Orientierungslos am Hafen

Die größte Handelsstadt Celcias besitzt auch den größten Hafen. Es liegen immer ein paar Handelsschiffe vor Anker und überall wimmelt es von Matrosen oder Fischern. Wer hier auf einem Schiff anheuern will, hat eine große Auswahl.
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Madiha Al'Sarma
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Dienstag 17. Januar 2023, 14:15

Es war stets einfacher, Fehler bei anderen zu suchen als sich selbst einzugestehen, dass man nicht richtig gehandelt hatte. Die unbequeme Wahrheit würde bedeuten, dass man an Ansehen verlor, sich kleiner machte als man sein wollte. Allerdings war das auch ein Weg, der Neues entstehen lassen konnte. Wie nachhaltig auch immer der Impuls hätte sein können, Azura folgte ihm nicht, sondern blieb auf dem Terrain, das sie kannte. Madiha aber war dieses Mal zu abgelenkt von Caleb’s Worten als dass sie hätte etwas merken können. Der Moment verstrich ungenutzt und unbemerkt. Während sich Azura unfreiwillig aber folgsam im Bett so positionierte, dass sie die Nachricht an Corax verfassen konnte, spürte Madiha wie ihr die schlotternde Kälte, die schniefende Nase und die Erlebnisse allmählich die Glieder schwer werden ließen. Das Mädchen beobachtete nur noch abwesend das Geschehen und schafft es nicht mal, einen Blick auf die Zeilen zu werfen, die Azura verfasste. Im Grunde ging es sie auch nichts an. Es sollte ihm nur nachhaltig helfen, ein wenig länger durchzuhalten. Sie fing den Blick des Diebes auf, der äußerst ruhig geworden war. Sicherlich war auch er erschöpft, doch Madiha hatte das Gefühl, dass noch etwas anderes vor sich ging. Das Mädchen nickte kaum merklich auf seine stumme Aufforderung, sich ins Bett zu legen. Sie alle brauchten Schlaf. Und wenn Madiha ehrlich war, brauchte sie auch eine erhebliche Portion Wärme. Sie fror bitterlich. Seit sie Sarma verlassen hatte, trug sie stets nur ein dünnes, viel zu großes Hemd und keine Schuhe. In Sarma war das ausreichend gewesen, doch woher sollte sie wissen, dass es woanders bedeutend kälter war? Sie lebte damit, doch der Regen hatte ihr gehörig zugesetzt. Das Wüstenkind machte sich daran, endlich die Glieder auszustrecken als Caleb behände über sie hinwegkletterte und sich in den reichlich freien Platz zwischen Adeliger und ehemaliger Sklavin legte. Er füllte ihn aus, sodass Madiha sich ebenfalls auf die Seite legte und die Beine anzog. Müdigkeit ließen sofort ihre Lider schwer werden. Träge blinzelte sie nur noch, während Caleb verkündete, er würde jetzt schlafen. Einen Moment lang aber hielt sich Madiha noch auf. Sie betrachtete die geschlossenen Augen und das sich entspannende Gesicht von Caleb. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Züge. Bis sich plötzlich sein Arm vorschob und sie berührte. Madiha sah auf und ein Kribbeln durchfuhr sie. Sie folgte seinem sanften Zug und drehte sich in seine Umarmung hinein, sodass sie mit ihrer Stirn an seiner Brust lehnte und sein Kinn auf ihrem Kopf ruhen konnte. Ihre kalten Finger und Füße vergrub sie unter der Decke, die sie sich bis zur Nasenspitze hochgezogen hatte und schloss die Augen. Es wurde so herrlich warm… und auch wenn eine feine Röte ihr Gesicht zierte, lullte der gleichmäßige Atem sie ein, ebenso wie die Wärme, die sich unter der Decke ausbreitete, sodass sie schnell alles weitere vergaß und in Manthalas Reich hinüberglitt.

So schwer und bleiern, wie sich Madiha fühlte, hätte sie nicht geglaubt, dass sie träumen würde. Allerdings stellte sie schnell fest, dass die Erlebnisse nachhaltig genug waren, um Bilder zu erzeugen. Im ersten Moment brauchte sie Zeit, sich zu orientieren. Sie spürte das Schaukeln und wurde sich der unsicheren Schwimmunterlage bewusst, die ihr als Boot diente. Mit wachsendem Entsetzen erfasste sie die Szenerie und erkannte das klebrige, pechschwarze Gewässer. Und sie erkannte die Pergamentrolle. „Was…!?“, entkam es ihr erschrocken. Sie drehte ihren Kopf und entdeckte Azura. Erneut öffneten sich ihre Lippen. Das war doch kein Traum! Es fühlte sich so… seltsam echt an?! Fragend blickte sie Azura entgegen, doch sie schien ebenso verwirrt zu sein. Mehr noch, sie schien schneller zu verstehen und die Puzzleteile zusammenzufügen, sodass sie sich auf denjenigen konzentrierte, dem sie das hier zu verdanken hatten. Madiha aber brauchte noch etwas länger. Sie starrte auf das Papierboot und zuckte, wenn die klamme Verzweiflung über die Ränder schwappte. Aber was hatte das zu bedeuten? Und wieso war sie mit der Rothaarigen hier? Madiha verstand nicht und nur langsam fügte sich das Bild in ihrem Kopf zusammen. Plötzlich hallten die Worte des Raben in ihrem Kopf wider. Hatte Azura ihm nicht eine Botschaft geschickt? Ihr wurde das Herz schwer beim Klang und dem Geruch um sie herum. So viel Leid… hatte sie jemals solches Leid empfunden? Trotz allem was ihr widerfahren war…, was an IHR klebte wie schwarzes Pech… so hoffnungslos hatte sie sich bisher noch nie gefühlt. Es gab immer ein Licht, es gab immer ein Aufbegehren. Aufgeben… nein, aufgeben konnte sie nicht. Es würde bedeuten, dass sie die anderen gewinnen ließ. Dass sie die Schatten entscheiden ließ, wer sie war und wie sie endete. Madiha’s Ausdruck wurde finster. Sie suchte den schwarzen Horizont ab und dann entdeckte sie ihn, ebenso wie Azura. Er ertrank.. er ertrank in sich selbst. Madiha griff nach dem Rand der Papierreling und krallte ihre Finger hinein. Doch plötzlich ertönte eine Stimme. Azura! Sie sah auf und lächelte, denn das würde ihm helfen! Hoffnungsvoll sah sie auf den Ertrinkenden. Aber er glaubte nicht... Madiha’s Lächeln gefror und sie schüttelte unwillig den Kopf. „Nein...“, formte sie mit lautloser Stimme. „Nein!“, er verstand die Botschaft nicht. Er glaubte an ein Echo aus vergangener Zeit. Und dann änderte sich alles.

Mit einem Mal erhob sich eine weitere Spielfigur auf dem Schachbrett des Grauens. Die Stimme wurde benutzt, die Worte vergiftet und doch… doch verfehlten sie ihre Wirkung nicht. Das Mädchen aus Sarma starrte die neue Frau an und ein Schauer lief ihr über den Rücken als der Blick das Boot traf. Instinktiv duckte sie sich unter der riesenhaften Hand hinweg, doch die wollte vornehmlich die Textzeilen erhaschen, sodass das Boot klebrig schwankte. Ängstlich hielt Madiha sich erneut fest, obwohl es völlig irrsinnig war, denn auch die Kanten des Bootes waren lediglich Pergament und nicht sehr stabil. Allerdings wollte sie auch nicht in die teerige Masse fallen, denn sie konnte nicht schwimmen und wusste ja nicht was dieses Schwarz anrichten konnte. Entsetzt sah sie auf ihre verklebten Gliedmaßen. Hilfesuchend glitt ihr Blick zu Azura, doch die war ebenso machtlos und erschrocken, wie sie selbst. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als zuzusehen, wie diese falsche Schlange dafür sorgte, dass die Worte, die Azura einzig für ihn zu Papier gebracht hatte, missbraucht wurden. Ständig und immer wurde der Rabe zum Spielball. Er wusste gar nicht mehr in welche Richtung er rollen sollte, denn die Winde kamen aus sämtlichen Richtungen. Madiha hörte die markerschütternden Worte, die ihr die Kälte zurückgaben, die Caleb zu nehmen wusste. Doch ihr Blick lag auf dem ertrinkenden Gesicht von Corax. „Corax…“, versuchte sie, ebenso wie Azura ihn aufmerksam zu machen, doch ihre Stimme hallte nur in ihrem Kopf wider. „Das ist nicht richtig… gib nicht auf!“, bemühte sie sich nachdrücklich, doch erfolglos… die ihr unbekannte Frau schaffte es, dass der Rabe tatsächlich die letzten Bande löste. Dass er wahrhaft glaubte, alles verloren zu haben. Dass ihn nichts hielt. Madiha konnte nur mit wachsendem Entsetzen starren. Hatte denn das kleine Bisschen Freundschaft, welches sie und Caleb aufgebracht hatten, nichts bewirkt? Hatte es sein Denken nicht ein Bisschen beeinflusst, dass er etwas anderes ersehnte als bloß ein Sklave zu sein? Madiha verstand es nicht… Sie hatte geglaubt, ihm helfen zu können, wenn sie sich nur abhob von den anderen. Wenn sie blieb wer sie war und nicht wurde, zu wem auch immer sie gemacht werden sollte. Aber Corax hatte in all den Jahren zu viel klebriges Leid angehäuft. Er konnte nicht mehr schwimmen und mit dem Zerreißen des Herzens, verlor er den Kampf um seine Seele. Madiha öffnete den Mund zu einem stummen Rufen, während das Wasser um sie herum mit einem Mal an Masse verlor. Das Mädchen blickte mit weitgeöffneten Augen auf die Szenerie und die trostlose Landschaft.
Sie starrte auf Corax, der sich seiner neuen Herrin entgegenneigte, um ihre Hand zu ergreifen. „Nein!!“, stieß sie aus und wollte sich nach vorne stürzen, um zu ihm zu gelangen. „Corax!“, doch mehr als ‚nein‘ und ‚Corax‘ blieb ihr nicht. Keiner von ihnen konnte verhindern, was sich abspielte und auch wenn Madiha eigentlich schlief, wusste sie, dass das kein Traum gewesen ist. Es war eine dunkle Vorahnung, ein Fingerzeig, wie schlecht es um des Raben Seele stand.

Plötzlich aber schlug Madiha die Augen auf und fuhr erschrocken aus dem Bett auf. Sie brauchte einen Moment, sich zu orientieren, während sie den Schrei in ihrem Kopf hörte, der ihr die Ohren betäubte und die Sinne raubte. Ihr Atem ging schnell, ihr Herz pumpte, doch das Grauen begleitete sie aus dem wirren Traum. Blut kleckerte auf den Boden des ‚geliehenen‘ Zimmers und schuf eine weitere entsetzliche Vorahnung, die sich ihrer bemächtigte. Azura schien einen Moment früher aufgewacht zu sein, denn sie wetzte soeben aus dem Bett und rannte ohne Sinn und Verstand zur Tür. „Azura warte…! Die Tür ist---“, Madiha zuckte, als die Adelige unschön gegen das Holz prallte und augenblicklich zu Boden sank. Das Sklavenmädchen schwang die Beine aus dem Bett und eilte zu ihr, hüpfte im letzten Moment über das Blut am Boden, dem sie einen entsetzten Blick schenkte. Vor Azura glitt sie in die Hocke und umfasste die Schulter der Adeligen mit beiden Händen. Vorsichtig versuchte sie herauszufinden, ob es wahrlich schlimm war oder sie nur aufgrund der Zurückweisung einer Tür zu Boden ging.
Dann wandte sie ihren Blick zu Caleb und sah ihn mit erschrockenen Augen, die das Grauen zeigten, dessen sie Zeugin wurde, an. „Er wird in die Wasserakademie gehen! Er … er hat die Botschaft nicht geglaubt, er… da war diese Frau, die hat sie… Caleb er hat sich ihr angeschlossen! Er… er ist so ohne Hoffnung, er wird sich ihr ganz und gar opfern. Wir müssen los, wir … er braucht unsere Hilfe!“, versuchte sie irgendwie alles unter einen Hut zu bekommen und war dennoch sichtlich aufgeregt, gar verstört. „Sie hat ihm etwas angetan… das Blut… der Schrei…“, murmelte sie noch und deutete auf die blutende Schriftrolle. „Wir dürfen nicht mehr warten!“, drängte sie nun und spürte erst jetzt, dass sie gar nicht so erholt war, wie sie es hätte sein sollen. Madiha rieb sich die Augen und wirkte dennoch entschlossen. Dann nieste sie wieder und das Frieren kehrte in kleinen Wellen zurück. Allerdings ignorierte sie das und ballte eine Hand zur Faust. „Wie weit, bis zur Akademie? Er muss sehen, dass Azura lebt, dass sie tatsächlich hier ist. Alles andere…wird nicht helfen!“
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Dienstag 17. Januar 2023, 22:37

