Auf eigenen Beinen

Obwohl Sarma eine Wüstenstadt ist, besitzt sie einen florierenden Hafen. Reisende und Händler aus Andunie laufen hier mit ihren Schiffen ein und aus. Selten ist im Hafen nichts los.
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Madiha Al'Sarma
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Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 13. Oktober 2021, 12:59

Madiha kommt von Das Versteck der Anderen

Es dauerte. Es dauerte so lange, bis sich der Stoff in ihrem Rücken endlich beruhigt hatte. Madiha hatte beide Hände an den Gurten ihres neuen Rucksacks festgekrallt und konnte ihre Beine kaum motivieren voranzugehen. Eben noch war sie verbissen genug gewesen, sich einfach auf den Weg zu machen und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Es nicht mehr von anderen abhängig zu machen, die sie ohnehin nicht wollten oder denen sie zur Last fiel. Doch diese Verbissenheit hatte so lange gehalten, bis sie sich auf Dunias Worte über Perfektion mit einem Nicken geäußert und sich abgewandt hatte. Von da an bröckelte die Entschlossenheit Schritt um Schritt und ließ sie nun, während der Stoff vor dem Eingang des Lazaretts durch ihr Hindurchtreten wehte, innehalten. Madihas Graublau tastete die einzelnen Gesichter ab. Sarmaer und Sarmaerinnen in der Überzahl, hier und dort Fremdländer wie Caleb oder Ilmy. Sie alle schienen geschäftig, gingen ihren Aufgaben nach, hatten ein Ziel. Madiha erkannte nicht, ob sie zweifelten an dem, was sie antrieb. Die Worte Dunias, hatten sich in ihr Herz gegraben. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Pflegerin für Caleb in die Bresche springen würde und verstand nicht, wieso die Wut sie nicht augenblicklich vergessen ließ, dass sie Gefühle für ihn hegte. Die Siebzehnjährige hingegen konnte sich das Versprechen, ein Auge auf Caleb zu haben, nicht abringen. Sie hatte nur die Zähne aufeinander gebissen und schief den Mundwinkel verzogen. Nein, die Enttäuschung seiner Handlung saß tief in ihr und sie würde sich garantiert nicht noch einmal so sehr bemühen, ohne Rücksicht auf sich selbst, um ihm aus der Patsche zu helfen. Er hatte ihr deutlich gezeigt, dass man sich selbst der Nächste war. Was scherte sie also sein Wohlergehen in Zukunft? Scherte es ihn? Sollte er doch selber seinen Hals aus der Schlinge ziehen. Er hat es ja auch vor Madiha’s Auftauchen geschafft. Nein. Dunia hatte von dem Mädchen keinen Eid bekommen. Doch jeder Schritt der die Entfernung vergrößerte zwischen Dunia und ihr, zwischen Ilmy und ihr, hatte sie mehr und mehr einer Verwirrtheit zugeführt, die sie nun innehalten ließ. Es waren nur Sekundenbruchteile, doch für Madiha lief die Zeit ein klein wenig langsamer. Sie lernte gerade, dass sie nicht so kaltschnäuzig war, wie sie dachte. Dass das Leben sie zwar abgehärtet hatte, aber nicht so wie sie glaubte. Madiha war hitzig, war stürmisch und sie spürte wie das mehr und mehr zum Tragen kommen wollte. Sie spürte ungekannte Gefühle in sich, die allesamt Beachtung haben wollten und sie ratlos zurückließen. Sie hatte bis dahin unbekannten Mut bewiesen und die Bereitschaft sich und das eigene Leben anderen unterzuordnen.
War das aus ihrer Sklaverei geboren? Nein.. das hatte sie niemals freiwillig getan. Doch die Entscheidung nach Dunia zu sehen und Caleb das Leben zu retten, die hatte sie ganz bewusst getroffen. Madiha warf einen Blick über ihre Schulter und erkannte, dass der Stoff längst nicht mehr ihrem Austreten folgte. Ruhig lag er da und nur das leise Treiben auf der anderen Seite drang zu ihr. Plötzlich wurde sie von einer Pranke beiseite geschoben, als ein neuer Patient den Vorhang beiseite wischte, um einzutreten und Madiha nutzte diesen Schwung, um sich endlich in Bewegung zu setzen. Einen Fuß vor den anderen setzte das Mädchen und bald war sie gar nicht mehr aufzuhalten. Sie hatte einen Blick auf die Karte geworfen, bevor sie aufbrach, um die ersten Schritte machen zu können und den Weg zu finden. So lange, bis sie aus dem gröbsten Trubel heraus war und hier und dort eine stille Ecke fand, um das verbotene Kartenmaterial einzusehen. Madiha fand sich nach anfänglichen Schwierigkeiten, die Karte zu entziffern, erstaunlich gut zurecht, nahm nur ab und zu falsche Abzweigungen. Sie nutzte jeden ungesehenen Moment, um sich nach dem richtigen Weg zu vergewissern. Nachdem der neuerliche Patient Madiha zur Seite geschoben hatte, hatte die Sarmaerin den Impuls genutzt, um sich endlich auf den Weg zu machen. Seither waren ihre Gedanken wie weggeblasen. Sie konzentrierte sich schlicht auf den Weg, folgte der Karte die sie sich Stück um Stück einzuprägen versuchte und ließ nichts anderes zu.
Erst als die Luft in den Gängen anders wurde, als ihre Lippen beim Befeuchten salzig schmeckten, ahnte sie, dass sie sich nicht mehr weit von ihrem Ziel befand. Und als würde die sanfte Brise ihre mit Kartendetails gefüllten Gedanken klären um Platz zu schaffen, kehrte auch ihre Unsicherheit zurück. Madihas Schritte wurden langsamer, bis sie erneut stehen blieb. Sie atmete zügiger, denn jetzt wurde ihr auch bewusst, dass sie schneller gegangen war, als sie angestrebt hatte. Ob das daran lag, dass sie das Schiff nicht verpassen wollte oder daraus resultierte, dass sie Angst hatte womöglich umzukehren? Das junge Mädchen strich sich durch die wilden dunklen Haare und ihre Finger hinterließen leichte Locken zurück. Das Baden hatte ihren Haaren das typischere Sarma-Aussehen beschert, doch sie wusste, dass diese Locken bald schon nur noch bessere Wellen sein würden. Madiha lehnte sich einen Moment an das kühle Gestein und wandte den Kopf, um zurück zu blicken. Unweigerlich verkrampfte sich ihr Magen. Hier hatte sie eine echte Chance auf Heimat. Zumindest wenn sie nichtbdavon ausgegangen wäre, unwillkommen zu sein. Dunia hatte sich ihrer angenommen und sie hatte zu der Schwester eine seltsame Bindunh aufgebaut, die sie nicht ganz erfassen konnte. Dunia gab ihr Sicherheit, aber sie wollte sie auch nicht überstrapazieren. Madiha war so. Sie wusste nichts davon, dass auch jemand anderes ihr mehr als nur Essen und ein Bett zur Verfügung stellen konnte. Dass eine Bindung auf Gegenseitigkeit beruhen könnte und vielleicht Dunia nicht nur eine Schülerin in ihr sehen könnte. Madiha’s Leben bestand aus Pragmatismus. Es hatte sich zwar etwas anderes versucht einzuschleichen, doch damit war sie gehörig auf die Nase gefallen. Das im Schlaf gehörte Gespräch nagte an ihrem Selbstwert und so hatte sie sich zum Gehen entschieden, um es allen leichter zu machen. Ilmy war eine echte Ausnahme. Ilmy hatte einfach nur ein großes, gutes Herz und Madiha würde sie schmerzlich vermissen. Als Freundin. Dunia würde sie vermissen als das, was sie gerne gehabt hätte, aber die Krankenschwester nicht sein konnte. Und Caleb…? Madihas Kopf bewegte sich zur anderen Seite. Caleb würde ihre Fahrkarte aus Sarma heraus sein. Das war immer noch so. Sie spürte, wie die Enttäuschung nach wie vor schwelte und der Trotz in ihr hochstieg, mit dem sie ihm auch begegnen wollte. Er würde garantiert keine Luftsprünge machen, dass sie doch noch seiner Spur gefolgt war, so sie ihn einholte. Doch das war ihr egal. Sie verlangte nichts, nur dass er sie mitnahm. Madiha’s stieß sich von der Wand ab, blickte noch einmal zurück, um endgültig den Blick nach vorne zu richten. Die Rucksackgurte umfassend, atmete sie tief durch, setzte eine entschlossene Miene auf und folgte den letzten Schritten im Gängesystem der Diebe und ihrer ungewissen Zukunft entgegen.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Montag 25. Oktober 2021, 10:24

Madiha nahm den Weg durch das unterirdische Gangsystem des Bündnisses der Wüstendiebe. Die Route mochte ihr nicht geläufig sein, doch Dank Dunias Hilfe würde sie den Weg finden. Dunia. Noch immer schwirrte dem Mädchen der Kopf ob der Haltung der Pflegerin. Bei ihr selbst hatten Calebs Taten eine Kluft zwischen ihm und ihr geschaffen, die Madiha nicht wagen wollte zu überspringen. Auch bei Dunia herrschte eine solche Kluft, doch sie schien die Brücke darüber nicht abreißen zu können. Eine klapprige Brücke, gespannt aus faserigen Seilen und mit morschen Holzbrettern. Dennoch galt es als der ihr einzige Übergang zu dem Dieb, welcher sich nun aus dem Staub machen wollte. Warum gab Dunia diese Brücke nicht auf? Eine neue zu bauen wagte auch sie nicht. Caleb würde kein stabiles Bauwerk aus Stein dulden. Warum nicht? Und Dunia konnte die Axt nicht schwingen, um die Seile ihres Klappergerüsts zu kappen. Stattdessen hatte sie Madiha darum gebeten, ein Auge auf die andere Seite zu haben. Caleb war geflohen, aber wie schaute die Brücke von seiner Seite her aus? Hielt auch er eine Axt?
Mit jedem weiteren Schritt, den das einstige Sklavenmädchen sich auf den Weg machte, musste sie erkennen, dass sie mehr Menschen in ihr Herz ließ als sie bislang gewohnt war. Mehr als sie je erwartet hätte. Ilmy zurückzulassen fühlte sich schmerzlich an. Dunia so voll Trauer um den Verlust eines Egoisten gesehen zu haben, der nur seine eigene Haut retten wollte, schmerzte ebenfalls. Auf der anderen Seite verwirrte es sie aber auch. Wie konnte Dunia an Caleb festhalten?! Möglicherweise weil auch sie mehr Herz besaß als sie nach außen hin zeigte. Sie gab sich ihrem Prinzip der Perketion hin, das keine Gefühlsausbrüche duldete und selbst hierbei hatte sie gebrochen. Madiha hatte einen Teil ihres wahren Gesichts gesehen. Caleb nicht. Wusste er überhaupt, dass sie um ihn weinte? Es war sehr verwirrend und der Sarmaerin ein Wegbegleiter, den sie einfach nicht ganz einordnen konnte. Wenigstens lenkte er ab. Er beschäftigte sie den langen Pfad bis zum Hafen hin. Wie sie die Strecke letztendlich heil fand, ohne sich zu verlaufen, würde sie später nicht mehr sagen können. Nur eines wusste sie: Madiha konzentrierte sich so verbissen darauf, Konzentration für die Wegfindung aufzubringen, dass sie dabei alles andere ausblendete. Diese Methode war mit Erfolg gekrönt. Sie stapfte zwar eine ganze Weile durch das Tunnelsystem und die Karte zeigte sich nicht für jeden Gang aktuell - manche waren eingestürzt und sie musste einen Umweg machen - aber letztendlich erreichte sie ihr Ziel.

Sarmas Hafen war von den Angriffen der dunklen Völker erstaunlich unberührt geblieben. Zu weit weg von den Mauern hatten die Schiffe vor Anker keinen Schaden genommen. Nicht einmal die großen Stege aus Gestein oder die kleineren aus gut gezimmertem Holz wiesen Schäden auf. Madiha bot sich eine überraschend normale Szenerie, sah man davon ab, dass nur noch sehr wenige Schiffe im Hafen lagen und stattdessen sehr viele Fremdartige durch den Bezirk spazierten. Das musste das dunkle Volk sein, welches ihre Heimat nicht nur angegriffen, sondern auch erobert hatte. Einige von ihnen ähnelten den Menschen. Ihre Haut war nur deutlich dunkler, die Statur graziler trotz der schwarzen Rüstungen, welche viele von ohnen trugen. Außerdem glänzte ihr Haar seidig unter der Sonne, während ihre Mienen kalt blieben. Die Blicke dieser Dunklen erinnerten an das boshafte Funkeln der Männer aus den Diebestunneln, bevor sie sich beinahe hatten an Madiha vergreifen können. Diesen hier fehlte nur die Wolllust darin. Sie schienen mehr darauf aus, ihre Macht auszubauen und das weniger plünderisch als man erwarten mochte. Sie wollten Sarma nicht ausbluten lassen, wie es schien, sondern vielmehr zu ihrem Eigentum machen. Deshalb blieb der Hafen unbeschädigt. Deshalb waren die Schiffe nicht zerstört worden. Deshalb gingen Sarmaer Matrosen nach wie vor ein und aus, verluden die Fracht oder unterhielten sich sogar mit dem Anführer einer dieser Feindesgruppen in schwarzen Metallrüstungen.
Plötzlich wurde Madiha Zeuge davon, dass sie vor allem fremd hier waren. Einer dieser düsteren Ritter kippte unter einem Krachen um, dass nicht nur seine Rüstung auf dem Holzsteg schepperte. Er warf damit mehrere Eimer mit Fisch und angelehnte Angeln ins Meer. Mit einem Pfiff aus den eigenen Reihen wurde ein weiterer von ihnen herangeholt, der einen Sarmaer an der Kette führte. Jenen schubsten sie regelrecht zu ihrem Umgefallenen und anhand der Tasche, die der Sarmaer mit sich führte und der Ruhe, mit der er sich über den Gestürzten beugte, erkannte Madiha einige Muster wieder. Das musste ein Heiler sein und er untersuchte den Dunklen soeben wie damals Caleb untersucht worden war. Was dem Fremden letztendlich passiert war, konnte das Mädchen in ihrem Versteck nur erahnen. Schwer war es jedoch nicht, Schlussfolgerungen anzustellen. Die schwarze Rüstung, die bereits am Vormittag heiße Sonne ... sicherlich hatte er mit dem Kreislauf zu kämpfen und zu wenig getrunken. Was Madiha wirklich heraussehen konnte, war, dass die Eroberer ihrer Heimat hier offenbar ein Machtzentrum unter ihrer Führung ausbauen wollten und Sarma nicht etwa vollständig zerstören. Ihre Pläne reichten weiter in die Zukunft. Madihas Pläne ähnelten dieser Strategie. Sie wollte von hier weg. Caleb sollte der Schlüssel zu dem Tor in die Freiheit und hinaus aus Sarma sein. Nur wo steckte er. Wo sollte sie sich umschauen?
Am Hafen gab es Tavernen für die Matrosen, Stände mit Fischhändlern, die den jüngsten Fang der Fischer kauften und teilweise schon wieder feil boten. Hier existierten jede Menge Kontore und Lagerhäuser, Werften um neue Schiffe zu bauen und natürlich auch Schiffe. Es waren nicht mehr viele, aber alle wirkten groß. Nur wenige von ihnen hinterließen einen wendigeren Eindruck bei ihrem Anblick, weil sie kein hochgezogenes Heck besaßen, sondern schmaler und somit schneller erschienen. Auf welches würde Caleb gehen? Denn dass er den Seeweg herunter von einer Insel nehmen wollte, wenn er schon zum Hafen aufbrach, war eindeutig. Madiha konnte ihn nirgends entdecken, lange Zeit zum Überlegen blieb jedoch auch nicht. Zumindest zwei der Schiffe machten sich für eine Abreise mit der nächsten Flut bereit. Man erkannte es an der Geschäftigkeit ihrer Matrosen, die eifrig die letzte Fracht verluden, die Segel ausbesserten oder letzte Reperaturen am Rumpf durchführten.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 30. Oktober 2021, 20:39

Nachdem Madiha sich durch die unzähligen Abzweigungen und Fehltritte geschlagen hatte, fand sie doch endlich den richtigen Weg dorthin, wo sie hin wollte. Es dauerte einen Moment, bis sie den Hafen nicht nur hörte, sondern ihn auch endlich sah. Das Mädchen verlangsamte ihre Schritte, als die Geschäftigkeit deutlich zunahm. Sie hätte nicht sagen können was sie erwartete, doch das der Betrieb scheinbar völlig normal weiterlief, überraschte sie doch. Madiha trat vorsichtig aus ihrem schützenden Gang und ließ ihren Blick schweifen. Es war ein sagenhafter Anblick, den sie so noch nie erlebt hatte. Mit leicht geöffnetem Mund, sog Madiha alles auf, was sie sehen konnte: Da waren zu allererst die riesigen Schiffe. Viele waren es nicht mehr, doch das war auch egal, denn selbst eines der massigen Holzgefährten hätte sie ins Staunen versetzt. Sanft wogen sie sich in den leichten Wellen hin und her und das Knarzen verschaffte ihr ein seltenes Gefühl von Ruhe. Sie war noch nie sonderlich Wasseraffin gewesen, doch das mochte sie. Madiha ließ ihren Blick von den Schiffen wandern und erkannte, dass zumindest zwei von ihnen offenbar gerade be- oder entladen wurden. Zumindest nach der Menschenketten urteilen, die Kisten und Körbe verluden. Die Sarmaerin, die vorher noch nie hier am Hafen gewesen war, stand nun bereits eine kleine Weile im Schatten der Gänge aus denen sie kam und vertrödelte die wertvolle Zeit, um Caleb zu finden.
Doch sie dachte in dem Moment gar nicht daran, denn ihr Augenmerk richtete sich plötzlich auf die störenden Faktoren in ihrem Bild der Ruhe: Hochgewachsene, schwarz gerüstete Elfen tauchten hoer und dort auf, bis Madiha erkannte, dass sie das Hafenbild tatsächlich prägten. Die Ruhe wich ein Stück weit und ein flaues Gefühl machte sich in ihr breit. Diese Fremden waren diejenigen, die sie zuvor aus der brennenden Akademie gesehen hatte. Sie waren die Aggressoren, die die Stadt überrannten und schließlich einnahmen. Etwas in ihrem Innern piekte. Es zwickte und erinnerte sie daran, dass sie bereits zuvor eine Art Patriotismus gefühlt hatte, der ihr jedoch viel zu schwach zugerufen hatte, als dass sie von sich aus den Kampf angestrebt hätte. Als Dunia ihr die Wahl ließ, war es für Madiha kaum eine Überlegung, ob sie gehen wollte oder nicht. Sarma hatte ihrer nicht verdient. Sie wollte nicht ihr Leben hier bis zum unrühmlichen Ende gelebt haben und dafür irgendwo in ein Armengrab geworfen werden ohne Namen und Menschen, die um sie trauerten. Sie beobachtete einige der Dunklen und wurde aus ihrem Beobachten gerissen, als einer in ihrem Augenwinkel plötzlich umkippte. Madiha zuckte unwillkürlich, drückte sich etwas mehr in den Schatten hinter einer Kiste die mit irgendwelchen Waren gefüllt war. Dem Geruch nach zu urteilen, waren es verdorbene Lebensmittel. Die graublauen Augen beobachteten, wie einige dunkle Schergen mehr, dem Umgefallenen zu Hilfe eilten, bis ihr Blick auf den Mann in Ketten fiel. Sofort erinnerte sich das Mädchen an den Arzt von Haraam und seinen Männern, doch dieser hier schien etwas älter zu sein. Er versorgte den Liegenden und Madiha wurde sich einer Lücke bewusst, die durch den kleinen Tulmult entstanden ist.
Sie riss sich von dem Anblick los, während ihr Herz zu klopfen begann. Jetzt musste sie schnell sein: Sie konnte Kneipen erkennen, an den schwankenden Gästen davor. Sie konnte erkennen, dass es viele verschiedene Bauten gab, nicht jeden Zweck erkannte sie, aufgrund ihrer fehlenden Bildung, doch darunter waren wohl Lagerhäuser oder ähnliches. Auch konnte sie verschiedene Händler erkennen, doch was sie nicht sah, war Caleb. Fieberhaft überlegte Madiha, um aus ihrem Versteck zu kommen und die Lücke im Getriebe der dunklen Armee auszunutzen. Würde er in einer Taverne sitzen? Sich betrinken? Aber er hatte es eilig gehabt wegzukommen. Er wusste ja nicht mal um Dunias Schmerz. Etwas ratlos ließ sie abermals den Blick wandern. Es war so weitläufig hier, so viele Möglichkeiten und sie hatte einfach keine Ahnung wo sie hätte anfangen sollen. Doch die Szenerie um den dunklen Soldaten begann sich allmählich aufzulösen, sodass sie handeln musste. Madiha vergewisserte sich, dass niemand sie vorerst sah und verließ in geduckter Haltung ihr kleines Versteck um einmal quer über die Hafenstraß zu laufen und sich hinter den verschiedensten Fischständen etwas unbemerkter bewegen zu können. Hier hatte sie die Möglichkeit sich zu verstecken, falls einer der Soldaten vorbeimarschierte. Es war gar nicht rational, dass sie Angst hatte, man könne sie entdecken, denn wer würde schon Notiz von ihr nehmen , doch irgendwie war ihr so wohler.
Jetzt war allerdings guter Rat teuer: Wo sollte sie zuerst nach Caleb suchen? Madihas Blick fiel unruhig auf eines der Schiffe, die beladen wurden. Ob Caleb die Überfahrt inkognito anstrebte? Oder konnte er bezahlen? Wie wäre es eigentlich mit ihr? Wie sollte sie auf ein Schiff gelangen ohne Geld ohne Können? Madihas Blick fiel auf eine Mütze, die wohl einem Schiffsjungen gehörte und herrenlos auf einer Kiste lag. In ihr formte sich eine Idee. Vielleicht musste sie Caleb nicht finden. Vielleicht konnte sie auch alleine ihr Glück versuchen. Sie hatte Dunia zwar versprechen sollen, auf ihn Acht zu geben… doch Madiha war enttäuscht und fühlte sich ohnehin alleine. Wozu also alles absuchen und ihre Chance vertun, wenn sie es ebenso gut alleine probieren konnte? Die Siebzehnjährige schlich sich vorsichtig an die Kiste an, immer darauf bedacht von niemandem gesehen zu werden und griff sich in einem günstigen Moment die Mütze. Sie zwirbelte sich das Haar zurecht, um es unter der Kappe zu verstecken und zog den Schirm der Mütze etwas ins Gesicht. Den Rucksack schulterte sie lässig, während sie nach etwas Ausschau hielt, das sie an Bord bringen könnte, um sich dort zu verstecken. Vielleicht war das Schicksal ja gnädig und sie fand Caleb auf einem der Schiffe. Vielleicht auch nicht. Madiha kämpfte für sich alleine und hoffte, dass ihr Plan Erfolg haben würde.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 4. November 2021, 23:45

