Orientierungslos am Hafen

Die größte Handelsstadt Celcias besitzt auch den größten Hafen. Es liegen immer ein paar Handelsschiffe vor Anker und überall wimmelt es von Matrosen oder Fischern. Wer hier auf einem Schiff anheuern will, hat eine große Auswahl.
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Madiha Al'Sarma
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 2. Januar 2023, 21:53

Niemals hatte man nach irgendwelchem Potenzial in dem Wüstenkind gesucht, denn alles was sie war, war ein Mädchen und später eine Frau in Sarma. Sie hatte keine Eltern, niemanden der auch nur wusste, dass sie existierte oder wenn, sich nicht darum scherte, was aus ihr wurde. Es war niemals wichtig gewesen was sie dachte oder wohin sie strebte. Zukunft war ein großes Wort für jemanden wie Madiha und sie hatte sich zwar stets eine andere gewünscht aber wie hätte sie das bewerkstelligen sollen? Niemand hatte je an das Mädchen geglaubt oder gar bestärkt, niemanden hatte auch je nur einen Gedanken daran verschwendet, dass sie etwas anderes sein könnte, als das Sklavenmädchen, dessen Löcher für sämtliche Gräueltaten parat standen und allenfalls sauber zu sein hatten. Madiha aber verlor ihren Willen nicht. Sie brach niemals ganz, sodass ihre ohnehin gepeinigte Zeit zusätzlich mit Strafen und Schlägen gefüllt wurde. Stur und stoisch ertrug sie die Hiebe, ertrug sie die schwitzenden Leiber und die schmerzhafte Behandlung diverser Männer. Und sie redete sich immer ein, dass sie eines Tages eine neue Zukunft und ein besseres Leben haben würde. Wie genau das aussehen sollte, konnte sie sich indes nicht vorstellen, denn dafür fehlte ihr die Erfahrung, wie es außerhalb der Mauern ihres eingeschränkten ‚Lebens‘ zuging.
Doch die Jahre vergingen. Die Pein wurde nicht weniger und ihre Situation auswegloser. Madiha konnte spüren, wie sie ein um den anderen Tag weniger wurde. Ihre Seele in kleine Fragmente zerteilt und verschüttet wurde. Sie wurde zu einer dieser willenlosen Hüllen, das spürte sie. Wenn sie nicht Zeugin von Hila’s Hinrichtung geworden wäre… sie würde vermutlich inzwischen ebenso mit trüben Augen und einem leeren Ausdruck im Gesicht dasitzen und alles geschehen lassen, was man mit ihr anstellte - auch ohne Rausch. Aber es kam anders und sie erwachte. Erwachte aus der Starre, die dieses Leben irgendwann über die Seele legte, damit sie nicht vollständig verschwand. Madiha begehrte auf und zahlte einen weiteren Preis dafür, dass sie nicht schwieg. Die Kombination aus Offenheit und Naivität, die zeitweise amüsant und unglaublich erschien, hatte Madiha sich verdient. Sie hatte ihre Unversehrtheit lange zuvor eingebüßt, doch Khasib hatte ihrer lockeren Zunge einen weiteren Stempel aufgedrückt. Caleb kannte sie noch ohne Narben. Bis man sie aus seiner Nachbarzelle geholt und Stunden später zurückgeworfen hatte… Übel zugerichtet, damit sie im Sand auf jeden Fall sterben würde. Jetzt aber saß sie ihm gegenüber auf seinem Schoß und spürte seine Finger unter ihrem Kinn.

Madiha erwiderte seinen Blick. Er sprach davon, dass auch ein goldener Käfig nur ein Käfig wäre. Und dass alles was man besitzen konnte, nur Schein wäre, wenn es nicht mit Echtheit gefüllt würde. Nun… Madiha hatte rein gar nichts zu bieten. Sie saß bei ihm auf dem Schoß und konnte ihm nur ein Stück der kostbaren Reste ihrer Seele anbieten. Echter ging es wohl nicht. Dabei machte sich Madiha keine Gedanken darum, ob sie zu voreilig war. Ob sie damit einen Fehler begehen oder ihn vergraulen könnte. Sie kannte sich nicht aus im Umgang mit diesem Gefühl, das ihr Herz wärmte und ihre Seele zusammenklebte. Aber sie wusste, dass sie es sagen musste. Dass es hinauswollte. Und so sprudelten die Worte über ihre Lippen und schafften mit einem Mal eine vollkommen neue Situation.
Madiha war sich dessen nicht mal bewusst, bis die kleine Ewigkeit, in der Caleb sie nur anblinzelte und nichts sagte, deutlich zu lang wurde. Sie runzelte leicht die Stirn, während er mit sich haderte und unruhig den Blick schweifen ließ. Das Mädchen spürte, wie ihre Kehle trocken wurde. Warum sagte er nichts mehr? Hat sie etwas falsch gemacht? Unsicherheit legte sich in ihr Gesicht, während er ihr mit Zweifeln begegnete. Ihr Herz begann zu schlagen. Irgendetwas war falsch. Doch auch wenn sein Schweigen in ihr die Frage aufwarf, ob sie etwas falsch gemacht hatte, war das was sie sagte die reine Wahrheit gewesen. Er fand keine Zweifel, keinen Spott in ihrem Blick. Madiha meinte, was sie gesagt hatte auch wenn sie sich der Tragweite nicht bewusst gewesen war. Langsam wurde sie jedoch nervös, als sich endlich seine Lippen teilten: "Du bist betrunken, oder? Der viele Wein ... ich meine ...", entgegnete er und sie hob überrascht die Augenbrauen. Sie sah sogar zum Krug und schüttelte langsam den Kopf. „Ich glaube nicht…“, entgegnete sie eine ernstgemeinte Antwort, was jedoch zwischen seinen Worten unterging als er weitersprach. "Bist du dir da sicher, Madi? Bist du dir bewusst, was du gerade...?" Sie nickte wie selbstverständlich. Für ihr Empfinden wusste sie, was sie gesagt hatte. Auch wenn sie erst durch ihn überhaupt erfuhr, wie man dieses Sammelsurium an Empfindungen in einem Wort zusammenfasste, glaubte sie, dass sie es richtig benutzt hatte, um auszudrücken, was sie fühlte.

Mit einem Mal aber kehrte sein Blick mit Trauer zurück zu ihr. Madiha schluckte unwillkürlich. Sie verstand sein Mienenspiel nicht wirklich. Wieso trauerte er? "Ich bin ein alter Mann, Madi. Viel zu alt ... du könntest meine Tochter sein und ... wenn irgendein schöner Jungspund plötzlich in dein Leben tritt, dann vergisst du mich doch sofort. Und das wäre zu deinem Besten, wenn nicht noch ein alter, haariger Körper über ... dir ..." Die Worte prallten an einer unsichtbaren Grenze ab. Madiha blinzelte und er konnte erkennen, dass sie nicht verstand, warum er so etwas sagte. „Wie sollte mich das Alter abhalten und wie könnte ich dich vergessen, wenn ich doch so fühle?“, wollte sie wissen und erneut war es ihre Schlichtheit, die durchaus erfrischend sein könnte. Doch Caleb kämpfte mit ihrem Geständnis und langsam hatte Madiha das Gefühl, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte. Hielt er sie etwa für lächerlich? War es denn falsch, dass sie, Madiha, in ihrem Alter sich zu ihm hingezogen fühlte? War das denn wichtig, wenn man jemanden mochte oder ein Indikator dafür, ob man es durfte? Seit sie zwölf Jahre alt gewesen war, wurde sie missbraucht – egal durch welche Altersklasse. Es war immer egal gewesen. Für sie waren das Zahlen, die sie auch nicht gut beherrschte. Sie wusste nicht mal, wie alt Caleb war. Es kümmerte sie nicht…
Aber Madiha begann langsam zu glauben, dass sie etwas falsch verstanden hatte. Dass sie etwas übersah, obwohl sie sich doch geküsst hatten… Hatte sie etwas durcheinander bekommen? Dann berührte er sie an ihrem Gesicht und fing ihre graublauen Augen mit seinen ein. Madiha wurde ruhiger. Der aufkommende Sandsturm in ihrem Inneren beruhigte sich schlagartig wieder und sie hielt sogar ein wenig die Luft an. Diese Narben… Zeugnisse ihrer Kraft und ihres Willens zu überleben. Aber auch Makel, die sie nie wieder verlieren würde... Sie schmiegte sich ein wenig in seine Berührung und hob ihre Hand an seine. „Caleb…“, flüsterte sie bedeutungsvoll, denn in seinem Gesicht konnte sie seine Gedanken zwar nicht lesen aber sehen, dass ihn viele Dinge beschäftigten. Bis er offenbar plötzlich eine Entscheidung getroffen hatte: "Dir ist vollkommen bewusst, was du sagst. Du liebst mich. Alles andere fühlt sich leer an, als würde die eigene Seele zerrissen. Du möchtest mit mir zusammen sein. Tja dann… Überrascht hob sie beiden Augenbrauen und ließ sich mühelos von ihm auf seinen Platz setzen. Sie spürte die Wärme, die sein Körper hinterlassen hatte und sah etwas verdutzt auf sein Gebaren. "Wenn, dann richtig ... ich fürchte, ich hab das meiste verlernt, aber ich gebe mir Mühe." Madiha beobachtete seinen imaginären Umhang und plötzlich lächelte sie fragend. Was hatte das zu bedeuten? Er sank auf die Knie und sie folgte mit ihrem Kopf, bis ihr Blick auf seine Hände, die auf ihrem Schenkel lagen, sank. Unsicher huschten ihre Augen zu seinem Gesicht. Was hatte er denn vor? "Ich will das auch. Ich ... kann dir nicht wirklich sagen, ob es aufrichtige Liebe ist. Ich glaube, dafür müssen wir mehr Zeit miteinander verbringen, also ... zusammen. Als ... Paar.“ Madiha schluckte. Sie war mit einem Mal furchtbar nervös. "Aber du bedeutest mir ungemein viel, Madi. Sehr viel. Was ich fühle, das ist ... es ist weitaus mehr als dieses Kribbeln und Ziehen, wie wenn ich Azura ansehe oder Dunia. Und es geht über den Wunsch hinaus, einfach nur eine gute Freundin zu haben. Ich möchte in deiner Nähe sein, dich beschützen und mit dir herumalbern. Ich möchte dich trösten, wenn es dir schlecht geht, weil ich dich lächeln sehen will. Ich möchte, dass du lachst und Freude daran hast, in meiner Nähe zu sein. Und ich..."

Er erhob sich, sodass sie sich leicht nach hinten lehnte und ihre Augen seiner Bewegung folgten. Sie saß vollkommen ruhig – so schien es – vor ihm und lauschte seinen Worten, sah seiner Bewegung zu und hatte dennoch das Gefühl als könne sie kaum atmen. Ihr Herz pumpte so schnell, dass sie das Gefühl hatte, vom Stuhl zu kippen. Doch er verhinderte es, denn er lehnte sich vor und schuf eine behagliche Barriere um sie herum. Madiha lief puterrot an und wischte die leicht schweißigen Handflächen an ihren Oberschenkeln ab. Er war so warm. So unendlich warm und seine Röte schien die ihre zu spiegeln. Madiha schluckte noch einmal, denn ihr Mund war unglaublich trocken, ihre Kehle so ausgedörrt. Caleb raubte ihr den Atem, auch wenn er ihr nicht direkt sagte, dass er sie liebte. Auch wenn er Azura erneut erwähnte und sie den Stich dieses Mal ignorieren wollte. Er sagte aber so viel mehr… Er sprach davon, mit ihr zusammen zu sein… ein Paar zu sein. Er wollte für sie da sein und nichts anderes, wollte Madiha für ihn. "Und ich möchte dich küssen. Weil ich dir eines Tages auch sagen will, dass ich dich liebe." Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Madiha sah Caleb ins Gesicht und ihre Pupillen huschten durch sein Antlitz als suche sie etwas ganz dringend. Ihre Lippen begangen zu beben. Madiha zitterte leicht, denn das, was er sagte, was er tat und wie er vor ihr stand… Sie war tief berührt und dankbar. Er hielt ihre restlichen Seelenfragmente beisammen und schaffte es, dass sich die Teile wieder ein Stück weiter annäherten, um sich irgendwann zusammenzufügen. Plötzlich öffnete sich das Gesicht der Sarmaerin und die Tränen liefen ihr über die Wangen. Dann lächelte sie ihn überglücklich an. In der Form war es wohl das erste Mal, denn es war wahrhaftig, sodass sogar ihre Augen glühten. Sie hatte das Gefühl vor Glück zu platzen. Er mochte sie. Das war es doch unterm Strich, was er sagte oder nicht?
Madiha lehnte sich vor und schenkte ihm einen – zugegebenermaßen nassen – Kuss, der ihre Gefühle unterstrich. Sie neigte ihren Kopf, damit sie seine Lippen liebkosen konnte und schloss die weinenden Augen dabei. Zitternd hob sie kurz darauf beide Hände, legte sie an sein Gesicht und löste sich wieder von ihm. Die Tränen versiegten, doch ihre Augen glitzerten noch etwas. „Wie könnte ich mehr verlangen?“, flüsterte sie liebevoll und strich ihm mit dem Daumen über die Lippen, während ihr Blick ihrem Finger folgte. Noch einmal neigte sie sich vor, hauchte ihm einen zärtlichen Kuss auf und zog sich abermals zurück. „Lass uns gemeinsam herausfinden, wohin uns das führt.“, schlug sie vor und schenkte ihm einen Augenaufschlag. Sie konnte ihr Glück nicht glauben. Madiha war erfüllt von einem Gefühl, dass sie selbstsicherer machte. Das sie beseelte und beflügelte. Es war wie ein Rausch und sie wollte das nicht mehr hergeben… Madiha schenkte ihm abermals einen Blick und brach erneut in ein Lächeln aus, weil das Glück überschwappte. Dann schloss sie Caleb in ihre Arme, während sie ihr Gesicht an seine Schulter bettete. Sie sog seinen eigenen Geruch ein und schloss die Augen dabei. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, beruhigte sich aber in der Umarmung mehr und mehr. Seine Nähe ließ ihr Herz ruhiger schlagen, während andere Gefilde erwachen wollten. Doch alles zu seiner Zeit… Madiha löste langsam die Nähe zum Dieb und legte sein Gesicht zwischen ihre Hände, die sie locker an seine Wangen legte. Sie lächelte ihn abermals an und schenkte ihm einen Blick als könne sie einfach nicht glauben, dass er sich für sie interessierte. Sie erfuhr das aller erste Mal solche Zuneigung und konnte sich nur schwer aus der Situation lösen. Dennoch entließ sie den Dieb aus ihrer Berührung und legte ihre Hände auf die Oberschenkel zurück. „Wir müssen Corax suchen…“, flüsterte sie nach einer Weile und kehrte allmählig mit ihrer Aufmerksamkeit zurück in die schreckliche Blut-Taverne und der grauenvollen Tat des Raben.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Dienstag 3. Januar 2023, 21:15

Der Weg kam ihr unendlich weit vor, weil es wahre Ewigkeiten zu dauern schien, bis das Ziel für sie in Sichtweite zu kommen begann. Ihre Füße trugen sie zuverlässig und weiter an einem Stück als jemals zuvor, denn jemand wie sie reiste nicht per pedes. Sie war es gewohnt, auf einem Pferderücken oder in einer Kutsche zu sein, genoss es, mit einem Schiff vorwärts zu kommen und vielleicht hätte es auch irgendwie seinen Reiz gehabt, einmal fliegen zu können. Naturgemäß ohne am Ende unsanft zu landen.
Doch zu Fuß? Nein, das war längst nicht mehr das ihre und dennoch fühlte sie keine Ermüdungsanzeichen. Zumindest keine körperlichen. Wie es mit ihrer Seele aussah, das war ein gänzlich anderes Kapitel. Bevor sie allerdings soweit gewesen wäre, tatsächlich anzuhalten und aufzugeben, riss sie sich zusammen und führte sich vor Augen, warum sie diesen Marsch überhaupt auf sich genommen hatte.
Das half auch und schlussendlich wurde sie damit belohnt, dass sich der Horizont veränderte und jegliche Unsicherheit, ob sie womöglich in die falsche Richtung laufen könnte, schwand. Stattdessen nahm sie noch einmal all ihre geisterhaften Kräfte zusammen und beeilte sich noch mehr. Ja, sie ließ sich auch nicht von der wenig vertrauenerweckenden Erscheinung des Fährmanns abschrecken, schließlich hatte sie es mit dem Gerippe persönlich aufgenommen, da konnte sie so leicht niemand allein mit seinem Anblick verscheuchen. Das redete sie sich zumindest ein... Außerdem hatte ja ihre Göttin persönlich sie hierher geschickt und dieser vertraute sie fast zur Gänze.
Also lief sie den Strand entlang, betrat den Steg und entrichtete dem Wesen seinen Lohn. Nun zeigte sich jedoch, dass sie bei weitem noch nicht so abgebrüht war, wie sie sich gern gegeben hätte, denn ihre Hand zitterte bei der Übergabe der Münzen. Und auch danach fühlte sie eine innere Anspannung.
Würde es reichen? Würden die Münzen akzeptiert werden? Würde diese... diese Kutte voller Dunkelheit überhaupt ausreichend Kraft besitzen, um sie ins Leben zurück zu rudern?!
Plötzlich drückte das Ding die Ausbeute in die Schwärze unter der Kapuze und als die bandagierte Hand wieder herab sank, sahen sie zwei künstliche Augen an, die unheimlicher kaum sein konnten. Das war aber noch längst nicht alles, denn mit einem Mal zeigte sich ein blutroter Schlitz in der Schwärze, der breiter und breiter wurde, bis er entblößte, was sich innerhalb der Finsternis verbarg.
Mit einem leisen Quietschen wich sie entsetzt zurück bei diesem Anblick und hatte das Gefühl, ihr Magen müsse sich umdrehen. Waren ihr die mechanischen Frauen, die sie in ihrem Palast zurück gelassen hatte, schon alptraumwürdig vorgekommen, so würde dieser Moment sie noch viel eher heimsuchen. Wie gut, dass sie schon tot war, sonst wäre ihr jetzt garantiert das Herz stehen geblieben!
Doch... sie wurde nicht gefressen oder sonst wie von diesem schaurigen Wesen attackiert. Stattdessen... lud er sie auf seinen Kahn ein! Wenn sie sich nicht darüber bewusst gewesen wäre, wohin die Reise gehen sollte... sie hätte dankend abgelehnt und wäre schreiend weggelaufen. So hingegen blieb ihr nichts anderes übrig.
Und dennoch... als sie hinein kletterte, fühlte sie sich derart zittrig und unsicher, dass sie regelrecht auf den einzigen, vorhandenen Sitz plumpste und voller Angst zu der Kutte starrte. Auch dieser stieg ein und baute sich in ihrem Rücken auf, um von dort aus mit seiner Stange das Boot in Bewegung zu setzen. Es schauderte sie erneut und sie musste ihre Zähne fest zusammen beißen, damit diese nicht hörbar zu klappern begannen. Sofern das bei ihrer derzeitigen Gestalt möglich wäre...
Wie nur sollte sie diese Fahrt überstehen, ohne wahnsinnig zu werden? Nun, diese Frage wurde ihr rasch beantwortet. Zuerst steigerte es ihre Furcht, dass sie immer näher zu diesen Wolkenbergen fuhren, in denen es beständig blitzte und grollte. Doch anstatt, dass es ein heftiges Unwetter gab, wurden mit jedem weiteren Staken die bekannten Stimmen zweier Menschen lauter, dass sie diese gar nicht überhören konnte, selbst, wenn sie es gewollt hätte.
Oh, und wie sie das gewollt hätte! Auch wenn sie dadurch die Angst vor der Kutte hinter sich verlor, weil ihe Aufmerksamkeit anderweitig gefesselt wurde, hätte sie nicht zu sagen vermocht, was ihr lieber gewesen wäre. Nicht, dass die Worte, die sie zu hören bekam, ihr gegolten hätten, nein, sie kam in der Hinsicht nicht einmal vor. Und trotzdem... das Gespräch war einfach nur verletzend in diesem Moment für sie.
Es war von einer Art und Weise, die sie sich irgendwie auch für sich ersehnt hatte und das sie vermutlich niemals würde erleben dürfen. Auch dann nicht, sollte sie diese Bootsfahrt hier heil überstehen und in eben jenes Leben zurückkehren!
Ihre Sicht wurde unscharf, als ihr Tränen in die Augen schossen. Unwirsch fuhr sie sich mit dem Handrücken drüber und wollte sie wegwischen. Im selben Moment dürfte sie den Beutel an ihrer Seite angestoßen haben, denn er sprang auf und heraus rollte eines jener Schriftstücke, das sie rasch eingepackt hatte. Mehr noch, es öffnete sich wie von Geisterhand und fesselte ihren Blick, ohne, dass sie sagen konnte, warum. Es war, als ginge davon eine magische Kraft aus und sie spürte, wie sich in ihrem Bauch etwas verkampfte.
Dennoch griff sie mit leicht zitternden Fingern danach und las, was jemand darauf notiert hatte. Rasch konnte sie sich denken, von wem diese Gedanken stammten. Doch im Gegensatz zu dem Text in der Bibliothek handelte es sich dieses Mal nicht um eine Situation aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Oder eher nicht nur, denn kaum hatte sie eine Passage gelesen, strich diese sich wie von selbst durch und erschuf etwas Neues.
Um am Ende nach... nach der Gegenwart zu klingen?! Oh, bei den Göttern, hoffentlich nicht! Ihr Herz verkrampfte sich, als wäre da eine Faust, die auch noch den letzten Tropfen Lebenssaft daraus hervor quetschen wollte.
Auch ihre Kehle fühlte sich mit einem Mal wie verschlossen an, sodass sie instinktiv diese mit ihrer Hand umschloss und nach Luft japste. Ihre Fingerspitzen kribbelten dabei ebenso wie ihre Zehenspitzen und schließlich sogar ihr gesamter Körper. Die Augen brannten ihr, in den Ohren rauschte es schmerzhaft laut und ihr Kopf schien ihr regelrecht zerspringen zu wollen.
Da war es nur natürlich, dass sie keinen Blick dafür hatte, dass sich das Boot unter ihr mit Wasser füllte und sie immer tiefer und tiefer sank, bis die Flüssigkeit plötzlich über ihr hinweg schwappte und sämtliches Licht für einen Moment lang auslöschte. Im nächsten... setzte sie sich ruckartig und keuchend auf.
Es dauerte einige endlos lange Sekunden, bis ihr Blick sich klärte, langsam, Stückchen für Stückchen, wie wenn man einen Schleier von ihren Augen ziehen würde. Allmählich konnte sie ihre Umgebung erkennen und fand sich wieder in dieser... Taverne, in die sie zuvor durch die Fensterfront hatte sehen können. Erschrocken hielt sie die Luft an... und musste feststellen, dass sie das Bedürfnis hatte, wieder aus- und neu einzuatmen!
Blinzelnd sah sie an sich herab und hob in unendlicher Langsamkeit ihre zittrigen Finger. Zuerst, um sich diese zu besehen und festzustellen, dass sie bei weitem nicht mehr durchscheinend waren. Und im Anschluss daran, um ihre Hand auf ihre Brust zu legen... und mit Tränen in den Augen zu spüren, dass ihr Herz wieder schlug!
Ihr Kopf hob sich wie von allein an und sie schickte stumm einen tief empfundenen Dank an Ventha. So konnten indes die Turteltäubchen an der Theke weiter ihr Gezwitscher austauschen. Bis sie ein kaum hörbares Schmatzen vernahm, als sich Lippen trafen und wieder voneinander lösten, sodass sich ihr Kopf drehte.
Ihr Gesicht verzog sich und sie wurde zwangsläufig daran erinnert, dass sie nicht einfach so sich ins Leben zurück gekämpft hatte. Nein, da gab es jemanden und dieser jemand brauchte sie! Zumindest solange, bis er sie vergessen hatte... Doch er war nicht hier, sie konnte ihn nirgends sehen. Was hatte das zu bedeuten?
Azura drehte sich und schob sich vorsichtig von dem Tisch runter, um auf eigenen Beinen zu stehen. Es fühlte sich... seltsam an, fast schon ungewohnt und auch irgendwie schmerzhaft, aber es war zum Aushalten. Anders hingegen sah es mit dem Geschmack in ihrem Mund aus. Er war einfach nur als grauenhaft zu bezeichnen und verursachte ihr obendrein entsetzlichen Durst!
Suchend sah sie sich nach einer Lösung um und glaubte sie in jener Flasche zu erkennen, die auf dem Tresen stand. Wenn auch bedauerlicherweise viel zu nah bei dem Pärchen, jedoch würde sie das schon irgendwie überstehen. Bloß nicht zu genau hinsehen, dann musste sie auch nicht daran denken, dass sie sich das ebenfalls wünschte! Nicht mit diesem elendigen Van Tjenn, natürlich nicht! Es gab da jemand anderes... und wehe, sie würden ihr nach einem gehörigen Schluck nicht sagen, wo ihr Rabe sich aufhielt!
Mit steifen Bewegungen kam sie langsam näher, unbemerkt von den anderen, und merkte, dass hier noch etwas nicht stimmte. Ihre Nasenflügel bewegten sich und ihr Blick fiel auf eine der Blutflecken, die sie passieren musste. Seltsam... sie hatte sich noch nie bewusst gemacht, dass der rote Lebenssaft derart faulig und verwesend stinken konnte! Obwohl... Nein, kam das wirklich davon oder...?
Die junge Frau hob ihren Arm und roch zaghaft an ihren Fingerspitzen. Ihr Gesicht verzog sich und ihr leerer Magen rebellierte. Hastig hielt sie sich die andere Hand vor den Mund, was ebenfalls nicht sonderlich hilfreich war. "Ich glaub, ich muss kotzen!", stieß sie hörbar aus und stakste hastig zu dem Tresen, um sich daran festzuhalten.
Ohne sich um die Reaktion der anderen zu kümmern, reckte sie sich und griff nach der Flasche. "Gesatten?", kam es rein automatisch und noch weniger bewusst in Sendli dabei über ihre Lippen. Tief sog sie den Geruch des billigen Weins ein, der gewiss nicht jene Qualität aufwies, die sie für gewöhnlich erwartete. Aber er vertrieb das, was ihr die feinen Nasenhaare regelrecht verätzt hatte, und weckte erst recht ihren Durst.
Kurzerhand und alles andere als damenhaft setzte sie an und nahm einen großen, gierigen Schluck. Mit erneut gequält verzogener Miene stellte sie die Flasche schwungvoll zurück. "Bäh, widerlich und billig!", schimpfte sie und schüttelte sich. Doch der Alkohol belebte sie in diesem Moment, der da rasch ihre Kehle hinab geronnen war und sie von innen heraus zu wärmen begann. Trotz des schlechten Geschmacks nahm sie noch einen Schluck, dann war das Ding auch schon leer. Sie schnaubte, schüttelte den Kopf und warf die Flasche kurzerhand weg, da sie nun keinen Wert mehr hatte.
Daraufhin drehte sie sich dem Pärchen zu und stemmte die Hände in die Seite, noch immer sehr steif in ihren Bewegungen, aber nicht minder entschlossen. "Wenn ihr jetzt fertig seid mit eurem Geturtel, bewegt euch! Oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen, bis ihr so saure Früchte tragt, die es hier zu trinken gibt?", zeterte sie munter drauf los, als wäre sie nie weg gewesen und hätte eine charakterliche Wandlung durchgemacht.
Indes erhielten ihre Wangen mehr Farbe durch den genossenen Alkohol und sie gab sich selbst Schwung vom Tresen weg, um die Tür anzusteuern. Corax war nicht hier, also musste sie draußen nachsehen. Wo genau, wusste sie nicht zu sagen, jedoch vertraute sie auch in dieser Hinsicht auf die Führung ihrer Göttin, sollte sie keine sterbliche Hilfe erhalten. Somit würde sie nichts und niemand so leicht aufhalten können, jetzt auf die Gasse hinaus zu spazieren, ungeachtet dessen, ob und welche Kleidung sie am Leib trug und in welchem Grad der Verwesung sie sich tatsächlich schon befand. Außer...
Kurz vor der Tür wirbelte sie noch einmal herum und musste sich am nächstbesten Gegenstand festhalten, weil ihr der Alkohol zu Kopf stieg und ihr schwindelig wurde. Mehrmals blinzelte sie und ließ sich dennoch nicht davon abzuhalten, die nächsten Worte laut auszusprechen, wenngleich mit etwas schwerer Zunge. Mit einem spitzen, zitternden Zeigefinger deutete sie auf den Mann vor ihr, bei dem es ihr irgendwie ein wenig schwerer als gewöhnlich fiel, ihn scharf zu fokussieren. Doch der Schankraum war klein genug und die Besucheranzahl ausreichend gering, um ihn nicht zu verfehlen.
"Und du... Van Tjenn! Du hast dir eine gehörige Anzahl an Ohrfeigen verdient, das ist dir nicht erlassen!", lallte sie vorerst noch verständlich. Mal sehen, wie lange sie noch der vollen Wirkung des Apfelweins widerstehen konnte!
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 4. Januar 2023, 11:30

Madiha war mittellos. Mehr noch, sie hatte nie wirklich Gelegenheit erhalten, etwas zu erlernen. Selbst ihren Körper konnte sie nicht in der Form anpreisen, den andere Kurtisanen zu bieten hatten. Sie kannten sich mit der Verführungskunst aus. Madiha wusste nur, wie sie zu liegen hatte, um möglichst wenig Schmerz davontragen zu müssen. Was hatte sie schon außer einer zerrütteten Seele und einem vernarbten Leib, das sie Caleb schenken könnte, damit auch seine Welt jenseits des Käfigs Farbe erhielt? Was immer es war, es genügte ihm. Sie genügte ihm und nichts könnte ein größeres Kompliment sein. Sie. All das Wenige, das sie war, reichte ihm aus, dass er nicht in sein altes Leben zurück wollte, in dem er durchaus jemand Großes hätte sein können. Sie reichte aus, dass er die Leichen beiseite räumte und das Blut fortwischte, um ihren Schrecken zu lindern. Sie genügte, damit er lächelte, wenn sie ihren ersten Schluck eines barbarisch schlecht gepanschten Apfelweins kostete. Sie war das Spektrum an Farben, mit dem er seine Leinwand des Lebens füllte und alles, was er zeichnen wollte, war erneut nur sie.
Caleb schenkte ihr keine volle Erwiderung ihres Liebesgeständnisses. Wie schon oben im Krähennest hatte er sich weder seiner Lust noch seinem Überschwang an Emotionen hingegeben. Er blieb bedacht und vorsichtig, als sei das, was sich zwischen ihnen aufbaute, feinstes Kristallglas. Jede falsche Berührung könnte es sprengen, aber mit der nötigen Sorgfalt würde es jeglichen Schaden von außen abhalten und sie unter einer Kuppel aus Geborgenheit und Liebe schützen.
Liebe. Er empfand für sie, wollte aber warten. Er wollte warten, bis er es mit voller Überzeugung aussprechen konnte. Caleb schien ein kleiner, verkappter Perfektionist zu sein. Auch für den Moment körperlicher Zweisamkeit wollte er warten. Für ihn wäre es schließlich das erste Mal, dass er es erlebte und das würde es zu etwas Besonderem machen. Für Madiha war es nichts, das sie mit Freude verbinden konnte. Es machte ihr folglich nichts aus, zu warten. Beide aber wünschten sich, dass es wundervoll werden würde.
So wundervoll wie dieser Moment, da Caleb sich am Tresen festhielt und ihrem Gesicht so nahe war, dass sie seine nervöse Hitze wie ein Streicheln auf ihrer Haut spüren konnte. Er schickte es in den wilden Impulsen seines schlagenden Herzens aus, im gepressten Atem, weil diese Nähe ihn bereits nicht unbekümmert ließ. Wenn er noch dichter herankäme, was könnte sich daraus alles entwickeln? Seine Lippen lockten, der Genuss des Weines beflügelte. Alles schrie danach, sich der Versuchung hinzugeben, selbst auf diesem geschändeten Flecken Celcias etwas Neues zu schaffen und ihn mit Liebe zu sprenkeln. Madiha spielte die kleine Kanne, welche den Boden bewässerte. Tränen rannen über ihre Wangen, aber sie lächelte. Sie lächelte Caleb so offen und so emotional an wie sie es in ihrem Leben noch nicht getan hatte. Er erkannte das, erwiderte es und seine Lippen kamen unablässig näher. Sie berührten bereits Madihas Haut, ihren weichen Mund, der nun ein bisschen salzig schmeckte, aber auch immer noch vollmundig vom Wein. Caleb legte seine Lippen schützend über die ihren, versiegelte sie und kittete mit diesem einen Kuss all die Bruchstücke zwischen ihren Seelensplittern. Er schob sie zusammen, so wie ihre Körper dichter aneinander schob. Er füllte alles mit einer Wärme aus, der die Wüste Sar nichts entgegen zu setzen hätte. Madiha gab sich all dem hin. Sie kam Caleb im gleichen Moment entgegen wie er ihr und beide fanden zueiander. Nie wieder wollte er sich von ihr lösen, aber es war Madiha, die sich viel zu früh zurückzog.
"Hm?", raunte Caleb, als plötzlich wieder Platz für Luft zwischen ihren Mündern war. Er hielt allerdings still, kaum dass er die Hände des Wüstenkindes an seinen Wangen spürte. Er musste sich dringend rasieren. Die Stoppeln waren dichter geworden. Zwar fühlten sie sich dadurch weicher an, wie ein flaumiger Teppich, aber würde er den Wildwuchs weiter voranschreiten lassen, besäße er alsbald einen Vollbart. Madiha störte es nicht. Sie nahm ihren Caleb hin wie er war, weil er dasselbe ihr entgegenbrachte. Das war Liebe und zwar eine sehr bedindungslose.
"Lass uns gemeinsam herausfinden, wohin uns das führt."
Er nickte ihr zu, lächelte. Oh, er lächelte viel mehr mit einem Mal. Selbst wenn seine Mundwinkel sich nicht hoben, fand Madiha doch einen neuen Ausdruck in dem Grünblau seiner Iriden. Etwas Neues funkelte darin und es zeigte sich nur für sie. Es lud ein, alls auszublenden und sich für immer darin zu verlieren.
Niemand von ihnen bemerkte das Aufkeuchen im Hintergrund. Keiner der beiden nahm schlurfenden Bewegungen wahr, mit denen sich einer der Körper im Schrankraum plötzlich erhob und sich dem Tresen näherte. Sie sahen nicht, sie rochen nicht und sie bemerkten auf nicht, dass die Weinflasche gegriffen wurde. Er die fremden, garmischen Worten, die zumindest Caleb verstand, ließen das junge Paar aufhorchen.
"Ich glaub, ich muss kotzen!"
Es war nicht ihrer Liebelei geschuldet, auch wenn man Azuras ersten Ausruf in ihrem neuen Leben als einen solchen Kommentar deuten konnte. Sie jedoch hatte sich auf sehr, sehr nüchternem Magen soeben schlechte gepanschten, andunischen Apfelwein auf Ex gegeben. Natürlich rebellierte ihr Magen, der erst einmal wieder lernen musste, zu arbeiten. Er produzierte fleißig Magensäure, dass ihr die Galle samt Apfelwein den Hals empor kroch. Zum Glück geschah auch dies mit den ersten Versuchen, wieder Leben in den Körper zu bringen und so fehlte der Druck dahinter, dass sie das Getränk einmal quer durch den Schankraum spie.
Überhaupt fühlte sich für Azura vieles noch sehr steif an. Ihr Körper war zwar wieder der ihre und sie konnte sich in ihm bewegen, doch alles schien hölzern zu sein. Sie musste sich wirklich erst erneut hinein ... leben. So fingen ihre Sinne ebenfalls erst langsam an, die alte Arbeit aufzunehmen. Der Apfelwein half jedoch, zumindest ihren Geschmackssinn sofort wieder zu wecken.
Damit regte sie auch die Hörsinne der beiden anderen Lebenden in der Spelunke an. Aus war es mit der Romantik. Calebs Kopf ruckte herum und im nächsten Moment zuckte er sogar von Madiha zurück, allerdings einen halb Schritt vor den Barhocker, um sie mit seinem Körper abzuschirmen. Dann löste sich die wachsame Anspannung aus ihm, nicht aber die Überraschung.
"A....zura?", fragte er ungläubig und starrte sie an, als sie in ausholender Bewegung die nunmehr leere Flasche von sich warf. Mit einem Klirren ging sie an der Kante des Anrichte hinter dem Tresen zu Bruch. Splitter glitzerten kurz im matten Licht der Laternen udn Kerzen, ehe sie irgendwo zu Boden rieselten, aus dem Sichtfeld der Anwesenden.
"Wenn ihr jetzt fertig seid mit eurem Geturtel, bewegt euch! Oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen, bis ihr so saure Früchte tragt, wie es hier zu trinken gibt?"
Caleb rührte sich nicht. Er starrte die aufbrausende Wiedergekehrte nur perplex an, schaffte es nicht einmal zu blinzeln. Stattdessen verfolgte er ihre ersten Gehversuche Richtung Tür und zuckte erneut, als sie im Schlurfen und Schwanken etwas verlor. Es sah aus wie ein sehr dünner Lappen, würde sich aber deifnitiv nicht zum Wischen eignen. Zum Glück hatte er das Blut aufgewischt, sonst würde sich dieser winzige Fetzen gräulich-fleischiger Masse sofort damit aufsaugen.
"Wir müssen Corax suchen...", meldete sich nun auch Madiha zu Wort und löste Caleb damit viel eher aus seiner Starre als Azuras Gebaren je dazu in der Lage gewesen wäre. "Ja", erwiderte er knapp und nickte. Mit ausgestreckter Hand machte er einige Schritte auf die Frau an der Tür zu, als diese zu Schwanken begann. Aber sie wandte sich nur halb zu ihm und Madiha herum.
"Und du ... van Tjenn! Du hast dir eine gehörige Anzahl an Ohrfeigen verdient, das ist dir nicht erlassen!"
Ein schrei war die Antwort. Allerdings stammte er nicht von Caleb, dazu war er viel zu hoch und schrill. Er stammte ebenfalls nicht von Madiha. Er kam aus der gänzlich gegensätzlichen Richtung. Soeben war die Tür aufgezogen worden, dass seichter Regen bereits Azuras halbe Rückseite traf, ebenso ihren Arm. Der nach wie vor eher graue Arm, welcher nur etwas lebendige Farbe zurückgewonnen hatte. Allerdings waren die Spuren der Verwesung nicht gewichen. Haut besaß löchrige Stellen, wo die Ränder schwarz und das Fleisch darunter faulig geworden war. Ein Stück ihres Armknochens schimmerte durch ein besonders uncharmantes Loch hervor und glänzte so bleich direkt dem ebenfalls bleich gewordenen Gesicht der Wirtin entgegen, die gerade ihre Taverne hatte betreten wollen.
Wasser spritzte auf, als sie vor Schreck zusammenzuckte und das regennasse Haar aufwippte. Sie war es, die schrie. Sie schrie aus Leibeskräften und voller Furcht. Schlimm genug, dass sie ein Massaker hatte mitansehen müssen. Jetzt wandelten die Toten auch noch umher. Sie starrte auf die Kleidung der Frau vor sich, konnte aber nur noch die tote Haut und darin befindlichen Stellen erkennen, welche ihr Absterben aufwies. Dann wirbelte sie herum, nahm die Beine in die Hand und floh. Dabei schrie sie unentwegt: "Die Toten, die Toten! SIE SIND UNTER UNS! Ventha hat uns verlassen! Jetzt regieren die Dunklen über unsere Seelen! Hilfe, zu Hilfe!"
Schnell war sie in einer der Gassen verschwunden. Ihre Schreie aber hallten noch durch die regnerische Nacht, wurden alsbald jedoch auch von jener verschluckt. Dass niemand die Fenster öffnete oder selbst vor die Tür trat, um nach der Schreienden zu sehen, zeugte davon, wie sehr sich Andunie inzwischen verändert hatte. Die Bewohner wussten, dass es das beste für ihr eigenes Überleben war, einfach die Füße still zu halten. Sie wussten, es war nicht Recht, aber besser litt ein anderer als sie selbst.
"Da rennt sie davon, unsere Chance, das Haus der van Ikari zu finden", brummte Caleb. Er erreichte Azura, trat aber an ihr vorbei und zog die Tür wieder ins Schloss. "So wie du aussiehst, solltest du nicht auf die Straße gehen. Und ... willkommen zurück. Fühlst du dich denn ... lebendig?" Er grinste sie schief an. Es war kein Ausdruck von Amüsement, sondern eine reine Übersprungshandlung, mit der Situation umzugehen. Caleb konnte nur hoffen, dass Azura keinen Blick in irgendeinen Spiegel warf. Im Schankraum selbst fand sich keiner, aber die Tabletts hinter dem Tresen könnten dafür noch zweckentfremdet werden.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 5. Januar 2023, 10:27

Wenn Madiha gewusst hätte, welche Möglichkeiten es im Leben eines Bürgers auf Celcia gegeben hätte, sie wäre sich vermutlich noch mal um Längen kleiner vorgekommen. Schon in der Akademie der Feuerhexe musste sie feststellen, dass selbst in ihrem Alter die Jungen und Mädchen Wege einschlugen. Ilmy hatte ihr davon erzählt, dass sie wohl am Hofe eines Königs eine Stellung anfangen würde und das eigentlich nicht wollte. Dass sie lieber etwas anderes tun wollte. Madiha hatte feststellen müssen, dass sie niemals auch nur einen Gedanken an solche Möglichkeiten verschwendet hatte. Einfach aus dem Grunde, weil sie gar nicht in die Lage versetzt wurde, anzunehmen, sie könne etwas anderes sein als… nichts. Seit sie die Hinrichtung überlebte und Caleb sie aus dem Sand gerettet hatte, stolperte Madhia durch eine Welt voller Möglichkeiten. Ihr Weg war nun nicht mehr trostlos und geradlinig, sondern formte sich zu einem gewaltigen Fluss der sich immer wieder in unzählige Verästelungen aufteilte und wieder und wieder neue Möglichkeiten bot. Aber Madiha lernte erst das metaphorische Schwimmen in diesem neuen Lebensfluss. Noch traute sie sich nicht, den Pfad zu verlassen und neugierig hinter eine neue Abzweigung zu blicken, aus Angst, sie könne einen Wasserfall hinunterfallen und nicht mehr auftauchen. Sie bewegte sich unsicher auf ihrem neuen Weg und machte kleine Schritte. Doch diese hatten sie bis hierher geführt: In eine blutgetränkte Taverne, in einer von dunklen Schergen besetzten Stadt, nur um in das wundervolle Blaugrün eines Mannes zu blicken, der sie nie aufgegeben hatte. Madiha’s kleine Entscheidungen, die sie mal unbewusst, mal bewusst traf, hatten sie zwischen die starken Arme von Caleb geführt. Noch in den Tunneln der Wüstendiebe hatte sie diese Wärme gespürt, die er in ihr auslösen konnte.
Doch die war nicht mit dem zu vergleichen, was jetzt über sie schwappte. Sie wollte gemeinsam mit ihm herausfinden, was ihre Gefühle füreinander bedeuteten. Und er? Er antwortete mit einem Blick, der sie gefangen nahm. Sie erfasste jede Nuance seiner grünen Sprenkel in dem blauen Meer und sie konnte sich nicht mehr davon lösen. Als würde er sie einsaugen, versank das Mädchen in seinem neuen Blick, der wie ein schützender Mantel über sie hinwegglitt und sie einhüllte in tief empfundene Zuneigung. Ihr Herz schlug ruhiger, auch wenn alles andere kribbelte. Ihre Hände fühlten sich taub an, weil sie vergaß zu atmen. Viel zu intensiv war sein Blick und sie badete in dem ihm innewohnenden Glanz. Ihre Lippen teilten sich minimal, weil die Luft knapp wurde, doch war das alles was sich bewegte. Erneut zeigten sich seine Fähigkeiten als Dieb, denn er hatte ihr die Luft zum Atmen und ihr Herz gestohlen. Es würde sich zeigen müssen, ob er seine Ambitionen richtig eingesetzt hatte, denn Madiha gab ihm bereits alles was sie besaß. Mehr hatte sie nicht und doch reichte es, um bis zu diesem Moment zu gelangen. Sie genügte ihm mit all ihren Makeln, das wurde ihr bewusst in eben jenem Blick. Sie brauchte nicht mehr zu sein, als das, was auch immer sie war. "Ich glaub, ich muss kotzen!" Der Moment zerbrach, während Madiha heftig zuckte, so sehr hatte sie die Umgebung ausgeblendet. Ihr Kopf wandte sich zeitgleich mit Caleb’s, der mit einem Mal zurückzuckte und ihr die Sicht nahm, weil er sich vor sie schob. Madiha aber hatte die Augen aufgerissen, weil sie nicht glauben konnte, was sie meinte gesehen zu haben. Der Moment war durch Caleb’s Einschreiten kurz gewesen, doch als er dann verbal bestätigte, was sie glaubte, sich eingebildet zu haben, setzte ihr Herz aus vor Schreck. Madiha rutschte von ihrem Hocker hinunter und lehnte sich an Caleb vorbei, um einen Blick auf die Andunierin zu erhaschen. Noch mal zuckte sie zurück, weil sie sich nicht nur durch das Klirren erschreckte. Sie war es! Dem Mädchen stand der Mund offen. Wie war das möglich?! Und im nächsten Moment setzte das Grauen ein, weil sie erkennen musste, dass Azura offenbar wieder da war, sich aber… in keinem guten Zustand befand.

