlich Azura zu zittern begann, als jeder Faser seines Leibes bewusst wurde, dass er frei war. Nicht frei von Sklavschaft, denn diese Ketten legte er seinem Denken noch selbst auf. Wenn man dran glaubte, blieb es wahr. Aber er war frei von seinen Peinigern, die ihn als Säugling in eine Welt aus Leid und Lügen gezogen und ihm ihr magisches Erbe hatten zuteil werden lassen, damit er sich durch ihre morbiden Spiele missbrauchen ließ. Es würde nie wieder geschehen.
"Sag uns doch, was los ist. Ich denke, Corax würde alles für dich tun. Egal, was du willst..."
"Ja." Corax lachte auf, ohne die Tränen von sich zu wischen. "Oh ja, natürlich!" Er erhob sich mit einem Strahlen auf den Zügen, als wollte er Lysanthors Sonnenscheibe Konkurrenz machen. "Ich weiß, was ich tun kann. Lass mich dieses Mal das Spiel aussuchen." Ein buntes Schillern huschte einem flüchtigen Regenbogenschatten gleich über seine Rubine. Corax stieg über die Decken hinweg und an Madiha vorbei. Er sah sich im Raum um. "Hm, es wird nicht vollkommen sein, aber ich gebe mir Mühe. Ohja..." Er spazierte einmal durch die Kajüte, streifte mit seinen Fingern die Wände. Anschließend berührte er Bett und Schreibtisch, sowie die Schränke, Stühle und was sich sonst noch in der Kammer fand. Auch das gebrochene Fenster blieb nicht verschont. Überall, wo Corax seine Spuren hinterließ, veränderte sich etwas. Das massige, stabile Holz eines Schiffes wich den hochwertig verarbeiteten Panelen von Holzvertäfelung. Kirschholz und Walnuss, dass man es beinahe riechen konnte. Vor den Fenstern, die nun bogenförmig einen weiten Blick über das Meer boten, schoben sich kostbare Brokatvorhänge. Vor der Fensternische müsste Azura eigentlich einer Sitzfläche weichen, die plötzlich als gepolsterte Bank anbot, sich niederzulassen und bei Tag einen Blick hinaus zu werfen. So aber hockte die Adlige mitsamt Decke und Kissen von allein auf der Bank. Der Schreibtisch verwandelte sich. Er nahm die Gestalt eines Schminktisches an, auf dem Haarbürste, diverse Schmink-Utensilien und jede Menge Schmuck bereit lag, dass man sich perfekt herausputzen konnte. Der Stuhl polsterte sich ebenfalls und über die hohe Lehne wand sich eine Halskette mit bunten Perlen aus Glas. Nicht wertvoll, aber Azura hatte sie damals von ihrem Ziehvater geschenkt bekommen und seither immer irgendwo in ihrem Zimmer verwahrt. Ihr Zimmer. Das war es, was Corax hier schuf. Er hatte es gesehen, als er mitsamt anderer der dunklen Völker Andunie erobert und geplündert hatte, auf der Suche nach Kriegsgefangenen. Er wusste noch, wie es aussah. Zwar konnte er ihr altes Heim nicht vollkommen und eins zu eins umsetzen, den die Möbel standen anders, aber er schaffte eine sehr nahe Erinnerung. Auch die Koje des Kapitäns sah nicht länger zweckmäßig aus. Außerdem würde sie für Azura kein Unbehagen mehr bereiten, jetzt, da ihre Optik nicht länger an den Ort erinnerte, an dem der wieder erwachte Kapitän Gilles sie beinahe in einem zweiten Versuch endlich hätte nehmen können. Nein, es war ihr Bett, mit all den Rüschenkissen, dicken Laken, dem Schonbezug, der zweiten Überdecke und der gestickten Tagesdecke, an der sie mit ihrer Mutter zusammen gearbeitet hatte. Selbst die beiden Plüschtiere - Geschenke ihres Vaters und eines inzwischen namenlosen Galans - hockten an der Bettkante und warteten darauf, sie für Schlaf zu empfangen. Von der Decke hing ihr alter Leuchter mit den drei Laternen, an denen sie Kristallschmuck hatte anbringen lassen, damit bei Kerzenlicht der ganze Raum glitzerte - so wie jetzt. Und neben der Tür fand sich ihr kleiner Kamin mit den beiden breiten Polsterstühlen, damit man sich mit einem Buch am Feuer wärmen konnte. Es brannte und erfüllte den Raum mit einer warmen Amotsphäre.
Corax lächelte über sein Werk. Trotzdem sank er plötzlich erschöpft und offensichtlich geschwächt vor dem Kamin in einen der Stühle. Er atmete schwer, aber seine Augen glitzerten im Schein der Flammen. "Ich hab noch nie ein solches Spiel gespielt", murmelte er und schloss die Augen.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Donnerstag 13. Oktober 2022, 14:36

Auch die junge Frau hätte, unter anderen Umständen, am wenigsten damit gerechnet, dass die Göre ihr zu Hilfe kommen würde. Schließlich hatten sie sich vor einigen Stunden, die ihr wie eine Ewigkeit vergangen vorkamen, noch gestritten! Nun ja... soweit man mit einer Stummen eben streiten konnte. Schließlich konnte man beredte Blicke, eisige Mienen und ihr Handspiel gut und gerne ignorieren und so tun, als hätte es diese nicht gegeben, viel leichter, als man Worte überhören konnte. Die sie eben leider nicht akustisch formulieren konnte.
Jedoch war sie dem Mädchen dankbar, als es bewirkte, dass der Dunkle sie los und Luft zum Atmen ließ. Noch immer lauerte die Panik in ihr, allerdings ebbte sie allmählich weit genug ab, dass sie nicht mehr glaubte, im nächsten Moment vor Schreck den Verstand zu verlieren. Sofern sie das Ganze nicht schon den letzten Rest davon gekostet hatte...
Indes unterhielten sich die anderen Drei, konnte sie ihren Stimmen und dem mehr oder weniger vertrauten Klang lauschen, bis sich einer... der neue Kapitän davon stahl. Azura blickte ihm nach.
Warum tat er das? Noch vor kurzem hatte er ihr seine Hilfe angeboten, hatte sie gehalten, hatte mit ihr gesprochen, hatte sie... so etwas ähnliches wie geküsst und dabei auch deutlich eine Erregung in ihrer Nähe spüren lassen. Eine Erinnerung, die sie leicht schaudern machte, in einer Mischung aus unterdrückter Sehnsucht nach liebevoller, freiwilliger Aufmerksamkeit und Furcht aufgrund der letzten Ereignisse. Ihr wurde heiß und kalt zugleich, was ihr Körper mit einer Gänsehaut auch zeigte.
Wie gut, dass sie stumm war und ihre Gedanken nicht verraten konnte! Und die leichte Röte, die ihr in die Wangen gestiegen war, würde das schlechte Licht sowie die ohnehin geschundene Haut ebenfalls verbergen.
Schließlich sah sie wieder zu Corax und der Göre und versuchte, ihnen zu zeigen, dass sie selbst nicht wirklich wusste, was sie bräuchte. Außer Ruhe und Wärme und... Halt... Halt von starken Armen...
Lautlos seufzte sie und verbannte diese Gedanken, die absolut nicht dazu passten, was in ihr gerade eigentlich vorging. Sie war entsetzt von dem, was sie hatte erleben müssen, ihr ganzer Körper tat weh und im Prinzip bräuchte sie Schlaf. Vielleicht auch etwas Essbares und Trinkbares... obwohl sie bezweifelte, dass sie etwas hinunter brächte nach diesem Schock. Wie nur hatte es soweit kommen können?
Die Worte der anderen ließen sie aufsehen, just in dem Moment, in dem er schon reagierte und hastig aufsprang, so sehr, dass sie unwillkürlich leicht zusammen zuckte. Doch sie musste sich keine Sorgen machen, er stürzte sich nicht auf sie, um ihr etwas anzutun. Nein, er wollte nur helfen... Dennoch hatte sie den Schrecken nicht unterdrücken können und verspürte nun ein schlechtes Gewissen deswegen.
Wie lange es wohl dauern würde, bis sie sich halbwegs wieder im Griff hätte? Ganz so wie früher, als sie noch in ihrem Elternhaus gelebt hatte, würde es wohl nie wieder werden, dessen war sogar sie sich bewusst. Nur... wie ein scheues Reh wollte sie auf Dauer auch nicht bleiben!
Eine Frage direkt vor ihr lenkte sie ab und sorgte dafür, dass sie das Mädchen verständnislos ansah. Weswegen sollte ihr der Hals weh tun?
Endlich konnte sie ihre Hände von ihren Beinen lösen, auf die sie diese gelegt hatte, um sich so klein wie möglich zu machen, und deutete in ihrer Sprache... oder was sie eben dafür hielt, ein 'Warum?'. Gleichzeitig schüttelte sie leicht den Kopf.
Wie kam die andere darauf? Das Ding hatte sie geschlagen, mehrfach, aber nicht gewürgt. Wahrscheinlich, weil es dazu nicht gekommen war und ohnehin anderes mit ihr im Sinn gehabt hatte...
Der Schrecken der Erinnerung drohte wieder in ihr aufzusteigen, als sich etwas Weiches gegen ihren Rücken drückte. Die Adelige zuckte zusammen und ihr Kopf fuhr zur Seite, die Augen unwillkürlich geweitet vor Angst. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass er sich ihr genähert hatte! Aber er griff nicht nach ihr, berührte sie nicht einmal oder bedrängte sie anderweitig, sondern wollte ihr nur helfen.
Es dauerte zwar, doch schließlich konnte sie sich fassen und zulassen, dass er ihr das Kissen als Stütze anbot und schließlich auch eine Decke umlegte. Ein kleines, scheues Lächeln ließ ihre Mundwinkel zucken und in ihrem Blick stand ein stummer Dank, während sie die Deckenränder griff und fest zuhielt, als wolle sie auf diese Weise verhindern, dass irgendjemand noch einmal ihren Körper zu Gesicht bekäme... oder jemals wieder Kälte zu ihr durchdringen könnte.
In der Zwischenzeit zog er sich zurück, um sich kurz darauf schon zu ihr wieder zu beugen, die Hände in Richtung ihres Halses. Instinktiv zog sie die Decke enger und versuchte, vor dieser Berühung zu fliehen, indem sie sich fester gegen das Kissen drückte.
Allerdings war das gar nicht notwendig, denn etwas anderes lenkte ihn kurzfristig ab. Auch sie sah zu den Händen der anderen und wusste mit den Verletzungen wenig anzufangen oder damit, was Corax meinte, das er das könnte. Wobei... eine Erinnerung blitzte in ihrem Hinterkopf auf, zu flüchtig, um sie greifen zu können. Auch widmete er sich ihr ein weiteres Mal, sodass er ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
Erneut gestand er ihr seine Gefühle und erntete ein schon etwas nachhaltigeres Lächeln ihrerseits. Es war schön, das von ihm zu hören, und eine wahrlich große Erleichterung, dass er das ohne einen Tropfen Blut vollbringen konnte. Nur... was war mit ihr? Mit ihren Gefühlen für ihn? In diesem Moment wusste es Azura nicht zu sagen, nicht sich selbst, und es war wahrscheinlich gut, dass sie es auch sonst niemandem mitteilen könnte.
Stattdessen sah sie ihn an und beobachtete, wie er seine Hände hob und ihr näherte. Sie musste schlucken und ihr Herz begann schneller zu schlagen, jedoch war die verstrichene Zeit Gold wert gewesen, denn lediglich ein leichtes Zittern erfasste sie, als er seine warmen Finger auf ihre Haut legte.
Dennoch hielt sie dem stand und wenig später war es auch schon wieder vorbei, ohne, dass sie neuerliche Schmerzen erfahren hatte. Dafür wurde ihr Blick umso fragender bei all dem Bemühen herauszufinden, warum sie stumm blieb. Was sollte das? Sie war schließlich schon von jeher unfähig gewesen, sich verbal zu äußern! Was hatten sie denn jetzt damit, dass sie nichts sagte? Ihr Blick ging zwischen den Beiden hin und her, als könne sie auf diese Weise deutlich machen, dass sie nicht verstand, was los war.
Plötzlich jedoch erkannte auch Corax eine Wahrheit und wurde von dieser dermaßen berührt, dass er plötzlich zu weinen begann und zugleich von innen heraus zu strahlen schien. Die junge Frau blinzelte kurz, ehe sich ihre Lippen zu einem warmen Lächeln kräuselten. Ihr war viel zugestoßen in letzter Zeit, viel zu viel und der Großteil war seine Schuld gewesen, aber... ihn jetzt so zu sehen, rührte sie nicht nur, sondern ließ sie sich auch für ihn freuen.
Einiges aus seiner Vergangenheit hatte sie sehen können und hatte mit ihm gelitten, vieles hatte sie ihm vorgeworfen und bei einigem war sie sich nicht sicher, ob es ihm nicht Spaß gemacht hatte, so zu sein, wie er gewesen war. Doch jetzt war er von einer so unendlich lang erlebten Last befreit und fast schon glücklich wie... wie ein Kind. Das war schön zu sehen und gab ihr Hoffnung, dass er es ab nun besser machen könnte. Was auch immer zwischen ihnen sein würde, er hätte jetzt wenigstens eine Zukunft, in der er selbst entscheiden könnte, was er tun wollte. Und das war schließlich wichtig!
Die Stimme der anderen durchbrach dieses Gefühl und holte sie in die Wirklichkeit zurück. Aber nicht sie selbst war es, die reagierte, sondern Corax. Plötzlich lachte er und begann sich zu bewegen, dass sie ihm nur blinzelnd nachsehen konnte, stumm und fragend. Irgendetwas war plötzlich anders bei ihm und ohne, dass sie es benennen konnte, war ihr, als hätte er auf einmal eine Art Regenbogen herbei gerufen, der ihre Sicht farbig verschleierte.
Als sie wieder klar sehen konnte, befand sie sich... daheim? In ihrem Schlafzimmer?! Erneut blinzelnd sah sie sich um, rieb sich die Augen und konnte nicht wirklich begreifen, was hier gerade geschehen war. Jemand hatte die Möbel verräumt, der Boden fühlte sich noch immer schwankend an und... und ja, sie war nicht allein. Und dennoch... es war ihr Zimmer!
Langsam stand Azura auf, dass ihr die Decke von den Schultern rutschte, und drehte sich einmal mit leicht geöffnetem Mund um die eigene Achse. Da war ihr Bett, so, wie sie es kannte und liebte, dort ein Tisch für ihre täglichen, ausgiebigen Toiletten, da hing das Geschenk ihres Stiefvaters, das sie trotz allem nie gebührend gewertet hatte, und dort... dort war ihr Lieblingsplatz abgesehen von der Bank beim Fenster, die Stühle vor dem Kamin, in denen sie an manchen Abenden so gerne gesessen war und gelesen hatte, um sich von irgendetwas abzulenken.
Tränen der Freude traten ihr in die leuchtenden Augen und sie fing an zu lächeln, machte einen kleinen, kindlichen Hüpfer und klatschte mit den Fingerspitzen aneinander, um diese dann vor ihren lächelnden Mund zu halten. Es dauerte einige Momente, bis sie sich soweit wieder beruhigen konnte, dass sie sich zu Corax drehte und diesen erschöpft dasitzen sah.
Langsam trat sie näher, bis sie sich neben ihm auf den zweiten Stuhl niederlassen konnte, und bedeutete ihm mit ihren Fingern hektisch vor Überschwang 'Danke, danke, danke!'. Dann zögerte sie noch kurz, ehe sie sich einen Ruck gab und nach einer seiner Hände griff, um sie kurz, aber bekräftigend zu ihrem Zeichen zu drücken.
Doch lange hielt es sie nicht an ihrem Platz, schon sprang sie wieder auf und eilte zu dem Schminktisch, um nachzusehen, ob alles da war, damit sie sich wenigstens ein bisschen zurecht machen konnte. Dabei fiel ihr Blick allerdings auf ihr Spiegelbild und offenbarte ihr damit, wie furchtbar sie aussah. Ihre zerstörte Frisur und die ungepflegte Haut waren da noch ihr geringstes Problem. Eine Wange indes war knallrot und geschwollen, die andere zwar weniger, aber dafür war diese Seite mit ihrem eigenen Blut beschmutzt, das sie durch den Zungenbiss verloren hatte.
Azura wurde blass, keuchte und wich auf weichen Knien zurück, drohte jeden Moment, zu Boden zu sinken. Was hatte dieses Ding ihr nur angetan?!
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 13. Oktober 2022, 19:58

Madiha wollte Azura den Mut zusprechen, sich von der Angst loszusagen, um dann die Hilfe ihres Umfeldes annehmen zu können. Das sie aber etwas vollkommen anderes damit auslöste, hätte sie nicht gedacht. "Keine Spiele mehr ... ich muss nie wieder spielen." Überrascht wandte das Mädchen den Kopf und blickte den Dunkelelfen fragend an. Dieser schien sich seiner Tränen gar nicht bewusst zu sein und auch nicht, dass er erleichtert lächelte. Madiha blinzelte einen Moment unfähig, diese Gefühlswandlung nachzuvollziehen. Doch dann fiel ihr Blick auf das kaputte Stockmännchen und langsam dämmerte auch ihr, dass Corax selbstverständlich frei war nun. Oh sie hatte sich nur auf Azura konzentriert, ebenso wie alle anderen! Aber er hatte natürlich Recht und allen Grund sich zu freuen. Sie blickte dem Elfen nach als dieser sich erhob und völlig losgelöst erkannte, dass er nun nie wieder spielen musste. Außer nach seinen Regeln! Madiha lächelte leicht, aber nicht minder angetan von seiner Freude. Ein kurzer Blick glitt zu der Rothaarigen, die es endlich auch schaffte, Freude für ihren Begleiter zu empfinden. "Ich weiß, was ich tun kann. Lass mich dieses Mal das Spiel aussuchen.", Madiha zögerte unsicher für den Bruchteil einer Sekunde. Sie war sich nicht sicher, ob Corax verstand, dass es gewisse Regeln gab. Doch seine pure Freude ließ sich nicht aufhalten und so geschah etwas so fantastisches, dass Madiha einfach der Mund offenstand. Während Corax das Mobiliar und die Wände berührte und sie sich daraufhin zu neuen Dingen veränderten, erhob sich Madiha langsam und staunend von ihrer gehockten Position. Sie drehte sich langsam um die eigene Achse, betrachtete die Wunder, derer sie Zeugin wurde und kam aus dem Stieren überhaupt nicht mehr heraus. Da wurde das ranzige Bett, in dem sie zuvor noch geschlafen hatte, zu einer einladenden Kuschelecke mit feinsten Kissen, samtigen Decken und einer Matratze so dick, wie sie sie überhaupt noch nie gesehen hatte. Die teilweise zerkratzten und löchrigen Holzpaneele wurden abgelöst von feinen Ornamenten und Zierden. Madiha gönnte sich noch eine Runde im Kreis, um wirklich alles erfassen zu können.