Ein Grund, warum Madiha so lange in Sarma hatte überleben können, war ihr instinktives Verhalten. Sie vertraute auf ihre Intuition. Nein! Sie handelte bereits, noch bevor sich ihr Bauchgefühl melden konnte. Dadurch nutzte sie Gelegenheiten, die Zögernden verwehrt blieben. Auch jetzt agierte sie, sobald sie eine Möglichkeit dazu sah. Der durch einen Hitzschlag getroffene und ohnmächtig gewordene Dunkelelf in seiner schweren, schwarzen Rüstung bot ihr diese Gelegenheit. Er zog mit seinem Zusammenbruch alle Aufmerksamkeit auf sich. Niemand achtete auf ein Sklavenmädchen in den Schatten. Niemand achtete auf die kleine Fluchtlücke, die sich diesem Mädchen bot. Madiha verließ ihr Versteck. Ihr Herz klopfte wild in der Brust, als sie die Umgebung mit eifrigem Blick sondierte. Caleb fand sie nicht unter den Anwesenden. Entweder verbarg er sich in einem der Gebäude oder war längst auf dem Schiff. Vielleicht hatte seine Flucht aus Sarma auch bereits den Hafen verlassen. Sie konnte es nicht wissen. Fakt war, dass sie ihn nirgends entdeckte. So musste Madiha sich wieder auf sich selbst konzentrieren. Auch sie wollte fliehen. Das würde nicht gelingen, wenn sie nun zögerte und sich in Mutmaßungen über Calebs Aufenthalt verlor. Eine Antwort erhielt sie ohnehin nicht.
Sie ließ ihr Versteck zurück, so lange die Allgemeinheit noch ein wenig von dem Gefallenen abgelenkt war. Es gelang ihr überraschend leicht, einmal quer durch die Hafenstraße zu laufen. Erneut spielte ihr hierbei ihr Äußeres zu. Das Gefährlichste, was ihr wohl passieren könnte, wäre, dass einer dieser Fremden sie anhielt und sich erkundigte, was sie hier zu suchen hätte. Im Zweifelsfall könnte sie sich dann eine geschickte Lüge einfallen lassen. Bisher war es nicht nötig. Sie erreichte das andere Ende der Straße und somit auch direkt die Docks. Hier lagen die beiden Schiffe noch vor Anker, die ihr zuvor schon ins Auge gefallen waren. Aus der Nähe wirkten sie nur noch größer. Schwimmende Paläste aus poliertem Holz, mit Masten höher noch als eine Dattelpalme und Segeln so weiß und schön wie die kostbaren Pluderhosen ihrer einstigen Herren.
Madiha suchte sich einen neuen Unterschlupf hinter einem der Verkaufsstände. Sofort stieg ihr der fischige Geruch der Auslegware in die Nase. Das Sarmaer Wetter machte es Händlern schwer, ihre Waren frisch zu halten. Diesem Fischverkäufer schien es gleich zu sein. Er kümmerte sich nicht um die Fliegen, die bereits um seinen Fang schwirrten. Offenbar hoffte er darauf, dass die fremden Eroberer einen verdorbenen Fisch nicht von einem frischen würden unterscheiden können. Der Blick des Händlers mit dem speckigen Turban war auf die Szenerie an einem der Stege gerichtet. Den ohnmächtig gewordenen Dunkelelf hatte man inzwischen aufgepeppelt. Er stand schon wieder und der in Ketten gelegte Heiler fächelte ihm Luft zu, während man ihm einen Wasserschlauch reichte. Viele Fremdländer unterschätzten die Hitze, welche die halbe Insel Belfa verflucht hatte. Oftmals waren sie für das Wüstenwetter zu heiß angezogen, jedenfalls am Tage. Wenn nachts plötzlich die Temperaturen bis nahe des Gefrierpunktes sanken, bibberten sie und holten sich einen Schnupfen. Madiha hatte davon selten etwas mitbekommen, aber gewiss erinnerte sie sich an die exotischen Besucher in den Anwesen, die oftmals mit fremder Zunge über die Wetterumschwünge klagten.
Ob es Caleb auch so ergangen war, als er Sarma erreichte? Er war gewiss kein gebürtiger Bewohner der Wüstenstadt. Madiha musste erneut feststellen, wie wenig sie eigentlich von diesem Mann wusste und wie sehr sie ihm doch vertraut hatte - nur um verraten zu werden. Sie, aber auch Dunia. Er ließ sie zurück mit schwerem Herzen und verweinten Augen. Ahnte Caleb überhaupt, was er der Pflegerin antat? Vielleicht würde Madiha es ansprechen, doch dazu musste sie ihn finden. Noch einmal ließ sie ihren Blick schweifen. Nichts. Das einzige, was ihr wirklich auffiel, war die Menge an dunklem Volk, die sich hier herum trieb. Anfangs achtete man nicht auf sie, da sie sich gut in die Szenerie einfügten, doch je länger man sich das Bild des Sarmaer Hafens betrachtete, desto eher fielen sie auf. Vor allem, weil sie so finster und bösartig wirkten. Jeder von ihnen strahlte eine Aura des Unbehagens aus. Dazwischen liefen die Sarmaer, versuchten unaufffällig zu sein oder duckten sich gar etwas weg, wenn sie die Dunkelelfen passieren mussten. Ja, auf den zweiten Blick erkannte man, wer die Wüstenstadt fest im Griff hatte.
Caleb war nicht aufzufinden. Was blieb ihr nun übrig, als sich um ihre eigene Flucht Gedanken zu machen? Als Madiha eine leicht zerschlissene Mütze entdeckte, die achtlos auf einer Frachtkiste liegengelassen worden war, wuchs in ihr ein Plan heran. Er war nicht ausgereift, doch besser als vollkommen blind und unüberlegt auf eines der Schiffe zu gelangen. Madiha griff nach der Mütze. Sie fühlte sich irgendwie klebrig an, müffelte nach faulem Obst und könnte daher eine Wäsche mehr als gut gebrauchen. Dazu blieb jedoch ebenso wenig Zeit wie sich um ihre Haare Gedanken zu machen. Rasch stopfte sie sich diese so unter die Mütze, dass sie als dürrer Bursche durchgehen könnte. Dann schulterte sie ihren Rucksack und wechselte die Rolle vom lichtscheuen Gesindel der Schatten zu einem Schiffsjungen, der Arbeit an Bord suchte. Nach wie vor waren die beiden Schiffe in der Nähe noch im Hafen. Beide hatten so ihre Vorzüge. Fest stand, dass beide wohl bald den Hafen verlassen wollten. Das eine lag an einem nahezu leeren Steg, sah man von den Matrosen ab, die noch immer Fracht verluden. Sie rollten Fässer über eine breite Planke an Bord oder trugen schwer aussehende Kisten unter Deck. Hier ging es geschäftig zu. Daraus konnte man schließen, dass die Abfahrt noch etwas Zeit mit sich brächte. Nahe des Steges sah Madiha nämlich die noch an Bord zu bringende Fracht. Einige Kisten und Fässer waren es noch. Zu ihrem Glück schienen diese unbeobachtet. Wenn nicht gerade Matrosen heran kamen, um sich das nächste Packstück zu schnappen, achtete niemand auf die Ladung. Der Nachteil bestünde hier, dass es durchaus noch länger dauern könnte, bis das Schiff wirklich ablegte.
Da schien das andere Wassergefährt aufbruchbereiter zu sein. Hier verlud niemand mehr Fracht. Die Matrosen arbeiteten in der Takelage, prüften die Taue oder reparierten letzte Kleinigkeiten. Der Kapitän des Schiffes schien sich mit den Dunkelelfen unterhalten zu haben, ehe einer aus deren Reihen umgekippt war. Das bedeutete wohl, dass er sich die Erlaubnis zum Aufbruch einholte oder letzte Bedingungen klärte. Der Nachteil hier war, dass Madiha es ungesehen an ihm und den Dunklen vorbei schaffen müsste, die nach wie vor auf dem Steg zum Schiff standen.
Jetzt hieß es abwägen, für welchen Schicksalspfad sie sich entschied. Die Götter gaben ihr kein Signal. Denn falls sie darauf gehofft hatte, Caleb unter den beiden Mannschaften zu entdecken, wurde sie enttäuscht. Er schien wie vom Erdboden verschluckt worden zu sein.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 12. November 2021, 09:44

Niemand hatte das Mädchen je auf das Lebe vorbereitet. Sie war stets von einer Situation in die nächste gestolpert und handelte nach dem was sie für das Beste erachtete. Die meiste Zeit in ihrem jungen Leben, verbrachte Madiha damit nicht aufzufallen. Tat sie es doch, bemühte sie sich darum, möglichst ohne Schaden aus dieser Entdeckung davonzukommen. Caleb, Dunia und Ilmy- sie hatten Madiha sehr deutlich entdeckt und hatten sich klammheimlich in das Herz der Sarmaerin geschlichen, ohne dass sie wusste, wie ihr geschah. Doch Madiha hatte gelernt, dass es nichts im Leben umsonst gab. Alles hatte einen Preis und so war dieser eben die Enttäuschung darüber, dass sie die drei einzigen Personen, die so etwas wie Freunde hätten werden können, wieder verlor. Madiha musste gehen, sie sah gar keine andere Möglichkeit, auch wenn sie ihr direkt in die Nase gebissen hatte. Sie hätte selbstverständlich bleiben können, doch wie sollte sie erkennen, dass ihr Wunsch auch Anklang gefunden hätte? Es war seit jeher ihr fester Traum, etwas aus sich zu machen. Wertvoll zu sein für jemanden oder einer Sache ihre Leidenschaft zu schenken. Madiha träumte seit sie ein junges Mädchen war davon, während Flöhe sie bissen und Ratten das Bett mit ihr teilten, dass sie eines Tages diesen Landstrich verlassen würde. Und da stand sie nun: Ringsherum war geschäftiges Treiben und keiner nahm auch nur Notiz von ihr. Es hatte eben auch seine Vorteile, wertlos zu sein und sie wusste das einzusetzen, so viel stand fest.
Madiha’s Blick erhaschte die zerschlissene Kappe die achtlos dalag und in ihr reifte ein Plan, der in der Ausführung allerdings noch etwas dürftig war. Ihr blieb nur keine andere Wahl, als instinkthaft zu handeln und sich nicht die Zeit für eine ausgefeilte Planung zu nehmen. In einem günstigen Moment griffen die schlanken Finger den Stoff und ohne sich nähere Gedanken über den Geruch oder den Dreck auf ihrem Kopf zu machen, versteckte sie die dunklen Haare darunter und zog den Schirm der Mütze tiefer ins Gesicht. Schatten verhüllten den grau-blauen Blick, während sie ihn schweifen ließ, um herauszufinden, ob sie jemand beobachtet hatte. Doch alles blieb ruhig. Die Angehörigen der dunklen Völker kümmerten sich um sehr viel Wichtigeres, achteten auf andere Dinge, als auf einen dürren, müffelnden Schiffsjungen. Madiha beobachtete noch einen Moment das Treiben um sie herum, ehe sie beherzt aus ihrem mäßigen Versteck trat und plötzlich mitten im Geschehen stand. Hier und dort wuselten die Matrosen geschäftig hin und her und ein jeder kannte seine Aufgabe. Ihr wurde bewusst, dass sie nicht allzulange zögern durfte, denn das würde sicherlich auffallen irgendwann. Sie ließ den Blick auf dem Schiff ruhen das ihr am Nächsten stand. Hier verluden die Matrosen ein Gut nach dem anderen und als sie ihren Blick an der Matrosen-Kette entlang wandern ließ, sah sie wie viel noch zu verladen war. Madiha's Herz sank einen halben Zentimeter tiefer, denn auch wenn sie von Schiffen und Seefahrten so gar keine Ahnung hatte, sie konnte sich durchaus vorstellen, dass es noch eine Weile dauern würde, bis sich das Wasserungetüm in Bewegung setzte. Ihr Blick glitt weiter zu dem Schiff zu ihrer Rechten. Hier verlud niemand mehr Kisten.
Allerdings standen hier auch Dunkle auf dem Steg und unterhielten sich teilweise mit einem Mann der irgendwie aussah, als ob er etwas zu sagen hatte. Da sie nichts von Rängen und Hierarchien auf Schiffen wusste, wusste sie ihn auch nicht einzuordnen. Ganz egal, es ging jetzt auch viel mehr darum zu entscheiden, ob sie lieber früher als später aus Sarma verschwinden wollte oder die Ausdauer hatte, sich etwas Zeit dafür zu nehmen. Ihr Herz klopfte. Wenn sie sich an dem Beladen beteiligte, stand sie mitten unter Servale. Es wäre wie damals, als man sie zu einer Feierlichkeit mitnahm bei der der Gastgeber sich damit wichtig tat, dass er fünf Servale an der kurzen Leine in der Mitte seiner Tafel präsentierte und die Sklavinnen dazu gesetzt wurden. Irgendwie hatte sie sich damals verbunden gefühlt mit den schönen Tieren, deren Glanz in den großen Augen etwas Wütendes und Kampflustiges hatten. Welchen Grund hätte sie, auf das andere Schiff zu gelangen? Es wäre sehr viel öffentlicher, sehr viel fokussierter wenn sie direkt mit jemanden sprach, der sie aufhalten und nach ihrem Beweggrund fragen konnte.

Madiha’s Ohren rauschten unter der Anstrengung sich binnen kürzester Zeit entscheiden zu müssen. Das Treiben um sie herum verstärkte ihren inneren Stress noch, da sie auch nicht Gefahr laufen wollte, gleich angesprochen zu werden. Ganz kurz spürte sie den aufkommenden Gedanken in sich, dass Caleb auftauchen und ihr helfen würde. Doch diesen Impuls rang sie sofort nieder, denn auf ihn wollte und würde sie sich garantiert nicht verlassen. Madiha verzog grimmig das Gesicht, weil sie an den Verräter dachte, den sie zurzeit in Caleb sah. Erneut wanderte ihr Blick unschlüssig zwischen den beiden Schiffen hin und her. Sie wusste nicht, ob der Mann, der mit den Dunklen sprach, tatsächlich etwas zu sagen hatte und wenn, ob er die Lüge erkennen würde, wenn sie behauptete zur Crew zu gehören. Vielleicht war es doch besser, wenn sie sich einfach an der Beladung beteiligte und sich dann irgendwo unbemerkt an Bord versteckte. Vielleicht fiel es aber auch nicht auf, sodass sie während der Überfahrt einfach weiter arbeitete, um irgendwo wieder unbemerkt an Land gehen zu können.
Madiha zögerte und der Druck handeln zu müssen, brachte ihr einige Schweißtropfen auf der Stirn ein. Das Mädchen atmete tief durch, sog den stinkenden Fischgeruch in ihre Lungen und beherrschte sich, dass ihr nicht übel wurde. Sie hatte schlimmeres gerochen. Jetzt käme ihr der Tee von Dunia mit seinem Duft nach Hibiskus und Melisse sehr gelegen. Doch die Sarmaerin brauchte endlich eine Richtung und so schulterte sie ihren Rucksack und trat beherzt an die Ladung heran. Schnell suchten ihre Augen die verschiedenen Stücke ab und sie fand einen Sack der sicherlich Getreide oder Kaffee oder so etwas enthielt und griff danach. Er war schwer und sie brauchte eine Sekunde, um das Gewicht auszubalancieren. Unsicher prüfte sie die anderen Matrosen, die stoisch arbeiteten. Hatte jemand Notiz genommen? Madiha schulterte den Sack und reihte sich dann in die Reihe der Arbeitenden ein. Ihr Herz klopfte, sie hielt den Kopf unten, auch wenn sie kaum ihre Neugierde verbergen konnte, als sie die Gangway zum Schiff näherkommen sah. Je dichter sie kam, desto größer wurde das Schiff und beeindruckte sie auf nachhaltige Weise. Sie blieb sogar trotz ihrer Vorsicht eine Sekunde vor dem Aufgang stehen und starrte nach oben. Beeindruckend. Dann trieben sie aber die geschäftigen Schritte weiter, sodass sie den Aufgang zum Schiff betrat, um ganz normal wie all die anderen Matrosen, ihre Ladung an den angestammten Platz zu bringen.
Nun war es entschieden und sie würde, solange sie nicht aufflog ihre Arbeit tun, würde sich nützlich machen wollen, nur um nicht aufzufallen. Vielleicht klappte dieses Unterfangen, vielleicht jagte man sie von Bord… Madiha wusste nur, dass sie sich auf Caleb nicht mehr verlassen würde, er hatte deutlich gezeigt, dass sie ihm egal war – also nahm sie ihr Schicksal endlich selbst in die Hand.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Freitag 12. November 2021, 16:16

Madiha fiel in alte Muster zurück. Besser gesagt, sie griff auf Verhaltensweisen zurück, die sie durch ihr ganzes, bisheriges Leben gebracht hatten. Nur weil sie so handelte, hatte sie überlebt. Wenigstens ein weiteres Mal wollte sie es also genau so versuchen. Wäre das Resultat erneut Erfolg, würde sie die Methoden wiederholen. Warum auch nicht?
Unauffällig bleiben und sich unter die anderen mischen war ihre Devise. Man nannte es auch Anpassungsfähigkeit. Madiha würde sich wie ein Schatten unter viele schmiegen, bis sie gänzlich mit ihnen verschwamm. Dazu brauchte sie weder ein großes Talent, noch die Hilfe eines anderen. Sie war wieder unabhängig! Das sagte sie sich selbst, um die Unsicherheit unter diesem Gedanken zu begraben. Sie war wieder allein, lauerte als bittere Erkenntnis irgendwo in den Tiefen ihrer Seele. Noch ließ sie sich davon nicht einholen. Noch besaß sie genug Selbstsicherheit, um sich ihrem Plan zu widmen.
Auch wenn ihr das Herz bis zum Hals klopfte, folgte Madiha dem Wagnis. Sie ging das Risiko ein, bemerkt zu werden und hoffte dennoch darauf, das Gegenteil zu erzielen, indem sie sich in den Alltagstrott der arbeitenden Schiffsbesatzung eingliederte. Das funktionierte besser, wenn es für jemanden wie sie auch etwas zu tun gab. Madiha wandte sich folglich dem Schiff zu, das nach wie vor beladen wurde. Sie schritt mit geschultertem Rucksack zielstrebig an all die Kisten und Säcke heran. Jeder wartete darauf, unter Deck gebracht zu werden und jedes Stück Frachtgut kam ihr gelegen. Dennoch entschied sich das Mädchen, nicht gleich zu übertreiben. Sie zöge nur unnötig Aufmerksamkeit auf sich, wenn sie mit einer zu schwer beladenen Fracht nicht einmal auf Deck käme, sondern vorher ob des Gewichts vom Steg direkt ins Meer fiele. Eine zu kleine Kiste durfte es aber auch nicht sein, damit man ihr nicht Faulheit nachsagen könnte und auch so die Aufmerksamkeit aller auf sie lenken würde. Probehalber hob sie zwei Kisten hintereinander an. Beide schienen bis knapp unter den Deckel vollgestopft zu sein. Die zweite Kiste bekam Madiha überhaupt nicht gestemmt. Glücklicherweise entdecke sie auch noch einige Säcke. Einen davon dürfte sie händeln können. Das hieß nicht, dass die Aufgabe leicht blieb. Sie schleppte dennoch ein ordentliches Gewicht mit sich herum. Der Sack musste mit Getreide oder Kaffee gefüllt sein. Madiha konnte es nicht nachprüfen, ohne sich verdächtig zu machen und die Schnürung zu lösen. Aber wozu sollte sie das tun? Sie war hier, um zu arbeiten und sei es nur unter dem Deckmantel, sicher an Bord zu gelangen. Sicher und unbehelligt. Ein rascher Blick zu den anderen Matrosen zeigte ihr, dass auch diese Männer mit ähnlichem Denken ans Werk gingen. Sie waren hier, um zu schuften und das taten sie. Kaum jemand nahm von ihr Notiz und wenn, dann schaute der Matrose lediglich kurz zu ihr herüber. Keiner von ihnen durfte Zeit verlieren, denn die Flut wartete nicht.
Das Herzklopfen ließ nach der dritten Runde endlich nach. Madiha folgte der Route der anderen Matrosen vom Frachtgut über den Steg, die wacklige Planke empor und eine mehrfach ausgebesserte Holztreppe unter Deck. Im Laderaum setzte sie ihre Säcke neben anderen ab und wiederholte das Spiel. Schnell aber merkte sie, dass sie für diese Art von Arbeit nicht ausgebildet worden war. Ihre dürren Muskeln brannten alsbald. Zwar hatte sie als Sklavin einiges an häuslicher Arbeit verrichten müssen, das Schleppen von schweren Säcken gehörte jedoch nicht dazu. Zumindest nicht in dem Ausmaß, den die Matrosen hier betrieben. Sie hatte auch schon so manches Mal einen Kartoffelsack in die kühlen Weinkeller-Gefilde getragen, aber es war stets nur einer gewesen. Hier wuchtete sie nun schon ihren vierten Sack empor und verfluchte sich wohl bereits innerlich, dass sie zudem noch ihren Rucksack mit sich führte. Diesen aber unbehelligt einfach an Bord abzulegen, war ihr zu riskant. Falls man sie doch noch ansprach oder entdeckte, dass sie nicht Teil der Mannschaft war, würde sie rasch und bevorzugt mit ihren Habseligkeiten fliehen müssen.
Glücklicherweise kam es nicht dazu. Madiha wurde von niemandem aufgehalten. Ein einziges Mal merkte ein Matrose mit Klemmbrett an, dass sie die übrigen Säcke auf der gegenüberliegenden Seite abladen sollte, damit das Schiff im Gleichgewicht blieb. Ansonsten aber erhielt sie nicht einmal ein Nicken. So verlud sie zusammen mit den Matrosen die übrige Fracht und als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, läutete jemand unter lautem Rufen die Schiffsglocke.
"Alle Mann an Deck! Wir stechen in See! Zuhören! Kommt an Deck, wir brechen auf! Angetreten, ihr Säcke! Zeit zum Aufbruch!" Der Matrose rief die Mannschaft gleich auch noch in Garmisch und Sendli zu sich. Das zeugte nicht nur von seiner Bildung, sondern auch von der Vielfältigkeit der Seemänner. Alle versammelten sich auf das Rufen hin sofort an Deck. Der Mann an der Glocke stand auf einem höheren Deckbereich der Hinterseite des Schiffes. Madiha und auch die anderen Matrosen mussten zu ihm aufschauen, die Sonne im knapp hinter ihren Köpfen. Der Mann trug wie die meisten Matrosen nichts weiter als eine simple Leinenhose und ein locker geknöpftes Hemd. Wie einige andere hatte er zusätzlich ein blutrotes Halstuch umgebunden. Der wahre Unterschied lag an seiner Kopfbedeckung. Wo die meisten Seefahrer an Bord entweder eine schlappe Mütze oder ein Kopftuch trugen, da zierte das Haupt des Ausrufers eine geradezu steife, weiße Kappe mit schwarzer Krempe. Angepinnte Münzen schimmerten golden im Mittagslicht. Der Mann faltete die Hände im Rücken und begutachtete die versammelte Mannschaft knapp. Dann nickte er und ... nichts geschah.
Einzig Madiha schien sich darüber zu wundern, denn sie war unerfahren über die Vorgänge an Bord. Alle anderen Männer schienen ein eingespieltes Team zu sein. Keiner blickte sich verwirrt um oder zeigte Unsicherheit. Stattdessen sahen sie von dem Ausrufer hinunter zu einer von zwei Türen des erhobenen Hecks. Die linke stand offen. Madiha konnte die ersten Stufen einer weiteren Treppe sehen, welche in Dunkelheit verschwand.
Plötzlich öffnete sich die andere Tür. Ein Ruck ging durch die Mannschaft, als alle Haltung annahmen. Es war beeindruckend wie gleichermaßen bizarr, all diese eher lockeren Seeleute plötzlich so diszipliniert zu sehen. Dann erschien ein Mann, der nur der Kapitän dieses Schiffes sein konnte. Er war ein wenig beleibt und deutlich älter. Sein Gesicht wies kleine Runzeln unter dem silbrigen Bart auf. Seine Augen aber glänzten lebendig und in einem beruhigenden Grau. Er stammte eindeutig nicht aus Sarma. Das erkannte man auch ohne die untypische Kleidung. Auf einem Schiff passten der blutrote Seefahrermantel und der schwarze Dreispitz aber sehr gut.
Auch er begutachtete die Mannschaft, ließ den Blick schweifen und ihn nur einen Deut länger als üblich auf einigen Einzelnen haften, darunter auch auf Madiha. Dann lächelte er. "Ich sehe, wir haben ein paar neue Gesichter an Bord. Falls es euch noch nicht gesagt worden ist: Ich bin Kapitän Strontje und ihr befindet euch ab sofort auf der Blauen Möwe." Der Kapitän deutete eine einladende Geste an, das Schiff selbst Willkommen zu heißen. Dann hob er einen Finger an. "Behandelt sie gut, sonst lass ich euch Kielholen." Er lachte. Einige der Mannschaft lachten mit. "Genug der Späße. Nicht ich lasse euch Kielholen, sondern mein erster Maat." Kapitän Strontje wies nach oben. Der Ausrufer kam hinunter an Deck und an seine Seite. Er trug keinen Bart. Vielmehr schien er überhaupt kein Haar zu besitzen. Seine Züge waren kantig und streng, ebenso seine eisblauen Augen. Madiha erkannte nun, wie muskulös der Erste Maat war. Er könnte sie mit einem Fausthieb von Bord schlagen...
"Ihr hört auf das, was Jakub Tauwetter euch befiehlt. Ich vertraue ihm euch an, also kann er mit euch auch anstellen, was er will."
"Wen wirst du heute Nacht vögeln, Tauwetter?", rief jemand aus den hinteren Reihen und erntete damit reichlich Gelächter. Jakub fokussierte seinen Blick auf den Scherzbold, sagte aber nichts. Er verzog auch keine Miene. Das Spiel schien ihm bekannt zu sein. Kapitän Strontje war es, der darauf reagierte: "War das ein sehnliches Flehen?" Er klopfte Tauwetter dabei die Schulter, auch wenn er dazu etwas empor langen musste. Jakub war ein Hüne!
"Ihr hört auf ihn. Sein Wort ist Gesetz an Bord, wenn ich nicht an Deck bin und ich werde nicht oft an Deck sein. Falls ihr eine Flasche Whiskey springen lasst, zeig ich mich in den Abenstunden mal. Haha! Und jetzt lasst uns aufbrechen, damit die Flut uns den Großteil der Arbeit abnimmt. Wir haben einen weiten Weg vor uns!"
Unter Johlen und Jubelrufen verabschiedete sich Kapitän Strontje. Er kehrte in seine Kabine zurück. Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, machte Jakub Tauwetter einen halben Schritt nach vorn. Sofort herrschte Ruhe. Er überblickte die Seefahrer. "Alle wissen, was sie zu tun haben? Gut. Dann macht euch an die Arbeit." Mit schnellen Schritten war er an den Männern heran. Er blieb vor Madiha stehen, starrte mit seinem eiskalten Blick auf sie herunter und ... packte dann einen anderen Mann an der Schulter. Einem weiteren nickte er zu. "Ihr beiden geht unter Deck udn prüft noch einmal, ob die Ladung gut gesichert ist und sucht nach Ratten. Werft jeden unliebsamen Nager über Bord, klar?"
"Aye, aye!"
"Aye, Tauwetter!"
Jakub nickte, ließ den Mann los. Er und sein Kumpane stürmten sofort unter Deck. Der Rest der Mannschaft hatte sich aufgeteilt. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Einige kletterten die Takelung empor und lösten langsam die Seile, welche das Segel am Mast hielten. Andere fingen sie vom Deck aus auf und vertäuten sie an armdicken Halterungen in der Reling. Jemand holte die Planke ein und ein anderer gab den Rythmus für eine Gruppe Seemänner vor, die an einem gewaltigen Rad drehten, um eine schwere Eisenkette zu bewegen. Sie holten den Anker ein. Jetzt ging es bald los und noch immer war Madiha an Bord.
Jakub Tauwetter starrte auf sie herab. Lang. Eindringlich. Dann brummte er auf und stapfte an dem Mädchen vorbei. Er hatte seine bisherige Pflicht erfüllt, lehnte sich nun mit dem Rücken an die Reling und beobachtete, dass die Blaue Möwe bereitgemacht wurde, ihren Weg auf das weite Meer hinaus zu nehmen.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 14. November 2021, 14:21