So unterschiedlich sie auch waren und was auch immer sie bisweilen voneinander hielten, Manthala hatte Azura und Madiha in einem ihrer gesandten Träume geeint, um einen Ausblick auf das Schicksal des vermissten Dunkelelfen zu erhalten. Mit Schrecken mussten die jungen Frauen feststellen, wie viel Leid diese Seele doch in sich trug, wenn sie damit einen ganzen Ozean aus schwarzem Teer schaffen konnte und wie sehr immer wiederkehrende Muster an ihm fest klebten. Da half auch eine freundliche Geste durch eine neue, liebenswerte Herrin nicht aus, um sich von heute auf morgen davon zu lösen. Vor allem dann nicht, wenn diese Seele sich missverständlich verstoßen fühlte. Oder allein, weil sie glauben musste, die einzige Person verloren zu haben, für die sie jemals echte Liebe empfunden hatte. Sein Leben lang war Corax in dieser schmutzigen Brühe aus Kummer getreten, gewatet und schließlich auch geschwommen. Irgendwann versagte die Kraft. Nicht jeder besaß die Willensstärke, immer wieder aufzustehen. Nicht jeder war mit genug Trotz gesegnet, um gegen das Aufgeben anzukämpfen.
Elfen konnten alt werden. Weder Azura noch Madiha hatten erfahren, wie alt Corax eigentlich war. Sie mochten Szenen seines Lebens in anderen Träumen schon gesehen haben, doch auch das waren nur Bruchstücke der Jahre, die er schon auf Celcia verbrachte. Wie lange schwamm er schon in diesen Gewässern, die drohten, ihn in die Tiefe zu ziehen?
Bar jeglicher Hoffnung und offenbar taub für ihr Wispern, Betteln und Rufen ergriff er jeden Strohhalm, der ihm einen Ausweg aus seiner Verzweiflung versprach. Dass dieser Strohhalm in Form von Serpentnis Mortis überdies hinaus auch noch Azuras Liebesbekundungen missbrauchte, kam tausend Messerstichen in ihr Herz gleich. Selbst Madiha erschütterte es zutiefst und so erwachten beide Frauen reichlich aufgewühlt. Aber sie konnten sich von diesen albtraumhaften Ereignissen der Nacht nicht erholen. Für Corax war es noch nicht vorbei und somit auch nicht für jene, an die er sich zumindest seelisch eng genug gebunden hatte, dass eine Göttin Erbarmen zeigte - selbst wenn es eine grausame Methode war, die Manthala da auf sie losließ. Die Schmerzensschreie des Raben hallten noch in ihren Ohren nach, als sie beide bereits das Pergament reißen sahen, sowie die Blutlache sich auf dem Boden verteilen.
Azura riss es sofort aus den Laken. Sie stürzte über den schlafenden Caleb hinweg, der nur ein Ächzen von sich gab. Spätestens als ihm aber auch die kuschlige Wärme in Form von Madihas Körper entzogen wurde, hob er träge den Kopf und blinzelte langsam die Schläfrigkeit aus den Augen. Er hatte sich noch nicht einmal im Bett aufgerichtet, da weckte ihn der hörbare Aufprall Azuras auf die verriegelte Zimmertür aus den letzten Wogen des Schlafes. Die Adlige hatte es zu Boden gestoßen, wo sie sich die schmerzende Schulter hielt. Vielleicht war jene nun geprellt, aber es konnte unmöglich ein Vergleich zu dem sein, was Corax offenbar erdulden musste und das allein bereitete Azura genug Sorge, um hilflos und verzweifelt erneut Tränen für ihn zu vergießen. Vielleicht war es auch sein letzter Schrei, denn mit dem Ausbluten des Pergaments war auch seine Stimme in ihrem Kopf verstummt.
Wo Azura die Hoffnung zu verlieren drohte, da blieb Madiha lediglich alarmiert. Sie glaubte offenbar noch nicht an das allerschlimmste, dennnoch war Eile geboten. Und ungeachtet all dessen, was vorher zwischen beiden Frauen vorgefallen war, stürzte sie zu der Adligen hin und berührte ihre Schulter. Nichts war ausgekugelt, nichts fühlte sich gebrochen an. Verstaucht oder geprellt mochte sie sein, aber das gäbe maximal einen blauen Fleck, der auf ihrer untot wirkenden Haut nun auch nichts mehr ausmachen würde. Damit konnten sie sich nun wirklich nicht allzu lange aufhalten, ebenso wenig wie mit der verschlossenen Tür.
Aber Caleb erwachte langsam, so dass Madiha ihn regelrecht mit Worten überfiel. Er brummte und rieb sich das Haar. Allerdings kam er nicht mehr dazu, sich ausgiebig zu strecken. Er zweifelte nicht an Madihas Glaubwürdigkeit und erkannte die Dringlichkeit in ihren Worten. Daher stand er recht schnell auf und war mit wenigen, ausholenden Schritten an der Tür. Sogar er sank auf ein Knie herab, um kurz nach Azura zu sehen.
"Das wird wieder", meinte er mit prüfendem Druck auf ihre Schulter. Das schmerzte natürlich, aber Caleb schien zu wissen, was er tat. Das galt nicht nur in Berzug auf Azura. "Madi", raunte er ihren Namen im Wissen, dass sie immer ruhiger reagierte, wenn er auf Sendli zu ihr sprach. Mit seiner freien Hand umfasste er eine der ihren, damit sie ihn ansah. "Schau mal, ob du etwas zum Kühlen hier finden kannst. Vielleicht bei Jakub. Notfalls geht herunter in den Schankraum und gebt euch als mitgenommene ... äh ... Unterhaltung von mir aus, falls jemand wegen eures Aufzugs fragt." Er stutzte und musterte Azura kurz. "Oder du gehst allein, wobei ich sie nicht hier zurücklassen will." Er ließ sie beide los und erhob sich, um nach seinen Stiefeln zu suchen. "Ich treibe Kleidung für uns alle auf. Welche, mit der auch Azura unverdächtig durch die Stadt strolchen kann. So lange müsst ihr noch ausharren." Er warf beiden einen eindringlichen Blick zu, nicht ohne ihn loszuziehen. "Danach gehen wir zur Wasserakademie. Wir holen ihn da raus." Caleb sah ernst aus. Er glaubte Madiha, aber da war auch eine Spur von Schuld. Er hatte nichts von dem Traum mitbekommen und doch erinnerte er sich sehr wohl, warum der Rabe plötzlich nicht mehr aufgetaucht war. Jakubs Erzählungen mussten Calebs Träume begleitet haben. Auch er wirkte nicht allzu erholt.
"Und Waffen. Ich treib welche auf. Was braucht ihr?" Er fragte das wirklich, auch Azura, die als Adlige vielleicht die Feder schwang, aber bestimmt kein Messer. Dennoch fragte er. Caleb war sich der Lage mehr als bewusst. Er zweifelte keine Sekunde an Madihas hang zur Eile. Sobald dies geklärt war, entriegelte er die Tür. Das war simpler als die Mädchen in ihrer Hektik erkannt hatten. Sie hätten nur den kleinen Holzschieber beiseite ziehen müssen, um hinaus zu gelangen.
Der Dieb spazierte den Gang entlang zu Jakubs Zimmer, klopfte und wurde nach kurzem Brummen hereingelassen. Er blieb nicht lange, sondern zog sich wohl nur sein Hemd vom Vorabend über, denn bekleidet kam er wieder heraus. Ein letzter Blick fiel auf Madiha und Azura, ehe er die Treppe nach unten nahm. Man hörte einen kurzen Stimmwechsel und zumindest Azura mochte ihn verstehen.
"Heda, wer seid Ihr? Euch hab ich gestern bestimmt kein Zimmer mehr zugewiesen."
"Mir nicht, aber meinem Ersten Maat, Jakub Tauwetter. Sagt dir der Name etwas, guter Mann?"
"Aye, natürlich. Ihr seid sein Kapitän."
"Gewissermaßen. Er hat mir dein Haus empfohlen und ich wollte meinen ... Damenbesuch nicht mit an Bord nehmen."
"Aye, verstehe."
"Für das Zimmer zahle ich, sobald ich zurück bin. Die Frauen brauchen etwas Frischeres zum Anziehen. Es ist gestern noch ... leidenschaftlich geworden. Am besten gehst du erst einmal nicht hinauf, du könntest sie in Verlegenheit bringen."
"Na meinetwegen. Aber wenn Ihr Euch aus'm Staub macht, Herr, dann lass ich Tauwetter die Rechnugn begleichen."
"Ist mir auch Recht!"
Man konnte Caleb Grinsen wahrlich hören. Es folgten eilige Schritte und unten war es wieder ruhig. Dafür trat Jakub nun an de Tür und lehnte sich mit einem Arm gegen den Rahmen. Er musterte erst Madiha, dann Azura und als er unterdrückt aufstieß, stob ihnen eine heftige Alkoholfahne entgegen. "Braucht ihr Hilfe?", fragte er dennoch freundlicher als sein Blick vermuten ließ.

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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 18. Januar 2023, 00:06

Das Erlebte stand dem Grauen an Bord und der Angst um Caleb’s Leben kaum in etwas nach. Madiha war entsetzt von all dem Leid und dem, was Corax erlebt haben musste. Dagegen war ihr eigener Kummer gar nichts, denn das Mädchen erkannte, dass sie noch ihren Funken Lebenswillen besaß. Sie trug noch die Hoffnung in sich und schaffte es, aus all dem Schmerz, den sie selbst jahrelang erduldet hatte, noch etwas Gutes zu formen. Aber Madiha ahnte nichts davon, dass Dunkelelfen und Elfen im allgemeinen erheblich älter wurden als Menschen. Oh, sie ahnte ja nicht, wie viele Jahre, gar Jahrhunderte es für Corax hatte geben können, in denen er sich schmerzhaft und leidend an alles klammerte, das ihm auch nur den Hauch von Leben versprach. Und er war vielleicht sehr viel stärker als man im ersten Moment erkennen wollte. Denn er war noch da. Auch in ihrem Traum oder der dunklen Ahnung war er noch nicht ertrunken. Noch nicht. Einzig die falsche Schlange hatte ihn mit ihren giftigen Worten verführt. Es wäre nie soweit gekommen, wenn er gewusst hätte, dass Azura zu ihm zurückgekehrt war. Madiha’s Entsetzen wurde angereichert mit Wut. Denn wie bereits auf der Blauen Möwe, hatte sie genug davon vor Augen geführt zu bekommen, dass man sich fremden Seelen auf eine missbräuchliche Art und Weise bemächtigte! Nichts anderes tat diese Serpentis! Doch bevor der Funke Wut auch wahrhaftig zünden konnte, wurde Madiha durch den gellenden Schrei und Azura’s kläglichen Versuch loszueilen abgelenkt. Alarmiert sprang sie aus dem Bett, um nach dem Rechten zu sehen. Dabei dachte sie nicht einen Moment an das, was noch am Vorabend geschehen war. Jetzt war nicht der Augenblick dafür. Es ging nicht um sie, es ging nicht um Azura. Sie alle schuldeten es Corax, ihm jetzt beizustehen. Also wandte sie sich an den einzigen Menschen, dem sie selbst ihren Schmerz anvertrauen konnte und wusste, er würde es nicht ausnutzen. Und er enttäuschte sie nicht.

Madiha war überrumpelt von den Geschehnissen, ergriffen von der Bitterkeit dessen, was sie erfahren hatten und bekam kaum ihre Worte sortiert. Für den Dieb musste es seltsam klingen, so als wäre sie wahnsinnig, aber Caleb zweifelte nicht einen Moment an ihr. Im Gegenteil, er brachte die Ruhe, die Madiha nicht in sich finden konnte. Das Mädchen sah auf als er sich zu Azura hinunterhockte und ihren Arm betrachtete. Sie nickte auf seine Aussage hin, dass es wieder würde, doch waren ihre Augen immer noch weit geöffnet und voller Panik, dass sie es nicht rechtzeitig schafften. “Madi“, sprach er sie an und sie erwiderte seinen Griff an ihre Hand als würde sie sich festhalten wollen. "Schau mal, ob du etwas zum Kühlen hier finden kannst. Vielleicht bei Jakub. Notfalls geht herunter in den Schankraum und gebt euch als mitgenommene ... äh ... Unterhaltung von mir aus, falls jemand wegen eures Aufzugs fragt. Oder du gehst allein, wobei ich sie nicht hier zurücklassen will.", sprach er beruhigend und wählte sogar ihre Heimatsprache. Madiha holte tief Luft und er konnte erkennen, dass ihre innere Anspannung allmählich wieder abebbte. Sie nickte immer mal wieder und atmete mehrmals durch. Er hatte Recht. Sie durften nicht blind losstürmen und sich in eine ungewisse Situation begeben. Madiha blickte den Dieb mit einem warmen Ausdruck an. Sie nahm sich die Sekunde Zeit dafür. Es war erstaunlich, wie ruhig er werden konnte, während sie das Gefühl hatte, völlig den Halt zu verlieren. Sie sah ihm nach, während er seine Stiefel suchte.

"Danach gehen wir zur Wasserakademie. Wir holen ihn da raus.", meinte er und sie runzelte kurz die Stirn. Sie meinte da einen Ausdruck in seinem Gesicht zu erkennen, der ihr nicht gefiel. Mehr noch, auch Caleb sah nicht so aus als hätte er besonders gut geschlafen. Sie alle hatten wohl eine schlimme Nacht gehabt und nur das nötigste an Erholung erhalten. Inzwischen hatte sich Madiha erhoben und hätte Azura tatsächlich dabei geholfen, ihr zu folgen, wenn sie es zugelassen hatte. Sie würde sie sogar leicht stützen, sollte sie Schwierigkeiten haben, auf ihren Beinen zu stehen. Das Mädchen aber blickte weiter zu Caleb, während er noch sprach. Überrascht blinzelte sie aber auf seine Frage. Sie hob die Schultern… sie konnte mit nichts dergleichen umgehen. Und irgendwie war ihr dann doch nicht, bei all dem Schrecken, in den Sinn gekommen, dass sie sich bewaffnen sollten. Unruhig huschte ihr Blick umher. Madiha würde nehmen, was übrig blieb, denn sie hatte absolut keine Erfahrung damit, irgendwelche Waffen zu führen. Am ehesten noch ein Messer. Madiha zog Azura ein Stück von der Tür, damit Caleb vorbeikonnte und folgte dann. Noch immer wäre sie der Adeligen eine Stütze, sollte sie diese brauchen und zulassen. Abwartend stand Madiha vor dem Zimmer von Jakub, bis Caleb zurückkehrte und sie mit einem Blick bedachte..
Bevor er aber die erste Stufe der Treppe ins Erdgeschoss nehmen konnte, trat sie an seine Seite und griff nach seiner Hand. Sie drückte diese und schenkte ihm einen aufmunternden Blick. „Es ist nicht deine Schuld…“, murmelte sie sanft und strich zärtlich über seinen Unterarm. Sie meinte, was sie sagte. Und sie glaubte wirklich daran. Madiha hatte gesehen, wie sehr das Meer des Leids Corax‘ Seele gefangen hielt. Es war nicht seine Schuld, nicht ihre, nicht Azuras. Das Leben hatte an ihm diesen Frevel begangen. Sie waren lediglich der Tropfen auf dem heißen Stein. Und sie würden da sein, um ihn aufzufangen.
Sie nickte ihrem Dieb Mut machend zu, um ihn dann ins Erdgeschoss zu entlassen. Dort ertönte eine fremde Stimme und Madiha lauschte, stellte aber schnell fest, dass es sich wohl wieder um Caleb’s Heimatsprache handeln musste. Madiha blickte zu Azura, ob sie zuhörte und ihr erzählen könnte, was gesprochen wurde, doch da tauchte bereits Jakub auf und sie wandte sich ihm zu. Eine Dunstwolke verließ nicht nur das Zimmer, sodass sie kurz die Luft anhielt. Doch dann war es auch wieder vergessen, denn die Zeit drängte. Ungewohnt bestimmend, trat Madiha an den ersten Maat heran und nickte. „Ja, kannst du. Wir brauchen… Wasser, zum Waschen. Wir brauchen Lappen und wir brauchen was zum Essen. Zudem brauchen wir Verbände, und etwas zum Kühlen...falls es geht.“, zählte Madiha auf und zuckte dann vor ihrer eigenen Festigkeit in der Stimme zurück. „Also… bitte meine ich. Kannst du das besorgen? Caleb holt Kleidung und… wir müssen dann schleunigst in die Wasserakademie. Dort finden wir ihn.“, sie warf Azura einen kurzen Blick zu. „Und wir holen ihn zurück.“, beteuerte sie, auch wenn sie unwillkürlich schlucken musste. Schließlich wusste keiner von ihnen, wohin das alles führte und was sie erwartete.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Mittwoch 18. Januar 2023, 13:52