Da war ein Schminktisch mit Schmuck und Bändern für jede Gelegenheit. Da war ein Kamin, eine gemütliche Sitzecke, eine Bank unter dem Fenster, auf der Azura plötzlich saß und überall wurde die im direkten Vergleich eher karge Einrichtung des Kapitäns, in einen wundersamen Schimmer getaucht. Prunkvoll konnte man es nennen und Madiha staunte mit runden Augen und offenem Mund. So etwas hatte sie noch überhaupt nie gesehen. Nicht mal die Zimmer der beliebten Mädchen, waren derart ausgestattet gewesen. Ihr Blick fiel auf eines der Stofftiere auf dem Bett. Fragend betrachtete sie diese und kannte den Zweck davon nicht, doch es war niedlich anzusehen. Madiha stand wie vom Donner gerührt da und all das Schöne überlud ihre Sinne gehörig. Tränen schwammen in ihren Augen, die dennoch nicht überschwappten. Es war nur einfach… so schön. Ihr Blick fiel auf Azura, die sich sichtlich freute und offenbar auch erkannte, worum es sich hier handelte. Sie passte perfekt in diesen Raum und Madiha fragte sich, ob so ihr Leben ausgesehen hatte. Sie beobachtete, wie Azura sich bei Corax bedankte und ließ ihren Blick daraufhin einen Moment auf dem erschöpften Elfen ruhen. Offenbar kostete Magie immer ein wenig der Kraft des Anwenders. Sie jedenfalls fühlte noch immer die Mattigkeit in sich, aufgrund des magischen ‚Vorfalls‘ und auch Azura hatte offenbar mit solchen Dingen zu kämpfen. Diese freute sich derweil wie ein kleines Kind und trat zum Spiegel. Madiha ließ Corax schlafen, wandte sich etwas um und betrachtete noch die schweren Vorhänge, ehe sie Azura im Spiegel erkannte. Und sah, wie sich ihr Gesicht wieder veränderte. Madiha zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte langsam den Kopf. Gab es denn nichts, was ihr ein wenig anhaltende Freude bereiten konnte? Hatte Corax nicht alles getan, damit sie sich wohlfühlen konnte? Er hatte es für sie gemacht. Und… für Madiha’s Begriffe, hatte er es gut gemacht. Dennoch sah sie hilfesuchend zum Dunklen, der jedoch offenbar ein wenig Ruhe benötigte. Also zögerte sie nur kurz, um dann einen Schritt auf die andere zu zumachen und ihre Hände an ihre Schultern zu legen. Madiha stützte Azura kurz, damit sie nicht vor Schreck fiele. „Beruhige dich. Deine Wunden werden heilen – sie sind nicht von Dauer.“, meinte sie wissend und strahlte dabei so viel Ruhe aus, dass man glatt darauf kommen könnte, dass sie genau wusste, wovon sie sprach. Madiha versuchte Azura vor einem erneuten Sturz zu bewahren, hatte aber selbst kaum etwas hinzuzusetzen. Dennoch blickte das Mädchen über die Schulter der anderen in den Spiegel und das erste Mal, konnten sie beide sich nebeneinander sehen. Madiha starrte ihrer beider Spiegelbilder an und erkannte so viele Unterschiede. Und doch waren sie offenbar im selben Alter. Vielleicht war Azura etwas älter, doch nicht viel. Und im Gegensatz zu ihren Narben, würde Azura schon bald wieder umwerfend aussehen. Das rotgelockte Haar, die blauen Augen, der rote Schmollmund. Die Zeichnungen würden vergehen – sie würde sie bald vergessen können. „Setz dich auf den Stuhl.“, meinte Madiha leise und versuchte sie zu dirigieren. „Wenn Caleb mit den Sachen kommt, kühlen wir das etwas. Dann schwillt es nicht so an. Und…“ sie blickte sich kurz um und nickte zu einem Pudertopf. Sie hatte andere Mädchen im Harem damit gesehen, wie sie Blessuren damit erfolgreich verdecken konnten. „Das sollte erstmal helfen, meinst du nicht?“, versuchte sie es tapfer weiter, die andere zu beruhigen. Madiha seufzte leise, denn im Grunde war sie doch die völlig falsche dafür, sich nun um die Schöne zu kümmern. Und ganz plötzlich war es so, als wäre sie nun die Sklavin und Azura ihre Herrin. Was sie vor Stunden noch hatte unterbinden wollen, als sie herrisch nach ihrem Mitwirken verlangte, war nun irgendwie automatisch da. Madiha kümmerte sich um Azura, wie die gute Sklavin sich um ihre Herrin eben kümmerte. Sie versuchte Azura hinzusetzen und begann dann einige Puderquasten und Döschen heranzuholen, um das richtige zu finden. Allerdings wurde zügig klar, dass Madiha überhaupt gar keine Ahnung davon hatte und reichlich verloren wirkte. „Weißt du… Wenn du mir sagen würdest, was du brauchst, wäre das einfacher.“, murmelte sie leise und öffnete erneut ein Döschen, um daran zu riechen. Naserümpfend schob sie es von sich weg. „Ihgitt…“, meinte sie ehrlich und ohne Rücksicht, ob das etwas Exquisites wäre. „Ich weiß wirklich nicht, wieso du nicht sprichst. Du bist doch sonst nicht um deine Worte verlegen. Jedenfalls höre ich deine Stimme noch sehr gut und man könnte fast davon sprechen, dass sie einem fehlen würde. -Aber nur fast. Du kannst nämlich ganz schön gemein werden.“, schnatterte Madiha weiter und seufzte. Sie gab es auf, irgendwelches Schminkzeug aufzutreiben, sondern trat ein wenig beiseite. „Du musst das selbst machen. Ich…. habe keine Ahnung.“, meinte sie weiter. Dann sah sie zur Tür. Wäre sie doch nur nicht allein mit Azura. Sie fühlte sich reichlich unbehaglich und der Aufgabe, sich um sie zu kümmern, überhaupt nicht gewachsen.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Donnerstag 13. Oktober 2022, 21:22

Bislang kannte sie hauptsächlich düstere Spiele von Corax, die ihr im besten Falle lediglich unheimlich gewesen waren. Bis auf die eine Sache in den heißen Quellen, das war eine absolut andere Art gewesen. Wenngleich eine, die sie im Moment definitiv nicht zulassen würde! Von niemandem! Erst recht nicht von einem gewissen Hutträger...
Aber an den dachte sie schon gar nicht mehr, als der Dunkle auf einmal die Kajüte veränderte und in etwas verwandelte, das ihr Herz vor Freude tanzen ließ. Mit einem Mal befand sie sich nicht mehr in diesem kargen, düsteren Raum auf dem Schiff, sondern in ihrem eigenen Schlafzimmer, jenen Ort, der seit so vielen Jahren ihr Reich gewesen war.
Hier hatte sie tun und lassen können, was sie wollte. Was bedeutet hatte, dass sie hier ihrer Phantasie freien Lauf hatte lassen dürfen. Mit einem Buch, mit ihren Träumereien, mit ihren Vorstellungen davon, wie alles auszusehen hatte. Oh, was hatte es Diskussionen mit ihrem Stiefvater gegeben, wenn sie sich mal wieder neue Bezüge für die Stühle gewünscht hatte oder neue Vorhänge oder was ihr sonst in den Sinn gekommen war! Und das war mindestens zweimal im Jahr geschehen, wenn nicht sogar öfter...
Und auch wenn nicht alles an seinem Platz stand, wie es sollte, und das Sonnenlicht sowie der Blick auf die Volière im Garten fehlte, nahe des Pavillons, einige Momente lang kam es ihr tatsächlich so vor, als wäre sie wieder daheim. Entsprechend freute sie sich und verlor kurzfristig alles, was man ihr negativ anlasten könnte. Sie wirkte wie ein Kind, das ein großartiges Geschenk bekommen hatte, das es sich wirklich gewünscht hatte.
Kurz hüpfte sie sogar, doch ganz vergaß sie nicht, wer dafür die Verantwortung trug. Also eilte sie zu dem Dunklen, bedankte sich, soweit sie es mit ihrer fehlenden Stimme konnte, und konnte dennoch nicht still genug sitzen. Nein, sie wollte weiter, ihre Sachen begutachten und das ein oder andere vielleicht benutzen, um wieder halbwegs herzeigbar zu sein.
Ein Fehler, wie sich herausstellte, denn als sie ihr eigenes Spiegelbild sah, erschrak sie ehrlich. Natürlich hatte sie den Schmerz gespürt, bei jeder Ohrfeige, die klatschend gegen ihre Wange geprallt war und ihr den Kopf von einer Seite zur anderen geworfen hatte. Auch, wie sie sich auf die Zunge gebissen hatte, war ihr deutlich in Erinnerung, ebenso wie das unnatürlich nasse Gefühl. Aber das hatte nicht bedeutet, dass sie auch nur im Geringsten eine Vorstellung der optischen Folgen dessen gehabt hätte!
Ihr Antlitz sah furchtbar aus und das war wahrscheinlich noch nicht mal das Schlimmste, das kannte sie von blauen Flecken. Die brauchten immer eine gewisse Zeit, bis sie ihren farblichen Höhepunkt erreicht hatten.
Das Blut verursachte ihr sogar leichte Übelkeit. Nicht jenes, das auf der weißen, zerknitterten und leicht eingerissenen Bluse gelandet war, die sie immer noch trug. Das kannte sie ja von ihrer monatlichen Blutung, da musste sie auch dafür sorgen, Stoff es aufhielt, ehe es ihre kostbare Kleider besudeln konnte. Nein, die Spuren in ihrem Gesicht waren es, die ihr so zusetzten.
Schließlich war ihr Aussehen bislang ihr größter Wert gewesen! Wobei... nein, das stimmte so nicht. Ihre Unberührtheit war das gewesen, ihr Gesicht hatte hingegen die Galane angelockt. Und jetzt? Was sollte sie nun tun? Was, wenn Spuren zurück bleiben würden...?!
Leise hatte sie gekeucht bei ihrem Spiegelbild und wankte auch ein wenig, als hinter ihr jemand auftauchte und sie an den Schultern berührte. Eingedenk des Erlebten keine gute Idee. Mit einem lautlosen Schrei auf den Lippen wirbelte sie herum und starrte die andere ein paar Sekunden lang aus tellerrunden Augen an, bis sie diese allmählich durch den Schreck hindurch erkannte. Sie legte die Hand auf die wogende Brust, als wolle sie ihr heftig schlagendes Herz davon abhalten, daraus hervor zu springen.
Es dauerte, dann erkannte sie ihr Gegenüber und schließlich verstand sie auch die beruhigend gemeinten Worte... und schlug tatsächlich die Augen nieder. Ihr Aussehen war ein wunder Punkt, wie wohl bei jedem Mädchen, das mindestens ein wenig ansehnlich war. Und sie war schön gewesen, das hatten ihr so viele gesagt oder auch gezeigt! Doch jetzt...?
Langsam drehte sie sich wieder um und warf einen zweiten, diesmal definitiv traurigen Blick in den Spiegel. Wie konnte jemand sie bloß noch begehrenswert finden? Wobei... warum interessierte sie das überhaupt? Der Schrecken der beiden Übergriffe durch Kapitän Gilles war viel zu groß, als dass sie sich vorstellen könnte, jemals wieder mit einem Mann...
Und ihren Wert als unberührtes Adelstöchterchen hatte sie ohnehin eingebüßt. Wozu also sollte sie sich noch um ihr Aussehen kümmern? Sie würde so oder so als einsames Weib versauern und irgendwann...
Es schüttelte sie leicht, als sie erneut berührt und auf den Stuhl gedrückt wurde. Dieses Mal erschrak sie dabei nicht und leistete auch keinen nennenswerten Widerstand. Viel eher war sie einfach nur betrübt und konnte sie gar nicht mehr so recht über ihr eigenes Reich freuen, das ihr hier gezaubert worden war.
Indes sprach die andere weiter und erinnerte sie an jemanden, der sie so ebenfalls gesehen hatte. Ohne es zu wollen, rötete sich ihr Gesicht noch mehr und sie konnte nicht einmal mehr in den Spiegel sehen. Stattdessen griff sie wahllos nach einigen Haarnadeln, Klammern und einer Bürste, um sie leicht zu verrücken, als befänden sie sich nicht an ihrem richtigen Platz. Einfach, um so zu tun, als wäre sie beschäftigt.
Währenddessen zuckte sie ein wenig mit den Schultern. Woher sollte sie so etwas wissen? Sie hatte so etwas bislang noch nicht erleben müssen! Im Gegensatz zu...
Unwillkürlich hob sie ihren Blick wieder an und sah einen Moment lang im Spiegel in das fremde Gesicht mit der vernarbten Haut darin. Was ihr wohl zugestoßen war...? Doch wie sollte sie das herausfinden? Fragen konnte sie ja nicht.
Und ihr Interesse verblasste auch rasch wieder, als die andere damit begann, auf ihrem Schminktisch herum zu kramen und dabei offensichtlich zeigte, dass sie keine Ahnung hatte. Bei dem Vorwurf brummte sie still und deutete ein Augenrollen an, um im nächsten Moment stumm zu kichern, hinter scheinbar verstohlen gehobener Hand, die jedoch nur dazu diente, erst recht darauf aufmerksam zu machen.
Das, woran die andere gerade geschnuppert hatte, war eine Pomade für Perücken, die jeglichen bisherigen Geruch tilgen und als Grundlage für teure, frische Parfums dienen. Es war im ersten Moment unangenehm und sehr intensiv, aber auch sehr wirksam. Azura deutete ein leichtes Kopfschütteln an, nahm das Döschen und stellte es zur Seite. Dabei deutete sie darauf, dann auf ihre Haare und tat, als setze sie sich eine voluminöse Perücke auf, um deutlich zu machen, wofür der Inhalt diente.
Es schien nicht wirklich gut zu klappen, denn anstatt, dass die andere begriff, widmete sie sich ihrer Stummheit und tat weiterhin so, als hätte sie jemals sprechen können. Oh, das wäre zu schön gewesen! Allein... es war nicht wahr.
Jedoch hieß das nicht, dass sie nicht gut hören und verstehen konnte. Sie machte eine empörte Miene und verschränkte sogar kurz die Arme beleidigt vor der Brust. Sie war noch nie gemein zu jemandem gewesen, gab stets nur das wider, was andere verdient hatten! Außerdem hatte sie ja auch nicht sonderlich viele Möglichkeiten gehabt in ihrem Leben, so ohne Stimme.
Wenn die Göre endlich damit aufhören würde so zu tun, als hätte sie freiwillig aufs Sprechen verzichtet! Nur wie...?
Plötzlich hatte die junge Frau eine zündende Idee, unter der sie leicht zusammen zuckte. Sie drückte sich hoch und eilte zu einem weiteren filigranen Tischchen, das neben dem Fenster stand und auf dem für gewöhnlich eine Vase mit frischen Blumen sich befand. Die war im Moment nicht vorhanden und auch nicht ihr Ziel. Denn das Tischchen besaß eine kleine Lade und sie hoffte inständig, dass der Zauber auch deren Inhalt herbei geführt hatte.
Tatsächlich, wie erhofft, fand sie darin einen kleinen Kohlestift, den sie bei ihren seltenen Zeichenversuchen verwendet hatte, und ein paar Blatt Papier. Nicht das kostbare, weiße Blütenpapier mit dem verzierten Blumenrahmen und ihren Initialen darauf, nein. Es war ein grobes Hanfpapier, gelblich und kaum einer Adeligen würdig. Trotzdem hatte sie es in dieser kleinen Lade gesammelt und darauf immer wieder mal gekritzelt, denn für ernsthafte malerische Betätigungen hatte ihr die Begeisterung gefehlt.
Jetzt hingegen kam es ihr zugute. Mit ihrer Ausbeute kehrte sie zu dem Schminktisch zurück und schrieb flink sowie geschickt in einer schönen, nur mäßig verschnörkelten und dennoch eleganten Handschrift eine Botschaft auf. Wobei sie gar nicht daran dachte, ob die andere überhaupt lesen konnte oder nicht. Für sie hatte das geschriebene Wort zum Alltag gehört, da kam sie nicht auf die Idee, dass es bei anderen anders sein könnte.