Madiha atmete geräuschvoll aus, nachdem sie einen weiteren Sack auf die Seite gepackt und abgelegt hatte. Sie spürte wie ihr der Schweiß über die Stirn lief und obwohl sie das warme Wetter durchaus gewohnt war, hatte sie ihre Rechnung nicht mit ihrem dürren Körper gemacht. Die Ladung war schwer, der Weg weit und er wurde mit jedem Gramm, das sie trug, weiter. Inzwischen hatte sie den dritten Sack getragen und reihte sich soeben wieder in die geschäftige Matrosen-Kette ein, um sich weiter nützlich zu machen.
Madiha spürte das Brennen ihrer Muskeln, das Kreischen der Sehnen und wusste, dass sie sich morgen sicherlich nicht bewegen konnte. Bisher hatte niemand Notiz von ihr genommen, was sie mit ein wenig Stolz erfüllte. Doch ihr blieb keine Zeit sich lange damit zu beschäftigen, denn die Maschinerie ging unaufhaltsam weiter. Also folgte sie dem Weg, den sie nun zum vierten Mal bestritt, um eine etwas kleinere, weniger schwere Holzkiste zu nehmen. Ihre Muskeln protestierten selbst unter diesem Gewicht. Mit schnellerem Atem ging die junge Sarmaerin den Weg wieder über die Planken. Inzwischen wusste sie wohin sie treten musste, damit sie das Gleichgewicht nicht verlor. Bei ihrem ersten Gang wackelten die losen Bretter gewaltig und sie hätte fast einen Satz ins Wasser gemacht. Ihr Herz hatte wie wild geklopft, denn neben dem Umstand Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und entdeckt zu werden, war die Aussicht zwischen Schiffsrumpf und Kaimauer im Wasser zu landen, wo sie doch nicht mal schwimmen konnte, sehr beängstigend. Glücklicherweise fasste sie sich und konnte den Weg weiter gehen, ohne nennenswerte Folgen. Nun hatte sie die Planke ohne Zwischenfall bestritten und war bereits wieder auf dem Weg in den Lagerraum.
Hier wurde sie plötzlich angesprochen und ihr Herz setzte aus, ebenso wie ihr Atem. Doch die Anweisung war klar und hatte nichts mit ihr persönlich zu tun, sodass sie ihre Holzkiste auf die andere Seite des Lagers auftürmte. Sie wollte gerade auf dem Hacken kehrt machen, als sich eine weitere Stimme erhob. Und dann noch eine und noch eine. Madiha lauschte bis sie erkannte, dass der Rufende tatsächlich in drei verschiedenen Sprachen sprach. Die erste war die allgemeine Sprache, die sie zwar verstand und auch sprechen konnte , aber nie so wirklich gerne benutzte. Die zweite klang vertraut, verstehen konnte sie sie aber nicht und dann war Sendli dran. Sofort fühlte sich Madiha sicherer und sah nur kurz auf, während sich alle anderen bereits auf die Stufen zum Deck begaben.

Sie folgte und fand einen Platz etwas im Getümmel. Ihre Augen suchten den Grund für ihr Versammeln und erst als sie den Kopf hob, konnte sie den Mann sehen, der über ihnen stand. Immer darauf bedacht nicht zu viel Gesicht zu zeigen, ließ Madiha den Blick langsam über die Garderobe des Mannes wandern. Er unterschied sich in seiner Haltung und seiner Kopfbedeckung, auch wenn sie nicht erkennen konnte, wer er wirklich war. Der Mann ließ den Blick wandern, ehe er wortlos nickte und zumindest die Siebzehnjährige ratlos zurückließ. Was nun? Sollten sie hier stehen? Bis wann? Während ihre Unsicherheit sie dazu brachte, so unauffällig wie möglich den Kopf zu drehen, um sich bei den anderen abzugucken, was jetzt gefordert war, musste Madiha erkennen, dass offenbar niemand nach dem Grund fragte. Plötzlich ging ein Ruck durch die Mannschaft, so dass Madiha zusammenzuckte und damit unwillkürlich ähnlich wie die Männer handelte.
Ihr Herz klopfte, als sie den Kopf drehte und auf die inzwischen geöffnete Tür schaute. Ein weiterer Mann trat der Mannschaft entgegen und ihr fiel auf, dass er leichte Ähnlichkeiten mit dem Mann am Steg hatte, der sich mit den dunklen Schergen unterhielt. Sein roter Mantel und der schwarze dreieckige Hut zeichneten ihn irgendwie als jemand aus, der das Sagen hatte. Auch ohne Kenntnisse in Nautik wusste Madiha instinktiv, dass er der Kapitän sein musste. Offenbar galt das etwas, unter all den Gestalten die hier um sie herum standen. Sie alle hatten Haltung angenommen, wie sie beim erneuten Blick feststellen musste und ihr Rücken wurde gleich noch etwas gerader, damit sie sich anpasste.

Madiha sah zum Kapitän zurück, als dieser die Mannschaft begrüßte. Seinem Blick wich sie mit einem Niederschlagen ihrer Augen aus und hob ihn erst, als der erste Maat die Bühne betrat. Jetzt erst fiel ihr auf, wie kräftig er wirkte. Sie schluckte als ihr bewusst wurde, dass er mit ihr keine Mühe haben würde und sie spielend zu den Fischen schicken könnte, wenn sie aufflog. Sie ermahnte sich selber, sich von Jakub Tauwetter fernzuhalten soweit es ihr möglich war. Er wirkte deutlich strenger in seinem Aussehen, während der Kapitän eher einem gutmütigen Händler glich. Doch was wusste Madiha schon? Sie war nun wirklich nicht damit gesegnet etwas Gutes in Männern zu sehen. Sie wusste dass der erste Eindruck vollkommen und nachhaltig täuschen konnte. Plötzlich brach Gelächter aus, als einer aus den hinteren Reihen, den Madiha nicht erkennen konnte, einen Witz machte. Offenbar war Jakub nicht daran interessiert darauf einzusteigen, denn er schwieg sich darüber aus, machte keine Anstalten wenigstens zu grinsen. Es hätte Madiha vielleicht etwas beruhigt, wenn er zumindest gegrinst hätte. Das wäre ein Anzeichen von Humor und Humor war erstmal etwas Positives. Doch der erste Maat blieb unbeweglich. Dann aber erhob Jakub das Wort, als Kapitän Strontje sich wieder unter Deck begab. Während sie ihm mit den Augen folgte und die Stufen hinunter erkannte, gewann Jakub ihre Aufmerksamkeit, als seine Worte über zu erledigende Arbeiten in ihr Bewusstsein drang. Trocken schluckte sie die Anspannung hinunter. Denn während offenbar jeder eine Aufgabe hatte, musste Madiha sich erstmal eine suchen. Doch ehe sie überhaupt überlegt haben könnte, was sie tun würde, verdunkelte sich ihr Gesichtsfeld. Ihr Herz setzte aus, als sie nur langsam die Augen hob, während ihr Körper sich versteifte.
Sie blickte auf die Brust des Hünen, hätte den Kopf in den Nacken legen müssen, um ihm ins Gesicht zu sehen, so dicht stand er vor ihr. Ihre Ohren rauschten, als sie ganz langsam den Kopf hob, nur um es zu bereuen, als sie eiskalte Augen trafen. Madiha schluckte, obwohl ihre Kehle viel zu trocken war. Sie unterdrückte ein Husten und sah irgendwie angestrengt aus, während Jakub eine plötzliche Bewegung machte und sie zurückzucken ließ.

Sie hätte vielleicht abgeklärter sein müssen , doch sie stolperte hier in etwas, was ihrer Kontrolle zu entgleiten drohte. Das war das Problem am instinkthaften Verhalten: Einen Plan gab es nicht, also auch keine Absicherung. Als sie sich klar darüber wurde, dass sie gar nicht gemeint gewesen war und er den Matrosen neben ihr packte, war es bereits zu spät. Sie hatte gezeigt, dass sie nicht so raubeinig war, wie die anderen. Während um sie herum das Treiben begann und jeder sich seiner ihm zugewiesenen Arbeit zuwandte, stand Madiha vor dem Hünen Jakub Tauwetter und ertrug irgendwie seinen viel zu langen Blick. Seine viel zu bohrenden Augen. Wäre es möglich gewesen, wäre Madiha unter seinem Eisblau zusammengeschrumpft. Atmete sie eigentlich?
Abstruser Weise grinste sie etwas unbeholfen mit schiefem Mund, was Jakub ein Brummen entlockte und er sich etwas abseits stellte, um sich mit kennendem Blick die Arbeiten anzusehen. Madiha’s Brust spannte plötzlich, als sie zitternd Luft in ihre Lungen sog. Sie hatte wirklich aufgehört zu atmen, was ihr nun ein schmerzliches Seitenstechen einbrachte. Einen Moment stand sie ratlos herum, schaute über ihre Schulter und suchte fieberhaft etwas, das sie tun konnte. In die Takelage kletterte sie lieber nicht, da wusste sie ohnehin nicht was sie zu tun hätte. Die Planken wurden bereits eingeholt und so fiel ihr Blick auf das Rad für die Ankerkette. Verstohlen warf sie abermals einen Blick zur Seite, ehe sie beherzt und beinahe wie selbstverständlich sich einer der Holzstreben widmete und mit den anderen zusammen im Takt das große Rad drehte.
Ihre Knochen ächzten unter der Schwere. Madiha war sicher nicht gut gerüstet für das Leben auf See, aber was ihr an körperlicher Stärke fehlte, machte sie allemal durch Willen wett. Sie war gewohnt zu ackern wie ein Maulesel, also setzte sie das ein und packte an, wo auch immer zwei Hände gebraucht wurden. Zum Arbeiten war sie sich jedenfalls nicht zu schade. Doch so willens sie war, sie merkte auch schnell, dass sie etwas über war. Jeder kannte die Abläufe und so fiel es ihr schwer, überhaupt irgendwo anzupacken, da immer ausreichend Matrosen zur Stelle waren. Ihr Blick fiel erneut auf Jakub Tauwetter und sie spürte in sich einen Gedanken aufkommen.

Vielleicht war es Zeit, den eigentlichen Plan auszureifen und etwas zu verändern. Madiha rutschte sich die Mütze etwas zurecht und war froh, dass sie halbwegs gut passte und nicht ständig drohte abzufallen. Ein Vorteil war sicher ihre Mähne darunter. Sie fasste sich also ein Herz und ging, so selbstsicher wie sie glaubte sein zu können, auf den ersten Maat zu. Kurz vor ihm blieb sie stehen und gewährte ihm nur einen flüchtigen Blick auf ihr Gesicht, damit er nicht erraten konnte, dass sie in Wahrheit ein Mädchen war. „Entsch-..“, sie räusperte sich und setzte tiefer an, versuchte männlicher zu klingen. „He… - ich bin recht neu und hab noch keine Arbeit zugewiesen bekommen. Gibt's 'ne Aufgabe für mich, die zu erledigen wäre?“, fragte sie dann so „seemännisch" wie sie dachte das es gut wäre. „Ich kann schuften.“, versicherte sie noch und wischte sich mit dem Ärmel über die Nase, als würde das einen Jungen aus ihr machen. Sie benutzte sogar die Allgemeinsprache, damit man vielleicht nicht sofort roch, dass sie aus Sarma stammte, auch wenn ihr Akzent sicherlich Hinweis genug sein würde. Dann tat sie besonders lässig, verschränkte die Arme und sah noch mal schief unter ihrer Mütze hervor, als gäbe es überhaupt keinen Zweifel, dass sie genau am richtigen Ort war.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 17. November 2021, 04:57

Erst Moment zuvor war der Gedanke durch Madihas Kopf gegeistert, dass der Erste Maat sie mit Leichtigkeit zu den Fischen befördern könnte und nun sah es so aus, als hätte er diese Idee aufgegriffen. Genauer gesagt hatte Jakub sie aufgegriffen. Noch ehe Madiha in irgendeiner Weise hätte reagieren können, fand sie sich an der Pranke des Ersten Maats baumelnd wieder. Sie hätte sich ihm niemals zuwenden und erst recht nicht nahe genug bei ihm stehenbleiben sollen, dass er mit nur ein paar raschen Bewegungen bei ihr war. Sie hatte seine Muskelmasse unterschätzt und ihn dadurch fälschlicherweise für schwermütig gehalten. Jakub Tauwetter bewies ihr, dass er nicht nur stark, sondern auch schnell war.
jetzt hing sie an seinem Haken. Die Pranke umfasste den Kragen ihrer Kleidung und er hob sie ohne viel Mühe von den Füßen, dass diese Zentimeter über dem Boden strauchelten. Wenigstens entglitt ihr die speckige Mütze nicht. Denn noch hielt der Maat sie für einen Jungen, was man aus seinen folgenden Worten schließen konnte.
"Ich kenne alle hier an Bord, denn ich hab jeden einzelnen der Mannschaft persönlich ausgesucht. Außerdem hab ich jedem seine Aufgabe verpasst. Wenn du keine hast...", Jakub wirbelte mitsamt der armen Madiha im Griff herum, "gehörst du auch nicht zur Mannschaft, Bursche." Zu spät. Jetzt war sie aufgeflogen! Zwar nicht, was ihr Geschlecht betraf, aber Tauwetter hatte sie eindeutig als mehr oder weniger blinden Passagier enttarnt. Für eine Flucht hing sie zu sehr in der Luft und selbst, wenn sie sich nun hätte lösen können, wären die Konsequenzen fataler. Der Maat wusste genau, was er tat. Sein Herumwirbeln war nicht darin begründet, ihr Schwindel zu bereiten. Aktuell hing Madiha an seinem ausgestreckten Arm über der Reling. Er bräuchte sie nur fallen zu lassen und sie würde mehrere Meter tief in das kalte Meerwasser stürzen. Selbst hier am Hafen war es tief, denn die Schiffe mussten auch in der Bucht schwimmen können, ohne auf den felsigen Grund zu treffen. Die Aussichten für ihre Abreise aus Sarma standen mit einem Mal furchtbar schlecht. Zum Glück hatte Jakub sich der Seeseite des Schiffes zugewandt. Von den Docks aus sah niemand die für Madiha brenzlige Situation. Das hatte allerdings auch den Nachteil, dass sie nun nicht problemlos ein Hilfesignal absezten könnte. Andererseits war bei Jakubs bisheriger Wachsamkeit nicht klar, ob er es nicht bemerkte und sie dann zur Strafe fallen ließ.
"Lass hören, Bursche", forderte er sie auf unr rüttelte sie kurz durch, um ihre volle Aufmerksamkeit zu erhalten. "Ich hab keine Zeit, dich jetzt von Bord zu schleifen und diesen Bastarden von Dunkelelfen auszusetzen, aye? Wir legen gerade ab. Aber ich hab bemerkt, dass du zumindest versucht hast, einen Teil beiuzutragen. Du wolltest also auf der Möwe anheuern, aye? Dich nützlich machen als Schiffsjunge?" Sein Arm senkte sich. Dass Meer kam näher. Madiha bildete sich ein, schon die salzige Brise wahrnehmen zu können. Lebten Haie in der Hafenbucht?
"Ich lass dir die Wahl, Bengel", setzte Tauwetter wieder an. "Du kannst jetzt entweder mit den Fischen schwimmen gehen und bist raus aus der Nummer oder du verpflichtest dich, ein wahrer Teil der Mannschaft zu werden. Ich werd von dir dann aber nicht weniger verlangen, nur weil du ein dürres, halbes Hemd bist, aye? Du wirst unter denselben Bedingungen wie alle anderen schwitzen, bluten und pissen. Triff seine Wahl, Bursche. Ich hab nicht ewig Zeit."
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 18. November 2021, 22:02

In hundert sarmaischen Sommern hätte Madiha nicht gedacht, dass ihre Idee so ausgehen würde. Sie war davon ausgegangen, dass sie sich schon irgendwie durchmogeln würde, dass niemand Notiz nahm, solange sie nur mit anpackte und tat, was alle taten. Ja, sie hatte sogar gedacht, dass sie mit ein Bisschen mehr Ehrlichkeit weiter kommen konnte. Doch noch bevor das Unheil in Form von einer großen Pranke zupackte, stellten sich ihre Nackenhaare auf. Es nützte ihr rein gar nichts. Wie ein Sack Mehl, wie sie ihn noch vor kurzem selber getragen hatte, hing sie inzwischen in den Fängen des ersten Maat. Madiha riss erschrocken die Augen auf und ihr Herz beschleunigte sofort den Rhythmus. Das junge Mädchen hatte nach der Hand des Mannes gegriffen, um sie von ihrer Kleidung zu lösen, doch darauf konnte sie lange warten. Schraubstockartig waren die groben Finger fest verschlossen und hielten sie mühelos. Bevor sie hier eine Lockerung erzielen würde, würde eher der Stoff ihrer Kleidung nachgeben und reißen. Madiha schluckte, dachte tausend Dinge gleichzeitig und hatte anfangs Mühe, seinen Worten überhaupt zu lauschen. Das was er sagte trieb ihr die Angst und gleichzeitig die Wut in die Glieder. Sie war so dumm gewesen, sie hätte einfach weiter machen sollen. Aber... wenn er jeden einzeln ausgewählt hatte, wäre sie ihm dann nicht ohnehin früher oder später aufgefallen? Madiha blinzelte diese Gedankensprünge beiseite. Jetzt war nicht die Zeit für Spitzfindigkeiten, denn mit einer schnellen Bewegung, die ihr das Gefühl gab, völlig hilflos zu sein und wie eine Marionette am Faden zu hängen, hatte er sie über die Reling bugsiert. Noch immer rauschten ihre Ohren, pochte ihr Herz wie wild und in ihrem Kopf breitete sich eine gähnende Leere aus. Sie hatte Angst. Anstatt ihm zu zuhören und aufzupassen, wurde sie davon abgelenkt wie ihre Füße in der Luft baumelten. Madiha schielte an ihrer Schulter vorbei und erkannte die Tiefe und das schwarze Wasser unter ihr. Sofort kehrte ihr Blick erschrocken zu Jakub zurück. Ihr wich die Farbe aus dem Gesicht, denn wenn er sie fallen ließ, würde sie garantiert ertrinken. Madiha schluckte einen trockenen Kloß hinunter, versuchte verzweifelt ihre Lippen zu befeuchten und sich vor allem daran zu erinnern, was er gesagt hatte. Da war irgendetwas mit der Mannschaft. Dass er jeden persönlich eingeladen hatte? Nein... Eingeladen war sicher das falsche Wort, wie auch immer - Madiha's Blick huschte unstet in seinem Gesicht umher. Hatte er eigentlich bemerkt, dass sie eine Frau war? Etwas in ihrem Innern klingelte - Bursche. Er hatte sie Bursche genannt. Das dünne Mädchen schöpfte etwas Hoffnung. Trotzdem ließ sie sich hinreißen und sah an Jakub Tauwetter vorbei, suchte nach jemanden der ihr helfen konnte. Doch Jakub erschien nicht im geduldigsten Gewand, weshalb er an ihr rüttelte und ihre Aufmerksamkeit wieder zurückholte. Madiha wurde bewusst, dass niemand ihr hier heraushelfen würde. Sie hatte keinen Hoffnungsschimmer am Kai gesehen und keiner an Bord würde sich dazu hinreißen lassen einem fremden blinden Passagier aus der Misere zu helfen.
Also musste sie sich selber helfen, doch wie? Jakub forderte endlich eine Antwort, während sie noch fieberhaft nach einer Lösung suchte. Er lieferte ihr diese tatsächlich und vor ihr tat sich etwas auf, was sie garantiert noch bitter bereuen würde. Doch was blieb ihr anderes übrig? Sie hatte keine andere Wahl, als sich hier nun zu entscheiden ob sie leben oder sterben wollte. Eine andere Möglichkeit gab es nicht und sie bezweifelte stark, dass Caleb auch jetzt wieder aus einer Kiste springen und sie retten würde. Wollte sie das denn? Madiha schnaubte, lauter als beabsichtigt und wurde sich schnell bewusst, dass Jakub das völlig falsch interpretieren konnte. Also rang sie ihre taube Zunge nieder, räusperte sich unnötiger Weise, als hätte sie etwas anzukündigen und machte endlich den Mund auf. "Es tut mir leid." begann sie und fand, dass es sicherlich erstmal besser wäre, ihn zu besänftigen. Die Gedanken an die schwindelerregende Höhe beiseite schiebend, sprach sie weiter und imitierte dabei so gut es ging, einen Jungen: "Ich.. ich wollte nicht.. ich würde nicht..", ihre Stimme versagte ihr den Dienst und Madiha ließ die Schultern hängen. Nein, so wurde das nichts. Jakub würde sicherlich jeden Augenblick loslassen. Sie würde fallen, fallen und fallen und tief unten die Härte der Wasseroberfläche spüren, während der Schmerz sich aufbaute, nur um im Keim erstickt zu werden, weil die Kälte der Fluten sie einhüllten. Dann Schwärze. Madiha's hatte richtig Angst. Und dennoch.. anstatt dass die Angst sie lähmte, sie stumm machte, entzündete sie ein inneres Feuer, das sie schon immer besessen hatte, sich dessen aber nie wirklich bewusst geworden war. Ihre grau-blauen Augen begannen zu funkeln, als sie langsam das Kinn reckte und Jakub starr ins Gesicht blickte. Die Angst machte sie stärker, das spürte sie. Mit fester, verstellter Stimme antwortete sie endlich auf seine Worte: "Aye! Ich werde härter arbeiten, als alle anderen zusammen. Und du wirst dir noch wünschen, mich persönlich ausgewählt zu haben!". Madiha blinzelte. Sie war von ihrer eigenen Courage überrascht und versuchte nun nicht einzubrechen. Nein, sie fühlte sich durch seine Behandlung angespornt, wollte beweisen was in ihr steckte. Es entfachte ihren Überlebenswillen, ihre innere Stärke die sie bisher schon weit gebracht hatte. Ihr Griff verstärkte sich um seine Pranke, verlieh ihren Worten Nachdruck, auch wenn sie überhaupt nicht seine Kragenweite war. Sie war wie eine Feder in seinem Griff, er könnte sie mit Leichtigkeit in Zwei brechen, wenn ihm danach war. "Gib mir eine Aufgabe und du wirst es nicht bereuen!", setzte Madiha nach und erwartete mit pochendem Herzen sein Urteil.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Sonntag 28. November 2021, 06:15

