Es war eine Sache der Beherrschung. Seit Madiha erste Einblicke durch Kjetell'os Unterricht erhalten hatte, lernte sie vor allem, ihre Magie zu beherrschen. Dabei unterwarf die jene nicht und das machte für eine ehemalige Sklavin einen wichtigen Punkt aus. Sie suchte tief in ihrem Inneren den Kern für all die Kraft, welche sich oftmals in überemtionalen Situationen entfaltete. Sie fand dadurch zu ihrem inneren Feuer. Doch anstatt es unter einer Kuppel klein zu halten oder unkontrolliert ausbrechen zu lassen, spielte sie damit. Sie begrüßte es wie einen Freund, wärmte sich an ihm, wohingegen das Feuer geduldig wartete, genährt zu werden. Madihas Form von Beherrschung ging von gegenseitigem Respekt aus. Sie lenkte ihre Kräfte, weil sie darauf vertraute, dass sie ihr gehorchen würden. Im Gegenzug schenkte sie ihnen eben die Freiheit, nicht in ihrem Inneren eingesperrt und verborgen zu bleiben. Es war eine Art Handel, den sie nur zu gern eingegangen war und nicht mehr missen wollte. Durch diese Handhabung wurde sie belohnt. Auch das Feuer war bereit, sich an die unausgesprochene Abmachung zu halten. Es züngelte in ihr empor, aber nicht mehr mit dieser zerstörerischen Wut, sondern mit Wärme. Jene durchfuhr ihre Glieder, erinnerte die Sarmaerin nicht nur an den warmen Sand ihrer Heimat, sondern auch daran, dass sie sich nicht jedes Mal physisch oder mit Worten verteidigen müsste. Wenn es hart auf hart käme, brächen die Flammen aus und würden sich dennoch an ihre Anweisungen halten - vorerst jedenfalls. Denn bislang hatte es keinen Grund mehr für das Feuer gegeben, sich unkontrolliert und in alle Richtungen auszubreiten. Wahlloses Fressen führte zu Übersättigung und hinterließ Folgen, mit denen alle würden umgehen müssen, auch das Feuer selbst. Wenn die Hülle - Madiha - aufgrund seines Brandherdes mental instabil würde, könnte sie es nicht mehr rufen und die Flammen wären auf's Neue tief in ihr eingesperrt. Nein, so wie es aktuell lief, entwickelte sich etwas Neues und Besseres. Das Feuer spielte mit. Es ließ sich am Zügel führen und war bereit, einen Ritt mit seiner Leiterin zu wagen, sobald auch sie die Freiheit spüren wollte.
Madiha aber blieb beherrscht. Das schuf Selbstbewusstsein, mit Situationen umzugehen, bei denen sie früher in alte Schemata zurückgefallen wäre. Nun ließ sie nicht länger zu, dass man über ihren Kopf hinweg redete. Sie war keine Sklavin mehr und auch nicht mehr das dürre Mädchen, mit dem man anstellen konnte, wonach einem beliebte. Sie war nicht länger willenlos, im Gegenteil. Hier und jetzt, an Calebs Seite, zeigte sie ihren Willen.
Auch das wurde belohnt. Harm wirkte aufrichtig beeindruckt von ihr und hakte sofort bei Caleb nach. Nur der Dieb blieb wie er war, machte Madiha sofort zu einer Meisterin ihres Fachs und sich selbst zu ihrem treuen Gefolgsmann. Erstmals glaubte die junge Frau, die Kontrolle zu verlieren. Caleb war ein Feuer, das sie mit Wärme und hypnotischem Funkeln in den Augen anzog, aber das sie nicht kontrollieren konnte. Nicht durfte, denn dann würde er erlöschen, so fürchtete sie. Das führte allerdings auch immer wieder dazu, dass er gedankenlos seine Grenzen überschritt.
Madiha versetzte er innerlich in Panik. Selbst ihr Feuer schien für einen Moment wie erstarrt zu sein. Dafür schien ihr Magen sich zu verknoten. Was sagte Caleb denn da?! Sie und eine Meisterdiebin?! Wenn das nicht nach hinten losging...