"Wenn ihr jetzt fertig seid mit eurem Geturtel, bewegt euch! Oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen, bis ihr so saure Früchte tragt, wie es hier zu trinken gibt?" Noch immer rührte sich das Mädchen nicht, sondern starrte der Adeligen und ihren steifen Bewegungen nach. Ihr wurde kalt, als sich etwas auf den Boden verteilte und mit einem schmatzenden Geräusch aufkam. Madiha spürte Übelkeit aufkommen, doch verzog sie nur das Gesicht. Sie konnte nicht verbergen, dass sie entsetzt über diese Wendung war. Sie war tot! Wirklich tot! Sie haben sie gewaschen, haben sie stumm verabschiedet! Sie hatten Corax leiden gesehen und jetzt… stand sie auf einmal wieder vor ihnen! War … war er das?! Madiha sah sich suchend um, weil sie glaubte, Corax hätte wieder Magie angewandt und wäre zurückgekehrt. Sie sah in jede dunkle Ecke, bis sie auch die Toten entdeckte. Das Grauen überlagerte all das Schöne, das sie noch vor wenigen Sekunden empfunden hatte. Nein… er war nicht hier. Madiha wandte sich langsam um und holte ein wenig Distanz zu Caleb auf, der sich Azura angenähert hatte, weil sie schwankte. "Wir müssen Corax suchen...", raunte sie ihm mit besorgtem Blick zu. Jetzt mussten sie ihn mehr denn je wiederfinden. Sich mit ihm auszusprechen war das eine, doch ihm zu sagen, dass sie lebte… Madiha spürte, dass es da einen kleinen Freudentaumel in sich gab, der ihm diese Botschaft nur zu gerne entgegengerufen hätte. Wäre… wäre sie noch sie selbst… Caleb schaffte es endlich, sich wieder zu rühren. Er ging die letzten Schritte auf Azura zu, ehe sie sich reichlich schwankend zu ihm umdrehte. "Und du ... van Tjenn! Du hast dir eine gehörige Anzahl an Ohrfeigen verdient, das ist dir nicht erlassen!", kam es in reichlich gewohnter Manier vor ihr. Madiha runzelte die Stirn und klappte gerade den Mund auf, um etwas zu erwidern, als ein Schrei ertönte. Erneut erschreckte sie sich und glaubte sogar kurz, es käme aus ihrem Mund, bis sie das Mädchen im Rücken von Azura erkannte. „Oh nein!“, stieß die Sarmaerin aus und machte zwei Schritte an Caleb vorbei, weil sie der Wirtin zur Hilfe kommen wollte. Doch diese wurde von der nackten Panik erfasst und begann zu keifen. Entsetzen breitete sich in Madiha aus. Das Grauen, das sie erlebt hatte, - das sie eigentlich alle erlebt hatten – kroch auch wieder in ihr selbst hoch. Sie hatten sich erfolgreich ablenken können… doch nun wurde auch Madiha wieder bewusst, was Corax angerichtet hatte. „Shh…“, flehte Madiha hilflos und hob beschwichtigend die Hände, während sich ihre Brauen zusammenzogen. „Bitte… bitte hör auf zu schreien…“, versuchte sie es weiter, ehe das Mädchen sich umdrehte und davonlief. Madiha lief zur Tür und hielt sich am Rahmen fest, um ihr nachzusehen. „komm zurück…“, rief sie noch halbherzig, ehe sie sich mit klopfenden Herzen gegen die Wand an der Tür lehnte und die Handflächen an die Wand presste. Ihr Atem ging schneller.
Was wenn jemand aufmerksam würde? Was wenn jemand zuhörte und hierherkam?
Sie sah hilflos zu Caleb, der besser handelte und die Schreie der Wirtin aussperrte, in dem er die Tür schloss. "So wie du aussiehst, solltest du nicht auf die Straße gehen. Und ... willkommen zurück. Fühlst du dich denn ... lebendig?" Madiha hörte die Frage an Azura, doch ihre Augen ruhten auf dem Loch am Unterarm. Sie sah den Knochen schimmern und ihr wurde abermals übel. Sie wandte den Blick ab und versuchte sich zu beruhigen. Aber egal wo sie hinsah, überall lauerte das Grauen. Die Toten am Tresen, der Blutfleck auf dem Boden, die Toten in der Nische – die lebende Tote neben ihr. Madiha schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch.

Sie versuchte sich zu beruhigen, erinnerte sich an den schönen Moment und fand einen Weg, nicht ebenfalls gleich in Panik auszubrechen. Sie beruhigte sich langsam wieder und öffnete die Augen. Dann trat sie etwas von Azura und Caleb weg, um sie beide ansehen zu können. „Corax ist verschwunden.“, leitete sie die nötige Erklärung ein und verschränkte die Arme. „Er… er hat geglaubt mir helfen zu müssen und tötete sämtliche Gäste hier.“, sie starrte eher ins Nichts, als dass sie Azura wirklich ansah, auch wenn ihr Blick auf sie gerichtet war. „Wir konnten das nicht tolerieren und er glaubte wohl, dass er nicht mehr willkommen wäre. Wir wissen nicht, wo er ist…“, murmelte sie betreten und ließ den Blick sinken. Einen Moment schwieg sie, dann sah sie entschlossener zu Azura auf. „Wie ist es möglich, dass du wieder… lebst? Versteh‘ mich nicht falsch – ich freue mich. Vor allem für Corax, weil er…“ sie erinnerte sich an die immense Trauer des kleinen Raben, der niemanden an sie heranlassen wollte. Und wie all die Farbe aus ihm gewichen war, während der Totenwaschung… Ihr Herz wurde schwer. „…er hat so gelitten Azura. Er tut es immer noch… Wir wollten deinen …Nun wir wollten dich zu deinen Eltern bringen, bevor hier alles… eskalierte. Wir wollten dir die letzte Ehre erweisen…“, berichtete sie. Einen Moment ließ Madiha das sacken. „Wir können nicht einfach durch Andunie spazieren und Corax suchen…“, sie schien zu überlegen, ehe sie wieder den Dieb und die Adelige ansah. „Wir sollten zu Azura’s Eltern. Vielleicht kehrt er dorthin zurück? Er weiß doch, was wir vorhatten…“, überlegte sie weiter. „Und hier können wir nicht bleiben…“, gab sie zu bedenken, ehe ihr Blick abermals an Azura hängenblieb. Madiha erschauderte und verstand nicht, wie das alles möglich war.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Donnerstag 5. Januar 2023, 20:26

Während ihr Sterben schnell und irgendwie... komplikationslos verlaufen war, war ihre Rückkehr ins Leben alles andere als einfach. Nicht nur, dass sie in ihrem Palast um diese Chance hatte kämpfen müssen wie noch zuvor um etwas in ihrem Dasein, war es nun mit dem ersten Atemzug bei weitem noch nicht getan.
Azura hatte keine Vorstellung davon, wie viel Zeit seit jenem unsäglichen Sprung ins eisigkalte Wasser vergangen sein mochte. Ihr Körper hingegen sehr wohl, äußerlich genauso wie innerlich. Da waren die steifen Glieder noch das Harmloseste an Veränderung an ihr. Zum Glück war das Bedürfnis, etwas gegen diesen mehr als unguten Geschmack in ihrem Mund zu tun, derart vordergründig, dass sie keinen wirklichen Blick für etwas anderes hatte.
Bis sich ein ekelhaft-süßlicher Geruch unaufhaltsam in ihre Aufmerksamkeit drängte und sie dazu verleitete zu überprüfen, woher dieser stammte. Wäre es ihre Umgebung gewesen, es wäre furchtbar, aber erträglich gewesen. Doch es war nicht das Blut um sie herum oder die es vergossen habenden Leichen, nein, es war schlimmer, viel, viel schlimmer. Sie selbst stank derart erbärmlich!
So sehr, dass ihr die Galle hochzukommen drohte, wie sie auch prompt verkündete. Wie gut, dass die Zeit gegen sie war in diesem Punkt, denn ihr Magen war dermaßen komplett leer, dass nicht einmal Flüssigkeit darin vorhanden war, die sich die Speiseröhre ätzend hochkämpfen könnte. Lediglich ein leiser, äußerst undamenhafter Rülpser als Zeuge von Luft in ihrem Bauch entfleuchte ihr, als sie weiter zum Tresen stakste und dort nach der Flasche griff, die ihr Linderung zu verschaffen versprach.
Um die beiden Turteltäubchen kümmerte sie sich wenig, ihr eigenes leibliches Wohl stand bei ihr gerade absolut im Vordergrund. Der erste Schluck machte ihr rasch klar, dass dieses Gesöff kaum als genießbar gelten konnte, erst recht nicht, wenn man wie sie nur höchste Qualität gewohnt war. Und dennoch konnte sie nach einem weiteren, diesmal lauteren Rülpser nicht darauf verzichten, auch den letzten Rest die Kehle hinunter zu stürzen. Denn alles war gerade besser als der widerliche Geschmack, den sie beim Aufwachen hatte erleben müssen.
Die inzwischen geleerte Flasche landete mit Schwung hinter dem Tresen und es kümmerte sie wenig, dass das ebenfalls billige Glas dabei zerbrach. Ihr gestotterter Name allerdings erinnerte sie daran, dass sie nicht zum Trinken hierher gekommen war, sodass sie auch prompt in allerbester Adeligenmanier herum zu kommandieren begann, ungerührt der Tatsache, dass die beiden anderen vielleicht erst einmal begreifen müssten, dass sie wieder lebte. Schließlich wollte die junge Frau selbst lieber nicht zu genau über ihren Zustand nachdenken, in den sie zurück gekehrt war.
Damit wandte sie sich auch ab und wollte kurzerhand, als wäre sie vollkommen normal, diese Spelunke verlassen und endlich den Mann aufsuchen, wegen dem sie all diese Mühen überhaupt auf sich genommen hatte... nachdem dieser einen nicht unbeträchtlichen Teil der Schuld daran trug, dass es generell so weit hatte kommen können, verstand sich! Dabei bemerkte sie nicht einmal, dass sich ein kleiner Hautlappen von ihr löste, geschweige denn, von welchem Körperteil, denn all ihr Streben galt der Tür zu und half ihr, den Rest auszublenden.
Sie hatte ihr Ziel beinahe erreicht, als ihr noch etwas einfiel, das sie unbedingt loswerden musste, ehe sie hinaus auf die Straße treten würde. Also drehte sie sich um und musste sich abstützen, denn der Alkohol stieg ihr viel zu schnell Kopf und brachte die Welt um sie herum ins Wanken. Trotzdem hielt sie das nicht von ihren Worten ab. Zufrieden mit sich selbst, nickte sie sich zu und wollte sich, egal ob taumelnd oder nicht, wieder abwenden und ihren Plan endlich vollenden.
In diesem Moment begann eine Frauenstimme in ihrem Rücken zu kreischen. Azura blinzelte irritiert und brauchte viel länger als sonst, bis sie sich langsam, als befänden sich ihre Gliedmaßen allesamt an Schnüren und wurden von einem Puppenspieler bewegt, umzudrehen begann. Was bei allen Göttern...?
Die Gedanken in ihrem Kopf wurden ebenfalls träger und wirkten, als müssten sie sich durch dicker werdende Watte kämpfen, ehe sie diese greifen könnte. Ihre Stirn runzelte sich und sie musste daran arbeiten zu verstehen, während alles so unsagbar schnell ging. Sie spürte Feuchtigkeit auf ihrer Haut und eine unangenehme Kühle, die ihr durch die offene Tür entgegen wehte. Auch hörte sie die Worte und sah die Fremde schon wieder davon rennen. Allein, ihr betrunkener Geist war noch nicht in der Lage, diese einzelnen Teilchen erfolgreich zu verbinden.
Umso erstaunlicher war es, dass sie unbewusst aufschnaubte bei der Bemerkung des ehemaligen Kapitäns. "Danke, ich finde allein nach Hause!", brummte sie, mehr automatisch, weil es von ihm gekommen war, denn wirklich mit Absicht oder gar in Klarheit dessen, was sie überhaupt sagte.
Dafür blinzelte sie und starrte plötzlich auf die geschlossene Tür, während er erneut zu sprechen begann. Ein weiteres Mal runzelte sich ihre Stirn. "Le...bendig...?", lallte sie und schüttelte langsam den Kopf. Nicht, weil sie verneinen wollte, sondern weil allein diese Frage schon seltsam für sie war.
"Ich atme, ich habe einen Herzschlag... Nennt man lebendig, oder?", kam es dann schon etwas schnippischer von ihr und sie deutete mit dem Kinn zu der nun noch immer geschlossenen Tür. "Wer war das?", griff sie das Ereignis von vorhin wieder auf und versuchte, irgendwie zu etwas mehr Klarheit zu kommen.
Doch schon winkte sie, recht sprunghaft, ab. "Unwichtig. Corax!", verlangte sie und wollte an ihm vorbei, als hätte sie seinen wohlgemeinten Rat gar nicht gehört. Nun ja... hatte sie zwar, aber begriffen nicht.
Da mischte sich die Göre ein, natürlich, die wollte selbstverständlich ihren Senf mit dazu geben! Azura schnaubte ein weiteres Mal leise, stand allerdings noch zu sehr neben sich, als dass die Wirkung ihrer seelischen Wandlung von ihrem gewohnten Trott hätte überlagert werden können. Auch wollte sie ihre Arme vor der Brust verschränken, entschied sich aber aufgrund ihres unsicher werdenden Standes lieber dafür, sich erneut am Tisch festzuhalten.
"Das sehe ich!", brummte sie darüber, dass ihr Rabe nicht mehr zu sehen war. Die andere jedoch fuhr fort und endlich erreichte auch etwas bei der jungen Frau.
Blinzelnd legte sie ihre aufkeimende Trotzhaltung ab und sah sich verspätet in dem Raum um, entdeckte die sichtbaren Spuren der Tat und musste schlucken. "Er... er hat...?", nuschelte sie und ließ seufzend den Kopf hängen. "Ach, Corax...", murmelte sie betrübt und erinnerte sich an den Text, den sie im Boot hatte lesen können. An all die Gedanken, wie sie immer trostloser und beklemmender geworden waren und ihr umso mehr ins Herz geschnitten hatten.
Es dauerte, bis sie gewillt war, sich davon zu lösen und daran zu denken, was sie zu tun hatte, sodass sie den Faden des Gesprächs nicht gänzlich verlieren konnte. Obwohl der Alkohol es ihr zusätzlich noch erschwerte. Lustlos zuckte sie mit den Schultern und sah zu der Göre hin. "Es war harte Arbeit, nichts im Vergleich zu einer kleinen Partie Schach." Diese kleine Spitze in seine Richtung ließ sie sich dennoch nicht nehmen.
Ein freudloses, schiefes Grinsen huschte über ihre Lippen, als sie erneut mit den Schultern zuckte. "Ich glaub, einem gewissen Gerippe reicht das Original und er wollte nicht, dass noch jemand ihm so auf die Nerven gehen würde bis in alle Ewigkeit.", fuhr sie mit einem ungewohnten Ton zur Selbstironie fort, um im Anschluss daran den Kopf zu schütteln. "Ist kompliziert, lang und ich weiß nicht, was ich davon alles erzählen werde. Kostet auch nur Zeit.", schloss sie das Thema schließlich und entschieden ab.
Daraufhin hörte sie wieder zu und verzog gequält das Gesicht. "Ich hoffe doch sehr, dass sie nicht zurück gekommen sind und das Anwesen leer ist!", erwiderte sie in der kurzen Pause und meinte das durchaus ehrlich. So sehr sie ihre Eltern, selbst ihren Stiefvater, wieder sehen wollte, um herausfinden zu können, wie es ihnen ging und ob sie unversehrt waren, schickte sie ein Stoßgebet zu Ventha, dass diese bloß nicht in Andunie wären!
Indes sprach die andere weiter und Azura bemerkte, wie sich ihre Aufmerksamkeit wieder verstärkt auf ihre leiblichen Bedürfnisse zu richten begann. Allen voran dem Schwindel, der sie erneut erfasste und sie leise aufstöhnen ließ. Beinahe verlor sie sogar den Halt und musste hastig an dem Tisch nachgreifen, um nicht zu stürzen.
"Bei Venthas wässrigem Rockzipfel, was haben die in das Gesöff getan?!", stöhnte sie auf und schüttelte den Kopf, um ihn wieder klarer zu bekommen. Und das Gegenteil damit zu erreichen...
Nun verlor sie tatsächlich den Halt und sofern nicht jemand helfend eingreifen würde, würde sie gleich äußerst unsanfte Bekanntschaft mit den Bodenbrettern machen. Wie das ihrer körperlichen Beschaffenheit abträglich wäre, stand auf einem weiteren Blatt geschrieben.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Freitag 6. Januar 2023, 11:49

Freiheiten offenbarten Möglichkeiten. So viele wie es Tropfen im Ozean gab. Madiha trieb nun wie in diesen Gewässern. Sie hatte die Chance erhalten, die Aussicht auf Möglichkeiten kennen zu lernen. Immer wieder schwappten neue über sie hinweg, stießen sie mal in die eine Richtung, dann in die andere. Das Wichtige war, dass sie im Strom nicht zu weit mitgerissen wurde und nicht die Kraft verlor, zu schwimmen. Denn dann würde sie in etwas, das eigentlich gut für sie sein sollte, haltlos untergehen.
Glücklicherweise erhielt sie ein Rettungsseil. Es war immer da, wenn es brenzlig wurde, legte sich dann um ihre Hüften, um sie aus den Tiefen zu ziehen oder warf sich ihr entgegen. Sie musste nur zugreifen und dabei in die vertraut blaugrünen Augen schauen. Caleb war ihr Seil und ihr Anker. Der Kapitän des Schiffes, das sie an Bord holte, damit sie leichter auf dem Meer aus Möglichkeiten reisen konnte. Damit sie den Himmel und den Horizont sah, während Sonnenstrahlen ihre nackte Haut wärmten.
Madiha hatte versucht, auch Corax dieses Meer zu zeigen, aber sein Seil war gerissen. Zerfasert, als es sich selbst ins Wasser schleuderte. Es hatte sich nicht mehr flicken lassen und er musste allein schwimmen. Zwar schaffte er es mit Madihas Hilfe, bis an das Beiboot von Calebs Schiff zu gelangen, er stieg aber nicht ein. Stattdessen hatte sein Meer sich blutrot gefärbt und unter einem trostlos schwarzen Himmel von ihnen fortgezogen. Ob er schon ertrunken war, mussten sie nun herausfinden. Das eigentlich zerfaserte Seil tauchte überraschenderweise wieder auf und drängte zur Eile.
Azura schien wieder am Leben zu sein, wenngleich sie hier und da einige Hautfetzen zurückließ, während es sie mit dem schwankenden Schritt eines Volltrunkenen gen Tür zog. Wer auf Tage lang nüchternen Magen eben erst einmal billigen Fusel kippte, dem stieg er sofort zu Kopf. Dass sie sich noch nicht hatte übergeben müssen war ihrem langen Ableben zu verdanken. Selbst ihr Magen musste erst einmal wieder lernen, anständig zu funktionieren. Inzwischen hatte die Wirtin Gelegenheit, sich entsetzlich vor Azuras Bild einer wandelnden Untoten zu erschrecken und das Heil in der Flucht zu suchen.
Mit der Romantik zwischen Caleb und Madiha war es damit endgültig aus, aber auch die Sicherheit der Spelunke würde nicht lange vorhalten. Sobald die Wirtin wohl wieder genug Mut gefasst hätte, wendete sie sich vielleicht an einige Ordnungskräfte, wie auch immer sie aktuell in Andunie aussahen. Oder aber sie erhielt vorher schon genug Aufmerksamkeit, dass sich weitere Dunkle der Kneipe näherten.
Caleb verbannte die drohende Gefahr zunächst nach draußen, indem er die Tür wieder zuzog. Er tat es aber auch, damit Azura nicht einfach in die Stadt spazierte. Nicht nur, dass sie weitere in ihrer Gestalt gewiss erschrecken könnte, vielleicht verlöre sie unterwegs auch Anteile von sich. Allerdings war ersichtlich, dass sie trotz ihres Schwankens kaum noch Haut ließ. Es waren lediglich ein paar Fetzen und Lappen, die sich gelöst hatten und im Laufe der Tage langen Verwesung abgeblättert waren. Sie fiel nicht auseinander wie ein ruinierter Teig. Was mit ihr jedoch geschehen könnte, würde noch mehr Zeit ins Land ziehen, blieb zunächst ungewiss. Ebenso wie Corax' Verbleib.
Auch Madiha drängte nun in diese Richtung. Angesichts von Azuras plötzlicher Wiederkehr mussten sie ihn suchen und vor allem finden, mehr denn je. Würde er erfahren, dass die Andunierin wieder lebte - irgendwie - würde ihm das gewiss Hoffnung und neuen Lebensmut geben. Dann wäre er vielleicht auch zugänglicher, um noch einmal über seine Tat zu sprechen. Das Hoffen aber half alles nichts, wenn sie ihn nicht wiederfänden.
Für Azura war dies höchste Priorität. Sie hatte schließlich einiges aufgegeben und hart gekämpft, um überhaupt wieder hier stehen zu können. Es war so schwer gewesen. Da hatte es Caleb im Vergleich wirklich einfach gehabt und sie zögerte nicht, es ihm noch einmal unter die Nase zu reiben.
"Es war harte Arbeit, nichts im Vergleich zu einer kleinen Partie Schach."
Seine Reaktion fiel vielleicht anders aus als sie erwartet hätte. Er blieb nämlich nicht nur ruhig, sondern erwiderte mit sehr viel aufrichtigem Ernst in der Stimme: "Ohne deine Hilfe wäre ich nicht wieder hier. Ich weiß das und vergesse es nicht." Selbst für Madiha musste es befremdlich klingen, den sonst so arglosen Freigeist von Abenteurer so sprechen zu hören. Er nahm es sich wirklich zu Herzen. Er hatte eine zweite Chance erhalten und sie hatte ihn in Madihas Arme geführt. Endlich! Das würde er Azura vergelten und sei es nur dadurch, dass er sie zu Corax brachte. Beide hatten ein ebenso glückliches Wiedersehen verdient.
Da Caleb darüber hinaus aber schwieg, sah Madiha sich in der Position, die Ereignisse für Azura noch einmal zusammenzufassen und erneut das Offensichtliche anzusprechen. Sie nahm dabei kein Blatt vor den Mund und erwähnte lieber direkt, was der Rabe getan hatte. Sie hielt aber auch nicht damit hinter dem Berg, dass er glaubte, verstoßen worden zu sein und bei Azura löste dies andere Gedanken aus. Erneut tanzten die Worte der Schriftrolle vor ihren Augen. Oh, wenn sie sich nur noch einmal ihrem Tisch zuwandte. Denn auf wundersame Weise hatte auch der mit Schriftstücken gepackte Beutel den Weg in die Welt der Lebenden gefunden. Corax' notiertes Gefühlsgrauen wäre dort sicher auch zu finden. Es bestand kein Zweifel, dass es seine Schriftrolle war. Sein Angst und seine Einsamkeit.
"Er hat so gelitten, Azura. Er tut es immer noch ... Wir wollten deinen ... Nun, wir wollten dich zu deinen Eltern bringen, bevor hier alles ... eskalierte. Wir wollten dir die letzte Ehre erweisen..."
"Er wollte es. So sehr, dass er dich in einen Sarg aus ... seiner Zauberkraft? ... Er hat dich in einen Sarg gepackt und den ganzen Weg eigenhändig getragen." Caleb stämmte die Hände in die Hüften, entschied sich um und schob eine in seinen Nacken. Dass der Rabe fort war, dafür gab er sich eine große Teilschuld. Und so hatte er auch nichts zu Azuras Kommentar ihrer Ohrfeigen-Attacke gesagt. Sie wäre verdient. "Es tut mir leid, dass er fort ist. Aber wir finden ihn schon. Mit etwas Glück sucht er Orte auf, die wir alle kennen oder die wir erwähnt haben. Wie dein Elternhaus zum Beispiel. Er kennt ja den Weg, meinte er."
"Wir sollten zu Azuras Eltern. Vielleicht kehrt er dortin zurück?" Caleb nickte in Madihas Richtung. Mehr noch, er kam an ihre Seite getreten und schob seine viel größere, viel schwieligere Hand um ihre. Er drückte ihre Finger.
"Ich hoffe doch sehr, dass sie nicht zurückgekommen sind und das Anwesen leer ist!"
"Das ist einerlei. Hauptsache, du kennst den Weg dorthin und wir wechseln bald unseren Aufenthaltsort." Caleb ließ den Blick schweifen. "Corax' Tat wird nicht ewig unentdeckt bleiben und ich weiß nicht, wie die Dunkelelfen ein solches ... das hier händeln. Andunier würden dagegen vorgehen." Oh und das wusste auch Azura. Andunie mochte nicht so hart strafen wie Pelgar es seiner Zeit tat. Dort musste selbst ein kleiner Dieb wie Caleb mit größeren Konsequenzen rechnen. Aber bei einem Massaker hätten selbst andunische Stadtwächter nicht still gesessen. Vielleicht waren Dunkelelfen, die ja selbst so vollstreckten, auch ganz anders. Vielleicht kümmerte es sich nur bei gewissen Personen in hoher Stellung, aber Ignis als Schülerin dieser Serpentis Mortis zählte möglicherweise dazu. Caleb wollte es nicht herausfinden. Das Haus einer Adligen klang vielversprechend, vor allem, wenn auch Corax den Weg dorthin kannte.
"Eine Alternative wäre ... das Anwesen der van Tjenns." Er warf Madiha einen knappen Blick zu. "Aber unser Rabe kennt es nicht. Bei deinem Elternhaus haben wir eine geringe Chance, dass er darüber nachdenkt, uns dort anzutreffen. Es war unser Plan. Jetzt müssen wir nur noch überlegen, wie wir sicher dorthin gelangen .. und du uns auf dem Weg nicht auseinanderfällst, Azura."
Die Adlige musste sich wohl verhört haben oder der Alkohol stieg ihr wirklich inzwischen zu sehr zu Kopf. Letzteres war der Fall, änderte aber nichts an der Bemerkung des Kapitäns auf dem Trockenen. Leider führte es aber dazu, dass Azuras Körper dem Alkoholgehalt endgültig nachgab. Sie schaffte es noch, ihrer Verärgerung durch ein Aufstöhnen Luft zu machen, dann verlor sie das Gleichgewicht. Dieses Mal konnte sie sich nicht mit einem Taumeln zur Seite abfangen. Caleb besaß glücklicherweise schnell Reflexe und auch genug Kraft, ihren Körper aufzufangen. Bevor Azura mit dem Kopf auf dem Boden aufschlagen konnte, landete sie in seinen Armen. Er hob sie auch gleich darauf wie eine Braut. Für Caleb war das kein Problem, solange er sie so nicht durch halb Andunie würde tragen müssen.
"So wird das nichts", erklärte er beiden Frauen. "Aber wir müssen definitiv hier fort. Vielleicht erst einmal zurück auf die Möwe, das ist nur ein Katzensprung zum anderen Ende der Docks. Wir könnten uns verkleiden oder zumindest überlegen, wie wir sicher zum van Ikari-Haus gelangen. Wir könnten aber auch-"
Mehrfaches Klopfen durchbrach seine Worte. Es hämmerte sehr entschlossen und kräftig gegen die Tür der Taverne. Im nächsten Moment wurde schon die Klinke betätigt, gleich sollte die Tür sich öffnen. Niemand aber kündigte sich an. Wer auch immer nun hereinkam, die Wirtin würde es kaum sein. Sie klopfte nicht an ihre eigene Gaststube und bestimmt nicht, nachdem sie darin einen mutmaßlichen Zombie gesehen hatte. Jetzt mussten sie schnell handeln, sonst könnte es direkt ein zweites Massaker geben.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 6. Januar 2023, 23:47

Niemals hatte Madiha in ihrem kurzen Leben etwas anderes erlebt als Tag ein Tag aus zur Verfügung zu stehen. Wann immer nach ihr gerufen wurde, hatte sie zu gehorchen und schleunigst aufzutauchen, um die Wünsche der Herrschaften zu erfüllen und das Verlangen ihrer Gäste zu stillen. Das Leben hatte nichts für sie bereitgehalten, wofür es nötig gewesen wäre, sich anzustrengen. Als gute Sklavin, im Haushalt und zum Stillen von Lust, hatte man keine Privilegien zu erwarten. Nichts wartete auf sie, wenn sie sich hervortat oder besser arbeitete als die anderen. Nein… Madiha hatte gelernt schweigend zu ertragen und unauffällig zu sein. Sie war stets der unsichtbare Schatten, nichts Besonderes, ohne Wert und ohne Persönlichkeit. Jetzt in den Augen eines anderen erkennen zu dürfen, dass das alles nur Lüge gewesen war, war etwas wunderschönes. Und gleichermaßen beängstigend. Madiha spürte das nervöse Kribbeln unter dem Blick des Diebes. Eine seltsame Mischung aus Vorfreude, Hoffnung und Angst. Angst vor dem unbekannten Gewässer, das sie da umspülte und in dem sie sich noch nicht zu bewegen wusste. Angst auch davor, dass Caleb irgendwann merkte, wie wenig sie doch zu bieten hatte. Für Madiha war es ein reines Wunder, dass der Dieb sie mit eben jenem Blick bedachte. Auch deshalb raubte er ihr die Luft und schaffte es, dass sie mit ansteigender Röte im Gesicht zu glühen begann. Madiha hatte die Nähe zu einem Mann niemals als angenehm empfunden. Der Geruch, der Schweiß, das Schnaufen wenn sie dick und rund waren… Das alles gab es bei ihm nicht. Wie kam es, dass sie in der Lage war, das zu sehen? Dass sie nicht verbittert sämtliche Männer mied? Es war Caleb zu verdanken… er war stets für sie da und hielt immer diese eine kleine Tür offen, falls sie jemals hindurchtreten wollte. Er zeigte ihr, dass es anders sein konnte und ließ sie nicht fallen, sodass sie verlorengehen konnte in dem Meer des Lebens.
Madiha ergriff das rettende Seil und besiegelte damit ihre aller erste eigenständige Entscheidung. Die erste Möglichkeit, sich bewusst aus ihrem bisherigen Leben zu befreien. Und Madiha war voller Vorfreude auf das was noch kommen sollte.

Jetzt aber holte sie erstmal der Schrecken, der das Leben eben auch bereithalten konnte, wieder ein. Das Mädchen hatte neben dem Tor zu einer ihr unbekannten Welt voller Wärme und Gefühlen eben auch das gegenteilige aufgestoßen. Sie hatte auf harte Weise lernen müssen, dass es Magie in erschreckender Form gab. Dass es illusionäre Zauberer gab, die einen alles glauben lassen konnte. Man musste ständig wachsam und auf der Hut sein. Doch nicht nur trauernde Magier waren eine Hürde. Auch wiedergekehrte Adelige sorgten für Schrecken. Madiha musste sich schnell umstellen und merkte, dass das Leben mitunter auch zu einem reißenden Strom werden konnte, der sie unaufhaltsam mit sich zog. Ihr blieb nichts anderes als sich treiben zu lassen und zu hoffen, dass sie heil am Ziel ankam. Sie aber versuchte sich davon nicht erschrecken zu lassen. Das Mädchen atmete tief durch, schluckte das Grauen hinunter und fing sich an einem Ast, sodass sie weiter treiben konnte. Azura musste erfahren, was in ihrer…Abwesenheit geschehen war, sodass die Sarmaerin das Wort ergriff. Ungeachtet dessen, dass sich die Adelige in der Vergangenheit nicht gerade mit ihr hatte abgeben wollen, erzählte sie ihr in aller Kürze die wichtigsten Dinge. Und tatsächlich antwortete Azura ohne schnippische Bemerkung. Fast hätte Madiha so eine erwartet, hatte sich dagegen gewappnet und entspannte sich ein wenig wieder. "Es war harte Arbeit, nichts im Vergleich zu einer kleinen Partie Schach.", betonte sie die Umstände von Calebs Rückkehr. Da war sie wieder, die kleine Spitze. Unsicher flatterte ihr Blick zum Dieb, doch sie stellte fest, dass er sich davon nicht angegriffen fühlte. "Ohne deine Hilfe wäre ich nicht wieder hier. Ich weiß das und vergesse es nicht." Das Mädchen beobachtete die Reaktion Calebs und schluckte leicht. Seine Ernsthaftigkeit war neu… er wusste, was er erhalten hatte. Madiha atmete leise aus und senkte einen Moment den Blick.. Sie war erleichtert, dass er offenbar verstanden hatte, dass es eine Chance war. Und dass er sie nutzen musste, weil man nie wusste, was noch alles auf einen zukommen würde.
Dass er nicht leichtfertig mit seinem Leben umgehen durfte, ganz so, wie sie es ihm durch ihre Reaktion gezeigt hatte. Madiha hing noch einen Moment an dieser Erkenntnis, ehe sie Azura alles weitere erzählte.