Wäre es allein nach ihrem Willen gegangen, hätte sie sich sofort auf den Weg gemacht und wäre durch Andunie geirrt, in der Hoffnung, durch Venthas Führung auf ihren geliebten Schuft zu stoßen. Doch sie war nicht allein, sondern irgendwie gebunden an diese Turteltäubchen, die ihr ständig vor Augen hielten, was sie nicht hatte... und wenn man es recht bedachte, wahrscheinlich auch niemals mehr haben würde. Es tat weh, unendlich weh, und dieses Gefühl sorgte dafür, dass sie ihre adelige Seite nur zu deutlich hervor kehrte.
Warum sie allerdings nicht darauf bestand, trotz aller Widerworte, loszuziehen und ihn zu suchen, sondern sich ins Bett verfrachten und zum Schreiben kommen ließ, wusste sie auch nicht zu sagen. Eigentlich wollte sie nicht, aber dann war ihr diese Idee, die sie selbst gehabt hatte, zu wichtig und zu hoffnungsvoll, als dass sie diese Chance nicht nützen konnte. Wenn sie nur geahnt hätte, was daraus gemacht werden würde...
Kaum hatte sie das vollbracht, war ihr, als hätte es ihr sämtliche Restenergie aus ihrem halblebendigen Körper gezogen. Sitzend und so klein wie möglich zusammen gerollt, um nur ja nichts von dem Kapitän zu berühren, nicht einmal mit der kleinen Zehe, schloss sie die Augen und wünschte sich kurz darauf, sie hätte es nicht getan.
Denn was sie in ihrem Traum, unabhängig von der Gesellschaft, erleben musste, war einfach nur grauenhaft. Leid... ja, es war voller Leid und ja, Corax brachte ihr das. Aber nicht, weil er bei ihr war, nein, im Gegenteil. Eben, weil er nicht bei ihr war, sondern sich einer anderen, einer Hexe zuwandte und sie vergessen sollte.
Azura litt und war machtlos zugleich, woduch sich diese Qual für sie noch intensiver anfühlte. Wäre sie nicht festgeklebt gewesen in ihrem sinkenden Boot aus Pergament, sie hätte sich freiwillig in diese unendlich schwarze Masse gestürzt, um darin zu ertrinken, damit es ein Ende hatte, endlich ein Ende. Doch auch das war ihr nicht vergönnt.
Sie musste stattdessen miterleben, was mit ihrem Raben geschah und wie er sich von diesem Weibsbild manipulieren ließ, die ihre Worte stahl und sich damit schmückte, als wären es ihre eigenen. Was sollte das? Warum ließ Ventha das zu? Bedeutete sie ihrer Göttin tatsächlich so wenig, dass sie diese Pein duldete und sich nicht helfend einmischte?
Kummer umschloss ihr Herz und ließ es gefühlt bluten bei der Erkenntnis, dass all das, was im Palast im Jenseits geschehen war, vermutlich genauso viel Trug gewesen war wie ihr Glaube, sie könne ihren Sprung wirklich ungeschehen machen. Erschöpft und kraftlos sank ihr Kopf nach vorne, während sie stumm um all das weinte, das sie verloren glaubte, so, wie um ihren dunklen Schuft.
Was hielt sie selbst denn noch davon ab, aufzugeben, so, wie er es getan hatte? Aufgeben... es wäre so einfach und es würde ihr bestimmt so vieles ersparen... Doch dann riss ein Schrei sie aus diesem hässlichen Traum und katapultierte sie in die viel zu freundlich wirkende Realität zurück.
Es dauerte kurz, bis sie das zerfallende Schriftstück zu sehen bekam, aber kaum war es geschehen, war es auch mit ihrem Wunsch aufzugeben aus und vorbei. Oh nein, so nicht! So einfach käme er ihr nicht davon, nachdem, was sie alles wegen ihm hatte durchmachen müssen! Außerdem vermisste sie ihn viel zu sehr...
Hektisch und ungeachtet ihres schlafenden Nachbarn kämpfte sie sich aus dem Bett und wollte völlig kopflos nur noch zu Corax. Würde man ihre Schulter fragen, wäre diese eindeutig anderer Meinung, im Prinzip jedoch war es wahrscheinlich ein glücklicher Umstand, dass die Tür verschlossen war. So blieb sie in dem kleinen Raum gefangen und hatte lediglich mit irgendwann abebbenden Schmerzen zu kämpfen, anstatt ihr zurückgewonnenes Leben gleich wieder auszuhauchen.
Trotzdem war sie sich dessen gerade nicht bewusst, während sie schluchzend und wimmernd, die Hand auf den sich noch taub anfühlenden Oberarm gelegt, zu Boden sank. "Corax...", entkam es ihr zum Steinerweichen leidend. Schon kamen helfende Hände und schmale Finger tasteten vorsichtig nach der Verletzung.
Schon eine leichte Berührung ließ sie aufjaulen, obwohl nichts Gröberes im Inneren verletzt war. Allerdings pochte es unerbittlich und jeder noch so kleiner Stupser schien wahre Schmerzenswellen bis hin in ihre Fingerspitzen zu schicken, sobald diese aufgehört hatten zu kribbeln. Dadurch machte sie sich wimmernd so klein wie möglich, um zu verhindern, dass ihr noch jemand zu nahe kam.
Doch die andere wandte sich schon an den zerzausten Van Tjenn, der als einziger verschont geblieben war von den nächtlichen Schrecken. Unter ihrem Tränenschleier warf sie ihm einen finsteren Blick zu, denn er hatte darauf bestanden, dass sie hier im Bett schliefen, während Corax...
Sie schniefte und wischte sich mit dem Handrücken der unverletzten Seite undamenhaft die Nase, während sie allmählich den Schrecken tief in sich zu begraben begann, um sich selbst wieder zu finden. Da ruckte ihr Kopf rüber zu der anderen. "Vom Hafen? Nicht weit. Aber man kann nicht einfach reinspazieren, konnte man noch nie. Unbemerkt schon gar nicht, außer, man kann gut tauchen und klettern.", erklärte sie mit erstickter Stimme und trotzdem erstaunlich sachlich.
Mehr noch, sie hatte ungefragt eine Antwort gegeben, sogar ohne jegliche Spitze! Ein Novum, das zu würdigen wäre, wäre ihre Lage im Moment eine andere.
Indes kam der Kapitän auch zu ihr und fasste ebenfalls nach ihrer Schulter. "Au, lass das! Das tut weh, bei Venthas Spitzenhöschen!", fauchte sie und schlug seine Hand weg. Ein böser Blick folgte, dann drückte sie sich in die Höhe, um ihm dadurch leichter entgehen zu können, sollte er noch mal anfassen wollen. Eine Stütze benötigte sie dabei nicht, wobei sie der anderen tatsächlich diese Entscheidung mit einem kleinen Kopfschütteln andeutete.
Warum konnte dieser Kerl eigentlich nicht endlich einmal die Finger von ihr lassen?! Sie wusste selbst, dass das keine zu große Verletzung sein konnte, egal, wie sehr es schmerzte. Wer einmal eine ausgekugelte Schulter gehabt hatte, der vergaß nicht so schnell, wie qualvoll sich so etwas Ernstes anfühlte! Nicht einmal nach gut zehn Jahren... oder elf... oder so... Blöder Baum mit seinem morschen Ast!
Azura schnaubte leise und wischte sich erneut übers nasse Gesicht, da sie sich allmählich fing und ebenfalls erkannte, dass dieser kopflose Sturm nichts bringen würde. Sie wollte jetzt jedoch auch keine großen Reden schwingen oder sich noch länger als nötig hier aufhalten. Hätte sie es gekonnt, hätte sie die Arme verschränkt. So hingegen blieb ihr nur zu schnauben.
"Sie hat einen Namen!", schimpfte sie und schüttelte den Kopf. "Und wo willst du das jetzt wieder herbekommen, hä? Meine alten Sachen drüben sind trocken genug, sonst geh ich eben in dem Aufzug, mir egal. Hör auf mit deinen großen Reden, dafür ist keine Zeit!", drängte sie und wollte einen weiteren Versuch starten, endlich aus diesem Zimmer zu gelangen.
Wenn er mit seiner Frage sie nicht überrumpelt hätte. Blinzelnd verharrte sie mitten im ersten Schritt und sah ihn an. "Dolch.", entkam es ihr rein automatisch, ehe sie langsam den Kopf schüttelte. Leicht hob sie ihre Schultern an und bereute diese Geste sofort, weil es ihr die Tränen erneut in die Augen schießen ließ, sodass sie den lädierten Arm anhob und mit der gesunden Hand stützte, um so für Entlastung zu sorgen. "Oder sonst was zum Zustechen. Frag erst gar nicht." Damit scheuchte sie ihn regelrecht von sich weg und wollte sich offensichtlich nicht länger damit aufhalten.
Wie leicht allerdings die Tür zu öffnen gewesen war, bescherte ihm dann doch noch einen weiteren bösen Blick von ihr, als wäre es seine Schuld, dass sie es nicht gesehen hatte und nun von Schmerzen geplagt wurde. Trotzdem folgte sie ihm hinaus und zu der noch kleineren Kammer vom Vorabend. Was auch immer er vorhatte, es dauerte ihr alles viel zu lange, wie man ihrer Miene und dem ungeduldigen Tippen ihres ebenfalls bloßen Fußes erkennen konnte.
Doch anstatt sich endlich zu beeilen, mussten die Beiden auch noch in Liebesgeturtel ausbrechen, das ihr die Kehle zuschnürte und ihr einen Moment lang die Luft zum Atmen nahm, ehe ihr die Galle hochzusteigen drohte. Mit einer undeutbaren Mimik wandte sie sich ab und murmelte Unverständliches in sich rein.
Dann schloss sie die noch immer viel zu stark verquollenen Augen und versuchte, an Corax zu denken und daran, dass sie sich beherrschen musste, wollte sie ihm eine Hilfe sein. Es war nicht leicht, aber... es musste sein! So, wie schon manch anderes Unangenehmes in ihrem Leben... Auch wenn es nur selten derart weh getan und sie mit Neid wie Eifersucht erfüllt hatte.
Schritte erklangen und entfernten sich, sodass sie es wagte, sich wieder umzudrehen. Es dauerte nicht lange, da erklangen von unten Stimmen, die sie problemlos verstehen konnte dank der Lautstärke. Unwillkürlich hörte sie zu und verdrehte leicht die Augen, als er mit seiner vorhin erwähnten Ausrede daher kam. "Ich geb dir Damenbesuch und leidenschaftlich, wenn die Zeit gekommen ist!", grollte sie murmelnd vor sich hin und wurde von einer Bewegung abgelenkt, als der Glatzkopf erschien, mitsamt einer gehörigen Portion Alkohol in der Luft.
Ihr Gesicht verzog sich und sie wedelte mit der gesunden Hand leicht vor ihrer Nase, damit es nicht zu schlimm werden würde für ihren Geruchssinn. Dadurch verwarf sie auch die Möglichkeit, ihre alte Kleidung wieder anziehen zu wollen. Sie wollte keine wandelnde Schnapsfahne sein, es reichte ihr derzeitiges Odeur wahrlich aus!
Bei der Frage wollte sie automatisch schon ablehnen, als ihr die andere zuvor kam und überraschend klar Anweisungen von sich gab. Ihre Stirn runzelte sich leicht und sie musterte den Mann kurz. "Und zwei Fäuste.", kam es plötzlich von ihr und sie sah von dem Mädchen hin zu dem Kerl. "Deine Fäuste weißt du zum Einsetzen, oder? Dann wären sie uns eine Hilfe.", konkretisierte sie.
Da wandte die andere sich ihr zu und wollte ihr offensichtlich Mut zusprechen. Azura hatte sich wieder gefangen und obendrein wohl ein bisschen etwas von ihrer Ehrlichkeit zurück gefunden, die Van Tjenn schon kennen lernen durfte. Denn nun ballte sie ihre unversehrte Hand zur Faust und bekam einen finsteren Gesichtsausdruck. "Und wenn wir ihn haben, tret' ich ihm kräftig in den Arsch, diesem Vollidioten!", knurrte sie einem Hund nicht unähnlich.
Was sie danach mit ihm anstellen würde, behielt sie allerdings für sich und verbot sich auch, überhaupt daran zu denken. Es würde zu große Hoffnungen wecken und auch ihre Angst davor, dass diese enttäuscht werden würden, weil er sie abstoßend fand... finden musste. Nein, damit würde sie sich befassen müssen, wenn es soweit wäre und nicht früher. Jetzt lag es daran, dass sie sich schlicht und ergreifend beeilten, sonst würde sie tatsächlich allein losziehen!
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 19. Januar 2023, 10:43

Caleb war insgeheim froh, ein wenig Abstand zu gewinnen und an die Luft zu kommen. Wäre die Situation um Corax nicht so akut, hätte er sich nun wohl auch einige Stunden länger herum getrieben und wäre definitiv irgendwo einen Kurzen trinken gegangen, um Azuras Blicke und Kommentare für den Moment zu vergessen. Er ließ sich nach außen hin vielleicht nicht allzu sehr beeindrucken, aber er hörte und sah sehr wohl, was die Adlige von ihm hielt. Wenigstens bestärkte es ihn in seiner Entscheidung damals, Andunie und dem dortigen Adel den Rücken gekehrt zu haben. Kaum war er in der Heimat zurück, sah er sich damit wieder konfrontiert und das, obwohl die Stadt inzwischen einem ganz anderen Klientel gehörte.
Er nutzte die Zeit, rasch an Bord der Blauen Möwe zu gehen, aber die Seefahrer hatten die Ladung wirklich ausgiebig gelöscht und nahezu alles verkauft, das man nicht brauchte. Von der Ware war jedenfalls nichts mehr übrig. Also schnappte Caleb, was er sonst für nützlich hielt und entschied sich, ein paar Abstecher zu den Orten zu machen, an denen es damals schon das eine oder andere zu holen gab. Er konnte nur hoffen, unterwegs nicht aufgegriffen zu werden.
Für Madiha und Azura bedeutete dies, zu warten. Eine unangenehme Aufgabe, berücksichtigte man ihr unschönes Erwachen. Der Boden, das Tischbein und einige der Pergamente in Azuras Beutel waren noch immer mit dem Blut befleckt, das die halb zerrissene Schriftrolle ausgespuckt hatte. Dafür war es sehr still geworden in dem nicht ganz auf legale Weise gemieteten Zimmer.
Azuras Schulter pochte. Der Schmerz hielt sich jedoch in Grenzen und war nichts im Vergleich zu ihrer damals ausgekugelten Schulter, als sie Bekanntschaft mit der Natur hatte machen müssen. Es würde gehen, wenn sie nur etwas zum Kühlen erhielt. Der Schmerz beruhigte wenigstens etwas ihr Gemüt oder lenkte davon ab, sich höhergestellt zu sehen als andere. Jedenfalls redete sie plötzlich mit Madiha so, wie Caleb es sich wohl gewünscht hätte nach seiner Ansage. Jetzt hätte er anwesend sein müssen!
Er war erschreckend still geworden, was nicht zu ihm passte und das konnte ebensolche Sorgen bereiten wie die Ungewissheit, was mit Corax passiert sein mochte. Er hatte nicht einmal groß auf Madihas gut gemeinte Worte reagiert, nicht Schuld an allem zu sein. Sein schiefes Grinsen hatte er ihr geschenkt und ein Nicken, war dann aber einfach nach unten gegangen. Es beschäftigte ihn, was passierte. Erstmals in seinem Leben übernahm er die Verantwortung und wie er es befürchtet hatte: Es war eine reichlich undankbare Aufgabe. Jetzt aber übernahm er sie, denn hier ging es nicht um den Namen van Tjenn oder einen höhen Stand an Ansehen im Adel. Es ging um Menschen- und Elfenleben. Das war keine Kleinigkeit. Vielleicht nahm er deshalb einen so ernsten Ausdruck an.
Die traumhaften Momente zwischen Caleb und Madiha erschienen wie Ausschnitte aus Erzählungen, die einem niemand glauben würde. Selsbt für das Wüstenmädchen waren sie so weit abgerückt, dass ihr Herz sich kaum noch daran wärmen konnte. Aber auch Azura sehnte sich nach Erlebnissen, die nun alles andere als greifbar waren. Sie hatte nicht einmal mehr ihren Gegenpart, um die Erinnerungen mit ihm zu teilen und das setzte ihr gehörig zu.
Wenigstens war keine von ihnen allein. Sogar Jakub erschien plötzlich und bot seine Hilfe an. Madiha gab ihm sogleich einige Anweisungen, was Azura tatsächlich überraschte. Das Sklavenmädchen konnte auch einen kleinen Befehlston angeben, wenn sie wollte. Und sie nutzte ihre Möglichkeiten, um der Adligen zu helfen. Jakub ließ sich gar von ihr herum scheuchen, als sei er hier der Sklave!
Nein, es gab Unterschiede. Madiha befahl ihm nichts. Sie bat darum und die Entschlossenheit in ihrer Stimme rührte nur von der Dringlichkeit der Sache her. Jakub gehorchte, würde ihre Bitten erfüllen, weil er auch den Ernst der Lage begriff und weil er seine Hilfe angeboten hatte. Es gab kein Verhältnis zwischen höherer oder niederer Position. Es gab nur Verbündete und Freunde, von denen jeder sein Bestes geben wollte, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Es gab keine Feinschaften.
"Wasser, Lappen, was zu Essen." Der Erste Maat nickte. Auch er fragte nicht, woher Madiha von Corax' Aufenthaltsort wusste. Bei ihm lag es aber weniger daran, dass er ihr vertraute, als vielmehr daran, dass er es nicht so wirklich aufnahm. Er besaß noch immer einen guten Alkoholpegel und konzentrierte sich darauf, ihr die gewünschten Dinge zu liefern. Er wollte schon los, als auch Azura ihre Stimme erhob. Nicht laut, belegt sogar etwas ob ihres tränenreichen Ausbruchs, aber laut genug, dass auch ein Jakub sie hörte.
"Und zwei Fäuste. Deine Fäuste weißt du einzusetzen, oder? Dann wären sie uns eine Hilfe." Jakub hob beide Hände an, betrachtete sie und ballte ise zu Fäusten. Er brummte, als ihm klar wurde, dass er die Gruppe auf einer nahezu unmöglichen Rettungsmission begleiten sollte. Mit seinem strengen, stahlgrauen Blick schaute er auf. "Hab auch'n Säbel im Zimmer", meinte er. Dann machte er sich allerdings auf den Weg nach unten. Die Klinge brauchten sie noch nicht. Die würde er holen, sobald Caleb zurück und alle für den Aufbruch bereit wären.
Wieder hieß es für Azura und Madiha zu warten. Sie erhielten Gelegenheit, miteinander zu sprechen oder auch zu schweigen. Der Tag wanderte weiter, Minuten vergingen. Von unten drangen immer mehr Geräusche zu ihnen empor. Das Gasthaus war bei weitem nicht so arm dran wie jenes, in dem Madiha und Caleb Corax' Massaker hatten mit ansehen müssen. Man konnte zwischendurch zwar auch das düstere Lerium von Dunkelelfen hören, die den Schankraum betraten, aber niemand kam in den ersten Stock hinauf. Trotzdem schien sich der Bereich zum gemeinsamen Beisammensitzen und Essen zu füllen. Gelächter und Musik blieben aus, aber mehrere Stimmen unterhielten sich, die wenigstens auf Celcianisch.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Jakub wieder erschien. Er brachte einen gefüllten Eimer, den er am Henkel in der Armbeuge mit sich trug. Gleichzeitig balancierte er ein Tablett, auf dem ein Laib Brot, etwas Käse, drei Geflügelkeulen, gekochte Eier, Tomaten und eine Schale mit einer Apfel-Nuss-Hafermischung darauf warteten, verspeist zu werden. Er hatte aber auch noch eine Kanne andunischen Apfelsaft dabei und nicht zuletzt auch einige Lappen und Tücher, um sich zu waschen. Er brachte alles zum Tisch im Zimmer der beiden Frauen.
"Da ist Blut", bemerkte er dabei zum ersten Mal und griff nach einem der Lappen, um es anschließend aufzuwischen. "Macht euch nicht noch verdächtiger." Er nutzte aber auch die Gelegenheit, um Azura einmal genauer zu mustern. "Du siehst aus wie eine wandelnde Leiche. Schon eine Idee, wie wir sie ohne großes Aufsehen bis zur Akademie bringen können?"
"Azura könnte der Schlüssel sein, mit dem wir in die Lehrfestung der Wassermagier gelangen." Caleb war auch endlich zurück. Er brachte einen großen Seesack mit, der prall gefüllt sein musste, so schwer und voll hing er ihm über der Schulter. Außerdem hatte er sich selbst bereits umgezogen, vermutlich an Bord seines Schiffes. Oh, er sah wirklich wieder aus wie ein Kapitän. Wo auch immer er den grauen Seefahrermantel mit den Messingknöpfen her hatte, er stand ihm. Das cremefarbene Hemd darunter war sauber, ebenso wie die schwarze Hose, die von einem viel zu breiten Gürtel auf Hüfthöge gehalten wurde. Er hatte sich auch bewaffnet. Säbel und ein kleiner Dolch hingen in Scheiden am Gürtel. Eine weitere Klinge lugte aus seinem Stiefel. Er hatte sein Haar zu einem wilden Zopf nach hinten gebunden und wie üblich einige Strähnen vergessen. Seine Stoppeln waren jedoch das einzige, das ihn unordentlich aussehen ließ. Daher sagte er: "Jakub, ich rasier mich bei dir in der Kammer. Zieh dir auch etwas an, im Seesack finden sich genug Kleidungsstücke für alle." Wo auch immer er sie her hatte. Er wandte sich direkt an Azura: "Für dich habe ich einen Umhang mit Kapuze besorgt. Du solltest dich verborgen halten, wenn wir durch die Stadt gehen, aber an der Akademie zeigen wir dich notfalls als Grund vor, um reinzukommen." Er blickte zu Madiha herüber. "Spielen wir Corax' Spielchen weiter. Azura ist von irgendeinem Zauber befallen, der sie wie eine Tote aussehen lässt und wir suchen nach einem geeigneten Magier, um den Fluch aufzuheben. Welchen besseren Grund hätten wir, die Akademie aufzusuchen. Wir sind verzweifelt und wollen mit dem Schiff auslaufen, aber auch mit einer entzauberten ... äh ... Schwester? Cousine?" Er winkte ab, erwähnte bewusst aber nicht die Option, dass Azura auch seine Angetraute spielen könnte. Nein, dafür reichten nicht einmal mehr Calebs Nerven aus.
Sobald dies geklärt wäre, suchte er Jakubs Kammer auf, um sich die Stoppeln zu trimmen. Madiha, Azura und der Erste Maat konnten sich den Inhalt des Seesacks genauer anschauen. Caleb hatte nicht zu viel versprochen. Solange man keine noblen Adligengewänder erwartete, wurde man nicht enttäuscht. Hemden, Hosen, Röcke, sogar Mützen und Handschuhe hatte er von irgendwoher besorgt und am Boden des Seesacks fanden sich zwei Paar Stiefel - eines für Madiha, ein weiteres für Azura. Auch an Waffen hatte er gedacht, schien hier jedoch nicht allzu erfolgreich gewesen zu sein. In einem Beutel im Sack selbst waren ein kleines, aber scharfes Messer zu finden, ebenso ein weiterer Säbel, ein schwerer Dolch und eine Schleuder, jedoch ohne Munition. Hinzu kamen einige Leinenverbände, ein Seil, Kerzen und zwei Fackeln, sowie die nötige Ausrüstung, um diese auch anzufeuern ... und ein Satz Werkzeuge, um Schlösser zu knacken. Gerade Letzteres gab Aufschluss über das vielfältige Kleidungsangebot. Nur weil er Sarma und gewissermaßen auch den Bund der Wüstendiebe hinter sich gelassen hatte, gab Caleb seine Berufung noch lange nicht auf. Er blieb mehr ein Dieb als ein Kapitän, Seefahrermantel hin oder her.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 20. Januar 2023, 10:32