Warum sagst du dauernd, ich solle sprechen? Ich bin stumm! Hast du das vergessen? Ich konnte noch nie reden, habe keine Stimme und kann nur so oder mit meinen Händen kommunizieren. Hör bitte auf so zu tun, als wäre es je anders gewesen! Das ist verletzend!
Schriftrolle Fuss
Kurz zögerte sie, dann setzte sie noch eine Bemerkung hinzu:

Und ich bin nicht gemein! Was fällt dir eigentlich ein?
Schriftrolle Fuss
Mit einer Miene absoluter Empörung unterstrich sie diese letzte Botschaft.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Samstag 15. Oktober 2022, 11:23

Magie kostete Kraft. Das wussten sowohl Madiha als auch Azura nur zu gut. Beide fühlten sich nach dem Einsatz ihrer jeweils eigenen Fähigkeiten richtig ausgelaugt. Sie hatten alles gegeben, um sich und den damals als Kind aufgetretenen Corax vor der unheimlichen Albtraumschlange aus spitzen Nadeln zu bewahren. Jetzt würde es für beide eine Weile dauern, bis ihre Kräfte regeneriert wären. Schlaf, eine ordentliche Mahlzeit und vor allem etwas Ruhe brächten sie zurück in ihren altbewährten Zustand.
Dass Corax mit seinen Kräften deutlich besser vertraut war, zeigte sich anhand all der vielen Magie, die er immer wieder binnen kürzester Zeit zum Einsatz brachte. Ständig wechselte er die Gestalt. Er heilte Madihas Hände und nun gestaltete er einen Raum vollständig um. Wieviel Kraft musste das wohl kosten? Zu viel, wie sich zeigte. Irgendwann war auch er erschöpft. Mit schlaffen Gliedern, einer Puppe gleich, ließ er sich auf einem der gepolsterten Stühle vor dem Kamin nieder. Er streckte noch ein Bein ab, dann sank ihm schon der Kopf nach vorn und die Lider fielen ihm zu. Es ging so schnell, dass man die Bewusstlosigkeit sofort von einfachem Einschlafen hätte unterscheiden können. Beide Frauen hatten jedoch noch keinen Blick für den Magier. Sie betrachteten voller Staunen das, was er geschaffen hatte. Und während bei Azura Nostalgie aufkam ob der gewohnten Umgebung mit all den vertrauten Dingen, sowie einem Gefühl heimeliger Geborgenheit, da durfte Madiha einen ersten Geschmack von Prunk und Luxus anderer Kulturen erfahren. In Sarma war nie mit so viel Holz, Gold und Quasten an Polstern aufgefahren worden! Die Räumlickeiten waren eher karg geblieben. Schmuck zeigte sich durch hauchdünne Seidenvorhänge, gewaltige Vasen, Kristallkaraffen und gelegentlich einer Statue eines Kamels oder ausgestellter goldener Speere und Schilde. Oder durch die Frauen selbst. Verschleiert mussten sie sein, aber ansonsten viel Haut zeigen und vor allem ihrem Herren willig - oder seinen Gästen.
Das Beeindruckenste, was Madiha in Form von Luxus hatte sehen dürfen, war ein riesiger Kronleuchter an der Decke des großen Saales in Khasibs Anwesen. Kristalle waren um die Kerzen gehängt worden wie ein gläsernes Schuppenkleid. Auch Azuras Deckenbeleuchtung hier sah so aus, nur bei weitem nicht so riesig. Dafür war in der eher niedrigen Kammer gar kein Platz. Denn bei Khasib hatte noch ein Springbrunnen hinunter passen müssen, in Form einer nackten Schönheit aus Stein, die Wasser aus einem Krug über ihre reifen Knospen goss. Manchmal floss auch Wein aus diesem Brunnen und Gäste hatten sich einen Spaß gemacht, ihn direkt von ihrem Körper zu lecken ... um später dann von den Wachen Khasibs fortgeschleift zu werden. Angesichts von Brüsten und seien sie nur aus Stein vergaß so mancher unliebsame Geschäftspartner gern einmal, dass auch in Sarma mit Gift hantiert wurde.
So hinterhältig wie im Anwesen ihres einstigen Herren war es in der jetzigen Kapitänskajüte keineswegs. Es gab hier auch keinen Springbrunnen, aber Madiha würde Corax ohnehin nicht mehr zutrauen, Azura in Gefahr zu bringen. Nicht, nachdem er all das hier geschaffen hatte. Nur für sie. War das Liebe? Auf jeden Fall erkannte endlich auch die Adlige einmal, was ihr Dunkelelf da für sie getan hatte. Überschwänglich tanzend näherte sie sich ihm, wirbelte mit unbekannter Zeichensprache vor ihm herum und umfasste seine Hand. Danach aber huschte sie sofort zu ihrem Schminktisch, noch immer berauscht von der Freude, die die vertraute Umgebung in ihr erweckte. So bemerkte sie gar nicht, dass Corax nichts von ihrer Dankbarkeit mitbekommen hatte. Nicht einmal ihren Händedruck hatte er erwidert. Glücklicherweise war es kein erneuter Tod, der ihn ereilt hatte und inzwischen war er von einer Bewusstlosigkeit in einen tiefen Schlaf übergewechselt. Ruhig hob und senkte sich sein Brustkorb, während die Kaminflammen seine nackten Füße wärmten.
Er wäre sicherlich sofort auf jede gesprungen und zu Azura geeilt, um sie zu retten, hätte er ihr Erschrecken mitbekommen. So aber musste Madiha eingreifen und die blass gewordene Adelstochter auffangen. Sie hatte einen Blick in den bogenförmigen Spiegel geworfen, den man zu beiden Seiten einmal auf- oder wieder zuklappen konnte, der Pforte eines Palastes gleich. Nun standen alle Bilder reflektierenden Türen offen und in ihnen allen hatte Azura sich selbst gesehen. Oder eher: das Ergebnis der Behandlung durch Kapitän Edley Gilles. Ihre Wange war geschwollen, dick wie die ihrer Köchin, als jene einen faulen Zahn über Wochen ertragen hatte, ehe sie sich überwunden hatte, den Doktor mit der riesigen Zange aufzusuchen. Ihre Lippe war aufgesprungen, das Blut bildete einen roten, mehrfach geschwungenen Pfad bis hinunter zu ihrem Kinn. Es war bereits getrocknet und ließ sie grauenhaft erscheinen. Um ihr Auge formte sich bereits der erste, bläuliche Schimmer, weil Gilles' Faust sie dort erwischt hatte. Was sie nicht sah, sondern nud schmerzlich spürte, war hingegen ihr Handgelenk. Noch immer war es verstaucht und sie spürte das, als sie Madiha ein paar Worte schrieb, sobald sie sich wieder beruhigt hatte. Ihre sonst so ordentliche Schrift litt darunter nur geringfügig. Es war ihr Gelenk, dass mit jeder weiteren Zeile mehr zu brennen begann. Eine halbe Seite Text und sie würde den Kohlestift nicht mehr halten können, so sehr fraß sich ein Stechen bis tief in ihren Knochen. Dann kribbelte es, als wollte es für immer taub werden. Ein unangenehmes Gefühl, mit dem sie länger zu kämpfen hätte als mit der geschwollenen Wange. Vor allem, wenn diese - wie Madiha vorschlug - rechtzeitig gekühlt würde.
Zum Glück sollte der Mann mit den passenden Utensilien dafür in eben jenem Moment die Kajüte betreten, da Madiha ihren Versuch eines Übertünchens mit Schminke aufgab, weil sie mit keiner der Gerätschaften etwas anzufangen wusste. Ihr Blick huschte soeben zur Tür und da öffnete sie sich, als hätte sie es magisch heraufbeschworen.
Caleb war wieder da. Er trat ein, bepackt mit einer großen Tasche, doch als auch er das Ausmaß von Corax' Magie wahrnahm, ließ er sie erschreckt fallen. Schon kugelten mehrere Bahnen Leinen und Gazeverbände über das blank polierte Parkett. Eine Dose mit irgendeiner Salbe zerbrach, so dass sich ihr Inhalt wie ein weicher Schleimklumpen am Boden festsetzte. Mehrere Bausche aus weicher Watte tanzten über das Holz, als hätte jemand eine Hand voll Schneegestöber dort verteilt.
"Was zum...?!", brachte der Wüstendieb noch heraus, dann handelte er instinktiv. Er wirbelte herum und warf die Tür zu. Dann blickte er langsam über die Schulter. Der pompöse Raum war noch immer vorhanden. Caleb rieb sich die Augen, blinzelte und rieb sie sich zum zweiten Mal. Sein Blick wanderte wie schon Madihas mit Staunen über die Ornamente, die Goldverzierungen und das Mobiliar. Im Gegensatz zu ihr fand sich in seinen Augen aber Erkennen. Er war mit andunischer Handwerkskunst auf adligem Niveau offensichtlich vertraut. Ihn erschreckte lediglich, dass dieser Anblick plötzlich vorhanden war und sehr echt wirkte. "Was ist mit der Kajüte geschehen? Alles in Ordnung?", wandte er sich nach der ersten Überraschung endlich an Madiha, aber auch Azura. Sein Blick überflog Corax und erneut löcherte er die Frauen mit Fragen: "Was ist passiert? Wo kommt all das ... das Zeug her? Was ist mit ihm?! Ist er tot - schon wieder? Warum ... was ... äh ... Lebt eines dieser ... Dinger noch?!" Er nahm den Kapitänshut vom Kopf, um sich durch die Haare bis in den Nacken zu fahren, dass ihm reichlich zerzauste Strähnen ins Gesicht hingen. Es half nichts. Der Raum blieb unverändert schön. Dann ächzte er, zog sich den freien Stuhl neben Corax heran und ließ sich darauf nieder, um den Schock erst einmal zu verarbeiten.
Mit dem Fuß aber stupste er Corax verbundenen an, wo der Zeh fehlte. Der Elf reagierte, indem er ihn leicht drehte und die Mundwinkel nach unten zog. Auch er war noch verletzt. "Gut", seufzte Caleb mit Erleichterung. "Du lebst also noch. Mach keinen Unsinn, ich brauch dich no..." Er räusperte sich. Dann wanderte sein Blick zurück zu den nicht Schlafenden. "Kann mich mal jemand aufklären, was hier passiert ist?"
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 15. Oktober 2022, 13:17

Die Situation wurde gewiss nicht einfacher. Madiha versuchte sich zwar irgendwie helfend einzubringen, doch scheiterte sie bereits kläglich daran, der anderen die richtigen Tiegel zu kredenzen. Es war auch nie wirklich ihre Aufgabe gewesen, sich darum zu kümmern, dass etwaige Damen hübsch zurechtgemacht waren. Die Mädchen in ihrem Umfeld mussten das selbst tun oder unterließen es, wie in Madiha’s Fall einfach. Sie selbst hatte ursprünglich auch mal ein hübsches Äußeres besessen, bevor man sie für alle Zeit gebrandmarkt hatte. Es hatte aufgrund des dunklen Teints, der im Kontrast hellen Augen und den rötlichen Lippen, kaum wirklich Schminke bedurft und zudem wollte ein Mädchen ihrer Position ohnehin vermeiden, dass man noch auffallender wäre. Doch Madiha brauchte nichts davon zu wissen, um wenigstens zu versuchen, Hilfe anzubieten. Wobei ihr das Kichern der anderen nicht entging und diese einen strengen Blick erntete, der sich dann aber in Wohlgefallen auflöste, um nicht gleich den nächsten Streit vom Zaun zu brechen. Die Andeutungen durch Azura, wofür das streng riechende Zeug sein sollte, verstand Madiha nicht. Zweifelnd blickte sie auf ihre Haare und zog die Nase etwas schief, weil sie sich keinen Reim darauf machen konnte. Auch Azura schien es aufzugeben, weshalb sich Madiha wieder um die Tiegel und Schälchen kümmerte, bevor sie aufgab. Plötzlich kam aber Bewegung in die andere und Madiha blickte ihr fragend nach. Wie selbstverständlich bewegte sich die Adelige in diesem neuen Raum und fand offenbar, wonach sie suchte. Also hatte Madiha doch irgendwie Recht. Es schien ihr nicht fremd zu sein, hier zu sein. Und all das, was erschaffen worden war, galt einzig und allein ihr. Während Azura noch ihre Sachen zusammensuchte, huschte Madiha’s Blick zu Corax. Sie sah ihn schlafend auf der Couch und wurde etwas nachdenklich. Das musste ihn wirklich viel gekostet haben. Und er hatte das für Azura aufgewandt. Nur, um ihr endlich einmal ein Lächeln zu schenken. In Madiha regte sich ein seltsames Gefühl. Offenbar fand sie Stück um Stück heraus, zu was Liebe fähig wäre. Und was sie bedeuten konnte. Doch noch war sie nicht so weit, überhaupt zu erkennen, dass sie selbst immer offener wurde dafür. Dass ihre Freiheit ihr auch gestattete, über derlei Dinge nachzudenken oder sie gar selbst zu empfinden. Noch wusste sie damit nicht viel anzufangen, außer mal hier und dort einer Beobachtung gedanklich zu folgen. Azura lenkte sie auch jetzt wieder ab, sodass sie wieder zu ihr blickte.

Abwarten schaute sie ihr dabei zu, wie sie etwas auf Pergament schrieb. Ihr schwante, was das für sie bedeutete, und sie verzog das Gesicht. Schon reichte Azura ihr das erste Pergament und Madiha nahm es zwischen die Finger. Sie seufzte leidend. „Ich kann… nicht lesen.“, verriet sie der anderen und starrte auf die -zumindest für ihre Begriffe – fein säuberliche Handschrift. Madiha musste sich konzentrieren und versuchte sich an die Worte von Dunia zu erinnern, die ihr das Lesen beibringen sollten. Es fiel ihr schwer und es dauerte, bis sie überhaupt einen Satz so sinnhaft gelesen hatte, dass sie ihn auch verstand. Dann wurde ihr der zweite Schrieb gereicht und sie ließ gequält ihren Atem fliehen. „Nicht noch mehr…Wieso redest du nicht einfach!“, knirschte sie leise hervor und entzifferte auch den nächsten Satz. Madiha blinzelte, als sie sich der Worte bewusstwurde. „Und wie! Sonst würdest du einfach deinen Mund aufmachen und mich anquaken, anstatt mich auch noch mit diesen blöden Fetzen zu quälen!“, stieß sie empört aus und ließ das Pergament auf den Schminktisch zurückfallen. „So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört! Du kannst sehr wohl reden. Ich habs doch schon gehört! Und geschrien wie am Spieß hast du! Gefudert, weil man dir deinen Stand nicht zugestehen wollte, hier! Du hast gewimmert, geweint und geschluchzt und hast Dinge gesagt, die echt verletzend sein konnten! Tu jetzt nicht so! Ich habe genug davon!“, beschwerte sie sich und zog eine Schnute. Ihr Blick glitt hilfesuchend zur Tür, als jene auch plötzlich aufsprang. Madiha zuckte leicht, dann aber verflog der Unmut über Azura’s vermeintliche Spielchen und sie lächelte leicht, als sie Caleb erkannte.
Doch dieser war so überrascht, dass ihm sämtliche Utensilien zu Boden glitten. Ganz die gute Sklavin, aber auch einfach, weil helfen etwas war, was sie im Blut hatte, glitt sie nach vorne und auf die Knie, um die verstreuten Dinge einzusammeln. "Was ist mit der Kajüte geschehen? Alles in Ordnung?“ Madiha grinste kurz und nickte zu Corax, dessen Anwesenheit sich Caleb gerade bewusstwurde. "Was ist passiert? Wo kommt all das ... das Zeug her? Was ist mit ihm?! Ist er tot - schon wieder? Warum ... was ... äh ... Lebt eines dieser ... Dinger noch?!" „Ich glaube, er schläft…“, antwortete Madiha und klaubte einige Tupfer auf, um sie dann zurück in die Tasche zu räumen. Madiha sah kurz zum Dieb auf als er sich durch das Haar fuhr. Die Strähnen ließen ihn verwegen aussehen, was sie kurz innehalten ließ. Doch dann wandte sie sich wieder lieber den verstreuten Dingen zu, während er sich neben Corax setzen musste, um erstmal zu verdauen, wie sehr sich die Kajüte verändert hatte. Madiha schielte nur hin und wieder zu Caleb und beobachtete ihn, wie er sich vergewisserte, dass Corax wirklich nur schlief. "Kann mich mal jemand aufklären, was hier passiert ist?", verlangte er daraufhin und Madiha rückte gerade mit einem Verbandtuch dem Cremefleck zu Leibe. „Das war Corax. Wahnsinn, oder? Hast du schon mal so etwas gesehen?“, schwärmte sie und sah sich noch mal mit ehrfürchtigen Augen um. „Er…hat erkannt, dass er nun befreit ist, von den komischen Wesen. Und dann wollte er offenbar Azura eine Freude machen.“, versuchte sie ihr Glück einer Erklärung. „Azura redet aber nicht. Sie glaubt, dass sie stumm ist. Ich weiß nicht wieso…“, erwähnte sie auch das und bemühte sich, die Creme aufzuwischen. „Wieso brauchst du Corax noch?“, wollte sie weiter wissen und sah fragend zu ihm auf. Nachdem sie alles so weit aufgeräumt hatte, erhob sie sich, griff sich die Tasche und brachte sie zum Schminktisch. „Hier, Azura… Damit lassen sich bestimmt einige deiner… Wunden versorgen.“, bemühte sie sich, versöhnlich zu bleiben.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Samstag 15. Oktober 2022, 21:49