Die Reaktionen fielen doch in einem Maße aus, dass sie offenbar verstanden hatte. Allerdings wollte sie auch nicht näher darauf eingehen, wie sie es geschafft hatte, wieder zu leben. Madiha aber musterte sie fragend. Sie war neugierig und hatte keine Ahnung, wie es nach dem Tod zuging. Caleb war es einmal mehr, der sie abzulenken wusste. Sie wandte den Blick von Azura ab und sah zu ihm auf als er neben sie trat und ihre Hand ergriff. Sie lächelte schüchtern, erwiderte aber den Druck seiner Hand. Auch er bestätigte die Idee, Azura’s Elternhaus aufzusuchen und unterstrich die Notwendigkeit dessen. Wohl eher früher als später, würde man die Toten vermissen oder die Taverne aufsuchen. Sie konnten nicht hierbleiben. Caleb wog weiterhin das Für und Wider ab und machte sogar Gegenvorschläge. Seinen Vorschlag, das Anwesen seiner eigenen Familie zu nehmen, ließ Madiha den Kopf leicht schütteln. Sie wusste, dass Caleb nicht dorthin zurück wollte und auch wenn das wohl die letzte Möglichkeit bliebe, wollte sie den Weg zu Azura nehmen. Einfach, weil Corax sie dort finden könnte… Doch bevor sie noch mal darauf zurückkommen konnte, torkelte Azura und stürzte, sodass Caleb schnell reagierte, um sie aufzufangen. Madiha zuckte ebenfalls vor, doch da hob der Dieb sie bereits auf die Arme. Madiha seufzte leise. Nun war sie nicht nur optisch ein Hindernis, sondern auch durch den Alkohol. Das Mädchen verzog das Gesicht, während sie darüber nachdenken wollte, wie sie jetzt am besten weitermachten. "Aber wir müssen definitiv hier fort. Vielleicht erst einmal zurück auf die Möwe, das ist nur ein Katzensprung zum anderen Ende der Docks. Wir könnten uns verkleiden oder zumindest überlegen, wie wir sicher zum van Ikari-Haus gelangen. Wir könnten aber auch-" Ein Klopfen riss sie aus ihren Überlegungen und Madiha zuckte erschrocken zusammen. Dann wandte sie den Kopf und trat zwei Schritte zurück. Ihre Augen suchten Calebs, doch der hatte alle Hände voll zu tun. Erneut wurde geklopft. Madiha sah zum Holz der Tür, dann wandte sie sich um und suchte die Taverne nach einer Hintertür ab. „Kommen wir hier irgendwo noch raus?“, murmelte sie leise und suchte erneut die hinteren Wände ab. Sollte nichts zu finden sein, wandte sie sich wieder der Vordertür zu. Madiha straffte etwas die Schultern und sah zurück zu Caleb. „Ihr müsst euch verstecken, sie darf man nicht sehen…“, raunte sie dem Dieb zu und würde, sobald Caleb und Azura versteckt wären, die Tür öffnen wollen. Vielleicht konnte sie sich als Mädchen ausgeben, dass hier arbeitete. Vielleicht konnte sie den Besucher irgendwie abwimmeln, wenn niemand eine bessere Idee hatte.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Samstag 7. Januar 2023, 12:50

Als sie sich das billige Gesöff die Kehle hinunter gekippt hatte, hatte sie nicht daran gedacht, welche Wirkung der Alkohol auf sie haben könnte. Einerseits war ihr Wunsch, den grässlichen Geschmack in ihrem Mund zu vernichten, viel zu groß für irgendwelche Vernunft gewesen. Und andererseits hatte sie bislang wenig Erfahrung mit diesem Teil des Lebens gemacht.
Natürlich kannte sie Wein, viele verschiedene Sorten und der ein oder andere hatte ihr durchaus geschmeckt. Doch wenn sie etwas davon bekommen hatte, war es oftmals verdünnt gewesen oder lediglich dazu da, um zu nippen und die Qualität, Sorte oder sonstiges zu loben. Aber gewiss nicht, sich eine halbe Flasche auf ex zu gönnen und erst recht nicht auf nüchternen Magen. Woher also hätte sie die Erfahrung nehmen sollen? Nein, sie hatte diese definitiv nicht und mit den Folgen würde sie nun umgehen lernen müssen, ebenso wie die beiden unfreiwilligen Zeugen ihrer Wiederauferstehung.
Damit nicht genug, dass diese kaum die Beine in die Hand nahmen, um endlich nach Corax zu suchen, tauchte auch noch ein wildfremdes Weibsbild auf, das flugs kreischend wieder davon lief. Mit trägen Gedanken starrte die junge Frau ihr hinterher und konnte sich nicht wirklich einen Reim darauf machen, was an ihrer Gestalt derart furchtbar sein sollte.
Sie selbst hatte noch nicht nachgesehen und auch jetzt kam sie nicht auf die Idee. Wenngleich das vermutlich gar nicht so schlecht war fürs Erste... Noch mehr Gekreische könnte tatsächlich zu viel Aufmerksamkeit erregen. Stattdessen versuchte sie, ihr umnebeltes Gehirn auf das zu fokussieren, was ihr wichtig war: ihren Raben wieder zu finden und endlich in seine Arme zu sinken!
Indes schloss der elendige Kapitän die Tür und auch sein Liebchen näherte sich ihr. Noch immer hatte sie keine sonderlich gute Meinung von den Beiden, der eine hatte sie viel zu sehr gekränkt und die andere erhielt mehr als sie selbst, obwohl sie definitiv nicht mit ihr gleichzusetzen war, was wiederum ihre Eifersucht schürte. Abgesehen von dem Gefühl der magischen Abstoßung, die sie miteinander teilten.
Trotzdem war Azura in ihrem Jenseitspalast zumindest ein bisschen charakterlich gereift und dank des Alkohols wurde dies nicht sofort und vollständig von ihrer gewohnten Manier überlagert, sondern konnte hie und da durchblitzen. Dadurch wetzte sie ihre schwerer werdende Zunge auch nicht unaufhörlich an dem Kerl vor ihr, obwohl sie das durchaus gekonnt hätte und auch bestimmt erfolgreich, wenn sie klarer im Kopf gewesen wäre.
So hingegen schnaubte sie nur bei seinen ernsten Worten und hatte sie im nächsten Moment auch schon wieder vergessen. Denn so wie alles körperliche an und in ihr, so musste auch ihr Denken allmählich erst wieder in Gang kommen, wobei es nicht gar so schwierig sein sollte wie die physischen Funktionen. Aber dafür hatte es ordentlich gegen den sich in ihren Adern ausbreitenden Alkohol zu kämpfen.
Indes vermochte sie im Moment tatsächlich der anderen zu zuhören und die wichtigen Informationen auch wahrzunehmen. Natürlich, es ging um Corax, da wollte sie ohnehin so viel mehr wissen, so sehr, dass sie auch etwas mitgenommen hatte. Nur, dass sie derzeit nicht daran dachte und auch keinen Blick dafür hatte. Ob es ihr sonst den Aufenthaltsort hätte verraten können? Es wäre ein guter Gedanke und Anlass, um nachzusehen. Allein, er kam ihr nicht in den Sinn, zumindest noch nicht!
Viel eher sah sie von einem zum anderen und nickte langsam. "Drum war's Licht plötzlich weg...", nuschelte sie und dachte an die verdunkelte Fensterfront der Bibliothek, deren Herkunft sie sich nicht hatte erklären können.
Bei dem Schlusssatz musste sie leise schnauben. "Wehe, wenn nicht! Er hat mich ja von dort entführt...", brummelte sie und spürte, wie ihr schwindelig und übel zu werden drohte.
Gleichzeitig schien ihr auch, als würde ihr mit einem Mal leichter werden. Das war der Augenblick, als van Tjenn zu der Göre trat und ihre Hand ergriff. Ohne es zu wollen, starrte sie darauf und verspürte einen schmerzhaften Stich, weil sie alleine war... und vermutlich auch für immer alleine bleiben würde, die beschädigte Ware, von allen verlassen und vergessen. Doch entgegen der schmerzhaften Stiche reizte sie dieser Gedanke auf andere Weise, vermischt mit dem Alkohol.
Ein Kichern stieg ihr die Kehle hoch und kitzelte sie so lange, bis sie es nicht mehr unterdrücken konnte, während er fortfuhr und von ernsten Dingen sprach. Unwillkürlich griff sie sich an den Hals, weil ein Rest ihrer Vernunft merkte, dass das äußerst unangebracht war, aber es ließ sich einfach nicht länger zurück halten. Zeitgleich könnte ihre Geste auch als stumme Antwort zu seinen Worten verstanden werden, als Andeutung dessen, dass ihnen der Strick drohen könnte.
Oh ja, das wäre mal ein tiefer Fall für sie! Von dem verwöhnten Adelstöchterchen zur gesuchten Verbrecherin, die vor allen gehängt wurde. Oh, was würde Ventha sich darüber ärgern, wie rasch sie ihre Aufgabe versemmelt hätte! Das Kichern wurde stärker und begann, sie allmählich durchzuschütteln.
"Ja, los, los zu Papi! Bringst ihm gleich zwei Bräute heim, eine, die er wollte, und eine, die erst seine Maßstäbe erfüllen muss!", keckerte sie mit schwerer Zunge und bekam sich kaum noch ein.
Bis es abrupt abbrach, als er etwas zu ihrer optischen Erscheinung sagte. Ihre Stirn runzelte sich und mit einem Mal war es still in der Spelunke. "I... ich... ich tu... was?!", entkam es ihr noch, ehe ihrem Körper alles zu viel wurde und der Alkohol ihr den letzten Rest an Gleichgewichtssinn nahm.
Dieses Mal rettete sie der Tisch nicht, sondern der Mann, wegen dem sie überhaupt erst in das Jenseits gelangt war. Er fing sie auf und hielt sie, ohne sich um ihren Gestank und ihren Zerfall zu kümmern. Es reizte erneut zum Kichern, vor allem, weil ihr der Ernst seiner Worte in Bezug auf ihre optische Erscheinung schon wieder entglitt.
"Jetzt weiß ich, für was das Ding sein soll! Wo hab ich's denn, wo hab ich's..." Sie tastete an sich herum und holte dabei mehrfach mit ihrem Ellbogen aus, ohne Rücksicht auf Verluste, bis sie endlich ergriff, was sie gesucht hatte. Triumphierend hielt sie die silberne Nadel hoch und grinste von einem Ohr bis zum anderen. "Da ist's ja! Das Ding da!" Sie fuchelte damit vor seiner Nase herum und dachte nicht im Traum daran, wie gefährlich schnell so eine silbrige Spitze im Auge landen könnte.
"Das kriegt er, dann kann er mich zusammen flicken! Er muss nur die richtigen Löcher offen lassen, ja, ja, die richtigen...", kicherte sie weiter und war nun definitiv im nächsten Stadium ihrer Trunkenheit angekommen. Wenn sie allesamt Glück hatten, würde das nicht lange andauern und ihren ausgehungerten Körper rasch in Schlaf versetzen. Oder sie würde gleich die nächste Dummheit begehen... Wer wusste das schon bei ihr im Moment zu sagen?
Sie hörte auch offensichtlich nicht mehr seinen Worten zu, sondern hatte eine neue Beschäftigung gefunden. Fasziniert wie ein Säugling oder ein sabbernder Schwachkopf kippte sie die Nadel vor ihrem eigenen Gesicht langsam von der einen zur anderen Seite und wieder zurück, da sich dadurch die Lichtreflexe jedes Mal aufs Neue änderten.
Solange, bis es vernehmlich an der Tür klopfte. Azuras Kopf hob sich und sie blinzelte, während durch die Watte die Erkenntnis zu dringen versuchte, was dieses Geräusch zu bedeuten hatte. Hatten die beiden Turteltäubchen vorhin nicht etwas von zurück kommen gesagt? War das vielleicht... Corax? Ja, ja, das musste er sein! Er wusste einfach, dass sie wieder lebte, dass sie hier war und war deswegen zurück gekehrt! Bestimmt, nichts anderes war möglich!
Die junge Frau begann dümmlich zu grinsen und sollten die Reflexe des Kapitäns dieses Mal versagen, würde sie laut und deutlich rufen:"Ich hab' hier 'ne Nadel! Hast du 'nen Faden mit? Ich muss mal ordentlich geflickt und danach noch ordentlicher gefickt werden!" Mögen die Götter jene schützen, die dazu selbst nicht in der Lage waren...
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Samstag 7. Januar 2023, 18:45

Er hatte nicht direkt Danke gesagt, wohl aber mit seinen Worten genau das ausgedrückt. Caleb war Azura dankbar dafür, dass sie ihn mit ihren Schachkünsten zurück ins Leben gebracht hatte. Zurück zu Madiha, weil er einmal mehr eher instinktiv gehandelt und viel zu spät darüber nachgedacht hatte. Oh, das passierte so oft. Auch schon mehrmals bei Madiha, als er sie beispielsweise aus ihrem Sandgrab geholt hatte. Wieviel hatte es ihn gekostet, genug Männer der Wüstendiebe zu überreden, ihm zu helfen! Er war ihnen allen noch immer einen Gefallen schuldig. Sie würden lange darauf warten müssen. Bei Azura aber wollte er es offenbar besser machen und nicht nur mit halbherzigen Beteuerungen bekunden, dass er es ihr vergelten würde. So ernst meinte er es und sie? Sie hatte nur einem, wenngleich dem Alkoholkonsum geschuldeten Kommentar übrig, der den Dieb erstarren ließ.
Er hielt sie, er trug sie auf den Armen - ein Ort, an den Madihe gehört hätte. Er hielt Azura fest und sie hatte nur eine weitere Spitze übrig. Vielleicht wollte sie damit Madiha treffen und ihr deutlich machen, dass Azura im Grunde an die Seite des vom Vater so erwarteten Kapitäns van Tjenn gehörte. Doch es war jener, den ihr Kommentar traf wie ein Dolch ins Herz.
"Ja, los, los zu Papi! Bringst ihm gleich zwei Bräute heim, eine, die er wollte, und eine, die erst seine Maßstäbe erfüllen muss!"
Selbst im betrunkenen Zustand musste Azura spüren, dass sie damit einen wunden Nerv getroffen hatte. Denn Caleb zuckte zusammen, ehe er erstarrte und hätte sie dadurch beinahe fallen gelassen. Natürlich. Diese Worte trafen und er ihm zugehört hatte, als er sich vertrauensvoll Madiha offenbart hatte, der wusste das. Caleb hatte die ihm ausgesuchte Braut abgelehnt - nicht einmal aufgrund des Altersunterschieds, denn selbst Azura musste noch sehr jung gewesen sein, als man sie dem potenziellen Kandidaten van Tjenn hatte vorstellen wollen. Er hatte sie abgelehnt, weil sie Teil dieser Welt aus Kokettiertheit, parfümierten Schnupftüchern, Puder und Heuchelei gewesen war. Und stattdessen hing er nun am genauen Gegenteil. An Madiha, der schmutzigen, ungebildeten, kleinen Madiha, deren Körper bereits mehr Männer hatte einlassen müssen als eine Armee junge Soldaten. Sie würde niemals den Bedingungen gerecht, die Calebs Vater an eine Frau stellte. Und jetzt, da Azura eine Art ... halbe Untote oder was auch immer war, käme sie möglicherweise auch nicht mehr in Frage. Ganz davon abgesehen, dass ihr Herz doch für einen anderen schlug, oder hatte sie Corax nun ebenfalls in den Wind geschossen, da er abwesend war?
"Wir alle passen nicht in seinen Maßstab, das fängt bei mir schon an", murmelte Caleb nur. Er hielt Azura sogar weiterhin fest. Er schrie sie nicht an, er behielt weitere Gedanken für sich, aber Madiha kannte seine Augen. Dass er nicht wie sonst die Hand in den Nacken legte und mit einem kecken Spruch konterte, war Besorgnis erregender. Mehr noch, er war für einen Moment so sehr in seinen Gedanken gefangen, dass er Azuras Suche nicht bemerkte, bis die Spitze einer silbernen Nadel plötzlich hervorblitzte. Das kleine Handwerkszeug erinnerte ungemein sofort an jene, die sich zu der albtraumhaften Schlange geformt hatten. Natürlich verband man es sofort mit nur einer einzigen Person: dem abwesenden Raben. Sogar Azura dachte in ihrem Zustand an ihn, während sie die Nadel gefährlich nahe vor Calebs Gesicht umher tanzen ließ. Er zuckte nicht zurück, er hörte aber auch nicht wirklich zu.
"Das kriegt er, dann kann er mich zusammenflicken! Er muss nur die richtigen Löcher offen lassen, ja ja, die richtigen..." Azuras Gekichere nahm ein abruptes Ende, als das Klopfen alles übertönte. Es drang so fest und entschlossen durch das Holz, dass man sich wundern konnte, warum die Tür nicht gleich aufsprang? Aber nichts geschah, im Gegenteil. Es klopfte noch einmal.
Das weckte auf den Dieb, der rasch mit Madiha einen Blick austauschte. Jene schaute sich sofort nach einem Fluchtweg um, aber die einzige Tür, die sie entdecken konnte, führte zur Treppe in den ersten Stock. Dort, wo die Wirtin die Schlafräume erwähnt hatte. Vielleicht wäre eine Flucht durch das Fenster und auf die Dächer möglich. Caleb wäre dazu sicherlich in der Lage und auch Madiha könnte es gelingen, aber sie hatten noch Azura. Wenn sie nicht vorher gänzlich auseinanderfiel, würde sie wie ein nasser Sack vom Dach rollen. Sie war doch längst nicht mehr in der Lage, sich selbstständig irgendwo festzuhalten.
Wohl aber konnte sie noch auf Dinge ihrer Umgebung reagieren und so blökte sie einem brünftigen Schaf gleich in die Welt, dass Corax sie gefälligst erst zusammenflicken und anschließend besteigen sollte. Natürlich verwendete sie dabei deutlich obszönere Formulierungen, die sogar Caleb einmal blinzeln ließen. Er knurrte und schob sich kurzerhand samt der Betrunkenen in den Windschatten der Tür, sobald sie sich öffnen würde. Besser konnte er sich nun nicht mehr verstecken. Um Azura weiter am Schreien und Grölen zu hintern, legte er ihr behutsam die Hand über den Mund. Caleb drückte nicht zu, es war nur eine Geste, die ihr verdeutlichen sollte, ruhig zu sein. Er kam ihrem Ohr ganz nahe. Er roch die leichte Note der Verwesung, die wie ein Moschusduft an ihr hing. "Bitte, sie ruhig", wisperte er Azura zu. "Wir sind in Gefahr und du willst Corax doch auch wiedersehen. Wenn du herumbrüllst, haben wir keine Chance mehr dazu."
Dann nickte er Madiha zu. Würden sie noch länger warten, käme der Klopfende ohnehin einfach hinein. Es war Zeit, ihm zu öffnen. Das Wüstenmädchen wappnete sich.
Wie schnell sie doch ständig von einer Situation schlagartig in die nächste getrieben wurde. Was erwartete sie nun? Die Wirtin konnte unmöglich einen so eindringlich festen Schlag haben. Zumal sie niemals an ihre eigene Tavernentür klopfen würde. Genug der Spekulationen. Madiha blieb ohnehin nichts Anderes mehr übrig. Sie griff nach der Klinke und zog die Tür erneut in den Raum hinein. Just in diesem Moment, als hätte Ventha nur darauf gewartet, grollte Donner und ein Blitz erhellte den von einer hünenhaften Gestalt ausgefüllten Türrahmen. Regen und Wind peitschten an seiner muskulösen Statur vorbei und Madiha gegen das Gesicht. Der Blitz blendete sie, so dass sie zunächst nicht mehr als die schattenhaften Konturen des Fremden ausmachen konnte. Dann wurde sie auch schon an der Schulter gepackt. Der Griff warf fest ... und irgendwie vertraut. Pure Stärke schob sie in die Taverne hinein.
Es donnerte erneut und anschließend fiel die Tür auch schon wieder ins Schloss. Der Regen wurde ein weiteres Mal ausgesperrt. Der Klopfende befand sie nun aber im Inneren. Noch immer lag seine Pranke auf Madihas Schulter. Mit kantig harten Gesichtszügen und einer Glatze, von der das Wasser tropfte, betrachtete er sie aus diese streng wirkenden Augen, die das Mädchen einst so sehr eingeschüchtert hatten.
"Schiffsjunge", grüßte er sie im Anflug einer Erinnerung. Dann schüttelte der Mann den Kopf, als er selbst bemerkte, dass Madiha weder ein Junge war noch dass sie sich an Bord der Blauen Möwe befanden. Jakub Tauwetter lächelte nicht, aber in seiner Mimik stand eine Spur von Erleichterung. Endlich ließ Madihas Schulter los, um sich im Schankraum umzusehen. Seine Augen hefteten sich bereits an die Leichname der Orks und die aufgreihten der Dunkelelfen noch ehe er Caleb und Azura entdeckte. Jakub wirkte nicht einem Moment überrascht, geschweige denn entsetzt.
"Er hat euch also gefunden? Wo ist er?"
Caleb trat mit seiner Last aus den Schatten heraus. "Wer?", fragte er und setzte Azura endlich langsam ab. Es war das erste Mal, dass der einstige Erste Maat der Möwe zuckte. Seine grauen Augen musterten Azura kritisch. Er löcherte aber keinen sonst mit Fragen. Er hatte bereits zwei gestellt und wartete noch immer auf eine Antwort. Jakub war aber auch bereit, van Tjenns zu beantworten: "Na Corax. Es geht ihm hoffentlich gut?"
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 7. Januar 2023, 23:39

Das Leben wäre bedeutend einfacher, wenn es nicht immer wieder Momente gäbe, die einem vor Augen führten, was man alles nicht sein oder schaffen konnte. Wenn es spitze Zungen vermeiden würden, sich zu äußern. Madiha hatte einen wundervollen Moment der Zuneigung erfahren und sich im Glanz eines Blickes gesonnt, der ihr Selbstbewusstsein gegeben hatte. Der ihr gezeigt hatte, dass sie mehr sein konnte als das, was das Schicksal ihr als Kartendeck mitgegeben hatte. Dass sich dieses Blatt wenden und sie die ein oder andere Karte austauschen könnte. Das Hochgefühl verblasste jedoch, auch wenn es nicht verschwand. Es wurde lediglich überschattet von dringlicheren Dingen und schloss den verdeckten Nachziehstapel für eine Weile weg, sodass sie sich später darum kümmern würde. Madiha vergaß ihren Moment nicht. Er wärmte sie von Innen heraus, während die grausame Kälte der Taten anderer versuchte, sie zu überschatten. Doch bevor die winzige Flamme erlöschen konnte, trat Caleb an ihre Seite und ergriff ihre Hand mit seiner, deren Druck sie leicht erwiderte. Als könne er spüren, dass sie drohte unter den Erlebnissen zu ersticken, schuf er neuen Nährboden, damit sie weiterbrannte. Madiha musste sich an ihre neuen Gefühle erst noch gewöhnen und alles konnte sie in Zweifel ziehen. Alles. Sie war vollkommen hilflos auf diesem Gebiet und auch wenn sie sich ihrer eigenen Gefühle wahrlich sicher war, war sie es nicht im Umgang damit.
Während Caleb verhinderte, dass die kichernde Azura der Länge nach auf den Boden schlug, weil der Alkoholgenuss ihr bedeutend zu Kopf stieg, betrachtete Madiha für einen Moment die Szenerie und seufzte tonlos. Plötzlich sahen sie sich abermals mit einem Problem konfrontiert und die Zeit wurde immer knapper. Sie mussten sich endlich einen handfesten Plan überlegen, sodass sie alle an einen sicheren Ort gelangten. Etwas Erholung würde ihnen wohl allen gut tun. Etwas Verschnaufpause, etwas Essbares und endlich etwas erholsamen Schlaf, ohne ständig die quälende Angst im Nacken, das jemand starb oder sie aufgegriffen wurden. Madiha hing ihren Gedanken nach, während Azura weiter kicherte und dann doch plötzlich offenbarte, dass sie nicht frei von Neid war. "Ja, los, los zu Papi! Bringst ihm gleich zwei Bräute heim, eine, die er wollte, und eine, die erst seine Maßstäbe erfüllen muss!"

Madiha starrte Azura an. Der Schlag war tief und nachhaltig. Sofort stieg ihr die Farbe ins Gesicht und sie schluckte den harten Kloß hinunter. Sie wusste wohl am besten, dass sie niemals irgendwelchen Maßstäben gerecht werden würde. Und wenn Azura sich irgendwann mal die Mühe gemacht hätte, sich für Madiha und ihre Geschichte zu interessieren, hätte sie diese Worte vielleicht nicht gewählt. Das Wüstenmädchen spürte, dass sie getroffen war davon. Ihr Blick flackerte unsicher zu Caleb, denn auch ihm musste klar sein, dass sie, die Sklavin, niemals genügen könnte. Ihre Angst, dass er das schon bald erkennen könnte und was das bedeuten würde, wurde durch die Adelige deutlich schneller entfacht als vielleicht nötig gewesen wäre. Allerdings verschwammen ihre eigenen, unsicheren Gefühle als sie das Gesicht des Diebes betrachtete. Caleb wirkte wie erstarrt und schien diese Spitze deutlich ernster zu nehmen als noch die anderen zuvor. Besorgt legte sich Madiha’s Stirn in Falten. Da war kein Schalk, kein schiefes Grinsen, die das Unangenehme fortwischen wollten. Er war getroffen, was wiederum Madiha nachdenklich stimmte. Er hatte ihr anvertraut, dass er seinem Vater und dessen Ansprüchen niemals gerecht werden würde. Dass es der Grund für sein Fortgehen gewesen war und er sich den Ansichten seines Vaters nicht unterordnen wollte. Sie hatte ihn verletzt.
Das Mädchen aus der Wüste warf Azura einen bösen Blick zu. "Wir alle passen nicht in seinen Maßstab, das fängt bei mir schon an", kam es murmelnd vom Dieb. Ungeachtet dessen, dass sie Madiha einmal mehr aufzeigte, was sie von ihr hielt, war es aber die Tatsache, dass er darunter litt, die das Mädchen handeln ließen: „Wenn so der Maßstab aussieht, ist es wohl kaum eine Beleidigung, ihn nicht zu erfüllen!“, giftete Madiha halblaut, aber dennoch klar und ungewohnt zurück und blitzte die Betrunkene in den Armen des Mannes an, für den sie so viel Zuneigung empfand. Sie hatte ihre Hände zu Fäusten geballt, denn Azura schürte ihre Wut. Allerdings genügte ein Blick auf Caleb, um ihr diese Wut gleich wieder zu nehmen. Azura’s spitze Zunge hatte wieder mal ganze Arbeit geleistet. Doch dieses Mal fand nicht mal der Dieb eine Entschuldigung für ihr Verhalten. Wie gern hätte Madiha ihn jetzt in die Arme geschlossen.

Einen Moment ruhte ihr Blick auf ihm und ihre Finger zuckten, weil sie ihm Trost spenden wollte, doch seine Haltung machten es schwer, dass sie an ihn herankam. Zumal Azura plötzlich zu zappeln, begann und kurzdarauf eine Nadel hervorzog. Madiha zuckte bei dem Anblick, da sie sofort an Corax, die Schlange und die Bilder erinnert wurde. Ihre Worte indes hörte auch die einstige Sklavin nicht wirklich, denn ihr saß noch der Schreck inne, den die Erinnerung an das, was diese Schlange offenbart hatte, auslöste. Doch auch sie wurde durch das polternde Klopfen zurückgeholt. Erneut fuhr sie zusammen und langsam glaubte sie, sie würde nie wieder ohne Angst sein. Ihre Augen starrten auf das Holz der Eingangstür, während ihr Herz schneller pumpte. Energisch war die polternde Einlassforderung, sodass Madiha sich umsah, um nach einer Möglichkeit der Flucht zu suchen. Allerdings wurde bereits die Klinke gedrückt, sodass das Mädchen Caleb nur einen Blick zuwarf, ihm zuraunte, dass sie sich verstecken sollten und sie zusah, wie er mit Azura an die Wand neben der Tür lehnte, um nicht gleich entdeckt zu werden.
Madiha aber schüttelte die unsägliche Beleidigung der Adeligen gänzlich ab, um sich auf die neue Aufgabe zu konzentrieren. Sie trat an die Tür heran und hörte die unbekannte Sprache, deren Wortsinn sie nicht verstand, wartete aber ab, bis Caleb ihr das Zeichen gab. Erst dann atmete sie noch mal halbherzig durch, ehe sie quasi zeitgleich mit dem Eindringling die Klinke betätigte. Das Unwetter erfasste als erstes ihre Sinne, bevor sie sich dem Hünen gegenübersah. Sie blinzelte in das grelle Blitzen hinein und sah Sterne, ehe sie den Druck auf ihren Schultern spürte und sich sofort panisch anspannte. Sie glaubte daran, dass man Bescheid wusste und gekommen war, um sie alle festzunehmen. In ihrer Welt hieße das sofort der Galgen oder eben der Sand. Madiha wollte sich gerade wehren und begann ihre Schultern zu schütteln, als sie in das Gesicht von Jakub Tauwetter blickte. “Schiffsjunge“ Sie starrte. Dann blinzelte sie und entspannte sich augenblicklich etwas. „Jakub!“, schnaufte sie erleichtert.

Er löste den Druck von ihrer Schulter und sie rieb sich diese gedankenverloren, während sie ihn noch musterte. Was tat er hier?! Das Mädchen suchte Caleb’s Blick und fragte ihn stumm, was das zu bedeuten hätte, als Jakub das Wort an sie alle richtete. Verständnislos sah auch Madiha zu dem Glatzkopf auf, während Caleb aus den Schatten trat und Jakub zumindest eine minimale Reaktion auf Azura’s Erscheinung zeigte. Was er davon hielt oder dazu dachte, verbarg er aber gekonnt. Das Mädchen trat etwas aus dem Hintergrund und stellte sich vor Jakub und näher zu Caleb und Azura. Sie rieb sich mit dem zu großen Ärmel an ihrem Handgelenk das nasse Gesicht, ehe sie ihre Frage stellte. „Wie meinst du das? Und… woher weißt du überhaupt, dass er… nun.. lebt?“, wollte sie wissen, denn im Grunde hatte er ja geglaubt, dass er tot wäre. Das Mädchen blinzelte einen Moment irritiert. Dann erhellte sich das Gesicht. „Er ist zu dir gekommen?!“, fragte sie erstaunt und hoffnungsvoll gleichermaßen. Dann deutete sie auf die Toten, ohne sie noch mal anzusehen. Das lag nicht an mangelndem Respekt, sondern viel mehr daran, dass sie langsam genug von Schrecklichem hatte. „Er… er hat falsch gehandelt, ist von falschen Dingen ausgegangen und.. verschwand. Wir wissen nicht wo er ist oder was er tut…“, unterrichtete sie Jakub und ließ ihren Blick schweifen. Dann fiel das Graublau auf die Tasche auf dem Tresen. Madiha stutzte. „Was ist das denn?“, wollte sie plötzlich wissen, denn sie war sich sehr sicher, dass das vorher noch nicht dagelegen hatte.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Sonntag 8. Januar 2023, 12:54

Unter normalen Umständen hätte die junge Frau sehr viel aus seinen Worten heraushören können, wenn sie es denn gewollt hätte. Sie hätte auch, bei entsprechendem guten Willen, den verborgenen Dank darin erkannt. Doch im Moment war für sie nichts, absolut gar nichts normal, auch unabhängig von dem genossenen Alkohol, der ihr zu schnell und zu heftig zu Kopfe stieg.
Gerade erst war sie aus dem Jenseits ins Reich der Lebenden zurückgekehrt, um zu dem Mann zurück zu kommen, der sie oftmals gequält und verbal herausgefordert, ja regelrecht zur Weißglut getrieben hatte. Mit dem Ergebnis, dass er nicht einmal anwesend war! Stattdessen musste sie das Liebespärchen beobachten bei seinem Geturtel, das sie selbst nie erlebt hatte und wahrscheinlich auch niemals in diesen Genuss kommen würde. Wenn überhaupt auch nur ansatzweise...
Und um dem Ganzen die Krönung aufzusetzen, löste ihr bestialisch stinkender Körper allmählich auf. Nun gut, wenn man ehrlich war, hatte er damit schon länger davor begonnen, aber... es schien noch nicht aufzuhören. Ob sie jemals wieder wie ein normaler Mensch aussehen würde? Damit es sich wenigstens gelohnt hatte, was sie alles geopfert und worum gekämpft hatte?! Das Selbstmitleid begann allmählich an der Tür ihres vernebelten Bewusstseins zu klopfen.
Zuvor jedoch kam eine andere Seite an ihr zum Vorschein, denn mit einem Mal fühlte sie sich einfach nur leicht und beschwingt, das Kichern in ihrer Kehle kitzelte und drängte mit aller Macht heraus. Ihre Worte waren dabei nicht mit Absicht verletzend gewählt, ausnahmsweise einmal nicht. Sie waren viel eher ironisch auf sich selbst gemünzt, denn sie war inzwischen auch längst nichts weiter als beschädigte Ware und mit ihrer Optik ganz gewiss niemandem von Wert.
Wie sehr sie die beiden anderen damit traf indes, bekam sie nicht einmal wirklich mit, zumindest nicht bewusst. Was alles in ihrem Unterbewusstsein hingegen Aufmerksamkeit erregen und einen Abdruck hinterlassen könnte, war ein vollkommen anderes Kapitel.
Ihr alkoholisierter Geist dagegen widmete sich längst anderen Themen. Vor allem jenem, dass ein kleiner Ruck durch ihren Körper ging und sie flüchtig abrupt absackte, was ihr einen erschrockenen Laut entlockte mitsamt einer Atemwolke Marke billiger Fussel gepanscht mit Verwesung. Ein wahrer Traumduft, der gewiss das Zeug dazu hatte, der letzte Schrei in Andunie zu werden!
Als ihr Halt sich allerdings nicht länger wie ein schwankendes Schiff anfühlte, hatte er einen Gedanken bei ihr ausgelöst, der dazu führte, dass sie etwas aktiver wurde. Sie suchte und fand jene Nadel, mit der sie wieder zusammen geflickt werden sollte. Wenn sie sich nicht ganz irrte, war zwar damit ihre Seele gemeint gewesen oder irgendetwas ähnlich stoffliches und nicht ihr Körper, doch passen würde es dennoch, so, wie sie auseinander blätterte.
Schon wieder war da dieses Kichern, das sie nicht hinunter schlucken konnte, und zeugte deutlich von ihrem desolaten Zustand. Sie brach erst damit ab, als es an der Tür vernehmlich klopfte und sie sich konzentrieren musste, um dem Geräusch einen Sinn geben zu können. Dann allerdings ratterte es in ihrem Kopf, wurden Schlüsse gezogen und ehe sichs die drei Anwesenden, sie eingeschlossen, versahen, kamen von ihr derart offenherzige Worte über die Lippen, dass sie sich im nüchternen Zustand in Grund und Boden dafür schämen würde. Doch sie waren schneller ausgesprochen, als es jemand verhindern konnte.
Dafür ging es danach noch rascher zu und schon fand sie sich stehend, mit dem Kapitän im Rücken, im toten Winkel der Tür. Damit nicht genug, lag auch eine Hand auf ihrem Mund, nicht fest, aber doch ausreichend, um diesen Körperteil vollständig bedecken zu können. Ihre Augen weiteten sich erschrocken, da sie Erinnerungen zu wecken drohten, die es allerdings glücklicherweise schwer hatten, an die Oberfläche durchzudringen. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn sie voller Panik ungeahnte Kräfte mobilisiert und sich gewehrt hätte!
Dafür hörte sie die Worte an ihrem Ohr und deren Tonfall reichte aus, um sie ein bisschen ruhiger werden zu lassen. Der Name des geliebten Schufts war da noch die Draufgabe, auch wenn sie dieses Mal wenigstens kein Kichern auslöste. Stattdessen nuschelte sie:"Corax..." Und ihre Lider senkten sich, während sie sich sein Gesicht vorzustellen versuchte. Mehr noch, wie er zuletzt über ihr gewesen war, in seinem Traum, wie sich das angefühlt hatte und wie schön es gewesen war, bis es ein plötzliches Ende gefunden hatte.
Ihr Körper reagierte darauf und verstärkt durch den Alkohol öffnete sie wie von selbst die Lippen, um ihre Zunge hervorkommen zu lassen. Es war schließlich eine Männerhand, die sie da spürte, nicht wahr? Wenn sie die Augen schloss und nur ganz fest daran glaubte... Vielleicht wäre es dann ja die von Corax? Er hatte das ja immer gesagt, sie musste daran glauben, dann wäre es real...
Oh, und was sie da alles ausprobieren wollen würde mit ihm! Mit der Zungenspitze würde sie seinen Handteller nachzeichnen und den Kopf so lange drehen, bis sie irgendwann einen der Finger in den Mund bekäme, um daran zu lutschen und zu saugen, als wäre sie mit ihren Lippen an einer ganz anderen Stelle. Wie ihm das wohl gefallen würde? Ob er dadurch endlich das erleben könnte, was ihr in den heißen Quellen bei ihm nicht gelungen war? Entsprechend ihrer Vorstellung zappelte sie in dem Griff und wollte das gleich mal ausprobieren, während sie die Umgebung längst vergessen hatte, die sich durch die geöffnete Tür ohnehin verdunkelt hatte.
Bis sich dieser Umstand wieder änderte und obendrein eine neue, bekannte Stimme in die Runde gesellte. Bei welchem Tun auch immer sie gerade wäre, erstarrte sie und riss die Augen auf. Vorbei war der Tagtraum und sie fand sich nicht nur in der billigen Spelunke wieder, sondern auch in den Armen eines Mannes, der nicht das Ziel ihrer Avancen gewesen war. Sofort verzog sie unwillig das Gesicht und begann zu strampeln, damit er sie endlich wieder los ließ. Das tat er auch, sodass sie schwankend auf eigenen Beinen stand und nach dem nächstbesten Gegenstand oder Körper griff, um nicht doch erneut zu Boden zu gehen.
Indes unterhielten sich die anderen Drei und sie musste mit sich selbst kämpfen. Solange, bis ein Name fiel, eben jener welche, da ruckte ihr Kopf plötzlich hoch und sie fixierte erstaunlich zielsicher den Glatzkopf. "Du!", fauchte sie mit schwerer Zunge. "Du schon wieder!"
Damit stapfte sie schwankend los, um die kurze Distanz zu überbrücken und den Mann, ungeachtet seiner Muskulösität und Größe, am Kragen zu packen. "Was hast du ihm diesmal angetan?! Los, spuck's schon aus!", verlangte sie herrisch zu wissen und wäre es ihr körperlich möglich gewesen, sie hätte ihn gewiss durchgeschüttelt. So musste allein der Zug an seiner Kleidung als eindeutige Geste ausreichen.
Im nächsten Moment allerdings wandelte sich ihre Haltung erneut grundlegend. Ein weiteres Mal verzog sich ihr Gesicht, während sich ihre Augen mit Tränen füllten, die ihr Leib allmählich wieder produzieren konnte, und sie glitt langsam an Jakub hinab zu Boden. Schluchzend blieb sie dort vor ihm hocken und ließ den Kopf hängen, die Schultern bebten.
Sie hob eine Hand und legte sie sich an den anderen Arm in Ersatz für eine tröstende Umarmung. Dabei spürte sie etwas ungewohnt Hartes, Glattes, sodass sie durch den Tränenschleier hindurch blinzelnd auf jene Stelle sah. Langsam, als würde es ihr jetzt erst bewusst werden, betastete sie den Knochen, der durch das Loch in ihrer Haut sicht- und fühlbar geworden war, ehe sie beide Hände herzzerreißend schluchzend vors Gesicht schlug. "Corax... mein Rabe... ich will doch nur meinen Raben wieder... Wo ist er? Wo ist er nur...? Er muss doch endlich herkommen... herkommen und meine Löcher stopfen...", schluchzte sie und tastete instinktiv nach der Nadel, die wie durch Zauberhand den Weg in ihren Ausschnitt zurück gefunden hatte, um sich an diese wie an einen letzten Strohhalm vor dem Ertrinken zu retten.
Da war sie also, die nächste Wirkung des billigen Fussels und sie hatte Azura in ein jämmerliches, weinendes, vor Selbstmitleid und Sehnsucht heulendes Häuflein Elend verwandelt. Welche Peinlichkeiten wohl noch kommen würden, bis der Alkohol endlich seine Wirkung vollständig entfaltet hätte und sie in einen Schlaf sank, um diesen Rausch auszuschlafen? Blieb ihr nur zu wünschen, dass sie danach mit einem derart mächtigen Kater aufwachen würde, um für alle Ewigkeiten einen weiten Bogen um Alkohol zu machen!
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Sonntag 8. Januar 2023, 20:46

Corax musste bei den Göttern ungemein beliebt sein, dass er so gewaltig im Fokus stand. Oder aber sie machten sich einen Spaß daraus, ihn zum Spielball zu verwenden, weil er sich dafür besonders eignete. Selbst in seiner Abwesenheit ging das Drama auf der großen Bühne des Lebens munter weiter und unterhielt die Zuschauer. Wenigstens artete es gerade nicht auch noch in einer Verhaftung oder weiteren Angriffen durch Dunkelelfen aus. Zwar hatte Corax den Weg in die Taverne noch nicht zurückgefunden, dafür war eine längst vergessene Figur wieder auf die Bretter gestiegen: Jakub stand Madiha gegenüber und sogar er erkundigte sich nach dem Raben. Was ging hier nur vor sich?
"Was ... geht hir vor?", fragte auch der ehemalige Erste Maat, als er in das gräuliche Antlitz einer Azura blickte, die auf eigenen Beinen stand und den Raum mit einer Mischung aus Verwesung und Alkohol schwängerte. Jakub starrte sie an, während sie ihrerseits ihren Unterarm berührte und endlich selbst feststellte, was mit ihr nicht ganz stimmte. Sie fand ein Loch, bei dem es wirklich hilfreich wäre, würde jemand es stopfen oder wenigstens einen neuen Hautlappen über den Knochen legen und diesen vernähen. Bleich schimmerte er zwischen Muskeln und Sehnen hindurch, während die abgerupften Hautränder einen schwarzfauligen Rand um die klaffende Lücke bildeten.
Azura hatte es wirklich nicht leicht. Ihr Kampf setzte sich fort und schien nicht einen positiven Zwischenschritt für sie bereitzuhalten, abgesehen von der Tatsache, dass sie es aus ihrem persönlichen Paradies zurück ins Leben geschafft hatte. Aber was für ein Leben. Sie steckte in einem halb verwesten Körper fest! Corax war fort und laut der Schriftrolle, die sie zu Gesicht bekommen hatte, ging es ihm alles andere als gut. Ob Jakub erneut seinen Teil dazu beigetragen hatte? Azura nahm es offenbar an, denn sie stakste in ihrer untoten Gestalt auf den Glatzkopf zu. Nicht einmal Caleb konnte sie nun aufhalten, da stand sie dem anderen Mann schon gegenüber und fauchte ihn an.
"Du schon wieder! Was hast du ihm diesmal angetan?! Los, spuck's schon aus!"
Jakub rührte sich nicht. Er musterte Azura lange, wobei sein grauer Blick immer wieder über ihren Körper huschte. Er sah die fahle Haut, die kleinen und größeren Anzeichen von Verwesung. Aber er sah auch das Feuer im Blick einer Frau, die verzweifelt alles versucht hatte, um zu ihrem Herzblatt zurückzukehren. Azura hingegen sah - sofern der Alkohol ihr nicht zu sehr die Sinne vernebelte - Verständnis im Blick des Mannes. Darunter mischte sich jedoch auch eine gewisse Verwirrung. Er wandte sich an Madiha und Caleb, anstatt der Zornigen zu antworten. Sie würde ihm sicherlich keine Erklärung liefern.
"Was ist das hier? Sie ... lebt ... irgendwie? Heißt das, ihr habt auf ähnliche Weise auch Corax zurückgeholt? Er sah nicht so ... leichenhaft aus."
"Du hast ihn gesehen?", fragte Caleb das Wesentliche. Dass der Erste Maat aber auch nicht wusste, wo der Rabe steckte und ihn sogar hier gehofft hatte, vorzufinden, war bereits vorher schon klar gewesen. "Wir sollten uns unterhalten", schlug der Dieb vor. Jakub nickte. Aber ehe er etwas erwidern konnte, sank Azura vor ihm in sich zusammen. Es war zu viel für sie. Sie hatte so sehr gekämpft, hatte sich so bemüht und sogar diesen schlecht gepanschten Apfelwein getrunken. Nicht einen Erfolg konnte sie verzeichnen. Ihr Herz war schwer, dass es ihr die Tränen aus den Augen presste. Sie weinte und sie wimmerte ihrem Raben nach. Betreten schauten sowohl Jakub als auch Caleb auf sie herab. Letzterer trat vor, um ihr unter die Arme zu greifen und sie wieder aufzurichten. Notfalls würde er sie erneut zu seiner Braut machen und tragen, wenn sie sich nicht halten konnte. "Jakub, Corax hat hier ... es ist ein Unfall geschehen, aber bald könnten Dunkelelfen auf dem Plan stehen. Es wäre nicht klug hierzubleiben."
"Ich weiß. Er hat getötet. Er hat das erwähnt." Jakub schüttelte den Kopf und winkte ab. "Verschwenden wir keine Zeit. Mein gemietetes Zimmer ist klein, aber dort wird euch niemand vermuten. Wir sollten nur ... sie." Er grunzte und löste etwas von seinem Hals. Ein Tuch, das er sich zum Schutz vor dem Regen umgebunden und wie eine Kapuze genutzt hatte, bis der Regen es vollkommen aufgeweicht hatte. Noch immer war es nass, aber es würde neugierige Blicke daran hindern, Azuras Fäulnis am Arm zu entdecken. "Wenn jemand uns anhält und fragt, so leidet sie an einer ansteckenden Krankheit und wir wollen sie ... entsorgen, bevor es uns auch erwischt. Kommt mit! In meiner Kammer reden wir dann in Ruhe. Na los, Schiffsju... Madi."
Das Wüstenmädchen hatte sich bislang zurückgehalten, seit sie Jakub erkannt hatte. Die drei hatten sich auch ohne sie unterhalten können. Außerdem war sie auf etwas aufmerksam geworden, das niemand sonst, nicht einmal Azura, bemerkt hatte. Auf dem Tisch, auf dem man sie gebart hatte, lag ein kleiner Beutel. Er war vollgestopft mit einigen zusammengerollten Papieren. Was immer dort stand, würde ebenso auf einen sicheren Ort zum Lesen warten müssen. Die Zeit lief ihnen wirklich davon, so wie die Wirtin fortgerannt war. Ob sie mittlerweile aus Angst heraus doch Alarm geschlagen hatte? Besser war es, sie fänden es nicht heraus. Madiha wollte aber auch nichts zurücklassen, das Aufschluss auf ihre Gruppe bieten könnte. Außerdem schien der Beutel Azura wichtig gewesen zu sein, weshalb sie ihn sich umhängte und mitnahm.
Gemeinsam verließ man die Taverne und floh durch den strömenden Regen.

