Bevor ihr das Herz zu schwer werden konnte, ließ sie sich vom Gespräch zwischen Dunia und Kjetell'o ablenken. Der Elf war so unglaublich stolz auf sie! Es fühlte sich fast unangenehm an, denn was hatte Madiha schon getan? Sie hatte ihr Feuer geopfert, um Sarma zu retten. Nein, um auch jene der dunklen Völker zu retten, die gar nicht Krieg führen wollten.
"Es ist nicht mein Verdienst, dass er das Feuer auf diese Weise nutzt."
"Oh doch, ist es", hielt der Elf dagegen. Dunia unterbrach beide nicht, sondern beobachtete das Gespräch nun ihrerseits aufmerksam.
"Er hätte genauso gut alles verbrennen können..."
"Hätte er nicht", entgegnete Kjetell'o. Er lächelte nicht nur sanft, sondern grinste geradezu. Er war so stolz!
"Ich habe recht unüberlegt gehandelt und es ist einfach nur ... gut gegangen ... reines Glück eben."
Der Shyáner wusste, wie ungern Madiha sich berühren ließ, aber dieses Mal konnte er es nicht zurückhalten. Er setzte die Tasse ab und seine Hand fuhr zu ihrer Brust, dass selbst Dunia sich für einen Wimpernschlag versteifte. Die Geste lag jedweder Obszönität fern. Kjetell'o legte seine Hand flach über Madihas Herz. "Möglicherweise hat dir jemand das Glück vererbt, dem ich versuchte beinzubringen, es aus seinem Leid zu schöpfen. Ein schöner Gedanke und ein kostbares Erbe, meinst du nicht? Aber es war dein Umgang mit deinen Kräften, die dazu führten, dass dem Drachen keine Wahl blieb. Das Feuer hätte sich von ihm abgewendet. Wir sind alle nur Gefäße für die celcianischen Mächte und können sie nur bitten, sich von uns führen zu lassen. Nur die besten Magier begreifen das." Sein Blick ruhte auf ihr. Er hatte schon eine Weile zuvor Madiha hohe Potenzial zugesprochen. Dass sie darüber hinaus auch verantwortungsvoll mit ihrer Gabe umging, schien für Kjetell'o ein zusätzlicher Sieg. Jemanden wie Azura würde er wohl niemals auf diese Weise anschauen, obwohl sie sein eigen Fleisch und Blut war. Aber die Andunierin verstand nicht, was Madiha längst aktiv umgesetzt hatte. Mit ihrer Magie wäre Sarma unter dem Flug des Drachen nicht verschont geblieben. Dass der Geschuppte nun aber nach seiner Tat noch immer in der Nähe der Wüstenstadt blieb, wunderte nicht nur Dunia. Auch Madiha fragte sich, warum er sich noch nicht auf die selbst angekündigte Brautschau begeben hatte. Erwartete er noch etwas? Vielleicht wollte er sich bedanken oder ihr nur mitteilen, dass ihr Feuer nun bie ihm bleiben würde, auch wenn sie damit schon abgeschlossen hatte. Vielleicht lag der Grund auch ganz anders. Neugier durchfuhr den Leib der Sarmaerin. Sie hatte nun drei Nächte und zwei Tage durchgeschlafen. Sie war ausgeruht und erholt wie lange nicht mehr. Körper und Geist verlangten nach Aktivität!
Auch Kjetell'o schien das zu bemerken, denn er fragte kurzerhand, wonach ihr der Sinn stand. Madiha überlegte. Dabei schaute sie sich suchend nach Caleb um, den sie in den Verhandlungen vermutete. Er befand sich nicht im Raum. Wenn er sich mit anderen Wüstendieben unterhielt, dann musste es jenseits des Türbogens mit dem Vorhang befinden. "Ich würde gerne nach oben gehen und ... es selbst sehen. Ich muss sehen, was aus Sarma geworden ist ... wohin es jetzt geht ... vielleicht muss ich mich verabschieden, ich weiß es nicht."
Dunia deutete zum Vorhang, den Madiha eben noch flüchtig ins Auge genommen hatte. "Dir stehen alle Wege offen, aber erwarte nicht zu viel. Die meisten sind mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Nur die Plünderungen sind endlich vollkommen unter Kontrolle. Ist das nicht seltsam?" Dunia schnaubte. "Da gibt es jede Menge Zivilisten zu versorgen, aber die Sarmaer Wache hat nichts Besseres zu tun, als durch die Straßen zu patrouillieren und darauf zu achten, dass die ... Neuzugänge Sarmas nichts stehlen."
"Sie suchen etwas Vertrautes im Alltäglichen. Auch ihre Seelen müssen verarbeiten", legte Kjetell'o ein Wort für die Wächter ein. Das schien Dunia zu überzeugen. Sie nickte und sprach es nicht erneut an.
"Redet der Drache denn mit euch? Mit mir hat er kurz geredet ..."
Dunia und Kjetell'o tauschten kurze Blicke. Dann wandte die Diebin sich wieder an Madiha. "Mit uns beiden im Speziellen nicht, aber wir hatten auch keine Gelegenheit." Sie straffte ihre Haltung etwas. "Von den Sarmaer Bürgern forderte er jedoch Nahrung und Wasser. Beides hat er bereits am Ende des ersten Tages nach dem Krieg erhalten. Trotzdem ist er noch hier. Er befindet sich vor der Stadt an einer kleinen Oase, an der man sonst die Kamele tränkt."
"Vielleicht kann ich ihn fragen, was er noch in Sarma braucht?"