Hätte man Madiha vor einigen Wochen gefragt, ob sie für andere Lebewesen Mitleid empfinden könnte, hätte sich das Mädchen nicht dazu äußern können. Sie war nie grob oder fies gewesen, hatte stets zugesehen, für sich zu sein und dann und wann mal einer Leidensgenossin eine helfende Hand gereicht. Im Grunde aber war sie für sich und achtete darauf, zu überleben.. Jetzt in ihrer hart erkämpften Freiheit aber, hatte sie sehr schnell ihre Neutralität verloren und entwickelte sich tatsächlich zu jemandem, der sich nach Harmonie sehnte, nach Frieden und ein wenig Zuwendung. Madiha wollte gewiss nicht viel und hatte bereits mehr erhalten als sie glaubte verdient zu haben, doch fehlte es bedeutend an Ruhe. Neben all dem Schicksal, das sie immer wieder ereilte, war es auch die dominante Persönlichkeit der Adeligen, die ihr zu schaffen machte. Nie war Madiha jemandem wie ihr begegnet und das Mädchen wusste langsam nicht mehr, wie sie mit ihr umgehen sollte. In ihren Augen bemühten sich alle darum, dass es ihr trotz all dem Schmerz gut ging. Dass sie Unterstützung erhielt, wo sie sonst allein wäre. Eine Behandlung, wie die auf der Blauen Möwe, war Madiha gewohnt gewesen und dennoch, hatte es ihr nicht geschmeckt, dass Azura sie wie eine Leibeigene behandelte. Sie kam sich klein vor, unbedeutend… wie ein mickriger Wurm, wie Caleb es so treffend beschrieb. Und trotzdem war sie weiterhin bemüht. Sie alle. Auch Madiha sah die bösen Blicke und auch sie hörte die spitze Zunge hinter Azura’s Worten. Und ihr fiel auf, dass Caleb immer ruhiger wurde. Sie kannte ihn so nicht und wusste auch nicht, was das bedeutete. Aber sie spürte, dass es nichts Gutes heißen konnte, wenn ein Sprücheklopfer wie Caleb eben einer war, mit einem Mal nur noch ernst blickte.
Das Mädchen aber war auch jahrelang als Sklavin aufgewachsen. So zeigte sie Verhaltensmuster, die ihr ohne groß darüber nachzudenken von den Fingern glitten. Das Hilfsbereite war tatsächlich eines dieser Muster. Das und die Harmonie. Madiha hatte der Adeligen helfen wollen, war behutsam und vorsichtig mit ihr, bis auch Caleb sie zu untersuchen begann und schon wieder fauchende Worte aus dem Mund der Rothaarigen kamen. Madiha ließ Azura los und betrachtete sie ernst. Es reichte. Es reichte Madiha gehörig, denn während der Dieb sich stetig um die Adelige bemühte, hatte sie nichts weiter als Spott und Bissigkeit für ihn übrig. Natürlich war Madiha auch nicht gänzlich unbefangen, aber ihre Gefühle hatten nichts mit der Art und Weise der anderen zu tun.

Seufzend und sich ihren Teil denkend, erhob sich das Mädchen, während Azura folgte. Sie lehnte ihre weitere Hilfe mit einem Kopfschütteln ab, sodass Madiha ebenfalls autark folgte. Bevor Caleb aber gehen konnte, versuchte sie sich daran, ihm etwas Leichtigkeit wiederzugeben. Es half nicht. Im Augenwinkel sah Madiha, wie Azura erneut pikiert aus der Wäsche schaute, bevor sie dem verschwindenen Kopf des Anduniers nachsah. Ihre Hand krallte sich für einen Moment an das Holz des Treppengeländers. Es schmerzte, ihn so zu sehen. Mit zusammengepressten Lippen, wandte sie sich um, während Jakub auf den Plan trat. Reichlich fest im ihrer Stimme, verlangte sie einige Dinge von Jakub, ehe ihr aber bewusstwurde, wie sie geklungen hatte. Sie ruderte zurück, erschrocken davon, dass sie auch anders konnte. Sie sah zu Azura. Ihr Einwand erhielt ein Nicken von ihr, auch wenn sie selbst Jakub nicht darum gebeten hätte. Mit Sorge betrachtete sie den ersten Maat, denn so alkoholisiert, wie er war, könnte er auch zum Problem werden. Dennoch torkelte er los, während Azura ihre Drohung murmelte. Madiha musterte die Rothaarige einen Moment. Dann schüttelte sie den Kopf über sie und seufzte.
Es hieß erneut warten und Madiha sah aus als läge ihr etwas auf der Zunge. Allerdings hielt sie sich zurück und lehnte sich, die Arme verschränkt gegen die Wand. Sie hatte keine Lust mit Aura zu reden. Was sollten sie schon bereden? Azura hielt sie ohnehin für Ballast, hielt im Grunde gar nichts von ihr und somit musste es Madiha auch nicht weiter versuchen. Zu helfen war das eine, ständig einer launenhaften Diva ausgesetzt zu sein, etwas völlig anderes.
Und trotzdem konnte die Sarmaerin es nicht lange aushalten, nichts zu sagen. Ihr Blick glitt zurück zu der anderen und sie musterte sie offen. Sie öffnete ihre Arme, blieb aber an der Wand stehen, ehe sie ihren Mund öffnete. "Ich kann nicht schwimmen.", bemerkte sie plötzlich und scheinbar ohne jeden Zusammenhang. Dennoch hielt sie den Blick auf Azura gerichtet. Ihre Stimme wirkte ruhig dabei, auch wenn ihre Körperhaltung eher verschlossen war. "Du sagtest, man käme nicht unbemerkt hinein in die Akademie. Es sei denn man schwimmt oder klettert.", versuchte sie eventuelle Lücken zu füllen. "Ich schätze... ich kann beides nicht. Aber weißt du wer es kann?", sie hob die Schultern und lächelte halbherzig. "Caleb. Er ist nicht so schlecht, wie du denkst. Ganz im Gegenteil.", beteuerte sie und holte tief Luft. Plötzlich kamen die Worte, wie von selbst. "Er verteidigt dich. Er versteht deine Art zu leben und versucht es zu erklären. Er springt dir ohne nachzudenken in den Tod nach.", ihre Augen schwammen kurz, bei der Erinnerung daran. "Er wirft seine Prinzipien über Bord, weil er etwas in Corax sieht...", sprach sie weiter. "Und als jemand, der vor Verantwortung lieber wegrennt... übernimmt er sie jetzt. Für den Mann, den du liebst.", Madiha seufzte und legte die Arme wieder übereinander, was ihre Körperhaltung erneut ablehender machte. "Aber du siehst das alles nicht. Du siehst nur dich... was du verloren hast, was du bist, was dir fehlt. Du erkennst nicht mal die Mühen deiner Begleiter. Weil du dir im Weg stehst und die Sicht raubst.", murmelte sie und schüttelte resigniert den Kopf. Einen Moment schwieg sie, dann aber blickte sie Azura mit festem Ausdruck an. "Caleb sagt, im Adel wird man so erzogen. Man bekommt gelehrt, was man zu sein hat...", sie schüttelte abermals den Kopf, "Blödsinn. Hier ist kein Adel. Und du könntest entscheiden, wer du sein wolltest. Es gibt immer einen Weg. Irgendwie geht es immer weiter! Und keiner hier erwartet eine Adelige, die jeden um sich herum vergrault, obwohl wir alle hier sind um dir und Corax zu helfen.". Madiha atmete schneller. Es hatte sich angestaut und es musste gesagt werden. "Und bevor du es wieder sagst: Ja, ich habe keine Ahnung. Aber du eben auch nicht.", beteuerte sie mit fester Stimme, ehe sie tief ausatmete. Sie spürte die Anspannung, die sie beim Sprechen erlangt hatte und spürte, wie ihre Finger kalt waren. Sie wäre geplatzt. Sie wäre geplatzt und hätte Azura nie geaagt, was sie dachte. Es war ihr sogar egal, ob die Rothaarige überhaupt etwas dazu sagen würde. Es hatte rausgemusst. Vor allem für den Dieb, der sich einfach nur bemühte. Es tat ihr weh ihn zu sehen. Und sie hatte gewiss keine Lust mehr, sich das Gebaren von Azura anzusehen. Einen Moment stand Madiha noch an der Wand und sah Azura abwartend an. Bis plötzlich von unten vielseitiges Stimmengemurmel ertönte.

Dankbar für diese Ablenkung, stieß sich Madiha von der Wand ab und ging an Azura vorbei, um einen heimlichen Blick ins Erdgeschoss zu werfen. Es war spannend für die einstige Sklavin, die nie etwas anderes kennengelernt hatte. Bis sie schließlich zurücktrat, um Jakub Platz zu machen als er wiederkam. „Kann ich was helfen?“, fragte sie, doch er schritt voran mit all dem Gepäck und brachte es in das geliehene Zimmer. Das Mädchen folgte, achtete aber nicht darauf, ob Azura mitkam oder nicht. Es war ihr inzwischen egal geworden. Man hatte von ihr kein nettes Wort oder gar einen Dank zu erwarten. Also bemühte sich die Sarmaerin auch nicht mehr weiter. Sie hatte gesagt, was sie sagen musste. Im Zimmer angekommen betrachtete Madiha das Essen. Ihre Augen wurden groß dabei und ihr Magen knurrte vernehmlich. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch und sie schluckte. „Das muss ein Vermögen kosten…“, murmelte sie. Wurst, Käse, Hafer-Apfel-Nuss-Schleim, Geflügelkeulen.. Madiha starrte auf das Essen und blickte sich einmal um. „Ist das ein normales Frühstück in Andunie??“, ließ sie sich trotz der Situation hinreißen, ihrer Naivität und Überraschung Flügel zu verleihen. Sie wusste gar nicht, was sie essen sollte bei all der Auswahl. Ihr Blick glitt noch über das Tablett, während Jakub sein Wort an Azura richtete. Sie hörte ausnahmsweise nicht zu. "Azura könnte der Schlüssel sein, mit dem wir in die Lehrfestung der Wassermagier gelangen." Madiha zuckte und wandte sich erschrocken um. Sie kaute gerade auf einer Tomate herum, die gerade etwas auf ihr Kinn tropfte, sodass sie eilig darüber wischte. „Hm?!“ machte sie ertappt und räusperte sich verlegen. Dann erst fiel ihr auf, dass er sich umgezogen hatte.
Es stand ihm gut… er sah aus wie ein verwegener Kapitän, der bereits unzählige Abenteuer erlebt hatte. Ihr Graublau wanderte über die Bewaffnung und sie schluckte. Auch sie verlor wieder ihre Neugierde bezüglich der vielen Köstlichkeiten und ihr Blick wurde bedeutend ernster. Die lichten Momente hielten nicht mehr lange an. Schwermut und Sorgen herrschten derzeit vor, auch bei ihr. Madiha wischte sich die Hände an ihrer Hose ab und blickte zum Seesack. Sie lächelte tatsächlich kurz.
Endlich neue Kleidung! Das Mädchen machte schon einen Schritt darauf zu und öffnete ihn, während sie Calebs Worten zuhörte. „Gute Idee. Dann hoffen wir, dass sie uns Einlass gewähren… wer weiß, wie es jetzt dort zugeht.“, meinte sie auf die Situation anspielend. Dann begann sie die Kleidungsstücke herauszuziehen und betrachtete sie. Ihr Blick fiel kurz auf Caleb. „Woher hast du das alles?“, wollte sie staunend wissen, auch wenn sie kaum eine Antwort erwartete. Madiha suchte sich ein helles Hemd mit langen Ärmeln aus, das aber bedeutend kleiner war und offenbar mal einer Frau gehörte. Dazu eine dunkle Hose, enganliegend und ein lederbraunes Unterbrustkorsett. Stirnrunzelnd betrachtete sie das „wofür ist das?“, aber es wirkte stabil und vielleicht würde es einen minimalen Schutz bieten. Sie nahm es erstmal an sich, ohne zu wissen, wofür man es nutzte. Vielleicht erklärte es ihr jemand. Madiha griff weiter hinein und zog dunkelbraune Schluppenstiefel heraus. Ihre Augen leuchteten. Schuhe… sie seufzte tatsächlich, ohne darauf zu achten, ob sie jemand dabei beobachtete, dann übergab sie Azura und Jakub den Seesack. Madiha erhob sich, die Klamotten im Arm und sah sich um. Schon zum dritten Mal sollte sie sich umziehen, vor den anderen. Unsicher drückte sie die Wäsche an sich und blickte auf als Caleb in Jakubs Zimmer wollte. „Wenn du…fertig bist, würde ich mich da gern umziehen.“, bat sie und schaute verlegen zur Seite. Dann glitten ihre Augen noch mal zum Tablett und zu dem Apfel-Nuss-Schleim. „Legt jemand wert auf das Zeug in der Schüssel?“, sie blickte jeden einmal fragend an und hob die Schultern. „Sieht lecker aus..“, murmelte sie etwas verlegen. Aber sie hatte lange nichts gegessen und wenn sie durchziehen wollten, was sie vorhatten, musste sie etwas gestärkt sein.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Freitag 20. Januar 2023, 14:29