Ventha meinte es gut mit ihnen. Die Göttin der Meere schickte dicke, dunkle Wolken, die bis zum Rand mit Wasser vollgesogen sein mussten. So viel Regen fühlte sich zwar kalt und unangenehm an und könnte sogar eine Erkältung zur Folge haben, aber er hielt Mensch wie Dunkelelf von den Straßen fern. Noch immer herrschte Nacht, was schon Grund genug schien, dass kaum jemand sich heraus wagte. Im einstigen Andunie wären viele Orte durchgehend belebt gewesen. Matrosen hätten mit Dirnen gefeiert, Bauern sich halb betrunken nach Hause zu ihren Frauen geschleppt und Patrouillen einer meist rechtschaffenen Stadtwache wären umhergezogen, um die Bewohner der Küstenstadt zu beschützen. Gruppen aus Fremdländern hätten sich zusammengefunden, um die Nacht unsicher zu machen und selbst jetzt noch nach einem Platz zu schauen, an dem sie die andunische Kultur kennen lernen konnten. Adlige hätten in ihren riesigen Villen Tanzbälle oder andere Festlichkeiten bis in die frühen Morgenstunden abgehalten, um für Kurzweil zu sorgen. Und irgendwann, wenn von den Höfen die ersten Hähne nach der Sonne schrien, hätten die Gruppen auf den Straßen gewechselt. Die Feiernden wären in ihre oder fremde Betten gefallen, während das schaffende Volk sich an das Tagwerk gemacht hätte. Bauern wanderten auf ihre Felder oder zu den Apfelplantagen. Bäcker heizten ihre Öfen an, um anschließend den zu Brötchen geformten Teig darin zu backen, damit es in den Straßen köstlich duftete, wenn die ersten Kaufmänner sich auf den Weg zu ihren Kontoren machten.
Nichts war mehr so wie es einmal war. Jetzt prasselte nur kaltes Nass auf die Köpfe von Madiha, Caleb, Azura und Jakub herab. Sie eilten sich, zum gemieteten Zimmer des Ersten Maats zu gelangen, ohne auffällig zu werden. Das bedeutete, dass sie eben nicht wie die Halunken von einer Hauswand zur nächsten Nische huschten. Jakub wies sie an, einfach stetig zu gehen, um so den Anschein zu machen, dem Regen entkommen zu wollen. Außerdem sollten die die Köpfe geduckt halten. Beides war nicht schwer durchzuführen, denn das Wetter zwang sie schon alle dazu. Caleb trug Azura sogar den ganzen Weg über, damit es schneller ging. Sie verlor keine Haut oder andere Körperteile. Mit der Rückkehr in ihren Leib schien die weitere Verwesung aufgehalten worden zu sein. Dennoch sah sie mehr wie eine wandelde Tote aus, aber im Regen erkannte man ohnehin kaum etwas. So gelang es der Gruppe auch, unbehelligt bis zu dem kleinen Gasthaus am anderen Ende der Docks zu gelangen. Die Pforte des Seefahrers Rast war auch nachts noch geöffnet, wie die im Regen schwankende Laterne über dem Schild verkündete. Neben der Tür gab es ein Glöckchen, so dass spät Eintreffende jemanden von der Hausverwaltung wecken konnten. Jakub aber war bereits Gast und hatte einen Schlüssel erhalten, so dass er sich und die anderen auch ohne jemanden zu wecken in den Hausflur und dann die schmale Stiege in den ersten Stock hinauf bringen konnte. Die Zimmer besaßen keine Schlösser, ließen sich glücklicherweise aber von innen verriegeln. Genau das tat Jakub auch, nachdem der letzte der Gruppe die Kammer betreten hatte.
Sie war klein gehalten, im Grunde genug für einen einzelnen Gast und auch nicht mehr. Es gab eine Fensternische mit Blick auf den Hafen. Das rustikalte Holzbett besaß eine mit Stroh gefüllte Matratze, Kissen und verhältnismäßig dünne Decke. Für Habseligkeiten des Gastes existierte eine Kleidertruhe. Ansonsten fand sich ein Tisch mit nur einem Stuhl. Jakubs Rest einer Mahlzeit fanden sich noch dort, außerdem einige Leinenverbände, eine Schere und Nähzeug, sowie eine Schale mit Wasser. Daneben lagen blutgesprenkelte Tücher.
Jakub entzündete die einzige Lichtquelle in Form einer Deckenlaterne und schlich sich dann noch einmal herunter, um aus dem Schankraum wenigsten noch zwei Stühle und einen Hocker heranzuschaffen. Außerdem brachte er eine Kanne mit Wasser und einige Krüge. "Mehr war nicht holen, der Ausschank hat längst zu", entschuldigte er sich knapp.
Wenig später saßen er und Caleb einander gegenüber am Tisch. Azura hatte man zunächst in das Bett verfrachtet, damit sie etwas ausnüchtern konnte und auch wenn sie dadurch die Matratze durchnässte, weigerten sowohl Caleb als auch Jakub sich, sie auszuziehen. Caleb lief bei der geringsten Idee in diese Richtung knallrot an und Jakub meinte nur trocken, dass er nicht riskieren wollte, dass noch mehr von ihr abfiel, wenn man sie auszöge. Wenn Azura aus den nassen Sachen heraus wollte, müsste sie es schon selbst tun. Aber sie alle schlotterten unter der durchweichten Kleidung. Zumindest Caleb zog irgendwann sein Hemd aus. Jakub bot Ersatz an. Er blieb in seinen Sachen sitzen wie er war und da Caleb auf das Hemd verzichtete, reichte der Glatzkopf es an Madiha weiter.
Das Kind der Wüste aber war mit eigenen Dingen beschäftigt. Sie lauschte zwar dem Gespräch zwischen beiden Männern, hatte sich mit dem Hocker aber zur Fensternische zurückgezogen und studierte nebenher derweil die Schriftstücke. Da die Unterhaltung zwischen Caleb und Jakub dann aber doch interessanter wurde, horchte sie auf und auch zu Azura drangen die Worte durch. Es ging schließlich um Corax, das wollte sie mitbekommen.

"Dann fang mal an, Jakub." Caleb füllte sich Wasser in seinen Becher. Sie hätten in der Taverne etwas essen sollen. Sein Magen hing durch, aber er beschwerte sich nicht. Außerdem wusste Jakub mit Antworten vom wachsenden Hungergefühl abzulenken.
"Ich dachte, er war tot", begann er von Corax zu erzählen. Natürlich dachte er das. Niemand hatte ihn aufgeklärt und der Rabe sich fortan nur nach draußen gewagt, wenn er Madihas Gestalt angenommen hatte. Das war noch gar nicht so lange her und doch kam es den Anwesenden wie eine Ewigkeit vor, dass Caleb und Azura wie tot in der Kapitänskajüte lagen und von ihren Freunden versorgt worden waren, während die Blaue Möwe mit ihrer kleinen Restbesatzung gen Andunie geschippert war.
"Erzähl weiter, Jakub."
Der andere nickte, hob daraufhin aber schon die Schultern. "Warum er plötzlich wieder lebte und wie er mich gefunden hat, darüber schwieg es. Er stand mit einem Mal einfach vor meiner Tür, regennass und mit blutiger Wange. Venthas Wogen, er war überall voller Blut. Hat mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt." Jakub wies zum Bett herüber, in dem Azura lag. "Er hat sich mir einfach vor die Füße geworfen, gewimmert und sich mit seinen Blut überströmten Händen an mich festgeklammert. Ich hab ihn erstmal zum Bett gebracht und mir seine Verletzungen angeschaut. Glücklicherweise war nur die Wange aufgeplatzt, das konnte selbst ich rasch versorgen."
"Danke", erwiderte Caleb, aber Jakub winkte nur ab. Corax war einmal Teil der Mannschaft gewesen, wenn auch auf skurrile Weise, immerhin hatte der Maat ihn sich zu seinem Sklaven gemacht, nachdem er glaubte, von Azura verstoßen worden zu sein. Doch so war er Teil von Jakubs Umkreis und der Mann half seinen Gefährten.
"Bitte, Jakub, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Was ist geschehen?"
Der Glatzköpfige sog die Luft ein und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. "Es ist nicht leicht, darüber zu sprechen. Und ich hab keinen Alkohol hier, um meine Zunge zu lockern." Caleb streckte seine Hand aus, umfasste damit das Gelenk des Maats. Er sah ihn eindringlich an. Jakub nickte, rieb sich daraufhin die Stirn. "Es war nicht leicht, seinen Worten einen Sinn zu geben. Er war vollkommen aufgelöst. So hab ich ihn nur erlebt, als ... nachdem ... ihr wisst, was auf dem Schiff geschehen ist. Was ich ihm angetan habe. Gütige Ventha, was ist damals nur in mich gefahren, das zu tun?"
"Das ist jetzt nicht wichtig, Jakub. Was ist mit Corax? Was hat er dir erzählt?"
Der Maat umfasste nun seinerseits Calebs Handgelenk mit seiner anderen Pranke. Beide Männer hielten einander fest wie alte Freunde, die gegenseitig Halt suchten und gaben. "Du hast Recht. Ihm war es auch nicht wichtig, sonst wäre er nicht noch einmal zu mir gekommen. Oder sagen wir: Er war zu allem bereit. Ich hab versucht, aus ihm Informationen herauszubekommen. Wo er die ganze Zeit gesteckt hatte, wie er hatte überleben können und ob er wusste, was mit dir und Azura geschehen war. Kaum, dass ich ihren Namen erwähnte, ist er mir zusammengebrochen. Er hat ständig gewimmert und 'Nimmermehr, nimmermehr' von sich gegeben wie im Wahn. Es war nicht leicht, das mitanzusehen."
Eine Pause entstand, in der beide Männer ihren Gedanken nachhingen. Caleb schaute dabei zu Azura herüber und anschließend zu Madiha. Schuldgefühle flackerten in seinem Blick, schließlich hatte er Corax aus der Taverne geworfen. Er musste danach zu Jakub geflüchtet sein, denn auch er hatte erfahren, wohin es den Ersten Maat gezogen hatte. Sein letzter Strohhalm, nachdem er befürchtet hatte, seine Freunde verloren zu haben.
Jakub rang derweil mit sich und den Erinnerungen der letzten Stunden. Es half nichts. Seine Kameraden mussten erfahren, was passiert war. Er befeuchtete sich die Lippen und nach quälend langen Minuten der Stille durchbrach er selbige, als er endlich wieder sprach. "Ich hab ihn irgendwann beruhigen können, ihm gesagt, wohin ihr unterwegs seid und dass er es in einer der Tavernen versuchen sollte. So erfuhr ich, dass er genau von dort käme. Er könnte nicht zurück, hat er gesagt. Und wieder 'nimmermehr, nimmermehr', dann hat er seinen Kopf gegen die Wand geschlagen."
Caleb ließ Jakubs Hand los und sprang von seinem Stuhl auf. Der Maat aber wies ihn mit einer Geste an, ruhig zu bleiben. "Er hat sich nicht verletzt oder glaubst du, ich hätte zugelassen, dass er sich den Schädel einschlägt? Hm. Er hat von Fehlern gesprochen. Davon, dass er getötet hatte und nicht mehr zurück könnte. Ich fürchtete schon, es hat euch erwischt, aber er sprach ständig von irgendwelchen Dunkelelfen. Es war sehr zusammenhanglos und schwierig, einen Kontext zu finden. Ich hab ihm von meinem Whiskey angeboten, um sich zu beruhigen. Wir haben eine Weile dagesessen und getrunken."
Caleb ließ sich auf seinen Stuhl zurücksinken. Er schwieg, den Blick auf Jakub geheftet. Es war keine Zeit, unnötig Spannung in die Geschichte zu bringen. Jakub genoss es auch nicht, Pausen einzulegen. Vielmehr haderte er irgendwie mit sich. Schließlich seufzte er aus: "Er hat mich gebeten, bei mir bleiben zu dürfen. Nein, er hat gebettelt und sich an mich geklammert. Er ... war zu allem bereit." Und wieder trat eine Pause ein. Jakub angelte nach der Kanne mit Wasser. Caleb schenkte ihm ein.
Madiha nutzte den Moment, um einen Blick auf die Schriftrollen zu werfen. Als hätte sie sich ihr von allein in die Hände gelegt, huschten ihre Augen über einen Absatz und blieben daran haften. Sie ... konnte es lesen. Sie verstand jedes Wort, auch wenn sie nicht wirklich las. Sobald sie all die verwirrenden Zeichen ansah, formte sich eine Stimme in ihrem Kopf. Corax' Stimme. Er las für sie, solange sie das Papier nur anschaute. Für den Moment blendete sie die Umgebung aus und "las", was unmöglich im Vorfeld hatte verfasst werden können.

Allein.
Allein.
Allein.
Allein.
Allein.

Ich schaffe das so nicht. Nimmermehr überlebe ich das so. Es zerreißt mich. Es tut so weh. Warum lässt er mich nicht bei ihm bleiben? War ich nicht gut genug? Ich hab doch alles getan gehabt, seinen widerlichsten Gelüste befriedigt ... auf dem Schiff. Das Schiff. Meine neue kleine Herrin. Die gute Herrin. Ich hab ihn verraten und das nimmt er mir jetzt übel. Er will mich nicht. Ich ... hab Fehler gemacht. Ich werde allein bleiben.
Allein. Allein. Allein. Allein. Allein. Allein. Allein. Allein. Allein. Allein.
"Bitte", flehe ich ihn an. Er muss mir einfach zuhören. Ich ... ich hab doch sonst niemanden mehr. Selbst sie sind fort. Ich war niemals zuvor so ... so ... ich vermisse die gute Herrin. Ich vermisse die Jungfrau. Ich vermisse meine Azura.
Caleb. Madi. Azura.
Azura. Azura. Azura. Azura. Azura. Azura. Azura. Azura. Azura. Azura. Azura...
Ich schaff das nicht. Nimmermehr steh ich das durch. Ich trete an ihn heran. "Bitte", winsele ich. Ich halt mich an ihm fest und er lässt es zu. Wir schauen uns an und ich reckte mich ihm entgegen. Seine Lippen schmecken nach der See. Sie sind so rau und hart wie seine Augen. Nein, sind sie nicht. Er schaut mich anders an. Er zögert, aber jetzt küsst er mich zurück. Er nimmt mich in den Arm und hält mich fest. Es ist warm, aber ... ich empfinde nichts. Es tut immer noch weh. Aber wenigstens bin ich nicht allein.
"Lass mich hierbleiben, bei dir." Er seufzt in den Kuss hinein. Seine Hand ist auch rau, als er meine Wange streichelt. Die unverletzte Seite. Er ist anders als auf dem Schiff und seine Augen voll Sehnsucht.
... ich bin nicht allein ...
... warum tut es immer noch weh? ...
"Du kannst alles haben, lass mich nur hier sein. Du kannst mich haben, ich..."
"Corax."
Mein Name klingt so ablehnend. So voller Schmerz. Er ... hasst mich immer noch dafür, dass ich mir eine andere Herrin gesucht habe. Er wird mich nicht hierbehalten.
Allein. Allein. Allein. Allein. Allein. Allein. Allein. Allein. Allein. Allein.
Mir bleibt keine Wahl. Ich strecke meine Hand vor. Ich umfasse, was ihm gefällt. Ohja, ich gefalle ihm immer noch. Ich streichle mit Druck, damit er weiß, dass er mich haben kann. Er muss es wissen. Ich hab keine Wahl.
"Nein", sagt er und stößt mich weg. Warum nur? Ist es nicht das, was er will? "Verwandle dich zurück, sofort."
"Aber du kannst mich haben. In jeder Form. Jederzeit. Für immer. Ich werde auch nicht weinen."
"Corax..."
Mein Name klingt schrecklich aus seinem Mund. Es bereitet mir eine Gänsehaut und es schmerzt. Es hört sich nicht so an wie bei der guten Herrin. Es hört sich nicht so an wie bei Azura. Er kann doch alles haben. Bitte.
Hab mich.
Nimm mich.
Behalte mich.
... lass mich nicht allein...



... bitte...


"Ich kann nicht, Corax..."
Schriftrolle Fuss
"Ich konnte nicht." Jakubs Stimme erst im Kopf und dann richtig zur hören, riss Madihas Blick von dem Pergament hoch. Er Erste Maat hatte sich inzwischen halb vom Tisch fortgedreht. Er saß vorgebeugt da, die Unterarme auf die Schenkel gestützt und die Hände locker ineinander gefaltet. Sein Gesicht lag in Schatten, zerfurcht von tiefen Sorgenfalten und mit einem düsteren Blick.
"Ich konnte seine Bitte nicht erfüllen. Das hat er einsehen müssen. Es wäre keine gute Idee gewesen", murmelte er. "Glaub mir, Caleb, ich kann mir bis heute nicht erklären, wie ich auf dem Schiff ... Dinge ... von ihm verlangen konnte. Es ist wahr, er entspricht meinem Geschmack, aber ... aber nicht so. Nicht in der Form, die an Bord... ich ..." Jakub atmete tief durch und verbarg das Gesicht in den Händen, um sich kurz darüber zu fahren. Er seufzte und hatte sich wieder gefasst. Trotzdem konnte er keinem der Anwesenden in die Augen blicken. "Was immer mich damals befallen hatte und in mir dieses ... Bedürfnis weckte, ihm körperlich wie seelisch Schmerz bereiten zu wollen ... ja, ich wollte ihn leiden und weinen sehen ..." Er wischte durch die Luft, um die Erinnerungen zu vertreiben. Sie plagten ihn. "Es wäre falsch gewesen, ihn hier zu behalten. Erst Recht, weil er zu allem bereit gewesen wäre. Ich hätte ihn nicht einmal im Bett schlafen lassen können, ohne die Sorge zu haben, dass ... es ... wieder geschieht." Endlich sah er auf, legte die flache Hand auf den Tisch und starrte vor sich zur Tür. "Ich hab ihm geraten, zur Taverne zurückzukehren. Ihr seid gute Menschen. Ihr würdet ihm schon verzeihen, sagte ich. Er aber schüttelte den Kopf, atmete hysterisch und mit einem gekrächzten Nimmermehr hat er sich in einen schwarzen, kleinen Schatten verwandelt, der durch das Fenster in die Nacht entkommen ist. So schnell konnte ich nicht schauen, wie es geschah. Ich rannte nach unten, rief nach ihm, wartete einen Moment. Und dann bin ich zur Taverne gegangen. Ich hatte so sehr gehofft, er sei dort."

Die Schrift auf dem Pergament, das Madiha noch in den Händen hielt, veränderte sich. Über den Text legte sich nun ein Wirbel aus schwarzen Buchstaben, die umeinander kreisten wie ein wilder Schwarm Raben. Sie flatterten und krächzten alle wild umher, je länger Madiha den Text anstarrte. Die Worte überschlugen sich in ihrem Kopf und sie alle hatten Corax' Stimme.

Allein!Azura...Nimmermehr.Madiha.Für immer allein.
... Das schaffst du nicht ... ohne sie bist du nichts ...
Nichts.
Nichts.
Nichts.
Nichts.

Kleine Herrin... ... gute Herrin ... Madiha...
Azura.... AZURA ...
Ich habe so viel Leid gebracht.
Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid.
Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid.
Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid.
Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid.

Ich bin Leid.
Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid.
Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid.
Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid.
Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid. Leid.

Ich werde kein Glück finden.
...nimmermehr... nimmermehr... nimmermehr... nimmermehr... nimmermehr...
...nimmermehr... nimmermehr... nimmermehr... nimmermehr... nimmermehr...


... dann geh doch zu ihr ...
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 9. Januar 2023, 21:29

Während Azura unter der Last ihres Daseins zusammensank und sowohl von Jakub als auch Caleb Hilfe zu erwarten hatte, beobachtete Madiha im Hintergrund die Szenerie. Sie hörte das Schluchzen und Flehen der Adeligen, doch dieses Mal fiel es ihr schwerer, sich für die Situation zu öffnen. Azura schlug so oft um sich, scherte sich nicht darum, wen sie dabei traf und erwartete dennoch stets eine helfende Hand und die Aufmerksamkeit für ihre Sorgen. Madiha haderte mit sich. Bisher hatte sie noch für jeden Verständnis zeigen können, selbst für Azura vor einiger Zeit. Doch die neuerliche Spitze, die selbst Caleb verletzt hatte, hatte sie ein Stück davon abgerückt, ihr übermäßig viel Empathie entgegenzubringen. Madiha schwieg und hielt sich zurück. Das Mädchen beobachtete stumm die Bemühungen der beiden Männer, die die Betrunkene nur irgendwie aufrichten und vorzeigbar machen wollten. Sie wandte den Blick ab, während Caleb Azura hielt und Jakub ihren Arm verband. Ihr Augenmerk fiel auf die Umhängetasche, die vorher nicht dagewesen war. Stirnrunzelnd betrachtete sie sie und machte einen Schritt darauf zu. “ Kommt mit! In meiner Kammer reden wir dann in Ruhe. Na los, Schiffsju... Madi." Sie warf einen Blick zurück, nickte wortlos und angelte nach dem Sack, den sie an sich nahm. Dann sah sie sich noch mal um und überprüfte, ob noch andere wichtige und verräterische Dinge herumlagen, ehe sie das Schlusslicht der kleinen Gemeinschaft bildete.
Draußen aber schlug ihr das Unwetter mitten ins Gesicht. Sie keuchte bei der eisigen Kälte, die sie als Sarmaerin empfand und schlang die Arme um das dünne Hemd, das immer noch das einzige war, was sie überhaupt so etwas wie Besitz nennen konnte, selbst wenn sie es von Fischauge übernommen hatte. Die Hose schlackerte um die dünnen Beine im Wind, während das gekürzte Haar binnen weniger Schritte triefend nass war. Das einzig gute an dem Wetter war tatsächlich, dass sie vollkommen unbehelligt durch die Straßen eilen konnten. Während das Wüstenmädchen jede eiskalte Pfütze an ihren nackten Füßen spürte, versuchte sie weitestgehend die Rollen in dem Sack vor der Nässe zu schützen. Sie hatte ihre Arme darum geschlungen und sich etwas geduckt, damit sie nicht durchnässt wären, bevor sie Jakub’s Zimmer erreichten. Da sie die Nachhut bildete und die Männer, samt Azura vorausgehen ließ, hatte Madiha hier und dort Zeit, die Umgebung trotz des Wetters zu betrachten. Das war es also, das Andunie dieser Tage… Es wirkte irgendwie düster und ausgestorben. Die Beklemmung war beinahe greifbar und sie fragte sich, ob das wirklich das Andunie war, welches Caleb so schätzte. Es musste mit den Besatzern zu tun haben, denn wenn sie daran dachte wie unbeschwert der Dieb die meiste Zeit war, dann passte das nicht in das Bild, das sie hier sehen durfte. Auch seine Geschichten über die Plantagen, die Bauern und die Kultur… Nein, das hier war mit Sicherheit nicht das Andunie, das er beschrieben hatte…

Madiha hatte ein wenig den Anschluss verloren, weil sie den Kopf immer mal wieder wandte. Dann jedoch fokussierte sie sich wieder und schloss rasch auf, während sie die Kälte an ihren Füßen kaum noch spürte, so taub waren sie. Das Mädchen fror bitterlich, doch sie eilte weiter und folgte schließlich in das Zimmer, das Jakub sich für seinen Aufenthalt gemietet hatte. Tropfnass betrat sie den kleinen Raum und hatte noch immer den Beutel umklammert. Sie schniefte kurz, ehe sie eine Hand ausschüttelte und sich durch die klatschnassen Haare fuhr, sodass sie sich nach hinten legten und das Gesicht auf eine andere Weise präsentierten. Madiha stand noch etwas unschlüssig am Eingang, während die Männer Azura ins Bett legten. Sie diskutierten über das Entkleiden und kurz flackerte Madiha’s Blick zu Caleb, der mit einem Mal rot wurde. Sie schlug die Augen nieder und wandte sich tonlos seufzend ab, bevor Jakub verschwand und noch mehr Sitzmöglichkeiten holte. Sie jedoch tapste zu der Fensternische und schaute hinaus. Sie konnte den Hafen sehen, der sich dunkel und verregnet vor dem Fenster ausbreitete. Einen Moment hing Madiha an dem Bild fest und hatte die Tasche auf der Nische abgelegt. Jakub gab ihr bei seiner Rückkehr den kleinen Hocker und sie nickte ihm dankend zu. Ihre Kleidung troff vor Regenwasser und sie besah sich das Dilemma. Eiskalt waren Hände und Füße, ihre Nase lief, während sie immer wieder schniefte.
Nur langsam gewann sie das Gefühl zurück in Armen und Beinen und setzte sich kauernd auf den Schemel. Madiha hatte den Blick noch nach draußen gerichtet, als eine Reflexion im Glas ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie merkte auf, ehe sie über ihre Schulter blickte und verstohlen Caleb musterte, wie er sich seines Hemdes entledigte. Ihre Augen rutschten, ohne dass sie sie aufhalten konnte, über seine Statur und plötzlich wurde ihr sehr viel wärmer! Sie wandte den Blick schüchtern wieder ab und starrte aus dem Fenster. Was auch nicht hilfreich war, denn sie konnte ihn dort spiegeln sehen – zumindest die Ahnung davon. Madiha bemühte sich, sich das nicht anmerken zu lassen, ehe Jakub aber an ihre Seite trat und ihr das Hemd hinhielt. Das Mädchen sah fragend auf und blinzelte kurz irritiert. Dann begriff sie und lief abermals rot an. Hier war nun wirklich kein Platz, um sich ungestört umzuziehen. Allerdings fror sie auch wie noch nie. Natürlich konnten die Nächte kühl werden in Sarma. Aber das hier war, als hätte man sie stundenlang in Eiswasser baden lassen. Und selbst das kannte sie nicht! Madiha ergriff das Hemd und nickte als Dank. Dann sah sie verstohlen zu den anderen, wandte ihnen den Rücken zu und zog sich so schnell sie konnte das nasse Hemd aus, ehe sie das trockene überstreifte. Sie beeilte sich dabei. Schon sich vor Corax umzuziehen war ihr mehr als unangenehm gewesen, gerade wegen ihrer Narben auf der Haut, die eine Erweiterung derer auf ihrem Gesicht waren.

Madiha fand reichlich Platz in dem Hemd von Jakub. Es fiel ihr bis über die Oberschenkel, sodass sie sich sogar die Hose abstreifte und beides halbwegs gleichmäßig hinlegte, damit es eventuell trocknen konnte. Nun saß sie an der Fensternische und musste mit ihrer Scham zurechtkommen, während sie die nackten Beine etwas auf den Schemel anzog und mit den Händen so gut es ging drüber rieb, um etwas Wärme zurückzugewinnen. Wärmer wurde ihr mit dem Hemd nicht, aber wenigstens war es trocken. Während sie dasaß und ihre Haare in ihren Kragen tropften, nahmen die Männer das Gespräch wieder auf. Sie selbst hatte nach dem Beutel geangelt und gerade die Pergamentrolle in der Hand, als Jakub’s Stimme erklang. Kurz sah sie nur auf, lauschte auch den Worten, aber ihre Augen ruhten auf der seltsamen Rolle, die sie dann entrollte. Die Worte ergaben für sie vorerst keinen Sinn, außerdem waren es zu viele, weshalb sie den Kopf wandte und zum Tisch blickte. In dem Moment fing sie Caleb’s Blick auf, der von Schuldgefühlen sprach. Sie verzog kurz den Mund zu einem halbherzigen Lächeln. Es würde schon gut werden, wollte sie ausdrücken, doch Jakub’s Erzählungen gingen weiter, sodass die Aufmerksamkeit zurück zu ihm kehrte. "Ich hab ihn irgendwann beruhigen können, ihm gesagt, wohin ihr unterwegs seid und dass er es in einer der Tavernen versuchen sollte. So erfuhr ich, dass er genau von dort käme. Er könnte nicht zurück, hat er gesagt. Und wieder 'nimmermehr, nimmermehr', dann hat er seinen Kopf gegen die Wand geschlagen." Madiha merkte auf, als Caleb schon in die Höhe schoss. Sie beobachtete ihn und ihr Gesicht verdunkelte sich. "Er hat sich nicht verletzt oder glaubst du, ich hätte zugelassen, dass er sich den Schädel einschlägt? Hm. Er hat von Fehlern gesprochen. Davon, dass er getötet hatte und nicht mehr zurückkönnte. Ich fürchtete schon, es hat euch erwischt, aber er sprach ständig von irgendwelchen Dunkelelfen. Es war sehr zusammenhanglos und schwierig, einen Kontext zu finden. Ich hab ihm von meinem Whiskey angeboten, um sich zu beruhigen. Wir haben eine Weile dagesessen und getrunken. Er hat mich gebeten, bei mir bleiben zu dürfen. Nein, er hat gebettelt und sich an mich geklammert. Er ... war zu allem bereit." Sie runzelte die Stirn und wandte den Blick wieder ab. Irgendwie war es wohl auch ihre Schuld. Denn wenn sie nicht Panik bekommen hätte, hätte er sich gar nicht genötigt gefühlt. Doch das brachte sie auch nicht weiter.
Madiha betrachtete die Schriftrolle in ihren Händen und seufzte leise.
Er glaubte also wirklich, er könne nicht mehr zurück… Sie schloss die Augen und atmete tief durch, doch als sie sie wieder öffnete, hatte sie das Gefühl, als hätte sich etwas verändert. Die vormals unverständlichen Buchstaben, waren plötzlich nicht mehr nur zusammenhanglos und viel zu viel für sie, als dass sie den Sinn hätte entziffern können. Ein seltsames Gefühl ergriff Madiha, sodass sie die Augen nicht davonlassen konnte. Und dann hörte sie ihn. Madiha zuckte zusammen, hielt den Blick aber auf die Rolle gerichtet. Die Worte waren schwer. Viel zu schwer für ihre Seele.

Madiha spürte, wie ihre Augen erst glänzten und die Worte verschwammen, ehe eine Träne auf das Papier tropfte. Corax… es sind seine Erinnerungen, seine Erlebnisse. Sie keuchte ergriffen und hörte den flehenden Worten des Raben zu. Dabei hielt sie die Rolle mit zitternden Fingern, konnte sich aber nicht davon lösen. Als würde die Rolle sie einsaugen und in den Abgrund ziehen, fühlte sie die pure Hilflosigkeit des Raben in seinen Worten. Dann kam sie zu dem Absatz, der sehr anschaulich beschrieb, zu wie viel Corax bereit gewesen wäre. Madiha japste und presste sich eine Hand an den Mund. Inzwischen waren ihre Augen tränenverhangen und sie schüttelte das nasse Haar, sodass einige Spritzer sich mit ihren Tränen mischten. “Ich kann nicht, Corax…“ Madiha riss sich endlich von dem Papier los und hob den Kopf. Sie starrte auf Jakub und blinzelte verwirrt. Sie konnte die Situation nicht wirklich einordnen, sodass ihr Blick abermals auf die Pergamentrolle fiel. Die Buchstaben verschwammen wieder, doch sie hörte Corax‘ Stimme, die ihr wieder die schrecklichen Worte vorlas. Sie schloss die Augen und wischte sich über das Gesicht, ehe sie zu Jakub zurückblickte. Madiha sah einen gezeichneten Mann, der sich für das schämte, was er angerichtet hatte. "Ich konnte seine Bitte nicht erfüllen. Das hat er einsehen müssen. Es wäre keine gute Idee gewesen. Glaub mir, Caleb, ich kann mir bis heute nicht erklären, wie ich auf dem Schiff ... Dinge ... von ihm verlangen konnte. Es ist wahr, er entspricht meinem Geschmack, aber ... aber nicht so. Nicht in der Form, die an Bord... ich ... Was immer mich damals befallen hatte und in mir dieses ... Bedürfnis weckte, ihm körperlich wie seelisch Schmerz bereiten zu wollen ... ja, ich wollte ihn leiden und weinen sehen ...“ Madiha ließ den Blick von Jakub sinken. Das was er beschrieb war so lange Alltag für sie gewesen, dass die pure Erwähnung Unbehagen auslöste. Sie alle waren so furchtbar kaputt im Innern…
Das Mädchen schaute zurück zum Fenster und blickte hinaus, während Jakub um Fassung rang. "Ich hab ihm geraten, zur Taverne zurückzukehren. Ihr seid gute Menschen. Ihr würdet ihm schon verzeihen, sagte ich. Er aber schüttelte den Kopf, atmete hysterisch und mit einem gekrächzten Nimmermehr hat er sich in einen schwarzen, kleinen Schatten verwandelt, der durch das Fenster in die Nacht entkommen ist. So schnell konnte ich nicht schauen, wie es geschah. Ich rannte nach unten, rief nach ihm, wartete einen Moment. Und dann bin ich zur Taverne gegangen. Ich hatte so sehr gehofft, er sei dort." Sie schaute hinaus, als könne sie Corax dort sehen. „Er kann sich nicht vorstellen, dass er jemals Vergebung erhalten würde…“, murmelte sie leise und schloss die Augen abermals, während sie tief durchatmete. Das, was sie erfahren hatte, was sie hören musste und dabei empfand zerrte an ihr. Die Verbundenheit, die sie bereits auf dem Schiff gespürt hatte, hatte sich nicht aufgrund seines Fehlers aufgelöst. Noch immer sah Madiha so viele Parallelen, so viele Gemeinsamkeiten und fühlte sich Corax sehr viel näher als sie bisher ahnte. Auch sie hatte zeitweise das Gefühl, dass sie um ihretwillen nicht reichen könnte. Und Corax? Der glaubte nicht daran, dass er es wert wäre, dass man ihm verzieh. Dass man um seinetwillen Fehler verzieh, weil man ihn schätzte oder zumindest verstand. Traurig öffnete sie wieder die Augen und erkannte die seltsame Veränderung auf dem Pergament.