Das Einzige, was an Madihas Plan zu funktionieren schien, war, dass man sie nach wie vor für einen Jungen hielt. Das lag an ihrer klapprigen Statur. Schwach war sie gewiss nicht, aber es hätte noch ein paar Wochen mehr unter Dunias Obhut gebraucht, um ihren unterernährten Körper auf ein gesundes Maß an Gewicht anzuheben. Muskeln bauten sich nicht auf, wenn sie nur Haut und Knochen zur Verfügung hatten! So aber entdeckte der Erste Maat der Blauen Möwe keine ihrer weiblichen Vorzüge. Sie konnte von Glück reden, nicht mit einem prächtigen Busen gesegnet worden zu sein. Andernfalls wäre ihr Plan von vornherein ins Wasser gefallen. Das Mädchen musste nun hoffen, dass sie selbst nicht dieses Schicksal erfuhr, denn noch immer hing sie an der ausgestreckten Pranke einige Meter über dem Meeresspiegel. Wenn Tauwetterr sie nun fallen ließ, wäre es aus. Dann müsste sie all ihre Kräfte dazu aufbringen, aus dem Hafenbecken zu gelangen, ehe das kalte Gewässer sie endgültig lähmte. Erstickungs- oder Erfrierungstod, sie hatte die Wahl. Oder aber sie ging auf die Bedingungen ein, die Jakub ihr nannte. Hatte sie das nicht ohnehin vor? Sich durchmogeln, indem sie einfach an Bord mit anpackte, so gut sie konnte? Im Grunde änderte es kaum etwas an ihrem Plan. Vielleicht wäre die Aussicht sogar besser, weil sie sich dann mit gleichen Aufgaben freier an Bord bewegen könnte - wenn sie denn in der Mannschaft aufgenommen würde.
Noch einmal musste Madiha sich all die Worte in Erinnerung rufen, die der Maat ihr mitgeteilt hatte. Ihre Konzentration war nicht vollauf bei ihm gewesen. Als er sie aber in wachsender Ungeduld rüttelte und eine Antwort forderte, da kehrten die wichtigen Bruchstücke in ihren Denkapparat zurück. Er hatte sie Bursche genannt. Das war gut. Madiha realisierte nun selbst, dass sie nach wie vor nicht erkannt worden war. Er hatte ihr Bedingungen gestellt. Auch diese Erkenntnis sickerte langsam zu ihr hindurch. Sie traf eine Entscheidung. Am sinnvollsten war es, mitzuspielen. So entschuldigte sie sich, allerdings nicht so kleinlaut wie man es von einem Halbstarken am Arm eines Stärkeren erwarten würde. Nach wie vor besaß sie ihren Trotz, ihren Stolz. Beides ließ sie nicht mehr darauf hoffen, dass Caleb auftauchen und sie retten würde. Er hatte sich abgewandt. Nicht nur von ihr, sondern von allen. Sie musste das hier allein schaffen!
Madiha nahm allen Mut zusammen. Leider reichte er nicht aus, das Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen. Sie stammelte etwas zusammen, das keine zufriedenstellende Antwort war. Mit mehr Feuer gelang es ihr dann aber doch noch, seinem Willen zu entsprechen. Ja, sie wollte an Deck arbeiten! Sie würde sich von ihm schikanieren lassen wie alle anderen. Vielleicht ging sie mit ihren Worten gar ein wenig zu frech vor. War es gut, ihn zu provozieren? Schon rechnete sie damit, dass Tauwetter sie fallen ließ. Und tatsächlich! Seine Finger lockerten sich. Die Pranke öffnete sich und Madiha fand sich plötzlich für einen Herzschlag im freien Fall. Dann fing sie der harte Deckboden des Schiffes auf. Jakub hatte sie rechtzeitig eingeholt, so dass sie nun vor seinen nackten Füßen landete.
Ein langer Blick an seiner Statur hinauf entblößte sein grinsendes Gesicht. Es behielt die Mimik lang genug aufrecht, damit Madiha sie sehen konnte. Schon wechselte sein Ausdruck wieder zu der Strenge, mit der er sie enttarnt hatte. "Mitkommen!" Eines stand fest: Jakub hielt sich nicht mit überschwänglichen Worten auf. Er würde Madiha sogar erneut packen und einfach mit sich schleifen, sollte sie nicht schnell genug auf die Beine kommen. Dann steuerte er mit ihr im Schlepptau jene Tür im Heckbereich an, durch die Kapitän Strontje nicht verschwunden war. Die Tür mit der knarrigen Treppe, welche in Dunkelheit führte. Der Erste Maat nahm sie und führte Madiha unter Deck.
Auf halber Höhe fanden sich drei weitere Türen. Unter einer von ihnen drang Dampf hervor, aber Jakub klopfte gegen eine der beiden anderen Türen. Sie besaß einen kleinen Anker aus Metall, der an einem Nagel in der Tür hing. "Das hier ist meine Kabine", teilte er dem Mädchen mit. "Als Erster Maat steht mir'n eigener Raum zu. Die hier gehört dem Zweiten Maat - wenn wir einen hätten." Er hämmerte gegen die andere, schmucklose Tür. Dann wandte er sich der dritten zu, jene mit den kleinen Dampfwolken. Erst jetzt, als sie Madiha in die Nase stiegen, roch sie Zwiebeln, Lauch und Gewürze. Jakub öffnete die Tür.
"Hier wohnt und kocht unser Smutje - das ist der Koch eines Schiffes. Aye, Fischauge, ich hab hier ein Helferlein für dich!" Schon schubste er Madiha in den Raum hinter der Tür. Groß war die Kombüse nicht, aber deutlich als Kochkammer erkennbar. Es gab einen in die Rumpfwand eingelassenen, schwarzen Ofen. Das Rihr führte nach draußen, damit man nicht am Qualm erstickte. Auf der Ofenplatte blubberte ein Kessel, der zusätzlich über einen Haken gesichert wurde, damit er bei hohem Seegang nicht kippen konnte. Links und rechts dieser Vorrichtung türmten sich Schrankwände mit jeder Menge Schubladen und Türen bis unter die niedrige Decke. Ansonsten fand sich hier ein sehr kleiner Tisch, der an den Boden festgenagelt worden war, ebenso wie das Sitzfass. Unter dem Tisch quetschten sich Säcke mit allerlei Vorräten. Hauptsächlich konnte Madiha exotisches Gemüse wie Kartoffeln und Mais erkennen, aber auch dicke, gelbe Zuckerrüben.
Den übrigen Raum nahm ein beleibter, eher klein geratener Mann ein, dessen zerknautsche Kochmütze platt auf seinem Schädel hing. Nur der dünne Kranz ergrauter Haare hielt sie davon ab, von der ansonsten vor Schweiß glänzenden Platte zu rutschen. Vielleicht hätten die Gesichtsrunzeln sie aber auch aufgehalten. Der Smutje - Tauwetter hatte ihn Fischauge genannt - war alt. Außerdem machte er seinem Namen alle Ehre. Er besaß nur noch ein Auge, das andere bedeckte eine schwarze Stoffklappe. Doch jenes Auge starrte Madiha groß an, wobei die Pupille eher klein ausfiel. Er erinnerte wirklich an einen Fisch, vor allem, als er sein fast zahnloses Maul in überraschter Schnappatmung auf- und wieder zuklappte.
"Was soll ich mit dem Bengel? Hier in der Kombüse ist kaum Platz für mich allein!"
"Aye, ich sehe, dass du dicker geworden bist." Jakub verzog keine Miene. "Aber so ein Bursche kann dir aushelfen. Und uns auch, wenn es zeitiger Essen gibt, weil dir jemand die Arbeit des Gemüseschälens abnimmt."
"Das ist ein Argument. Kannst du mit 'nem Küchenmesser umgehen, Bengel?"
"Aye, kann er", antwortete Jakub, ohne Madiha zu Wort kommen zu lassen. Er trat wieder aus der viel zu kleinen Kombüse hinaus auf die Mittellebene der Treppe. "Ich überlass ihn dir. Versorg ihn mit genügend Arbeit, dass er vor Erschöpfung einschläft, bevor an Deck das Saufgelage beginnt. Sonst fällt er noch versehentlich über Bord."
"Aye, aye, Tauwetter!"
Damit stelzte Jakub wieder nach oben an Deck und ließ Madiha einfach in der Obhut des Einäugigen. Fischauge musterte sie auch sogleich mit seinem wässrigen Starren. Dann reichte er ihr ohne große Worte ein kleines Küchenarbeitsmesser. "Hier ist nicht genug Platz für uns beide. Also schnapp dir einen der Kartoffelsäcke dort und verzieh dich tiefer unter Deck. Zwischen Kisten, Fässern und Säcken findest du schon einen Platz, um die Kartoffeln zu schälen. Die Schalen schmeiß durch ein Bullauge nach draußen, bevor es zu viele Ratten anlockt. Die Kartoffeln bringst du mir, sobald du fertig bist. Und dann machst du dich über die Zuckerrüben her. Soweit verstanden, aye?"
Die erste Lektion, die Madiha an Bord der Blauen Möwe lernte, war, dass sich hier tatsächlich niemand mit langen Reden aufhielt.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 11. Dezember 2021, 09:20

Madiha’s Herz setzte für Sekunden aus, als sie fiel. Sie fiel tatsächlich und sie wähnte sich schon verloren, als sie äußerst unsanft auf dem harten Holzboden landete. Für einige Atemzüge, die sie gierig in ihre Lungen sog, wusste sie nicht , was genau passiert war. Erst als sie fähig war ihren Kopf zu heben um hinauf in das hämische Gesicht Jakubs zu blicken, kehrte allmählich die Farbe in ihre Züge zurück. Madiha’s Herz rebellierte gegen den Schreck und sie ließ den Blick wieder sinken. Ihre Handflächen berührten das Holz des Decks und sie war froh und erleichtert, dass es bloß das Holz und nicht etwa das Wasser gewesen ist. Doch ihre Freude hielt nicht lange an, denn schon spürte sie Jakubs Hand erneut, als sie ihm nicht schnell genug auf die Beine sprang. Er zog sie mühelos auf die Füße und Madiha strauchelte einige Schritte, bevor sie sich aufrichten und mit einem energischen Ruck ihre Schulter aus seiner Klaue befreite.
Sie folgte ihm, den Kopf immer etwas gesenkt und doch neugierig den Blick schweifen lassend. Noch bevor sie jedoch etwas Interessantes entdecken konnte, folgte sie den energischen Schritten des Hünen in die Dunkelheit unter Deck. Für einen Moment hatten ihre Augen Mühe sich an die neue Finsternis zu gewöhnen, doch sie verhinderte noch gerade so, gegen den Ersten Maat zu stoßen, als dieser stehen blieb. Sofort fiel ihr der Dampf auf, der aus einer der drei Türen drang. Madiha war deutlich zu langsam für Jakub Tauwetter, denn als er mit seiner Pranke gegen die verzierte Tür hämmerte, schrak sie zusammen. Madiha musste sich zusammenreißen, wenn sie Jakub keine weitere Angriffsfläche bieten wollte. Das Leben als Sklavin hatte ihr das gezeigt und so klärte sie ihre Gedanken und konzentrierte sich auf seine Worte und sein Handeln. Sie hatte später noch genug Zeit ihren eigenen Gedanken nachzuhängen, da brauchte sie jetzt nicht zu riskieren, dass er sie doch noch über Bord warf.

Das Mädchen nickte knapp, dass sie verstanden hatte und in ihr formte sich augenblicklich die Frage, wieso sie keinen zweiten Maat hatten, doch sie biss sich auf die Zunge, während sie sich der dritten Tür zuwandten. Madiha schnupperte automatisch und erkannte tatsächlich den Geruch von Zwiebeln und einigen Gewürzen, deren Namen sie nicht kannte aber wusste, dass sie in den Häusern der besseren Gegend auch benutzt wurden. Als sie noch nicht als Sklavin für die Nacht eingesetzt worden war, musste sie oft in der Küche helfen und augenblicklich fühlte sie sich etwas trittsicherer. Das änderte sich wieder, als sie unsanft in den Raum gestoßen wurde und sich an einem der Regale abfangen musste. Missmutig brandete ihre Wut auf, schaffte aber sich zu beherrschen und Jakub nicht mit trotzigem Funkeln anzustarren. Madiha konzentrierte sich auf den Smutje, der ihr soeben als Fischauge vorgestellt wurde.
Das Graublau ihrer Augen lugte unter den Kappe hervor und betrachtete den Mann. Seine Furchen im Gesicht konnten einer schrumpeligen Apfelsine jede Konkurrenz machen, so viel stand fest. Sie nickte knapp zur Begrüßung und sah sich, während sich Jakub und Fischauge neckten, in der Küche um. Überall gab es Töpfe und Schüsseln die hier und dort aus Schränken hervorlinsten und die Luft in dieser Kammer war… gelinde gesagt kaum existent. Zwar verhinderte ein Rohr nach Draußen, dass sie nur so im Dunst standen, doch die Gerüche nach scharfer Zwiebel und Lauch brannten ihr in den Augen und setzten sich sofort in ihrer Kleidung und ihrem Haar ab.
Plötzlich stellte Fischauge ihr eine Frage die sie aufmerken und den Mund aufklappen ließ, während Jakub bereits die Antwort in den Raum posaunte. Madiha klappte den Mund wieder zu. Auch gut, sie hätte ohnehin bejahen wollen, denn sie erinnerte sich noch gut an das unzählige Kartoffelschälen in ihren Kindertagen.

Jakub ließ die beiden alleine und während Madiha ihm kurz nachblickte, erteilte ihr Fischauge bereits die ersten Anweisungen. Das Mädchen wollte helfen und vor allem wollte sie eine Aufgabe haben, die ihr eventuelle lästige Nachfragen ersparten. Also griff Madiha nach dem Messer in der schwabbeligen Hand und sah sich nach den Kartoffelsack um. „Aye!“, versuchte wie seemännisch zu klingen, als sie ihn entdeckte. Das Mädchen griff beherzt zu, merkte ihre Arme bei dem Gewicht und der vorangegangenen Arbeit und musste neu fassen, um das Gewicht zu heben. Sie verließ die Kombüse wieder, kam dann allerdings ohne Kartoffeln wieder zurück und suchte nach einem Topf oder einer großen Schüssel, um dort die geschälten Erdäpfel hineinzutun. Sie fand einen großen Topf, den sie sich ohne zu fragen schnappte und verschwand dann. Madiha versuchte allem Herr zu werden, bis sie die Kartoffeln in den Topf und das Messer zwischen die Zähne nahm, um die Stufen tiefer hinab zu gehen. Hier unten suchte sich das Mädchen einen geeigneten Platz und stellte alles auf dem Boden ab. Sie hockte sich vor den Eimer, schnitt den Sack mit dem Messer an und begann damit die Kartoffeln zu schälen, wie es ihr aufgetragen worden war. Madiha arbeitete emsig und fleißig und verfiel in ein altes Muster: Stoisch nahm sie sich Kartoffel um Kartoffel vor und weigerte sich, über alles nachzudenken. Jetzt wo sie alleine war mit sich und dem Gemüse, wollten ihre Gedanken gerne gehört werden, doch die Sarmaerin verdrängte einfach das was ihr derzeit nicht passte. Dass sie Angst davor hatte, wie diese Schnapsidee für sie ausgehen könnte.
Dass Caleb sie verraten hatte, dass sie Dunia und Ilmy nicht mehr wiedersehen würde… all den Schmerz verbannte Madiha tief in sich und war nur der dürre Junge, der Fischauge half. Es dauerte eine Weile, bis sie den gesamten Sack geschält hatte und die Schale, wir ihr aufgetragen, durch ein Bullauge quetschte. Madiha hievte den Eimer mit den geschälten Kartoffeln hoch und hatte Mühe ihn zu tragen, bevor sie ächzend wieder zur Kombüse kam. „Hier, deine Kartoffeln!“, sagte sie mutiger und mit verstellter Stimme. Danach zog sie die Zuckerrüben hervor. Madiha stutzte. So richtig wusste sie nicht, wie man die schnitt. Mit einer Rübe in der Hand, wandte sie sich an den Smudje: „Ehm, Fischauge? Wie soll ich die schneiden? Scheiben oder Stücke?“, fragte sie ehe sie die Rübe wieder in den Korb zurück legte.
Nachdem Fischauge ihr erklärt hatte wie er die Zuckerrüben geschnitten haben wollte, dampfte das Mädchen auch mit diesem Gemüse ab in die unteren Deckbereiche, um sich dort über die Rüben herzumachen. Es war keine anspruchsvolle Aufgabe, aber Madiha war zufrieden damit sich nützlich zu machen. Vielleicht konnte sie ja so die Überfahrt überstehen und wer wusste schon, was sich ihr vielleicht für Chancen ergaben.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Montag 27. Dezember 2021, 12:03

Da war sie nun. Sie hatte es geschafft und letztendlich, ohne auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Nun, dies stimmte nicht vollends. Immerhin käme sie kaum mit einem Schiff aus Sarma und von der Insel Belfa fort, wenn sie nicht die Fähigkeiten anderer in Anspruch nähme. Niemand kann ein so gewaltiges Schiff wie jenes, auf dem sie sich nun befand, allein steuern. Aber sie war hierher gelangt, ohne vorab Geld oder Verbindungen anderer spielen lassen zu müssen. Sie war hier, ohne dass Caleb sie dieses Mal aus der Patsche hatte retten müssen. Wo er wohl steckte? Jedenfalls nicht an Bord der Blauen Möwe. Sie hatte ihn weder unter den Soldaten entdeckt, noch befand er sich in der Kombüse.
Fischauge allein machte schon viel Raum dort aus. Den Rest befüllten die Schränke und die dicke Luft, von deren zwiebelhaltigen Nuancen Madiha noch immer die Augen brannten. Wie gut war es, dass sie sich zum Kartoffelschälen hatte zurückziehen können! Je weniger Kontakt sie zu den anderen Matrosen hatte, desto besser. So blieb ihre Tarnung als Junge vorerst problemlos erhalten. Jakub Tauwetter mochte sie zwar entdeckt haben, aber er schien keinen Verdacht zu schöpfen, dass sie nicht der Lausbube war, der einfach nur aus Sarma fort wollte. Sie durfte weder ihm noch anderen die Gelegenheit geben, sie vor der Abreise doch noch von Bord zu werfen, also befolgte Madiha als neuer "Schiffsjunge" die Befehle mit mehr als gespieltem Eifer. Sie nahm den Sack Kartoffeln, das Messer zum Schälen und ließ Fischauge in der Kombüse zurück. Der Smutje nickte zufrieden über ihre Selbstständigkeit. Ihm war es lieb, Unterstützung zu erhalten. Er bevorzugte es aber noch mehr, wenn er kein Auge auf diese Unterstützung haben musste. Seine Fischaugen waren schon zu sehr von der Mahlzeit eingenommen, deren Geruch sich nun tief in die Maschen von Madihas Kleidung gegraben hatte. Sie vernahm noch immer das Aroma von Lauch und Zwiebeln, als sie schön längst in dem langen Rumpf des Schiffs angekommen war. Er unterteilte sich in drei fast gänzlich voneinander abgetrennte Bereiche. Ganz hinten im Heckbereich, dort wo sie nun stand, befand sich ein Lager für alle Utensilien, die die Mannschaft für sich selbst benötigte. Mehr Säcke, gut vertäute Körbe, Fässer und kleinere Kisten, die sogar teilweise beschriftet waren. Das meiste waren Nahrungsmittel, die nicht so schnell verdarben und gepökeltes Fleisch oder Fisch. In diesem kleinsten Bereich des Rumpfes fand sich also der Schiffsbedarf für die Mannschaft selbst. Durch einen breiten, aber stabilen Türbogen hindurch konnte Madiha in den deutlich größten Teil blicken, den der Rumpf ausmachte. Hier war das Lager für sämtliche Fracht, die die Blaue Möwe zum Festland mitnahm. Ob es sich dabei ebenfalls um Bedarf der Mannschaft oder Waren handelte, die man jenseits von Sarma an den Mann bringen wollte, ließ sich schwer feststellen. Madiha erkannte den Unterschied einzig dadurch, dass es weniger lose Säcke oder Körbe gab und die gut verschnürten Kisten dafür umso größer waren. Außerdem lagen reichlich Taue herum, deren Dicke fast das Doppelte ihres Armes ausmachten. Noch weiter vorn, im Bug-Bereich des Schiffes, musste sich ein weiterer Abschnitt des Rumpfes befinden. Madiha konnte nur vermuten, was dort war, denn den Zugang versperrte eine vergitterte Tür. Durch diese erkannte sie aber bereits zwei übereinander und zwischen Balken angebrachte Hängematten. Wahrscheinlich handelte es sich um die Mannschaftsquartiere. Sie würde es schon noch erfahren, falls man sie nicht bei den Kartoffelsäcken nächtigen ließ. Apropos Kartoffeln! Sie hatte zu tun!
Die Arbeit fiel ihr nicht schwer. Erinnerungen an ihre Pflichten als Sklavenmädchen kamen hoch und mit ihr die eingetrichterte Mechanik, einfach stur das zu tun, was man von ihr erwartete. Sie konnte ihre Gedanken ausschalten, um innerliche Ruhe zu finden, ohne dass sie dadurch die Arbeit vernachlässigte. Knolle um Knolle schabte sie mit dem Messerchen ab und warf die Schale dann durch eine der Luken an den Seiten des Schiffes. Sie kannte deren Funktion, selbst wenn sie niemals zuvor an Bord gewesen war. Hier stellte man die ausgebildeten Feuermagier Sarmas hin, um sie bei Seegefechten mit Feuerbällen durch die Öffnungen auf das gegnerische Schiff schießen zu lassen. Sie waren lebendes Geschütz! Ob es Feuermagier auf der Blauen Möwe gab? Hätte Ilmy einen solchen Posten übernehmen können, wäre sie nun bei ihr? Aber das pausbäckige Mädchen war nicht hier. Sie hatte sich freiwillig Dunia und ihrer Sache bei den Wüstendieben angeschlossen. Sie würde eine wunderbare Pflegerin abgeben, fühlte sich dort wohler als in der Akademie und würde ihren Weg gehen. Genau so wie Madiha den ihren einschlug.
Die Zeit verging mit jeder weiteren Kartoffel, welche ungeschält ihren Weg aus dem Sack und in den mitgenommenen Topf fand. Als dieser voll genug war, dass nur noch eine Hand breit Wasser hinein passen würde, bevor er überlief, beendete der falsche Schiffsjunge seine Arbeit. Noch immer befanden sich genug Kartoffeln im Sack, dass Madiha noch einen zweiten Topf hätte befüllen können, aber diese würde sie mit Sicherheit auch noch schälen. Nur nicht jetzt. Sie hatte ihre Pflicht erfüllt. Niemand war ihr in der Zeit begegnet, wenngleich sie immer wieder Matrosen hatte auch durch den Schiffsrumpf gehen sehen. Aber sie alle hielten Abstand, hatten ihre eigenen Aufgaben zu erfüllen und erst jetzt, da die Konzentration vom Schälen des Gemüses abfiel, bemerkte das Mädchen, dass das Schiff ein Schaukeln angestimmt hatte. Befanden sie sich bereits auf See?!
Tatsächlich. Ein Blick durch ihre Kartoffelschalen-Luke bestätigte es. Weit und breit war nur noch das blaue, nach Salz und Fisch durftende Meerwasser zu erkennen. Kein Hafen mehr. Kein Sarma mehr. Und Caleb hatte sie nicht gerettet...
Sie verbannte jeden Gedanken an den Dieb aus ihrem Kopf und konzentrierte sich auf den Schmerz in ihren Armen. Der Topf hatte mit all den Kartoffeln ordentlich an Gewicht zugelegt. Sie konnte ihn nur langsam zur Kombüse zurück schleppen. Fischauge empfing sie mit einem etwas zu forsch geblökten: "Draußen bleiben!"
Als er sich der Schärfe seines Gebells selbst bewusst wurde, besann er sich. "Aye, so'n Seemanns-Ton legst'e dir zu, wenn Tauwetter dein Erster Maat ist." Er kratzte sich den Hals und schob seine untersetzte Gestalt dann aus der Kombüse heraus. Mit einem Wink hinein deutete er Madiha an, ihren Topf neben der blubbernden Variante auf eine freie Arbeitsfläche beim Ofen zu stellen. "Gut gemacht", lobte der Smutje etwas unbeholfen im Versuch, die Wogen wieder zu glätten. Dann aber hatte er eine bessere Idee. "Jetzt hab ich tatsächlich nix mehr zu tun für dich, Bursche. Lass die Rüben mal meine Sorge sein. Geh an Deck, guck dir die See an. Oh und schnapp dir einen Apfel aus den Fässern, die ich immer für die Mannschaft bereit stelle. Solang sie noch gut sind, ist das gutes Zeug, um nicht an Skorbut zu sterben." Er lachte, aber es klang nicht so offen scherzhaft wie vorhin, als er Jakub geneckt hatte. "Du findest die Fässer gut vertäut unter der Treppe, die aufs obere Heckdeck führt. Da wo's Ruder ist. Hast'e schon mal ein richtiges Ruder gesehen oder bist'e in Sarma immer nur durch die Straßen gerannt? Aye, geht mich nix an. Jetzt gehörst'e der Blauen Möwe, bis die See dich holt. Lass uns später bisschen plaudern, wenn die Mannschaft gegessen und ich mein Tagwerk verrichtet hab. Kannst vielleicht sogar deine Hängematte beim alten Fischauge aufhängen. Ich schnarch auch nicht, aye!"
Madiha hatte nun also Freigang, wenn auch nicht viel angesichts der Tatsache, dass das Schiff nicht so groß war wie Sarma selbst. Aber sie durfte nun mit offizieller Erlaubnis nicht nur einen Apfel suchen, sondern sich auch an Bord umschauen. Vielleicht gab es interessante Dinge zu entdecken oder jemand fand Beschäftigung für sie.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 2. Januar 2022, 11:25