Auch der jungen Frau hätte etwas Abstand und vor allem Ruhe gut getan. Doch im Gegensatz zu dem Kapitän machte sie sich nicht aus dem Staub, sondern hörte tatsächlich mal auf andere und blieb. Obwohl alles in ihr danach schrie, sofort loszurennen und Corax zu finden, um ihn zu retten. Aber sogar sie war nicht so dumm, es noch einmal blindlings zu versuchen und auf sich allein gestellt in ihr Verderben zu laufen.
Sie wollte ihrem Raben eine Hilfe sein und das bedeutete im Moment bedauerlicherweise, eine Zweckgemeinschaft mit den Turteltäubchen zu bilden. Mehr aber auch nicht!
Und sobald Corax in Sicherheit wäre... Was dann? Wie ginge es dann für sie denn weiter? Nun ja, sie müsste ihn um sein Wissen wegen der Schriftrolle bitten, aber sonst? Er würde sich kaum noch länger mit ihr, der wandelnden Untoten, abgeben wollen und das Pärchen störte sie ja ohnehin in deren ständigem Geturtel. Also wäre es das Beste, wenn er bei denen blieb und sie würde allein losziehen, damit die anderen das Missgeschick endlich los wären.
Es hatte sich ja scheinbar nicht gelohnt, sich wieder ins Leben zurück zu kämpfen, Anerkennung für diese Leistung oder sonstwie den rechten Zuspruch erhielt sie ebenfalls nicht. Da konnte sie ihnen allen auch gleich den Rücken kehren.
Wieso nur hatte sich ihr Leben dermaßen wandeln müssen?! Warum hätte sie nicht einen angemessen Gatten finden, ihn um den Finger wickeln und der Mittelpunkt der adeligen Gesellschaft bleiben können? Aus welchem Grund mussten ihr ständig neue Steine in den Weg gelegt werden?! Hatte sie denn kein Glück verdient? Oder wenigstens ein Leben ohne ständige Bedrohungen durch irgendjemanden, der ihr den Boden unter den Füßen wegziehen wollte?
Während sie diese Gedanken wälzte, blieb sie allein mit der anderen zurück, der sie erst einmal nichts zu sagen hatte. Schließlich hatte auch ihre gut gemeinte Wegbeschreibung keine Reaktion erhalten, weswegen sie nichteinsah, jetzt nach einem Thema zum Plaudern zu suchen. Noch dazu, wo sie lieber längst unterwegs wäre, anstatt überhaupt hier zu warten.
Sie musste auch nicht lange warten, da wurde sie schon angesprochen. "Hm?", machte sie unbewusst und ihr Blick wurde fragend, denn diese Bemerkung passte weder zu ihrem eigenen inneren Monolog, noch zu etwas, dessen Anfang sie dadurch verpasst haben mochte.
Schon fuhr ihr Gegenüber fort und erklärte von selbst, wie das mit dem Schwimmen gemeint war. Zuerst nickte sie langsam. "Es gibt nur einen einzelnen offiziellen Eingang, der gut einzusehen ist.", fügte auch sie etwas ausführlicher an zu ihren Worten von vorhin, die offenbar doch nicht vollkommen umsonst gewesen waren.
Dann allerdings verschloss sich ihre Mimik, als es um den Kapitän ging. Natürlich, um wen denn sonst? Hätte sie nicht Sorge vor weiteren Schmerzen gehabt, hätte sie sogar ihre Arme ablehnend vor der Brust verschränkt. So jedoch zog sie es vor ihren lädierten Arm mit dem anderen zu stützen, solange sie keine Schlinge hatte, die ihr diese Aufgabe abnahm. Damals bei der ausgekugelten Schulter hatte sie solch eine tragen müssen, deswegen würde es auch jetzt so sein. Oder...?
Indes hörte sie, wenngleich nicht gerade begeistert, tatsächlich zu, ließ die andere ausreden und schluckte so manche Bemerkung hinunter, die ihr sofort über die Lippen hatte kommen wollen. Warum sie sich so verhielt? Die junge Frau wusste es nicht zu sagen, sie spürte lediglich, dass dieser gemeinsam erlebte Alptraum und das Streben danach, ihrem Raben zu helfen, eine Art Grundstein zu einer Änderung gelegt hatte. Etwas, das bei eine positiven Entwicklung dazu führen könnte, dass sie sich für die Dauer ihrer Zweckgemeinschaft fast schon... leiden konnten. Sie beide, das schloss jedoch definitiv nicht Van Tjenn ein!
Auch wenn es nicht so leicht war, wie es sich anhörte, besonders, als sie nach dem Lob auf ihn Vorwürfe zu hören bekam ob ihres eigenen Verhaltens. Mochte ja sein, dass sie hauptsächlich sich selbst sah, weil sie so aufgewachsen war, aber seit wann war das denn schlimm? In ihrem bisherigen Leben war es nicht nur normal, sondern auch gesellschaftlich überlebenswichtig, sich in das beste Licht zu rücken und dafür zu sorgen, dass sich die Welt um einen drehte! Dass es auch anders gehen könnte und mitunter zu einem schöneren Dasein führen könnte... Nein, das lag fern ihrer Vorstellung und war etwas, das sie noch beigebracht bekommen musste.
Und irgendwann war es... vorbei, war die andere fertig, sodass sie die Gelegenheit erhielt zu antworten. Oh ja, und sie wollte antworten, definitiv! Trotzdem schloss sie ihre Finger fester um ihren Unterarm, um sich durch dieses körperliche Gefühl davor zu bewahren, emotional wieder zu explodieren. Ihr Blick hingegen blieb finster und ihre gedämpfte Stimme klang etwas gepresst, zeugte von der Wut und der Empörung, die sie zu bändigen versuchte, als sie nun zum Sprechen anhob. "Nein, du hast keine Ahnung, da hast du vollkommen recht.", begann sie und ihre Finger gruben sich noch mehr in ihren Arm.
"Hat dir dein
toller Kapitän auch erzählt, was er mir angetan hat? Damals, als er vor seiner Verantwortung davon gelaufen ist?" Ein leichtes Zittern ob ihrer unterdrückten Emotionen durchlief ihren Körper. "Ich bezweifle es und ich bezweifle auch, dass er eine Ahnung davon hat, was er mir damals angetan hat! Damals, als sein Vater meinen überredet hat, dass wir uns verloben sollen. Dass mein Vater es zulässt, dass ich, sein einziges Kind, einen Neuadelige eheliche und damit gesellschaftlich einen Abstieg mache, obwohl ich Aussichten auf ganz andere Verbindungen gehabt hätte. Und hätte mir das nicht schon genug Spott und Hohn eingebracht, hat er mich versetzt, immer und immer wieder. Aber nicht heimlich hinter verschlossenen Türen, dass mein Vater es noch hätte vertuschen können. Nein, öffentlich bloß gestellt hat er mich! Hat dafür gesorgt, dass ich wochenlang den Harax durchlebt habe! Ich wurde geschnitten, ich wurde ausgelacht und es wurde in meiner Gegenwart ständig darüber getuschelt, bis die Zeit mir geholfen hat, mein Ansehen zurück zu gewinnen. Bis es vergessen wurde, dass es diese unselige Verbindung hätte geben sollen, weil mein Vater dafür gesorgt hat. Dabei hätte er alles haben können, dein Van Tjenn, alles! Er hätte in eine angesehene Familie eingeheiratet, seine Kinder hätten Anspruch auf das Erbe meines Vaters gehabt, und er hätte mich haben können! Meine Aufgabe wäre es gewesen, der Glanz seines Hauses zu werden, ihm Kinder zu gebären und dafür zu sorgen, dass sein Name in der Gesellschaft so akzeptiert würde wie alle anderen alteingesessenen Familien. Dass er vorteilhafte Bekanntschaften schließen und dadurch sein Vermögen hätte mehren können, um sich alle Wünsche zu erfüllen. Stattdessen ist er davon gelaufen und hat mich im Stich gelassen, weil es ihm vollkommen egal war. Nein, nicht im Stich, sondern in Schande hat er mich zurück gelassen! Ich habe mich fügen müssen, in jeden Teil des Plans und der Erwartungen, und ich habe keine Möglichkeit gehabt, einfach so abzuhauen wie er. So läuft es eben nicht!"
Sie hielt inne und schnaubte leise, ehe sie den Kopf schüttelte. Auch aus ihr hatte all dieser aufgestaute Frust heraus müssen und wahrscheinlich war es ganz gut, dass das jetzt endlich einmal geschehen war. "Mich hat damals niemand nach meinen Wünschen gefragt, ob ich diesen Mann überhaupt haben möchte! Aber ich habe daraus gelernt und wie du sagst, es gibt immer einen Weg. Ich hatte meinen gemacht und dafür gesorgt, dass ich wieder anerkannt wurde, vielleicht hätte ich auch bald geheiratet und meine Rolle doch noch erfüllt! Doch dann..." Endlich ließ sie ihren Unterarm los und deutete in Runde als Hinweis darauf, dass sie den Überfall auf ihre Heimatstadt meinte.
"Ich habe wieder alles verloren und muss neu anfangen. Also nein, ich sehe meinen Weg nicht und muss ihn erst finden. Aber zuerst muss ich Corax finden und ihm helfen, wenn noch nicht alles zu spät ist!" Damit schloss sie und wandte sich abrupt ab, weil sie das Gefühl beschlich, nun doch noch zu viel gesagt zu haben. Außerdem brannten ihre Augen schon wieder verdächtig, sodass sie lieber etwas Abstand gewinnen wollte und deswegen erst einmal zurück ins Zimmer ging.
Ehe sie dieses allerdings betrat, vernahm auch sie die Stimmen von unten und hielt inne, um zu lauschen. Zwar konnte sie nicht direkt etwas verstehen, allerdings waren da jene düsteren Laute, die auch Corax des Öfteren verwendet hatte. Sofort keimte Hoffnung in ihr auf, sein vertrautes Timbre dabei ausmachen zu können. Aber entweder wurde nicht laut genug gesprochen oder es klang nicht nach ihm, sodass sie enttäuscht aufgab und sich wieder ihrem eigenen Vorhaben widmete.
Also trat sie in das Zimmer, wandte sie sich nach einem kurzen Zögern den Schriftrollen zu und presste die Lippen fest aufeinander bei den Resten von Blut, das so viel besudelt hatte.
Ob es auch an jener einen, besonderen Rolle klebte? Jene, die so warm gewesen war und von Gefühlen für sie erzählt hatte, die sie vermutlich niemals sonst wieder erhalten würde, nicht einmal mehr von ihm?
Ohne es bewusst zu tun, trat sie zu dem Tisch und griff nach dem Pergament, um Stück für Stück nebeneinander zu legen. Auch den abgerissenen Teil hob sie mit spitzen Fingern hoch und legte ihn dorthin, wo er hingehörte. Aber sie wagte nicht, darauf zu sehen, um auszumachen, welche Passage damit abgetrennt worden war. Zu groß war die innere Furcht davor, dass es etwas Schönes mit ihr gewesen sein mochte.
Dass dies generell länger dauerte als üblich, lag nicht nur daran, dass sie jeglichen Kontakt mit dem Blut vermeiden wollte, sondern auch, da sie nur einen Arm gebrauchen konnte. Ihre Schulter schmerzte noch immer, pochte wie wild und in ihren Fingern kribbelte es des Öfteren unangenehm. Doch alles in allem würde sie es aushalten können und erst recht wollen, um endlich zu ihrem Raben zu gelangen.
Wie viel Zeit genau verging, bis sich etwas tat, wusste Azura nicht zu sagen. Aber schwere, sich nähernde Schritte und die Stimme der anderen ließen sie aufhorchen. Als sie aufsah, erschien der Glatzkopf schon in dem Türrahmen und präsentierte, was er für sie ergattert hatte. Nur flüchtig streifte ihr Blick das Essen und sie verzog leicht das Gesicht, während die andere beinahe schon ehrfürchtig über die Mahlzeit staunte. Sie schnaubte leise, enthielt sich ansonsten jedoch einer Antwort und sorgte lieber dafür, dass die Schriftrollen nicht noch irgendetwas abbekamen oder von dem Tablett zerdrückt oder geknickt wurden, indem sie diese zusammen schob und versuchte, mit einer Hand in den Beutel zurück zu bekommen.
Indes beseitigte der Glatzkopf die Spuren von Corax' Leid und wirkte ganz so, als wolle er ihnen Vorhaltungen darüber machen. Die junge Frau biss sich auf die Zunge und wollte es vorziehen zu schweigen, in Erinnerung ihrer eigenen Erkenntnis in Bezug auf Zweckgemeinschaft. Bei seiner Bemerkung zu ihrem Aussehen hingegen, konnte sie sich nicht völlig zurück halten. "Sehr freundlich.", murrte sie und es war wahrscheinlich ein glücklicher Umstand, dass in diesem Moment Van Tjenn endlich zurück kehrte.
Allein sein Anblick brachte sie zum Schweigen, wenngleich nicht auf dieselbe Weise wie bei seinem Liebchen, denn für sein Äußeres hatte sie keinen Blick übrig. Vielmehr wollte sie ihre innere Ablehnung zum Ausdruck bringen und somit betont nicht mehr sagen, als unbedingt notwendig wäre. Dennoch sprach ihr schiefer Blick Bände bezüglich seines Plans, sie als Schlüssel zu verwenden. Wie überaus reizend von ihm!
Während sich die andere, nach ihren schmachtenden Blicken auf das ärmliche Essen ebenso wie auf den Kapitän, auf den Sack stürzte und einige Dinge heraus zog, widmete sie sich lieber den Schriftrollen, um diese endlich wieder verstaut zu wissen. Keine einzige, nicht einmal ein noch so winziges Stück davon, wollte sie hier zurück lassen!
Erst, als sie wieder direkt angesprochen wurde, hielt sie inne. Ihre Augen verengten sich und es lag ihr eine mehr als schnippische, direkte Bemerkung auf der Zunge. Ihre unversehrte Hand ballte sich sogar zur Faust und die fest aufeinander gepressten Lippen zeugten davon, wie sehr sie daran zu kauen hatte. Doch im Endeffekt schaffte sie es, diese bittere Galle hinunter zu schlucken. Wenngleich das letzte Stück Schriftrolle es ausbaden musste, weil sie etwas unsanfter hinein gestopft wurde, um endlich die Kordel des Beutels zuziehen zu können. Gar nicht so leicht mit nur einer Hand.
Als es geschafft war, deutete sie, ohne aufzusehen, mit dem Kopf auf die andere, die sich ebenfalls gerade so etwas wie ein eigenes Zimmer erbeten hatte. "Wenn du schon so kreativ im Lügen bist, Van Tjenn, lass dir auch was wegen ihr einfallen.", bemerkte sie kühl und ließ diese Worte einen Moment lang bewusst so abfällig wirken, wie sie den anderen vorkommen mussten. Sie sollten bloß nicht auf die Idee kommen, in ihr etwas Positiveres zu sehen, als sie es ihr bislang nicht zugestehen wollten.
Schließlich holte sie Luft und sah den Angesprochenen ebenso kühl an, wie ihre Stimme weiterhin klang. "Wenn ich schon deutlich spüren kann, dass in ihr die Gegenmagie zu meiner steckt, wie wird es dann wohl in der Akademie sein? Daran schon mal gedacht?" Nein, diese letzte kleine Spitze ihm gegenüber konnte sie sich nicht verkneifen.
Daraufhin jedoch winkte sie ab und wandte sich dem Seesack zu. Sie könnte ihm noch so einiges sagen, aber sie wollte nicht mehr. Auch sie hatte genug, also besah sie sich, was für sie in dem Ding stecken mochte. Mit einer Hand alles andere als leicht, sodass es ihr irgendwann reichte und sie kurzerhand den Sack umdrehte, um alles an Inhalt, das noch drinnen war, auf dem Boden zu leeren.
Ungeachtet der Reaktionen der übrigen Anwesenden ging sie daraufhin in die Hocke, schob ein wenig in dem Haufen herum und warf schließlich auf das zerwühlte Bett, was sie zu verwenden gedachte. Ein helles Hemd mit Ärmeln, die ihr gewiss bis zum Handgelenk reichen würden, ein weiteres Unterbrustmieder mit drei Knöpfen in dunkelbraun und mit zwei Trägern, die es an ihren Schultern halten und zugleich ihre Oberweite betonen würden, und einen hellbraunen Rock. Dazu noch ein heller Unterrock und der erwähnte Mantel, aber auch das zweite Paar Stiefel und der Dolch. Diese Waffe behielt sie ein wenig länger in der gesunden Hand, wog sie auch und befand sie geeignet dafür, in ihrem Stiefelschaft später Platz finden zu können.
Zu guter Letzt nahm sie noch einen längeren Leinenstreifen, den wollte sie für ihren Arm, um ihre Schulter zumindest ein bisschen entlasten zu können. Wer ihn ihr allerdings anlegen sollte... Der Glatzkopf, zweifelsohne! Aber zuerst musste dieser erst einmal den Raum verlassen.
Nachdem sie sich ihre Ausbeute auf dem Bett noch einmal angesehen hatte, nickte sie sich selbst zu. Es war alles andere als von jener Qualität, die sie gewohnt war, jedoch brauchbar. Trotzdem würde es schwierig werden mit ihrer Schulter, doch sie würde lieber noch weitere Tränen vergießen, als sich an jemanden um Hilfe zu wenden. Wobei... die Männer kamen für Unterstützung in dieser Hinsicht sowieso nicht infrage.
An das Essen hingegen dachte sie gar nicht mehr, sodass sie auch die Worte der anderen diesbezüglich ignorierte. Der Appetit war ihr gehörig vergangen und wenn sie nicht bald allesamt fertig wären, würde sie zur Not auch nackt zu der Akademie gehen, nur, um endlich zu Corax zu gelangen! Sie hatte so oder so schon viel zu viel Zeit vergeudet...
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Samstag 21. Januar 2023, 19:21