Erneut wurde ihr Blick gebannt, während mit einem Mal in ihrem Kopf die Stimme von Corax auf unheimliche Weise in mehreren Klängen widerhallte. Madiha keuchte auf und hielt sich die Stirn. Die vielen Stimmen, die Worte, die Verzweiflung, der immense Druck dahinter waren schmerzhaft für das Mädchen. Sie blinzelte, während ihr Hirn pochte und ihr die Sicht vernebelte. Doch sie musste gar nichts sehen können, denn die Vielschichtigkeit, der immer selben Stimme in ihrem Kopf reichte vollkommen aus. Madiha hatte Mühe sich von der Rolle zu lösen, die sie so gefangen hielt. Sie verzog schmerzgeplagt das Gesicht, ehe sie endlich beide Hände von der Rolle lösen konnte, um sie sich auf die Ohren zu legen als könne sie sie damit aussperren. „Schluss damit!“, keuchte sie und das Pergament rollte sich wieder zusammen, sodass es von den nackten Knien zu Boden fiel. Das Mädchen öffnete die Augen, nachdem die Stimme verstummt war und erhob sich zitternd. Ängstlich presste sie sich gegen die Wand hinter ihrem Stuhl und starrte auf das Pergament. Sie hatte die anderen völlig vergessen und versuchte zu verstehen, was genau passiert war. Schon wie bei der Nadel-Schlange hatte sie Mühe, ihre Empfindungen, sein Erlebtes und ihr gemeinsames Schicksal zu trennen. Ihr Atem ging schneller, sodass sich ihre Brust hob und senkte. Noch immer hallte der Kopfschmerz nach, doch wurde ihre Sicht langsam wieder klarer.
Dann rutschte Madiha langsam an der Wand hinunter und vergrub ihr Gesicht an ihren Knien, während sie ihre Arme um die kalten, nackten Beine schlang und schluchzte noch mal auf, dass ihr Körper bebte. „Er glaubt, er kann nie mehr zurück.“, presste sie hervor, „Nimmermehr…“, wiederholte sie seine Worte als wären es ihre eigenen. Noch einen Moment versteckte sich Madiha vor der Welt, bis sie zumindest aus der Dunkelheit ihrer kleinen Körper-Höhle auftauchte und auf das Fenster starrte. „Er will zu ihr…“, wiederholte er die Worte und runzelte nachdenklich die Stirn. „Zu ihr…“, flüsterte sie und hob den Blick. Sie wusste nicht mal, ob jemand überhaupt Notiz von ihr genommen hatte, so sehr war sie in Corax’s Seelenleid gefangen gewesen. „Wie hieß die Frau, die Ignis erwähnt hatte noch…? Er hat so komisch reagiert…“, stellte sie eine Frage unbestimmt in den Raum und mehr zu sich. Sie begann wieder zu frieren, da sich inzwischen auch das neue Hemd mit Regenwasser aus ihren Haaren getränkt hatte. Also zog sie ihre Beine noch enger an sich und schlang die Arme fester darum, während sie leise abermals schniefte. Ihr Blick fiel auf die Pergamentrolle am Boden. Dann aber schloss sie die Augen und versuchte das, was sie erlebt hatte, nicht mehr so sehr an sich heranzulassen. Doch bei all dem Leid, war das keine leichte Aufgabe…
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Dienstag 10. Januar 2023, 13:51

Der genossene Alkohol barg wahrlich viele Überraschungen und ließ die junge Frau ihre Emotionen regelrecht im Schnelldurchgang verleben. Zuerst war sie herrisch, dann absolut euphorisch und ständig am Kichern, daraufhin wieder läufig wie eine Hündin. Was scheinbar kaum bemerkt wurde, zu ihrem eigenen Glück. Und nun war sie nach einem letzten, kurzen Aufbrausen nichts weiter als ein Häuflein Elend, das um sich selbst und ihr gebrochenes Herz trauerte und zu nichts anderem gerade fähig wäre.
Warum? Warum hatte sie selbst sich das angetan? Warum hatte er ihr das angetan und war nun fort?! Was sollte jetzt aus ihr werden, der wandelnden Leiche, die zerfiel und ohnehin keinen Wert mehr besaß? Wie sollte sie an die Schriftrolle heran kommen, wo sie Corax vermutlich niemals wieder sehen würde? War das überhaupt noch von Bedeutung? Warum gab sie nicht einfach auf, entschuldigte sich bei Ventha und bat erneut um Einlass in deren Reich, um all ihre Ängste, Sorgen und Nöte hinter sich lassen zu können?
Oder machte sich lieber auf die Suche nach ihren Eltern, wie sie es ohnehin gern getan hätte? Nein... so, wie sie im Moment aussah, wollte sie ihnen nicht unter die Augen treten, diese Schande wollte sie ihnen nicht auch noch antun. Es reichte ja schon aus, was in den heißen Quellen passiert war... und sich niemals mehr wiederholen würde, weil er nicht mehr hier war... und sie vermutlich auch gar nicht mehr haben wollte.
Weswegen sollte er auch? Er war frei und gut aussehend und stattlich und konnte jede beglücken, wenn er wollte. Was sollte er da mit ihr schon anfangen wollen, nachdem er der Erste und bislang Einzige gewesen war? Höchstwahrscheinlich würde sie ihn mit ihrem neuen Aussehen nichts weiter als anwidern. Oder schlimmer noch, ihn zum Lachen bringen und seinen Spott verletzender wie nie werden lassen...
Wahrscheinlich hätte sie wirklich den Weg durch das Regenbogenportal wählen sollen...
Wie ein schwerer Sack mit all dem Ballast, den sie gerade aus sich heraus zu schwemmen versuchte mit den Tränen, war sie, als jemand unter ihre Achseln griff und sie hochzuziehen versuchte. Sie half nicht mit... wehrte sich allerdings auch nicht dagegen. Es war ihr in diesem Moment sogar gleichgültig, was mit ihr passieren würde. Wozu sich auch noch um irgendetwas kümmern? Alles, was sie tat, endete in einer Katastrophe. Welchen Sinn sollte ihr Leben dann noch haben?
Blicklos starrte sie vor sich hin und weinte weiter, und als sie keine Tränen mehr hatte, schluchzte sie nur noch jämmerlich, bis sie irgendwann sogar die Hände vors Gesicht schlug. Prompt, als das Wort entsorgen fiel. Sollten diese Personen sie ruhig hier lassen und vergessen, was machte es schon? Oder mitnehmen und in irgendeinen Abfallhaufen werfen, da würde sie zumindest geruchlich optimal hinpassen. Und wer wusste es? Wenn sie nichts mehr essen und trinken würde, würde sie vielleicht weiter zerfallen und somit auch dieses Kapitel ihres Jammertals beenden, indem sie sich irgendwann aufgelöst hatte.
Ob es eigentlich Hunde gäbe, die wenigstens um ihre Knochen streiten würden? Dann wäre sie ja noch zu irgendetwas nutze...
Bevor sie jedoch weggeworfen werden würde, müsste sie eine Botschaft mitteilen, etwas, das ihr auf der Seele brannte, während sie innerlich längst aufgegeben hatte und keine Hoffnung mehr verspürte, jemals wieder ihren geliebten Schuft in die Arme nehmen zu können. "Van Tjenn...", kam es genuschelt und schwammig über ihre Lippen, zusätzlich gedämpft von ihren Händen, die sie nicht von ihrem Gesicht weg nahm.
Wozu auch? Sie wollte nicht das Gesicht jenes Mannes sehen, der sie hätte heiraten und ehrenvoll in die Riege der Erwachsenen aufnehmen sollen, und sie in Wahrheit nicht einmal mehr begehrenswert fand. Wie war das noch mit dem Missgeschick gewesen? Egal... Was sie zu sagen hatte, musste jetzt sein und war auch wichtig, erst danach konnte sie zurück in ihr Selbstmitleid tauchen.
"Finde... meine Eltern, hörst du? Finde sie und sag ihnen, dass... dass... ich ihnen nie wieder Kummer bereiten werde. Sie sollen mich vergessen, egal, wie. Glücklich sollen sie sein, glücklich und leben, solange sie noch Zeit haben...", murmelte sie weiter und stand kurz davor, ihre Hände doch runter zu nehmen, um ihn eindringlich anzusehen und ihm sein Wort abzuringen.
In diesem Moment allerdings wurde sie hinaus ins Freie gebracht und der eisig kalte Regen traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Abrupt riss sie ihre Finger weg und starrte verwirrt in die nasse Dunkelheit,während sie ob der Kälte nach Luft japste. "Was...?", entkam es ihr, weil sie den Faden des Gesprächs längst verloren hatte.
Doch dann seufzte sie und sackte in sich zusammen, schloss ihre Augen und dankte im Stillen ihrer Göttin für diesen Segen. Denn für sie war er einer, unabhängig davon, dass sie äußerst rasch zu zittern und frieren begann, während sie durch die Gassen getragen wurde. Es war ihr einerlei. Regen kam von Ventha und es fühlte sich schön an, ihn noch einmal spüren zu können.
Obendrein hatte er durch seine Kälte eine klärende Wirkung auf sie. Nicht, dass sie damit ihren Rausch hinter sich lassen könnte, wie als wenn sie sich ausgeschlafen hätte, doch sie spürte zumindest ein bisschen weniger davon. Ihr war nicht mehr ganz so schwammig und auch ihre Gefühle fuhren nicht länger Karussell mit ihr.
Wie lange sie durch die Gassen getragen wurde und wohin genau, wusste sie nicht zu sagen. Als sie allerdings am Ziel angekommen waren, war sie im Kopf klar genug, um sich umzusehen und einen Eindruck von ihrer neuen Umgebung gewinnen zu können, den sie auch verarbeiten konnte. Ihre Stirn runzelte sich leicht, ansonsten jedoch blieb sie stumm.
Ebenfalls, als sie die Stiege hinauf getragen und in ein winziges Zimmer gebracht wurde, um dort auf dem Bett abgelegt zu werden. Im ersten Moment wollte sie dagegen aufbegehren und zumindest frisches Bettzeug verlangen, anstatt fauliges Stroh. Aber dann schluckte sie diese Bemerkung hinunter, denn das, was derzeit am meisten stank, war sie selbst. Ebenso wie das wirklich faulige, verwesende... Also biss sie sich auf die Unterlippe und ließ den Kopf hängen, während der bullige Glatzkopf noch einmal verschwand.
Noch immer gab sie keinen weiteren Ton von sich, sondern überlegte, ob sie es sich so bequem wie möglich machen und schlafen sollte. Müde genug dazu wäre sie ja und wirklich etwas erreichen konnte sie sonst sowieso nicht. Doch in diesem Zustand wäre sie noch hilfloser und sie wollte nicht aufwachen, um festzustellen, dass sie allein gelassen worden wäre, komplett allein. Nein, wenn sie schon entsorgt werden sollte, dann sollten diese Personen ihr auch dabei ins Gesicht sehen!
Azura nickte sich selbst zu und rutschte auf dem Bett nach hinten zum Kopfteil, um eine Rückenstütze in Form der Holzbretter der Wand zu haben, während sie die Beine anzog und mit ihren Armen umschlang. In dieser Haltung gedachte sie erst einmal sitzen zu bleiben.
Dass sie indes ebenfalls vollkommen durchnässt war, zitterte und fror, kümmerte sie gerade am wenigsten, nachdem niemand ihr beim Umziehen helfen zu wollen schien. Die Bemerkungen dazu waren... gelinde gesagt, eine Frechheit! Damit nicht genug, wurde ihr nicht einmal ein Ersatzgewand angeboten, im Gegensatz zu der Göre... Somit blieb sie, wie sie war. Es hielt sie eben wach und ihren Kopf so klar, wie trotz des Alkohols möglich.
Was scherte es sie da, wenn sie in ein paar Stunden krank wäre deswegen? Ha, vielleicht sich noch eine Lungenentzündung oder ähnlich Todbringendes zuzog! Dann hätten die alle hier zumindest einen Grund, sie zu begraben...
Sie schloss die brennenden Augen und lehnte den Kopf zurück gegen den Holz, während der Glatzkopf zurück kehrte, die Männer sich zu dem Tisch setzten und auch die andere sich eher bei ihnen aufhielt. Zwar war nicht sonderlich viel Platz in diesem Zimmer, allerdings hätten sie nicht deutlicher machen können, dass sie nicht in ihrer Runde willkommen war, wie sie mit einem kurzen Blick feststellen konnte. Gut, sollten sie, sie konnte auf diese Art der Gesellschaft ebenfalls verzichten.
Ihre Lider blieben für einige Zeit geschlossen, obwohl sie nicht einschlief, dafür war ihr viel zu kalt. Und dann begann das Gespräch sich um Corax zu drehen, sodass sie tatsächlich aufhorchte. Wenngleich so unauffällig, wie möglich, denn sie wollte ihnen nicht die Genugtuung schenken, dass sie interessiert war an dem, was sie zu sagen hätten.
Es war nicht gerade leicht, absolut ruhig zu bleiben, wodurch sie irgendwann, als eine längere Pause entstand, ihre Augen langsam öffnete. In demselben Moment sah van Tjenn zu ihr hin, sodass sie abrupt den Kopf zur Wand drehte, als Zeichen dafür, sich nicht mit ihm unterhalten zu wollen.
Aber diese Haltung konnte sie auch nicht ewig aufrecht halten, denn als der Glatzkopf weiter erzählte, wurde sie immer unruhiger. Das musste sie unterdrücken und so kam sie auf eine Idee. Sie nahm ein wenig Stoff von ihrem Rock und wrang ihn ein wenig aus, sodass Tropfen auf ihre Knie fielen. Einen davon ließ sie daraufhin ihren ausgestreckten Zeigefinger rollen und von dort aus seinen Weg ihren Unterarm hinauf wandern mittels ihrer Magie, immer bedacht darauf, ihn nicht zu zerstören.
Als er fast bei dem Tuch um ihren Ellenbogen angekommen war, löste sie den Stoff und ließ den Tropfen schließlich in das Loch in ihrer Haut auf ihren Knochen fallen und dort zerplatzen. Obwohl sie wusste, dass Wasser nicht heilen konnte und sie gewiss nicht begabt genug wäre, um eine derartige Illusion zu erschaffen, empfand sie es als angenehm wohltuend. Mit einem lautlosen Seufzen schloss sie die Augen und spürte dieser Empfindung nach, bis deren Nachhall verblasst war und sie noch einen Tropfen diesen Weg nehmen ließ.
Das wollte sie wiederholen, aber da erwähnte der Mann seine Taten auf dem Schiff und machte offenkundig, dass Corax sich ihm erneut angeboten hatte. Prompt ballte sich ihre Hand zur Faust und zerquetschte den Tropfen regelrecht. Fest bohrten sich ihre ungepflegten, zu lang gewordenen Fingernägel in ihre Haut und der Schmerz hielt sie von allen anderen möglichen Dummheiten ab.
Indes fuhr er fort und erwähnte eine Verwandlung. Das nun ließ die junge Frau doch aufhorchen und unwillkürlich zu dem Fenster sehen. Ohne lang nachzudenken oder auf die Göre in unmittelbarer Nähe zu achten, kämpfte sie sich auf die Füße und schlurfte die wenigen Schritte zu der Öffnung. Zitternd griffen ihrer Finger nach dem Verschluss und einen Atemzug später schlug ihr der Fensterladen regelrecht entgegen, als sie ihn öffnete und eine Windbö dem Schwung nachhalf.
Regen peitschte ihr sofort ins Gesicht, dass sie kaum etwas sehen konnte in der Dunkelheit. Blinzelnd und zitternd blieb sie stehen, unterließ es jedoch, sich das Nass wegzuwischen. Es war ein Geschenk Venthas und wäre ohnedies sinnlos gewesen. Stattdessen wisperte sie ungehört den Namen ihres Raben.
Um daraufhin einen Entschluss zu fassen, wie ihre geballte Rechte ahnen ließ. "Ventha, ich bitte dich, hilf mir! Hilf mir, ihn zu finden... oder ihm ein Zeichen zu schicken, dass er nicht allein ist. Ich bin hier, ich suche ihn, ich will ihm helfen! Bitte, Ventha, lass mich nicht allein! Ich weiß, dass du mich hörst, und du weißt, dass ich versuche, so zu sein wie du... wie dein Element. Also werde ich auch nicht nachgeben und nicht schweigen, steter Tropfen höhlt den Stein. Hilf mir und erhöre mich, meine Göttin!", sprach sie leise und eindringlich.
Warum sie es indes nicht in ihrer Muttersprache tat, wussten vermutlich höchstens die Götter selbst, wenn es sie denn interessierte. Ob sie nur wollte, dass die Göre sie verstand, damit diese ihr nicht Tatenlosigkeit vorwerfen konnte? Oder war es der abklingenden Wirkung des Alkohols zu zuschreiben, dass sie ihren Geist klarer halten wollte, konzentrierter, indem sie nicht jene Sprache wählte, die ihr als erstes beigebracht worden war? Womöglich war es auch ein vollkommen anderer Beweggrund. Fest stand jedenfalls, dass sie fortwährend zu Ventha redete, in der festen Überzeugung, dass sie der Göttin nur lange genug auf die Nerven gehen musste, bis diese sich wieder zu ihr begab und ihr half.
So, wie auch in der Bibliothek... Da hatte es ja schon wunderbar geklappt, warum also nicht jetzt auch? Und einen anderen Lösungsansatz wusste sie jedenfalls nicht...
In der Theorie wäre sie auch stundenlang so stehen geblieben, wenn Ventha sie warten gelassen hätte. Doch sie war nicht allein in dem Raum und irgendwann war der Ausbruch der Göre heftig genug, dass sie tatsächlich verstummte und den Kopf drehte, um fragend zu dem Bündel zu starren, dass sie aus ihrer Konzentration geholt hatte.
Ihre Stirn runzelte sich und nun, wieder in der Gegenwart angekommen, musste sie feststellen, dass sie kaum noch stehen konnte vor Kälte, so sehr zitterte auch sie in dem anhaltenden Regen. Notgedrungen seufzte sie, warf einen letzten, sehnsüchtigen Blick in die Dunkelheit hinaus und schloss das Fenster. Besser gesagt, sie wollte es, denn ihre Finger bibberten derart stark, dass sie den Griff nicht zu fassen bekam, wodurch der Fensterladen zum Spielball des Windes wurde. Auch klapperten ihre Zähne hinter den blauen Lippen und wenn sie nicht rasch irgendwie Wärme bekam, wäre sie tatsächlich in einigen Stunden erneut und endgültig tot.
Da stellte die Göre eine Frage und wie der Blitz... oder womöglich Venthas Segen, schoss ihr die Antwort in den Sinn. "Serpentis Mortis..." Dann klappte aber auch sie zusammen und fiel, mal wieder, in Richtung Boden.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 11. Januar 2023, 12:26

Was ging im Kopf eines Mannes vor, der als Kind von einer Hand voll düsterer Kreaturen aus der eigenen Wiege geraubt worden war? Ein Mann, der als Junge Schläge und Missbrauch erlitten hatte anstatt die geborgene Umarmung einer Mutter. Jemand, der das nie hatte kennenlernen dürfen und sich von seinen Peinigern befreite, indem er sie auf sadistischste Weise umbrachte ... nur um anschließend zu bereuen, weil ein Leben als Sklave ohne einen Herrin noch weniger wert war als nichts? Ein Junge, der so viele Wege gegangen und so viele Rollen eingenommen hatte, dass er kaum noch wusste, wer er selbst war. Alles, um zu gefallen. Alles, um nur ansatzweise die Illusion dessen zu erhalten, was andere Überfürsorglichkeit schimpften und offen ablehnten. Ein Bursche, der sich in weiteren Missbrauch flüchtete und sich zum Mordwerkzeug machen ließ, nur um ein einziges wohlwollendes Nicken von jenen zu erhalten, die über ihn verfügen konnten wie über ein Spielzeug ... und die ihn wegwarfen, wenn er zu Teilen schon nicht mehr funktionierte wie er sollte. Ein Mann, der bereit war, seinen Körper und seine Seele zu verkaufen, damit er weiterhin Sklave sein durfte, weil er alles andere längst nicht mehr verstand und so überzeugt war, dass es nicht für ihn bestimmt war. Jemand, der sich selbst entmannt hatte, nur um seine Herrin nicht zu verlieren. Der das Leben seines eigenen Ungeborenen verspielt hatte, um selbst am Leben zu bleiben. Jemand, der bereit war, mehr zu geben als er besaß, denn er hatte niemals etwas gehabt. Und nun besaß er noch weniger. Denn jene, die für sein Schicksal verantwortlich waren, gab es nicht mehr. Was blieb von einer solchen Seele übrig? Mit welchen Gedanken kämpfte sie Tag für Tag und was ging in ihrem Kopf vor, während sie weiterhin versuchte, das Leben zu meistern?
Madiha bekam unfreiwillig einen Einblick und konnte sich nicht mehr davon losreißen. Corax' Stimme wirbelte durch ihren Schädel und auch wenn sie nun gewollt hätte, fiel es ihr mehr als schwer, den Blick vom Pergament in ihren Händen zu lösen, auf dem die vielen Worte, der Selbsthass sich bereits zu einer schwarzen Fläche aus Leid, Hilflosigkeit, Angst und Selbstaufgabe formte. In ihrem Kopf schrie es, weinte es, wimmerte die Stimme des Raben in so vielen Facetten, dass sie dankbar sein musste, als es endlich zu einem wilden Rauschen verklang, das man fast schon ausblenden konnte. Nur so war es ihr möglich, sich endlich aus dem Grauen zu lösen und das Papier fallen zu lassen. Es half nicht. In ihrem Kopf krächzte und weinte es noch immer. Sie hielt sich schon die Ohren zu, sperrte dadurch aber nur die Außenwelt aus, die zu ihr durchzudringen versuchte. So bemerkte sie weder Azura, die durch Jakubs Erzählungen sowohl teilweise aus ihrer Trunkenheit als auch aus dem Bett gedrängt wurde. Sie wandelte mit noch immer tropfender Kleidung zum Fenster herüber.
Jakub und Caleb unterbrachen ihr Gespräch, um sie zu beobachten. "Brauchst du etwas?", fragte Caleb, während Jakub sichtlich noch damit rang, für sich zu akzeptieren, dass Azura wie eine Tote aussah, aber irgendwie doch noch am Leben war. Der Dieb erhob sich langsam, verharrte jedoch, weil die Angesprochene nicht auf ihn reagierte. Stattdessen erreichte Azura die Nische mit Madiha, welche sich immer mehr in sich zusammenkauerte und nach wie vor die Ohren zuhielt. Nicht einmal der Regen, der alsbald durch das geöffnete Fenster hinein prasselte und sie nur noch mehr durchnässte, konnte sie zurückholen. Wie musste es Corax gehen, der vermutlich ständig seine eigene Stimme in einer Melodie aus Selbstzerstörung zu hören bekam, während er nebenher irgendeiner Herrin oder einem Herrn zu dienen hatte? Der sich ablenkte, indem er Dunkelelfen tötete, weil er glaubte, nur dadurch Madiha helfen zu können...
"Er glaubt, er kann nie mehr zurück. Nimmermehr..."
Und mit dieser bitteren Erkenntnis im Raum betete Azura zu ihrer Göttin. Ventha konnte unmöglich zusehen, wie ihr Liebster im Leben verging. Selbst wenn der Rabe nicht an sie glaubte, Azura tat es und das mit ganzem Herzen. Ihre Göttin würde doch wollen, dass es ihr gut ging, oder nicht? Sie würde nicht jene leiden lassen, die ihr so viel bedeuteten! Hatte das Schicksal ihr Corax deshalb entrissen? War es Zeit, die Bande zu kappen und ihn seinen Weg des Leids allein fortführen zu lassen?
Ganz allein. Madiha hörte das Wort immer wieder aus dem Rauschen hervorspringen wie ein munterer Fisch. Ein Fisch mit Zähnen, der nach Corax' Seele schnappte und ein Stück mehr davon losriss.
Die Nische, in der beide Frauen standen und vom Regen erneut ordentlich aufgeweicht wurden, wandelte sich in einen Erker aus Düsternis. So viel Trauer und negative Gefühle ballten sich hier zusammen. So viel Hoffnungslosigkeit, Angst und Sehnsucht. Sie umklammerten sowohl Madiha als auch Azura mit eisigen Fingern. Niemand kam zurück. Nimmermehr. Keine Göttin erhörte sie, welche Ziele sie auch selbst verfolgen mochte. Sie waren allein und doch von so viel mehr Liebe umgeben als jener, der seinen Weg nun wirklich allein suchte. So allein...
"Na kommt, das genügt jetzt. Ihr werde sonst wirklich krank." Caleb. Er rettete sie beide, indem er das Fenster zuzog und von innen verriegelte. Er sperrte den Regen aus und holte auch Madiha aus dem Rauschen in ihrem Kopf zurück an seine Seite. Vorsichtig umfasste er sie und hob sie hoch, so dass sie sich mit den Beinen wie ein Kind an seiner Hüfte festklammern konnte, während er sie mit einem Arm dicht am Körper hielt. Den anderen legte er Azura um und zog sie - zunächst zögernd ob ihres Zustands und des Geruchs, dann aber doch energischer - an sich heran. Er sagte kein Wort, sondern wandte sich nur mit beiden Frauen um, um den Fenstererker zu verlassen.
"Er will zu ihr...", murmelte Madiha und als hätte sie direkt mit Azura gesprochen, antwortete diese: "Serpentis Mortis..."
Caleb brummte auf, schaute von Madiha zu Azura und zurück. "Glaubt ihr, er sucht sie auf? Ignis erwähnte, sie wäre ihre Schülerin an der Wasserakademie. Hrm ... ob er dorthin ist?"
"Findet das morgen heraus. Heute Nacht ist es zu spät und bei dem Wetter holt ihr euch draußen nur den Tod", mischte Jakub sich ein. Auch er verließ nun den Tisch, um Caleb helfend unter die Arme zu greifen. Das tat er nun nicht direkt, aber er versuchte, das Bett ordentlich herzurichten. Zu spät. Das Stroh war längst durchnässt von Azuras Kleidung. Bald würde es faulen. Er brummte missmutig und wandte den Kopf um. "Tja, die ist hin. Das wird eine Nacht auf dem Boden."
Caleb schüttelte den Kopf. "Sie schlottern beide vor Kälte. Sie müssen aus den nassen Sachen heraus, in trockene Kleidung und unter warme Decken." Doch noch während er sprach, musste er einsehen, dass sie nichts davon in Jakubs Mietkammer finden würden. Plötzlich stutzte Caleb. "Halte sie für mich", forderte er Jakub auf und überreichte ihm bereits Madiha. "Halt sie warm." Azura folgte und der Erste Maat blinzelte perplex. Wie sollte er eine Tote warmhalten?
Caleb ließ ihm keine Wahl. Er stürmte zur Tür, zog dort seine Stiefel aus, verließ die Kammer auf leisen Sohlen und .. war fort. So fort wie Corax. Jakub Tauwetter starrte die Tür einen Moment lang an. Dann räusperte er sich. "Einmal Ersatzkleidung für euch beide habe ich noch und mit der dünnen Decke vom Bett könnt ihr euch abtrocknen." Er setzte Madiha und Azura am Tisch ab, holte die Decke und wandte sich nach einer Weile mit der Höflichkeit eines Mannes um, der nur andere Männer anziehend fand, aber erkennen musste, dass man trotzdem nicht zuschaute, wenn Frauen sich entkleideten. Geduldig wartete er.
Es war Azuras und Madihas Glück, dass Caleb sich Zeit ließ und nicht hereinplatzte, während sie aus den nassen Sachen schlüpften - und das mussten sie. Jakub ließ nichts Anderes zu. "Ich weiß zwar nicht, ob du krank werden kannst, Mädel, aber besser ist's, wir finden es nicht heraus." Azura schlotterte zwar und fror sicher nicht minder als Madiha, doch ihr halbtoter, untoter, was-aus-immer-Zustand ließ sie spüren, dass sich keine Erkältung ankündigte. Dafür lief die Nase des Wüstenmädchens bereits unentwegt.

Nach geraumer Zeit tauchte Caleb wieder auf. Leise schob er sich durch die Tür, ein Grinsen auf den Lippen. Er nickte Jakub zu. "Wir verbringen die Nacht in einem der anderen Zimmer. Verrate uns nicht beim Gastwirt, dann stehlen wir uns im rechten Moment davon." Natürlich erwiderte Jakub es mit einem Nicken. Caleb reichte ihm einige Fuchsmünzen. "Dafür, dass du heute auf nassen Laken schlafen musst."
Der Erste Maat lehnte ab. "Du hast mich schon bezahlt, Käpt'n van Tjenn." Caleb verzog das Gesicht. "Behalte es", setzte Jakub nach. "Seht nur zu, dass der Elf wieder zu euch zurückkehrt. Wäre schade um ihn und das meine ich ernst." Caleb ergriff dankbar die Hand des anderen Mannes, schüttelte diese. Dann schnappte er sich Madiha und Azura auf's Neue, sofern sie sich an ihm anlehnen wollten. Er lockte mit körperlicher Stärke und vor allem Wärme.
"Wir müssen nun leise sein", raunte er vor allem Azura zu, denn er wusste nicht, wieviel Einfluss der Alkohol noch auf sie haben mochte. So gut es anschließend ging, wechselte das Trio das Zimmer. Wie es Caleb geschafft hatte, die Tür zu öffnen, löste er nicht auf. Aber er hatte eine gute Kammer für sie ausgesucht. Sie war sauber, besaß sowohl eine Deckenlaterne als auch eine an einem Schreibtisch. Dort legte Caleb den Beutel mit Pergamenten ab, den er kurzerhand auch noch mitgenommen hatte. Es gab einen weiteren Tisch, sogar mit zwei Stühlen, an dem man essen konnte. Eine Mahlzeit fehlte. Dafür wartete ein gemachtes, trockenes Bett auf müde Glieder. Das Zimmer musste Gästen mit gehobeneren Ansprüchen gelten, denn die Matratze war zumindest mit Gänsefedern gefüllt, ebenso die beiden kleinen Kissen. Decken hatte es hier auch mehr als reichlich, wenngleich sie nur minder dick als Jakubs waren. Aber mit drei oder vier Lagen davon würde es schon warm werden. Außerdem - und das konnte man wahren Luxus nennen - wartete ein schwarzer kleiner Eisenofen in einer Ecke darauf, beheizt zu werden. In einem Korb lag Feuerholz bereit. Caleb setzte beide Frauen auf dem Bett ab und kümmerte sich anschließend darum, nachdem er die Tür verriegelt hatte. Falls der Hauswirt sie bemerkte, würde er klopfen müssen und dann konnten sie sich immer noch eine Ausrede einfallen lassen. Für heute Nacht konnten sie froh sein, doch einen trockenen Platz gefunden zu haben. Der Regen drang nicht zu ihnen herein, prallte an den Scheiben des kleinen Fensters über dem Schreibtisch ab.
Langsam erhellte sich der Raum und Wärme strömte vom Ofen aus bis zum Bett herüber. Caleb erhob und streckte sich. Seine Muskeln knackten. Er rieb sich den Nacken, dieses Mal jedoch nicht aus Nervosität. Jene stellte er hinter seine Müdigkeit und den schmerzenden Körper an, so dass er nicht einmal rot wurde, als er sich an die Mädchen wandte. "Wie sieht es aus? Schlafen wir zu dritt in dem Bett oder teilt ihr es euch zu zweit? Dann nehme ich die Stühle." Er lächelte schief, so wie Madiha ihn kannte. Es war ein ernstes Angebot, aber er würde nicht zulassen, dass eine der beiden das Bett allein beanspruchte. Sie mussten es warm haben - ob mit oder ohne seinen Körper. "Und morgen sehen wir dann, ob wir bei Azuras Eltern einen Unterschlupf finden können." Er war nicht eine Sekunde auf ihre Bitte eingegangen und hatte sich auch kein Versprechen abringen lassen. Aber er schaute die Adlige mit ernsten Augen an. Sie würde ihre Eltern selbst aufsuchen, doch Caleb und Madiha stünden ihr zur Seite. So wie sie alle Corax zur Seite stehen wollten. "Danach bringen wir in Erfahrung, wo sich diese Serpentis befindet. Damit der dumme, kleine Elf bald wieder bei uns ist."
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 11. Januar 2023, 21:30

Wie lange sie mit geschlossenen Augen dagesessen und dem Widerhall der Stimme in ihrem Kopf gelauscht hatte, wusste Madiha nicht. Sie hatte das Zeitgefühl für den Moment verloren und öffnete erst ihre Augen wieder, als sie eine Bewegung spürte. Unendlich schwerfällig richtete sie die Augen auf die Szene vor sich und musste erkennen, dass Azura am geöffneten Fenster stand. Und sie sah Caleb, wie er das Fenster schloss. Madiha blinzelte fragend, dann fiel ihr auf, dass die Stimme von Corax verblasst war. Nicht aber der Schwermut, den sie in ihr ausgelöst hatte. Worüber er jedoch nicht hinwegtäuschen konnte, war die Tatsache, dass sie abermals durchnässt war. Verwirrt blickte Madiha an sich hinab und erkannte auf ihrem Arm die nassen Tropfen, die durch das geöffnete Fenster auf ihr gelandet waren. Sie hatte das alles nicht mitbekommen und konnte sich anfänglich kaum einen Reim darauf machen. Das Mädchen hob den Kopf an, als Caleb vor ihr stand und sie zum Aufstehen bewegen wollte. Madiha ergriff seine Hand und folgte seiner Geste, ehe er sie tatsächlich auf die Arme hob. Madiha spürte seine Wärme, doch das Zittern setzte jetzt erst richtig ein. Eiskalt waren ihre Finger, ebenso wie ihre nackten Beine, die sich um seine Hüfte schlangen. Madiha schloss die Augen wortlos wieder und legte ihren Kopf an seiner Halsbeuge ab. Sie holte tief Luft und seine Nähe erdete sie und holte sie Stück um Stück wieder zurück in die Gegenwart. Die Worte, die er mit dem Seemann wechselte, erreichten Madiha nur rudimentär. Sie hatte die Augen geschlossen, spürte seine Haut an ihrer Wange und wurde immer wieder durch die Erinnerungen an Corax‘ Seelenleid gequält. Es war, als wäre es ihr eigenes, doch durch die Nähe zum Dieb und die brummigen Stimmen der beiden Männer, blieb Madiha davon verschont zu glauben, dass es ihre Emotionen waren. Sie stellte sich vor, wie Caleb vor ihr stand und ihr diesen intensiven Blick schenkte. Wie er schief grinsend seine Haare bändigte und wie er sie angesehen hatte, bevor er sie küsste… Er war ihr Anker in einem schwarzen Meer aus Leid. Er war das rettende Schiff, das sie einfing und sicher in den richtigen Hafen brachte. Mühelos ließ Madiha sich auf den Stuhl setzen, nachdem Caleb für sich einen Plan geschmiedet hatte. Madiha blickte ihm nach, doch noch immer fühlte sie sich matt und schien sich selbst etwas hinterherzulaufen. Der Kopfschmerz war noch vorhanden, wenn auch bei weitem nicht mehr so immens. Jakub war es nun, der ihre Aufmerksamkeit forderte und erneut hielt er ihr trockene Sachen hin. Madiha blickte zum Bett. Dann sah sie auf sich hinab und begriff langsam, was Jakub von ihr wollte. Unsicher sah sie kurz Azura an, doch dann schüttelte sie sich vor Kälte und rieb sich die nackten Beine.

Das Mädchen schaffte es, sich zu erheben und zum Bett hinüberzugehen. Dort griff sie nach der dünnen Decke und betrachtete sie einen Moment. „Dann ist die doch auch ganz nass…“, stellte sie leise fest und warf Jakub einen Blick zu, ehe sie erkannte, dass er sich bereits abgewandt hatte. Unsicher blickte Madiha abermals zu Azura, dann zur Tür, ehe sie sich auch das neue Hemd über den dünnen Körper streifte und die Decke schnell dafür nutzte, sich zu trocknen. Sie wuschelte sich ebenfalls durch das Haar, bevor sie das letzte Hemd Jakubs überzog und erneut darin versank. Es unterschied sich nicht zu dem anderen Hemd, außer, dass es trocken war. Mit leicht lädierter ‚Frisur‘ reichte Madiha die Decke, an Azura weiter. Sie blickte die Rothaarige nicht an, während sie sich eventuell ebenfalls umzog. Madiha hatte ihr den Rücken zugewandt und die Arme um sich selbst geschlungen. Immer wieder unterdrückte sie ein Niesen, ehe sie sich die kalte Nase rieb. Dann kam Caleb zurück. Nur kurz verfolgte Madiha das Gespräch der beiden Männer und blinzelte überrascht, als Caleb offenbarte, dass sie woanders bleiben würden. „Wie hast du…?“, setzte sie an, doch er nahm sowohl sie als auch Azura unter seine Fittiche und führte sie aus dem Zimmer. Bevor Madiha dieses aber verließ, wandte sie den Kopf unter Caleb’s Umarmung. „Danke, Jakub…“, murmelte sie. Sie löste sich von Caleb, damit er mit Azura weitergehen konnte und blieb am Türrahmen stehen.
Einen Moment ruhten die Augen der Sarmaerin auf dem Gesicht des Matrosen. Sie schien nach den passenden Worten zu suchen. „Vergib dir selbst, Jakub… Du warst nicht du selbst. Wir wissen das… und Corax wird es auch erfahren…“, versicherte sie ihm versöhnlich und schenkte ihm ein leichtes Lächeln. „Danke…“, setzte sie nach und musterte ihn eindringlich. Trotz allem… Jakub war es gewesen, der sie an Bord der ‚Blauen Möwe‘ gelassen hatte. Der sie gedeckt hatte und ihr die Möglichkeit gab, sich nützlich zu machen… Und Madiha vergaß ihm das nicht. Sie nickte zum Abschied in seine Richtung, ehe sie Caleb und Azura über den Gang folgte. Leise blieb sie, seine Warnung ernstnehmend, ehe sie ebenfalls in das neue Zimmer trat.