Es tat gut sich einfach nur auf etwas konzentrieren zu können, das sich einzig und alleine auf ihre Hände beschränkte. Sie schälte die Kartoffeln und bald schon hatte sie die komplizierte Gefühlswelt eines freien Menschen vergessen. Madiha ging regelrecht in der Arbeit auf und fiel weich in ein gut gekanntes Netz, das sich wie ein alter wenn auch unliebsamer Freund anschmiegte. Sie kannte das. Die Situation in der sie sich befand war absolutes Neuland für die Sarmaerin und da tat es gut, sich auf etwas Handfestes verlassen zu können. So beeilte sich Madiha auch nicht überschwänglich, machte ihre Arbeit aber fleißig.
Erst als sie fertig war erhob sie sich aus ihrem Sitz und klaubte die Schalen zusammen, die sie im nun leeren Eimer zu den Bullaugen trug. Noch immer in der Einfachheit gefangen, fiel ihr erst die Veränderung um sie herum auf, als sie eine Handvoll Schalen durch das Auge schob. Madiha starrte wie festgefroren auf das Blau. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass das Schiff schaukelte und sie musste das sanfte Wiegen durch ihre Körperhaltung ausgleichen. Ihre Fähigkeit sich völlig zurückzuziehen hatte dazu geführt, dass sie nicht mal bemerkt hatte, dass sie sich längst nicht mehr im Hafen befanden. Ihr Herz verkrampfte sich seltsam, als sie durch die anderen Bullaugen schaute und nichts als Wasser erkennen konnte. Sie wurde nervös. Jetzt war sie ausgeliefert, das wurde ihr bewusst. Sie hatte sich waghalsig und kopflos in diese Lage gestürzt und doch flammte ein leiser Zweifel in ihr auf, ob das auch richtig war. Dunia hatte gehofft, sie würde Caleb finden und im besten Falle zurückbringen. Nichts davon hatte Madiha getan – sie hatte sich um sich gekümmert, geboren aus der harten Schule die sie das lehrte.

Sich vom Anblick des Wassers losreißend, schaffte sie schleunigst die restlichen Schalen weg, ehe sie den Kartoffeltopf hochhievte und einige Mühe damit hatte. Gerade auch wenn das Schiff schwankte hatte sie erheblich damit zu kämpfen, alles gut fest zu halten. Der Rucksack von Dunia stand nun an ihrem Schälplatz und sie entschied, dass sie ihn dort stehen lassen würde, bis sie ihn vielleicht woanders verstauen konnte. Sie ging sogar, den Topf abstellend, noch mal zurück, um den Rucksack etwas weniger sichtbar zwischen zwei Kisten zu schieben. Danach brachte sie Fischauge die fertigen Kartoffeln. Unter seinem Befehl zuckte Madiha kurz zusammen und harrte aus, bis sich der dicke Koch etwas fing und sie sogar hineinließ. Das Mädchen nickte stumm und ächzte unter den Brennen ihrer Arme vom Schleppen der Fracht bis zum Schleppen des Topfes.
Sie wuchtete ihn auf die freie Feuerstelle und atmete aus. Sie war ganz zufrieden mit sich, denn es fühlte sich irgendwie auch gut an, dass sie helfen und beschäftigt werden konnte. Dieses Mal war es eben anders: Sie wurde nicht dazu gezwungen, sie entschied sich dafür und zahlte so ihre Mitfahrt auf dem Schiff. Madiha empfand dies als ehrliche Arbeit die eine Gegenleistung erhielt. Damit konnte sie sich sehr gut arrangieren, denn etwas geschenkt haben, wollte sie noch nie. Also bot sie an, dass sie nun die Rüben schälen würde, doch Fischauge entließ sie. Doch damit nicht genug, er schien sogar tatsächlich zufrieden mit ihr zu sein.
Unter ihrer schiefen Mütze die sie bisher vor der Entdeckung gerettet hatte, lugten die graublauen Augen etwas mutiger hervor und sie verzog sogar einen Mundwinkel. So schroff wie es den Anschein machte, schien er gar nicht zu sein und irgendwie konnte sie den Smutje bisher ganz gut leiden. Madiha verstellte ihre Stimme wieder etwas und nickte klar und deutlich. „Hab nie einen Fuß an Bord gesetzt.“, antwortete sie auf seine Fragen und war überrascht, als er sie tatsächlich freistellte. Die Sache mit dem Apfel klang allerdings ziemlich gut, wie ihr Magen ihr gleich darauf fordernd mitteilte. „Ruf mich wenn du Hilfe brauchst. Und … danke“, sagte sie und wandte ihm schon den Rücken zu, um die Kombüse zu verlassen.

Draußen wischte sie sich die Augen und bemühte sich den Zwiebeldunst zu entfernen. Als sie halbwegs wieder sehen konnte, fand sie den Weg den er ihr beschrieben hatte und auch die Fässer. Draußen am Oberdeck schlug ihr eine ordentliche Brise entgegen, die sie tief Luft holen ließ. Sie ließ einen Moment den Wind und die Helligkeit auf sich wirken, ehe sie ihre Lippen beleckte und merkte, dass sie salzig schmeckten. Madiha trat langsam aus dem Dunkel der unteren Decks hervor und griff in eines der Fässer, um sich einen saftigen Apfel zu nehmen. Ihre Augen suchten das Deck ab, beobachteten die anderen Matrosen und prüfte, ob es etwas zu tun geben könnte, ehe sie doch tatsächlich dem Rat des Kochs folgte und auch das nächste Deck erklomm, um sich das gewaltige Ruder anzusehen. Madiha blickte darauf, ehe sich ihr Blick aber in der Weite des Meeres verlor. Ringsherum, sie drehte sich einmal um sich selbst, war nichts als Wasser. Eine leise Beklemmung erfasste sie, die sie gar nicht recht greifen konnte. Immerhin war das Meer wunderschön und sie konnte dem Wind und dem Rauschen auch etwas abgewinnen. Schon in den Gärten der Akademie hatte das Rauschen des Windes sie beruhigen können. Doch… die schieren Massen des Ozeans lösten in ihr eine Urangst aus, die sie nicht mit ihrer Neigung zur Feuermagie in Verbindung brachte. Madiha trat an die Reling und lehnte sich mit den Unterarmen darauf. Sie schaute hinunter, biss in ihren Apfel und sah die Luken, die sie eben noch von innen sehen konnte.
Da standen sie dann also, die Absolventen der Akademie und verteidigten die Schiffe mit ihrer Magie. Madiha musste sich plötzlich fragen, ob sie selber so jemand sein könnte? Wenn sich alles anders entwickelt hätte. Wenn sie die Ausbildung hätte machen können. Madiha wusste bisher nur, dass wenn sie wütend war oder Angst hatte, sich unerklärliche Hitze ausbreitete. Hätte sie eine Magierin sein können wie Ilmy sie anfangs in ihr sah? Madiha seufzte lautlos und wandte den Blick ab. Offenbar hatte die See eine ganz eigene Magie: Sie brachte die Gedanken in Wellen und schürte das Nachdenken. Jetzt fiel ihr Blick allerdings auf die großen Segel und hier oben, am Steuerrad, erfasste sie überhaupt die Größe des Schiffes, auf dem sie angeheuert hatte. Madiha vergaß dabei den Apfel zu essen und staunte über die faszinierende Schönheit des Schiffes. Wohin brachte sie das Schiff eigentlich? Wie sah ihre Zukunft aus? Was würde eigentlich passieren, wenn man herausfand, dass sie ein Mädchen war? Madiha zog sich wieder etwas zurück und suchte eher die Einsamkeit, als sich mitten ins Getümmel zu stürzen.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Freitag 7. Januar 2022, 06:27

"Keine Sorge, Bursche! Auf einem Schiff entkommst'e mir nicht!", rief ihr Fischauge noch hinterher, als Madiha sich schon auf den Weg an Deck machte. Die salzige Seeluft empfing sie mit einer Frische, welche sich viele Bewohner Sarmas gern in den engen Straßen und Gassen der Wüstenstadt wünschen würden. Sie riss nicht nur den Zwiebeldunst aus Madihas Kleidung mit sich, sondern weckte auch die Lebensgeister. Der Wind kam nicht beißend, aber kräftig. Er blähte die Segel der Blauen Möwe, dass das Schiff sie von allein in die blaue Weite des Ozeans hinaustrug. Kein Mitglied der Besatzung würde mit Rudern aushelfen müssen, wobei diese Konstruktion von einem Schiff auch gar nicht dafür gedacht war. Das Segel übernahm die komplette Aufgabe und das sah sogar eine Unwissende wie Madiha schnell. Nur wenige der Mannschaft mussten jetzt wirklich arbeiten. Sie behielten den Wind im Auge und dass die Taue sich nicht losrissen. Ein Mann hockte ganz weit oben auf dem Mast in einem Korb. Mit einem Fernrohr schaute er auf das Wasser hinaus. Im erhöhten Heckbereich sie Jakub Tauwetter zusammen mit einem weiteren Matrosen eine Karte studieren, während ein Dritter das Schiffsruder ausbalancierte. Viele der Matrosen, die sich an Deck befanden, taten aktuell kaum etwas. Sie hockten im Schatten der Reling, zwischen einigen an Bord befindlichen Kisten und vertäuten Fässern. In einer Ecke unterhielt man sich, in einer anderen packte ein Besatzungsmitglied ein seltsames Instrument aus. Die Klänge hatte Madiha nie zuvor vernommen. Golden glitzerte das wie ein schmaler Metallbarren gestaltete Gerät, als der Mann es an seine Lippen führte und Luft durch viele kleine Löcher blies, um so eine befremdliche Melodie erklingen zu lassen. Sogleich begannen ein paar der Männer ein rauses Seemannslied von stolzen Kapitänen und barbusigen Meerwesen anzustimmen. Der Klang der Mundharmoniko gab dem Gesang den richtigen Schwung.
Madihas Magen aber meldete sich, dass sie den versprochenen Apfel suchen sollte. So steuerte sie zunächst die Fässer an, welche sie sogar ohne Wegbeschreibung hätte finden können. Jemand war so aufmerksam gewesen, die an Deck befindlichen Fässer mit kleinen Etiketten zu versehen. Auf jedem einzelnen erkannte man ein anderes Symbol. Da gab es eine mit gleich dreifach eingezeichnetem X, einen Fisch - das Fass roch entsprechend - und natürlich auch eines mit dem Apfelsymbol. Aus letzterem griff Madiha sich ein besonders großes Exemplar, das saftig rot im Sonnenlicht schimmerte.
Noch auf dem ersten Bissen herum kauend erklommt sie die mehrfach neu genagelte Treppe zum hinteren Heck. Tauwetter schaute sofort von der Karte auf, musterte den mutmaßlichen Schiffsjungen streng, sagte aber nichts. Als der Matrose an seiner Seite ihm eine Frage über irgendwelche Seerouten stellte, widmete Jakub seine Aufmerksamkeit erneut ihm und der Karte. Beide Männer unterhielten sich gedämpft und offenbar über sehr fachliche Dinge, denn Madiha verstand kaum etwas. Was hatten Knoten mit der Wahl eines Seewegs zu tun und warum sollte man die Sterne im Auge behalten? Es war alles sehr verwirrend, aber auch enorm beeindruckend. Allein das riesige Ruder, welches der dritte Matrose auf dem hinteren Deck im Zaum hielt, maß einen so großen Durchmesser, dass Madiha es wohl gerade so mit ausgestreckten Armen an beiden Kanten würde berühren können. Welch eine Kraft musste dahinter stecken, das Schiff mit diesem großen Holzrad allein auf richtigem Kurs zu halten?
Mehrmals wirbelte sie sich um die eigene Achse, ehe sie Ruhe an der stabilen Reling fand und auf das Mitteldeck herabblicken konnte. Keiner echauffierte sich darüber, dass sie nicht arbeitete. Man würde dem neuen Schiffsjungen schon eine Aufgabe zuteilen, sobald er benötigt würde. Bis dahin schien sie tatsächlich die Erlaubnis und Freiheit zu haben, einfach die Reise zu genießen.
Das wäre garantiert auch gelungen, hätte sie nicht im richtigen Moment einen Blick auf die vergitterten Ladeluken geworfen. Zwischen den Metallbarren hindurch erkannte sie einen vertraut braunen Haarschopf. Das allein hätte noch keinen aus der Ruhe gebracht. Aber der Blick, welcher sich nur für den Bruchteil einer Sekunde mit ihrem kreuzte, ging ihr durch Mark und Bein. Diese Augen. Sie kannte sie wie kein zweites Paar auf Celcia. Oft genug hatte sie inzwischen hinein gesehen, die vielen Facetten darin erkannt und war ihnen doch niemals auf den Grund gegangen. Sie hatte nie ganz erkennen können, ob Lug und Trug hinter dem Blick stand oder der behauptete Eigennutz, mit dem der Träger dieser Augen sie überhaupt gerettet und mitgenommen hatte. Immer und immer wieder.
Ihr Herz meldete sich, als es schwer auf ihren Magen zu sinken drohte, während dieser trotz des leckeren Apfels einen Knoten bildete. Alles in Madiha sackte in sich zusammen. Gleichzeitig durchzuckte sie etwas. Dann verschwand das Augenpaar wieder im Schatten der Schiffsräume. Dennoch konnte sie sich sicher sein bei dem, was sie gerade gesehen hatte. Caleb hatte sie angeschaut. Das war keine Einbildung gewesen!
"Bekommt dir die Seeluft nicht, Bursche?", schreckte Jakub sie auf. Er stand plötzlich neben ihr an der Reling, groß und breitschultrig. Das blutrote Halstuch flatterte im Wind, ansonsten hatte das Element alle Hände voll zu tun, um gegen diesen Felsen von einem Mann anzukommen. Selbst sein Hut mit der schwarzen, steifen Krempe schien unmöglich von seinem kahlen Kopf gefegt werden zu können. Schon traf Madiha sein eisblauer Blick. "Wenn du seekrank bist, sag es gleich ... und kotz niemals gegen die Windrichtung, aye?" Die Pranke, welche Jakub nach ihr austreckte, schob sich unter Madihas Kinn, um es anzuheben. Er musterte sie eindringlicher und kurz runzelte er dabei die Stirn. Erkannte er gerade das Mädchen in ihr?
"Du bist blasser als vorhin. Seekrank, kein Zweifel. In den Truhen unter Deck findest du Hängematten. Such dir zwei Balken und binde eine dazwischen. Dann leg dich schlafen, bis dein Körper sich an das Schaukeln gewöhnt hat. Wir brauchen dich vermutlich erst wieder, wenn's dämmert. Dann hat die Mannschaft gegessen und die Hälfte davon auf's Deck gespuckt." Schon war klar, was Madihas Hauptaufgabe während der Fahrt werden dürfte. Jakub ließ ihr Kinn wieder los. "Ruh dich aus, Bursche. Erschöpft nutzt du hier niemandem. Und lass dir von einem der Männer eine Seemannsgeschichte erzählen. Sowas lenkt von der Übelkeit ab."
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 9. Januar 2022, 13:46

Immer wieder wurde Madiha von der Seeluft erfasst und sie konnte nicht leugnen, dass der Wind eine angenehme Wirkung auf sie hatte. Je länger er sich unter die schäbige Kappe verirrte, desto ruhiger wurde sie im Innern. Nachdem sie den Apfel in den beschriften Fässern gefunden hatte kam sie aus dem Schatten hervor und suchte sich den Weg, den der Smutje beschrieben hatte. Ihr fiel im Vorbeilaufen auf, dass sich einige der Matrosen nur ab und an mal um Aufgaben kümmerten, es ansonsten aber eher ruhig wurde. Offenbar war vorerst die meiste Arbeit getan und der Wind und die gewaltigen, weißen Segel taten ihr Übriges. Das Mädchen wollte gerade die erste Stufe auf das Oberdeck nehmen, als ein seltsamer Klang ertönte. Sie hielt inne und suchte im Schatten ihrer Kappe verborgen nach dem Ursprung. Ihr Blick fiel auf einen Seemann mit kahlem Kopf und einer Tätowierung am Hals. Von ihm ging das seltsame Gedudel aus und fasziniert beobachtete Madiha, wie alsbald einige andere Matrosen ein Lied anstimmten. Das Mädchen verharrte in ihrer Position, lauschte einen Moment und konnte sich nur mit Mühe losreißen, während die Melodie sie auf ihrem Weg nach oben begleitete. Es war ein heiteres Lied und sie fragte sich, ob das Leben an Bord eines Schiffes eigentlich begehrt war. Ihr kam es seltsam frei vor.
Oben angekommen fing sie den strengen Blick von Jakub Tauwetter auf. Sofort brach sie den Blickkontakt ab und ließ den Apfel sinken, um sich unsichtbarer zu machen, als sie tatsächlich war. Verlegen suchte sie die entgegengesetzte Richtung auf, lehnte sich gegen die Reling und schaute auf das Wasser. Im Nacken hatte sie das Gefühl immer noch Jakubs Blick zu spüren, doch als sie sich das nächste Mal umdrehte, hatte er sich bereits wieder mit dem anderen Seemann in Gespräche vertieft. Madiha blickte auf das gewaltige Steuerrad und biss abermals vom Apfel. Sie konnte kaum verstehen, wie so etwas kleines ein Schiff dieser Größenordnung lenken konnte. Es war faszinierend für das Mädchen das kaum etwas in ihrem Leben kennengelernt hatte und so ging sie auf die Reling an der Treppe zu, um auf das Mitteldeck zu blicken. Es war atemberaubend und majestätisch- zumindest für ihre unbedarften Augen. Sie lächelte etwas, denn sie erfasste ein seltsamer Frieden und so lehnte sie sich etwas mutiger auch hier auf das Holz und aß ihren Apfel, während sie beobachtete, wie weiter hinten an Deck einige Karten ausgepackt wurden. Nach einer Weile ließ sie die Spieler aus ihrem Blick und wanderte weiter. Eine Möwe kreischte und sie hob den Blick und zum Krähennest des Schiffes wo sie einen Mann erkannte, der offenbar Ausschau hielt. Blinzelnd ließ sie die Augen sinken und streifte wieder das Deck, als jemand einen Eimer umkippte. Kurzes Gelächter ließ auch sie leicht lächeln, ohne dass sie Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Sie war eine stille Beobachterin in dieser ungewohnten Umgebung und das passte ihr zurzeit auch ganz gut. Es war sicherlich zu früh, doch Madiha musste sich fragen, ob das ein Leben wäre, das sie führen könnte. Natürlich konnte sie sich nicht auf ewig als Junge ausgeben, irgendwann wäre das Versteckspiel aufgeflogen und sie vermutlich im hohen Bogen im Wasser gelandet, doch … träumen durfte sie sich inzwischen erlauben.