Vor Harm gab sie sich jedoch keine Blöße. Nach außen hin spielte Madiha mit, verzog keine Miene, als sei zumindest für sie nichts Neues daran, plötzlich auf die Ebene einer meisterlich befähigten Diebin gestellt zu werden. Sie musste diese Rolle kaschieren. Alles andere hätte bedeutende Konsequenzen gehabt, wenn sie an den Faustschlag zurückdachte. Harm handelte schnell. Sie durfte aber ebenso erkennen, dass er eine weiche Seite besaß. Spätestens als sich das Krümelchen von ihrem Schlafplatz löste, um auf seinen Schoß zu klettern und sich dort neuerlich anzuschmiegen, sah Madiha es. Sie sah sich selbst. Haare, Haut und der dürre Körper wiesen hohe Parallelen zu ihr auf und auch sie hatte sich auf so manchem Schoß niederlassen müssen. Aber Harm war nicht Khasib, er war das, was Madiha nie kennengelernt hatte. Er zeigte sich dem Kind gegenüber so väterlich wie es ein Mann seines Alters nur sein könnte. Keine seiner Zärtlichkeiten besaß einen zweideutigen Charakter. Seine Pranken tätschelten fürsorglich den dunklen Schopf und legten sich beschützerisch um den kleinen Leib. So war auch die Reaktion des Mannes nachvollziehbar. Er sah sich in der Verantwortung, die kleine Bande am Leben zu erhalten. Leider tat er sich schwer damit, seit die dunklen Völker Andunie erobert hatten. Ihm schwammen die Felle weg. Dann jemanden wie Caleb wiederzusehen, der ihm offenbar einen ganzen Batzen an Geld schuldete, war für ihn ein Lichtblick hinaus aus seinem Dilemma. Dafür beförderte es den Wüstendieb und Madiha in ein neues hinein.
Ob eine halbe Drachme wirklich gerechtfertig war, blieb einmal außen vor. Madiha kannte die Bedeutung dieser Summe. Sie hatte niemals so viel Geld in ihrem Leben gesehen, aber wohl erinnerte sie sich an Handelsgespräche zwischen Abbas, Khasib und anderen reichen Pfeffersäcken. Wenn diese über Geld sprachen, wurden Füchse nicht einmal als existent angesehen, Lysanthemer verlacht. Nein, bei ihren Geschäften ging es immer nur um die großen Münzen, die goldenen Drachmen. Folglich schuldete Caleb seinem alten Freund wahrlich eine ganze Menge.
Die Faelyn-Familie hatte sich hier irgendwo breitgemacht. Sie besaßen ein Haus, hatten es beansprucht so wie Jivvin es mit dem Heim der van Tjenns getan hatte. Und wenn der Faelyn-Unterschlupf nur halb so gut ausgestattet war wie Calebs Heim, könnte man mit dem Verkauf einiger Bilder, Statuen oder anderer Schmuckstücke sicher an eine halbe Drachme herankommen. Das Problem bestünde darin, dass sie und Caleb diese Gegenstände entwenden müssten. Und falls sich wirklich herausstellte, dass Corax Teil der Faelyn-Elfen war, fühlte es sich an, als würde Madiha ihrem rabenhaften Freund die familiäre Grundlage unter dem Schnabel hinweg stehlen. Schlimmer ginge es wohl nur aus, falls sie erwischt würden. Dann wäre jeglicher Versuch, eine Verbindung zwischen Corax und Emmyth aufzubauen, dahin. Und trotzdem schlug Caleb vor, sich ausgerechnet in ihrem Haus zu bedienen.
"Caleb..."
Er hörte sie. Er schaute zu Madiha hin und bemerkte durchaus, dass sie marginal den Kopf schüttelte. Sie hingegen konnte etwas in seinem Blick finden. Sie kannte Caleb lange genug, um den Ernst darin zu erkennen. Oh, er wusste sehr gut, worum es ging. Ihm war bewusst, was er hier sagte. Es kam nicht gedankenlos, nicht arglos über seine Lippen. Vielmehr improvisierte er mal wieder und geriet mit sienem Hals nur enger in die Schlinge. Er redete sich um Kopf und Kragen. Allerdings verzweifelte Caleb nicht daran. Er würde sich eine Lösung einfallen lassen, wenn die Zeit dafür rief wäre. Das war seine Art, Dinge anzugehen. Jemand wie er nahm nun einmal jedes Fettnäpfchen mit. Aber er war oft genug damit davongekommen. Cal, der Grinser ... so nannte ihn Harm. Er hatte sich einen Namen gemacht, weil er gewisse Erfolge erzielte. Harm traute ihm auch jetzt noch, nach all den Jahren und trotz der Tatsache, dass er sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hatte, um einem Schuldenberg zu entkommen. Andere hätten sofort mit dem Leben bezahlt. Caleb hingegen redete sich irgendwie immer wieder heraus.