Der Anblick ihres Gesichtes war furchtbar. Ähnlich schrecklich wie damals der Blick in den Handspiegel auf dem Zwergenschiff, als der Großteil ihrer Haarpracht zerstört gewesen und sie sich dessen bewusst geworden war. Doch damals hatte sie noch die Hoffnung hegen können, dass ihre Locken folgenlos nachwachsen würden.
Bei ihrem Antlitz hingegen... Die Angst in ihrem Inneren war groß, dass sie bleibende Schäden davon tragen würde. Ganz so, als hätte sie generell noch irgendeine Aussicht darauf, einen halbwegs passablen Ehemann zu ergattern. Aber... sie konnte eben auch nicht aus ihrer Haut heraus!
Entsprechend schnell war die Freude über die Rückkehr in ihr Zimmer verflogen. Dafür war die Göre allzu bald hinter ihr und redete wieder auf sie ein. Ohne zu wissen, was deren Finger wohl taten, denn sie griffen sich einen Tiegel, der gewiss nicht für ihr Gesicht bestimmt war.
Einen Moment lang konnte Azura ihre Erscheinung vergessen und sich darüber amüsieren, ehe sie mit Zeichen versuchte zu verdeutlichen, wofür die cremige Substanz gedacht war. Die andere wirkte nicht so, als hätte sie es verstanden.
Dafür jedoch kam ihr eine neue Idee und dank viel Glück fand sie tatsächlich, was sie gesucht hatte. Nun konnte sie sich endlich verständigen! Oder... es wenigstens um einiges deutlicher versuchen, auch wenn ihr bei jedem Schwung das Handgelenk schmerzte und sie sehen musste, dass ihre Schrift nicht vollständig so war, wie sie es sein sollte. Aber sie war leserlich und damit musste sie sich erst einmal begnügen.
Außerdem spürte sie, dass sie wohl oder übel eine längere Pause machen musste, um sich auf diese Weise unterhalten zu können. Viel konnte sie also nicht auf einmal von sich geben. Und dennoch... es war bei weitem besser als nichts!
Also quälte sie sich für die paar Worte und war stolz auf ihren Einfall, bis... die Göre etwas dazu sagte, das Azura abrupt aufsehen ließ. Ihre Augenbrauen hoben sich skeptisch an, denn für sie gehörte es zur normalsten Sache der Welt, lesen und schreiben zu können. Trotzdem gab es noch etwas, das sie auf jeden Fall festgehalten haben wollte, nämlich die Tatsache, dass sie niemals gemein zu jemandem wäre! Nun ja... zumindest nicht, wenn diese Person es nicht entsprechend verdient und sie eine passende Möglichkeit hatte.
Als sie fertig war, legte sie den Stift neben das Blatt Papier und sah auffordernd zu der anderen. Diese beugte sich tatsächlich über das Geschriebene. Von wegen, sie könne nicht lesen! Sie war nur zu faul gewesen und hatte sich in diese Ausrede geflüchtet!
Bei dem Knirschen verdrehte die junge Frau kurz die Augen, als ob diese Aussage irgendetwas an der Realität hätte ändern können. Wie gerne sie gesprochen hätte! Nur konnte sie es eben nicht!
Im nächsten Moment konnte sie sich einige Vorwürfe anhören, die dafür sorgten, dass sich ihre Atmung beschleunigte. Auch ihre Gesichtsfarbe wurde röter, was man unter all den Verletzungen jedoch nicht bemerken würde. Zuerst verschränkte sie beleidigt die Arme vor der Brust, dann aber hielt sie es nicht mehr aus.
Mit Zeichen, die sie für ihre Verständigung hielt, begann sie zu deuten, was sie der Göre am liebsten verbal an den Kopf geworfen hätte. 'Jetzt stell mich nicht so hin wie ein Waschweib vom Markt! Ich bin aus einem der besten Häuser Andunies, wohlerzogen und werde gewiss niemals so tief sinken, dass ich... Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!' Sehr zu ihrem Bedauern bedeutete ihre Stummheit auch, dass sie ihrer Stimme keinen Ausdruck verleihen konnte, weswegen man es sich nicht erlaubte, sich einfach wegzudrehen, während sie sprach. So allerdings wandte die andere plötzlich den Blick von ihr ab.
Durch den Spiegel konnte Azura nicht direkt zur Tür sehen und erkennen, dass sich dort etwas tat. Stattdessen tippte sie der Göre entschieden... und vielleicht auch etwas schmerzhaft mehrfach gegen die Schulter, um deren Aufmerksamkeit zurück zu gewinnen.
In diesem Moment polterte etwas zu Boden. Azura erschrak, wurde blass und wagte es im ersten Atemzug nicht, an dem Spiegel vorbei zu sehen. Solange, bis sie eine bekannte Stimme hörte, die sie unwillkürlich aufatmen ließ. Um sie sogleich wieder zu beschämen, jetzt, wo sie wusste, wie furchtbar sie aussah! Wobei... hatte sie nicht noch...?
Die junge Frau ließ sich auf den gepolsterten Hocker vor dem Schminktisch sinken, um sich so vor seiner Entdeckung zu verbergen, und sah sich um. Irgendwo musste doch... Ah, da, ih Paravent! Und dort... ja, dort hing tatsächlich noch eines ihrer hellgrünen Tücher, die sie so gern in ihren Ausschnitt hatte stecken lassen, um die durchschimmernde Haut ihres Dekolletés erst recht zu betonen und die Blicke der Galane anzuziehen.
Während die Göre sich somit dem neuen Kapitän widmete, huschte sie hinüber und holte sich das kostbare Stück teure Seide, um gleich darauf wieder in den Schutz ihres Schminktisches zu gelangen. Obwohl es sie Mühe kostete, sich selbst zu betrachten, musste sie es tun, um den Stoff so um ihr Gesicht zu drapieren, dass das Schlimmste darunter halbwegs verborgen wurde. Zwar fühlte sie sich auf diese Weise alles andere als wohl, denn noch nie hatte sie ihr Antlitz verschleiert, aber was sein musste, musste eben sein. Es würde wenigstens ein bisschen das Ausmaß ihrer Verunstaltung kaschieren!
Dann nickte sie sich knapp zu und griff noch einmal zu dem Stift. Ihr Handgelenk schmerzte, ihre Finger kribbelten leicht und sie musste sich darauf konzentrieren, um ihn nicht gleich wieder fallen zu lassen oder schlimmer noch, ihre Worte zu verschmieren.

Er hat mein Gemach nachgebildet. Herrlich, nicht wahr? Ich hoffe, du weißt es zu würdigen!
Schriftrolle Fuss
Sie hielt inne und biss sich auf die Unterlippe, weil sie selbst merkte, dass sie abschweifte und sich das bei ihrem gepeinigten Handgelenk nicht erlauben konnte.

Sie behauptet ständig, ich könne reden. Sag ihr endlich, dass sie damit aufhören soll! Ich bin seit jeher stumm, habe nie gesprochen und kann keine Töne bilden. Warum sollte ich sonst mühevoll die Zeichensprache gelernt haben? Außerdem verbreitet sie Lügen über mich, ich bin keinesfalls gemein, zu niemandem! Ich wünsche, dass das ein Ende hat, ich habe genug durchgemacht!
Schriftrolle Fuss
In diesem Moment stellte die Göre ihre Frage und ließ auch die junge Frau aufhorchen, sodass sie, trotz ihrer Schmerzen, hinzufügte:

Ja, warum?
Schriftrolle Fuss
Mit letzter Kraft legte sie den Stift beiseite und umfasste ihr pochendes Handgelenk mit den zitternden Fingern, als könne sie auf diese Weise die Qual verringern. Auch brannten ihre Augen schon wieder verdächtig, nur dieses Mal aus einem anderen, körperlich bedingten Grund.
Da tauchte die Göre erneut bei ihr auf. Azura schniefte leise, fast schon anklagend, obwohl die andere mit dieser Verletzung nichts zu tun hatte, und deutete ein Nicken an.
Dann aber griff sie nach ihrem Schreiben, drückte es in die fremden Hände und gestikulierte mit der unverletzten Hand so eindringlich wie möglich, die Botschaft weiter zu reichen. Ehe sie wieder ihr Handgelenk umfasste und stumm vor sich hin litt. Es waren eindeutig zu viel der Worte gewesen... Dabei hätte sie noch so viel zu sagen!
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Sonntag 16. Oktober 2022, 01:15

Welche Zeichen Azura auch immer mit ihren Fingern bildete, kaum etwas davon war für andere verständlich. Schon gar nicht, wenn sie so wild mit den Händen gestikulierte wie im Augenblick, aber sie war auch schrecklich aufgebracht. Sie ahnte ja nicht, dass sie sehr wohl in der Lage war, zu sprechen! Viel zu überzeugt von Tatsachen, die nur in ihrem Kopf vorhanden waren, versuchte sie ja nicht einmal einen Laut von sich zu geben. Warum auch? Ihre Stimmbänder brachten diese nicht hervor, sofern sie überhaupt welche besaß. Wer ahnte schon, was in ihrem schlanken Hals alles vorhanden war und was nicht. Vielmehr wusste sie aktuell über ihren Bauch Bescheid, denn darin sammelte sich Wut. Wut über das Gör, welches es über die blasphemische Behauptung, sie könne sprechen, hinaus noch Vorhaltungen machte. Azura war niemals gemein und wenn, dann niemals unbegründet. Opfer ihrer Unfreundlichkeit wurden nur jene, die es wahrlich verdienten! Würde sie allerdings in sich hinein horchen, so kämen Erinnerungen zu Situationen auf, in denen man durchaus mehr erreicht hätte, wenn ein freundliches Wort oder wenigstens einmal ein Bitte gefallen wäre. Aber wie sollte das schon aus ihrem Munde kommen? Sie war stumm! So drehte sich alles in ihrer Vorstellungskraft in einem unlösbaren Kreis, bis ihr selbst fast schwindelig wurde.
Glücklicherweise musste sie sich nicht länger mit der anderen, jungen Frau befassen. Caleb betrat die Kabine und auch er hatte zunächst mit Schwindel zu kämpfen. Schließlich erwartete man keinen andunisch eingerichteten Raum einer Adligen in der knarrigen Kajüte eines Schiffes, selbst dann nicht, wenn sie eigentlich dem Kapitän zustand. Trotzdem fanden sich hier nicht nur das kuschlig anmutende Bett und ein überaus reich ausgestatteter Schminktisch mit Klappspiegeln, sondern sogar ein waschechter Kamin! Wie war das möglich? Wie konnte er den Raum auf eine angenehme Weise beheizen, ohne dass der Rest der Blauen Möwe Feuer fing?
Der Kapitän selbigen Schiffes musste das erst einmal verdauen und ließ sich neben Corax auf den anderen Stuhl sinken. Der Dunkelelf reagierte darauf nicht wirklich. Er schlief seelenruhig, um die verbrauchten Energiereserven wieder aufzufüllen. Madiha kümmerte sich derweil ganz freiwillig darum, die mitgebrachte Tasche wieder mit den verlorenen Habseligkeiten aufzustocken. Dabei fiel ihr auch auf, dass Caleb eine Flasche Alkohol mitgebracht hatte. Es war kein nobler Wein und ebensowenig ein guter Whiskey, sondern einfach nur Rum. Das Zeug schmeckte wie abgestandenes Wasser mit dem beißenden Geschmack von zu scharfem Alkohol. Mit Glück hatte der Hersteller noch einen Schuss Limettensaft hinzugegeben, um dem Fusel wenigstens etwas Geschmack abgewinnen zu können. Das würde aber nur ein Trinker herausfinden. Caleb hatte selbst auch noch nicht probiert. Die Flasche war noch verkorkt und zum Glück heil geblieben.
Da der Kapitän Erklärungen forderte, antwortete Madiha ihm pflichtgetreu, während sie dem Flecken Salbe zu Leibe rückte. Der Verband nahm die Paste gut auf, aber sie fühlte sich dennoch schmierig an ihren Fingern an. Ein gutes Zeichen, wenn man Madiha mit den verbrannten Händen war. Corax hatte auch hier ganze Arbeit geleistet und wenn nur noch ein bisschen Glauben an seine Fähigkeiten wuchs, würde die Haut wieder vollkommen intakt sein. Die Salbe tat ihr Übriges, indem sie angenehm kühlte, auch wenn ihre Konsistenz das Gegenteil war. Mit einem weiteren Stück Verband ließen sich aber auch diese Spuren beseitigen. Inzwischen klärte Madiha ihren Kapitän, Begleiter und ... Freund? ... über die magischen Umstände seiner Kajüte auf. Dabei verhehlte sie keine Sekunde die Begeisterung über Corax' Magie. Ach, hätte er nur nicht geschlafen! Nicht nur, dass er jetzt all das Lob verpasste, auch Azuras Freude über seine Tat war ihm entgangen. Und auch ihr Wohlwollen sollte er vorerst nicht lesen können, aber die Worte waren auch nicht für ihn bestimmt. Azura iitt höchste Qualen, sie zu Papier zu bringen. Ihr Handgelenk schmerzte und brannte am Ende wie Feuer, während das Blut mit unliebsamem Pochen durch ihre Adern strömte. Sie konnte nicht viele Zeilen verfassen, ohne dass die Finger sich taub anfühlten und der Stift ihr beinahe entglitt. Sie brachte jedoch hoffentlich genug zu Papier, um sich verständlich zu machen. Sie hoffte darauf, dass Caleb durch die Texte den alten, hilfsbereiten Charme an den Tag legte und auf ihrer Seite stünde. Oder wenn nicht das, sich dann wenigstens für sie einsetzte. Vorausgesetzt, er konnte lesen. Als Kapitän sollte man das erwarten, aber er war vorher keiner gewesen. Er war nur Schiffskoch. Nicht jeder von ihnen beherrschte die Gabe, Rezepte aus einem Buch zu entnehmen und entsprechend schlecht waren ihre Kochkünste, aber er hatte Etikette gezeigt. Wenn jemand sich so höflich ausdrückte, musste er doch auch Schule genossen haben. Einen Privatlehrer, wie Azura ihn gehabt hatte, durfte sie wohl nicht erwarten, aber vielleicht hatte Caleb eine der örltichen Volksschulen besucht und mit Glück sogar regelmäßig. Es würde schon ausreichen. Nun musste das Papier nur noch zu ihm gelangen. Madiha wurde sofort zur Botin degradiert. Da sie ja so erpicht darauf war, dem Kapitän zu helfen, könnte sie ihm auch die Post zustellen! So Azura. Madiha tat es, um keinen neuen Streit vom Zaun zu brechen, aber auch aus Neugier. Doch der zweite Zettel beinhaltete bereits so viel Text, dass sie ihn im Gehen nicht entziffern konnte. Ein paar Wörter würde sie aufschnappen, aber nicht den gesamten Inhalt.
So überreichte sie Caleb die für sie größtenteils ein Rätsel bleibenden Botschaften. Der Kapitän, der bislang zu allem geschwiegen hatte, nahm sie entgegen. Er nickte Madiha zu, konnte er doch auch so ihre Frage zu Corax zunächst übergehen. Dann aber seufzte er auf und sein Blick huschte zu Azura. "Es ist nichts von Belang", teilte er beiden Frauen mit. Normalerweise war er ein guter Lügner und wäre er nun nicht rot geworden, hätte niemand einen Verdacht geschöpft. Aber seine Wangen glühten schon, noch ehe er versuchte, der Frage auszuweichen. Er räusperte sich. "Ich muss ihm ... Fragen stellen. Wichtige Fragen - unter Männern! Das ist für euch nicht interessant, wirklich nicht." Er fuhr sich noch einmal durch die Haare, um sich anschließend in den Nacken zu greifen.
"Interessanter ist, warum du glaubst, nicht sprechen zu können, Azura." Auf die Anspielungen, sie wäre gemein, ging er zunächst nicht ein. Stattdessen musterte er sie mit gerunzelter Stirn. "Hat dieser nackte Bastard dich gewürgt?" Dann schaute er zu Madiha herüber, als hätte sie eine Antwort parat. "Vielleicht ein Schock? Dunia wüsste es, aber ich bin kein Heilkundiger." Er brummte, ärgerte sich wohl gerade, dass die Sarmaerin nicht in der Nähe war. Er sah sogar ein wenig zu betrübt darüber aus. Dann schloss er die Augen für einen Moment und im nächsten grinste er wieder schief auf, so wie Madiha ihn kannte. "Das legt sich schon wieder. Wir sollten uns erst einmal um die sichtbaren Wunden kümmern. Das sollten wir schaffen." Er verließ seinen Platz neben Corax, der von alledem nichts mitbekam.
Gemeinsam mit Madiha suchte er Azuras Schminktisch auf, um sich vor ihr niederzuknien und die Tasche neben sich abzustellen. Von unten schaute er wie ein galanter Prinz zu ihr empor und musterte sie. Dann griff er empor und an Azuras Wange. Er ging behutsam vor, damit sie vor seiner Männerhand nicht zurückschreckte. Seine Finger waren rau, aber die Berührung sanft.
"Das müssten wir kühlen. Und du bist am Mund verletzt. Da sollten wir ein wenig Alkohol draufgeben. Du kannst auch einen Schluck trinkten." Caleb zückte den Rum und entkorkte die Flasche mit den Zähnen. Den ersten Schluck bot er allerdings Madiha an. Er selbst untersuchte wieder Azura - nun, auf Caleb-Art. Das hieß, er untersuchte nicht wirklich. Er fragte sie aus: "Wo tut's am meisten weh? Du blutest doch nicht irgendwo? Wenn du immer noch nicht sprechen kannst, zeig uns die Stellen." Er zögerte und fügte anschließend etwas zu laut an: "Aber deine Kleidung kannst du anbehalten!" Er bemerkte seinen Fauxpas selbst, hüstelte und nickte zu Madiha. "Oder Madi untersucht die Stellen. Ich ... äh ... werde dir nichts abschauen. ich dreh mich dann weg. Aye, das mach ich." Er atmete einmal tief aus, ehe ein verstohlener Blick zu Corax wanderte. Der Elf rührte sich nicht. Caleb wirkte erleichtert. Er begann, in der Tasche zu kramen und holte diverse Salben, Verbände, aber auch Utensilien heraus, um Blutreste zu entfernen. Natürlich all das, ohne zu wissen, wie man es wirklich gut verwendete.
"Wenn wir hiermit fertig sind, sollte jeder von uns den Elfen imitieren und noch etwas Schlaf nachholen. Die Nacht ist bald zu Ende und wenn es hell ist, erwartet die Mannschaft meine Anwesenheit." Er klang nicht begeistert, sondern eher, als hätte man ihn für die Ausmistung eines Stalls eingeteilt. "Madi, willst du hier bei Azura ... und Corax schlafen oder in unsere Kabine zurück?" Die Kabine des Schiffskoch und auch ihre. Er teilte sie, mit ihr. "Ich hab da auch schon aufgeräumt." Nicht nur das. Er hatte sich auch umgezogen. Die Hose mit dem verräterischen Fleck war einer neuen, dieses mal aus dunklem Stoff, gewichen. Das fiel bei all den Veränderungen natürlich erst jetzt auf.