In den Jahren ihrer Versklavung hatte sie sich ein besseres Leben nicht wirklich plastisch vorgestellt.Es war lediglich eine fixe Idee, dass da mehr sein musste. Sie wusste nicht wie dieses ‘besser’ aussehen sollte, doch jetzt? Jetzt wo sie mit jeder Stunde und jedem Tag in Freiheit neues lernte und kennenlernte, nahm ihr besseres Leben Formen an. Noch in ihren Gedanken schwelgend, biss sie abermals vom leckeren Apfel ab und gerade als ihr der Saft davon die Kehle hinunterlaufen wollte, erfasste sie etwas im Laderaum. Dunkles Haar. Sie stutzte und hörte auf zu kauen. Stirnrunzelnd beobachtete sie den Schopf und kniff etwas die Augen zusammen, als könnte sie diesen nicht trauen. Dann jedoch tauchte ein Augenpaar auf und der Blick der sie traf, ließ sie nach Luft schnappen und sich erschrocken aufrichten. Sie hustete, denn der Saft vom Apfel gelangte dabei in die falsche Röhre und sie brauchte eine Sekunde, um sich zu beruhigen, bevor sie noch jemandes Aufmerksamkeit auf sich zog. Madiha starrte auf den Punkt, wo sie die ihr bekannten Augen gesehen hatte. War das möglich? Niemand sonst schien etwas gesehen zu haben, denn keiner machte auch nur ansatzweise Anstalten sich dem Laderaum argwöhnisch zu nähern. Das Mädchen konnte seinen Blick nicht von der Stelle abwenden, die ihr gehörig auf den Magen geschlagen hatte. Caleb. Er war hier?! Wie war das möglich und wieso... Ihr Magen zog sich zusammen und rebellierte gegen den Apfel darin. Sie presste sich den Handrücken gegen die Lippen, weil sie fürchten musste, sich sonst zu übergeben. Ihre Knie wurden flau. Er war hier... Sie wusste nicht was sie darüber denken sollte. Vieles flammte in ihrem Innern auf: Zum einen war das der allgemeine Schreck, weil sie damit nicht gerechnet hatte. Zum anderen aber war da die Wut auf ihn, weil er sie und Dunia einfach zurückgelassen hatte.
Dann die Enttäuschung, dass er ohne sie wirklich gefahren wäre. Und die simple Tatsache, dass es sicherlich Probleme bereiten würde, dass er dort war. Oder war er vielleicht ganz offiziell hier? Irgendwie ging sie automatisch davon aus, dass Caleb sich eingeschlichen hatte. Vielleicht lag das an dem, was sie bisher von ihm kennengelernt hatte. Dass er sich lieber aus der Verantwortung zog, als sich ihr zu stellen. Doch bevor Madiha noch einen weiteren Gedanken dazu fassen konnte, wie sie nun vorgehen wollte, baute sich neben ihr ein Schatten auf, der sie augenblicklich kleiner werden ließ. Vorsichtig lugte sie zur Seite hoch und erfasste den Blick von Jakub. Madiha schluckte und bemerkte erst jetzt, dass sie noch einen Rest Apfel im Mund gehabt hatte. Er griff nach ihr und sie konnte nicht verhindern, dass er ihr Kinn zufassen bekam und es dem Licht entgegen reckte. Unruhig hing sie in seinem Griff und wollte nichts lieber, als davon weg. Sein Blick... er erkannte sie, er wusste Bescheid. Durchzuckte es ihren Geist und Madiha wagte nicht mal zu atmen. Seine Worte kamen kaum gegen ihre Barriere aus Angst und Verwirrung an, wieder mal. Als sie jedoch erkannte, dass er sie nicht augenblicklich dem Wasser zuführen würde, sondern tatsächlich dafür sorgen wollte, dass es ihr besser ginge, entspannte sie sich etwas. Seekrank? Was war das? Madiha nickte stumm und eingeschüchtert, dass sie verstanden hatte. Er ließ sie endlich los und Madiha prüfte augenblicklich, ob ihre Kappe noch richtig saß und nicht den Blick freigab auf ihre dunkle Mähne. “Aye...”, kam es dünn von ihr, sodass sie sich räusperte. “Danke.”, setzte sie etwas stärker nach und schob sich an dem Hünen so schnell wie möglich und langsam wie nötig, um keine Aufmerksamkeit mehr zu erregen, vorbei. Jakub wirkte zwar nicht grausam, aber er löste dennoch Unbehagen in ihr aus. Vermutlich lag das an ihrer Identität und daran, was er alles mit ihr machte, wenn er herausfand, dass sie nicht nur an Bord geschlichen, sondern auch noch ein Mädchen war. Doch jetzt nahm sie die Stufen hinunter und an den Fässern vorbei, schleunigst in den Rumpf des Schiffes. Ihren Apfel hatte sie zwar noch in der Hand, aber völlig vergessen. Sie lief beinahe die Stufen hinab, bis sie vor den Hängematten stand, die sie bereits beim Schälen erkannt hatte. Doch sie hielt inne, starrte darauf und drehte den Kopf zum Laderaum. Madiha wagte kaum zu atmen, denn sie wusste nicht was sie hoffte zu finden. War es nun Einbildung? Nein... Es war so klar und so erschreckend gewesen, dass es einfach wahr sein musste. Und was, wenn es Caleb war der dort wartete. Hatte er sie eigentlich erkannt? Vermutlich nicht... Madiha’s Herz klopfte, als sie sich umwandte und den Weg zum Laderaum nahm. Sie musste nachsehen, sie musste wissen was vor sich ging und sie musste für sich selber erkennen, was das für sie bedeuten würde. Denn eines war sicher: Er hatte es gehörig verbockt.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Freitag 14. Januar 2022, 09:11

Romantisiert mochte jeder noch so simple Beruf entweder das große Abenteuer, Freiheit, Reichtum, die große Liebe oder am besten alles zusammen bedeuten. Welcher Poet schrieb nicht gern über die malerische Schönheit einer Stadt im Mondlicht, während der verwegene Wüstendieb über die flachen Dächer Sarmas hinweg sprang, um die teuersten Juwelen für eine Angebetete zu rauben? Welcher Barde besang nicht die ruhmreichen Taten eines wilden und stolzen Freibeuters, der erneut ein Schiff enterte, einen Schatz barg oder die nächste Liebelei mit einem Wesen des Meeres beging, das halb Frau und halb Fisch war? All diese Geschichten klangen zu schön um wahr zu sein. Selbst Madiha hätte wohl mit den Augen gerollt, denn sie wusste es besser. Keine Bauch- oder Schleiertänzerin eines sarmaer Harems wurde auf Händen getragen, in höchsten Tönen gelobt oder blieb unberührt bis der muskulöse Held der Geschichte sie auf den Rücken eines Kamels hob und in die Freiheit entführte. Die Realität sah oftmals ganz anders aus, unabhängig wo sie stattfand. Die Tänzerin wurde all ihrer Unschuld beraubt und das nicht nur vom Hausherren, in dessen Harem sie nichts weiter als ein Besitz von vielen war, sondern auch von dessen Gästen, um Verhandlungen zu den Gunsten des Hausherren zu bestimmen. Der verwegene Wüstendieb genoss weder Mondlicht noch Freiheit, wenn er sich zum Schlafen in Kot verschmutzten Gassen niederlassen musste oder erneut vor den Wachen der Stadt floh, damit sein Leben nicht am Galgen endete. Und auch ein Freibeuter mochte es schwer haben. Wie viele Seelen lasteten auf seinem Gewissen, wenn er ein Schiff enterte und die Mannschaft anschließend Kielholen ließ? Wie erging es ihm, wenn angesichts mangelnder Vitamine auf See seine Zähne faulten oder er in einem schweren Sturm ein Bein verlor und sich an einen wurmstichigen Ersatz aus Holz gewöhnen musste, der seinen Stumpf regelmäßig wund scheuerte?
Die Realität sah ganz anders aus. Nichts davon schrie nach Freiheit oder Romantik. Und doch konnte Madiha gerade ein Stück von dem genießen, was Schriftsteller, Musiker und andere Künstler der Welt mit rosaroter Brille präsentierten. Sie kaute auf einem Apfel, atmete die salzige Meeresbrise ein, beobachtete ein geradezu fröhliches Treiben an Deck und ertappte sich selbst sogar bei den Überlegungen, ob dieses Leben nicht etwas für sie wäre. Sie entdeckte gerade, was es hieß, wirklich zu leben.

Und dann entdeckte sie Caleb. Für Madiha bestand kein Zweifel, dass er es war, der sie durch eines der quadratischen Löcher des Metallgitters heraus anstarrte, das man über die Ladeluke an Deck gelegt hatte, um die Fracht vor einem hohen Wellengang zu schützen. Sie kannte diese Augen, wenngleich dem Blick selbst der sonst so typisch verwegene Hauch fehlte. Stattdessen wirkte er im ersten Moment wachsam, im zweiten ertappt. Caleb hatte auch sie gesehen, da konnte sie sich sicher sein. Warum sonst hatte er sich sofort aus ihrem Blickfeld gerissen und zurück in die Schatten des Laderaums begeben?
Das Bild ließ Madiha nicht los, überschattete sofort ihr Gemüt und weckte einen Sturm an Emotionen in ihr. Auf der einen Seite schien sie Caleb tatsächlich gefunden zu haben, was ihr Herz kurz hüpfen ließ. Zugleich kam die Gewissheit, dass sie Dunias Bitte dennoch nicht würde nachkommen können. Beide befanden sich bereits auf See. Sie konnte Caleb unmöglich am Ohr schnappen und zurück zu der Pflegerin schleifen, die ihr Herz so an ihn verschenkt hatte. Aber er lebte, schien wohlauf und vermutlich erneut in schwierigkeiten? Es war nicht schwer, den Wüstendieb sofort damit in Bezug zu bringen. Bisher hatte Madiha selten das Gegenteil erlebt. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er an Bord angeuert hatte. Dann hätte sie ihn schon entdeckt haben müssen, als sich alle Matrosen für die Ansprache von Kapitän Strontje an Deck versammelt hatten. Er wäre Madiha aufgefallen. Er war nicht unter den Matrosen gewesen.
Sie hätte Jakub fragen können. Als Erster Maat kannte er seine Leute. Das hatte er ihr mehr als deutlich klar gemacht, als er sie sich zum ersten Mal geschnappt hatte. Doch angesichts des streng blickenden Hünen kam ihr der Gedanke wohl nicht einmal. Zumal er ihr eine Möglichkeit in die Hände legte, damit sie sich nun unter Deck zurückziehen könnte. Madiha wusste zwar nicht, wie sich Seekrankheit zeigte und wie sie diese am besten vortäuschen könnte, aber anscheinend machte sie es bereits gut genug, dass Tauwetter es vermutete. Also nickte sie knapp, bedankte sich rasch und nutzte die Gelegenheit, den seekranken Schiffsjungen zu mimen, der sein Heil unter Deck suchte.
Jakub schaute ihr nach. Dann trat der Navigator an dessen Seite, beobachtete ihn und klopfte ihm schließlich kameradschaftlich und als seien beide auf gleicher Position an Bord auf den Rücken.
"Der Kleine gefällt dir wohl, was?"
"Es ist anders, als du denkst..."
, erwiderte Jakub und rieb sich das Kinn.

Madiha hatte es derweil wieder unter Deck geschafft. Aus der Kombüse, an der sie zwangsläufig vorbei musste, konnte sie einen krakeligen Gesang mit Fischauges Stimme vernehmen. Der Smutje bekam die dumpfen Klänge des Mundharmonika spielenden Matrosen bis hierh herunter noch mit und versuchte sich an einer Melodie. Es blieb zu hoffen, dass sein Talent für's Kochen besser war als sein Gesang. Doch Madiha konzentrierte sich nicht lange darauf. Erneut nahm sie die knarrenden Stufen in den Rumpf der Blauen Möwe und schaute sich um. Tageslicht drang als Dutzende kleiner Rechtecke durch das Metallgitter der Ladeluke. Sie erkannte die Stelle, an der sie sich zum Kartoffelschälen niedergelassen hatte. Sie sah wieder all die Fracht, die Kisten, Fässer und Säcker. Das meiste davon war durch Stricke und Taue gesichert. Doch keine Spur von Caleb. Hatte sie sich geirrt? Nein, auf keinen Fall. Sie hatte ihn gesehen und er sie. Die Frage war, ob er sie mit den versteckten Haaren und der Kappe auch erkannt hatte. Wenn nicht, versteckte er sich nun vielleicht, weil er ohnehin nicht an Bord sein sollte und fürchtete, der Schiffsjunge hätte ihn entdeckt.
Unter Deck war es ruhig. Die Mannschaft hatte sich fast geschlossen an Bord versammelt, aber Smutje Fischauge war in seiner Küche beschäftigt. Der kam nicht in den Frachtraum des Schiffes. Das einzige, was Madiha neben dem sanften Schaukeln, dem Schwappen der Wellen, dem Einsickern von Wasser als dünne Rinnsale durch noch dünnere Ritzen der Bohlen vernahm, war das leise Kratzen kleiner Nagerfüße. Ratten gab es immer an Bord. Wichtig war nun, dass sie eine ganz spezielle Ratte fand, denn irgendwo hier musste er doch sein!
Nur wo sollte sie mit der Suche beginnen? Nirgends gab es ein Anzeichen von Caleb. Eines musste man ihm lassen: Spuren hinterließ er keine.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 15. Januar 2022, 15:39

Romantisch war das Mädchen aus Sarma sicherlich nicht. Jedenfalls nicht vordergründig. Was unter der Schicht aus Pragmatismus, Selbstschutz und Abklärung lag, würde wohl so schnell niemand herausfinden. Madiha war zwar noch jung an Jahren, aber ihr Erlebtes hatte ihr das typische Kind genommen. Also waren ihre Gedanken vielmehr eine Art leise Sehnsucht, die aus Überforderung geboren wurde. Sie wollte sich ein eigenes Leben vorstellen und nahm einfach genau das, was sich ihr hier bot. Doch den Gedanken weiter zu spinnen und tatsächlich handfest werden zu lassen, dazu fehlte ihr einfach die Zeit. Denn während sie noch dem Wind und dem Lied lauschte, erfasste sie etwas was ihr binnen Sekunden den Boden unter den Füßen entriss. Madiha meinte sich das Gesehene einzubilden und beharrte darauf, dass es so war, denn alles andere würde ihr zu viel abverlangen. Zu viele Gedanken die sie hätte wälzen müssen und viel zu viel Gefühl, welches sich ihrer bemächtigte. Doch auch hier blieb ihr keine Zeit das Gesehene zu verarbeiten, denn schon wurde sie von dem ersten Maat angesprochen. Ihr rutschte das Herz in die Hose, als sie seine Hand an ihrem Kinn spürte und unweigerlich den Kopf etwas nach hinten lehnen musste, um ihn anzusehen. Ihr wich das Blut aus dem Gesicht, während er scheinbar viel zu lange in diesem verharrte. Er hatte sie erkannt. Das war der einzige Gedanke, den sie noch fassen konnte, bevor ihr das Herz zu laut in der Brust schlug und das Blut tosend durch ihre Gefäße rauschte. Nur dumpf verstand sie die Worte die er sprach und schaffte es mit größter Anstrengung, sich halbwegs so zu verhalten, wie man es vielleicht von einem kleinlauten Schiffsjungen der Seekrank war, erwartete. Sobald es ihr möglich war, eilte sie die hölzernen Stufen der oberen Decks hinunter und fand sich bald schon in der schützenden Einsamkeit unter Deck wieder. Sie blieb einen Moment stehen und kam zu Atem, während sie spürte wie ihre Finger zogen. Ihr Blick fiel darauf und sie erkannte ihren Apfel darin. Tief seufzte Madiha und schaute sich danach um. Erst jetzt hörte sie ein leises Scharren und Krächzen und kurz richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das seltsame Geräusch. Sie ging einige Schritte zur Treppe zurück und lauschte. Ihr wurde bewusst, dass sie völlig kopflos an Fischauges Kombüse vorbeigelaufen war und dass sie nicht mitbekommen hatte, wie er sich offenbar um eine musikalische Darbietung bemühte. Kurz abgelenkt von ihrem eigentlichen Ziel, grinste Madiha. Na hoffentlich waren die Kochkünste besser, als das schaurige Gekratze seiner Stimme. Das Schiff schaukelte kurz und ein Klappern holte Madiha zurück. Sie wandte sich von der Treppe ab, blickte in den Laderaum und erkannte die Kisten mit den Hängematten. Sie hätte sich einfach eine nehmen und festbinden können, so wie Tauwetter es angeordnet hatte. Sie hätte sich hinlegen und die Augen fest verschließen können, dann müsste sie sich jedenfalls nicht dem Unangenehmen stellen, das da auf sie lauerte. Apropos lauern: Ihre Augen sichten automatisch nach Hinweisen, die ihr hätten zeigen können wo sich Caleb befand. Unsicher machte sie einige Schritte in den Laderaum und erfasste die kleine Nische, wo sie die Kartoffeln geschält hatte. Ein Gedanke durchzuckte sie, sodass sie den Apfel zwischen ihre Zähne klemmte und mit beiden Händen nach ihrem Rucksack suchte, den sie zwischen einigen Kisten versteckt hatte. Hierbei fielen ihr die vereinzelten Ratten auf, doch das konnte sie kaum verschrecken. Madiha wurde beim Anblick einer dieser Ratten an ihre Begegnung mit Caleb in der Zelle von Khasib erinnert. Sie hörte auf nach ihrem Rucksack zu suchen und biss vom Apfel ab. Gedankenverloren erinnerte sie sich daran wie auch dort die Ratte an ihr vorbeilief. Säuerlich wurde ihr Ausdruck, als sie weiter nach ihrem Rucksack suchte. Offenbar gab es mehrere Arten von Ratten und alle schienen ihre Wegbegleiter zu werden! Das Wüstenmädchen würde den Rucksack schultern, sofern er noch da war, ansonsten suchte sie ohne ihn nach weiteren Hinweisen. Sie ging langsam die festgezurrte Fracht entlang, strich mit den Fingern langsam über Holz und Leinen. Einiges von dem Gut hatte sie selber hergebracht und erinnerte sich daran, wie sehr ihre Arme darunter gelitten hatten. Noch immer spürte sie die Auswirkungen. Plötzlich blieb Madiha stehen, während ein Gedanke sie überkam: Ratten waren immer da, wo es etwas zu holen gab. Vielleicht wenn sie ihn köderte.. Das Mädchen schaute sich verstohlen über die Schulter, ob auch niemand kommen würde, der sie entdecken könnte, als sie ihren halb gegessenen Apfel auf eine Kiste legte und so tat, als wolle sie ihn nicht mehr essen. Falls Caleb hier war und falls er heimlich hier war.. hatte er sicherlich Hunger. Vielleicht lockte ihn die Aussicht auf ein Bisschen Obst ihn heraus. Dann tat Madiha so, als würde sie den Laderaum wieder verlassen und legte sich auf die Lauer, um im entscheidenden Moment hervorzukommen und Caleb zu konfrontieren. Sie hätte ihn such rufen können. Natürlich. Doch wenn sie sich irrte und es nur ‚irgendwer‘ war… dann säße sie ziemlich in der Falle. Falls Jakub tatsächlich herausfand, wer sie war, dann würde er ihr garantiert keine Hängematte anbieten… sondern eher den Galgen. Madiha hätte vielleicht darüber nachdenken sollen, wie lange sie ihr Spiel womöglich aufrecht erhalten musste.. Oder sich schleunigst etwas anderes überlegen.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Dienstag 25. Januar 2022, 22:59

Es waren weder ihr Magen noch Jakub Tauwetters Anweisungen, die Madiha unter Deck brachten. Wäre es so gewesen, hätte sie sich nicht hierher begeben. Dann hing sie nun wohl halb über die Reling gebeugt, um ihren Mageninhalt dem Meer zu opfern, aber zum Schlafen gelegt hätte sie sich nicht. Und auch ihre wahren Beweggründe würden sie nicht in den Genuss einer schaukeligen Ruhepause in einer Hängematte kommen lassen.
Rasch sondierte sie die Umgebung. Sie suchte Spuren, aber welcher Art? Jene der Caleb-Art! Wenn er sich hier irgendwo wirklich aufhielt, dann versteckte er sich sicherlich. Irgendwie ging Madiha nicht davon aus, dass er offizieller Teil der Mannschaft war. Nach wie vor sprach das Argument dafür, dass sie ihn nicht bei den Versammelten an Deck angetroffen hatte. Ihre Augen richteten sich automatisch auf einen kleinen, pelzigen Schatten aus, als es in einer Ecke quiekte und schabende Geräusche auf Holz zu vernehmen waren. Die letzte von drei fetten Ratten konnte sie noch erhaschen, ehe die streitlustigen Biester zwischen einigen Säcken verschwanden. Einer davon besaß ein Loch, so dass sein Inhalt sich schon auf den Planken des Laderaums verteilte. Es handelte sich um Pistazien. Eine Menge leerer Schalen rutschten beim Schaukeln des Schiffes über das Plankenholz. Diese kleinen Biester hatten sie genackt und die leckeren Nüsse daraus bereits gefressen! Oder...?
Ratten tendierten nicht dazu, eine Spur aus offenen Nuss-Schalen zu hinterlassen. Entweder fraßen sie ihre Beute vor Ort, wenn sie sich nur sicher genug fühlten, oder sie stibitzten sie. Dann aber wären auch die Schalen verschwunden und an anderer Stelle wieder aufgetaucht, zusammen mit zahlreichen Kötteln der Ungeziefer belasteten Pelzträger. Bei genauerem Hinsehen konnte Madiha keinen Rattenkot ausmachen, jedenfalls nicht an dem aufgenagten Sack. Stattdessen fiel ihr vielleicht eher auf, dass der Riss im Leinen nicht ausgefranst, sondern glatt war. Leider gab es aber sonst keine Hinweise an dieser Stelle zu finden. Das Mädchen schaute sich weiter um. Dabei nutzte sie gleich die Gelegenheit, ihren Rucksack zu bergen. Er befand sich immer noch im Versteck und niemand schien daran herumgefingert zu haben. Tja, sie wusste eben, wie man etwas gut vor Blicken verbarg! Ihre Mütze hielt das Haar immer noch perfekt zurück.
Madiha entschied sich, nicht auf die direkte Suche nach Caleb zu gehen. Allein schon, weil sie sich vielleicht doch geirrt haben könnte, obwohl sie es tief in ihrem Inneren bezweifeln mochte. Des Weiteren wäre es dann aber nötig, einige Säcke, Kisten oder Taue beiseite zu räumen, um mögliche Verstecke wahrlich ausfindig machen zu können. Etwas, das ihre Arme beinahe schon beim bloßen Gedanken schmerzen ließ. Sie hatte so viel geschleppt und noch keine richtige Pause davon gehabt, vom Kartoffelschälen einmal abgesehen. Nein, sie würde es mit einer List versuchen. So legte sie den Rest ihres Apfels wie beiläufig auf einer Kiste ab. Genau so würde es ein Bursche tun, dem es zu gut an Bord ging. Ein Junge, der keine Sorgen haben musste, wann er die nächste Mahlzeit bekäme. Ein Wüstendieb aber, der sich anscheinend heimlich an Bord befand, musste nach jeder Möglichkeit greifen, die seinen Magen füllte. Ob ihm bereits das Wasser im Munde zusammenlief beim Anblick des Apfels?
Madiha schlug einen hinaus aus dem Laderaum ein, verließ ihn aber nicht. Stattdessen legte sie sich auf die Lauer. Das Rauschen des Meeres von außen, das Schwappen der Wellen gegen den Rumpf, das Knarren von Holz und schließlich das fortschreitende Getrappel winziger Rattenfüße dämpften ihre eigenen Geräusche, als sie sich eine gute Stelle suchte, von der aus sie den Laderaum im Blick hätte. Sie fand diese Position hinter einigen Kisten. Nun hatte sie freien Blick auf ihren Köder. Der halb vertilgte Apfel lockte bereits die Nager an, welche sich am Boden der Kiste versammelten und nach einem Weg hinauf suchten. Eine von ihnen wackelte kräftig mit dem borstigen Hintern, ehe sie einen Sprung wagte. Beinahe hätte sie den oberen Absatz der Kiste erreichte, rutschte im letzten Moment aufgrund ihres ausladenden Hinterns aber wieder ab. Ihre Geschwister fiepten verschreckt auf, als sie landete. Zwei von ihnen flüchteten sogar zurück in die Schatten. Und dann trat eine weitere Ratte aus ihnen heraus. Geduckt ging die Gestalt, spähte zum Durchgang, der zurück zur Treppe und an der Kombüse vorbei führte. Die Gestalt trug nun einen Kapuzenumhang, schlich sich langsam an die Kiste heran. Als eine Ratte nach ihrem Stiefel schnappte, trat er sie beiseite und knurrte einen leisen Fluch - auf Sendli!
Was genau der blinde Passagier da an Kraftausdrücken nutzte, erreichte Madiha nicht, aber ihr kam die Stimmlage vertraut vor. Jetzt musste Madiha sich entscheiden, ob sie weiterhin beobachtete, auf sich aufmerksam machte oder sogar aktiv handelte, ehe ihr einziger Köder in den Taschen der menschlichen Schiffsratte verschwand.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Dienstag 8. Februar 2022, 09:12