Jetzt ging der Kelch jedoch an sie, an Madiha. Harm erwartete von ihr ein Angebot, weshalb er seine letzte Ausrüstung für diesen Bruch verleihen sollte. Da hatte Caleb ihr ja etwas eingebrockt. Natürlich musste sie als Meisterdiebin die Verhandlungen führen, wenn sie zugegen war. Sie ließ keine Handlanger für sich sprechen. Oh, Caleb hätte die Rollen tauschen sollen! Madihas Gedanken wirbelten panisch in ihrem Kopf umher. Ihr Herz drohte damit, sich ein Loch durch die Brust zu hämmern. Ihr Magen bildete Dutzende neue Knoten. Sie fühlte sich so unwohl wie lange nicht mehr. Nicht einmal Jivvin gegenüber hatte sie diese Unbehagen gespürt, ehe sie erkannte, wie gerecht die Dunkelelfe doch sein konnte. Aber auch Harm besaß seine guten Seiten. Daran musste sie ihre Strategie aufknüpfen.
Caleb unterstützte sie nahezu unbemerkt. Er drückte seinen Schenkel gegen ihr Bein und als Madiha noch einmal flüchtig zu ihm herüber schaute, begegnete sie einem entschlossenen Blick. Er verkündete ihr schweigend, dass sie nur die richtige Entscheidung treffen konnte und ganz gleich, wie diese aussähe, würde Caleb hinter ihr stehen.
Aber langsam musste sie reagieren. Die Stille dehnte sich schon einen Deut zu weit aus. Madiha fokussierte ihren Blick auf Harms Krümel von einem Mädchen. Ihr Aussehen verschaffte ihr die innere Ruhe, die sie nun brauchte. Sie musste an das Herz des Mannes appellieren. Er war ein guter Geselle. Das musste er sein, wenn Caleb nicht schlecht über ihn sprach. Das musste er angesichts dr Zuneigung sein, die das Krümelchen für ihn empfand. Das würde er sein, wenn Madiha mit ihm fertig war!
Manthala lächelte offenbar auf sie herab, denn Madiha ging geschickt vor. Sie gab Informationen über ein Zielhaus preis, ohne Namen zu nennen. Sie schenkte Harm nur so viel Wissen, wie er benötigte, um eine Entscheidung zu treffen. Ansonsten aber hielt sie sich zurück. Falls nichts aus ihren Geschäften würde, konnte der Bandenführer sich wenigstens nichts unter den Nagel reißen. Solche Taktiken wandten nur Anführer an. Madiha ging in ihrer Rolle als Meisterdiebin zumindest auf Verhandlungsbasis schon einmal auf. Und Harm schien diese Art des Gesprächs zu schätzen. Er musterte sie ruhig, streichelte den Kopf seines Kindes und wirkte alles in allem entspannt.
"Ist nicht das erste Mal, dass du dich verschuldest, Cal", wandte er nach Madihas Worten den Blick ab und richtete ihn auf den Dieb. Der Angesprochene hob die Schultern an und setzte ein entwaffnendes Lächeln auf. Harm erwiderte es mit einem breiten Grinsen. Dann hob er seine Hand vom Kopf des Krümels und deutete mit einem Finger samt Dreck unter dem Nagel auf seinen Gegenüber. "Aber du hast auch immer alles zurückgezahlt und dabei niemals einen Finger verloren."
"Man muss mir nur genug Zeit geben ... und Ausrüstung, Harm", konterte Caleb. "Du hast Madi gehört. Du kannst darauf bauen, dass sie weiß, was sie tut. Und sie hat ein Auge für wertvolle Dinge."