Madiha orientierte sich, betrachtete das Zimmer und staunte einen Moment. Es war regelrecht gemütlich, wie sie fand. Es hatte sogar einen Kamin, der Wärme versprach, sobald er entzündet wurde! Das Mädchen warf Caleb einen Blick zu und lächelte leicht. „Wie hast du das gemacht?“, fragte sie leise, auch wenn sie keine Antwort erwartete. Es war mehr ein Zeichen ihrer Anerkennung, dass er sich um sie beide kümmerte. Madiha fröstelte auf einmal, sodass sie die Arme um sich schlang und zum Bett folgte. Sie setzte sich auf die Bettkante, während der Dieb den Ofen entzündete. Sie beobachtete ihn kurz dabei, dann erhob sie sich und holte aus einer Truhe diverse Decken. Sie reichte Azura einige davon, bevor sie sich selbst eine um die Schultern legte. Kurz glitt ihr Blick zum Fenster. Ihre Gedanken kreisten noch im die schreckliche Stimme, die sich vervielfältigt hatte und immer wieder davon sprach, nie mehr zurückzukönnen. Sie wusste nicht, warum sie diese Worte hatte hören können oder hören müssen. Sie verstand nichts von diesen magischen Dingen und doch waren sie mit einem Mal Teil ihres Lebens. Es fühlte sich manchmal seltsam an, skurril und so, als wäre sie nur Beobachterin in einem völlig anderen Leben.
Das Mädchen sah auf, als Caleb sich zu ihnen wandte. "Wie sieht es aus? Schlafen wir zu dritt in dem Bett oder teilt ihr es euch zu zweit? Dann nehme ich die Stühle." Madiha hob die Augenbrauen. Auch wenn er nicht verlegen wurde, sie wurde es auf jeden Fall. Erneut nieste sie leise und zog die Decke wieder über ihre Schultern. Unsicher blickte sie zu Azura, da sie sich sehr gut an die Anspruchshaltung der anderen erinnerte. Das Mädchen ließ ihren Blick zurück zu Caleb wandern. Er hatte noch immer nichts am Oberkörper. Madiha wurde rot und strich sich durch das verwuschelte Haar, was es nicht besser machte. Sie schlug die Augen nieder und versuchte ihre Nervosität hinunterzuschlucken. „Ich hätte nichts… dagegen, mich etwas aufzuwärmen…“, nuschelte sie und spürte, wie zumindest ihre Wangen wärmer wurden. Doch dann fiel ihr Blick auf den Ofen. „Ich kann mich aber auch an den Ofen setzen. Das… wäre kein Problem!“, versicherte sie und meinte damit eher Azura.
Schließlich wusste keiner so genau, was die Rothaarige wollen würde. Und Madiha hatte überhaupt keine Lust auf Streit. Obwohl sie die Spitze in der Taverne noch immer in den Ohren hatte. Aber das war jetzt nicht wichtig, sondern einzig und allein, dass sie wieder warm wurde. Ihre Füße fühlten sich an als wären sie Eisklumpen, während ihre Nase unablässig lief und sie immer wieder niesen musste. Und dann war da noch dieses ermattende Gefühl von Hilflosigkeit, das sich in ihr eingenistet hatte, obwohl es doch von einem anderen gehörte. Madiha erhob sich von der Bettkante und ungeachtet dessen, was Azura wollte und wie sie sich aufteilten, trat sie noch mal an das Fenster heran. Der Blickwinkel hatte sich etwas geändert, doch auch hier sah man den Hafen. Durch den kleinen Schreibtisch konnte sie nicht ganz herantreten, doch sie reckte dennoch den Hals. Sie versuchte die Wasserakademie zu sehen von ihrer Position aus. Caleb hatte ihr das Gebäude gezeigt. „Was, wenn er sie fragt, ob sie seine neue Herrin sein wird?“, meinte sie plötzlich. „Wie sollen wir ihn dann zurückholen?“, stellte sich ihr die Frage und zeigte, dass ihre Gedanken gar keine Ruhe finden konnten. Madiha hatte ihren schmalen Körper in die Decke eingehüllt und wandte sich den anderen beiden zu. „Er hat so … verzweifelt geklungen…“, offenbarte sie ihnen und sah zu den Schriftrollen. „Ich konnte seine Stimme in meinem Kopf hören…“, erklärte sie und seufzte. Ihre Augen huschten unruhig umher. Es war nicht leicht, das Leid des Raben im eigenen Innern zu wissen und sich dann einfach zur Ruhe zu legen.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Donnerstag 12. Januar 2023, 14:05

Obwohl die junge Frau keinen weiteren Blick auf jene Schriftrolle geworfen hatte, die nun die Göre in den Händen hielt und mit deren Inhalt diese zurecht kommen musste, war ihr noch viel zu deutlich in Erinnerung, wie trostlos der Text sich gelesen hatte. Er hatte aufgegeben, voll und ganz, war es ihr da schon so vorgekommen. Wie musste er sich seitdem noch schlechter fühlen?
Dabei war sie hier, hatte sich zurück gekämpft für ihn, allein für ihn! Und er war nicht einmal hier, dass sie ihm das auch zeigen und beweisen konnte... Sofern er sie überhaupt noch wollte, so, wie sie jetzt aussah und roch... Allerdings wusste sie sich allmählich auch keinen Rat mehr, wo sie überhaupt noch nach ihm suchen sollte, denn sie bezweifelte, dass er zu ihrem Elternhaus geflohen wäre.
Also machte sie ein weiteres Mal das, was in ihrem Palast im Jenseits so gut funktioniert hatte, sie versuchte, ihrer Göttin dermaßen auf die Nerven zu gehen, dass sie ihr half. Nun ja, vermutlich nicht die geschickteste Methode, um Venthas Wohlwollen zu erhalten, aber zumindest eine effektive. Wie schon so oft, achtete sie dabei nicht auf ihre Umgebung und ignorierte die übrigen Anwesenden, während sie das Fenster öffnete und sich neben dem Regen auch der Kälte aussetzte.
Immer und immer wieder wiederholte sie ihre Bitte, so eindringlich wie nur möglich, in der Hoffnung, die Übernatürliche damit erreichen und zu einer Handlung bewegen zu können. Dass sie und auch noch jemand Zweites dabei erneut vollkommen durchnässt wurden, war ihr gleichgültig. Das Wasser war ihr Element, warum also sollte sie es auch nur in irgendeiner Form scheuen? Und wenn sie davon krank werden würde? Wen scherte es, wenn sie ihren Raben nicht bis dahin finden und retten konnte?
Wie viel Zeit wohl verging, bis sie tatsächlich soweit zum Einsehen gelangte, dass sie nicht gehört werden würde im Moment, und von sich aus damit begann, sich ins Zimmer zurück zu ziehen? Azura wusste es nicht zu sagen. Ihr war lediglich klar, dass sie mit ihren klammen, steifen Fingern den Riegel nicht mehr bedienen konnte.
Das musste ein anderer übernehmen und dieser tat es auch. Der Kapitän gesellte sich zu ihnen und griff kurzerhand an ihr vorbei, um den Laden endlich zu verriegeln. Tropfend und zitternd stand sie da, während ihr Kopf wie von selbst allmählich nach vorne sackte. Enttäuschung begann damit, sich in ihr auszubreiten.
Ventha hatte sie nicht gehört... nicht hören wollen... können... was auch immer. Dieses Mal war sie nicht erschienen und zur Retterin in der Not geworden! Stattdessen hatte sie dieses Feld einem Mann überlassen, der seine Teilschuld an dieser ganzen Misere trug. Sie schluchzte leise auf und schloss die Augen, wollte sich mit der Stirn gegen das kalte Butzenglas des Fensters lehnen und einfach nur für sich sein.
Doch ein warmer, viel zu warmer Arm legte sich um ihre Schultern und drehte sie, bis auch sie sich an jenen dazugehörigen trockenen, warmen Körper lehnte. Blinzelnd hob sie ihre Lider wieder an und sah skeptisch in das Gesicht neben ihr. Dieses sah zu der Göre und dann zu ihr, brummte und sprach zu ihnen beiden.
Sie hob ein wenig zögerlich die Schultern und war noch versucht, etwas dazu zu sagen, als der Glatzkopf sich einmischte. Der Rat war gut gemeint und dennoch... nicht sonderlich vereinbar mit ihrem eigenen Wunsch, Corax so schnell wie möglich wieder zu sehen. Natürlich wollte sie dagegen protestieren, darauf hinweisen, dass sie das niemals können würde, aber irgendwie... verließ sie die Kraft dazu, sodass sie mit einem beinahe schon ergebenen Seufzen erneut den Kopf hängen ließ.
Was machte es schon, ob sie jetzt oder in ein paar Stunden auf ihren Raben traf, sollte ihr das gelingen? Er würde sie so oder so abstoßend finden... Der Einzige, der sie derzeit berührte, war Van Tjenn und auch bei dem kam es ihr mehr wie ein Wunder vor, dass er vor Ekel keine Miene verzog. Nein, sie sollte sich besser davor hüten, Corax jemals wieder unter die Augen zu treten...
Regelrecht willenlos ließ sie sich von dem einen zum anderen Mann schieben. Ob das ihr Schicksal werden sollte? Weitergereicht, sobald sie dem einen nicht mehr gut genug wäre? Wenn sie, die beschädigte Ware, überhaupt noch jemand nehmen wollen würde...
Und prompt waren sie auch nur noch zu dritt im Zimmer. Ein weiterer Seufzer entkam ihr und sie blickte in Richtung Fenster, drauf und dran, es erneut zu öffnen und Ventha noch intensiver als zuvor auf den Keks zu gehen. So leicht würde sie nicht aufgeben wollen! Jedoch hielten die Worte des Mannes, der bei ihnen geblieben war, davon ab.
Fragend blinzelnd sah sie zu ihm hin, wie er der Göre die Decke reichte, mit der diese sich abtrocknete. Hinzu kamen zwei viel zu große, sackähnliche Oberteile, die sie als neues Gewand tragen sollten. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie beides und deutete ein Kopfschütteln an, als die andere ihr das gebrauchte Tuch weiter reichen wollte. Nein, abtrocknen wollte sie sich nicht, dazu war sie der Nässe viel zu sehr verbunden.
Umziehen hingegen... das musste sie bedauerlicherweise schon, denn ewig würde auch sie der beständigen Kälte nicht standhalten können. Tatsächlich besaß sie noch genügend Selbsterhaltungstrieb, um wenigstens das einzusehen und sich aus der klammen Kleidung heraus zu schälen. Dabei wagte sie es allerdings nicht, sich in nacktem Zustand zu mustern, weil sie nicht allein war... und weil sie Angst davor hatte, welche weiteren Schäden sie zu sehen bekommen könnte.
Schließlich hatte auch sie das lange Hemd an, das ihr bei weitem nicht so weit reichte wie der Göre und auch obenrum nicht derart stark schlotterte. Nun, ihre Oberweite, auf die sie stets stolz gewesen war, hatte sie bislang nicht eingebüßt. Ob sie sich darüber freuen sollte? Höchstens ein bisschen...
Am Ende nahm sie ihre nasse Mähne und flocht sie zu einem dicken, langen Zopf. Als sie fertig war, setzte sie sich auf den Stuhl und schlug mit dem Rest von Eleganz, den sie noch besaß, die Beine übereinander. Bedauerlicherweise rutschte ihr das Hemd dabei so hoch, dass es beinahe schon obszön kurz wirkte und nur mit Müh' und Not konnte sie das, was sie keinem zweiten Mann offenbaren wollte, mit einem Hauch Stoff verbergen. Wirklich entspannen konnte sie sich auf diese Weise naturgemäß nicht.
Dadurch stand sie auch recht schnell auf, als der Kapitän zurück kehrte. Bei seinem Grinsen runzelte sie misstrauisch die Stirn und dachte sich ihren Teil, während die Männer sich noch mal unterhielten und um eine Handvoll Füchse stritten. Bald darauf waren sie fertig und Van Tjenn wollte mit ihnen in das andere Zimmer gehen.
Natürlich zog er sein Liebchen zu sich in den Arm und auch Azura hätte seine Wärme sowie tröstliche Nähe durchaus gebrauchen können. Doch der Großteil ihres Rauschs war verflogen und ihr Kopf wieder klarer, sodass sie entschieden den Kopf schüttelte. Nein, er hatte sie oft genug berührt, davon hatte sie genug. Zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort, da hätte er sie haben können, aber das hatte er nicht gewollt. Nun wollte sie nicht länger.
Stattdessen ging sie den Beiden hinterher und verbot es sich, auf etwas anderes als den Boden vor ihren nackten Füßen zu sehen. Schließlich erreichten sie ihr Ziel und wenige Momente später hatte er auch schon von innen abgeschlossen. Die junge Frau sah sich flüchtig um, nachdem auch sie auf der Bettkante Platz genommen hatte, und konnte feststellen, dass es eindeutig ein besser gestellter Raum war als das winzige Loch von vorhin. Trotzdem natürlich bei weitem nicht das, was sie gewohnt gewesen war vor... vor all dem...
Eine Bewegung direkt vor ihrer Nase hielt sie davon ab, tiefer in ihre Gedanken und ihr eigenes Selbstmitleid zu versinken. Ein weiteres Mal innerhalb kürzester Zeit reichte die andere ihr Tuch. Dieses Mal waren es Decken, dünne, trockene Stoffe, mehrere an der Zahl. Azura griff danach und deutete ein knappes Nicken an, legte sie aber im Endeffekt nach einem kurzen Zögern beiseite.
Nur eine behielt sie sich, stand auf und begann damit, diese so um ihre Taille zu wickeln, dass sie mehr oder weniger einen Rock ergab. Nicht gerade sonderlich kleidsam, jedoch ausreichend, um sich darin bewegen zu können, ohne sofort alles zu offenbaren, was zwischen ihren Beinen Freude versprechen könnte.
Dabei wandte sie den Beiden den Rücken zu und hörte somit hinter sich die Stimme des Kapitäns. Ihr Kopf drehte sich wie von allein, bis sie ihn über die Schulter hinweg ansehen konnte, und ihre Stirn runzelte sich missbilligend. "Wie soll ich jetzt schlafen?", erwiderte sie mit einem Hauch Empörung, der für sie früher recht typisch gewesen war, wenn etwas nicht nach ihrem Willen gegangen war.
"Warum gehen wir nicht gleich?", setzte sie nach und drehte sich um, um die Hände in die Seite zu stemmen und zu verdeutlichen, dass sie sich nicht einfach so dazu überreden lassen würde, jetzt zu ruhen. Wobei es nicht einmal daran lag, dass sie sich ein Bett teilen sollte, noch dazu mit diesen beiden Menschen. Es war schlicht und ergreifend die Tatsache, dass sie viel zu lange nichts hatte tun können und jetzt nicht daran dachte, ein paar weitere Stunden mehr tatenlos zu bleiben.
Da kam ein genuschelter Einwand von der Göre, der durchaus seine Berechtigung hatte. Auch Azura war eiskalt inzwischen und obwohl sie noch nicht nieste, war auch ihr klar, dass sie Wärme nötig hatte. Mehr wahrscheinlich, als ihr im Moment bewusst war oder sie sich eingestehen wollte. "Gegen Aufwärmen spricht nichts. Aber bevor ich mich hier erwischen lasse, gehe ich lieber nach Hause.", erklärte sie und würde das durchziehen, ob mit oder ohne Begleitung.
Warum auch nicht? Sie kannte sich aus in Andunie, sie fand ihren Heimweg auch aus dieser Gegend und in vollkommener Dunkelheit. Der Regen selbst wäre für sie ebenfalls kein Hinderungsgrund. Sofern es keine stichhaltigen Argumente dagegen gäbe, würde nichts sie hier halten.
Dann kam ein anderer Gedanke ins Spiel, der Azura leicht zusammen zucken ließ. Sofort ballte sich in ihr gefühlt eine stahlharte Faust um ihren viel zu leeren Magen und sorgte dafür, dass sie mehrmals schlucken musste. "Das wird er tun... wenn sie ihn so lange am Leben lässt...", wisperte sie mit einer unguten Ahnung und sah unwillkürlich zu der anderen hin.
Die jedoch blickte zum Tisch, sodass sie dieser Richtung mit den eigenen Augen folgte. Bislang hatte sie ganz vergessen gehabt, dass sie aus der Bibliothek etwas mitgenommen hatte, und noch weniger hätte sie geglaubt, dass es die Reise ins Diesseits überstehen würde. Nun aber konnte sie sich persönlich davon überzeugen, dass die Handvoll Schriftrollen, die sie so eilig gepackt hatte, es geschafft hatten und bei ihr geblieben waren, mitsamt dem kleinen, passenden Beutel.
Schwer schluckte sie und dachte an die trostlosen Gedanken zurück, die sie auf dem Kahn gelesen hatte. Sie hatten sich ständig geändert, kaum, dass sie diese gelesen hatte, ganz so, als... als wären sie magisch beeinflusst und entstünden so, wie er sie gerade dachte. Sie fuhren fort, wandelten sich und bildeten die Gegenwart ab, mehr oder weniger. So, wie er es eben im Kopf hatte und...
Azura zuckte leicht zusammen und blinzelte zum wiederholten Male, als ihr eine Idee kam. Was, wenn sie...? Wäre das möglich? Würde das Sinn machen? Was würde passieren, wenn sie es versuchte?!
Wie elektrisiert sah sie sich rasch nach etwas um, um den Faden ihrer Gedanken nicht zu verlieren. Es kümmerte sie nicht, ob die Beiden etwas davon merkten oder auf sie reagierten. Zwar hätte sie auch den Kapitän danach fragen können, aber bis der entsprechend reagieren würde, wäre sie wahrscheinlich ebenfalls schon mit ihrer Suche fertig. Ihr Blick fiel auf eines der kleinen Kissen. Sie griff danach, betastete es und suchte es nach einer Schwachstelle ab. Sollte jemand sie nach ihrem Handeln fragen, würde sie nur ein geistesabwesendes "Gleich!" murmeln.
Endlich hatte sie ein winziges Loch gefunden, aus dem es ein wenig piekste. Die junge Frau begann damit, herum zu fummeln und mit etwas Geschick ergatterte sie eine der Federn. Diese sah reichlich zerdrückt und zerrupft aus, doch das war nicht von Belang. Wichtig war ihr die Spitze und die war einigermaßen brauchbar.
Sie nickte sich selbst zu, trat an den Tisch heran und entdeckte die halb geöffnete, von Schwärze beinahe schon triefende Schriftrolle. Diese zog sie zu sich heran und tippte vorsichtig mit der Fingerspitze darauf. Sollte die Tinte bereits trocken sein, würde sie seufzen und nach ihrem noch feuchten Haar greifen, den Zopf nach vorne ziehen und sich darauf konzentrieren, die Feuchtigkeit heraus zu holen. Viel brauchte sie nicht, nur ausreichend, damit sie mit dem Federkiel etwas Tinte aufnehmen könnte. Mehr wollte sie nicht!
Nun ja, abgesehen von einem kleinen Flecken Schriftrolle, der noch frei wäre, um darauf eine Botschaft schreiben zu können. Worte, von denen sie hoffte, dass diese in Corax' Kopf auftauchen würden, so wie seine Gedanken eben auf dem Pergament. Was genau sie ihm mitteilen wollte? Azura war sich nicht ganz sicher, aber je nach verfügbarem Platz würde sie ihre Botschaft wählen. Entweder musste sie sich auf den Treffpunkt bei ihrem Zuhause beschränken, womöglich sogar auf ein oder zwei Worte, oder könnte ihm noch mitteilen, dass sie wieder am Leben wäre. Vielleicht sogar mehr... Doch das Wichtigste wäre der Ort, an dem er auftauchen sollte!
Sofern... sofern ihre Idee nicht komplett verrückt und nutzlos wäre... Aber daran durfte sie jetzt nicht denken. Glaube daran, dann ist es wahr hatte er ihr mehrfach gesagt. Also, sie musste daran glauben, dass er auf diese Weise ihre Botschaft erhalten würde, ganz, ganz fest!
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Freitag 13. Januar 2023, 18:48

Caleb beeilte sich damit, den Ofen anzufachen. Zum Glück beinhaltete der Korb mit den Holzscheiten auch das nötige, kleinere Brennmaterial dafür. Ansonsten hätte es wohl bis in die Morgenstunden gedauert und er musste rasch Wärme in den Raum bekommen. Sowohl Madiha als auch Azura hatten sich eiskalt angefühlt. Ersterer lief bereits die Nase, während er bei Letzterer nicht ganz sicher war, ob ihre frostige Haut nicht Normaltemperatur besaß. War sie denn nun tot oder lebendig? Sie selbst behauptete, wieder am Leben zu sein, trotzdem sah Azura nach wie vor sehr fahl aus. Außerdem roch sie. Der süßliche Moschusduft war eine Weile das einzige, was sich in dem Mietzimmer hielt.
Madiha dauerte das bereits zu lange. Ihre Beine fühlten sich schon taub an vor Kälte und so suchte sie rasch einige Decken zusammen. Azura reichte sie einen gerechten Anteil, aber die Adlige griff sich zunächst nur eine davon, um sie um ihre Schultern zu schlingen. Sie wusste, dass auch ihr Körper fror. Er mochte an Teilen auseinanderfallen und nicht mehr so frisch aussehen, aber er lebte wieder, genauso wie der Rest von ihr. Das bedeutete, dass er auch Wärme und Kälte spürte. Letztere zog sich über ihre Haut, versteifte die Glieder und drang nachhaltig bis tief ins Innere hinein. Die Decke half ein bisschen, aber nicht viel. Die Hitze eines Ofenfeuers musste her ... oder andere Körperwärme.
Dieser Gedanke trieb auch den Wüstendieb an. Er sah es pragmatisch, ansonsten hätte er den Vorschlag sicher nicht gemacht, sich ein Bett zu dritt zu teilen. Er wurde nicht einmal rot, denn er dachte gerade kein bisschen an andere Freuden. Ihm ging es darum, die Frauen wieder zu temperieren, damit ihm keine den Erfrierungstod starb. Es hatte genug Tote gegeben!
Dass er mit seinem Vorschlag zunächst eher pessimistische Blicke erntete, kümmerte ihn nicht. Er seufzte lediglich, weil beide die Notwendigkeit von geteilter Körperwärme nicht so verstanden wie er. Noch immer stand er ohne Hemd vor ihnen. Man erkannte seine trainierte Statur, die nicht übermäßig muskulös war. Er hatte durch seine Jahre lange Fassadenkletterei, die kurzen Fluchtsprints vor den sarmischen Stadtwächtern und das stets geduckte Fortbewegen andere Muskeln aufgebaut als jemand, der sich damit rühmte, ganze Ochsenkarren zu stämmen. Dennoch zeichneten sich auch bei ihm gewisse Körperpartien im Ofenlicht ab, die einer weniger wehrhaften Seele Schutz und Geborgenheit versprachen. Die feinen Haare seiner Unterarme waren im Gegensatz zu jenen auf seiner Brust leicht aufgerichtet. Auch er fröstelte, aber von ihm kam kein Wort der Klage. Er sorgte sich zunächst um die Frauen. Erst dann würde er sich um sich selbst kümmern.
Wie gut, dass die Wunde an seiner Hüfte inzwischen ordentlich vernäht worden war. Der Verband wies keinen neuen Blutfleck auf. Corax-als-Dunia hatte gute Arbeit geleistet. Auch in dieser Hinsicht fehlte der Elf. Wer sollte jetzt die weitere Wundversorgung übernehmen? Caleb machte sich darum keine Gedanken. Für ihn hatte er selbst stets weniger Priorität als seine Freunde oder Gefährten.
"Ich hätte nichts ... dagegen, mich etwas aufzuwärmen." Caleb lächelte Madiha entgegen. Ha, jetzt wurde er doch rot! Seine Wangenknochen nahmen Farbe an und er griff sich in den Nacken, während er flüchtig zur Seite blickte, ob das Feuer denn schon heiß genug brannte. "Ich kann mich aber auch an den Ofen setzen. Das ... wäre kein Problem!"
Grünblaue Gewässer suchten erneut ihren Blick. "Für mich wäre es eines", brummte er missmutig. Madiha sollte bloß nicht auf dumme Ideen kommen und sich geringer wertschätzen als Azura oder ihn. Sie alle saßen in einem Boot. Und sie würden alle in ein Bett hineinpassen.
Azura hingegen hatte nicht einmal vor, die Nacht in dem nicht ganz legal erworbenen Gasthauszimmer zu verbringen. Dass ihre Göttin sie in dieser Stunde der Not nicht erhörte, wurmte sie, aber es weckte in ihr auch den Trotz, sich Tod und Harax zu stellen, um Corax endlich zu finden. Das wollten sie alle, aber Azura trieb die Ungeduld ... und die Sorge. Sie fürchtete Schreckliches, wenn sie jetzt noch länger wartete, untätig herum saß und an Schlaf war für sie ohnehin nicht zu denken.
"Gegen Aufwärmen spricht nichts. Aber bevor ich mich hier erwischen lasse, gehe ich lieber nach Hause." Caleb schüttelte auf Azuras alternative Lösung hin den Kopf. "Das kannst du nicht tun." Er hob die Schultern an, zusammen mit einem seiner Mundwinkel. Die Hand im Nacken fuhr über das Haar und zerwuschelte es mehr, als dass sie es nun bändigte. "Naja, im Grunde kannst du schon..." Er wurde ernst, kam sogar auf die Wiedergekehrte zu. "Ich bitte dich nur, es nicht zu tun. Vielleicht holst du dir da draußen in regennasser Nacht nicht den Tod ... ich ... hab keine Ahnung, wieviel Leben wieder in dir steckt und ob dir die Kälte überhaupt etwas ausmacht, aber..." Er schob beide Hände in die Hüften, seufzte durch die Nase und schaute zu Madiha herüber. Er bezog sie in seine folgenden Worte mit ein. "Wir wollen ihn auch zurück, aber es ist auch klar, dass wir beide da draußen jetzt erfrieren würden, wenn wir nochmal losziehen. Ich hab kein Hemd, Madi nicht einmal Schuhe. Tot helfen wir Corax nicht ... und wenn du jetzt gehst, finden wir dich nicht mehr wieder. Ich ... hab nicht die leiseste Ahnung, wo sich dein Elternhaus befindet." Er war ja niemals zu einem der Bälle erschienen, um als potenzieller Hochzeitskandidat aufzutreten. "Wenn du jetzt gehst, trennen sich unsere Wege, obwohl wir doch das gleiche Ziel haben." Er kam Azura näher, neigte sich zu ihr und raunte auf Garmisch: "Außerdem klang es vor einer Weile noch nicht so, als wolltest du zu ihnen zurück, als du mir ein Versprechen abringen wolltest." Er ließ diesen Satz im Raum stehen und nahm wieder etwas Abstand zu Azura. Dann breitete er die Hände schlichtend aus und wandte sich erneut an beide Frauen. Oh, jetzt aber glühten seine Wangen, trotzdem klang die Stimme fest und entschlossen. "Wie gesagt, ich habe kein Problem damit, wenn ihr lieber ohne einen Mann die Nacht verbringen wollt. Mir geht's nur darum, dass ihr es warm habt, hm? Und ihr braucht beide Ruhe", setzte er mit einer wissenden Eindringlichkeit nach, der fast schon der strenge Ton eines besorgten Vaters innewohnte. "Erschöpft, durchgefroren und ... allein, ohne Plan, ist keiner von uns von Nutzen. Seid vernünftig." Er appellierte zwar an beide, aber sein flüchtiger Blick zu Madiha verriet, dass er sie nicht einbezog. Sie war bereits vernünftig, weil sie das Angebot, sich gemeinsam schlafen zu legen, schon indirekt angenommen hatte. Nur die Sache mit einer Nacht vor dem Ofen würde auch Caleb nicht dulden.
"Außerdem vermutet ihr doch schon, wo Corax steckt. Wenn er wirklich zu dieser Serpia-Irgendwas gegangen ist, dann finden wir das morgen heraus."
"Was, wenn er sie fragt, ob sie seine neue Herrin sein wird? Wie sollen wir ihn dann zurückholen?", äußerte Madiha ihre Sorgen und endlich waren sie und Azura sich einmal einig, denn die Adflige stief sofort darauf ein. "Das wird er tun ... wenn sie ihn so lange am Leben lässt..."
"Heeee!", unterbrach Caleb die düsteren Spekulationen von beiden. Er wedelte mit den Händen und fasste sich erneut in den Nacken. "Macht mir nicht auch noch Angst. Das hilft uns jetzt wirklich nicht." Er versuchte, aufmunternd zu lächeln. "Meine Mutter hat immer gesagt, dass es keine gute Idee ist, lang wach zu bleiben. Da wälzt man nur dunkle Gedanken und trifft dumme Entscheidung. Vielleicht hat sie aber auch nur versucht, mich so zeitig ins Bett zu bekommen. Wie auch immer, ich bezweifle, dass wir in einer Nacht- und Nebelaktion und ohne ausgeklügelten Plan zu irgendetwas bringen werden. Vertraut ihm ein bisschen, hm? Diese eine Nacht wird er schaffen."
Fast schon schien es, dass Caleb die Gemüter nicht nur etwas beruhigt, sondern auch in die richtige Richtung gelenkt hätte. Da aber sprang Azura wie von einem Bettfloh gebissen auf und huschte zu den Kopfkissen, um so lange an ihnen herum zu friemeln, bis sie eine der Gänsefedern endlich in Händen hielt. Damit ausgerüstet widmete sie sich nun dem Beutel mit all den Schriftrollen, von denen sich nun vermuten ließ, dass sie eher Corax' Gedanken und Erinnerungen beinhalteten als ihre eigenen.
Caleb blickte ihr mit gerunzelter Stirn nach, hielt sie jedoch nicht auf. Er war froh, dass sie nun nicht den Raum verließ, wunderte sich aber doch sehr. "Was wird das de-?"
"Gleich!", wimmelte Azura ihn ab, entrollte eines der Pergamente und versuchte, mit der Federspitze die Tinte aufzunehmen. Sie bekam nicht jene zu fassen, die Madiha gelesen hatte und auch nicht die vom Boot, welche ihr Herz hatte so schwer werden lassen. Das war eine neue und das Papier fühlte sich ungeahnt warm an. Die Worte darauf tanzten in einem so gleichmäßigen Rhythmus umher, dass ihr hypnotisches Wiegen an den Wellengang der Meere erinnerte, auf die Azura so gern hinaus geschaut hatte.
Caleb nahm Madiha an der Hand und trat mit ihr hinter die Adlige. Er beugte sich halb über sie, ignorierte ihren Verwesungsgeruch, um auch einen Blick auf das Papier zu werfen. Mittlerweile gewöhnte er sich an diesen Gestank nach Tod, der Azura immer noch seicht umgab. Doch noch ehe er auch nur eine Zeile lesen konnte - gleiches galt für Azura und Madiha - hörten sie alle die Stimme des Dunkelelfen in ihrem Kopf. Er las ihnen vor. Er offenbarte den Inhalt einer weiteren Schriftrolle und es schwang so viel Zuneigung darin mit, dass sie das Ofenfeuer nun nicht mehr bräuchten, um sich zu wärmen.

Ist das Liebe?
Hab ich zuvor jemals Liebe erfahren, wenn ich geliebt habe? Wenn eine meiner Herrinnen mir ein Kompliment für meine Fähigkeiten gab? Wenn mein ehemaliger Herr, der orkische Koch, mich nicht schlug, weil ich dieses Mal so artig stillgehalten hatte? Ihre Worte waren immer so warm und ganz anders als der Rest meines Lebens gewesen. Ich hab mich darin eingepackt und glücklich gefühlt. Glücklich, dankbar, dass sie mich behielten. Dass sie mich liebten. Und ich liebte sie.
Alles Irrglaube ... glaube ich. Was ist das hier? Es ist so anders.
Wir ärgern uns auch. Ich provoziere sie, aber ich hab auch schon schwache Momente an ihr erlebt. Dann ließ sie sich sogar trösten. Ich hab sie im Schlaf beobachtet, auf dem Zwergenschiff, als die Zeit stillzustehen schien. Plötzlich waren wir in Nogrot, obwohl die Reise doch mindestens eine Woche hätte dauern sollen, wenn nicht gar zwei! Trotzdem hatte sie nur geschlafen und ich habe sie betrachtet.
Und mich verliebt?
Sie ist so schön ... Zu schön, als dass ich es noch einmal hätte wagen können, sie zu berühren. Ihre sanften Knospen, die sich verhärteten und unter meiner gewölbten Hand aufgerichtet hatten, damit ich sie kitzeln konnte. Nichts hatte sie wecken können, aber ihr Körper hatte auf meine Erkundung reagiert. Nur dort. Ich konnte es nicht, wollte es nicht. Sie ist zu schön, um gegen ihren Willen berührt zu werden.
Auf dem Schiff hab ich beschlossen, sie zu beschützen.
Endlich eine neue Herrin.
Ich würde ihr dienen und sie würde zulassen, dass ich ein bisschen über die Stränge schlage. Sie hat sich trotzdem nicht von mir abgewandt. In den richtigen Momenten war sie sogar ... nett zu mir? Sie hat meinen Schwanz gehalten, als ich pinkeln musste! Meine alte Herrin hätte ihn mir abgehackt, weil ich dieses niedere Bedürfnis in ihrer Gegenwart angesprochen hätte. Nein ... sie hätte mir befohlen, das selbst zu erledigen. So wie damals, als...
Ich hasse sie...
... aber ich liebe die neue Herrin.
Ist das denn Liebe? Richtige Liebe? LIebe ich sie oder bin ich nur froh, dass sie sich noch immer mit mir abgibt? Liebt sie mich?

Sie ist so weich. Es ist so anders. Sie ist nicht grob, sie hat überhaupt keine Kenntnisse, wie es funktioniert. Aber sie ist bereit, es kennen zu lernen. Sie möchte, dass ich es ihr zeige. Ich gebe mir dieses Mal besonders viel Mühe. Ich werde sanft sein. Keine Bisse, dann schlägt sie mich vielleicht auch nicht, um in Fahrt zu kommen. Ob sie mir auch droht, brennende Dinge in meine Öffnungen...?
Nein. Es ist heiß, aber das ist anders. Ich hab keine Schmerzen. Es fühlt sich so gut an. Sie fühlt sich gut an. Es wird nur ganz kurz wehtun, dann wird es gut. Ich gebe mir Mühe. Bitte, sag mir, dass es dir gefällt.
Bin ich zu groß? Zu grob? Sie sieht zufrieden aus. Sie hört sich zufrieden an. Sie versucht, sich meinen Bewegungen anzupassen. Das Wasser ist so warm. Sie ist so warm. Sie duftet.
Ich liebe sie.
Ob sie mich auch liebt? So liebt?
Ist das Liebe?
Es ist mir egal. Es ist ... das schönste Gefühl. Ich will das haben. Ich will das für immer haben. Sie muss mich nicht lieben, wenn sie mich nur nicht wegschickt. Wenn sie mir nur das gibt. Ich muss es nicht bis zum Ende erleben, das ist sowieso nicht mehr möglich. Aber ich will das. Ich will sie.
Meine Schöne.
Meine Herrin.
Azura...
Ich liebe dich.
Schriftrolle Fuss
Das Papier veränderte sich. Es löste sich nicht auf, aber es wurde weich, als wäre es dem Regen ausgesetzt worden. Jedoch fühlte sich alles immer noch warm an. Außerdem blubberte es leicht. Blasen stiegen langsam vom Papier aus, geschaffen aus Tinte. Sie zerplatzten und plötzlich musste Azura sich damit auseinandersetzen, ihr eigenes Stöhnen und Schnaufen zu hören, zusammen mit dem von Corax. Sie alle hörten es. Innig, lüstern, brünftig. Dazwischen plätscherten den Blasen, wenn sie in der luft zerplatzten und die Anwesenden ein wenig mit Tinte sprenkelten. Es kamen immer mehr und die animalischen Lustlaute wuchsen an. Schließlich stieß Azuras mit Echo versehene Stimme einen erregten, halb erstickten Schrei aus und das Blubbern endete. Die Buchstaben verwässerten, flossen zusammen zu einem Strom aus heißer, feuchter Lust. Er lief im Zentrum des Pergaments zusammen, formte ein Herz, in dessen Innern ihr Name stand. Er pulsierte wie ein Herzschlag.
Nur Corax' Stimme war noch zu hören. Sie wisperte im gleichen Rhythmus: Ich liebe sie. Ich liebe sie. Ich liebe sie...
Plötzlich legte Caleb Azura eine Hand auf die Schulter. Er drückte diese leicht ungeachtet der Möglichkeit, dass er dadurch ihre Haut lösen könnte. Das geschah nicht. Er grinste auch nicht auf sie herunter ob der Dinge, die er gehört hatte. Seine Wangen glühten zwar hochrot, aber sein Raunen war ernst: "Wir finden ihn und holen ihn zu dir zurück."
Für Azura mochte nun noch wichtig sein zu wissen, dass das Tintenherz im Papier weiterhin flüssig genug war. Sie könnte ihre Idee umsetzen. Doch was sollte sie mitteilen und käme es an, wenn sie es auf einer Schriftrolle verfasste, die eine entferntere Vergangenheit wiedergab?
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Freitag 13. Januar 2023, 21:39