Caleb hätte nicht so sehr trödeln sollen. Er hätte früher zurückkommen sollen, um mitanzuhören, was beide Frauen über ihn sprachen, als sich für sie endlich die Gelegenheit ergab, einmal länger miteinander Worte zu wechseln. Madiha verteidigte den Mann, der sich über Jahre hinweg immer tiefer in ihr Herz gestohlen hatte und sie versuchte, Azura beizubringen, dass weder sie noch er ihr Böses wollten. Die Andunierin ihrerseits konnte der einstigen Sklavin eine andere, eine Perspektive auf all das geben, wovor Caleb aus Andunie geflohen war. Ebenso teilte sie aber im Gegensatz zu ihm die Konsequenzen mit, die es nach sich zog. Caleb hätte beides hören müssen. Das eine, um die Flamme in seinem Herzen nur noch mehr anzufachen, die für Madiha glomm. Das andere, um Azura leichter zu verstehen und auch noch einmal Verständnis für ihr Verhalten aufzubringen. Vielleicht hätte er sogar eine Entschuldigung verlauten lassen. Aber Caleb musste den Kopf frei bekommen. Die angespannte Stimmung hatte ihm gehörig zugesetzt, ebenso die Art und Weise wie Azura mit seiner Gefährtin - seiner Beziehung? Seiner Liebsten? Was war Madiha denn nun für ihn? - umging. Abstand zu gewinnen hatte ihm schon vor vielen Jahren geholfen, als er sich mit einem Schiff aus dem Staub gemacht und Andunie den Rücken gekehrt hatte. Für immer, wie er dachte. Aber nun war er zurück und die beiden Frauen mussten nicht so lange auf ihn warten. Irgendwann, als der Tagesablauf die Taverne langsam füllte, kehrte er zurück - angezogen wie ein echter Kapitän oder andunischer Kaufmann in seinen ersten Jahren und mit einem prallen Seesack. Darin fanden die beiden nicht nur Kleidung und Stiefel, sondern auch Waffen, sofern sie diese in Anspruch nehmen wollten.
Wenige Momente zuvor hatte sich auch Jakub blicken lassen, mit Essen und der Möglichkeit für Azura, ihre Schulter zu kühlen. Auch konnten die beiden jungen Frauen sich nun bei Bedarf waschen. Madiha staunte über die Vielfalt an Nahrungsmitteln, die ihr geboten wurde, wohingegen Azura nicht einmal mehr Hunger verspürte. Ihr war der Appetit vergangen. Sie konnte nur an Corax denken und wurde zunehmend ungeduldiger. Wie konnten sie nur hier sitzen, sich Kleidung aussuchen und Essen wollen? Sie mussten in die Wasserakademie herein, Serpentis Mortis erreichen und ihren Raben aus ihren widerlichen Fängen entreißen. Falls er noch lebte...
Azura konnte darauf hoffen. Sie hatte in der Zeit zwischen ihrem kurzen Gespräch mit Madiha und der Rückkehr beider Männer die Schriftrollen zusammengeklaubt und in ihren Beutel gepackt. Sie hoffte darauf, noch einmal die Wärme dieser einen besonderen Rolle zu spüren und sie würde nicht enttäuscht. Die Liebesbekundung lebte noch immer auf dem Pergament und allein das Papier zu halten, weckte die liebliche Sehnsucht nach mehr, spendete zugleich aber auch die Geborgenheit des Wissens, geliebt zu werden.
Die anderen Schriftrollen standen in so starkem Kontrast dazu, dass Azura es nicht wagte, sie überhaupt genauer anzuschauen, geschweige denn zu entfalten. Aber die letzte, die auf sich aufmerksam gemacht hatte, musste sie sorgfältiger behandeln. Denn ihr fehlte ein Stück und sie wollte jeden Fetzen mitnehmen, ganz gleich wie schrecklich der Inhalt sich auf ihre Psyche niederschlug. Als die blutige Rolle ergriff, entdeckte sie, dass nur ein Wort darauf geschrieben stand. Groß und in puslierenden Lettern konnte sie es gar nicht übersehen:

... Schmerzen ...
Schriftrolle Fuss
Allein dieses eine, geschrieben Wort schaffte es, Sorgen zu schüren. Aber es vermittelte auch die Information, dass all das Blut und Corax' Schreie in ihrem Kopf nicht zu seinem Ableben geführt hatten. Denn das Wort "lebte" irgendwie, folglich musste auch er noch leben? Ehe sich Zweifel daraus entwickeln konnten, schwand der Begriff und das Papier selbst überzog ein sanftes Schimmern, als hätte man es in Goldstaub getaucht. Es leuchtete, aber nicht so hell, als dass es einer Fackel oder Laterne hätte Konkurrenz machen können. Dort, wo ein Teil des Pergaments abgerissen worden war, glätteten sich die Ränder. Sie woben sich ineinander, falteten sich leicht und plötzlich sah es so aus, als hätte dort niemals ein Stück gefehlt. Dass es anders war, wusste Azura, denn sie hielt den einzelnen Fetzen noch fest. Wo auf dem golden leuchteten Pergament das puslierende Wort verschwunden war und sich kein neues mehr bildete, da füllte sich der winzige Fetzen in ihrer Hand mit zahlreichen Worten - fern der friedlichen Leere des restlichen Blattes.

... Azura ... Neckereien ... Schönheit ... ein Kuss ... Nähe ... ihre Schwäche ... weiche Lippen ... weiche Haut ... Wasser ... ein weicher, warmer Schoß ... Liebe? ... Liebe! ...

... Madiha ... Madi ... Sklavin ... Verbundenheit ... Herrin ... die kleine Herrin ... die gute Herrin ... Wärme ... Verständnis ... Geborgenheit ... Freundschaft? ... Freiheit...

... Caleb ... Mut ... fehlender Zeh ... Beschützer ... Humor ... Kontrahent ... Missverständnis ... Jungfrau ... Herr ... Freund ...


... Glück ...
Schriftrolle Fuss
Es fühlte sich an, als verdünnte sich das Material. Das Papier wurde faseriger und löste sich an den Rändern bereits auf. Die Schrift verblasste zum Glück nicht. Noch nicht, aber irgendwann würde es zerfallen und alles darauf wäre vergessen. Zurück bliebe nur das größere Pergament, auf dem ... nichts mehr war.
Ob Azura ihren Fund mit anderen teilte oder nicht, würde sich noch zeigen. Zunächst ergab sich keine Gelegenheit, denn die Frauen mussten sich umziehen, damit man Corax' Rettungsaktion endlich in die tat umsetzen konnte. Nur Azura erinnerte dabei an eine sehr wichtige Sache. Sie war nämlich bereits in Calebs Plan eingebunden und sollte den Grund liefern, warum die Gruppe sich überhaupt in die Akademie begeben könnte. Aber:
"Wenn du schon so kreativ im Lügen bist, Van Tjenn, lass dir auch was wegen ihr einfallen. Wenn ich schon deutlich spüren kann, dass in ihr die Gegenmagie zu meiner steckt, wie wird es dann wohl in der Akademie sein? Daran schon mal gedacht?"
Die Antwort konnte sie an seiner Reaktion ablesen, denn zunächst zuckte Caleb überrascht und blinzelte. Dann musterte er Madiha, ehe der grünblaue Blick aus Meer und Seegras wieder zu ihr zurückkehrte. Endlich schüttelte Caleb den Ernst etwas ab. Sein Schalk huschte als Schmunzeln über seine Züge, wenn auch nur für den Augenblick seiner Antwort unter gehobenen Schultern. "Ich bin ein Stein, was Magie betrifft. Selbst, wenn das Ding Moos ansetzt, hat es vermutlich mehr Magisches bewirkt als ich je könnte." Er brummte auf, rieb sich den Nacken und spazierte nachdenklich durch den Raum. Madiha erhielt auf diese Weise die Gelegenheit, sich umzuziehen und Azura suchte ihrerseits nun einige Kleidungsstücke aus dem Seesack. Caleb wartete, bis die Sarmaerin wieder im Raum war, aber anstatt sich nun rasieren zu gehen, musterte er sie. Nein, er starrte sie an, wobei er seine Lippen befeuchtete. Das Korsett mochte nicht viel Brust über sich haben, die es durch die Schnürung hätte anheben können, aber man sah eben auch, dass es nicht von einem Burschen getragen wurde. Caleb schaute eine Weile zu lang. Jakub verpasste ihm einen leichten Knuff in den Oberarm.
"Woher hast du das alles?", riss ihn Madihas Frage endlich aus seiner Starre. Er räusperte sich und rieb sich erneut den Nacken. "Das ... lag so herum ... in einem der Häuser. Ich glaube, der Schneider wird's nicht vermissen..." Er strich sich erfolglos die unzähmbare Mähne zurück. Dann klatschte er in die Hände. "Nimm dir etwas zu Esse, Madi. Du später auch, Azura. Wir sollten alle gestärkt sein. Wer weiß, wann und ob wir nochmal Gelegenheit zum Essen bekommen. Und sobald du dich umgezogen hast", er schaute die Adlige an, "besprechen wir das Problem mit der ... äh ... gegensätzlichen Magie? Du verstehst von uns allen am meisten davon. Wir sind auf deine Erfahrungen angewiesen und werden uns nach deinen Ratschlägen richten." Er sprach es ohne Zögern oder eine Spur Missmut aus, dass er sich Azuras Entscheidungen würde beugen müssen. Denn so war es nicht. Er zählte darauf, dass sie für alle die beste Wahl traf, denn sie besaß die höchsten Kenntnisse. Sie kannte hier einen Teil von Andunie, der dem Dieb schon immer verwehrt geblieben und auch gänzlich uninteressant vorgekommen war. Jetzt hing es von ihr ab, wie sie das Problem lösten. Azura ihrerseits mochte angesprochen haben, dass Madiha mit ihrem feuermagischen Potenzial durchaus den elementaren Gegenpol zu einer gesamten Akademie bildete, aber wenn sich Serpentis Mortis ebenfalls in diesen Mauern befand, war es bei ihr nicht anders. Die Dunkelelfe war eine Feuermagierin und Azura erinnerte sich garantiert noch gut daran, als sie ihr Haar in Brand gesteckt und ihr anschließend die brennenden Handflächen ins Gesicht gedrückt hatte, um sie zu töten. Irgendwann war sie auf einem Berg aus Leichen im Ventha-Tempel erwacht - unverletzt und durch ein goldenes Kettchen mit jenem Mann verbunden, der es irgendwie geschafft hatte, sie wieder zurück ins Leben zu holen. Jetzt war es an ihr, Caleb, Madiha und vielleicht auch Jakub, auch ihm sein Leben zurückzuschenken. Eines, das er offenbar ebenso sehr vermisste wie Azura seine Nähe.
"Brauchst du Hilfe beim Umziehen?", sprach Caleb Azura plötzlich an. Er deutete auf ihre Schulter. "Die solltest du schonen, so wie sie sich anfühlte. Falsche Bewegungen könnten schmerzen. Also ... soll dir jemand beim Umziehen helfen?" Er fragte freundlich, aber die aufsteigende Röte konnte er nicht aus seinen Wangen verbannen. Es musste aber nicht Caleb sein, der ihr zur Hand ging. Da gab es noch Jakub, der ihr sicher nichts abschauen würde, wenn es stimmte, dass sein Interesse lediglich bei Männern lag. Und nicht zuletzt war auch eine weitere Frau anwesend, auch wenn Madiha gerade hungrig ihre Aufmerksamkeit auf das Essen richtete.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 22. Januar 2023, 20:52

Abwartend blickte Madiha in das Gesicht der Adeligen, während eine kurze Pause entstand. Sie hatte gesagt, was ihr in dem Moment auf der Zunge gebrannt hatte. Jetzt war es an Azura. Allerdings sah Madiha, dass die andere sich verschloss und ihre Worte nicht auf Verständnis stießen. Sie wappnete sich für eine ausschweifende Tirade, die jedoch unter der Bemühung von Azura weitestgehend ausblieb: "Nein, du hast keine Ahnung, da hast du vollkommen recht.“, kurz zuckten Madiha’s Mundwinkel, wenn auch freudlos. Als hätte sie es geahnt, wie Azura reagieren würde. "Hat dir dein toller Kapitän auch erzählt, was er mir angetan hat? Damals, als er vor seiner Verantwortung davon gelaufen ist?", stirnrunzelnd und unsicher zugleich, zogen sich ihre Augenbrauen zusammen. Wovon sprach sie? Und dann erzählte Azura ihr, dass die Wurzel allen Übels eben jene Verschmähung aus grauer Vorzeit war. Sie hörte der anderen schweigend zu, ganz so, wie sie sie hatte ausreden lassen. Einzig an ihrem Gesicht konnte Azura ablesen, dass Madiha nicht ansatzweise nachvollziehen konnte, wieso das einen so großen Groll nach sich zog, dass Azura Jahre später auf Caleb so reagierte. Nachdem sie geendet hatte, machte sie Anstalten in das Zimmer zurückzugehen. Madiha ließ sie und schaute ihr nachdenklich nach. Bevor sie jedoch das Zimmer betreten konnte, erhob sie doch noch mal die Stimme: „Ich weiß das. Er hat es mir erzählt. Und er hat mir auch erzählt, dass er keine Ahnung hatte, was er dir damit antat. Es waren unglückliche Umstände in einer Zeit, die ewig zurückliegt.“, gab sie ihr noch mit, bis Azura dann aus ihrem Sichtfeld verschwand. Madiha aber stand noch einen Moment da und dachte über die Worte nach. Allerdings kam sie zu keiner anderen Einsicht. Für sie klangen Azura’s Worte wenig nachvollziehbar. Aber woher sollte sie auch etwas von höfischen Zwängen wissen? In ihrer Welt konnten solche Sorgen nicht das aufwiegen, um das es wirklich ging. Aber sie war schlussendlich auch nur niederes Gesindel in den Augen einer Frau, die sich auch jetzt ins Licht gerückt hatte, um zu erwähnen, dass sie der Mittelpunkt war. Und niemand sonst. Vermutlich war das eine Einstellung, die Madiha niemals verstehen könnte, auch wenn sie nachdenklich blieb und es zumindest versuchte.
Nachdem auch Jakub wiedergekommen war, bestaunte Madiha die Vielfalt des mitgebrachten Essens. Bis sie ein abfälliges Schnauben hörte und Azura einen Seitenblick zuwarf. Stirnrunzelnd biss sie sich auf die Zunge. Freunde würden sie wohl niemals werden aber je länger sie mit Azura zu tun hatte und… nachdem sie das erste Mal etwas mehr als zwei Worte gewechselt hatten, war die Sarmaerin sich sicher, dass die Ablehnung und die Geringschätzung nicht ihr, als Person, galten. Azura schätzte jeden geringer als sich selbst, weil es nun mal das war, was sie gelernt hatte. Also wandte sie sich ohne bösen Kommentar ab und ließ die Adelige ihre Schriftrollen einpacken. Caleb kam wieder und fokussierte sie alle wieder auf ihren Plan. Dabei regte er Gedanken an, die Madiha gar nicht gekommen waren, weil sie bisher gar nicht weiter an ihre Magie gedacht hatte. Für sie war das immer noch etwas, was für sie nur zufällig passierte. Und während Azura die Gefühle ansprach, die sie spüren konnte, runzelte Madiha die Stirn. „Das hat was mit der Magie zu tun? Ich hatte keine Ahnung. Ich weiß nichts darüber...“, murmelte sie. Woher sollte sie so etwas wissen? Ihre Magie-Prüfung hatte sie schließlich nie. Auch Caleb erklärte noch mal, dass er keine Ahnung davon hatte. Er wirkte etwas gelöst in diesem Moment, was Madiha freute. Dann jedoch verschob er seine Pläne, sodass sie ihre Sache griff und den Raum verließ.

Sie nutzte die Gelegenheit und wusch sich zudem ordentlich. Es war wirklich wohltuend, sich etwas zu säubern, sodass sie einen Moment innehielt und ihre Schultern kreiste. Madiha schloss die Augen. Sie war müde und ausgelaugt. Das giftige Umfeld, die neue Stadt, die vielen Ungewissheiten… sie fühlte sich erschöpft und obendrein kribbelte immer wieder ihre Nase. Diese rieb sie sich gerade, ehe sie einen Kamm entdeckte, den Jakub wohl kaum vermissen würde. Mühsam machte sie sich daran, auch ihre Haare etwas auszuwaschen, mit dem alten Hemd trocken zu rubbeln und sie dann zu glätten. Ihre kürzeren Haare ließen sich etwas bändigen und wirkten nicht mehr ganz zu verstrubbelt. Dann zog sie sich das helle Hemd an, welches ihr bis über den Po reichte. Die Ärmel endeten knapp unterhalb ihrer Ellenbeuge und es hatte einen V-Ausschnitt mit dunkler Schnürung, die sie aber geöffnet ließ. Die Hose war ein wenig zu groß, aber lag dennoch eng genug an ihren Beinen an, sodass sie problemlos in die Schluppenstiefel steigen konnte. Sie passten tatsächlich nicht so schlecht und sie würde gut darin laufen können. Madiha wackelte etwas mit den Zehen und grinste plötzlich. Sie hatte Schuhe. Sie schloss die Augen und seufzte. Es war ein herrliches Gefühl Kleidung zu tragen, die halbwegs passte. Bisher war ihr das jedenfalls nicht vergönnt gewesen. Sie fühlte sich sehr wohl auf einmal und lächelnd strich sie sich über den Bauch während ihr Blick auf das Unterbrustmieder fiel.
Zweifelnd betrachtete sie es und brauchte einige Ansätze, bis sie glaubte, verstanden zu haben, wie man es trug. So angezogen kehrte Madiha zu den anderen zurück und blieb im Eingang stehen. Sie fing den Blick den Diebes auf und schaute fragend an sich herunter. Hatte sie etwas falsch gemacht? Trug sie das enge Ding etwa doch falsch? Sie hob ihren Blick wieder und bemerkte dann, dass er sie anstarrte. Madiha’s Ohren wurden mit einem Mal rot. Gefiel… es… sie?!.. ihm etwa? Durch die neue Kleidung erkannte man zumindest, wie schmal sie eigentlich war und das sie zwar nicht so ausgeprägte, weibliche Kurven besaß, wie Azura aber trotzdem auch kein Junge war. Madiha hatte sich bisher nie gekleidet, um nach etwas anderem auszusehen als nur angezogen. Es war ungewohnt, mit anderen Augen betrachtet zu werden und gar eine andere Wirkung zu erzielen. Geboren aus ihrer Verlegenheit, offenbarte sie auch ihre teilweise hervorbrechende Einfachheit: „Ich habe Schuhe!“, grinste sie mit einem Mal breit, während Jakub Caleb knuffte. Sie stampfte kurz und nicht all zu laut auf und drehte sich einmal im Kreis. „Woher hast du das alles?!“, wollte sie dann freudestrahlend wissen und lächelte als er ihr erklärte, woher.