"Du meinst, weil sie nur die Besten um sich schart?" Beide Männer lachten kurz auf. "Es ist durchaus was dran", fuhr Harm schließlich fort. "Aber wenn dem so ist, will ich mit von der Partie sein. Ich bin einverstanden. Ihr bekommt Ausrüstung von mir. Cal, lass dich eindecken." Mit einem Pfiff signalisierte Harm dem Messerspieler, dass er ihn benötigte. Jener wuselte sofort heran, was dem Krümel zum Anlass gab, seinen Platz aufzugeben. Das Kind huschte davon in Richtung des Feuers, um sich neben die vermummte Gestalt zu setzen. Dem Klingenhalunken traute sie offenbar nicht.
"Messer, deck unsere Teilzeitverbündeten ein. Und hab ein Auge darauf, dass wir unsere Sachen wiederbekommen. Ich verlassem ich auf dich."
Der Halunke nickte nur und winkte mit seiner Klinge, ihm zu folgen. Caleb erhob sich und auch von Madiha wurde es erwartet. Weit kamen beide nicht. Es ging nur in eine andere Ecke des Unterschlupfes. Dort stapelten sich ein paar Kisten, Fässer und anderer Krimskrams. Messer durchsuchte gezielt einige Vorräte. Er drückte Caleb bereits einiges an Utensilien in die Hand, ohne dass dieser auch nur nennen musste, was er brauchte. Es gab offensichtlich eine Standardausrüstung, wenn man einen Einbruch plante.
Caleb und Madiha erhielten gleich zwei Seile. Eines war doppelt so lang, aber beide wirkten stabil. Außerdem legte Messer noch einen Kletterhaken hinzu, den man bei Bedarf an einem der Seile befestigen konnte. Darüber hinaus erhielten sie eine eiserne Brechstange und einen Satz Werkzeuge zum Schlossknacken. Madiha sah auf Anhieb, dass mindestens die Hälfte der fünf Dietriche rostige Stellen aufwiesen. Harm hatte nicht untertrieben mit seiner Sorge. Die Hafenratten pfiffen aus dem letzten Loch und vermutlich gaben sie gerade ihre beste Habe aus der Hand.
"Braucht ihr auch Waffen?", gab Messer zum ersten Mal seine Stimme preis. Sie war rau wie ein morsches Brett. Entweder liebte er Alkohol oder Tabak, vielleicht beides. In jedem Fall schien er jeglichen Gewinn an Beute in diese Richtung umzusetzen. "Mit Giften oder magischem Schnickschnack können wir nicht mehr dienen. Also seht zu, dass ihr was Anständiges mitbringt." Er bleckte die Zähne. Dann lehnte er sich an eines der Fässer. Caleb untersuchte die Ausrüstung, packte alles zusammen und ließ sich dann einen Rucksack reichen, um es zu verstauen. Der war inbegriffen, irgendwo musste er ja auch seine Beute packen. Also reichte Messer ihm auch noch einen Jutesack.
Caleb nickte Madiha zu. Mehr konnten sie wohl nicht erwarten. Es sei denn, seine Begleiterin brauchte noch etwas. Solange es nicht zu ausgefallen war, konnte sie darauf hoffen, dass Messer es aus einer der Kisten zauberte.
"Ihr geht heute noch?", rief Harm von seinem Platz aus. Caleb schaute Madiha an. Dann antwortete er: "Wir schauen uns den Zielort heute zumindest an. Drängel nicht, Harm. Du weißt, dann geht's schief."
"Aye, du besserwisserischer Bastard!" Wieder lachten beide Männer. Die Stimmung war trotz allem tatsäch weniger angespannt als der erste Schlag gegen Calebs Kinn vermuten ließ. Es sah auch nicht mehr schlimm aus. Ein Bluterguss würde sich bilden, aber wenigstens war nichts geschwollen und das kleine Rinnsal Blut von seiner Lippe war ebenfalls schon getrocknet. "Wollen wir los?", raunte der Wüstendieb Madiha zu. Den Weg zum Zielort kannten beide. Blieb zu hoffen, dass das Haus Faelyn auf zahlreiche Wachposten verzichtete.