Hätte Jakub Tauwetter ihr nicht diese Chance verschafft, wäre sie wohl nicht auf die Idee gekommen, jetzt im Bauch des Schiffes nach etwas zu suchen, das viel zu groß für ein Nagetier war und dennoch gewisse Eigenschaften dessen besaß. Doch dieser kurze Moment an Deck, der ihr die Luft aus den Lungen presste und sie um Fassung ringen ließ, der hatte ausgereicht, dass sie sich sicher sein musste. Er war hier. Hier an Bord und sie hatte es nicht mal bemerkt. Im Hafen hatte sie noch Ausschau nach ihm gehalten, hatte sich gefragt, wo er sich wohl verkrochen haben mochte. Doch dann war sie sogar etwas stolz auf sich, als sie sich eigenständig und ohne seine Hilfe etwas überlegte, um den Plan, Sarma zu verlassen, umzusetzen. Madiha hätte sich immer wieder mal gefragt, was aus ihm geworden wäre, doch die Zeit hätte ihr geholfen und sich mehr und mehr davon lösen können. Jetzt jedoch, vernichtet mit einem einzigen Blick, war sie wieder hier und suchte nach ihm. In ihrem Innern herrschte Uneinigkeit darüber, was das für sie hieß, was es bedeuten könnte, dass er da war. In der Nähe. Der Wildfang aus Sarma war immer noch enttäuscht, immer noch sauer über das was er Dunia gesagt hatte, während sie tief schlief und trotzdem mitanhören konnte, dass er keine Verantwortung übernehmen wollte. Weder für sie noch für Dunia noch für seine Schulden. Er verließ lieber alles und jeden und suchte sein Heil in der Flucht. Hatte sie nicht dasselbe getan? Doch im Gegensatz zu Caleb, hatte Madiha wirklich keinerlei Verpflichtungen. Sie hatte niemanden, bis auf ein paar lose Bekanntschaften und jeder von ihnen hatte ein Leben vor ihr gehabt. Caleb hingegen war ein ganzes Stück mit Dunia gegangen, war seit ihrer Kindheit mit Madiha verbunden und warf das alles weg für sein eigenes Wohl. Wenn sie ebenso egoistisch handeln würde, wäre Caleb längst tot. Der Gedanke bohrte sich wie ein spitzer, gezackter Gegenstand in ihr Herz und hinterließ ein wirklich unschönes Gefühl. Sie hatte viel für ihn riskiert und war weit über ein erträgliches Maß hinausgegangen. Die Enttäuschung über sein Verhalten saß tiefer, als sie vielleicht zugeben mochte. Sie konnte es leugnen, doch das würde nichts daran ändern. Dennoch musste sie die Gewissheit haben, dass es sich tatsächlich um Caleb handelte, auch wenn der Zweifel nur vordergründig nagte und die Gewissheit sich ins Fäustchen lachte. Das Mädchen drapierte ihren halb gegessenen Apfel so, dass er tatsächlich appetitlich für sämtliches Getier an Bord wurde. Sie ging scheinbar unbeteiligt zurück zur Treppe, um sich dort auf die Lauer zu legen. Von hier aus konnte sie beobachten, wie sich die Ratten vorfreudig daran machten, ihren Apfel zu stibitzen. Während eine etwas dickere Ratte Anstalten machte, die Kiste zu erklimmen, setzte ihr Herz für einen Moment aus, weil sie dachte, die Ratte würde den Sprung schaffen und alles zunichtemachen. Doch der ausladende Hintern kam Madiha zu Hilfe und so mussten die Nager unverrichteter Dinge aufgeben. Noch einen Moment abgelenkt von der pelzigen Truppe, wurde sie erst wieder aufmerksam, als eine Bewegung am Rand ihres Sichtfeldes sie erschreckte. Madiha hob den Blick aus dem Dunkel verborgen und hielt den Atem an. Da war eine Gestalt, verhüllt im Kapuzenumhang und ihr Herz klopfte. War das Caleb? Die Stimme ließ sie zucken, auch wenn sie nicht verstand, was sie sagte. Würde Caleb auf Sendli fluchen? Die Zweifel drehten ihren Verstand im Kreis und verwirrten sie. Madiha krallte ihre Finger um eine hölzerne Ecke, um noch etwas mehr sehen zu können. Und um zu verhindern, dass ihre weichen Knie nachgaben und sie lautstark zu Boden ging. In ihrem Versteck erschien ihr die Lautstärke ihres schlagenden Herzens ohrenbetäubend. Das Wüstenkind wagte noch immer nicht zu atmen, weshalb sich bald darauf ihr Brustkorb schmerzend rührte, sodass sie die Lippen öffnete, um gierig die Luft hineinzulassen. Zitternd floss der Atem, während der Apfel in die Tasche des Mantels glitt. Das war der Moment, in dem sie aus ihrem Versteck trat und überraschend fest und selbstsicher in den Raum trat. Sie verschränkte die Arme und reckte etwas das Kinn, als würde ihr das im Falle des Falles, Stärke verleihen. „Das ist meiner.“, sagte sie und beobachtete die Reaktion. Ihr schoss durch den Kopf, dass es nicht wie erwartet Caleb sein mochte, der sich da bediente und sie versuchte sich zügig eine Strategie zu überlegen, wenn dem so war. Doch vorerst war sie Teil der Mannschaft und ein Schiffsjunge. Unwahrscheinlich wäre es vielleicht sogar, dass Caleb sie erkannte, sollte er nicht wissen, dass sie hier war. Doch das würde sich nun gleich herausstellen, denn Madiha stand gut sichtbar am Zugang zum Laderaum und versperrte mit dürrem Körper den Weg. Noch hatte sie sich nicht zu erkennen gegeben, hatte weiterhin die Mütze so weit ins Gesicht, dass dieses im Schatten lag. Das diesige Licht hier unten kam ihr sicherlich ebenfalls zugute. Doch völlig egal wie diese Situation nun weiter ging: Madiha musste wissen, wer sich hier an Bord versteckte – neben ihr.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Freitag 11. Februar 2022, 06:57

Spätestens als Madiha sich auf die Lauer legte, wusste sie, dass eine Ratte ihren Apfel erwischen würde. Als sie das dickste Exemplar allerdings sah, wie es zum Sprung ansetzte, um auf das Fass zu gelangen, da fürchtete sie, dass es der falsche Nager werden würde. Natürlich rechnete sie mit einer Ratte, nur nicht mit jener der typisch pelzigen Art. Und während sie einen Atemzug lang aussetzte, verkrampfte sich ihr Magen zu einem unwohlen Kloß. Denn ihr Blick leitete eine Information an den Verstand weiter, die sie sich erhofft und zugleich auch mit gewisser Sorge befürchtet hatte.
Eine Gestalt kam aus ihrem Versteck. Sie langte nach dem angebissenen Stück Obst und bereits bevor Madiha ihren eigenen Lauerposten verließ, wusste sie, dass sie Recht hatte. Der Blick vorhin unter Deck hatte es ihr schon gezeigt, doch nun bestätigte es sich. Caleb. Zwar hielt der Dieb sich geduckt und sein Kopf war unter dem Stoff eines Kapuzenumhangs verborgen - wo auch immer er diesen her hatte! - Madiha kannte inzwischen aber jede Bewegung. Sie erkannte seine Statur und die Art, wie er vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzte. Sie glaubte sogar, ihn anhand der Krümmung seiner Finger und dem Schmutz unter den Nägeln unter Dutzenden erkennen zu können. Ihr Herz ließ sie nicht zweifeln. Sie hatte Recht. Er war es.
Durch die Gewissheit bestätigt und somit nicht nur mit einem flauen Magengefühl, sondern auch mit Mut gestärkt, wagte sie sich ihrerseits aus dem Versteck. Aber sie behielt die Rolle des Schiffsjungen bei. Letztendlich existierte immer ein Hauch an Zweifel, der dafür sorgte, dass man sich selbst absicherte. Caleb hatte das auch getan, als der Dunia und sie hinter sich ließ. Welche Zweifel ihn wohl zu dieser Tat getrieben hatten oder wollte er einfach nur seinen Kopf aus der Schlinge ziehen, wie üblich? Madiha wollte es herausfinden. Somit blieb ihr nichts Anderes übrig, als ihn endlich zu konfrontieren. Die Kappe tief ins Gesicht geschoben trat sie vor und sprach den anderen Vermummten sofort auf ihr Eigentum - den Apfel - an.
Die Gestalt im Kapuzenumhang erstarrte für einen Wimpernschlag. Dann schob sich die Hand weiter vor. Nicht schnell. Es gab keine Anzeichen zur Flucht. Der mutmaßlich Caleb war besonnen genug, dass es auf einem fahrenden Schiff nichts nutzte, wegzurennen. Aber Hunger trieb ihn offenbar so sehr an, wenigstens das Eigentum eines anderen noch dann zu stehlen, wenn man ihn schon bei seiner Tat ertappt hatte. Aber nein! Da war mehr. Sogar ein Dieb griff nicht mit dieser ... Erleichterung ... zu.
"Was machst du hier?", fragte er zunächst, ohne sich zu ihr umzudrehen. Es klang so vertraut, als wüsste er Bescheid. Nur wie?! Er schaute Madiha nicht einmal an. Sie hatte ihr Haar perfekt verborgen und sogar die Kapuze tief im Gesicht, sie hatte ... nicht darauf geachtet, dass selbst eine verstellte Stimme dem Mann so vertraut sein musste, wie ihr seine Haltung und sein Gang. Und sie beide waren nun schon über Jahre hinweg auf eine ganz besondere Art und Weise miteinander verbunden, dass er ihren Klang selbst dann erkannte, wenn sie ihn um ein paar Tonlagen senkte. Er wusste es, genauso wie sie mit nur einem Blick gewusst hatte, dass er es war.
Die Gestalt wandte sich endlich um, blickte verstohlen umher und zog dann die Kapuze in den Nacken. Caleb hob den Apfel zum Mund, biss herzhaft ab. "Du solltest nicht hier sein", raunte er, trat näher, damit sie sich leise unterhalten konnten. Er trug dunkle Kleidung. Nicht gänzlich schwarz, sondern in vielen Nuancen von dunklem Braun, grau und schwarz, damit man leichter mit den Schatten verschwamm. Ein gänzlich schwarzer Fleck in diffuser Dunkelheit fiel ebenso auf wie ein weißes Brautgewand. So aber hatte er sich perfekt ausgestattet, um als blinder Passagier unentdeckt zu bleiben, wenn er sich zwischen all den Kisten und Fässern nur ruhig verhielt.
"Warum bist du nicht bei Dunia und deiner pausbäckigen Freundin geblieben? Es wäre dir doch gut ergangen." Kein Vorwurf lag in seiner Stimme, sondern aufrichtiges Bedauern ... und Erleichterung. Letztere setzte sich durch, als er noch leiser anfügte: "Aber ich bin froh."
Das Knarren von Planken ließ ihn zum Durchgang herüber schauen. Die Kombüsentür öffnete sich. Der Duft eines sehr fülligen Eintopfes suchte sich selbst einen Weg bis in die dunkelsten Winkel. Caleb befeuchtete seine Unterlippe und biss dann noch ein weiteres Stück vom Apfel ab. Er kaute lange darauf herum. Zugleich aber zog er sich weiter in die Schatten des Rumpfes zurück, um von der Kombüse aus bloß nicht gesehen zu werden. Er versuchte sogar, Madiha am Arm mit sich zu ziehen. Sollte sie jedoch Widerstand leisten, ließ er sie stehen. Nur keine Aufmerksamkeit erregen! Das musste er ihr auch klar machen, ehe sie einen Tobsuchtsanfall bekäme. Er ahnte es. Er wusste um seinen Verrat an ihr und obwohl er genau das mit ihr und ihren Gefühlen getan hatte, erbat er sich nun von Madiha, es ihm nicht auf gleiche Weise zu vergelten.
"Verrate mich nicht", wisperte er, dass es Nackenhaare aufstellte und einen warmen Schauer über Rücken jagen konnte.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 17. Februar 2022, 00:34

Die Sekunden in ihrem Versteck fühlten sich für Madiha zäh und quälend an. Der Moment, als die dicke Ratte zum Sprung ansetzte und sie schon glaubte, die falsche gefangen zu haben, ließ ihr Herz schneller schlagen, als sie meinte ertragen zu können. Das Mädchen spürte, wie sich ihr Mund austrocknete und sie konnte nicht verhindern, dass sie ihren Atem anhielt. Die zwiespältige Erlösung folgte jedoch umgehend: Sie hatte sich nicht geirrt. Da war er. Madiha blickte der verhüllten Gestalt entgegen und merkte erst, als sie keine Luft mehr bekam, dass sie noch immer diese in ihren Lungen hielt. Als würde sie der zarte Luftstrom verraten. Die Anspannung ergoss sich über dem Mädchen und sie öffnete die Lippen, um zitternd den nötigen Atem hineinzulassen. Sie folgte dem Impuls, der sich augenblicklich manifestierte und trat aus ihrem Versteck hervor. Es waren mehrere Faktoren, die sie hier lenkten. Zum einen die Anspannung, die sie loswerden musste, zum anderen die augenblickliche Sicherheit über das was sie bereits vermutet hatte. Ihre Augen hatten sie nicht getäuscht, sie hatte ihn gesehen, eine Nuance lang und wusste wer sich hier im Dunkel versteckte. Auch jetzt erkannte sie die Bewegung, die Haltung und konnte nichts anderes, als sicher sein, dass es sich um eben jenen Dieb handelte, der sie so lange begleitete. Dennoch blieb eine anerzogene Vorsicht. Sie versuchte sich weiter zu verbergen, auch wenn sie ihn stellte. Madiha bemühte sich darum, ihre Stimme tiefer klingen zu lassen, als sie war und ließ ihn für einen Moment ertappt innehalten. Die graublauen Augen im Dunkel verborgen, erkannten das Zögern und sie fühlte sich fast schon überlegen in diesem Moment. Doch das verblasste sofort wieder, als sie etwas in der nachfolgenden Bewegung ausmachte, was sie fragend zurückließ: Caleb griff nach wie vor nach dem Apfel, aber er tat es auf eine Weise, die sie nicht ganz einordnen konnte. War das nun Dreistigkeit? Im Moment des ertappt-Werdens dennoch nicht aufzugeben? Oder war das etwa Erleichterung? Worüber? Dass er ertappt wurde oder dass er von ihr ertappt wurde?
Das Mädchen grübelte noch über diese Gefühlsregungen, als er seine Stimme benutzte und endgültig jedweden Zweifel ausräumte, wer sich hier vor ihr an ihrem Essen bediente. Madiha spürte wie ihr übel wurde, schrieb es aber dem Wiegen des Schiffes zu. Caleb. Er war es tatsächlich und sie wusste nicht so recht, wie sie das was sie dabei empfand einordnen sollte. Es war verwirrend. Doch er lenkte sie davon ab und sie hörte schweigend zu, vergaß sogar darüber nachzudenken, wieso er so vertraut mit ihr war und nahm es als gegeben hin. Er wusste wer ihn da gestellt hatte und sie hielt die Scharade nicht länger aufrecht. Er bewegte sich und sie musste den Kopf etwas heben, damit sie den Blick in seinem Gesicht lassen konnte. Ein Stich durchzuckte Madiha, als die dunklen Augen auftauchten und sie musterten, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie allein waren. Seine Frage zeichnete Verwirrung auf ihrem Gesicht. Madiha hob beide Arme, um sie vor ihrem Bauch zu verschränken. Ihre Miene wurde verschlossener, während er sprach. Ich sollte nicht hier sein?“, kam es schärfer und lauter, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Sie senkte ihre Stimme, doch die Schärfe blieb: „Ich denke nicht, dass du dafür noch verantwortlich bist, was ich tue oder warum.“, warf sie ihm verletzt entgegen und wäre es nicht so dunkel unter Deck gewesen, er hätte ihren Blick funkeln sehen können. Dafür sprachen ihre Worte und die Untertöne jedoch Bände. So abgebrüht sie klingen wollte, so verletzt und enttäuscht war sie und konnte es kaum verbergen.

Die Erwähnung der einzigen beiden Personen, die ihr etwas bedeuteten und die sie trotzdem zurückgelassen hatte, fügte ihrer Ablehnung weitere Standfestigkeit zu. Verbissen kniff sie die Lippen aufeinander und sah aus, als ob gleich eine ordentliche Standpauke aus ihr herausplatzen würde, die sie nicht mal die Erleichterung in seinen Worten erkennen ließ, als sie daran gehindert wurde. Das plötzliche Knarren der Kombüsentür, trieb sie einen Schritt auf Caleb zu, während sie den Blick wandte, um zu sehen, ob sich Fischauge hier herunter wagte. Während Madiha den Kopf über ihre Schulter wandte, schaffte Caleb es, sie am Arm etwas weiter ins Dunkel zu ziehen, bevor sie sich jedoch tatsächlich harsch von seinem Griff befreite. Er konnte nicht wirklich davon ausgehen, dass sie ihn freudig empfangen würde. Er gab sich bestimmt keiner Illusion diesbezüglich hin und Madiha räumte jede Hoffnung darauf aus. Verborgen im Schatten brachte sie so viel Distanz auf, wie es ihr möglich war. „Was interessiert es dich, wie es mir ergeht?!“, knurrte sie ihn halblaut zischend an. Seinen Appell kommentierte sich lediglich mit einem Schnauben. Darum ging es ihm? Dass sie ihm gleiches antun würde, wie er ihr? Madiha spürte, wie sie wütend wurde. Die Enttäuschung über sein Tun wurde allgegenwärtig und das Mädchen konnte nicht recht damit umgehen. Ihr kamen die Erinnerung hoch was sie für ihn auf sich genommen hatte und dass er sie einfach fallen ließ, nur um seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Das Mädchen kämpfte in den nächsten Sekunden ordentlich damit sich nicht in einer lauten Standpauke zu verlieren und tigerte einen Moment vor dem Dieb auf uns ab. Dann wirkte sie plötzlich wie ausgewechselt. Sie blieb vor ihm stehen, seitlich, sah ihn nicht dabei an und ließ ein wenig die Schultern hängen. Die Wut verrauchte augenblicklich und die Enttäuschung brach sich bahnen. „Du brauchst dich nicht zu bemühen. Ich verrate dich nicht, aber glaub' ja nicht, dass ich das für dich tue!. Das tue ich nur für mich! Das habe ich ja beim Besten gelernt!“, murmelte sie und schaffte es einfach nicht so gleichgültig zu klingen, wie sie es gerne wollte. Dass sie überhaupt so etwas wie Sympathien empfand war schon ein Wunder, dass sie Caleb vielleicht in gewisser Weise idealisierte, da sie nur ihn als Konstante gehabt hatte in ihrem Leben, war vermutlich nachvollziehbar. Dass sie aber durch sein Handeln und vor allem seine Behandlung ihr gegenüber verletzt war, überforderte sie. Sie wollte das nicht und sie wollte sich verschließen und ihn auf Abstand halten. Sie fühlte sich unbehaglich und trat von einem Fuß auf den anderen. Dann wollte sie dieses Zusammentreffen abbrechen und ging ein paar Schritte, ehe sie abermals innehielt und sich ihm zuwandte: „Du hast Dunia verletzt. Sehr sogar.“, es war eine Spitze, die sie absichtlich verteilte. Er sollte sich ebenso schlecht fühlen, wie sie es gerade tat auch wenn sie ihm das nicht verraten würde, sprach sie in gewisser Weise auch von sich.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 23. Februar 2022, 10:41

„Ich denke nicht, dass du dafür noch verantwortlich bist, was ich tue oder warum.“
Wahrscheinlich hätte Madiha mit jeder anderen Reaktion mehr gerechnet als mit dieser: Caleb erstrahlte. In seine Augen trat eine Zufriedenheit, als hätte ihm jemand eine schwere Last von den Schultern genommen. Er lächelte sogar voll offener Erleichterung, dass man den Eindruck erhielt, er würde sein Glück gleich in die Welt hinaus schreien wollen. Aber seine Vernunft war noch groß genug, dem inneren Trieb nicht nachzukommen. Stattdessen nickte er nur und erwiderte gedämpft: "Gut." Dann aber runzelte der Dieb die Stirn. "Und dennoch bist du hier." Hier. Damit meinte er nicht fernab von Sarma und auch nicht auf einem Schiff, das sie ebenso aus dem Gefahrengebiet brachte wie ihn. Er meinte hier, bei ihm.
Eigentlich hatte er sich im nächsten Moment vollends abwenden wollen, um diese erschütternde Frustration, die zu weiteren Herzstichen fähig war, zu unterstreichen. Ihre Bande waren gerissen und Caleb schien ... glücklich darüber? Irgendwie jedenfalls. Gleichzeitig freute er sich dennoch ein wenig, dass Madiha den Weg zu ihm gefunden hatte. Er schien nicht ganz zu wissen, was er wollte, aber er wusste, was zu tun war, um nicht entdeckt zu werden. Als beide das Knarren aus Richtung der Kombüse und wenig später auch den Duft von gebratenen Zwiebeln vernahmen, zögerte Caleb nicht. Er brachte sich aus Sichtweite und nahm Madiha gleich mit. In den Schatten standen sie dicht an dicht, die Hand des Diebs fest um Madihas Handgelenk geschlungen. Rasch und mit der nötigen Härte, um ihre Verletzheit zu betonen, riss sie sich los. Caleb hielt sie nicht auf. Still beobachtete er ihr Umhertigern und wartete seinerseits ab, was geschehen sollte. Er rechnete damit, dass sie angriff, ihn ankeifte oder verschwand. Er wartete mit der versteinerten Miene eines Mannes, der keine Emotion zulassen wollte, um nicht einzubrechen. Aber Madiha fand die richtigen Worte, um einen Keil in diese Miene zu rammen und so die komplette Fassade einstürzen zu lassen. Mit einem Seufzen bröckelte der Gesichtsausdruck auseinander und fiel von Caleb ab. Er fiel. Nein! Er sank an der Rückseite des Schiffsrumpfes langsam zu Boden, winktel die Knie an und deutete einladend neben sich. Sollte Madiha sich weigern, Platz zu nehmen, akzeptierte der Dieb auch dies. Er biss von ihrem Restapfel ab, kaute eine ganze Weile, bevor er überhaupt wieder zum Sprechen ansetzte.
"Du erinnerst dich an die Worte damals in den Tunneln? Dass ich dich aus Eigennutz immer wieder rette. Darum geht es dir mit der Spitze gerade, oder?" Er erwartete keine Reaktion. "Ich erkläre es dir - wenn du mich lässt." Das würde nun also etwas länger dauern. Für Madiha stellte es kein Problem dar. Sie hatte Jakub Tauwetter Seekrankheit vorgetäuscht und der Erste Maat wähnte sie nun mit Magengrimmen unter Deck. Entsprechend würde auch niemand nach ihr Sehen kommen, wenn Fischauge das Essen verteilte. Die Matrosen wussten, dass es Verschwendung von Nahrungsmitteln wäre, einem seekranken Kameraden eine Mahlzeit aufzuzwingen. Und um die Fische damit zu füttern, waren die Rationen an Bord eines Schiffes einfach zu kostbar. Madiha hatte Zeit. Sie würde sich Calebs Geschichte anhören können.
Er begann: "Damals hab ich es bewusst so kryptisch gehalten. Ich hatte gehofft, mich niemals erklären zu müssen." Er schnaubte auf, da er nun genau an diesem Punkt angelangt war. "Es war wirklich Eigennutz, jedes Mal, als ich dich gerettet habe. Abgesehen vom ersten Mal. Da hatte ich einfach nur Mitleid. Ich wollte dich nicht in dieser misslichen Lage sehen. Ich dachte..." Caleb stockte. Er überbrückte Zeit, indem er den Apfel nun komplett verspeiste. Seine Kaugeräusche mischten sich unter das Knarren des Schiffes und das Brechen der Wellen außen am Rumpf. "Führe dir vor Augen, wohin meine Rettungsaktionen geführt haben. Immer und immer wieder. Dann weißt du, warum ich von Eigennutz sprach. Ich habe dich gerettet, damit du im Haus eines Bastards landetest, der dich auf jede mögliche Art missbraucht hatte, die ich mir vorstellen kann. Erneut rettete ich dich, in gutem Willen, es besser zu machen. Und dann bringe ich dich auf eine Zauberschule, auf der du von deinen Mitschülern schikaniert wirst, während du verzweifelt versuchst, Magie anzuwenden, obwohl es nicht gelingen will. Und auch die dritte Rettungsaktion missglückte, als ich mich verletzte und mitanhören musste, wie du dich um meines Lebens Willen an die Wüstendiebe verkauft hättest." Seine Stimme brach. Er schauderte aus aufrichtigem Ekel heraus und plötzlich bereute Caleb, den Apfel gegessen zu haben. Ihm kam die Galle hoch. Mit belegter Stimme fuhr er fort: "Anfangs hielt ich es für einen Traum. Gesehen habe ich nichts, nur das Fieber der Wunde und den Schmerz gespürt. Aber ich hörte, wozu du bereit warst, nur um mich zu retten. Mich! Den Halunken, der dich bei jeder Rettung in einen neuen Harax geschleudert hatte. Es war purer Eigennutz, Madiha. Jedes Mal. Alles, was ich wollte, war dich in einem besseren Leben zu wissen. Eines, das du nicht bereuen oder verdammen müsstest - damit ich wieder Frieden finde. Und genau deshalb interessiert es mich, wie es dir geht." Caleb seufzte wiederholt, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
"Du hast Dunia verletzt. Sehr sogar."
"Dunia..." Sein Adamsapfel bebte, als er schluckte. "Und genau deshalb wäre es besser, du wärst bei ihr gelieben. Fern von deinem und ihrem Retter, der euer beider Schicksale nur erschwert. Aber genau deshalb bin ich ... froh, dass du hier bist."
Endlich schwieg er. Dass Caleb dennoch keine Ruhe fand, ließ sich mit einem Blick auf seine Hände feststellen. Sie lagen zwar friedlich in seinem Schoß, aber die Muskeln waren angespannt, die Finger zu Fäusten geschlossen. Er richtete die leisen Worte nicht an Madiha: "Dunia kommt ohne mich zurecht. Sie und verletzt? Warum? Weil ich fort bin? So ein Unsinn!" Aber während er vor sich hin murmelte, ballte er die Fäuste nur noch intensiver, dass die Fingerknöchel heller hervortraten. Außerden kniff er die Augen ebenso fest zusammen. Es verhinderte nicht, dass eine Träne verräterisch seinen Wangenknochen erreichte.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 25. Februar 2022, 22:25