Madiha hatte das erste Mal in der Akademie Schuhe gehabt. Doch seit sie aus Sarma geflohen war, hatte sie nichts dergleichen ihr eigen nennen können. Jetzt war sie trotz all der Not für einen Moment wahrhaft dankbar. Sie beobachtete Caleb noch einen Moment, während seine Haare wieder mal nicht so wollten, wie er und hielt ihr Lächeln aufrecht. Trotz der Situation hatte Madiha nicht vergessen, auch die kleinen, schönen Dinge zu sehen. Denn nach Abzug aller Dramatik, war sie das erste Mal aus Sarma weg. Als freie Frau und ohne einen Herren. Das Mädchen strahlte Caleb noch einen Moment an, ehe sie sich dem Essen widmete. Sie nickte auf seine Worte und deutete auf die Schüssel mit dem Haferschleim. Da niemand sich äußerte, trat sie vor und nahm sich diese, um sich einen Löffel zu genehmigen. Madiha kaute mit vollen Wangen und mit Genuss, denn die Äpfel in Verbindung mit Nuss und Hafer, war etwas neues für sie. Mit Appetit essend, lauschte sie den Worten von Caleb und Azura. "Brauchst du Hilfe beim Umziehen?", sie hustete kurz, ehe sie aufblickte und innehielt. Ihr Blick glitt von Caleb zu Azura und wieder zurück. Er wurde wieder rot, sodass Madiha den Blick abwandte und sich lieber ihrer Schüssel widmete, bis sie leer war. Dann stellte sie die Schüssel wieder zurück, leckte sich den Daumen ab und holte tief Luft. „Ich helfe ihr.“, bot sie an und spürte in sich, dass es nicht nur selbstlos war. Es war schon eigenartig, sich so zu fühlen. Aber die Vorstellung, dass Caleb ihr half, schmeckte bitter… trotz allem tat Madiha es auch, damit sie alle zügig vorankamen und endlich losgehen und helfen konnten.
Sie wartete, bis die Männer den Raum verlassen hatten, ehe sie sich an Azura wandte. „Sag mir, wie ich dir helfen kann.“, bat sie und trat an sie heran. Einen Moment herrschte seitens Madiha’s Schweigen, in der sie behutsam versuchte, Azura zu helfen. Dann knüpfte sie noch mal an das zuvor geführte Gespräch an: „Jeder macht Fehler. Es liegt an uns zu entscheiden, ob sie zu groß sind, um vergeben zu werden, aber stell dir selbst die Frage, ob die Handlungen von damals wirklich verdienen, Jahre später auf solche Ablehnung zu stoßen. Du hast schon ganz andere Dinge verziehen und über sie hinweggesehen.“, sie schaute kurz zu den Schriftrollen als Zeichen, wen und was sie alles damit meinte. „Wiegen da die Entscheidungen, die jemand aus Not heraus traf, weil er sich nicht einsperren lassen wollte in eine Welt, die nicht seine eigene ist, etwa schlimmer als das was ihn jetzt bewegt zählt?“, Madiha seufzte. Sie konnte es nicht verstehen, sodass sie versuchte Azura einen anderen Blickwinkel zu geben.
„Caleb ist ein Freigeist, den man in eine Gesellschaft zwang, die er nicht wollte. Das macht ihn nicht zum schlechten Menschen. Er zeigt dir nur, was du nicht haben konntest. Aber es geht nicht immer um einen selbst.“, murmelte sie und half Azura weiter beim Anziehen. Sie sprach ruhig und hatte endlich auch selbst zu einer gewissen inneren Ruhe gefunden. Madiha teilte Azura ungefragt ihre Gedanken, die sie sich seit ihrem Gesprächsanfang gemacht hatte mit, ohne zu werten. Ob sie sie hören wollte oder nicht. „Ich verstehe deine Welt nicht, weil sie so vollkommen anders ist als meine. Aber egal in welcher Welt: Niemand sollte gezwungen werden etwas zu tun, was er nicht will.“, sie sah sie eindringlich an und hielt inne. Madiha wusste wovon sie sprach. Wenn auch auf eine gänzlich andere Weise. „Wir entscheiden wer wir sind und was wir sein wollen.“, schloss sie und beendete ihre Hilfe, Azura anzuziehen. Sie reichte ihr noch etwas zum Kühlen, bevor sie ihr noch mit der Schlinge half, bis sie gänzlich fertig angezogen war und die Männern wieder hereinkommen konnten. Madiha aber griff noch nach der Schleuder, ehe sie diese an ihrem Gürtel verstaute und sich zum Fenster stellte. Sie schaute hinaus und holte tief Luft. Wie auch immer sie ihr Anliegen erklären würden und was auch immer ihre Rolle sein sollte, sie fühlte, dass sie nervös wurde, je näher sie dem Aufbruch kamen.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Azura » Montag 23. Januar 2023, 14:25

Es war das erste Mal, dass die beiden jungen Frauen sich fast schon normal unterhalten konnten und das mehr als ein oder zwei Worte. Es gab sie also doch, die Entwicklung bei Azura, die trotz allem nicht ganz wieder zugeschüttet worden war von ihrem angelernten Verhaltensmuster. Auch wenn es vermutlich nur von kurzer Dauer wäre, bis es wieder etwas gäbe, das sie zurück in das Bekannte werfen würde.
Jetzt allerdings konnte sie sich erstaunlich gut zusammen reißen und ein paar Dinge aus ihrer Sicht erzählen, bei denen sie beinahe schon... neutral klang. Wenigstens der anderen gegenüber, das wäre bei dem Schuldigen selbst sicherlich nicht der Fall. So weit wäre sie dann definitiv doch noch nicht!
Die Sarmaerin hörte ihr zu und schien es dennoch nicht zu verstehen. Das würde schon noch kommen, wenn diese ihre verliebten Schmetterlinge mal aus dem Kopf bekommen und mehr erkennen würde. Oder eben auch nicht. Was machte das schon? Sie hatte etwas erreicht, indem sie überhaupt diese kurze Unterhaltung in dieser Ruhe bestritten hatte.
Bevor sie allerdings gehen und wieder für sich sein konnte, erhielt sie tatsächlich noch eine Antwort, die sie innehalten und über ihre verletzte Schulter zurück sehen ließ. Leise schnaubte sie und deutete dann ein Kopfschütteln an. "Natürlich weiß er das nicht oder kann es sich vorstellen. Er ist ein Mann, da gelten andere Maßstäbe.", erwiderte sie eine Spur kühler, wenngleich noch immer ohne einem direkten Angriff auf die andere. Damit jedoch wandte sie sich endgültig ab und machte damit hoffentlich deutlich, dass es besser wäre, sie jetzt in Ruhe zu lassen, um den soeben erst erreichten Waffenstillstand zwischen ihnen nicht wieder zu gefährden.
Somit widmete sie sich einer selbst gewählten Aufgabe und sammelte die Schriftrollen zusammen, um sie nicht zurück zu lassen. Irgendwie musste sie sich schließlich beschäftigen, um nicht während der ewigen Warterei verrückt zu werden. Oder die nächste Dummheit zu begehen...
Als sie jene eine, besondere Rolle erwischte, spürte sie sofort wieder die Wärme in ihrer Hand und ein wohliges Kribbeln in ihren Fingern, als wollten seine Worte sie dort kitzeln... oder streicheln. Unwillkürlich schloss sie die Augen und spürte diesem Gefühl nach, während ihr ein leises Seufzen entwich.
Wie gut, dass die Stimme der anderen erklang, ehe sie oder der Glatzkopf den Raum betraten. So konnte sie sich fassen, auch wenn ihr Herz noch immer etwas schneller klopfte und in ihrem Magen sich zugleich der Klumpen aus Sorge und Angst um ihren Raben vergrößerte. Also räumte sie weiter ein, um beschäftigt zu bleiben, nachdem ihr ein rascher Blick auf das Essen genügt hatte, für das sie gewiss keinen Appetit entwickeln würde. Dabei nahm sie auch das abgetrennte Stück und gegen ihre Vernunft sah sie darauf, um ein einzelnes, pulsierendes Wort lesen zu müssen, das ihr sogleich die Tränen in die Augen zu treiben drohte. "Wir müssen uns beeilen...", murmelte sie unbewusst und legte das Stück auf den Tisch, um trotz allem sanft darüber zu streichen. So, als könne sie ihm auf diese Weise Linderung verschaffen, weil sie ihm eine beruhigende Geste zukommen ließ. Wenn es nur geholfen hätte ihre Idee...
Bevor sie tatsächlich wieder weinen musste, konnte sie zusehen, wie sich bei dem Pergament etwas tat. Blinzelnd und mit angehaltenem Atem starrte sie darauf, beobachtete, wie das Wort selbst verschwand und dafür schimmernder Staub zu sehen war. Was hatte das zu bedeuten? Und da! Da erschienen auch wieder Buchstaben, die sich zu Silben und schließlich zu Worten formten, die sie problemlos lesen konnte! Nicht nur das, ihr Name stand sogar an erster Stelle!
Mit klopfendem Herzen flogen ihre Augen regelrecht darüber und ein feines, beinahe schon verliebtes Lächeln schlich sich wie von allein in ihren Mundwinkel. Dann las sie seine Gedanken zu den anderen beiden Namen und seufzte schließlich lautlos. So ganz nachvollziehen konnte und wollte sie das zwar nicht, aber... sie hatte jetzt keine Zeit, um sich damit zu beschäftigen.
Es zählte nur das letzte Wort noch auf dem Stück und sie spürte, wie das Material darunter immer dünner wurde, als würde es schon jetzt anfangen zu vergehen. "Ich will dein Glück, Corax...", wisperte sie, legte sich Zeige- und Mittelfinger auf die Lippen, um damit den darauf gehauchten Kuss auf dieses abschließende Wort zu legen. Wie auch immer sein Glück aussehen würde, sie wollte alles dafür tun, ihm die Chance darauf zu geben, indem sie ihn aus den Fängen der Hexe befreite.
Die Rückkehr des Kapitäns holte sie unsanft und zugleich mit größerer Entschlossenheit als zuvor aus dieser Betrachtung der einen Schriftrolle. Dabei gab es nämlich etwas, das er bislang nicht bedacht hatte, sodass sie das endlich zur Sprache brachte, jetzt, da sie sich besser darauf konzentrieren konnte, eine wirkliche Hilfe sein zu wollen. Dass sie damit einen wunden Punkt traf, bestätigte sie zwar in ihrer Ablehnung Van Tjenns, aber es weckte auch eine gewisse Genugtuung, ihm einmal einen Schritt voraus zu sein. Gepaart mit der Sorge, ob es wirklich so gut gewesen war, auf ihn zu warten, anstatt gleich loszumarschieren...
Der zurückkehrende Schalk in seine Mimik erreichte sie nicht, dazu war die Mauer, die sie gegen seine Wirkung in ihrem Inneren errichtet hatte, vorerst noch zu stark und solide. Hätte sie es gekonnt, sie hätte nun die Arme vor der Brust verschränkt. Stattdessen wandte sie sich ab, nach einem leisen, abfälligen Schnauben in seine Richtung, und suchte sich Brauchbares für sich selbst aus dem Sack heraus. Es war definitiv nicht das Beste und schon gar nicht Kleidsamste, aber es würde genügen und besser sein, als weiterhin halbnackt herum laufen zu müssen.
Sie richtete sich gerade wieder auf und wollte sich umdrehen, um die Aufforderung zum Rausgehen von sich zu geben, als sie noch mitbekam, wie der Glatzkopf den anderen knuffte, dessen Blick eine eindeutige Richtung angenommen hatte. Azura verdrehte leicht die Augen. "Männer!", brummte sie dabei betont abfällig und nutzte bewusst auch jene Sprache, die die andere beherrschte. Einfach, weil sie dieses eine Wort dabei noch besser auf jene nicht sonderlich positive Weise betonen konnte.
Daraufhin bekam sie zu hören, woher die Sachen stammten, und runzelte missbilligend die Stirn. "Für den Erben eines Neureichen weißt du Geld zu sparen.", gab sie spöttisch von sich und deutete ein Kopfschütteln an, als es dann doch wieder um die Magie ging. "Im Grunde stammt das mit der gegensätzlichen Magie von Corax.", fuhr sie fort und machte damit ein Geständnis, das vermutlich so nicht erwartet worden wäre von ihr. "Wenn zwei gegensätzliche Magiearten aufeinander treffen, stoßen sie sich instinktiv ab und bereiten ihren Trägern Unwohlsein oder mehr. Drum hab ich immer das Gefühl zu verdampfen, wenn sie mir zu nahe kommt. Ganz so, wie wenn ich..."
Azura stockte und blinzelte, als ihr ein Gedanke kam, den sie jedoch nicht ganz greifen konnte. Sie versuchte es noch unbewusst, weil sie spürte, dass dies für sie nicht vollkommen unwichtig wäre. Für sie persönlich, wohlgemerkt, nicht für die Rettung ihres Raben. Als es ihr nicht gelang und sie eher das Gefühl beschlich, dass sie die Erkenntnis mit ihrem Bemühen noch weiter von sich schob, seufzte sie leise und schüttelte ein weiteres Mal den Kopf.
"Wie auch immer. Meine Magie ist kaum geschult und trotzdem spüre ich ihren Gegensatz sehr deutlich. Wer weiß, wie das also ist, wenn wir bei der Akademie ankommen und dort auf Schüler oder Lehrer treffen." Dass auch die Hexe eine Feuermagierin war, hatte sich in ihrer Erinnerung zwar verankert, war allerdings noch zu tief verschüttet, als dass es ihr in diesem rechten Moment hätte einfallen können. Es hätte obendrein vermutlich einen weiteren Rattenschwanz nach sich gezogen, wenn sie das jetzt auch noch hätte bedenken müssen, anstatt sich endlich umzuziehen.
Das wollte sie auch nun erledigen, als das Angebot von Hilfe plötzlich an ihre Ohren drang. Im ersten Atemzug blinzelte die junge Frau und glaubte, sie hätte sich verhört. "Wie bitte?", entkam es ihr ungläubig. Während an anderer Stelle gehustet wurde, was ihr wiederum bestätigte, dass es wirklich von ihm gekommen war. Hinzu kamen seine roten Wangen, wenngleich er sich bemühte, dieses eindeutige Angebot zu verharmlosen, indem er es erweiterte.
"Und mit jemand meinst du gewiss di...", begann sie schnippisch und herausfordernd, mit dem Wissen, dass sie lieber unermessliche Schmerzen erleiden würde, als dass ausgerechnet er ihr beim Umziehen helfen sollte. Doch sie kam nicht dazu, auszureden, als auch schon die andere dazwischenrief.
Und obwohl so eine Situation schon einmal gehörig schief gegangen war zwischen ihnen beiden, war es trotzdem noch immer die beste Wahl. Sie sah zu der Sarmaerin hin und deutete ein Nicken an, ehe den Kapitän ein vielsagender, auffordernder Blick traf, sich möglichst rasch aus dem Staub zu machen. Tatsächlich waren sie wenig später wieder unter sich, sodass Azura leicht aufatmete.
Dann wandte sie sich an die andere und deutete mit der freien Hand auf die Sachen. "Bei allem. Soweit ich gesehen habe, braucht man bei jedem Stück zwei Hände.", seufzte sie und griff sich vorsichtig an die Schulter, um hastig die Hand wieder wegzuziehen, da allein diese leichte Berührung das unangenehme Pochen darin schon verstärkte. Na, das würde ja heiter werden!
Nun ja, aber es half nichts. Also bedeutete sie der anderen, ihr aus dem Hemd zu helfen als Anfang. Nackt, wie sie war, drehte sie sich um und griff nach dem frischen Hemd, das sie als erstes anziehen wollte. Bevor sie aber hinein schlüpfen konnte, fragte sie recht kleinlaut:"Wie furchtbar sieht es aus?" Und damit meinte sie nicht das Kleidungsstück, das Sekunden später an ihr herabfiel und nicht so stark kratzte, wie sie befürchtet hatte. Sondern ihren halbtoten Körper, dessen Geruch sie noch immer nicht hatte verbessern können und sich auch jetzt nicht die Zeit dafür nehmen wollte.
Wie stark war die Verwesung an ihrem Rücken, ihrem Gesäß, ihren... Brüsten und sonstigen Stellen voran geschritten? Gab es noch weitere Körperpartien, an denen sie schon auseinander fiel, wie bei ihrem Arm? Und wie war es mit ihren Haaren? Gestern, als sie diese rasch geflochten hatte, hatte sie keine gröberen, kahlen Stellen ertastet oder plötzlich viele Strähnen in der Hand gehabt. Aber das musste nichts heißen... Lautlos seufzend deutete sie ein Kopfschütteln an und versuchte, nicht länger über ihre optische Erscheinung und vor allem ihre Wirkung nachzudenken, sondern sich weiter anzuziehen.
Nachdem die andere die Schnürung des Hemdes locker zugezogen hatte, schaffte sie es, unter Schmerzen, in den Unterrock zu steigen und diesen hochzuziehen bis zu ihrer Taille. Beim Hineinstopfen des hellen Stoffes ihres Oberteils hingegen brauchte sie Hilfe, ebenso wie bei der rückseitigen Schnürung des Rockes und beim Anlegen des Unterbrustmieders sowie bei dessen Schließung. Danach konnte sie sich das Hemd über die Schultern runter ziehen, denn dafür war der Stoff ausreichend genug und bot somit auch weniger Gefahr, anderweitig zu verrutschen. Außerdem reichten dadurch die Ärmel bis zu ihren Handgelenken und es war zwischen Höhe ihrer Achsel bis hin zu den Trägern des Mieders nur Hautpartien zu sehen, die lediglich in ihrer ungesund wirkenden Farbe auffallen mochten.
Am Schluss schließlich zog sie die silberne Nadel aus dem Stoff des getragenen Hemds heraus und gab sie vorsichtig in den Beutel zu den Schriftrollen. Sie war ein Geschenk gewesen und noch war ihr nicht klar, wofür sie diese gebrauchen können würde, als wollte sie dafür sorgen, dass sie ihr nicht verloren ging. Den Beutel selbst ließ sie sich um die Hüfte binden, so, dass sie ihre gesunde Hand jederzeit darauf legen konnte.
Währenddessen hatten sie die Gelegenheit, sich erneut miteinander zu unterhalten, nachdem die andere den Faden von vorhin wieder aufgriff. Die junge Frau hörte erst einmal zu, weil sie sich auch mehr darauf konzentrierte, ihre Schulter nicht zu viel zu bewegen, aber hin und wieder schüttelte sie den Kopf oder schnaubte leise. Bis sie endlich fertig waren und sie das Tuch zur Kühlung erhielt.
Während sie darauf wartete, dass das schmerzhafte Pochen endlich wieder abzuklingen begann, und froh darüber war, dass sie ihr Haar nicht neu flechten oder sonstwie formen musste, weil ihr Zopf noch hielt, meinte sie:"Was Corax getan hat, war schlimm und es gibt vieles, was ich lieber nicht zu genau wissen will. Doch mir hat er das nicht angetan. Van Tjenn dagegen..." Ein weiteres Kopfschütteln folgte. "Er hat damals mein Leben zerstört, das ich mir mühsam aufgebaut habe, und es danach wieder zu richten, war nur noch mühsamer."
Sie gab das Tuch zurück, da es an der Zeit war, und griff indes nach dem langen Leinenstreifen, der ihr als Schlinge dienen sollte. "Du sprichst von Zwang, so, als ich diejenige gewesen wäre, die ihn zur Heirat hätte zwingen wollen." Kurz seufzte sie. "Meinst du wirklich, ich hätte das gewollt? Einen wildfremden Mann, der vom Alter her mein Vater sein könnte, zu heiraten? Einen, den ich nicht kenne, dessen Name allein mich zum Gespött gemacht hätte, bis ich ihm zu mehr Beachtung verholfen hätte, weil er ständig auf Reisen und Handelsfahrten gewesen wäre? Einen, der im Ehebett mich nach Gutdünken hätte behandeln können und ich hätte es mir gefallen lassen müssen? Oh ja, er wäre gezwungen worden und hätte es viel schlimmer treffen können, glaube mir."
Sie verzog flüchtig gequält das Gesicht und es war unklar, ob es wegen der Erinnerungen an ihre damalige Lebenswirklichkeit oder wegen ihrer Schulter war, die von der anderen gerade verbunden und gestützt wurde. "Aber ich hätte es genauso wenig freiwillig gemacht und mich fügen müssen. Und im Gegensatz zu ihm hatte ich keine Möglichkeit zur Flucht! Klar, wenn Männer meinen, sie müssten abhauen und die Welt sehen oder sonst was und wieder zurück kommen, dann gelten sie als erfahren, als weitgereist, als... Ach, was weiß ich noch alles! Aber wenn eine Tochter aus gutem Hause so etwas auch nur zur Sprache bringt..." Und noch einmal schüttelte sie mit dem Kopf. "So eine bringt nichts weiter als Schande über sich und ihre ganze Familie."
Sie ließ ihren Arm in der Schlinge los und prüfte, ob diese gut saß und sie wirklich stützte oder lediglich behinderte. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass alles passte, hob sie den Kopf und suchte das erste Mal wirklich bewusst den Blick der anderen, um diese ernst anzusehen. "Also nein, die Entscheidungen treffen letzten Endes immer die Männer!"
Damit wandte sie sich ab und setzte sich auf die Bettkante, um nun auch endlich in die Stiefel schlüpfen und den Dolch darin verbergen zu können. Ohne dabei darauf zu achten, dass sie sich vorbeugen musste und dadurch einen guten Blick von der Tür aus auf ihr pralles Dekolleté bot. So gut das Hemd nämlich im Stehen vor Blicken auf ihre nackte Haut schützte, so wenig halten konnte es das bei dieser Position. Auch wenn zumindest der Großteil trotzdem bedeckt blieb.
Indes holte die andere sich die Schleuder und trat ans Fenster, während die Männer zurück kommen konnten.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Dienstag 24. Januar 2023, 21:42