Hinweis: Sofern Azura sich behandeln lässt (könnt ihr in euren Postings gern abhandeln), darf sie ihre Lebensenergie auch wieder auf

setzen.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 17. Oktober 2022, 23:22

Bisher hatte es für Madiha nie dazugehört, sich mit dem geschriebenen Wort zu befassen. Dunia hatte es für wichtig gehalten und sie war durchaus willig gewesen, zu lernen. Allerdings fiel es ihr schwer und so sehr sie Fortschritte hatte machen wollen – der Unterricht wurde so jäh abgebrochen, dass Madiha wichtige Werkzeuge, zum Entziffern, einfach nicht hatte. Also dauerte es lange, bis sie überhaupt die Worte enträtseln und den Sinn dahinter entnehmen konnte. Nur um feststellen zu müssen, dass sich Azura weiter in ihr Hirngespinst flüchtete und sie damit triezte. Langsam hatte Madiha das Gefühl, dass sie sich einfach nur wichtigmachen wollte. Hilfesuchend wanderte ihr Blick zu Tür, der gnädiger Weise erhört wurde und Caleb endlich wiederkam. Noch bevor Madiha allerdings eine Bemerkung zur Begrüßung fallenlassen konnte, erschrak er vor der Veränderung der Kajüte und Azura klopfte ihr mit spitzem Finger unangenehm gegen den Arm. „Lass das!“, fauchte sie in ihre Richtung, sah sie allerdings gar nicht wirklich mehr an, da just in dem Moment sämtliche Utensilien zur Behandlung der Wunden, auf dem teuren Boden landeten. Madiha verließ die Adelige und fand sich zum Zusammensuchen der Sachen auf dem Boden ein. Sie klaubte auf, was sie zu fassen bekam und prüfte kurz die Flasche Alkohol, ob sie irgendwelche Risse aufwies. Sie blieb jedoch verschont, weshalb sie diese behutsam zur Seite stellte. Madiha beobachtete kurz den neuen Kapitän und nahm nur am Rande wahr, dass Azura sich durch das Zimmer bewegte. Caleb lenkte sie viel zu sehr ab, wie er sich durch die Haare strich und ganz zufällig verwegen dabei aussah. Ihr Herz klopfte schneller, weshalb sie es vorzog, sich wieder auf den Boden zu konzentrieren. Dankbar, dass sie dem Cremefleck zu Leibe rücken konnte, um sich abzulenken, wischte sie mit einem Verbandtuch das Gröbste auf und fuhr daraufhin mit ihrem Daumen über ihre Fingerkuppen. Die Creme fühlte sich geschmeidig an und kühlte ihre verletzte Haut auf angenehme Weise. Für einen Moment stutzte Madiha, denn sie fragte sich wieso Corax in der Lage war solch einen Raum zu erschaffen, aber nicht ihre Hände gänzlich hatte heilen können. Dass sie es mit ihrem fehlenden Glauben war, sah sie jedoch nicht. Erneut strich sie die schmierige Konsistenz über ihre Kuppen, ehe sie alles mit einem weiteren Tuch abwischte und den Rest der Tasche wieder verstaute. Nichts weiter als Illusion! Dieses Zimmer konnte gar nicht echt sein. Und so wären es ihre Hände auch nicht! Doch Madiha schüttelte diese Gedanken dazu ab. Sie suchte am Boden nach einer Möglichkeit, sich nicht mit dem Gesehenen zu beschäftigen und drehte sich so, dass ihr Weg sie zurück zu Azura führte. Sie stellte die Tasche, samt Alkohol, neben sie und blickte kurz zu Caleb zurück, um ihn nach dem Grund für Corax‘ Nutzen zu fragen. Bevor er antwortete, drückte Azura ihr jedoch weitere Zettel in die Hand. Madiha starrte auf das Pergament in ihren Fingern und sah danach auf. Wut flackerte in ihrem Innern auf. Madiha blinzelte eine halbe Sekunde und stellte sich so allerhand Dinge vor, die sie der Adeligen gern mal gesagt hätte, doch sie biss sich auf die Zunge. Streit brachte niemanden hier von ihnen weiter und Madiha hatte keine Lust noch länger auf das Spielchen der hochnäsigen Zicke einzugehen. Selbst ohne Worte, war sie unerträglich! Sie zerknüllte ein wenig das geschriebene Wort, bis sie Azura im Rücken hatte und entfaltete es daraufhin doch wieder, um wenigstens einen neugierigen Blick zu riskieren. Der Text war… lang. Das Wüstenmädchen resignierte bereits beim Anblick der Länge und seufzte leise. Sie erkannte einige Worte wieder, doch so recht erschloss sich ihr der Sinn nicht. Außerdem war der Weg zu Caleb zu kurz und ihre Kenntnisse des Lesens zu miserabel. Ohne also den Sinn verstanden zu haben, reichte sie Caleb wortlos die Notizen von Azura und trat wieder einen Schritt zurück. Er brauchte offenbar nur einen kurzen Blick, um das, was die Adelige geschrieben hatte, zu entziffern und beantwortete prompt die Frage nach Corax. Beide Augenbrauen hoben sich, bei seiner Antwort. Es waren jedoch weniger die Worte als seine Geste. Madiha hatte inzwischen einige Zeit mit Caleb verbringen können, um zu erkennen, dass er verlegen war. Ratlos sah sie zum Schlafenden. Sie verstand nicht, worauf er hinauswollte, und musterte ihn erneut fragend.

Doch er lenkte ab: "Interessanter ist, warum du glaubst, nicht sprechen zu können, Azura. Hat dieser nackte Bastard dich gewürgt?“. Madiha sah nur kurz zu Azura zurück. Sie hatte diese Fragen auch schon gestellt. Nichts davon hatte sie zufriedenstellend beantwortet und so zuckte Madiha nur die Schultern. “Vielleicht ein Schock? Dunia wüsste es, aber ich bin kein Heilkundiger.“ Sie wandte sich gerade wieder zu Caleb um, als dieser auf Dunia zu sprechen kam. Madiha stockte. Den betrübten Blick sah sie sehr wohl und etwas stach in ihrem Innern. Sie schluckte. Sie hatte Mitleid tatsächlich mit ihr und mit ihm und doch… doch spürte sie auch einen gewissen Schmerz darüber, dass er sie vermisste. Allerdings konnte Madiha nicht verstehen, warum sie das fühlte. Dankbar für die Ablenkung – wieder mal -, kehrte sie hinter dem Dieb zurück zum Schminktisch und stellte sich schräg neben die beiden, als er begann die Wunden der Adeligen zu begutachten. Madiha verzog kurz irritiert das Gesicht, weil Azura plötzlich verschleiert war, doch sie sparte sich einen Kommentar. Sie konnte Azura nicht verstehen – und das lag definitiv nicht an ihrer momentanen Stimmlosigkeit. Sie kamen aus so unterschiedlichen Welten, dass ihr sämtliche Motive der anderen einfach schleierhaft vorkamen. Noch kurz mit ihrer Ratlosigkeit beschäftigt, kehrte Madiha just in dem Moment zurück zu Caleb und Azura, als dieser die Hand hob, um sie zu berühren. Und das war etwas, was in ihrem Innern einen seltsamen Drang auslöste, ihn von da wegzuholen. Das Mädchen blinzelte auf seine Geste und plötzlich bekamen seine Worte auch noch eine gänzlich andere Bedeutung. Seit wann duzte er sie eigentlich? Madiha runzelte die Stirn. Ihre Augen huschten von ihm zu ihr und zurück und eine leichte Unruhe baute sich in ihr auf. Seit wann gab es da eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen? Oder bildete sie sich das nur ein? Madiha war verwirrt und das leise Chaos in ihrem Innern schaffte diesbezüglich kein rationales Bild. Irgendetwas störte sie daran, dass er Azura so berührte. Irgendetwas passte ihr einfach nicht und Madiha war sich nicht mal im Klaren, wieso. Reichlich perplex, weil Caleb sie von ihren Gedanken ablenkte, griff sie nach der Flasche Alkohol, die er ihr reichte und blickte sie an, als wäre sie etwas vollkommen Unbekanntes. Sie führte die Flasche an ihre Nase und roch daran, zuckte allerdings aufgrund der Schärfe zurück und schüttelte den Kopf. Das erinnerte sie dann doch zu sehr daran, wie man sie mit billigem Alkohol gefügig gemacht hatte. Gerade in den Anfängen ihres ‚Aufstiegs‘. Madiha blickte noch einen Moment auf Caleb und Azura, während er mit dem von ihrem aufgesammelten Equipment begann, die Wunden zu versorgen. Das Bild brannte sich in ihre Netzhaut. Auch wenn es völlig legitim war, dass er half… was sie sich ja auch gewünscht hatte, bereute sie diesen Wunsch jetzt irgendwie. Madiha schluckte und wachte ein wenig aus ihrer Starre der unbekannten Gefühle im Innern, auf. "Aber deine Kleidung kannst du anbehalten!", tönte es plötzlich reichlich enthusiastisch von dem Dieb, dass Madiha ihn anstarrte. Seit wann war er denn so furchtbar verlegen?! Unsicherheit breitete sich in ihr aus. Irgendetwas gab es, was sie nicht erkannte. Wofür ihr einfach die Erfahrung fehlte, das Wissen darum und um das, was sich in ihrem Innersten aufbaute. Madiha trat einen Schritt zurück von den Beiden. "Oder Madi untersucht die Stellen. Ich ... äh ... werde dir nichts abschauen. ich dreh mich dann weg. Aye, das mach ich." Sie starrte Caleb an und hätte ihm beinahe ein ‚Geht’s noch?!‘ an den Kopf geworfen, doch stattdessen setzte sie die Flasche an und trank einen großen Schluck. Sie hustete und presste ihren Handrücken gegen die Lippen, während sie die Augen zusammenkniff. Das war schrecklich! Alles! Der Fusel, Caleb und Azura.
"Madi, willst du hier bei Azura ... und Corax schlafen oder in unsere Kabine zurück? Ich hab da auch schon aufgeräumt." Schlagartig schüttelte Madiha das dunkle Haar. „Ich bleib‘ bestimmt nicht hier!“, kam es nun ihrerseits reichlich zackig über ihre Lippen und sie wurde etwas rot als sie sich dessen bewusstwurde. „Nein ich... was ich meine, also-“ sie hielt die Flasche mit dem Alkohol weiter fest und rang nach Worten. Irgendwie fühlte sie sich in die Ecke gedrängt. Caleb’s Blick als er von Dunia sprach, dann dieser… plötzlich andere Umgang mit Azura, seine Gesten und die Worte, die sie so überrumpelte hatten, das Missverständnis mit Corax… alles drehte und vermengte sich zu einem Gemisch in ihrem Bauch, das… sie überforderte. „…ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt schlafen kann…“, wich sie dann lahm aus und wandte den Blick ab. Sie wagte es nicht in sein Gesicht zu sehen. Er könnte erkennen, dass sie sich nicht wohlfühlte. Und dass sie es nicht leiden konnte, dass er sich um Azura kümmerte. Was egoistisch war, denn sie hatte Hilfe nötig und Madiha keinen Anspruch darauf, dass Caleb sich nur um sie kümmerte. Doch ein kleiner Funke in ihrem Herzen, wollte genau das. Das Mädchen wich noch etwas zurück, nahm die Flasche mit dem Fusel aber gedankenlos mit sich. „Zudem ist in der Kajüte eh nur ein Bett…“, räusperte sie sich und kratzte sich nervös an der Nase. Sie war in der Nähe des übergroßen Bettes der Adeligen und ihr Blick glitt überall hin. Nur nicht zu ihm. Bis sie verlegen an einem der Stofftiere herumzupfte, auch wenn sie das gar nicht wirklich sah, sondern nur der Beschäftigung ihrer nervösen Finger diente.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Dienstag 18. Oktober 2022, 14:25