Mit jeder Nuance die Caleb’s Erleichterung sichtbar wurde, zeichnete sich bei Madiha die Verwirrung ab. Sie beobachtete im Halbdunkel seine Reaktion auf ihren wütenden Ausspruch und konnte nur langsam erkennen, wie sehr es sie verletzte. Wieder mal. Ihre Arme glitten beinahe zeitgleich mit dem Senken ihrer Stirn in eine abwehrende Position und sie war kaum fähig das was sie empfand zu verstehen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Caleb selber gar nicht so recht zu wissen schien, was er eigentlich empfinden wollte. Immerhin passte seine Reaktion in keiner Weise zu seinen Worten und hinterließen bei dem Wüstenmädchen nur noch mehr unbeantwortete Fragen. Wie sollte sie damit umgehen? Madiha war ein völlig unbeschriebenes und zerknittertes Blatt Pergament, wenn es um die Zwischenmenschlichkeit ging. Sie kannte nur den Verlust und darüber hinaus erzwungene Hörigkeit. Sie wuchs in einer Blase auf, die es ihr nie wirklich ermöglichte, sich über eigene Gefühle klar zu werden. Es war schlicht kein Platz dafür da gewesen und nun wurde sie immer wieder in tosenden Wellen damit konfrontiert, sodass sie sich beinahe wünschte, es würde einfach aufhören. Madiha musste lernen niemals eine Bindung aufzubauen und wurde davon gänzlich überrascht, dass sie auf einmal Verantwortung für andere übernehmen wollte und sich darum kümmerte, was aus jemandem wurde. Sie war gar nicht die leblose Hülle eines siebzehnjährigen Mädchens, das außer Grausamkeiten nichts kannte. Sie war davon völlig überrumpelt worden und es hörte einfach nicht auf. Sie fühlte sich, als würde sie einfach nur durch die Gegend stolpern, seit Caleb sie aus dem Wüstensand gezogen hatte und sie in der Akademie erwachte. Madiha bemühte sich, aber sie strauchelte beinahe bei jedem Schritt. Und jetzt? Jetzt stand er da und lächelte erleichtert und ohne Scham. Madiha’s Herz krampfte sich zusammen und wollte sich verkriechen. Sie wandte den Blick ab, denn sie ertrug es nicht. In diesem Moment erreichten die Umstände, dass sich Madiha kurz darauf näher bei dem Dieb befand, als es ihr lieb gewesen wäre. Sie zeigte ihm entschlossen, dass das nicht das war, was sie wollte und brauchte einen Moment Bewegung, um nicht auf der Stelle zu explodieren. Bewegen half, das merkte sie. Nichtsdestotrotz fauchte sie ihn an und es dauerte einen Moment, bis er sich überhaupt regte.
Die Stille zwischen ihnen war erdrückend und eigentlich wollte sie gerade verschwinden, ihm zeigen, dass er zu weit gegangen war, als er das Wort erhob. Sie blickte halb über ihre Schulter, da sie ihm den Rücken zugewandt hatte und konnte erkennen, dass er bereits saß. Seine Geste kommentierte sie mit einem Schnauben und dem Wegdrehen ihres Kopfes. Das Mädchen stand versteinert da, kam keinen Schritt auf ihn zu, entfernte sich aber auch nicht. Die Kaugeräusche aus seiner Richtung entfachten die schwelende Glut zu einem kleinen Funkenregen. Dass auch Caleb Mühe hatte seine Emotionen zu sortieren, ahnte Madiha in ihrer Unwissenheit nicht. Doch mit verbissener Miene harrte sie gerade so lange aus, dass er seine Erklärung passieren lassen konnte. Die Worte drangen zwischen knarzendem Holz und plätscherndem Wasser zu ihr herüber. Die Erwähnung der Tunnel führte ihr lebhaft die Erinnerung vor Augen. Da hatte sie noch geglaubt in Caleb jemanden gefunden zu haben, auf den sie sich würde verlassen können. Ihre Arme zogen sich noch enger um ihren Leib. Er wollte also erklären? Da war sie aber gespannt. Falls Caleb eine Einladung erwartet hatte, die ihm bedeutete, dass sie zuhörte, wurde er enttäuscht. Einzig ihr Stehenbleiben konnte er als eine Art stumme Zustimmung verstehen, wenn er wollte. Und er wollte offenbar, denn er setzte an, ihr seine Beweggründe zu offenbaren. Madiha hörte zu, lauschte den Worten und versuchte die Bedeutungen zu ergründen. Mit jedem Wort wurde sie gedanklich durch ihr Leben geführt.

Sie sah sich als kleines Mädchen auf dem Marktplatz, während sie mit schnellen aber nicht ganz so geschickten Fingern, Caleb’s Geldbeutel klauen wollte. Sie sah, wie er sich umdrehte und sie erwischte, grinste und auf sie nieder blitzte mit dem Schalk, der ihm noch immer eigen war. Es war der Beginn von etwas, das in diesem Moment auf dem Schiff mündete und Madiha wurde die Bedeutung des ganzen zu schwer. Sie verscheuchte die Gedanken daran und erinnerte sich unweigerlich an das Zusammentreffen in den Zellen von Khasib. Damals erhielt sie ihre Narben, die sie ein Leben lang zeichnen würden und sie wusste noch sehr gut, dass Caleb ihr damals keine klare Antwort darauf gegeben hatte, wie viel er eigentlich für ihren Kopf erhalten hatte. Er sprach davon aus Mitleid gehandelt zu haben – aber war es nur das gewesen? Hatte er sie nicht verkauft und dafür auch etwas erhalten? Doch kleinlich war Madiha nicht- sie konnte verstehen, was er eigentlich meinte und schwieg sich sowohl verbal als auch mimisch darüber aus, was seine Worte mit ihr machten. Doch dann krochen die Gedanken wie eiskalte Finger an ihr hinauf, während sie sich nicht gegen die Bilder wehren konnte. Sie fühlte die schmutzigen Finger auf sich, spürte die grobe Umklammerung und sah die Fratzen vor sich, die sie anstarrten und sich raubtierhaft die Lippen leckten. Madiha wurde schlecht und sie kniff die Augen zusammen, als könnte das die Bilder vertreiben. „Hör auf!“, mahnte sie Caleb eindringlich und wollte seine Erzählung unterbinden. Sie fühlte in diesem Moment so vieles und nichts davon war gut. Sie drehte sich nicht zu ihm um, aber anhand ihrer bebenden Schultern konnte er erkennen, dass sie mit den Erinnerungen kämpfte. So stand sie eine Weile unbeweglich da und es bildete sich eine seltsame Co-Existenz, in der sie beide mit ihren Dämonen rangen. Dann sprach er weiter und Madiha drehte etwas den Kopf, um ihn besser hören zu können. Er erwähnte Dunia und relativierte sein Verschwinden. Das Mädchen stutzte. Plötzlich löste sich der Knoten in ihrem Inneren etwas auf und schaffte Platz für Luft, Raum für Verständnis. Der Wildfang aus Sarma wandte sich nun endlich dem Dieb zu und sie blickte auf das Häufchen Elend hinab. Ihr graublauer Blick kletterte über die geballten Fäuste und das verkniffene Gesicht des Mannes, bis er die Träne erfasste, die er so mühsam zurückhalten wollte. Madiha hielt die Luft an, während sie Caleb beobachtete. Es mochte sicher nicht angenehm sein, wie sie so auf ihn niederstarrte doch mit dem Entweichen ihrer gestauten Luft, kam auch endlich Bewegung in ihren dürren Körper. Sie setzte einen Fuß nach vorne und überbrückte die minimale Distanz, bis sie sich vor ihn hockte, damit er sie ansehen musste. Eindringlich war ihr Blick und sicher nicht frei von Schmerz, denn er saß nach wie vor tief, aber dem aufmerksamen Beobachter konnte nicht entgehen, dass er auch eine gewisse Milde innehatte: „Ich bin mit Sicherheit die letzte, die irgendetwas davon versteht was zwischen euch ist, aber ich kann sehr wohl deuten, wenn jemand wegen jemand anderes weint. Und sie hat geweint, Caleb. Sie trauert um dich und…“ sie sah auf seine Träne „…und du um sie.“.
Madiha hockte sich auf die Füße, schlang ihre Arme um ihre Knie und schaffte so wieder etwas Distanz. Sie atmete hörbar aus. Ihr fiel es nicht leicht sich in dieser Situation zu bewegen. Sie war sauer auf Caleb, verletzt und gleichzeitig verwirrt. Wieso erklärte eigentlich niemand wie das mit diesen Gefühlen funktionierte? Madiha hätte jetzt gerne jemanden gehabt, der sie an die Hand nahm und ihr half, vielleicht jemanden wie Ilmy. Ilmy wüsste sicher, was zu tun wäre und könnte sicherlich auch die richtigen Worte finden. Sie strich sich die Kappe vom Kopf und heraus fielen die dunklen Haare, die sie so mühsam versteckte. „Vielleicht hörst du einfach auf, dich wie ein Retter zu fühlen. Das würde uns allen eine Menge ersparen.“, drosch sie ein wenig zu scharf auf ihn ein, sodass sie sich auf die Lippen biss und nachsetzte: „Was ich meine ist… vielleicht ist es an der Zeit, dass du einfach Caleb bist. Dunia trauert nicht ihrem Retter hinterher. Sie trauert um dich. Jedenfalls – denke ich das.“ Ihre Unsicherheit mit diesen Dingen blieb nicht verborgen und eigentlich kam sie sich völlig Fehl am Platz vor. Wie so oft in ihrem Leben. „Und ich-?“, sie räusperte sich leise, setzte die Kappe wieder auf und zuckte die Schultern. „Ich komm‘ klar.“, sagte sie lapidar auf seine Erklärung. Sie wollte Caleb aus der vermeintlichen Schuld entlassen und zeigte gleichzeitig auf, dass sie ihm sicher nicht mehr so leichtfertig vertrauen würde. Der Bruch war nachhaltig und würde vielleicht nie ganz heilen oder aber der Dieb müsste sich ihr Vertrauen anders zurückerobern, sofern er das denn überhaupt wollte. Sie erinnerte sich gut an sein Lächeln auf ihre Offenbarung hin und dass er sich nicht mal von ihr verabschiedet hatte. Nicht mal das. Sie kam wieder auf die Beine und strich sich die Handflächen an ihrer Hose ab. Die entstehende Pause war unangenehm und sie wusste nicht recht, was jetzt passieren sollte, also versuchte sie das Thema in eine andere Richtung zu lenken: „Wie lange wird das Schiff unterwegs sein, weißt du das?“, fragte sie scheinbar unbeteiligt. Als würden sie all seine Worte nichts angehen, als wäre sie eben nicht persönlich betroffen. Doch nur demjenigen, der es auch so wollte, würden ihre wahren Gefühle verborgen bleiben.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Erzähler » Montag 7. März 2022, 09:08

Wie sollte er nur damit umgehen? Ähnlich verwirrt wie Madiha ging es auch Caleb, obwohl er deutlich älter war. Jeder fühlte sich irgendwann einmal verloren und mit seinen eigenen Gefühlen konfrontiert. Oder damit, dass ein Mädchen, das man ihr zuliebe zurück lassen wollte, plötzlich aufgetaucht war. Ganz gleich, ob sie ihn nun hasste oder ob sie wütend war, Caleb fühlte eine bizarre Form der Erleichterung. Er fühlte Glück. Er war glücklich, dass Madiha den Weg zu ihm gefunden hatte. Damit konnte er nicht umgehen. Ebenso wenig wie mit ihren Worten. Vor allem der Hinweis auf Dunias Reaktion wirbelte seine eigenen Emotionen hoch, dass er befürchtete, von Bord in eiskaltes Wasser gestürzt zu sein und nun darin zu ertrinken.
Ein kleiner Teil davon schwappte über. Eine einzelne Träne hatte sich auf seine Haut verirrt, rann bis zu seinem Wangenknochen. Caleb fiel die Feuchtigkeit nicht auf, zu sehr war er im verwirrenden Gefühlschaos gefangen, mit dem er nicht umgehen konnte. Sie beide konnten das nicht, denn sie waren es nicht gewohnt. Sie hatten auf ihre Weise gelernt, in der Welt zurechtzukommen. Gefühle gehörten nicht dazu.
Caleb fühlte darüber hinaus aber auch die Pflicht, sich zu erklären. Deshalb hatte er sich Madiha nun so weit geöffnet wie er konnte. Sie verdiente es zu wissen, warum er sie und alle anderen hinter sich ließ - nun, zumindest zu dem Anteil, der für sie interessant war. Es gab schließlich mehr Gründe, aber damit musste und würde er allein fertig werden. So wie Madiha es vorzog, ohne Sarma und offenbar auch ohne ihn ihre große Reise in die weite Welt anzutreten. Sie brauchte ihn nicht und sie wollte ihn nicht. Er war nicht ihr Leibwächter, der sie beschützen musste. Das sollte er nicht. Die Zeit, in der er sie ständig rettete, war vorbei.
"Ich bin kein Held", entgegnete er auf ihren Hinweis, er solle das Retten sein lassen und einfach mal versuchen, nur er selbst zu sein. Dann lächelte er schief, dass die Träne am Wangenknochen vorbei Richtung Kiefer wanderte. Dort wurde sie endlich fortgewischt, allerdings ohne als das wahrgenommen zu werden, was sie war. Mit dem Handrücken streifte Caleb seine Wange und den Kiefer. Dann kratzte er sich das Kinn.
Sein Blick, der schon vorab zwangsweise auf ihr gelandet war, fokussierte Madiha erneut. Da hockte sie nun wieder dicht vor ihm, starrte ihn an, während ihr zerzaustes Haar in alle Richtungen von ihrem Kopf herab hing, ohne die Schutzkappe ihrer Jungenrolle. Der Anblick war zauberhaft. Caleb nickte sacht. Sie brauchte ihn nicht. Sie brauchte keinen Retter.
"Vielleicht hörst du einfach auf, dich wie ein Retter zu fühlen. Das würde uns allen eine Menge ersparen. Was ich meine ist ... vielleicht ist es an der Zeit, dass du einfach Caleb bist."
"Und wenn ich genau das bin?"
Er lächelte schwach, schüttelte den Kopf über seine eigene Frage. Er erwartete keine Antwort. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, seine Miene wieder unter Kontrolle zu bringen. Es gelang. Er war zurück und Madiha konnte wieder in dieses vertraute Gesicht des verwegenen Strauchdiebs schauen, der ihr damals im Kerker begegnet war. Das schiefe Grinsen, das Funkeln in den Augen, welches seinen eigenen Charme besaß. "Du hast Recht. Das ist mal wieder das Problem. Ich bin nicht ... ich selbst." Ein kurzes Zögern, das winzige Risse in seine Mimik kratzte, aber Caleb zückte bereits die Kelle mit der Spachtelmasse und stopfte die minimalen Schluchten. Sein Gesicht wurde rauer, diebischer.
Auf Dunia ging er nicht mehr ein. Insgeheim schien er sogar froh zu sein, dass Madiha das Thema wechselte. Sie beide mussten lernen, damit umzugehen und die Maske einer erwarteten "Echtheit" lernen, abzulegen. Es war jedoch noch nicht die Zeit dafür. Während Madiha sich erhob und ihre Handflächen abklopfte, blieb Caleb an Ort und Stelle sitzen. Natürlich. Wo sollte er auch hin? Er war ein blinder Passagier und achtete bereits jetzt schon zu wenig darauf, entdeckt zu werden.
"Wie lange wird das Schiff unterwegs sein, weißt du das?"
Die Antwort kam wie ein Pfeil, den man von einem Flitzebogen abgeschossen hatte. Sie sirrte blitzschnell an Madiha vorbei, dass sie ein Summen hinterließ: "Das Schiff fährt nach Andunie, also wird es etwa zwei Wochen brauchen. Weniger, wenn die Winde mit uns sind .. und das sind sie. Der Kapitän und der Navigator wissen, welche Route sie nehmen müssen. Am besten guckst du dir von ihnen und auch dem Rest der Mannschaft so viel ab, wie du kannst - Schiffsjunge." Damit griff der Dieb nach der Kappe, um sie Madiha zu reichen. Ihr Haar musste versteckt werden, ehe...
"BURSCHE! HE, SCHIFFSJUNGE, BIST DU HIER UNTEN?!" Jakub Tauwetter. Sein Bellen eilte den schweren, entschlossenen Schritten voraus, die er in den Laderaum setzte. Caleb verstummte augenblicklich. Er ließ die Kappe los, presste sich gegen die Bordwand und rutschte dann so lautlos in die Schatten zweiter Kisten, wie es ihm möglich war. Es blieb ihnen beiden nur noch ein Herzschlag, ehe der Erste Maat sie erreichen würde.
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Re: Auf eigenen Beinen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 30. März 2022, 13:06

Selten waren Schicksale einfach und völlig schnörkellos. Die meisten Individuen musste früher oder später auf ihrem Lebensweg stehen bleiben, umkehren oder abbiegen, um das Ziel doch noch erreichen zu können. Doch in Madiha’s Fall war ihr weg so wenig geradlinig verlaufen, dass sie nun gar nicht mehr anders konnte, als sich immer wieder zu winden und neue Pfade zu suchen. Es wäre einfach gewesen, Caleb zu vergeben, sich mit ihm zu versöhnen und sich vielleicht doch noch angenommen zu fühlen. Vielleicht hätte Caleb sich ihr noch weiter geöffnet und womöglich wären sie einander Freunde geworden – wenn, ja wenn da nicht dieses verkorkste Leben wäre und ihre Unfähigkeit anderen Vertrauen entgegenzubringen. Also wechselte Madiha das Thema, hielt sich bereits für ausreichend fürsorglich genug und erhob sich langsam. Einen Atemzug betrachtete sie den Dieb vor sich auf dem Boden und seine Worte hallten in ihr nach. Er sprach über Heldentum und darüber, dass er dieses nicht erfüllte. Sie aber zuckte innerlich die Schultern, denn sie wusste nichts darüber, kannte nur wenige Geschichten, die sich die Mädchen mal erzählten, wenn die Nächte lang wurden und keiner von ihnen so recht Schlaf fand. Doch das alles kam aus einer Welt, in der sie sich in die Abenteuer anderer flüchten konnten, weil ihr eigenes Leben strikt und eintönig verlief. Das konnte Madiha nicht von sich behaupten und so sehnte sie sich gar nicht danach, aufregende Geschichten zu erleben. Sie tat es, seit ihrer ausgesetzten Hinrichtung sogar ununterbrochen. Das Mädchen sehnte sich nach Ruhe und der Einfachheit eines biederen Lebens. Tagein, tagaus das gleiche zu tun, zu wissen was kam und kommen sollte. Sich genau auf dem Lebensweg auszukennen und trittsicher zu sein. Ob Caleb sich so etwas wünschte? Sie hatte die letzte Zeit mit dem Dieb zusammen verbracht und ahnte, wie sein Leben verlief. Es war dem ihren gar nicht so unähnlich, mit dem Unterschied, dass sie sich das nicht ausgesucht hatte. Madiha ertappte sich bei dem Gedanken, wie Caleb wohl aufgewachsen sein mochte. Wie es dazu kam, dass er nun hier saß und sich ihre beiden Lebenspfade so ineinander verknoteten, dass sie nicht mehr in der Lage schienen, ohne einander weiterzugehen. Hatte Caleb Ängste? Hatte er Träume? Was war sein Ziel? Sie wollte ihm gerne diese Fragen stellen, wollte ihn aushorchen und seine Antworten aufsaugen.
Doch alles was ihr über die Lippen purzelte war die einfache Frage nach dem Ziel des Schiffes. Seine Antwort kam so prompt, dass sie leicht zuckte, ehe auch Bewegung in seinen Körper kam. Seinen Hinweis, sie solle alles aufsaugen was sie lernen konnte, wollte sie gerade kommentieren, als sie die Schritte vor der eindringlichen Stimme hörte. Ihr Herz machte einen Doppelschlag, bevor es gefühlt in ihrer Brust sank. Sie spürte, wie ihr heiß wurde, dann fror sie und auf ihre Hände legte sich ein kalter Film. Madiha kam Caleb mit ihrer Hand entgegen, als er ihr die Mütze reichte und presste sie auf ihren Kopf. Hastig und fahrig stopfte sie ihr Haar so gut es ging darunter, sah zu Caleb und sah noch, wie er sich weiter in die Schatten drückte. Sie mühte sich noch mit den letzten Strähnen ab, griff sich im letzten Moment ihren Rucksack, während sie eilig aus dem Lagerraum trat, um zu verhindern, dass man den Dieb entdeckte. Sie kam Jakub entgegen, zuppelte die Mütze noch mal glatt und räusperte sich, um wieder tiefer zu sprechen als noch vor Sekunden mit Caleb. „Hrm, ich bin hier.“, gab sie sich zu erkennen und startete den Versuch, eine leidende Miene aufzusetzen. Sie versuchte zwar ihr Gesicht weiter im Schatten der Kappe zu verbergen, aber sollte Jakub wieder übergriffig werden und sie ansehen wollen, sollte er weiterhin denken, dass ihr die Seeluft weit weniger bekam, als sie selbst dachte. Madiha wartete am Treppenaufgang darauf, dass sich die hohe Gestalt Jakubs in ihr Sichtfeld schob. Noch bevor er fragen konnte, was sie hier tat und warum sie nicht in der Hängematte lag, schulterte sie demonstrativ ihren Rucksack und wollte dann die Stufen hinaufnehmen. „Hab‘ ich vergessen.“, murmelte sie halblaut und hoffte, dass es ihm als Erklärung genügen würde, warum sie sich hier herumtrieb. Madiha erinnerte sich an das, was der Dieb ihr vor ein paar Minuten sagte: 2 Wochen würde das Schiff bis Andunie brauchen. Andunie… Calebs Heimat, Ilmys Heimat… konnte es das auch für sie werden? Den aufkommenden Gedanken beiseiteschiebend, konzentrierte sie sich wieder auf das massige Problem vor sich: Jakub Tauwetter. Wenn sie ihm noch 2 Wochen vorgaukeln konnte, dass sie das war, was er glaubte… dann sollte sie sich vielleicht den Gauklern und Schaustellern anschließen und mit ihnen durch die Lande ziehen. Das wäre dann wohl eine Meisterleistung. Ihr wurde erneut schlecht bei dem Gedanken an den Moment, wenn Jakub Tauwetter seine riesige Pranke um ihren Hals schlang, weil er erkannte, dass sie gelogen hatte. Mehrfach. Also startete sie einen mäßigen Versuch, sich weiter aus dem prüfenden Blick zu ziehen und lenkte das Augenmerk auf etwas anderes: "Gibt es Arbeit für mich?", versuchte sie anzubieten, inständig hoffend, dass er nicht weiter nachbohren würde.
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