"Für den Erben eines Neureichen weißt du Geld zu sparen."
Caleb musterte Azura nur. Kein kecker Spruch, kein Aufgrinsen. Er sah sie einfach nur sehr lange an. Dann wandte er sich zur Tür, wo Jakub bereits auf Anweisungen wartete. Er erhielt sie nicht, sondern nur eine Berührung seines Ex-Kapitäns an der Schulter. Die Männer würden sich zurückziehen, damit die Frauen sich fertig ankleiden konnten. Bevor sie gingen, sprach Caleb dann doch noch einmal: "Diese Bande sind gekappt, Azura und das ist für alle besser so." Dann schob er Jakub vor sich her aus dem Zimmer.
Azura war nicht bereit, Caleb zu verzeihen. Vielleicht würde sich das mit der Zeit ändern, falls ihr Weg ein gemeinsamer bliebe. Vielleicht täte sich aber auch nichts. Calebs Flucht aus Andunie hatte Azuras Vergangenheit beeinflusst und sie nahm es ihm übel. Mehr als die Vorstellung, an ihn verheiratet zu werden - den Sohn eines Neureichen, der sich den Titel nur durch Geld hatte erwerben können. Niemand, der in seinen Stand geboren worden war. Allerdings galt das auch für die Andunierin selbst in gewisser Weise. Zwar hatten weder sie noch ihre Mutter sich in den Adel gekauft, aber Azura war nicht von Alycide van Ikari gezeugt worden. Er war nur ihr Ziehvater. Im Grunde besaß auch sie kein blaues Blut. Glücklicherweise wussten sowohl Caleb als auch Madiha davon nichts und sie erwähnte es nicht. Ebenso wenig wie sie Worte auf der Schriftrolle erwähnte, die sie über sich und die beiden hatte lesen können. Oder genauer gesagt: Jene Worte, die auf dem abgerissenen Fetzen standen, der nun nicht mehr an den Rest des Papiers passen wollte, weil sich dessen Ränder unter dem Lichtschimmer geglättet hatten. Dafür schienen sich die Fasern des beschriebenen Stückes nach und nach aufzulösen. Azura verstaute alles, denn nichts von Corax' Erinnerungen wollte sie zurücklassen.
So fand auch die Silbernadel einen Platz bei den Schriftrollen, nachdem die Adlige sich umgezogen hatte. Weder Caleb noch Jakub halfen ihr dabei. Die Männer würden sie nicht anfassen, schon gar nicht der Kapitän. Außerdem hatte Madiha ihre Hilfe angeboten. Es geschah weniger aus dem Schema eines ehemaligen Sklavenlebens heraus und auch nicht wirklich aus Nächstenliebe. Vielmehr wünschte auch das Wüstenkind nicht, dass Caleb sich Azura noch einmal so sehr näherte. Etwas stach in ihr, das sie kaum beschreiben konnte. Es reicht jedoch aus, um lieber sich selbst in die Position einer Helferin zu begeben als die Arbeit Caleb zuzumuten. Außerdem wollte er sich ohnehin noch rasieren!
Wie sie das Thema hinsichtlich der Magie lösen wollten, klärte sich vielleicht noch. Caleb hatte lediglich zu Azura gesehen, als sie ihre Kenntnisse mitteilte und dass sie diese von Corax erhalten hatte. Er hatte genickt in Bezug auf den offenbar magischen Konflikt, der sich zwischen ihr und Madiha aufbauen konnte, wiel Feuer und Wasser nun einmal auch Gegensätze waren. Mehr dazu beitragen konnte er allerdings nicht, aber er wollte es sich durch den Kopf gehen lassen. Die Gelegenheit fände sich wunderbar, wenn er mit dem Rasiermesser vor einer Waschschale stünde. Während Kapitän und Erster Maat somit in Jakubs Zimmer verschwanden, blieben Madiha und Azura zurück. In der Sarmaerin glühte noch diese Erinnerung an Calebs Starren. Seine Augen, die sie mit einem Funkeln in den Pupillen gemustert hatten, ganz so, als würde sie ihm in der neuen Kluft wirklich gefallen. Er hatte sogar auf ihr Dekolletée geschaut, obwohl Azura davon deutlich mehr besaß, aber Caleb hatte sie - Madiha - angesehen! Und nur sie! Er mochte rot geworden sein, als er Azura Hilfe beim Umziehen anbot, aber er hatte Madiha angesehen. Oh, wie warm diese Erinnerung doch sein konnte, beinahe so schön wie Corax' Liebesbekundung auf der Schriftrolle. An jene klammerte sich auch Azura, dachte daran und versuchte, das Gefühl der Worte in sich zu halten. Er hatte sie schon von Anfang an als schön empfunden und es immer wieder betont. Ihre weiche Haut, ihr bezaubernder Körper, den er vor ihrer Vereinigung nicht unerlaub hatte berühren wollen. Für einen Entführer von damals war er wirklich umsichtig mit ihr umgegangen, beinahe liebevoll. Er hatte ihr zwar mehr als einen unerlaubten Kuss geraubt, aber daraus auch jedes Mal irgendein Spiel gemacht - ein sinnliches, dem Azura nie hatte widerstehen können. Andernfalls wäre ihr Rabe nicht erfolgreich gewesen.
Und nun? Jetzt legte sie ihre alte Kleidung ab und wandte sich nicht nur mit ihrem nackten Körper Madiha zu, sondern auch mit Worten, getrieben von Sorge und Angst, ihr Rabe könnte sie abstoßend finden, wenn er sie jetzt nur sähe.
"Wie furchtbar sieht es aus?"
Sofern Madiha ehrlich mit Azura wäre, könnte sie diese etwas beruhigen. Tatsächlich war die offene Stelle an ihrem Arm, wo der Knochen schon sichtbar war, am schlimmsten von der Verwesung betroffen. Es schien, als hätte der Prozess mit ihrer Rückkehr in ihren Körper nun ausgesetzt. Leider heilte bisweilen auch nichts. Ihre Haut war immer noch fahl und mehr graues als sinnlich helles Fleisch. Auf dem Rücken fanden sich einige schwärzliche Flecken, die wie eine Krankheit unter der Haut hindurch schimmerten. Aus der Nähe verströmten sie auch einen stärkeren Duft von Fäulnis als andere Teile ihres Körpers, aber wenigstens sah Azura nicht aus wie ein löchriger Schimmelkäse!
Vorn war es sogar noch besser. Brust und Bauch waren lediglich grau. Nun gut, die Haut ihrer weiblichen Wölbungen hatte an Straffheit verloren. Das Gewebe hin ein wenig, so dass ihre Knospen wie ungereifte Fuchthülsen im Spätsommer von den Zweigen hingen - zu weit ausgeprägt, um noch als Blüten sich zu entfalten, aber bei weitem nicht schwer genug, um sich von ihren Ästen zu lösen. Farblich hoben sie sich nun noch mehr von ihrer übrigen Haut ab als vorher schon und um ihre Höfe herum konnte sie blaue Adernstränge hindurch schimmern sehen.
Auch ihr Sitzfleisch war nicht mehr so straff, was ihr vielleicht bereits aufgefallen war, da sich alles etwas ... weicher anfühlte. Die schlaffe Haut wirkte nun wie ein dickeres Polster. So saß sie wenigstens vorerst einmal weich. Und vorn? Rein optisch hatte sich bis auf die Farbe nichts verändert. Hier hing auch nichts ausgeleiert und faltig herab, das war immerhin etwas. Bei einer Prüfung mit den Fingern aber würde Azura feststellen müssen, dass auch hier der Quell der Jugend versiegt zu sein schien. Empfindlich war sie zwar immer noch, spürte jede noch so zarte Berührung, aber ihre Fingerspitzen fühlten auch die Trockenheit der raus gewordenen Haut. Mit genug Fantasie konnte man sich einbilden, dass sie knisterte, wenn man sie etwas beiseite schob. Ein Eindringen war kaum möglich. Sie war wie die Tote Ebene - eine steinige Ödnis, ohne jegliches Leben, sah man von dürren Astgerippen ab, an denen Spinnen ihre Netze webten. Alte Frauen sahen so aus, kurz bevor der Tod sie holte. Azura hatte er bereits geholt und sie sich zurückgekämpft. Warum nur begnadete man sie nicht, sondern steckte sie in diesen fauligen Leib?!
Etwas kribbelte. Ihre Stirn! Genau im Zentrum auf ihrer Stirn spürte sie ein sanftes Prickeln. Wenn sie auf eine deutlichere Nachricht hoffte, wurde sie enttäuscht, aber eines stand fest: Ihre Göttin schaute auch jetzt noch auf sie herab, wie es schien. Oder sie wollte Azura daran erinnern, dass ihre Rückkehr auch mit einem Auftrag verbunden war und der verhieß nicht, den Raben zu retten, sondern die Schriftrolle der Wassermagie zu bergen. Dass sie unmittelbar doch mit Corax zu tun hatte, spielte dabei keine vordergründige Rolle. Azura hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Ob jene an eine zeitliche Frist gebunden war, wusste sie nicht. Aber sie wusste, dass ihr Rabe vermutlich deutlich weniger übrig hatte. Das half ihr, über die eigenen Defizite hinweg zu sehen und sich auf das zu konzentrieren, was noch vor ihr lag. Vor ihnen allen, denn sie würde nicht allein zu einer Rettungsmission aufbrechen.
Zuvor kam Azura aber noch einmal auf Caleb zu sprechen. Sie versuchte, von sich aus, Madiha zu erklären, was sein Verschwinden für sie bedeutet hatte. Und sie versuchte, den Unterschied zwischen einem adligen jungen Mann und einem Mädchen zu verdeutlichen. Als Azura von ihm stehen gelassen worden war, war sie im Grunde noch ein Kind gewesen und er so viel älter. Aber bereits damals hatte sie mit Freundinnen über stattliche Prinzen aus hohem Hause geträumt, die auf Schimmeln und in goldenen Gewändern vor ihre Anwesen ritten und dort mit einer Laute Minnesänge anstimmten, ehe sie die Braut entführten, um auf einem Bett aus Rosen Dinge zu tun, von denen die kleine Azura damals überhaupt keine Vorstellung besaß außer jene, dass sie danach Mutter zahlreicher Kinder sein würde. All das war ihr verwehrt geblieben, zumindest mit dem Sohn der van Tjenns. Bis sie sich von der Blamage erholt hatte, war sie alt genug geworden, um das Ausmaß zu begreifen. Vielleicht war es Caleb zu verdanken, dass sie sich daraufhin keinem potenziellen Heiratskandidaten mehr blind an den Hals warf, sondern ihrerseits mit all den Galanen spielte, um sich den wahren Liebhaber herauszusuchen. Aber all das zählte nicht mehr. Sie hatte ihren Prinzen erhalten, der kein goldenes Gewand getragen hatte, sondern nur ein goldenes Kettchen mit ihr verband. Er war auf keinem Schimmel angeritten gekommen, sondern auf schwarzen Schwingen geflogen bis in ihre Träume hinein. Und er hatte sie nicht auf einem Bett aus Rosen abgelegt, um ihre Unschuld zu holen. Sie hatte ihm diese umgeben von ihrem eigenen Element geschenkt und sich selbst ... entehrt.
"So eine bringt nichts weiter als Schande über sich und ihre ganze Familie."
"Dann sind wir schon zwei." Caleb stand wieder in der Tür, bereit zum Aufbruch. Er hatte einige Dinge in einen kleinen Rucksack gepackt, den allerdings Jakub bei sich trug. Der Erste Maat würde die Gruppe also auch noch begleiten. Caleb musterte Madiha noch einmal, dann Azura. Auf Letztere ging er zu und berührte sie an der gesunden Schulter. Er versuchte es trotz allem immer noch. "Dafür bist du jetzt frei von allen Zwängen. ich weiß nicht, ob du ein solches Leben anstrebst, aber es bietet viele Möglichkeiten." Er trat wieder zurück, verschränke die Arme vor der Brust, aber nicht in Ablehnung. Dafür grinste er so, wie Madiha es von ihm kannte. "Und wer weiß? Vielleicht steht Corax unter seinesgleichen jetzt in höherem Ansehen und du kannst vor deinen Eltern ordentlich mit ihm angeben."
"Sobald er gerettet ist", warf Jakub ein und Calebs Grinsen schwand. Entschlossen blickte er über die Schulter zurück. "Ja", stimmte er zu. "Machen wir uns endlich auf den Weg."

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