Es wäre solch ein Segen gewesen, wenn sie eine Stimme besessen hätte. Gerade jetzt, wo die Göre sich schon wieder unverschämt ihr gegenüber benahm! Allerdings war dem nun einmal nicht so und so sehr sie diese Illusion um sich herum genoss, was ihre eigenen Möglichkeiten betraf, da machte sie sich nichts vor. Zumindest redete sie sich das ein...
Also musste sie sich anderweitig verständigen und nachdem sie ignoriert wurde, griff sie zu jenem letzten Mittel, das sie noch besaß: die Schrift! Auch hierbei konnte sie nicht all das zu Papier bringen, was ihr auf der Zunge lag, aber es war ein Anfang und musste erst einmal genügen.
Bei der anderen hatte sich rasch heraus gestellt, dass sie trotz ihrer Behauptung durchaus in der Lage gewesen war zu lesen. Bei dem Kapitän nun erwartete sie diese Fähigkeit erst recht, weswegen sie ihrer Beschwerde auch auf diese Art Ausdruck zu verleihen suchte.
Natürlich erhob sie sich nicht selbst, um sie ihm zu reichen, dafür degradierte sie schlicht und ergreifend die Göre. Allerdings lag das auch daran, dass sie sich ihres Aussehens ziemlich schämte, jetzt, wo sie davon wusste. So sehr, dass sie sich ein grünes, transparentes Seidentuch schnappte und damit ihre Verletzungen wenigstens ein bisschen kaschieren konnte. Viel zu gerne hätte sie mehr getan, um sich zu verbergen, jedoch war ihr das ohne entsprechender und vor allem nützlicher Hilfe nicht möglich. Es musste vorläufig auch so reichen, notgedrungen.
Auf diese Weise sich halbwegs wieder repräsentabel fühlend, lugte sich neben dem Spiegel hervor, um ihn sehen zu können, wenn er ihr eine Antwort gab. Die sie selbstverständlich und zu ihren Gunsten erwartete. Er hingegen... wiegelte ab und das alles andere als glaubwürdig.
Ihr Blick war vorwurfsvoll und hätte sie eine Stimme besessen, hätte sie diese missbilligend erklingen lassen. So musste unter dem feinen Stoff ihre Miene genügen, um zu demonstrieren, dass sie ihm nicht eine Silbe glaubte. Hätte ihr Handgelenk nicht nach diesen beiden Botschaften schon so geschmerzt, sie hätte erneut und sehr deutlich geschrieben, was sie ihm zu sagen hätte.
Schließlich war der Dunkle lange Zeit ihr Begleiter gewesen, auch ihr Liebhaber und irgendwie ein... eine Art Freund? Wie auch immer, sie wollte selbstverständlich genauestens wissen, was er ihm zu sagen hätte, ohne diesem ganzen Unsinn von Männersache und dergleichen!
Dann hingegen kam das Thema schon wieder auf ihr Stummsein zurück und sorgte dafür, dass sie leicht die Augen rollte. Mit ihren Händen gestikulierte sie, wobei das gestauchte Gelenk schmerzhaft dagegen protestierte, was sie für ihre gewöhnliche Sprache hielt. 'Ich glaube es nicht, ich weiß es! Ich lebe schließlich damit seit meiner Geburt!' Doch niemand würde sie so verstehen können, auch wenn sie es nicht ohne weiteres einsehen würde.
Trotz ihres auskommenden Schmollens deutete sie auf die Frage nach dem Würgen ein Kopfschütteln an. Nein, hatte das Ding nicht... glaubte sie zumindest. Schmerzen hatte sie dort keine und erinnern konnte sie sich hauptsächlich nur an die Schläge in ihr Gesicht.
Wenngleich sie nicht sonderlich ernsthaft darüber nachdenken konnte und wollte, denn als er fortfuhr und einen weiteren, offensichtlich weiblichen Namen erwähnte, wirkte er mit einem Mal... traurig über deren fehlender Anwesenheit. Lautlos gab Azura ein beleidigtes Schnauben von sich und verbarg sich sofort wieder hinter ihrem Spiegel.
Auch das noch! Nicht nur, dass er sie ständig daran erinnerte, dass er sich mehr um die Göre scherte als um sie, jetzt gab es da noch ein weiteres Weibsbild! Bestimmt noch so ein verzogenes Ding mit einer unverbesserlichen Zunge, die ständig die Aufmerksamkeit von ihr weglocken wollte! Beleidigt über diesen Umstand, dass er sich scheinbar noch weniger Gedanken um sie machte, als sie bislang angenommen hatte, war sie nicht länger gewillt, sich mit ihm zu befassen.
Auch nicht, als er, mit der anderen im Schlepptau, um den Tisch herum kam... und sich vor sie hinkniete. Obwohl sie es sich fest vorgenommen hatte, nicht zu reagieren, konnte sie, nach mehrmaligem Blinzeln, nicht umhin, sich ihm doch ein wenig zu zuwenden. Aber wirklich nur das Allernötigste!
Da hob er langsam seine Hand, dass ihr das Herz sofort schneller schlug. Angst mischte sich dabei mit einem Hauch von Aufregung, die von einer verschütteten Erinnerung herrührte, die sie gerade lieber dort belassen wollte, wo sie war, tief in ihren Unterbewusstsein verborgen. Und dennoch... Als seine Finger ihre Wange erreichten und sie dort leicht durch den Stoff berührten, zuckte sie ein wenig zusammen, aufgrund von Schmerz, Furcht und... Nun ja, das wollte sie lieber nicht näher ergründen, erst recht nicht, da sie nicht alleine waren.
Trotzdem konnte sie es nicht vermeiden, dass sie sich verstohlen anzuschmiegen versuchte, um mehr von der Wärme zu erhaschen, die seine Hand ihr verhieß. Seine Worte waren dabei eher unerheblich, sodass sie lediglich gedankenverloren ein kleines Nicken andeutete.
Bis er sich wieder der Göre zuwandte, um ihr die Flasche zu reichen. Azura biss sich auf die Unterlippe und bemühte sich, ihre eigenen Hände still zu halten, obwohl es ihr ein großes Bedürfnis gewesen wäre, etwas zu sagen. Nur tat ihr das Gelenk viel zu weh und sie wollte sich nicht wegen der anderen mehr als nötig quälen. Das tat sie schließlich schon ausreichend, wie sie fand!
Ohnehin war der Moment nur kurz, ehe er sich ihr erneut widmete und ihr Fragen stellte, die sie zum Nachdenken anregen sollten. Was sie auch ehrlich wollte, denn von ihm würde sie durchaus Hilfe annehmen, wenn... ja, wenn da nicht dieser Nachsatz gewesen wäre, der an einer äußerst peinlichen Erinnerung rührte!
Einen Moment lang wurden ihre Augen so groß, wie die Schwellungen es zuließen, ehe sie dermaßen rot anlief, dass selbst ihre geschundene Haut bislang blass dagegen gewirkt hatte. Jetzt konnte sie nicht mehr ruhig sitzen, ihre Finger flogen regelrecht durch die Luft, als sie aufgebracht ihre vermeintlichen Zeichen ausführten, und sie dazu begleitend ihre Lippen bewegte. 'Was glaubst du eigentlich, wer du bist?! Was erlaubst du dir?! Hast du vorhin nicht genug zu sehen bekommen?! Du hättest mir auch gleich sagen können, dass ich halbnackt war!!!' Dabei deutete sie sehr bezeichnend auf ihr Dekolleté, das sich noch immer vorteilhaft unter der beschmutzten, weißen Bluse abzeichnete, wenn auch durch das fehlende Korsett nicht mehr derart einfach etwas herauspurzeln lassen konnte. Und danach auf seine Augen, um klar zu stellen, was genau sie ihm vorwarf. Sofern er sie verstand...
Sie hätte noch viel mehr zu sagen gehabt, aber in ihrem Eifer bewegte sie sich zu schnell und unvorsichtig, sodass sie mit ihrem Gelenk gegen die Kante des Tisches stieß. Plötzlich schnappte sie nach Luft, die Augen brannten ohne Tränen wie Feuer und sie hielt sich die verletzte Stelle, während sie mit den Füßen auf den Boden trippelte, um so einen Ausgleich zu dem Schmerz zu erzeugen, der durch ihren malträtierten Arm schoss.
So verpasste sie einen Teil seiner Fortführung. Es wäre besser gewesen, wenn sie wohl alles von dem Rest überhört hätte, denn dadurch hätte sie seine gut gemeinte Idee, sich abzuwenden und sie nicht mehr zu betrachten, nicht als Beleidigung auffassen können. Fest presste sie die Lippen aufeinander, warf ihm einen Blick höchster Kränkung zu... und wandte sich demonstrativ von ihm ab.
Er kümmerte sich ja ohnehin schon wieder um die andere und bot ihr etwas an, mit dem auch Azura absolut nicht einverstanden war! Die Reaktion allerdings... fiel heftiger aus als angemessen und sorgte dafür, dass sie die Göre betont hochnäsig ansah, um ihr zu zeigen, dass sie auch nicht erwünscht war. Wie denn auch, wenn sie ihr sowieso ständig nur Dinge an den Kopf warf, die dazu angetan waren, sie zu verletzen und zu provozieren?
So wandte sie sich erneut ab und wollte beiden damit bedeuten, dass sie nicht länger Interesse an einer Kommunikation mit ihnen hatte. Dabei wollte sie auf diese Weise lediglich kaschieren, dass sie sich gerade sehr verletzt fühlte. Von dem Mann, der ihr immer wieder zwar seine Hilfe anbot, jedoch früher oder später Dinge tat, die sie bloßstellten. Und von der anderen Frau, die vorhin zwar nett gewesen war und sie beruhigt hatte, dann aber wiederum ständig auf eine Art und Weise mit ihr sprach, die mehrfach reiner Anmaßung gleichkam!
Wäre Corax wach, könnte sie sich wenigstens an ihn wenden, damit er ihre Ehre verteidigte und sie davor beschützte! Wobei... wenn sie es recht bedachte, war das wohl kaum das, was er in dieser Position tun würde. So oft, wie er sie schon zur Weißglut getrieben hatte und es mit Leichtigkeit wieder könnte... Oh, wenn sie nur eine Stimme hätte, zumindest einmal etwas frei heraus sagen könnte!
Lautlos schluchzte sie auf vor Verzweiflung darüber, denn sie wusste allmählich nicht mehr, wohin mit dem, was sie unbedingt los werden wollte, um sich endlich wehren zu können und nicht länger auf diese Weise ausgeliefert zu sein, die sich beinahe schon so schlimm anfühlte wie vorhin ihre körperliche Unterlegenheit.
Indes erklang in ihrem Rücken eine Bemerkung, bei der die Göre relativ kleinlaut wirkte. Azura, die annahm, dass man ihre Mimik nicht sehen würde, deutete erneut ein Augenrollen an. 'Er braucht auch nur eins...', hätte sie am liebsten vorwurfsvoll erwidert. Doch dieser Satz blieb allein in ihren Gedanken, während sie ihren Griff ums Handgelenk vorsichtig lockerte.
Noch immer pochte es wie wild und gab ihr das Gefühl, als wolle es abfallen vor Schmerz. Doch das Schlimmste war vorerst vorüber, sodass sie es wagte. Trotzdem sah sie an sich herab und hatte den Eindruck, als würde ihr Gelenk ein wenig anschwellen.
Wunderbar... noch eine Hässlichkeit mehr, die sie allen präsentieren musste. Hatte die Ungerechtigkeit des Schicksals denn gar kein Einsehen, wann es genug der Widrigkeiten für sie war...?
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 19. Oktober 2022, 13:58

So tief wie Corax derzeit schlief, könnte man wirklich allerhand mit ihm anstellen. Das Spektrum reichte von harmlosen Albereien bis hin zu Tiefenerotik. Der Dunkelelf war vollkommen weggetreten. Die Illusion, die er in der Kapitänskajüte vollbracht hatte, musste ihn reichlich Kraft gekostet haben. Und dennoch hielt sie nur, solange auch der Glauben daran groß genug war. Madiha durchbrach den Zauber für einen Herzschlag lang, als sie sich bewusst machte, dass dies alles doch nicht echt sein konnte. Nicht nur, dass das makellose Parkett vor ihr plötzlich ein Astloch aufwies und das Holz selbst irgendwie sperriger wirkte, auch ihre Handflächen kribbelten, als wären sie eingeschlafen. Dieses Gefühl kannte sie sonst nur von ihren Fingern her. Es dauerte auch nicht lange, dann war alles wieder wie vorher. Die Kabine glich erneut Azuras andunischem Schlafzimmer und die Hände der einstigen Sklavin fühlten sich wieder nahezu normal an.
Corax hatte sich in der Zeit nicht gerührt. Der Fokus kehrte zu ihm zurück. Vor allem, als sowohl Azura als auch Madiha erfahren wollten, wofür Caleb ihn denn noch benötigte. Welche Pläne schmiedete der neue Kapitän? Die Antwort war so ausweichend wie enttäuschend: Männersachen, die nicht von Belang wären. Selbst in seinen schlechtesten Zeiten hatte Caleb bessere Ausreden gebracht, um seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Madiha kannte ihn dafür bereits zu gut. Er benahm sich ... seltsam nervös. Ob es an Azura lag und warum fühlte sich das Mädchen selbst bei Dunias Erwähnung plötzlich so schlecht? Sie konnte es selbst nicht genau greifen, aber ihr passte weder der Gesichtsausdruck des Diebes noch die Tatsache, wie er mit von und zu Ich-kann-plötzlich-nicht-mehr-sprechen umging. Hätte ihr Gefühl eine Farbe besessen, wäre es ein unansehnliches Gemisch aus Giftgrün und Sumpfgelb gewesen. Vielleicht war es aber auch nur der Geschmack in Madihas Mund, als ihr bei all der Zuwendung für die Stumme fast schon die Galle hochkam. Caleb saß viel zu nah an ihr heran! Warum aber störte es die Sarmaerin so sehr? Was stimmte nicht mit ihr?!
Das fragte Azura sich ebenfalls, aber aus ganz anderen Beweggründen. Das Gör ging ihr zunehmend auf die Nerven, aber auch Caleb stellte sich nicht mehr länger im besten Licht dar. Erneut kam er ihr so nahe, dass ihr Herz wild zu schlagen begann und zugleich vermasselte er es sofort, wenn er den Mund aufmachte. Die Hitze in ihrem Körper wandelte sich in Unmut, vor allem als er Andeutungen auf ihre Nacktheit machte. Natürlich würde er ihr nichts abschauen, er hatte immerhin schon einmal ausgiebig Zeit gehabt, sie zu bewundern. Da hatte er den Mund nicht aufbekommen, außer um einmal zu stöhnen ... und Azura würde zugeben müssen, dass ihr dieser Laut eigentlich gefallen hatte. Wenn sie nur selbst derart Einfluss auf andere nehmen könnte, aber sogar ihr Seufzen blieb tonlos. Und niemand glaubte ihr!
Voller Trübsinn flog ihr Blick zum Schlafenden herüber. Corax würde ihr sicher glauben. Er hatte ihr erneut vorhin seine Liebe gestanden, ganz offen. Wenn er sie liebte, kannte er sie auch und dann wüsste er ja, dass sie ihr Leben lang noch keinen Ton von sich gegeben hatte. So hatte sie ihm nie sagen könnten, was sie eigentlich empfand. Oder doch? War nicht von ihr auch ein Liebesschwur gekommen, damals, als er im Fieber lag und sie darum gebeten hatte, es zu sagen? Aber wie ernst war es ihr damit gegangen und wie hatte sie seinem Wunsch Folge leisten können? Sobald Azura versuchte, sich darauf zu konzentrieren, ob sie nun sprechen konnte oder nicht, verflüssigte sich der Gedanke und ein anderer hämmerte sich in den Vordergrund: Nein, das kannst du nicht und konntest du nie. Du sprichst nicht. Es war wie in ihren Kopf gemeißelt. Kleine Zweifel mochten Risse in die Fassade bringen, es bräuchte aber mehr, um die Wand einzureißen.
Die Beteuerungen seitens Caleb und Madiha reichten jedenfalls nicht aus. Worte der Göre nahm sie ohnehin nicht vollkommen ernst. Das Mädchen war ihr ein Dorn im Auge und dass Caleb neben ihr offenbar noch Sehnsucht für eine andere Nebenbuhlerin empfand, schürte Azuras Missmut nur umso mehr. War er es denn wert, seine Aufmerksamkeit so einheimsen zu wollen, wenn er selbst sich mit so vielen Frauen umgab? Außerdem hatte sie doch schon einen Liebhaber...
Nein, im Augenblick wollte sie nur eines: Caleb die Meinung über seine unflätigen Kommentare sagen und dass er sie nicht einfach ignorieren konnte, nur weil sie tonlos zu ihm sprach. Ja, es war einfacher, sie zu übergehen, aber allein ihres Standes wegen durfte es im Grunde keiner wagen. Erst Recht nicht irgendein ehemaliger Schiffskoch, der das Glück hatte, nun den Kapitän spielen zu dürfen, so gut seine Manieren auch bislang gewesen sein mochten! So gestikulierte Azura auf's Neue wild um sich. Dabei übertrieb sie es und hieb sich das ohnehin malträtierte Handgelenk an der Kante ihres Schminktisches an. Sie konnte nicht sprechen, aber die vor Schmerz scharf eingesogene Luft war Signal genug. Wer selbst das ignorierte, würde spätestens bei ihrem Fußgetrappel bemerken, dass etwas nicht stimmte, obwohl man hier auch aktuen Harndrang hinein interpretieren könnte.
Caleb tat dies nicht. Er wusste ja, dass sie von dem nackten Fremden schwer zugerichtet worden war. Außerdem hatte er aus seiner Position heraus sehr gut beobachten können, wie ihr Handgelenk auf das Holz getroffen war. "Vorsicht", warnte er leider zu spät und schob seine Hand behutsam unter Azuras Finger, um sie dazu zu bewegen, ihm ihr Handgelenk zu präsentieren. Wie riesig seine Pranke doch im Gegensatz zu ihrer kleinen Hand war. Und wie filigran, ja gar zerbrechlich ihre Finger wirkten! Caleb könnte sie einfach durchbrechen, wenn er genug Kraft in seine Klammerung legte, aber er war so sanft zu ihr, dass es an einen Riesen erinnerte, der die hauchdünnen, ersten Blüten eines jungen Krokusses berührte. Mit einer Zärtlichkeit, die fast schon sinnlich erschien, tastete er ihre Hand ab. Erst beim Gelenk hielt er inne und schaute darauf herab. Derweil hatte er Madiha gefragt, ob sie hier oder in ihrem eigenen Raum ausruhen wollen würde. Ihre impulsive Antwort ließ ihn Azuras Verletzung kurz vergessen. Er schaute über die Schulter hinweg zu ihr herüber.
"Sie versteht Sendli", gab er zunächst nur zurück, vordergründig als Warnung, dass Madiha auf ihre Wortwahl achtete. Azura nahm ihr also auch das kleine Gefühl eines Geheimnisses, wenn sie sich bislang mit ihm in ihrer Muttersprache unterhalten hatte. Was würde Azura ihr sonst noch rauben? Den Schlaf vermutlich, zumindest drückte Madiha es nun so aus. Sie fühlte sich elend. Das konnte zwar durchaus auch dem Alkohol geschuldet sein, darüber hinaus aber gab es noch mehr. Sie konnte es nicht benennen, außer dass es mit Caleb zu tun hatte und sie trübselig stimmte. Beide Frauen fanden sich derweil in einem solchen Loch und das, obwohl sich Corax solche Mühe gegeben hatte, den Raum bezaubernd zu gestalten.
"... Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt schlafen kann... Zudem ist in der Kajüte eh nur ein Bett..."
Caleb brummte auf. Vorsichtig drehte er nun Azuras Handgelenk und beobachtete eine Reaktion. Er mochte kein Heilkundiger sein, aber als Fassadenkletterer der Wüstendiebe wusste er nur zu gut, wie sich eine Prellung, Verstauchung und sogar ein Bruch anfühlten. Er konnte nur nicht im Detail sagen, was half, diese zu behandeln. Zumindest bei einem Bruch war er sich unsicher. "Hier findet sich auch nur ein Bett", erwiderte er, ohne Madiha nun anzuschauen, weil er sich auf das Handgelenk konzentrierte. "Aber ich gebe zu: Es ist breit genug, dass wir zu viert darin schlafen könnten. Was wir nicht tun werden! Naja, ich jedenfalls nicht. ich weiß nicht, was er später tun wollen wird." Er nickte in Corax' Richtung. Wahrscheinlich könnte der Dunkelelf Wache halten, denn aktuell schlief er schon einmal ordentlich vor. "Aber dann bleiben wir am besten alle hier. Das Gelenk ist verstaucht, was es dir nur erschweren wird, dich verständig zu machen. Es sei denn, du sprichst endlich wieder zu uns, Azura. Würde mich freuen, denn es würde auch vieles einfacher gestalten." Er legte ihre Hand auf ihrem Bein ab und wandte sich der mitgebrachten Utensilien zu. "Ich schätze, wenn wir irgendeine Salbe draufschmieren und es vielleicht mit Verbänden stabilisieren, dürfte das ausreichen. Danach legt ihr beide euch im Bett schlafen. Ich gesell mich zu Corax an den Kamin."
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Azura » Mittwoch 19. Oktober 2022, 21:11