Bislang war ihr noch nicht kalt, obwohl sie durchnässt war und ebenfalls allmählich hätte frieren müssen. Ob es daran lag, dass es sich um Wasser handelte? Oder war mit ihrem Körper noch nicht alles wieder in Ordnung? Sie fühlte sich absolut lebendig, so, wie es vor ihrem Sprung gewesen war.
Aber... da waren eben jene offensichtlichen Spuren von Verwesung an ihrem Körper, ganz zu schweigen von dem Gestank, den sie immer noch nicht losgeworden war. Würde das vergehen, mit ausreichend Seife und Parfüm? Würden die Wunden zuheilen? Gäbe es Narben?! Das würde nur die Zeit zeigen und das auch das lediglich dann, wenn sie sich bis dahin nicht auf anderem Wege selbst gemeuchelt hätte, indem sie eine tödliche Lungenentzündung oder ähnliches provozierte.
Dennoch war es mit ihrer Vernunft nicht sonderlich weit her, denn alles, woran sie dachte, war, Corax so schnell wie möglich zu finden. Warum sandte Ventha auch weiterhin diese Regenflut? Wieso konnte sie es, nachdem diese für leere Gassen gesorgt hatte, jetzt nicht gut sein lassen? Was wollte sie damit erreichen? Ihr Blick glitt wie von selbst zu dem kleinen Fenster und stumm stellte sie ihre Frage an die Göttin, die sie noch immer nicht erhört hatte.
Wie konnte das sein? Im Palast war sie ihr so oft erschienen oder hatte ihr eindeutige Zeichen ihrer Aufmerksamkeit geschickt, ja, hatte sie sogar persönlich gesegnet! Unwillkürlich hob sie ihre Hand und ihre Fingerspitzen strichen über jene Stelle auf ihrer Stirn, an der die göttlichen Lippen sie berührt hatten vor gefühlten Ewigkeiten. Weswegen also nun ihr Schweigen?
War sie mit einem Mal nicht mehr von Belang, jetzt, wo sie ins Diesseits zurück gekehrt war, obwohl sie noch diesen Auftrag von ihr ausführen sollte? Oder war sie am Ende trotz allem nicht mächtig genug, um sich überall zu zeigen? Oder... war sie selbst noch nicht hartnäckig genug mit ihren Worten gewesen...?
Es arbeitete gehörig hinter ihrer Stirn, während Van Tjenn andere Gedanken hegte. Als ob sie sich freiwillig in seinen Arm schmiegen würde! Bestimmt nicht! Auch fühlte sie sich nicht erschöpft genug, um den Willen zu finden, die Augen zu schließen. Die Wirkung des Alkohols war zum größten Teil verflogen durch die Kälte und bislang wurde sie auch von den Nachwehen ihres unbeabsichtigten übermäßigen Genusses verschont. Wie lange dies noch so sein würde, wusste sie nicht zu sagen. Genauer gesagt, kümmerte sie sich gerade auch nicht sonderlich darum.
Stattdessen versuchte sie einen Weg zu finden, wie sie möglichst schnell zu ihrem Raben gelänge, während sie innerlich zugleich vor Angst davor bebte. Was, wenn er wieder nicht glauben würde, dass sie echt wäre? Oder schlimmer noch, wenn er sie abstoßend fände und sie von sich wies? Was sollte sie dann tun? Wie sollte sie weiter leben in diesem verbrauchten Körper? Darüber durfte sie jetzt nicht nachdenken, das würde sie nichts weiter als lähmen.
Nein, sie musste in Bewegung bleiben, geistig wie körperlich, definitiv! Das tat sie auch, mehr oder weniger, kund. Die Reaktion des Kapitäns ließ sie leise und abfällig schnauben. "Ach nein?", kam es herausfordernd zurück, ehe er das ebenfalls einsah und seine Bemerkung relativierte. Selbstverständlich könnte sie nach Hause gehen, wer sollte sie aufhalten? Sie kannte viele Wege dorthin und es kümmerte sie im Moment wenig, dass finsterste Regennacht draußen herrschte. Wahrscheinlich könnte sie viel mehr Schrecken jenen Gestalten einjagen, die ihr dabei begegnen würden, als umgekehrt.
Und was hätte sie außerdem zu verlieren? Nicht sonderlich viel, wie sie im Moment glaubte, denn das Wichtigste hatte sie längst verloren.
Indes wurde der Mann ihr gegenüber ernst und sorgte dafür, dass sie ablehnend die Arme vor der Brust verschränkte, als er mit Argumenten bezüglich ihres Dreiergespanns kommen wollte. Als ob sie noch notwendig in dieser Runde oder wirklich willkommen wäre, da sollte er nicht so tun als ob!
Ihre Augen wurden schmal und sie konnte sich ein leises Zischen nicht verkneifen bei seinem Geständnis. "Wenn du dir die Mühe gemacht hättest, einmal Wort zu halten und zu erscheinen, dann wüsstest du's!", machte sie ihm den, in ihren Augen, berechtigten Vorwurf, um sofort darauf wieder abzuwinken.
Wahrscheinlich hätte sie noch mehr dazu oder zu seinen sonstigen Worten gesagt, wäre er nicht plötzlich mit Garmisch daher gekommen. Azura zuckte zusammen und war einen Atemzug lang wie erstarrt. Dann allerdings verfinsterte sich ihre Mimik. "Ich habe dir schon gesagt, sie sind nicht in der Stadt!", meinte sie schärfer als beabsichtigt und musste den Blick abwenden.
Auch wandelte sich ihre ablehnende Armhaltung, indem sie nach ihren Oberarmen griff und sich so selbst festhalten konnte. "Und ich bin nicht in der Verfassung, ihnen unter die Augen zu treten...", fügte sie, kaum hörbar, murmelnd hinzu.
Er hatte sie damit getroffen, dass er sie an ihre Forderung von vorhin erinnert hatte. Auch wenn diese im Rausch geschehen war, war sie spät genug gekommen, dass sie diese nicht vergessen hatte, im Gegensatz zu manch anderer Tat oder Bemerkung. Und die Gefühle, die dazu geführt hatten, waren ebenfalls noch in ihr vorhanden. Sie schämte sich, ob ihres Äußeren und ob ihrer Handlungen, ohne letztere, die sie gemeinsam mit Corax verlebt hatte, tatsächlich zu bereuen. Nicht so, dass sie es nicht wieder tun würde... Aber sie wollte ihren Eltern ihren halb zerfallenen Anblick sowie die Schande ihrer Entjungferung ersparen, sich selbst ersparen, da sie nicht jene Tochter war, die sie verdient hatten. Weil sie es vermutlich auch niemals sein könnte, nachdem, wie sie sich entwickelt hatte...
Ob es Sinn machen würde, ihnen einen Brief zu schreiben? Mit welchem Inhalt? Und wohin schicken? Mit welcher Sicherheit, dass er sein Ziel auch erreichen würde? Nein, auch das wäre keine treffende Idee... Doch vorerst war ihr Rabe ihr wichtiger, sodass sie sich mit ihren Eltern später auseinander setzen wollte.
Erneut versuchte er, sie allesamt ins Bett zu locken, ganz gleich, wie sehr er betonte, dass er nicht dabei sein müsste. Die junge Frau wandte sich halb ab und sah wieder zum Fenster, als auch schon die Befürchtung erklang, die sie, ohne groß darüber nachzudenken, bekräftigte. Natürlich wiegelte er ab, versuchte, sie beide zu beruhigen. Azura glaubte, es besser zu wissen, aber sie sagte vorerst nichts dazu.
Stattdessen fragte sie sich, ob sie liegend womöglich über die rechte Formulierung für die Nachricht an ihre Eltern nachdenken sollte. Jene, die sie vielleicht doch schreiben könnte...
Da kam ihr ein Einfall, der sie regelrecht elektrisierte und zu erhöhtem Tatendrang führte. Ein Glück, dass diese kleinen Kissen mit Federn gefüllt und trotzdem nicht von höchster Qualität waren. Somit war es nicht sonderlich schwer, sich eine herauszupulen. Diese hatte tatsächlich eine recht brauchbare Spitze, sodass sie nicht weiter suchen musste.
Mit ihrer Beute ging sie zum Tisch und nahm sich eine Schriftrolle, von der sie eigentlich dachte, es wäre jene, die die Göre zuvor gehabt hatte. Allein schon beim Anfassen spürte sie, dass sie einem Irrtum aufgesessen war. Aber schon entrollte sich das Schriftstück und die Worte begannen damit, sie in ihren Bann zu ziehen, wie es ansonsten nur Venthas Wogen vermocht hatten, wenn sie von ihrem Fenster aus auf die See gestarrt und mit offenen Augen geträumt hatte.
Sie wollte blinzeln und sich fragen, wie das möglich sein könnte, was sie hier entdeckt hatte, da vernahm sie bereits jene vertraute und liebgewonnene Stimme in ihrem Kopf. Ihr war, als würde er ihr seine Gedanken direkt mitteilen, anstatt dass sie diese erst lesen müsste, weil sie vor ihr auf dem Pergament standen. Sein Timbre umschmeichelte regelrecht ihre Sinne und weckte Erinnerungen an die Wärme seines Körpers, die Stärke seiner Umarmung, den wohligen Geruch seiner Haut, die alles an ihr beansprucht und für sich eingenommen hatten.
Zuerst fühlte sie sich geborgen und seufzte sogar leise, dann klopfte ihr Herz immer schneller und auch weiter unten begann etwas leicht zu pochen, doch schlussendlich waren es Tränen, die ihr in die Augen stiegen und ihre Sicht verschwammen. Es machte nichts, die Stimme sprach unbeirrt weiter und verstärkte damit ihre Sehnsucht nach deren Besitzer umso mehr. Ein Schluchzen bildete sich in ihrer Kehle und wollte nach oben drängen, da kam er zum Ende seiner Gedanken.
Und dennoch war es noch nicht vorbei. Das Material wurde weicher, deutlich feuchter und schlug sogar Blasen. Bei den ersten, die zerplatzten, erschrak sie noch und glaubte, sich Geräusche einzubilden, die da an ihre Ohren drangen. Dann allerdings wiederholte es sich, immer rascher und deutlicher und lauter... und vor allem klarer, warum sie gebildet wurden... und von wem!
Azura schoss die Schamesröte in die Wangen und ihre Hände begannen zu zittern, aber sie konnte die Rolle nicht schließen, um dieses peinliche Szenario zu beenden. Es war, als wäre sie unfähig zu einer Bewegung, bis sie nicht zu Ende gelauscht hätte, wie sie geklungen hatte, als sie ihre Unschuld verloren hatte. Schließlich war es, viel zu rasch, wenn man es genau bedachte, vorbei, das Blasen hörten auf zu blubbern und liefen stattdessen ineinander, um ein... Herz zu formen. Ein Herz mit dem Echo seiner Stimme, die immer und immer wieder eine einzelne Botschaft murmelte.
Bis sich auf einmal eine Pranke, schwer und grob in diesem Moment, auf ihre Schulter legte. Mit einem leisen Schrei wirbelte sie herum und wischte dabei auch über den Tisch. Ob und welche Gegenstände sie auf diese Weise mitnahm, wusste sie nicht zu sagen. Leicht außer Atem, als hätte sie sich mit den wogenden Worten mitbewegt, und mit brennenden Wangen starrte sie den Mann an, der den Zauber der Schriftrolle gerade unterbrochen hatte, um... um ihr etwas zu sagen.
Es dauerte, bis der Inhalt seiner Worte zu ihrem Geist durchdringen konnte. Sie waren... nett gemeint, sollten ihr wahrscheinlich irgendwie Mut machen und dennoch...
Azura schlug die Hände vors Gesicht und begann hemmungslos zu schluchzen, weil das Gefühlschaos in ihrem Inneren zu stark anschwoll. Da war die Sehnsucht nach ihm, ihrem Raben, gepaart mit dem Wunsch danach, ihn endlich wieder fühlen zu können, überall auf ihrem Körper. Jedoch auch die große Angst davor, dass er sie ablehnen oder gar verstoßen und verachten würde, weil sie ihre Unschuld ebenso eingebüßt hatte wie ihre Schönheit. Außerdem kam da noch die Furcht dazu, dass er die nächste Dummheit beging und sie ohnehin viel zu spät käme, um ihn noch retten zu können. Und zu guter Letzt war da die Scham, denn die Hand und die gut gemeintem Worte hatten sie daran erinnert, dass sie nicht allein in diesem Raum war. Obendrein war Van Tjenn ebenfalls knallrot im Gesicht gewesen.
Hatte er... hatten beide etwa mitgelesen? Es mit angehört? Sie gehört in diesem intimsten aller Situationen?! Oh, wenn sie doch nur im Boden versinken könnte! Wenn dieser sich auftäte und sie für immer und ewig verschlingen würde! Aber das tat er nicht.
Das Einzige, was geschehen war, war, dass die Feder langsam der Schwerkraft gefolgt war, nachdem sie diese losgelassen hatte. Wieso nur musste alles immer geballt auf sie einprasseln und sie dermaßen mitnehmen? Warum durfte sie ihre Idee nicht zu Ende führen, sondern wurde von dieser Erinnerung wie von einer Flut mitgerissen, dass sie im ersten Moment nicht mehr daran dachte, warum sie überhaupt auf diese Rolle gestoßen war? Es bräuchte wohl jemanden, der sie wieder auf den richtigen Weg zurück schubsen würde. Nur... wer sollte das sein? Und wie?
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 14. Januar 2023, 00:25

Madiha hob ihren Blick als Caleb im Schein des Ofenfeuers einen Moment dastand und seinen Vorschlag unterbreitete. Auch wenn die Situation nicht die richtige war, konnte das Wüstenmädchen nicht verhindern, dass sich ihre Augen über seine Statur zogen. Es war das erste Mal, dass sie ihn wirklich gut betrachten konnte. Die feinen Linien, die die kleinen und größeren Erhebungen konturierten, die schmale Hüfte und die geformten Oberarme. Madiha’s Herz klopfte eindringlich und sie wandte errötet den Blick ab. Caleb wollte pragmatisch sein und sie verstand auch seinen Ansatz, fühlte sich aber trotzdem nervös bei dem Gedanken daran. Sie hatte bei ihm gelegen, während er in dem seltsamen Koma gefangen war, doch das war etwas anderes gewesen. Auch dabei brauchte sie einen Schubs von Corax, ehe sie sich überhaupt getraut hatte. Jetzt aber war er wach und… warm. Die Wärme, die er abzugeben verstand, war nicht nur körperlicher Natur. Seine Sorge, um ihr beider Wohlergehen, war etwas, was Madiha bisher nicht kennengelernt hatte. Inzwischen hatte sie sogar verstanden, dass er sie niemals verletzen wollte, als er sie bei Dunia gelassen hatte. Er handelte aus einem irrigen Glauben heraus, dass ihr das mehr half als wenn er bei ihr blieb… Madiha aber spürte, dass er es war, der ihr ein gewisses Maß an Durchhaltevermögen und Erdung gab. Sie war gestärkt, durch ihn. So nahm sie das Angebot auch an und seinen Blick erwiderte sie mit einem leichten und trotzdem schüchternen Lächeln, während auch ihm die Röte ins Gesicht stieg. Ihr Blick fiel auf Azura, sodass sie dennoch auf einmal zurückruderte. Madiha war es gewohnt einfach nach hinten zu treten, wenn jemand anderes sich damit besser fühlte. Und Azura hatte bisher wenig mit ihr zu tun gehabt, sodass sie sie immer noch nicht einschätzen konnte. Ihr Vorschlag aber stieß zumindest bei Caleb auf wenig Gegenliebe. "Für mich wäre es eines", kam es brummend von ihm, während Azura gar nicht darauf reagierte. Sie nickte auf Caleb’s Einwand leicht und lächelte schief, ehe sie die Decke abermals enger um sich zog. Sie nieste verhalten, während Azura bereits einen neuen Einwand vorbrachte. Nun sah auch Madiha fragend auf. Das konnte sie nicht ernst meinen! Nicht jetzt und bei dem Wetter! Auch Caleb reagierte energisch, auch wenn er gleich wieder zurückruderte. Seinen Worten lauschend, beobachtete sie, wie er sich bemühte, die Adelige vom Gegenteil zu überzeugen. "Wir wollen ihn auch zurück, aber es ist auch klar, dass wir beide da draußen jetzt erfrieren würden, wenn wir nochmal losziehen. Ich hab kein Hemd, Madi nicht einmal Schuhe. Tot helfen wir Corax nicht ... und wenn du jetzt gehst, finden wir dich nicht mehr wieder. Ich ... hab nicht die leiseste Ahnung, wo sich dein Elternhaus befindet."
"Wenn du dir die Mühe gemacht hättest, einmal Wort zu halten und zu erscheinen, dann wüsstest du's!"


Madiha zuckte zusammen und warf der Rothaarigen einen Blick zu, der nicht klar zu definieren war. Allerdings hörte Madiha in dem Moment auf zu schlottern und ihre Mimik blieb fest dabei. Offenbar war Azura mehr als nachtragend. Ihr Blick glitt zu Caleb, der sich der Adeligen plötzlich entgegenneigte und die Sprache wechselte. Madiha runzelte die Stirn, während ihr Blick zwischen den beiden hin und her hüpfte. Sie verstand kein Wort, sodass sie lediglich Mimik und Gestik deuten konnte. Aber auch das brachte sie dem Sinn hinter den Worten nicht näher, sodass sie den Blick abwandte und sich über die Beine rieb, die sich bereits taub anfühlten. Eine Bewegung erreichte, dass sie wieder zu den Anduniern sah. Caleb hatte sich aufgerichtet und er glühte regelrecht, was Madiha den Sinn der Worte nur noch weniger begreiflich machte. "Wie gesagt, ich habe kein Problem damit, wenn ihr lieber ohne einen Mann die Nacht verbringen wollt. Mir geht's nur darum, dass ihr es warm habt, hm? Und ihr braucht beide Ruhe. Erschöpft, durchgefroren und ... allein, ohne Plan, ist keiner von uns von Nutzen. Seid vernünftig.". Sie fing seinen Blick auf und verzog abermals den Mundwinkel zu einem halben Lächeln. Sie nickte ihm zu als Antwort auf seinen Appell und sah sich tatsächlich auf ihrer Seite des Bettes um, wie sie am besten liegen könnte. Sie rutschte etwas höher zum Kopfende, bevor sie noch mal eine Erkenntnis erfasste. Seufzend teilte sie diese mit, ehe Azura sie gleich bestätigte. "Heeee! Macht mir nicht auch noch Angst. Das hilft uns jetzt wirklich nicht. Meine Mutter hat immer gesagt, dass es keine gute Idee ist, lang wach zu bleiben. Da wälzt man nur dunkle Gedanken und trifft dumme Entscheidung. Vielleicht hat sie aber auch nur versucht, mich so zeitig ins Bett zu bekommen. Wie auch immer, ich bezweifle, dass wir in einer Nacht- und Nebelaktion und ohne ausgeklügelten Plan zu irgendetwas bringen werden. Vertraut ihm ein bisschen, hm? Diese eine Nacht wird er schaffen."
Sie betrachtete den Dieb eingehend und ein Lächeln schlich sich auf ihre Züge. Madiha erfuhr gern von seiner Kindheit. Es waren kleine Bruchstücke in einem Leben, das sie gern kennengelernt hätte und ihr doch verwehrt blieben. Ihre eigene Mutter war nur noch ein blasses Gefühl und die Erinnerung, wie man ihren toten Körper fortschaffte. Da genoss sie es, dass Caleb hin und wieder etwas preisgab. Allerdings merkte man auch ihm an, dass er die Situation alles andere als angenehm empfand. Auch ihm schmeckte das nicht, auch er wollte gerne helfen und wie er bereits sagte… Sie alle wollten Corax zurück. Das musste auch Azura endlich einsehen und erkennen, dass sie in ihnen Hilfe hatte, statt einer Last, die ihr das Leben schwer machen wollte. Das Wüstenmädchen schniefte erneut und spürte auf einmal, wie es müde wurde. Die Augen wurden träge, die Nase kribbelte unablässig und ihre Glieder wärmten sich nur langsam auf. Sie fror bitterlich, trotz der Decke. Während sich Madiha bereits versuchte soweit in Position zu bringen, dass sie in dem Bett liegen könnte, sprang Azura plötzlich auf.

Überrascht dachte sie, die Adelige würde nun doch noch das Zimmer verlassen und gerade wollte sich ein genervtes Augenrollen bei ihr ankündigen, über so viel Sturheit, da trat Azura an den Tisch heran und griff nach den Schriftrollen. Madiha’s Stirn runzelte sich. Sie hatte keinen Bedarf mehr an dieser verwirrenden Magie, das trostlose Gefühl war noch all zu präsent. Doch Caleb ergriff ihre Hand und zog sie auf die Beine. Madiha ächzte erschöpft. Ihre Füße waren noch nicht wieder voll funktionstüchtig, denn sie brauchte mehrere Schritte, bis sie den Boden überhaupt wahrnehmen konnte. Einzig seine Hand gab ihr etwas Standfestigkeit, sodass sie bis zu Azura folgte. Hier trat sich neben Caleb und lehnte sich etwas an Azura vorbei, um einen Blick auf die Schriftrolle zu erhaschen. In banger Erwartung, was sie nun erleben würde, konnte die die Buchstaben kaum entziffern. Doch das musste sie auch nicht. Erneut ertönte die Stimme des Raben, doch dieses Mal war sie sanft, voller Gefühl und Wärme. Madiha lächelte gar, während sie diesem Klang lauschte und sich wahrlich ergriffen fühlte, dass es so positiv war. Ungläubig lauschte sie den Worten, die so viel… Wärme erzeugten, dass sie darüber hinaus ihre kalten Gliedmaßen vergaß. Ihr rutschte gar die Decke von den Schultern, weil sie so gebannt lauschte. Das was Corax da sagte war wundervoll. Es war pure Emotion und jemand wie Madiha saugte dieses Schöne auf, wie ein Schwamm. Es wärmte sie von innen, ebenso wie es sie gewärmt hatte, als Caleb ihr sagte, er wolle alles dafür tun, dass er sie eines Tages auch lieben könnte. Dass er ihr das sagen könnte. Madiha aber dachte auch an ihre eigenen Gefühle und ob sie sich mit dem, was Corax da sagte, deckten. Es war schwierig ihm zuzuhören und gleichzeitig nachzudenken, doch dieses schöne Gefühl, das er beschrieb, dieses Leichte und Warme, das fühlte sie auch, wenn sie Caleb ansah. Madiha lehnte sich bei Corax’s Worten leicht gegen den Dieb und lächelte ergriffen.
Sie war erstaunt, dass Corax solche Worte finden konnte. Es war nichts verloren, der Rabe hatte sein Herz nicht gänzlich verloren, trotz der grausamen Herrschaft dieser finsteren Stockmännchen! Madiha griff nach Calebs Hand und drückte sie leicht. Dann endeten die Worte und wurden zu einem rhythmischen Singsang, der immer die selbe Botschaft enthielt. Madiha blinzelte, während langsam Bilder in ihren Kopf kamen, die diese Geräuschkulisse erklärten. Ihr Herz pochte. Sie verlor ein wenig das selige Lächeln und wurde mit einem Mal rot. Das, was sie da hörten, war… doch sehr privat und irgendwie auch…. Interessant? Es klang so… so anders als das, was sie hatte erleben müssen. Dennoch löste Madiha die Verbindung zu Caleb auf und entließ auch seine Hand beschämt. Sie wollte sich abwenden, aber die Schriftrolle ließ sie nicht, sodass sie alles mitanhören mussten.

Hochrot griff Madiha nach ihrem Oberarm und räusperte sich verlegen, während Caleb Azura Mut machen wollte. Das Mädchen hob den Blick und nickte bestätigend, wollte seinem Bemühen ein wenig beikommen, doch Azura erschreckte sich vor der Berührung, sodass Madiha einen Schritt zur Seite zuckte, weil einige Rollen zu Boden glitten. Dann fing Azura bitterlich an zu weinen. Madiha sah betreten auf die Rothaarige und wusste im ersten Moment nicht recht, was sie nun anfangen sollte. Noch immer hallte die Wärme in ihr nach, die der Rabe zu erzeugen gewusst hatte und die sie gleichzeitig mit dem Dieb in ihrer Nähe verband. Madiha seufzte tonlos. Sie hatte großes Glück, dass Caleb an ihrer Seite war. Und trotz aller Widrigkeiten und aller Anfeindungen, trat sie einen Schritt vor und schob sich zwischen Tisch und Caleb, um näher an Azura zu sein. Vorsichtig hob sie ihre – noch immer leicht lädierte – Hand und griff nach Azuras Handgelenk, um eine Hand von ihrem Gesicht zu bekommen, damit sie sie ansah. „Azura… er… er findet solche Worte für dich… Er hat etwas, woran er sich festhalten kann.“, versuchte sie irgendwie die richtigen Worte zu finden. Sie überlegte kurz und biss sich auf die Unterlippe. Dann setzte sie abermals an: „Das, was er beschreibt… du empfindest doch ebenso oder nicht?“, sie setzte es voraus, hob tatsächlich unbewusst den Blick zu Caleb, ehe sie wieder Azura anblicke und lächelte, trotz Schniefnase und glasigen Augen, „Sag es ihm! Sag ihm, was du fühlst und gib ihm ein wenig Kraft durchzuhalten, bis wir ihn gefunden haben!“, Madiha trat noch einen Schritt dichter und zuckte zusammen. Sie ließ Azura los und senkte den Blick. Stirnrunzelnd bückte sie sich und griff nach dem Kleinod, das sie in den nackten Fuß gepikst hatte. Sie hielt die kleine Feder hoch und Azura vor die Nase. „Sag ihm, was du fühlst! Damit er weiß, dass er nicht allein ist.“, forderte sie und reichte die Feder an die Adelige weiter, weil sie verstanden hatte, was sie mit ihrem eigentlichen Versuch vorgehabt hatte.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Samstag 14. Januar 2023, 11:38

Wie lange es wohl noch brauchte, bis ihnen endgültig der Geduldsfaden riss? Azura teilte weiter aus, aber das hier war nicht ihr Ziehvater, der jede noch so kleine Spitze mit einem Lächeln und einem väterlichen Blick abgetan, ihr sogar manchmal etwas dafür geschenkt hatte. Hier handelte es sich nicht um die Galane, mit denen sie erst kokettieren und sie dann ablehnen konnte. Es war keine Spielerei bei Hofe, wo eine schneidende Zunge durchaus den Unterschied zwischen Anerkennung und Blamage machte. Hier schnappte sie erneut, fast schon bissig, nach Caleb. Und erneut traf sie damit einen Punkt, der den Dieb verstummen ließ.
Wenn du dir die Mühe gemacht hättest, einmal Wort zu halten und zu erscheinen, dann wüsstest du's!", spielte sie auf die Tatsache an, dass ihr Gegenüber nicht einmal wusste, wo ihr Elternhaus lag. Er wusste überhaupt nichts! Er war dumm und nichts weiter! Wie gut, dass sie diesen Taugenichts nicht hatte heiraten müssen.
Caleb war schlagfertig, aber dass er jetzt auf's Neue verstummte, ließ bei Madiha alle Wachsamkeit nach vorn treten. Instinktiv veränderte sich ihr Blick und auch sie zuckte unter der Spitze zusammen. Wie lange würden beide es noch mit der Adligen mitmachen? Wann hätten sie genug und würden sich abwenden? Wann würde Azura erfahren, wie es war allein zu sein? Wann würde sie Corax' Schicksal teilen?
Niemals, denn was der Rabe schon alles durchgemacht hatte, reichte für mehrere Leben und könnte keiner jemals in der Intensität erfahren. Das war gut, denn niemandem durfte man so viel Leid zumuten. Aber wieviel konnte eine Adlige jenen zumuten, die bereit waren Verbündete, wenn nicht gar Freunde zu sein, weil eine große Not sie zusammenschweißte? Azura dröselte den Faden der Geduld unablässig auf. Wohin war ihre Entwicklung, die sie im stillen Palast ihrer Ewigkeit erlebt hatte? Verschwunden, wie ihre Göttin. Verschwunden, wie Corax.
Sie musste ihm eine Nachicht zukommen lassen, irgendwie. Sie hatte es schon mehrmals geschafft und jedes Mal einen Teil von sich geopfert, ohne überhaupt zu wissen, was ihr denn jetzt fehlte - von einem lebendigen Aussehen einmal abgesehen. Es musste doch noch einmal gelingen, aber dieses Mal wollte Azura andere Mittel und Wege einsetzen. So griff sie zu einer der Gänsefedern und einem Pergament. Sie glaubte schon, jenes erwischt zu haben, in dem Madiha die ganze Zeit gelesen hatte, doch sie entrollte etwas Anderes. Etwas, das ihrer aller Herzen erwärmte, so dass sie für den Moment keinen Ofen brauchten.
Diese Schriftrolle musste die Wertvollste im Bestand aus Corax' Gedanken, Emotionen und Erinnerungen sein. Es war das einzige Papier, das eine liebevolle Wärme verströmte. Das einzige, auf dem die Buchstaben tanzten und sich in ihren Schnörkeln miteinander verschlangen wie jene Körper es in der heißen Quelle getan hatten. Sie lachten und sangen, musizieren das Lied der Wolllust und Liebe. Sie alle hörten es. Sie hörten Azuras sinnliches Stöhnen und Corax' kehliges Schnaufen, während die Tintenblasen mit ihrem Zerplatzen das Klatschen zweier aufeinandertreffender Körper simulierten. Es wurde sehr warm in der Kammer.
Und schließlich endete es mit einem Herz aus Tinte, das im Takt der Liebesbekundung schlug, die Corax an seine Verlorene richtete. Es war das kostbarte Pergament seines Lebens. Und es war hier, nicht bei ihm. So wie Azura hier war. Ohne ihn. Allein war sie allerdings nicht. Caleb legte ihr die Hand auf die Schulter, ignorierte erneut ihren seltsam halblebendigen Zustand, den Geruch und die Fäulnis auf ihrem Körper. Er tat es, um ihr Beistand zu leisten und ihr geplagtes Herz zu beruhigen. Er tat es, um ihr verständlich zu machen, dass diese offengelegte Intimität sie nicht beschämen musste, weil sie zeigte, wie dringend sie Corax finden mussten.
Aber Azura ertrug es nicht. Es war zu viel und es brach aus ihr heraus. Sie sank unter Schluchzen zusammen, begann zu weinen und verdeckte das Tränen verhangene Gesicht mit ihren Händen.
Erneut schloss sie ihre Umgebung aus, schloss ihre Verbündeten aus, die nur Anteil haben wollten, um das Leid zu teilen und für den Einzelnen zu mindern. Wie lange würden sie das noch mitmachen?
Caleb seufzte. Er blickte in Madihas Richtung. Das Wüstenmädchen erwiderte diesen Blick. Beide waren sie noch immer rot von dem Gehörten, doch es trat angesichts von Azuras Zusammenbruch in den Hintergrund. Wie aber sollte es jetzt weitergehen? Die Adlige schloss ihre Tore und bot den Dieben nicht einmal ein halb offenes Fenster, in das sie hätten einsteigen müssen. Rammbock oder Brechstange wären hier nun erfolgreich, würden aber die Mauern einreißen, die Azuras Seele zusammenhielten. Geduld musste her, um wie Venthas Regen mit stetem Tropfen den Stein zu höhlen, bis ein Schlupfloch entstünde. Aber wieviel dieser Tugend konnten Caleb und Madiha noch für sie aufbringen?
Genug.
Azura hatte Glück, dass Caleb Dinge in sich selbst verbarg, die ihn verletzlich machten. Er machte es nicht mit ihr aus, sondern mit sich. Damit er die Geduld für sie aufbringen konnte, die hier eher zum Ziel führte als sich für immer abzuwenden. Er ging neben Azura in die Hocke und schob ihr die Pranke wieder auf die Schulter. Er strich ihr Haar beiseite, als er mit den Fingern bis zu ihrem Rücken wanderte und dort einer Vertiefung in der Haut auswich, deren Ränder sich krustig und zugleich wabbelig anfühlten. Er suchte sich einen anderen Platz, um die Hand dort ruhen zu lassen. Dann strich er langsam über ihren Rücken. Doch es war Madiha, die sich zuerst auch verbal an Azura wendete. Sie versuchte, eine Hand vom Gesicht der Aufgewühlten zu lösen und sie daran zu erinnern, was ihr eigentlicher Plan gewesen war. Die Schriftrolle hatte nun eindeutig gezeigt, was Corax' Leben einmal hatte erhellt sein lassen und woran er zwischen all den Schriften aus hilfloser Verzweiflung und Leid noch immer festhielt. Warum er nicht zu einem toten Werkzeug für jene geworden war, die ihn auszunutzen wussten.
"Sag ihm, was du fühlst und gibt ihm ein wenig Kraft durchzuhalten, bis wir ihn gefunden haben! Sag ihm, was du fühlst! Damit er weiß, dass er nicht allein ist."
Calebs Druck seiner Hand auf ihrem Rücken verstärkte sich, als wollte er Azura in Madihas Richtung und zu der Feder hin schieben. Stattdessen aber knirschte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor: "Ja. Sag es ihm. Ich weiß, dass du Madiha konsequent ignorierst oder ihr abfällige Blicke zuwirfst, als wäre sie ein minderwertiger Wurm. Ich weiß, dass es die Erziehung der gut Betuchten so eintrichtert. Das rechtfertigt aber nicht alles. Also, bei Venthas feuchtem Schoß, spring nur ein einziges Mal über deinen verdammten Schatten und hör auf sie! Hör ihr zu! Sie ist nicht dein Feind und keine Kontrahentin. Und ich auch nicht."
Aber Caleb war noch nicht fertig. Es wurde Zeit, auch einmal auszunutzen, was sich ergab und sich stur über Dinge hinwegzusetzen. Er bot Azura keine Möglichkeit der Flucht mehr. Er griff kurzerhand unter sie und hob sie wie schon so oft einer Braut gleich auf seine Arme. Der Weg war kurz, denn das Bett nah. Dort ließ er sie ab, damit sie liegen konnte. Dann nickte er Madiha auffordernd zu. Die Feder fehlte, sowie ein Stück Papier. Caleb griff nach irgendeinem Pergament. Er schaute kurz darauf, erstarrte für Sekunden. Nur seine Augen flogen über die Zeilen. Er las, während sich seine Stirn in Falten legte. Dann konnte er sich von dem Geschriebenen lösen und reichte das Papier an Madiha und Azura weiter.
"Schreib ihm ... beeil dich damit", forderte er auf.
Das Pergament war gänzlich in Tinte gehüllt und so kalt wie das andere warm war. In all dem Schwarz der Tinte stand nur ein einziges Wort, das immer wieder wie ein Ertinkender aus der Farbe hervorbrach, ehe es wieder versank.

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■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ ... nimmermehr ... ■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Sonntag 15. Januar 2023, 13:19

Während die andere ihren Schwarm in Ruhe mustern konnte und wollte, hatte die junge Frau keinen Blick für seine optische Erscheinung. Viel zu viel war inzwischen geschehen, das ihr das Interesse daran genommen hatte, und mit ihren Gedanken war sie ohnehin bei einem ganz anderen. Einen filigraneren, der dennoch erstaunlich viel Kraft aufweisen konnte, wenn er denn wollte. Dessen lange Finger einem so unendlich viel Freude bereiten konnten... oder endlose Pein. Und dessen dunkle Haut wie die ruhige See bei Nacht wirkte, wenn sie mal wieder nicht hatte schlafen können und aus ihrem Fenster hinaus gestarrt hatte Richtung Hafen.
Jener eine Mann, der ihr Herz und ihre Unschuld geraubt hatte, wegen dem sie sich ins Leben zurück gekämpft hatte und der trotzdem nicht hier war, um sie willkommen zu heißen. Oder endgültig zu verstoßen, damit sie wusste, dass es keinen Zweck mehr hatte...
Der größte Teil der Wirkung des Alkohols war dank des eisigkalten Regens verflogen und trotzdem fuhren ihre Gefühle weiterhin wie bei einem Karrussell, das sich unaufhörlich zu drehen schien, mal schneller, mal langsamer, dass einem regelrecht schwindlig davon weden musste. Wann würde es innehalten und ihr eine Verschnaufpause gewähren? Wenn sie schlief? Oder würde sie da von Träumen heimgesucht werden? Wenn sie in den Armen des Kapitäns Trost und Wärme suchen würde? Oder wäre dann ihr schlechtes Gewissen der nächste Antreiber? Wenn sie Corax endlich gefunden hätte? Ja, wahrscheinlich... oder eher vielleicht, je nachdem, wie er auf sie reagieren würde... ob er sie für real und echt und lebendig halten würde...
Durch diesen ewig rotierenden Kreisel ihrer Empfindungen trug sie dies auch in Form von Wankelmütigkeit nach außen, da sie, im Gegensatz zu den anderen Beiden, niemals gelernt hatte... nein, hatte lernen müssen, sich selbst zurück und auf andere Rücksicht zu nehmen. In ihren allerersten Lebensjahren womöglich, sodass sie nicht vollkommen bar jeglicher Empathie war, aber in ihrer bewusster erlebten Vergangenheit war dies nicht länger der Fall gewesen. Und je älter sie geworden war, desto rücksichtsloser war sie gewesen, wenn es darum ging, ihre Wünsche umzusetzen.
Dass sie indes nicht sofort hinaus stürmte, trotz der mahnenden Worte von Van Tjenn, kam somit beinahe einem Wunder gleich. Oder dem Hauch von positiver Entwicklung, der noch in ihr steckte. Obwohl sie gerade diesen letzteren, neuen Zug an ihr äußerst erfolgreich zu verbergen wusste, auch vor sich selbst. Eventuell käme er, sobald sie von Corax in die Arme geschlossen werden würde... Zumindest wäre er spätestens dann definitiv angebracht!
Jetzt hingegen konnte sie sich eine weitere Spitze nicht verkneifen und ja, sie war nachtragend. Nachtragend darüber, dass er sie mehrfach versetzt und dem Spott preisgegeben hatte, nachtragend, dass er, obwohl ihr vom Stand her nicht ebenbürtig, doch so etwas wie eine Zukunft hätte geben können, in der sie ihren Platz hätte finden können. Durch seine Abwesenheiten allerdings... Die Enttäuschung darüber und noch so viele weitere, negativen Gefühle saßen tief in ihr drin und würden nicht so schnell zu besiegen sein. Von den neueren Eindrücken ganz zu schweigen, die ja letzten Endes überhaupt erst zu ihrem Sprung vom Schiff geführt hatten, mit all seinen Folgen. Somit würde es viel Zeit und Geduld mit ihr brauchen, bis sie irgendwann einmal soweit wäre zu verzeihen.
Wahrscheinlich würde sie davor noch enge Freundschaft mit seinem Liebchen schließen! Denn auch das war ungewiss, ob sie jemals soweit für diesen Schritt wäre, unabhängig davon, dass sie beide sich magisch als Gegenpole abstießen. Nein, woran genau es lag, dass Azura sich der anderen gegenüber nicht zutraulich zeigen wollte... oder konnte, war ebenfalls tief in ihr verborgen und würde es auch bleiben, wenn es nach ihr ginge. Sie hatte jetzt schon viel zu viele Gefühle, mit denen sie haderte, da wollte sie nicht weitere schlafende Ungeheuer wecken.
Im Moment weckte ein anderer Gedanke eher ihre Lebensgeister, sodass sie persönlich dafür sorgte, was man fast schon als Schritt in die richtige Richtung bezeichnen konnte, eine Schreibfeder zu ergattern. Es war nicht schwer bei diesem Kissenbezug und das Aussehen der Feder selbst war nicht von Belang. Es zählte allein die Spitze und die war brauchbar.
Also wollte sie schon jene Schriftrolle mit seinen aktuellsten Gedanken schnappen und ihre Idee umsetzen, ehe sie diese vergessen könnte, als ihr der Fehlgriff auffiel. Es war warm und strahlte diese wohlige, wärmende Geborgenheit aus, die sie in den Armen ihres Raben zu empfinden vermocht hatte. Doch da waren auch Worte, Gedanken und Gefühle, die er ihr mit derart zärtlicher Stimme vortrug, dass ihre Sehnsucht sie regelrecht zu zerreißen drohte. Um in weiteren, ebenfalls eindeutigen Geräuschen zu gipfeln, die sie einst ausgestoßen hatte und die sie nun durch seine eigene Erinnerung und Wahrnehmung hören konnte. Es... wärmte sie und ließ es in ihrem Schoß kribbeln, wie ein weiteres Zeichen dafür, dass sie tatsächlich wieder lebte.
Allerdings... war sie nicht allein und just, als der Kapitän ihr eigentlich beistehen und Mut machen wollte, musste er sie an diesen Umstand erinnern. Beschämt und voller unausgesprochener Empfindungen für Corax wusste sich ihre Seele nicht anders zu helfen, als bittere Tränen über ihren Verlust zu vergießen. Mit den Händen vor dem Gescht schluchzte sie herzzerreißend und zitterte am ganzen Leib, dass sie zu Boden sank. So klein wie möglich machte sie sich, so, wie sie sich im Moment auch fühlte, klein, unbedeutend... allein. Doch letzteres stimmte nicht, ganz gleich, wie oft sie um sich biss. Ob sie dieses Glück jemals zu schätzen wissen würde? Das wussten nur höhere Wesen... sofern es sie denn interessierte.
Als sie erneut berührt wurde, zuckte sie zusammen und verstummte einen langen Atemzug lang, bis sie schluchzend fortfuhr in ihrem Elend. Zitternd spürte sie, wie jemand mit Wärme ihren Rücken entlang strich und sie auf diese Weise zu trösten versuchte. Es half nicht wirklich, denn dazu mussten all die Tränen, die sich in ihr wieder hatten bilden können, erst einmal fließen, bis diese allmählich versiegen könnten.
Erst eine andere, schmälere Hand, die nach der ihren griff und mit sanftem Druck daran zog, ließ sie tatsächlich innehalten und aus der Tiefe des Sees der Schmerzen hervor schauen. Langsam hob sie ihren Kopf und blickte schniefend und verheult in das Gesicht der anderen, die ihr ungewöhnlich nahe gekommen war.
Aber lange schaffte sie es nicht, denn die Scham kehrte zurück und sorgte dafür, dass sie den Blick abwenden musste. Mehrfach wischte sie über ihre Wangen und zog die Nase hörbar hoch, während sie die Worte hören konnte. "Ich... ich...", stammelte sie und hätte so gern die rhetorische Frage der anderen bestätigt.
Ja, sie empfand für ihren Raben viel, unbeschreiblich viel! Jedoch... war das Liebe? Oder etwas vollkommen anderes, das sich nur so tarnte? Azura wusste es nicht und hatte Angst davor, es herauszufinden und sich womöglich nicht länger selbst belügen zu können, dass es Liebe sein musste. Darüber reden allerdings, das konnte sie noch weniger...
Musste sie auch nicht, denn plötzlich wurde ihr eine Feder vor die Nase gehalten. Irritiert blinzelte sie und brauchte tatsächlich weitere Worte, um sich daran zu erinnern, warum sie überhaupt eine Schriftolle ergriffen und geöffnet hatte. Langsam, ganz langsam brachte sie ein Nicken zustande und wollte gerade ihre Hand heben, um mit zitternden Fingern nach der Feder zu greifen, als sich der Kapitän einmischte.
Der Druck in ihrem Rücken war schon unangenehm, seine Bemerkung jedoch... Ihre Miene verfinsterte sich und der Funke, der gerade daran gegangen war, zwischen den beiden Frauen womöglich endlich überzuspringen, hüpfte ins Leere. Entschlossen und etwas zu ruppig griff sie nach der Feder und öffnete den Mund, um ihn zurecht zu weisen, da hob er sie plötzlich hoch.
Mit einem leisen Laut des Erschreckens kommentierte sie ihre Positionsveränderung und umklammerte die Feder derart fest, dass es sie im Nachhinein noch zerrupfter aussehen lassen würde. Es kam purem Glück gleich, dass der Kiel selbst nicht brach und sie sich eine neue hätte suchen müssen.
Wie gut, dass der Weg nicht weit und der Boden nicht schwankend war, sonst hätte sie sich wohl oder übel noch an ihm festhalten müssen und das wollte sie im Moment definitiv nicht. Schließlich fand sie sich in dem Bett wieder und warf ihm einen bösen Blick zu, als er sich schon abgewandt hatte und nach einer Schriftrolle griff.
Als er ihr diese reichte, griff sie unwirsch danach und fauchte:"Ich bin kein Monster, auch wenn du mich dafür hältst!" Sie hätte ihm noch mehr sagen können und auch wollen, wenn sich das Pergament in ihren Fingern nicht entrollt und ihr offenbart hätte, was er ihr da gereicht hatte.
Ihr Blick fiel darauf und sie verstummte. Nein, mehr noch, mit einem Mal fühlte sie jene Kälte, die auch die andere aufgrund des Regens hatte zittern lassen. Plötzlich hatte die junge Frau das dringende Bedürfnis, sich erneut so klein wie möglich zusammen zu rollen und allein zu sein.
Tatsächlich setzte sie sich auf und rutschte soweit zum Kopfteil, dass sie, wie schon zuvor, dort sitzen und sich mit dem Rücken anlehnen konnte. Die Beine zog sie an und wären ihre Hände nicht gefüllt gewesen, sie hätte auch die Arme darum geschlungen, um sich so noch kleiner machen zu können. Jetzt allerdings... wollte sie diese Haltung nutzen, um eine halbwegs passable Schreibunterlage zu haben.
Noch einmal warf sie Van Tjenn einen bösen Blick zu, dann seufzte sie tief und sah auf das Schriftstück vor ihr. Es tat ihr im Herzen weh, dieses eine Wort immer wieder aufschimmern zu sehen. Es wurde Zeit, wirklich Zeit, um daran etwas zu ändern!
Also brachte sie die Spitze der Feder zum Rand des großen Tintenflecks und konzentrierte sich auf die Flüssigkeit, die noch darin vorhanden sein musste, um mittels ihrer Magie die Farbe in den Kiel zu kriegen und ebenfalls schreiben zu können. Sollte darin nicht mehr genug sein... Nun, dann würde sie eben Wasser aus ihren noch feuchten Haaren ziehen... oder zur Not auch ihre allmählich trocknenden Tränen verwenden.
Sobald sie es geschafft hatte, auf welchem Wege auch immer, suchte sie sich einen Fleck auf dem Pergament, um dort in ihrer schönen, geübten Schrift andere Worte zu setzen.