Dunia nickte: "Du hast ihm deine Feuermagie überlassen. Er dürfte dir somit zugänglicher sein. Versuche es ruhig, wenn du dich bereit fühlst."
"Ich möchte mitkommen. Ich habe nicht viel von dem Drachen erlebt und wenn er uns nicht frisst, würde ich ihn gern aus der Nähe sehen", mischte Kjetell'o sich ein. Er drückte seinen schlanken Körper bereits in den Stand. "Selbst wir langlebigen Elfen bekommen nur selten einen Drachen zu Gesicht." Er wollte sich die Chance nicht entgehen lassen. Dunia willigte stumm ein. Sie hob allerdings einen Finger an: "Nehmt Caleb auch mit", riet sie. "Falls etwas passiert." Dann deutete sie erneut zum Vorhang. Es war klar, dass sie nicht selbst mitkommen würde. Das konnte sie in ihrem Zustand möglicherweise auch nicht mehr so gut wie früher. Wichtiger aber war es, dass sie ihre Patienten nicht im Stich lassen konnte. Für Dunia waren die Zeiten einer Wüstendiebin vorbei, die auf Missionen wie Einbrüche ausging. Sie würde sich um jene kümmern, die nicht ganz so erfolgreich davon zurückkehrten.
Madiha und Kjetell'o hingegen würden niemals Wüstendiebe sein, obwohl sie sich mitten unter ihnen befanden. Das verdankten sie Caleb als Mitglied und jenen suchten die beiden nun auf. Kjetell'o lüftete den Vorhang, so dass sie beide hindurch huschen konnten. Bereits dahinter tat sich ein unterirdischer Raum mit zahlreichen Abzweigungen auf. Er war wie ein Sammelknoten und es existierten diverse Sitzmöglichkeiten wie Teppiche und runde Sitzpolster mit fransigen Quasten an den Seiten. Für jene, die sich hier ausruhten, boten die Wüstendiebe neben Wasserpfeifen auch Tee und Schalen mit diversen Sarmaer Speisen an. Auch Kaffee musste gereicht werden, denn das angenehme Aroma gerösteter Bohnen lag in der Luft.
Auf den meisten Sitzgelegenheiten sammelten sich kleine Grüppchen, die nach Geflüchteten aussahen. Unter ihnen befanden sich sogar Goblins und Dunkelelfen. In einer Nische genoss ein Ork seinen ersten Zug von einer Wasserpfeife. Er verschluckte sich und brachte so einige alte Veteranen unter den Sarmaer Rauchern zum Lachen. Durch die zahlreichen Gänge huschten vor allem aber Mitglieder des Bundes. Teilweise trugen sie Pyjamas wie Madiha, teilweise simple Gewandung wie Kjetell'o. Nur wenige von ihnen waren offen so gekleidet, dass man ihnen die Profession eines Einbrechers, Schmugglers oder gar Assassinen zuweisen würde.
Und in einer anderen Nische, halb verdeckt von einigen braunen Seidenvorhängen, stand Caleb umringt von einer Gruppe aus Wüstendieben in eben jener Meuchler-Montur und diskutierte mit ihnen. Sie alle hatten die Arme vor der Brust verschränkt oder zumindest in die Hüften gestämmt. Caleb hingegen gestikulierte recht großzügig. "Er kommt zurecht", kommentierte Kjetell'o. "Seine Hand fährt kaum durch das Haar und gar nicht in den Nacken." Auch der Elf hatte beide Gesten bereits erfolgreich als Zeichen von Nervosität bei Madihas Liebsten erkennen können. "Holen wir ihn dennoch aus der brenzligen Lage heraus. Er kann immer noch verhandeln. Jetzt muss er uns vor einem Drachen ... beschützen." Der Shyáner gluckste.
Als er und Madiha sich der Nische näherten, konnte zumindest sie einige Wortfetzen erhaschen. Kjetell'o würde sie erneut nicht verstehen.
"... mein Wort als Dieb darauf. Und wenn nicht, dann kann ich immer noch mit meiner Heimat Kontakt aufnehmen."
"Deine Heimat? Andunie, eh?" Caleb nickte. Die Diebe tauschten skeptische Blicke aus. "Ich weiß nicht, Caleb. Du bist eigentlich 'n anständiger Kerl, von deinen Schulden abgesehen. Aber 'n adliger Spross aus Andunie? Wirklich? Deine Geschichten waren schon einmal besser."
"Mir ist's gleich, was'de bist, solange wir endlich ausgezahlt werden. Der verdammte Krieg hat all meine Rücklagen gefressen, ansonsten würde ich dir ja mehr Zeit einräumen."
"Keine Sorge, Ahmed. Ich zahle euch aus, jeden von euch. Ich laufe nicht mehr davon."
Wieder tauschten die anderen Diebe zweifelnde Blicke aus. Caleb aber fuhr sich nicht durch die Haare. Er stand da, fest entschlossen. Madiha kannte ihren Dieb. Etwas an ihm hatte sich verändert. Sie durfte ihm ruhig glauben, dass er sich dieses Mal nicht aus dem Staub machen würde. Andunie, der Tod seines Vaters, das Schicksal seiner Mutter und wohl auch nicht zuletzt sein Erbe als van Tjenn entwickelten in Caleb eine neue Form von Verantwortungsbewusstsein. Der Dieb, der Sarma Hals über Kopf verlassen hatte, war nicht mehr. Hier stand ein Kapitän, ein Andunier, ein Tjenninger ... und jemand, der Madiha nicht in Gefahr bringen wollte, indem er erst handelte und anschließend in Reue nachdachte.