Azura hatte im Moment weder Zweifel an dem Zustand ihrer Stimme, besser gesagt, an deren Nichtvorhandensein, noch an ihrer Umgebung. Darüber hatte sie sich viel zu sehr gefreut und auch wenn dieses Gefühl gerade von vielen anderen überlagert wurde, es war auch weiterhin da. So war es für sie selbstverständlich, dass fast alles zu finden war, wo es sein sollte, auch wenn die Möbel nicht ganz richtig platziert waren.
Wie viel Kraft ihn das indes gekostet hatte, ahnte sie nicht. Sonst hätte sie sich vielleicht etwas mehr mit ihm beschäftigt, ihn eventuell zumindest zugedeckt und versucht, es ihm etwas bequemer zu machen, obwohl das in einem ihrer Stühle kaum noch möglich wäre. Denn natürlich hatte sie bei ihrem Mobiliar darauf geachtet, dass alles gut gepolstert wäre, um in beinahe jeglicher Position darauf auch länger verharren zu können beim Lesen, Plaudern,... Träumen.
Jetzt hingegen hatte sie keine Zeit dafür, denn der neue Kapitän beanspruchte ihre Aufmerksamkeit auf eine Art, die ihr nicht sonderlich gefiel. Er wollte etwas mit Corax besprechen und seine Ausrede, warum er ihnen das nicht sagen konnte, war nichts weiter als lahm. Ihr Blick hinter dem Spiegel hervor fiel entsprechend skeptisch aus und dennoch erreichte sie damit nicht, dass er mehr preisgab.
Allerdings kratzte es auch an ihrem Stolz, dass er scheinbar noch ein Weibsbild hatte, an das er mehr dachte, anstatt sich ausschließlich auf sie zu konzentrieren. So schmollte sie, als er sich zu ihr begab und versuchte, ihr trotz allem bei ihren zahlreichen Blessuren zu helfen. Wenn er dabei nur den Mund gehalten hätte!
Stattdessen machte er es mit seinen Worten nur noch schlimmer, dass sie gar nicht anders konnte, als sich aufzuregen und ihm stumme Vorwürfe zu vorhin zu machen. Was zu immer heftigeren, ausladenderen Gesten führte, die meisten unverständlich für alle außer ihr selbst, aber zwei sehr eindeutige waren durchaus darunter, nämlich jene, mit denen sie anklagend zuerst auf ihre Oberweite und dann auf seine Augen deutete.
Doch sie war noch nicht fertig mit ihm, hantierte wild weiter, bis das Unglück geschah. Mit dem verletzten Gelenk schlug sie gegen die TIschkante. Eine Begegnung, die schon unter normalen Umständen ziemlich weh tun konnte. Bei der Verstauchung jedoch fühlte es sich doppelt und dreifach so schlimm an, sodass sie mit brennenden Augen fest ihr Handgelenk mit den Fingern umschloss und in Ermangelung von Schmerzenslauten heftig mit den Füßen auf dem Boden trommelte, um irgendwie das Leid abzuleiten, das durch ihre Adern pulsierte.
Es war noch nicht mal wirklich abgeklungen, als eine sanfte Berührung dennoch es schaffte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Mit leidendem Blick, der tränenverschleiert gewesen wäre, wenn ihr Körper welche hätte produzieren können, sah sie zu ihm herab, wie er behutsam ihren Griff wieder löste und sich selbst besah, was das Problem war.
Ihr Gelenk war inzwischen leicht angeschwollen und gerötet, jedoch nicht blau verfärbt. So stark war die Verletzung dann wiederum auch nicht. Obwohl es sich für die junge Frau schon so schlimm wie nur irgend möglich anfühlte, vor allem jetzt!
In diesem Atemzug mischte sich die Göre ein und zerstörte den Moment zwischen ihnen beiden, in dem sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit besessen hatte. Nicht nur, dass die andere nicht den Mund halten konnte, nein, sie machte es obendrein auf eine Art und Weise, die nur als empörend beschrieben werden konnte. Worauf er erst einmal eine Information über sie verriet, die sie lautlos schnauben ließ. Das hatte diese Göre nicht zu interessieren!
Sowieso war sie beleidigt und hatte genug von diesen beiden Personen, sodass sie sich halb abwandte, um das auch zu demonstrieren. Dabei vergaß sie, dass er noch immer ihr Handgelenk hielt und sich dieses nun weiter ansah. Sie zuckte zusammen vor Schmerz, der plötzlich durch ihren Arm schoss, und warf ihm einen tadelnden Blick zu.
Den er nicht zu bemerken schien, weil er weiterhin herum drehte und, wenngleich behutsam, abtastete. Wenn er nur still dabei geblieben wäre! Stattdessen sprach er derweil zu der anderen und wählte dabei ein Thema, bei dem er sich nur die Finger verbrennen konnte.
Zuerst verdrehte sie, mal wieder, die Augen und hätte nur zu gern darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um ihr Bett handelte, das sie gerade sehen konnten! Da würde sie es tunlichst zu vermeiden wissen, dass die Göre sich darin ausbreiten könnte. Warum konnte sie nicht einfach in ihre eigene Kajüte gehen?!
Dann jedoch fuhr der Kapitän fort und sorgte dafür, dass Azura regelrecht erstarrte. Ihr Blick fixierte seinen Scheitel und hätte sie es vermocht, sie hätte ihm am liebsten ein kleines, rauchendes Loch als Warnung auf diese Weise hinein gebrannt. Was fiel ihm eigentlich ein?!
Schon ruderte er zurück, teilweise, und erwähnte auch Corax dezidiert wieder. Sie sah unwillkürlich zur Seite, doch durch den ausgeklappten Spiegel konnte sie ihren ehemaligen Begleiter nicht sehen. Er rührte sich jedoch nicht, sodass er vermutlich noch schlief.
Dann blickte sie zurück, als der Kapitän die Sprache auf ihre Verletzung brachte. Sie seufzte lautlos, ehe sie stumm murrte und auf ihren Hals deutete, um danach den Kopf zu schütteln. Wie, bitte, sollte sie sprechen?! Sie war stumm, seit ihrer Geburt, noch nie hatte sie ihre Stimmbänder verwenden können! Wann merkte er sich das endlich? Auch wenn es einen Teil in ihrem Inneren still freute, dass er gern ihre Stimme gehört hätte, wenn sie eine besessen hätte.
Dann allerdings... Gerade erst hatte er ihre Hand vorsichtig zurück gelegt und damit den Kontakt abgebrochen, um sich die Dinge, die er hergeholt hatte, anzusehen, als er einen Vorschlag unterbreitete, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. War er nun vollkommen übergeschnappt?!
Azura stampfte heftig mit dem Fuß auf, um ihren hochkochenden Ärger zu zeigen und zugleich auch Aufmerksamkeit zu erregen. Ob sie dabei seinen nahegelegenen Fuß treffen würde oder nicht... darauf achtete sie definitiv nicht bei dieser impulsiven Reaktion. Sobald er sie darauf hoffentlich ansehen würde, würde sie ihm eine Geste zeigen, die sich für eine Dame aus reichem Hause absolut nicht schickte... und die dennoch für jedermann verständlich wäre, selbst ohne dem geringsten Wort dazu. Sie tippte sich mehrfach und mit böse funkelndem Blick gegen die Schläfe.
Sie und die Göre in einem Bett gemeinsam?! Nie und nimmer! Da schlief sie lieber auf dem blanken Boden, als sich auch nur in die Nähe der anderen zu begeben und dort die Augen zu schließen! Ha, das hätte er wohl gerne! Hatte ihm wahrscheinlich nicht genügt, sie obenrum zu begaffen, wollte er jetzt auch noch zusehen, ob sie sich im Schlummer aneinander schmiegen und auf diese Weise Halt sowie Wärme suchen würden!
Doch das war ihr noch nicht genug der Demonstration ihrer Abneigung gegen diesen Plan. Nein, sie sah kurz auf ihren Schminktisch, fand zielgerichtet ihren Kohlestift und griff sich einen Stoffstreifen, den er zuvor mitgebracht hatte. Zwangsläufig mit der falschen Hand und alles andere als wirklich schön, dafür allerdings leserlich schrieb sie in Großbuchstaben: VERGISS ES! Das knallte sie neben seinen Fingern auf den Tisch, erhob sich und ließ ihn kurzerhand stehen.
Beleidigt ob seines Vorschlags zog sie es vor, sich nicht länger von ihm ausfragen oder sonstwie betasten zu lassen, sondern ging zu ihrem Kamin. Mit noch schneller gehendem Atem kam sie neben dem Schlafendem zu stehen und starrte einige Sekunden lang auf die Flammen. Dann gab sie einen stummen Zorneslaut von sich, den sie nur in ihrem Kopf hören konnte, und zögerte.
Sollte sie sich auf den anderen Stuhl setzen? Nein, ihr war gerade nicht nach Distanz. Im Gegenteil, sie vermisste eine gewisse Wärme, die sie umgab, weil sie jemand hielt und stützte. Nicht, um ihr Gewalt anzutun oder sonstige Schmerzen. Und trotzdem musste sie sich erst überwinden, sich einen kräftigen inneren Ruck geben, ehe sie sich auf den Boden setzte und näher an das unversehrte Bein des Schlafenden rückte.
Mit der gesunden Hand auf dem Teppich abstützend, lehnte sie sich vorsichtig mit Arm und Schulter gegen den Unterschenkel und schließlich schaffte sie es sogar, ihren Kopf an sein Knie zu legen. Nur ganz leicht, mit kaum Gewicht an ihm, sondern hauptsächlich auf ihrer Hand, deren Arm zwangsläufig dadurch rasch zu zittern beginnen würde, und dennoch ausreichend, um einen Hauch von Nähe spüren zu können.
In dieser Haltung seufzte sie lautlos, sah in die Flammen... und wünschte sich, sie wäre nicht nur stumm, sondern auch taub, um nichts mehr von diesen beiden Personen hören zu müssen.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 19. Oktober 2022, 22:19

Madiha war hilflos. Hilflos gefangen in ihrem Gefühlschaos und dem Unverständnis darüber, woher es rührte. Noch vor wenigen Stunden war alles wie immer gewesen und sie hatte sich lediglich Gedanken darum gemacht, wohin sie wohl gehen würde, wenn sie die Überfahrt überstand. Welches Leben das Schicksal für sie geplant hatte. Und ob sie ihren eigenen Wert finden würde. Jetzt aber waren da Gefühle, die sie nicht verstand und die sie triezten und schmerzten. Caleb war so nahe gewesen, so… sanft und hatte sie mit seiner liebevollen Geste so überrumpelt, dass sich einfach alles geändert hatte. Dass das, was sie vermutlich schon länger in sich trug, plötzlich präsent und vordergründig war. Er hatte es geweckt, mit seinen blaugrünen Augen an die Oberfläche geholt und sie dann allein damit gelassen. Damit sie einer bitterbösen Illusion auf den Leim gehen konnte, während er gar nicht anwesend war. Madiha blickte kurz zu Corax. Er war es gewesen, der ihr suggerierte, dass Caleb sie anders sah, als sie bisher angenommen hatte. Und er war es, der ihr weismachen wollte, ihre Hände wären geheilt, obwohl sie wusste, dass dem nicht so war. Und sie wusste, dass das Zimmer nicht echt war. Wieso wusste sie dann nicht, dass Caleb‘s Zuneigung nicht echt war? Ihr Blick glitt zurück zum Dieb, der noch immer bei Azura saß und sich auf eine fast schon liebevolle Art, um sie kümmerte. Madiha beobachtete sein Gesicht dabei genau. Wie konnte sie nur glauben, er sähe sie, Madiha, wie er Azura sehen könnte? Wie konnte sie nur annehmen, dass er wirklich bei ihr gewesen war? Nach allem, was sie auf diesem Schiff gelernt hatte, hätte sie durchaus wissen können, das dem nicht so wäre. Doch sie hatte es still und heimlich gehofft. Und nun war es noch schlimmer als zuvor, denn mit der Erkenntnis, dass ihr der Dieb weitaus wichtiger war, als sie bisher angenommen hatte, kamen auch die Schmerzen, wenn er sich nach Dunia sehnte - obwohl sie doch wusste, dass sie einander mochten - und Azura sanft berührte. Und obwohl sie Dunia keine Schmerzen bereiten wollte, wünschte sie sich, dass er so an sie selbst dachte. Dass er so aussah, wenn sie nicht da wäre. Doch die Gedanken waren töricht und wäre es nicht so prekär, sie hätte wohl selbst über sich gelacht. Doch so blieb ihr nichts anderes, als ihre Finger zu beschäftigen, während er sich weiter um die Adelige kümmerte. Seine Frage beantwortete sie ziemlich schnippisch und vehement, was ihn aufschauen ließ. Ihre Blicken trafen sich einen Moment und sie hielt es kaum aus, bis er ihr verriet, dass Azura auch noch Sendli verstand. In ihrer Mimik war kurz der Unglaube zu lesen, dann aber der Unmut. Natürlich tat sie das. Nichts war vor jemanden wie ihr sicher. Sie hatte nichts mehr, was ihr gehörte. Also konnte sie sich nicht mal in die vermeintliche Sicherheit ihrer Heimatsprache flüchten, wenn ihr danach wäre. Etwas versöhnlicher suchte sie allerdings nach einer anderen Ausrede. Sie würde eh keinen Schlaf finden. Klang möglich und weniger ablehnend als zuvor. Trotzdem fühlte sich Madiha einfach nicht wohl. Was seine nächsten Worte auch nicht besser machten.