Ich liebe dich, Corax.
Du fehlst mir...
Schriftrolle Fuss
Sie hielt inne und schluckte erneut. Kurz noch zögerte sie, dann suchte sie nach einem weiteren Platz zum Schreiben. Sollten die Beiden mitlesen... oder es später sehen oder durch die Magie hören können, könnten sie feststellen, dass sie unbewusst ihre Geduld mit ihr tatsächlich honorierte.

Morgen... wenn der Regen nachgelassen hat, komm zu mir nach Hause... ins Anwesen Van Ikari. Ich warte dort. Im Garten.
Ich vermisse dich so sehr...
Schriftrolle Fuss
Ob es wirken würde? Ob es reichen würde? Azura wusste es nicht. Während ihr eine erneute, einzelne Träne die Wange hinab lief und sie darauf hoffte, inständig hoffte, dass er diese Botschaft erreichen würde, kam ihr noch eine Idee. Sie war... närrisch, davon war sie überzeugt und dennoch... Noch bevor sie sich selbst dafür schelten konnte, vollführte ihre Hand bereits die entsprechenden Bewegungen, zeichnete ein schlichtes Herz und verweigte darin ein A + C, in der Hoffnung, dass er es verstehen würde. Sofern es ihn erreichen würde...
Danach sank ihre Hand herab und sie atmete seufzend aus, lehnte den Kopf zurück bis zur Wand und schloss die Augen, weil sie sich mit einem Mal richtig erschöpft fühlte. War das gut? War das ein Zeichen dafür, dass es funktioniert hatte? Und was würde nun folgen? Würde er ihr... antworten, ihr irgendwie zeigen, dass er verstanden hatte? Oder geschähe... nichts...?
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 15. Januar 2023, 16:42

Niemand besaß das Recht, über jemanden zu urteilen oder ihn zu demütigen. In einer perfekten Welt, gäbe es diese Dinge gar nicht. Aber was war schon perfekt? Madiha hatte mit Frauenhass, Demütigung, Übergriffigkeit und Minderwertigkeit aufwachsen müssen. Es war für sie ebenso normal, sich klein und unwichtig zu fühlen, wie es für Azura gewiss normal war, im Mittelpunkt zu stehen. Doch die schiere Breite der Kluft zwischen ihren beiden Leben war nicht dafür gemacht, dass sie sich annähern konnten. Auch wenn Madiha’s Unterwürfigkeit dazu bereit gewesen war, sich an der Adeligen zu versuchen, waren die stetig ignorierten Worte von ihr kein Material, um Brücken zu bauen. Madiha versuchte Azura die Steine dafür zu reichen, aber die Adelige griff einfach nicht danach. Und dann begann sie auch noch, Caleb stets für alles verantwortlich zu machen, was bei ihr nicht nach ihrem Näschen lief. Das war der Punkt, an dem Madiha einen Schritt zurück machte und den Stein das erste Mal lieber behielt, anstatt ihn weiterzureichen. Denn auch wenn Madiha im Grunde nach Harmonie strebte und sogar gewillt war, über gewisse Dinge hinwegzusehen, lernte sie, dass sie nicht allen gefallen musste. Dass sie durchaus Eigenständigkeit besaß und diese ließ aufblitzen, dass sie Azura nicht sehr mochte.
Sie wusste ja nichts davon, dass Caleb mehr Wissen besaß und Azura durchaus eine Seite in sich trug, die sympathisch werden könnte. Vielleicht war seine Geduld deshalb unerschöpflich, aber Madiha verstand es nicht. Gleichwohl verstand sie aber, dass Caleb sich in sich zurückzog. Er wurde ruhiger, wenn Azura um sich schlug, anstatt sich mit einem schiefen Grinsen oder lockerem Spruch aus der Affäre zu ziehen. Das war nicht typisch und deshalb alarmierte es die einstige Sklavin. Allerdings schaffte Caleb es in stoischer Manier seine Empfindungen immer wieder hintenanzustellen. Doch wie lange würde das gutgehen? Wie lange, bis auch sein Faden riss und was, wenn das im aller schlechtesten Moment passierte? Azura musste doch erkennen, dass sie einander nur helfen wollten. Caleb mehr als jeder andere! Und dass er ihr dankbar war, dass er durch ihre Hilfe hatte zurückkehren können. Ebenso wie Madiha es war, doch gab es einfach keinen guten Zeitpunkt, das zu erwähnen… Daher zeigte sie ihren guten Willen, indem sie tief durchatmete und nach dem Hören der Schriftrolle ein weiteres Mal bemüht auf die Adelige am Bode zuging. Sie versuchte sie daran zu erinnern, dass sie etwas hatte, wofür es sich lohnte, stark zu bleiben. Und auch Caleb bewies ein weiteres Mal, dass er über seinen Schatten springen und hinwegsehen konnte über das adelige Gehabe. Allerdings fragte sich Madiha, während sie seinen Versuch, Azura zu beruhigen, beobachtete, wie er es anstellte. Ganz gleich aber wie, Madiha folgte ihrem eigenen Impuls, nachdem sie durchgeatmet hatte und startete ihren eigenen, neuerlichen Versuch, die andere zu erreichen. Vorsichtig berührte sie sie, sodass sie sich nicht erschreckte, aber aufsah. Tatsächlich rang sich das narbige Mädchen ein leichtes Lächeln ab, ehe ihre Worte dann aber eindringlich wurden. Sie musste ihren Plan weiterverfolgen, sodass Madiha ihr die Feder hinhielt. Noch ehe Azura danach griff, war es Caleb, der deutliche Worte fand und somit, zumindest Madiha offenbarte, wie sehr seine Geduld dann doch beansprucht war: "Ja. Sag es ihm. Ich weiß, dass du Madiha konsequent ignorierst oder ihr abfällige Blicke zuwirfst, als wäre sie ein minderwertiger Wurm. Ich weiß, dass es die Erziehung der gut Betuchten so eintrichtert. Das rechtfertigt aber nicht alles. Also, bei Venthas feuchtem Schoß, spring nur ein einziges Mal über deinen verdammten Schatten und hör auf sie! Hör ihr zu! Sie ist nicht dein Feind und keine Kontrahentin. Und ich auch nicht."

Madiha blinzelte zu ihm hinauf. Sie starrte Caleb regelrecht an und wusste im ersten Moment gar nicht wirklich etwas damit anzufangen. Dass er für sie in die Bresche sprang hatte sie bereits erleben dürfen, aber so deutlich? Reichlich abgelenkt von den Worten, entriss Azura ihr die Feder etwas zu ruppig, doch Madiha konnte nur noch verzögert zu ihr schauen. In ihrem Kopf hallten die Worte wider. Sah Azura sie wirklich so? Sie musterte das verärgerte Gesicht der Adeligen, ehe Caleb die Verbindung löste, weil er sie hochhob. Madiha hockte noch einige Sekunden verzögert da, ehe auch sie sich erhob. Sie sah den beiden nach. Hielt Azura sie für minderwertig und glaubte, sie brauchte nicht mit ihr etwas zutun zu haben? Es schmerzte, es so deutlich zu hören. Denn auch wenn sie durchaus die Ablehnung gespürt hatte, hatte sie nicht verbalisiert, dass Azura sie tatsächlich geringschätzte. Gut, dafür hätte die Rothaarige mit ihr sprechen müssen… anstatt sie wie eine Leibeigene zu behandeln. Aber so bitter die wahrhaftige Erkenntnis auch war, so durfte sie sich sicher sein, dass Caleb es nicht so sah. Dass er nicht glaubte, sie wäre weniger wert, so, wie sie es eben selbst manchmal noch aus ihrem bisherigen Leben geboren, glaubte.
Der Dieb war es auch, der sie wieder aus ihren Gedanken holte. Er nickte ihr zu, sodass Madiha ebenfalls zum Bett kam und auf der Seite Platz nahm, die sie bereits für ‚ihre‘ auserkoren hatte. Stillschweigend beobachtete sie die bösen Blicke, die Azura Caleb zuwarf und konnte nicht verhindern, dass sich ihre Finger in das Laken krallten. Irgendwann war doch mal genug… Zudem kam erneut eine gezischte Botschaft über ihre Lippen, die Madiha aber wieder nicht verstand. Auch das ärgerte das Mädchen etwas, denn es war wie eine Geheimsprache, die sie ausschloss. Trotzdem beobachtete Madiha lediglich, wie die Adelige das Pergament an sich nahm und in eine Pose kam, die ihr das Schreiben erleichtern sollte. Halbwegs fasziniert, betrachtete sie die Haltung der Feder, die Augen, die über das Geschriebene flogen. Madiha konnte das nicht. Sie hätte vermutlich nicht mal den halben Sinn hinter all den Worten verstanden, wenn Corax sie ihr nicht in den Kopf gepflanzt hätte. So gelang es Madiha auch nicht, die Worte auf die Schnelle und Entfernung zu entziffern, sodass sie Caleb einen fragenden Blick zuwarf, ob Azura es tatsächlich versucht hatte. Dann aber sah sie das Gemalte und die Buchstaben, die die Adelige in die Mitte platzierte. Stirnrunzelnd betrachtete sie das. Was war das für ein Symbol? Unverständnis zeigte sich auf ihrem Gesicht. Woher sollte jemand wie Madiha wissen, dass das ein Herz darstellte? Und die Symbolik bedeutete, dass jemand verliebt war? Das Mädchen wandte den Blick von dem Pergament und rieb sich einmal über die brennenden Augen. Sie spürte, ebenso wie Azura, dass die Müdigkeit sich ihrer bemächtigte. Ein kleines Niesen unterdrückte sie mit ihrem Handrücken, ehe es sie fröstelte. Dann erhob sie sich noch mal und kehrte zu dem Tisch zurück. Sie hob die heruntergefallenen Rollen auf, legte sie sorgsam auf den Tisch zurück und hob dann ihre Decke auf. Sie kehrte damit zum Bett zurück und legte die Decke hinauf. Fragend sah sie noch mal zu Caleb. Würde er sich in die Mitte legen wollen? Sie würde warten, bis er an ihrer Seite eingestiegen war, sodass er weder über Azura noch Madiha klettern musste. Dann würde auch sie sich endlich nach der Horizontalen sehnen, die ihr vielleicht ein wenig Widerstandskraft zurückgab, für das, was bald folgen würde…
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Montag 16. Januar 2023, 14:01

An einem undefinierten Ort zu undefinierter Zeit:
"Hör auf zu weinen."
"Ich kann nicht. Es ist alles so unendlich traurig."
Ein Seufzen. "Wenn du so weitermachst, tritt das Wasser über die Ufer und deine geliebte Hafenstadt wird überschwemmt werden. Möchtest du das riskieren?"
Schniefen. Ein Kopfschütteln. "Nein."
"Na, siehst du. Trockne deine Tränen, das wird schon wieder. Wenigstens bleibt es interessiert. Ich schaue gern zu."
"Mir wäre lieber, du würdest auch mal eingreifen."
"Und du tust es zu oft. Gut, dass man dir endlich mal einen kleinen Riegel vorgeschoben hat. In letzter Zeit trittst du uns allen zu häufig auf. Dadurch verlierst du das Mystische, das Höhere."
"Aber..."
"Schluss jetzt! Mein Bruder verliert schon das Interesse an dir."
Ein entsetzter Blick. "Tut er?"
"Vielleicht solltest du mal nach ihm sehen. Er schläft noch. Weck ihn aber nicht zu früh. Noch bin ich dran."
"Dann nutze gefälligst mal deine Zeit! Im Gasland hilfst du auch nicht, obwohl eine zu dir gebetet hat!"
"Mir erschienen die Handlungsbedingungen einfach nicht gut genug."
Verächtliches Schnauben. "Und hier? Würdest du hier auf einen Handel eingehen?"
"Ich sehe kein Opfer."
"Ich sehe eins ... es ist immens ... und wenn der letzte Teil verloren geht, wird auch mein Sehnen enden."
"Weil du nicht mehr kriegen kannst, was du willst?"
Schweigen.
"Na schön, ich helfe. Ein bisschen. Ein Traum kann nicht schaden..."
Ein dankbarer Blick aus verweinten Augen.

Andunie:
Caleb war ein Felsmassiv. Er ragte aus Azuras launischen Wogen heraus und ließ sich auch dann nicht von ihr beeindrucken, wenn ihre Wellen mit bösen Blicken gegen seine Form schlugen. Er tat, wasn nötig war, aber er wurde recht still dabei. Es war nur zu diesem einen kleinen Ausbruch gekommen und auch nur, weil er dabei Madiha verteidigt hatte. Bei Kommentaren oder kalten Blicken in seine Richtung schwieg er bisweilen, aber er machte immer noch weiter. Selbst jetzt setzte er die Adlige mit Vorsicht auf dem Bett ab. Er reichte ihr die große Überdecke und eines der Kissen, während sie sich in die hinterste Ecke ihrer ausgesuchten Bettseite zurückzog.
Caleb beobachtete es kurz. Dann seufzte er, schüttelte den Kopf und hielt sich mit Kommentaren zurück, wenngleich er Azura gern noch einmal dazu aufgefordert hätte, endlich ihre Nachricht an Corax zu schreiben. Tatsächlich trieb ihn kaum mehr der Wunsch an, der störrischen Adligen zu helfen. Sie konnte anders sein, ohja. Er hatte es erlebt und durchaus wertgeschätzt. Aber viel zu selten trat ihre ehrliche Persönlichkeit hervor. Viel zu oft war sie verwöhnt, delegierte von oben herab, obgleich auch sie mit den anderen am Boden im Matsch saß. Aber der Dunkelelf liebte sie und zu ihm hatte Caleb inzwischen wesentlich mehr Sympathien aufbauen können. Er fehlte. Er würde Azura brauchen, wenn er zurück käme. Deshalb tat er es. Deshalb machte er weiter. In Gedanken traf er aber schon andere Entscheidungen, andere Wege. Sein Blick wanderte zu Madiha. Wenn der Rabe sich eine neue Herrin suchte, wäre es sogar einfacher, die Bande zu lösen und ohne die Andunierin und ihn weiterzumachen. Caleb wollte beide nur noch in Sicherheit wissen. Dann würde er wieder den Weg gehen, bei dem er frei wäre. Er würde gehen. Und er würde Madiha mit sich nehmen.
Es musste nicht immer zwangsläufig zu einem Wutausbruch kommen. Es musste nicht immer laut werden. Geduld konnte auch stillschweigend enden und dass Caleb so still geworden war, konnte man bei dem sonst so Sprüche klopfenden Gesellen eher als Alarmsignal sehen. Er nickte Madiha auffordernd zu. Nein, sie brauchte sich nicht länger um Azura zu kümmern. Die hörte ihr ohnehin nicht zu. Aber sie war deutlich jene, die am meisten durchgefroren war und so wünschte Caleb sie ebenfalls ins Bett. Madiha kam diesem Wunsch nach. Sie platzierte sich auf ihrer Seite, kaum dass sie ihre Decke geholt hatte. Beide Frauen hockten nun nahe einer der Bettkannten, so dass zwischen ihnen genug Raum war, um auch optisch eine Schlucht zu schaffen. Caleb schüttelte die Stiefel von seinen Füßen und kletterte über Madiha hinweg, bis er zwischen ihnen saß. Er füllte diese Schlucht aus, ob sie beide wollten oder nicht.
Die große Bettdecke wurde aufgewirbelt und zumindest über die Füße der drei gelegt. "Ich für meinen Teil werde jetzt versuchen zu schlafen, damit ich morgen genug Kraft und Konzentration aufbringen kann, nach Corax zu suchen." Damit legte er sich hin, ohne Kopfkissen. Azura hatte eines und Madiha erhielt das andere. Zusätzlich bekam sie noch die bessere Hälfte von Caleb zu sehen, denn er drehte sich mit dem Gesicht ihr und mit dem Rücken Azura zu. So schaute er nicht hin, was sie schrieb und Madiha saß wohl zu weit weg, um die wenigen Buchstaben entziffern zu können, die ihr vielleicht bereits etwas vertraut waren. Das Herz aber dürfte sie erkennen, nur welche Symbolik es im Kontext besaß, blieb ihr teils ein Rätsel. Caleb kümmerte sich überhaupt nicht mehr darum. Er hatte schon die Augen geschlossen und versuchte, die Gedanken beiseite zu schieben, die ihn am Einschlafen hinderten. Schließlich schob sich ein Arm zu Madiha herüber. Erst zaghaft, dann entschlossen. Er legte seine große Pranke auf sie, umschlang sie sacht und deutete an, sie dicht an seinen nackten Oberköprer zu ziehen, der noch immer mit der eigenen Wärme lockte. Azura erhielt seine kalte Schulter ... und den Rücken ... und seinen Hintern, bei dem man zugeben musste, dass er wohlgeformt war.
Sie jedoch konzentrierte sich auf die Nachricht an ihren Raben. Er musste sie einfach irgendwie lesen! Sie öffnete sich ihm so sehr wie nie zuvor. Hatte sie seine Gefühle überhaupt jemals erwidert? Hatte sie ihm je gesagt, dass sie ihn liebte? Einmal ... in Nogrot, tatsächlich. Da hatte er ob der Prügelattacke durch die Zwerge im Fieber gelegen und sie gefürchtet, er würde es nicht überstehen. Da hatte er sie angefleht, es ihm zu sagen und sie war dem nachgekommen, aber waren ihre Worte ernst gewesen oder nur Mittel zum Zweck, damit er durchhielt? Wie sah es jetzt aus? War ihr Nachricht echt oder erneut nur Methode, damit er Kraft daraus schöpfte, bis sie ihn gefunden hätten? Wie auch immer, sie waren geschrieben. Die Andunierin hatte alles getan, was ihr in den Sinn kam, um ihm diese Nachricht zukommen zu lassen. Ihr Körper erkannte das und forderte nun seinen Tribut. Auch Madiha kämpfte nicht länger dagegen an. Als hätte ihnen beiden jemand Sand in die Augen gestreut, der sie schläfrig machte, glitten sie fast zeitgleich in Manthalas Reich hinüber. Und die Göttin empfing sie ...

Ein Gewand aus Schwärze. Sie trieb darauf, getragen nur von einem Boot aus Papier. Es könnte jederzeit in den Falten untergehen. Sie war nicht allein. Neben ihr saß eine vertraute Gestalt. Niemand, dem sie unbedingt Sympathie gegenüber empfand und doch hatte man das gleiche Ziel. Wie aber sollten sie beide es erreichen? Madiha und Azura trieben gemeinsam auf diesem Stück Pergament umher, auf dem die Nachricht an Corax verfasst war und das Gewand wandelte sich langsam in Flüssigkeit. Es blieb schwarz, war aber kein Wasser. Schwer wie Teer schwappte es über die Ränder des Pergaments, verklebte sie und roch nach trostloser Verzweiflung. Nach Leid.
Ich bin Leid.
Nimmermehr werde ich etwas Anderes sein.
... Nimmermehr ...

Corax' Stimme war schwach, hallte aber in den Köpfen beider Träumenden wider. Wie konnten sie diesen Traum gemeinsam erleben, wie wissen, dass es eben ein solcher war? Die Antwort erhielten sie nicht, wohl aber das Bewusstsein, dieses Mal nicht durch Manthalas Reich aus Bildern, Tönen und Eindrücken geworfen zu werden wie es sonst im Schlaf der Fall war, sobald die Göttin einen besuchte. Sie waren bewusst hier. Sie spürten das sanfte Schwanken ihres Papierbootes auf den Wellen aus Verzweiflung und Kummer. Nur wo steckte Corax?
Da vorn! Da war er oder das, was von ihm noch nicht in diesem Meer untergegangen war. Sein Gesicht erkannte man nur durch das sanfte Glimmen der roten Augen und weil sein Haar sich etwas von dem zähflüssigen Teer abhob. Es war nur noch sein Gesicht, das aus der Masse heraus ragte, weit genug, dass er atmen und in die trostlose Schwärze über sich blicken konnte. Er füllte das Meer mit seinen Tränen. Schwarze, schwere Tropfen, die unablässig rannen. Er weinte sie, weil er nicht mehr wusste, was er sonst noch tun sollte. Er fühlte dabei auch längst nichts mehr. Er wartete nur noch, dass er in seinem Kummer ertrank.
... nimmermehr ...
Plötzlich erfüllte eine Stimme den Nachthimmel. Sterne blinkten zusammen mit den gesprochenen Silben auf. Sie strahlten und besaßen den harmonischen Klang, der schon im sanften Schwingen der Stimme selbst zu hören war. Azuras Stimme.
Ich liebe dich, Corax. Du fehlst mir.
"... Azura?" Das Rot seiner Augen funkelte auf, suchte den Himmel ab. Er suchte nach den Sternen und konnte sie doch nicht mehr fassen. Die klebrigen Tränen versperrten ihm die Sicht. "... ich bin bald bei dir", versicherte er ihr und atmete tief durch. Sein Gesicht sank etwas tiefer in das Meer, das ihn zu verschlingen drohte. Er wartete darauf, im Tod mit jener vereint zu sein, die ihm voraus geeilt war. Er wartete und gab auf.
"Nicht doch. Du willst gehen, nun da ich dich gefunden habe?" Das war nicht Azuras Stimme, wenngleich jene einer Frau. Sie kam der Träumenden auch irgendwie bekannt vor, doch konnte sie ihren Ursprung nicht ganz greifen. Noch nicht. Es reichte aus, dass Corax noch einmal die Augen öffnete. Erkennen blitzte darin auf ... und ... Furcht.
Die Frauenstimme aber streichelte ihn, umschmeichelte ihn und sie bediente sich etwas, das hier vorhanden war. Ein giftiger Blick traf das Boot. Azura würde nun erkennen, wem er gehörte. Sie erinnerte sich an diese kalten Augen, welche noch schwärzer waren als ihre Seele und in denen nur einmal ein Funken aufgesprüht war, damals, als sie Azura ihre brennenden Hände ins Gesicht gedrückt und sie ins Reich der Toten befördert hatte. Serpentnis Mortis tauchte als schwebendes Gesicht am Nachthimmel auf. Eine viel zu große Hand mit gespitzten Fingernägeln fuhr über Azura und Madiha hinweg und brachte ihr kleines Boot zum Schwanken. Das Teerwasser schwappte hinein, verklebte ihre Beine und und Füße. Mit einer Fingerspitze aber löste Serpentis die übrige Botschaft an den Raben vom Papier. Sie tanzten um ihre Finger. Einige der Buchstaben forment sich neu. Es blieb nur noch das Herz mit "A + C" im Zentrum auf der Seite des Bootes bestehen. Serpentnis hingegen streckte ihre Hand nun nach oben in den Himmel hinein. Sie langte nach den Sternen, die Azuras Liebesbotschaft gebildet hatten und legte sie sich wie Juwelen um den Hals, steckte sie in ihre Ohren und strahlte Corax damit an. Er musterte sie.
"Ich liebe dich, Corax. Du fehlst mir." Serpentnis lächelte ihn mit Azuras Worten auf den Lippen an.
"Niemand liebt mich", erwiderte der Rabe. "Ich bin Leid."
"Nein, mein Liebling. Du bist genau derjenige, den ich brauche. Komm zurück zu mir, mein Lieber." Die Buchstaben, welche eben noch um ihr Handgelenk getanzt hatten, flogen in ihren Mund. Sie lächelte, bewegte sie mit ihren Zähnen und hauchte sie Corax dann entgegen. Azuras Worte, leicht verändert. Aus ihrem Mund.
"Morgen ... wenn der Regen nachgelassen hat, komm zu mir in meinen neuen Palast ... in die Akademie der Wassermagie. Ich warte dort. Im Hof. Ich vermisse dich so sehr..."
"Niemand vermisst mich...", erwiderte der Rabe, dass ein noch dickerer Schwall schwarzer Tränen ins Meer hinein tropfte. Serpentis' Gesicht kam ihm ganz nahe. Sie küsste seine Lippen. "Oh doch. Ich vermisse dich, meinen Sklaven. Meinen Soldaten. Meinen widerlichen Schuft."
Corax ächzte und sein Gesicht ging für einen Moment unter. Als er wieder auftauchte, hielten ihn Schlieren seines Meeres, so dass nur noch Mund, Nase und Augen frei davon waren. "Ich liebe dich, Corax. Du fehlst mir", wiederholte die dunkelelfische Hexe Azuras Botschaft. Dann streckte sie ein weiteres Mal die Hand nach dem Boot aus. Dieses Mal riss sie ein Loch in die Seite, so dass Teer bereits den Grund füllte und langsam an Madihas und Azuras Beinen empor schwappte. Den Papierfetzen aber zog Serpentis an sich heran. Sie drehte ihn um und zeigte ihn vor. Corax' Augen weiteten sich, als er A + C, umrahmt von einem Herzen sah. Er ächzte Herz zerreißend.
"Genau das ist es, was du tun musst, mein Lieber. Löse dich, gib es auf und komm zu der einzigen, die dich je geliebt hat. Vergiss diese falschen Hoffnungen. Du weißt es doch besser. Du bist Leid. Aber ich, ich liebe Leid. Befreie dich vom Schmerz und komm zu mir. Alles, was du tun musst, ist, das Herz zu zerreißen."
Corax wimmerte. Er bewegte sich im Wasser, dass der Wellengang zunahm. Madiha und Azura wurden nur noch mehr in ihrem kleinen, leck geschlagenen Boot umher geschüttelt. Sie konnten nichts tun, außer zusehen. Sie sahen, wie Corax eine von Teer klebrige Hand aus der Tiefe streckte und ... die letzten Bande löste. Er griff nach dem Papier. Er riss es entzwei. Die Herzhälfte mit dem A landete im Meer und versank. Er japste, weinte auf.
"Nana, ist ja gut, mein Lieber. Du hast das Richtige getan. Das war kein Fehler. Ich liebe dich dafür ... und jetzt komm zu mir."
"Ja..."
Der Teer sank. Er sickerte in den Boden, hinterließ aber eine klebrige, trostlose Landschaft. Corax stand inmitten dieser Welt aus Kummer. Er selbst trug ihr Gewand, ebenso wie seine farblose Umgebung. Dass er Madiha udn Azura gerade vor einem Tod im Traum gerettet hatte, bemerkte er nicht. Er schaute nicht einmal in ihre Richtung. Er hob den Kopf an und sah nur zu Serpentis, die im glitzernden Licht von Azuras Liebesbotschaft aus Sternenjuwelen farbig erstrahlte. Sie lächelte ihrem wiedergekehrten Soldaten, ihrem Sklaven, entgegen. "Natürlich ... muss es eine Strafe geben. Das verstehst du doch?"
"Ja..." Corax senkte den Kopf. "Danke, dass du mich bestrafst."
"Ein paar Peitschenhiebe werden hierfür nicht ausreichen. Ich muss mir deiner bedingungslosen Loyalität gewiss sein, mein Lieber. Es fordert ein größeres Opfer. Etwas Endgültiges. Komm, reich mir deine Hand und schwöre mir ewige Treue."
Corax trat einen Schritt vor. Er streckte seine Hand der dargebotenen von Serpentnis entgegen. Sie ergriff diese und riss daran.

Ein Schrei riss Madiha und Azura gleichzeitig aus dem Schlaf. Licht durchflutete das Zimmer, in dem sie die Nacht zu dritt in einem Bett verbracht hatten. Der Regen hatte aufgehört, Andunie strahlte ihnen mit Lysanthors morgendlichem Lächeln entgegen. Der Ofen war inzwischen beinahe aus, nur noch ein Rest Glut glomm in der Asche. Im Tageslicht tanzte Staub durch den Raum, der jetzt friedlich und fast schon einladend wirkte. Es passte ganz und gar nicht zu dem Schrei mit Corax' Stimme, welcher die beiden Frauen geweckt hatte und den doch sonst niemand hörte. Denn Caleb schlief noch. Die Stimme des Raben dröhnte nicht erschreckend laut und voller Pein durch seinen Kopf. So sah er nicht das Pergament bei Azuras Beutel, das sich nun aufrollte und von dem ein großer Teil wie von einem schartigen Messer geschnitten schlagartig abriss. Rote Tinte - nein, es war Blut! - spritzte aus den Kanten des Papieres, sprenkelte den nahen Schreibtisch, die anderen Pergamente und den Beutel. Dann floss es und verteilte eine immer größer werdende Lache auf dem Boden. Corax schrie noch lauter in den Köpfen der beiden Mädchen. Es klang schmerzhaft, voller Pein und Angst. Dann verebbte es langsam und auch der Blutfluss des Papieres endete. Schließlich war alles still.
Ein neuer Morgen begrüßte Andunie, die Küstenstadt.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Montag 16. Januar 2023, 21:08

In diesem einen Moment der Schwäche, da hätte der Beginn eines Bandes zwischen den beiden Frauen geknüpft werden können. Tatsächlich war Azura genau jetzt dazu bereit gewesen, indem die Nachricht an Corax dieses Bindeglied hätte darstellen können. Doch bevor es zu mehr als einem ersten, zögerlichen Nicken hatte kommen können, hatte sich Van Tjenn eingemischt und damit prompt verhindert, was er mit seinen Worten eigentlich erreichen wollte. Mehr noch, er reizte sie mit seinen Taten und führte ihr vor Augen, als was er sie eigentlich sah.
Dahin war dieser eine, erwünschte Moment, und ehe sie ihren Willen kund geben konnte, hatte er sie schon ins Bett verfrachtet. Nichts, was sie willkommen hieß, aber aus konnte sie nicht.
Somit ging sie den anderen Weg, zog sich in die Ecke zurück und machte sich klein, um auf diese Weise zu symbolisieren, dass sie keinen weiteren Kontakt wünschte. Auch wenn das nicht für ihren Raben galt, denn für ihn nahm sie die Schriftrolle entgegen und rang sich zu einer Botschaft aus tiefstem Herzen durch. Erneut floss eine Träne ihre Wange herab, während sie schrieb, und sie betete zu Ventha, dass diese Nachricht ihn erreichen... ihm helfen würde.
Als es jedoch geschafft war, da war auch sie erschöpft, so sehr, dass an einen weiteren Kampf gegen den Schlaf nicht mehr zu denken war. Allerdings blieb sie demonstrativ sitzen und vermied jeden Blick zur Seite, der ihr letzten Endes doch nur ins Herz geschnitten hätte, auch ohne sehen zu müssen, was ihr verwehrt blieb.
Sie war allein, unendlich allein. Nachdem sie so darum gekämpft hatte, diesen einen falschen Schritt rückgängig zu machen, war ihre Belohnung die Einsamkeit. Kälte kroch ihr die Glieder hoch und wurde von der eisig kalten Schriftrolle in ihren Fingern noch zusätzlich verstärkt, obwohl sie diese an ihre Brust drückte und auf diese Weise versuchte, ihre eigene restliche Wärme hinein zu schicken, zu ihm zu schicken. Da half ihr auch nicht die Überdecke, die in ihrer Griffweite lag und die sie bereits bis unters Kinn gezogen hatte. Sie fror innerlich und das würde so schnell nicht ändern.
Und dennoch, irgendwann verlor auch sie jenen Kampf gegen die Müdigkeit, sodass sie in ihrer sitzenden Position den Kopf gegen die Wand lehnte und die Augen schloss. "Corax...", wisperte sie noch, ehe ihr Geist der Wirklichkeit entglitt.

Als sie gefühlt die Augen wieder aufschlug, befand sie sich nicht länger in dem kleinen Zimmer der Herberge. Sie saß in einem seltsamen Boot, das aus Pergament geformt worden war, wie sie mit einem Streichen ihrer Finger feststellen konnte. Darin trieb sie auf Schwärze, unendlicher, trostloser Schwärze, die sie fröstelnd die Schultern hochziehen ließ. Auch schlang sie ihre eigenen Arme um sich und sah sich um, doch sie konnte nichts erkennen. Nichts, bis auf... auf die Gesellschaft, die sie in dem Boot hatte.
Ihr Mund öffnete sich, sie wollte etwas sagen, aber... sie schloss ihn unverrichteter Dinge wieder. Was hätte sie auch von sich geben sollen? Dass sie allein sein wollte? Dass die andere sich zu ihrem alten Knacker scheren und ihr nicht länger demonstrieren sollte, was sie niemals wieder haben würde, weil sie nicht mehr nur innerlich für ein Monster gehalten wurde? Oder dass sie sich unendlich verloren fühlte und Angst um ihren Raben hatte? Was nützte es denn? Van Tjenn hatte ja schon vor ihrer Botschaft deutlich gemacht, was sie war, und dass er ihr keine Erwiderung darauf gegeben hatte, wurde ihr erst jetzt so richtig bewusst. Ausgerechnet er...
Sie biss sich auf die Unterlippe, so fest, dass sie einen kleinen, scharfen Schmerz gefolgt von einem leicht metallischen Geschmack wahrnehmen musste. Im selben Moment erklang eine vertraute Stimme, die sie leicht zusammen zucken und aufsehen ließ. Suchend glitt ihr Blick durch die Schwärze nach jenem einen, der sie gehörte.
Es dauerte, bis sie ihn dann doch noch entdeckte. Sofort wollte sie ihn, ungeachtet der angsteinflößenden Situation, laut und deutlich seinen Namen rufen, wollte ihm winken, sogar aufstehen, wenn ihr das möglich gewesen wäre. Im Endeffekt aber geschah... nichts. Es war, als wäre sie sowohl ihrer Stimme beraubt worden, als auch festgeklebt in dem kleinen Boot. Ihre Augen weiteten sich erschrocken und sie ruckelte an ihren Händen, glaubte sie. Dennoch erreichte sie damit keine Veränderung. Somit war sie gezwungen, der Szene zu zusehen, mit offenen Augen wahrzunehmen und hilflos zu sein, wie ihre Botschaft bei ihm ankam... und wie diese in Folge dessen verzerrt und missbraucht wurde.
Stumme Tränen traten ihr in die Augen, schwappten über und liefen ihre Wangen herab, während sie das Gefühl hatte, ihr würde das Herz entzwei gerissen werden. Sie wollte so dringend zu ihm, wollte ihn rufen, ihm verdeutlichen, dass er gerade einen Fehler beging. Dass sie wieder lebte, dank ihm, für ihn! Dass er sich vor diesem Biest, das sich ihrer Worte bediente, nicht blenden lassen sollte.
Stattdessen musste sie weiterhin hilflos miterleben, wie ihr Rabe in sein Unglück lief. "Nein...", kam ihr ein gehauchter Laut endlich über die Lippen, nur bedauerlicherweise viel zu leise, als dass sie sich damit hätte Gehör verschaffen können. Mehr noch, das Boot wurde beinahe zum Kentern gebracht und obendrein dezimiert, als ihre Botschaft gestohlen wurde von der riesigen Klaue, die nur einer Person gehören konnte.
Anhand der Augen hatte sie diese Hexe erkennen können... müssen. Denn schon einmal hatte sie diesem Weibsbild in diesen kalten Blick gestarrt und auch damals war er dabei gewesen. Was danach geschehen war, entzog sich weiterhin ihrem Gedächtnis, nicht jedoch die Tatsache, dass sie daraufhin mit einem goldenen Kettchen um ihr Handgelenk aufgewacht war. Jene Kette, die sie so lange an ihn gefesselt hatte.
Wo war sie nun? Könnte sie diese denn nicht auch spinnen? Nein, ihre Magie entstammte dem Element Wasser und davon gab es hier keines... bis auf ihre Tränen und diese waren zu gering, als dass sie damit etwas hätte bewirken können. Aber es wurde noch schlimmer, viel schlimmer.
War es schon grauenhaft, ihre eigenen Worte verzerrt hören zu müssen, so kam nun der Gipfel dessen, als ihr gekritzeltes Herz mit der eindeutigen Botschaft darin aus dem Boot gerissen und mit einer klaren Aufforderung an Corax weiter gereicht wurde. "Tu es nicht!", bat sie tonlos und mit absoluter Verzweiflung.
Doch er... er hörte sie nicht. Nein, er griff danach... und zerstörte, was sie hatte verbinden wollen. Aufschluchzend sank ihr Kopf herab und sie konnte nur noch lautlos weinen. Wäre sie nicht von dieser ekelhaften, teerartigen Masse festgeklebt an ihrem Platz, sie hätte sich womöglich ein weiteres Mal über Bord geworfen, um zu versinken.
So sah sie nicht mehr direkt, was geschah und wie er die Hand der Falschen ergriff. Und dennoch wusste sie, dass es geschah, wusste jedes Detail, als hätte sie diese Geschichte sich selbst erdacht. Ein Alptraum, wie er schlimmer kaum hätte sein können...

Plötzlich war sie wach und riss die Augen auf, als ein Schrei sie aus diesem Horror von Traum herausholte. Im ersten Moment war sie desorientiert und konnte obendrein kaum etwas erkennen, derart zugequollen waren ihre Augen, während ihre Wangen noch tränenfeucht sich anfühlten.
Erneut ertönte dieser gequälte Laut und ihr Kopf ruckte nun herum, bis sie die Quelle dieser Pein ausmachen konnte. Sie rieb sich über die brennenden Augen, deren Lider so dick waren, dass sie diese kaum offen halten konnte. Wie gut, dass nirgendwo ein Spiegel in der Nähe war, ein Blick hinein hätte sie mehr als entsetzt!
Eine Schriftrolle hatte sich geöffnet und... und zerfiel! Mehr noch, rote Flüssigkeit bildete sich darauf und tropfte zu Boden, derart viel war davon plötzlich vorhanden. Es bildete sich eine Lacke, die immer größer und größer wurde, gemeinsam mit der gepeinigten Stimme, die ihr im Kopf dröhnte und zugleich die letzten Tropfen Alkohol ätzend die Speiseröhre hinauf presste. Azura musste würgen.
Doch ehe ein Unglück dieser Art geschehen konnte, war es mit einem Mal still. Totenstill, während ihre Ohren gefühlt noch immer klingelten vor seinen Lauten. "Nein...", wisperte sie und fühlte, wie ein Zittern sie durchlief. Eines, das immer stärker wurde und schließlich in einem weiteren Schrei gipfelte. Dieses Mal allerdings kam er von ihr und war der Beginn von hektischen Befreiungsversuchen von der Decke.
Sobald sie das geschafft hatte, kämpfte sie sich aus dem Bett, nahm keinerlei Rücksicht auf den schlafenden Kapitän neben sich, und hatte nur eines im Sinn. Sie musste zu ihm, jetzt, sofort, so schnell wie möglich! "Corax!", rief sie aus, eilte zur Tür... und vergaß dabei vollkommen, dass vor wenigen Stunden erst abgesperrt worden war, um ihrer Sicherheit willen. So griff sie nach der Klinke, drückte sie herunter und prallte mit derart viel Schwung gegen das Holz des Türblattes, dass sie es schaffte, dass ihr gesamter Arm sich im ersten Moment vor Schmerz wie taub anfühlte, ausgehend von der dazugehörigen, nun lädierten Schulter.
Ein lautes, gequältes Schluchzen entrang sich ihrer Kehle und raubte ihr zeitgleich die notwendige Energie für jede weitere Tat. Stattdessen sank sie kraftlos, als hätte man einer Marionette die Fäden zu ihren Spielkreuzen gekappt, an der Tür zu Boden und wurde von einem Weinkrampf regelrecht durchgeschüttelt.
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