Sie sah ungläubig auf als er den Vorschlag machte, sie könnten ja zu viert in dem Bett schlafen. Ihr klappte der Mund auf, während ihre Wangen erröteten. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, fuhr Caleb fort und schlug weiter vor, dass sie und Azura in dem Bett schliefen, während er und Corax am Kamin ruhen wollten. Jetzt blitzte es in ihren Augen auf und sie hätte auch sofort ein Veto eingelegt, wenn Azura nicht schneller gewesen wäre. So sah sie die Reaktion der Adeligen und in Madiha kochte noch mehr Wut hoch. Es war klar, dass die feine Dame sie ablehnte. Die Sarmaerin biss die Zähne fest zusammen und mahlte mit dem Kiefer, während Azura Caleb den Vogel zeigte. Dann knallte sie ihm offenbar etwas Geschriebenes hin und erhob sich. Madiha sah der anderen stirnrunzelnd nach, wie sie am Feuer offenbar nach etwas suchte. Das Mädchen stand noch immer am Bett und hielt sich mit einer Hand am Alkohol fest und hatte sich mit der anderen in eines der Stofftiere gekrallt. Azura suchte Nähe bei Corax und sie selbst stand wie festgefroren da. Madiha brauchte einen Moment, ehe sie zu Caleb zurückblickte. „Macht euch keine Umstände..“, begann sie dann und schaute auf das Stofftier. Sie ließ es los, schnippte leicht dagegen, sodass es umfiel und hatte Mühe, ihren eigenen Ärger hinunterzuschlucken. Gerade Azura’s Reaktion war etwas, was Madiha auf die Palme brachte. Sie hatte so vieles und man bemühte sich um sie, wo man konnte. Ja, sie könnten einander nicht unsympathischer sein, doch ein jeder bemühte sich, ihr den Schrecken zu nehmen. Selbst Madiha hatte es versucht und sie war so… undankbar. Mehr noch, sie bekam nicht nur aufopferungsvoll Geständnisse der Zuneigung, sondern hatte offenbar auch Calebs Gunst gewonnen. Er war längst nicht so neutral, wie am Anfang und Madiha musste wohl oder übel erkennen, dass er durchaus empfänglich für die schönen Reize der Rothaarigen war. Er hatte sie bereits als hübsch bezeichnet. Und er hatte von Corax eine Ohrfeige erhalten. Warum wohl? Madiha spürte die Stiche in ihrem Innern. Warum interessierte es sie? „Mich kriegen keine zehn Kamele in dieses Bett!“, knirschte sie noch ungehalten und ihr war es gleich, ob Azura sie verstand. „…Jakub hat mir eine Hängematte zugestanden. Ich schlafe einfach dort.“, zuckte sie die Schultern und wandte sich von dem pompösen Bett ab. Ihr Blick streifte den Dieb nur kurz, denn er sollte nicht sehen, dass sie sich verräterisch rot färbten, während sie nun auf die Tür zuhielt. Sie brauchte Luft, sie musste weg von ihnen allen. Madiha fühlte sich eingeengt und war doch allein mit ihren Gefühlen. Kurz warf sie Azura einen missmutigen Blick zu, wie sie dort am Boden hockte. Doch sie verkniff sich jeden Kommentar. Madiha hatte keine Lust mehr, sich mit ihr zu befassen. Ihre hochnäsige Art, mochte die Männer verzücken – doch Madiha hatte sich genug bemüht, nur um von ihr behandelt zu werden als wäre sie ihre ganz persönliche Dienerin. Die Frau behandelte ihr Umfeld dermaßen herablassend, dass es Madiha reichte. Azura war jemand, der nur nahm und sie hatte lange genug immer nur geben müssen. „Schlaft gut.“, meinte sie noch knapp und sicher nicht ernstgemeint, als sie auch schon die Tür energisch öffnete...und genau so geräuschvoll hinter sich schloss.
Madiha konnte nicht mal etwas dagegen tun, nicht mal darüber nachdenken als ihr auch schon die Tränen in die Augen schossen. Das Mädchen blickte kurz zu jeder Seite und folgte dann einfach stumm der Bewegung, die ihr innerstes Dilemma in ihr auslöste. Ihre nackten Füße suchten sich ganz von allein den Weg empor zum Deck. Hier empfing sie die kalte Luft und doch fror sie gar nicht. Fest hielt sie die Flasche umklammert und als wäre es eben jener Freund, den sie brauchte, schützte sie die Flasche mit ihrem Arm und ihrem Körper. Madiha folgte zügig weiter einer unsichtbaren Linie und fand sich schlussendlich am Ende des Schiffes wider. Hier hockte sie sich hinter eines der festgezurrten Fässer, um sich zu verstecken. Das dürre Mädchen zog die Beine an und starrte einen Moment auf die Fluten unter ihren Füßen. Dann liefen ihr die Tränen, ohne dass sie etwas daran hätte ändern können. All der Druck des Erlebten und der Überforderung aus anderen Dingen brach sich Bahnen und ließen sie schluchzen. Madiha stellte die Flasche neben sich und vergrub ihr Gesicht an ihren Knien. Sollten sie doch glücklich werden.
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Re: Unter Venthas Willkür

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 20. Oktober 2022, 10:51

Caleb brachte im Grunde nahezu nichts aus der Ruhe. Dass aber eine Azura van Ikari ausreichte, bewies sie, indem sie mit der gesunden Hand zuerst auf ihre Brüste und dann wild in Richtung seiner Augen gestikulierte. Ihr eigener Blick sprach Bände, ebenso auch Calebs Reaktion. Er lief nämlich so puterrot an, wie Madiha ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Außerdem fasste er sich sofort in die Haare, strich sie nach hinten und behielt die Hand im Nacken liegen - ein deutliches Zeichen seiner Verlegenheit. Doch auch ohne diese Andeutung hatte die Sarmaerin genug gesehen. Allein Calebs betrüber Ausdruck bei Dunias Erwähnung hatte ihr schon genügt und Stiche versetzt, mit denen sie nicht umzugehen wusste. Ihn jetzt noch so mit Azura zu sehen, war zu viel. Ohne Alkohol ertrug Madiha nicht, wofür sie noch keinen Namen kannte. So trank sie. Außerdem lenkte sie sich mit einem der Stofftiere in Azuras Bett ab. Hätte sie die Aufmerksamkeit mal besser nicht auf die Schlafstatt gezogen. Plötzlich äußerte Caleb nämlich derart abwegige Vorschläge, dass nicht nur Azura protestierte. Im Gegensatz zur Adligen konnte Madiha sich allerdings mit Worten ausdrücken. Ausnahmsweise waren beide Frauen einander einig: Sie würden nicht mit der jeweils anderen in einem Bett schlafen - ob mit einem Mann dabei oder nicht. Das kam unter keinen Umständen in Frage, für keine der beiden.
Um ihrer Ablehnung mehr Ausdruck zu verleihen, stampfte Azura gar mit dem Fuß auf und traf zu allem Überfluss Calebs großen Zeh mit ihrer Stiefelhacke. Er sog die Luft unter einem Zischen ein, ehe er zu ihr aufschaute. Nun hatte sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit, der sie mit einem Vogelzeig gegen ihre Schläfe begegnete. Gerade ein Wüstendieb wie Caleb wusste die Geste zu deuten. Nun war es an ihm, die Augen zu rollen. "Ihr müsst ja nicht hei-" Weiter kam er nicht. Denn wo Azura nur stumm bleiben konnte, meldete Madiha sich zu Wort.
"Macht euch keine Umstände ... Mich kriegen keine zehn Kamele in dieses Bett! Jakub hat mir eine Händematte zugestanden. Ich schlafe einfach dort." Sie schnippte gegen das leblose Plüschtier, welches sofort umfiel, dass es mit traurigen, aufgenähten Augen ins Leere starrte. Madiha hingegen wandte sich der Tür zu. Die Flasche Rum nahm sie mit. Dass ihre Finger sich bei all dem schon wieder kribbelig und ihrer Handflächen taub anfühlten, bemerkte sie, nahm es allerdings lediglich zur Kenntnis - vorerst. In ihr herrschten gerade andere Emotionen, als dass sie sich auf ihren schrumpfenden Glauben in Corax' Magie konzentrieren konnte. "Schlaft gut." Schon war sie aus der Kabine heraus, noch ehe Caleb sie mit Worten hätte aufhalten können.
Er holte schon Luft, um zu seufzen und suchte dabei Azuras Blick, als auch diese ihn verließ. Zwar flüchtete sie nicht aus der Kajüte - natürlich nicht, es war ihr Zimmer! - aber sie suchte Schutz bei dem, der bisher noch weniger gesagt hatte als sie selbst. Corax hatte von dem Streit nichts mitbekommen. Er schlief nach wie vor und Azura vermisste tatsächlich seine Nähe. Trotz all der Schrecken, die ein wiedergekehrter Kapitän Gilles ihr bereitet hatte, suchte sie gerade jetzt in diesem Augenblick Körperkontakt zu einem Mann. Corax hatte ihr nie auf diese Weise wehgetan, es nicht einmal versucht. Ja, er hatte ihr mit Ähnlichem gedroht, aber als sie damals in der Kabine des Zwergenschiffes nur Tränen vergossen hatte, war er von seinen Plänen schon wieder abgerückt. Er hatte ihr bewusst nie auch nur ein Haar gekrümmt, von seinen Spielchen einmal abgesehen, aber selbst da hatte er sich mit Gewalt zurückgehalten. Gegen sie war sie nie zum Einsatz gekommen, im Gegenteil! In den schlimmsten Momenten war er für sie da gewesen, stand einfach nur in ihrer Nähe oder hatte sie in die Arme gezogen. Eine solche Umarmung, danach sehnte Azura sich nun, konnte sie von einem Schlafenden aber nicht verlangen. So stieß sie einen tonlosen Schrei gegen das Kaminfeuer aus, ehe sie sich neben dem Dunkelelfen zu Boden ließ. Der Fellteppich vor dem Feuer war weich und dicht. Er kitztelte ihre Finger, als sie sich abstützte. Aber er war nicht so angenehm warm wie Corax' Körper, auf dessen Schenkel sie nun ihren Kopf bettete.
Caleb beobachtete das Ganze und legte dann die Verbände, sowie die gezückte Salbendose auf dem Schminktisch ab. Er erhob sich, stämmte die Hände in die Hüften und seufzte tief aus. "Du bist eine klassische, andunische Adlige", verpackte er seine Gedanken in schöne Worte. Denn dass auch er Azura inzwischen für undankbar trotz aller Bemühungen hielt und langsam Verständnis für Jakub aufbringen konnte, der ihren Stand einfach komplett ignoriert und sie für ihre Respektlosigkeit einem Kapitän auf seinem Schiff gegenüber abgestraft hatte, war nur zwischen den Zeilen zu lesen. Doch was sollte er jetzt machen?
Sein Blick wanderte zum Bett. In diesem Moment regte sich jemand. Corax Hand landete auf Azuras Haarschopf, noch ehe er die Augen richtig geöffnet hatte. "Was brüllst du denn so?", murmelte er schlaftrunken, streichelte sie aber. Außerdem zauberte die Erkenntnis, dass sie bei ihm saß, ein Lächeln auf seine Züge, die sofort insgesamt weicher ausfielen. "Azura...", raunte er ihr zu und spielte mit ihren Locken.
"Sie hat nicht gebrüllt", bemerkte Caleb mit einem verwirrten Blinzeln. Dann engte er die Augen. "Sie spricht überhaupt nicht."
Corax nickte, als sei es das Natürlichste der Welt. Ha! Er wusste, dass Azura gar nicht in der Lage war zu sprechen! Sie irrte. Er erkannte etwas Anderes: "Ein Zauber, vermutlich von Stumpelrilzchen." Corax stutzte, als er in der Lage war, den Namen des garstigen Männleins problems auszusprechen. Mit seinem Tod war auch diese Macht über das Räblein verflogen. Erneut lächelte Corax. "Du darfst nicht alles glauben, was sie dir vorgaukeln", raunte er Azura zu und streichelte ihren Kopf erneut.
"Ein Zauber?", hakte Caleb hingegen nach. Er kam näher, betrachtete Azura und ... schnaubte dann. "Hat dieser Zauber auch dafür gesorgt, dass sie Madi völlig grundlos wie eine Leibeigene behandelt?"
"Die Herrin?" Corax schaute auf, blickte sich anschließend in seinem geschaffenen Raum um. "Wo ist sie?" Da packte Caleb ihn am Arm, zog ihn aus Azuras Kuschelposition heraus auf die Beine. Der Elf war noch etwas wacklig, beschwerte sich auch mit einem Knurren, schwankte aber in Richtung des Kapitäns und somit um den Stuhl herum.
"Komm mit. Ihre wohlgeborene Durchlaut", er schaute Azura direkt an, "beliebt es, allein zu schlafen. Erfüllen wir ihr diesen Wunsch, denn du ... wirst mir einen erfüllen müssen. Nutzen wir die Gelegenheit." Corax hatte nicht einmal eine Chance, sich zu beklagen, geschweige denn zu rebellieren. Er wurde von Caleb schnurstraks aus der Kammer gezogen und erneut fiel die Tür ins Schloss. Was immer Azura gestikuliert oder tonlos ausgerufen hatte, wurde ignoriert. Auch, als doch einmal ein winziger Laut aus ihrer Kehle entfleuchte.

Madiha war geflüchtet. Entgegen ihrer Aussage, sie würde sich eine Hängematte suchen, verschlug es sie an Deck. Die Nacht war sternenklar. Der Mond sank aber bereits und bald würde das Morgengrauen den Horizont in ein mildes Weizengelb hüllen, um einen neuen Tag anzukündigen. Die Matrosen waren größtenteils unter Deck. Es war viel geschehen und die meisten suchten sich eine Mütze Schlaf. Lediglich über Azuras Kabine stand noch Seemann am Ruder und im Krähennest oben hielt der Ausguck Wacht über die See. Zu keinem von beiden zog es Madiha hin und auch nicht zu ihrem selbst gewählten Schlafquartier. Sie hätte ohnehin kein Auge zugemacht, wie sie es prophezeit hatte. Dazu war sie zu aufgewühlt. Rasch suchte sie sich ein Versteck zwischen einigen neben der Treppe zum erhöhten Heckbereich aufgestellten Fässern. Dorthin schaffte sie es gerade noch so, da kullerten die Tränen auch schon über die Grenze ihrer Augen und glitzerten wie die Schaumkronen unter dem Sternenlicht. Sie klammerte sich an die Rumflasche und machte sich ganz klein. Wahrscheinlich hätte sie ihren Liebeskummer so bis zum Morgen in der unbequemen Haltung verbracht, wäre nicht wenig später die Tür zur Kapitänskajüte aufgezogen worden, damit zwei Gestalten den Raum verlassen konnten. Im Mondlicht waren nur ihre Konturen zu erkennen, aber anhand der Statur ließ sich sofort erkennen, dass keine der beiden Azura sein konnte. Es waren die Männer: Corax, gezogen von Caleb und sichtlich aufgebracht. Da sie ganz in der Nähe der Fässer und im Schutz der Treppe samt ihrer Schatten zum Stehen kamen, konnte Madiha selbst ihr gedämpftes Streitgespräch hören.
"Was schleifst du mich mit und weg von ihr? Dann noch an Deck", knurrte Corax. "Warst du es nicht, der sagte, ich solle mich nicht zeigen."
"Sprich leiser, Mann!", schnarrte Caleb zurück. Er hielt Corax' Handgelenk fest im Griff. "Bleiben wir in den Schatten, dann sieht uns niemand. Außerdem kannst du dich doch in Windeseile verwandeln, dann sieht dich niemand."
"Und in wen? Du bist bereits an Deck."
Für einen Moment blieb es still. Calebs Haltung lockerte sich etwas. Er fuhr mit der freien Hand in den Nacken. Sein Murmeln kam genuschelt zwischen seinen Lippen hindurch, so dass man den Namen nur heraushörte, wenn man ihn kannte. "In Dunia."
"Wen?"
Erneut deutete der Kapitän dem Elfen an, leiser zu sprechen. Er drückte ihm sogar kurz die Hand auf den Mund, als vom Ruder aus ein fragender Laut kam. Er selbst wurde auch still. Da der Seemann sich um die Steuerung des Schiffes kümmern musste, hatte er keine Zeit, nach mutmaßlichen Liebespaaren Ausschau zu halten. Einige Momente verstrichen, ehe Caleb die Hand von Corax' Mund löste und wieder mit ihm tuschelte. "In Dunia", wiederholte er.
"Das geht nicht."
"Warum nicht? Du hast doch-"
Corax seufzte. "Ich kann mich nur in andere verwandeln, wenn ich zumindest weiß, wie sie aussehen. Und deine Dunia kenne ich nicht."
Caleb rückte ein wenig von dem Elfen ab. Obwohl man im Dunkeln seine Mimik nicht erkennen konnte, wirkte er erschüttert. Schließlich ließ er Kopf und Schultern hängen. "So ... es ist also wirklich nicht möglich."
"Warum verlangst du das von mir? Du bist nicht mein Herr. Glaub also nicht, ich würde überhaupt in Erwägung ziehen, dir diesen Wunsch zu erfüllen."
"Dann einen anderen."
Corax knurrte erneut. "Ich bin nicht dein Sklave."
"Ich werde auch nicht verlangen, was Jakub wollte." Damit kriegte er den Elfen. Corax zuckte zusammen, versteifte sich und verschränkte dann die Arme vor der Brust. Nicht in ablehender Haltung. Er hielt sich selbst. So unbekümmert er sich über seinen Missbrauch gab, es ging auch an einem Dunkelelfen nicht spurlos vorbei. "Was willst du dann?"
"Du hast doch schon einmal mit Frauen ... naja ... mit Azura und deinen Herrinnen ..."
Corax eigene Umarmung wurde enger. Er trat tiefer in die Schatten. Seine Haltung allein verriet, dass er nun doch erwartete, Caleb könnte von ihm Dinge fordern, die Jakub sich genommen hatte. Er distanzierte sich zunehmend von ihm. Caleb bemerkte es und griff nach dem Elfen. Er wehrte sich nicht, aber es war deutlich zu sehen, dass er gegen diesen Kontakt war. Doch Caleb beruhigte ihn schnell: "Erklär es mir. Wie es geht. Damit ich..." Er räusperte sich so, wie Madiha es kannte, wenn er nervös war. "Also, falls ... ich meine ..."
"Du hattest sie doch schon! Du kriegst sie kein zweites Mal und erst Recht nicht mit meiner Hilfe", knurrte Corax zurück. Er hörte sich immer mehr nach einem Raben an. Seine Stimme nahm ein Krächzen an. Bevor er im Federkleid die Flucht suchen konnte, packte Caleb fester zu. Er schüttelte den Kopf. "Ich sagte dir bereits, dass nichts geschehen ist. Es war ... ein Msisgeschick. Und ich hab nicht vor ... ich müsste es wissen für ... naja ... nur für den Fall ... ach, ich weiß auch nicht!" Er ließ den Elfen los und fasste sich nun mit beiden Händen in die Haare. "Wahrscheinlich bilde ich es mir ein. Ich bin ohnehin ein alter Mann. Das kann nicht stimmen."
Corax lockerte seine Haltung. In der Dunkelheit der Nacht musterte er den anderen mit Rubinen, die wie Kohlen im Ofen nachglühten. Eine Erkenntnis trat in dieses Funkeln, die offenbar schon die ganze Zeit vorhanden war, sich nun aber offen zeigte. Natürlich. Er wusste es bereits. "Die Herrin", sagte er nur. Und Caleb nickte nur.
Dann herrschte eine ganze Weile zwischen beiden Stille. Schließlich trat Corax dichter an den Kapitän heran. "Was willst du wissen?", fragte er mit so viel Ruhe, dass selbst Caleb überrascht die Hände sinken ließ.
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