Orientierungslos am Hafen

Die größte Handelsstadt Celcias besitzt auch den größten Hafen. Es liegen immer ein paar Handelsschiffe vor Anker und überall wimmelt es von Matrosen oder Fischern. Wer hier auf einem Schiff anheuern will, hat eine große Auswahl.
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Lauron
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Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Lauron » Samstag 29. November 2008, 22:03

Schwer atmend blieb Lauron stehen und sah sich desorientiert um. <b> Wo in Manthalas Namen bin ich den hier gelandet? </b> Sein Blick schweifte über die Häuser, die die Gasse, in der Lauron sich nun befand, zu seiner Rechten und linken säumten. Sie schienen teilweise von irgendeiner Substanz angegriffen. Dennoch machten sie einen soliden Eindruck, er war wohl nicht im Armenviertel gelandet. Nachdem sich seine Atmung wieder einigermaßen beruhigt hatte, registrierte er den salzigen Geruch, der in der Luft lag. Daraufhin lief es Lauron erst einmal eiskalt den Rücken herunter. Es war offensichtlich, dass er sich ganz in der Nähe des Hafens und des verhassten Meeres befand.

Unsicher warf er einen Blick über die Schulter: Die Wachen waren seit Langem nicht mehr in Sicht gewesen, dennoch konnte er unmöglich auf dem selben Weg zurücklaufen, den er gekommen war, wenn er den Gesetzeshütern nicht direkt in die Hände laufen wollte. Zu seiner Linken befand sich noch eine Abzweigung, allerdings wusste Lauron nicht, wo diese hinführte und er wollte sich nicht noch mehr verirren, als er es sowieso schon getan hatte. Auch wenn es ihm nicht gefiel, seine einzige Möglichkeit, die Orientierung zurück zu erlangen, war der Hafen, da er sich, zumindest vage, an den Weg erinnerte, den die Wachen bei seiner Verhaftung eingeschlagen hatten.

Widerwillig setzte sich Lauron also in Bewegung und folgte der Gasse in Richtung Hafen. Nach kurzer Zeit erreichte er dann den Pier. Von seinem Standpunkt aus konnte er zwei Schiffe im Hafen tümpeln sehen: Der massive Zweimaster, auf dem Lauron als blinder Passagier gereist war und ein kleines Fischerboot ankerten dort. Lauron allerdings hielt sich mit diesem Anblick nicht lange auf und steuerte schnellen Schrittes auf den Zweimaster zu. Von dort aus wollte er dann den Weg rekonstruieren, den die Wachen gegangen waren.

Nach wenigen Metern allerdings wurde seine Aufmerksamkeit von seinem Ziel abgelenkt: Aus den Augenwinkeln bemerkte er ein hölzernes Schild über einem Gebäude hängen, auf dem „Schenke zum Seemann“ geschrieben stand. Irritiert blieb der Dunkelelf stehen und starrte auf die Schrift. <b> War das nicht die Schenke, von der der alte Mann gesprochen hatte? </b> fragte er sich, während er sich die Worte des Bettlers in Erinnerung rief. <b> Natürlich, das ist sie!</b> Er tat bereits einen Schritt in Richtung Tür, zögerte dann allerdings. <b> Soll ich der Empfehlung dieses Wunderlings wirklich folgen? Womöglich lockt er mich dort noch in einen Hinterhalt! Gegen einen Magier habe ich doch keine Chance... aber andererseits.... </b>

Lauron wägte alle möglichen Gefahren ab, die ihn in der Schenke erwarten konnten und kam zu dem Schluss, dass seine Sorge völlig unbegründet war. Wer würde ihm schon in einer Schenke auflauern, wo es dort doch viel zu viele Zeugen gab. Außerdem knurrte sein Magen lautstark und sein Körper schrie nach Wärme. Also setzte er sich wieder in Bewegung und erreichte die Schenke. Leicht zögernd öffnete er die massive Holztür und trat ein...

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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Montag 8. Dezember 2008, 08:42

Lauron stellte fest, dass er sich in der Nähe des Hafens von Andunie befand und war nicht sonderlich begeistert davon. Das Meer konnte er gar nicht leiden. Doch das brachte ihm alles nichts. Er hatte sich hoffnungslos in Andunie verlaufen und würde es sicherlich erst wieder schaffen sich zu orientieren, wenn er sich an dem Ort befand von wo aus er die Stadt betreten hatten, wenn er danach auch in das Gefängnis gebracht wurde. Jedenfalls schienen die Wachmänner seine Spur verloren zu haben und das war ja auch gut so.

Widerwillig machte er sich auf den Weg zu dem Pier, an dem das Schiff, mit dem er gekommen war, angelegt hatte. Er war noch gar nicht ganz angekommen, da fiel ihm ein Schild an einem Gebäude auf, auf dem "Schenke zum Seemann" stand.
Lauron fiel ein, dass der Mann davon gesprochen hatte und er sich wohl dorthin begeben sollte. Er dachte darüber nach, ob das wirklich eine gute Idee war, denn er wusste ja schließlich nicht was ihn erwartete. Doch er hatte Hunger und hier draussen war es auch nicht unbedingt angenehm warm.

Gerade hatte er die Hand auf die Türklinke gelegt, als diese sich abrupt nach innen öffnete und er fast hinein gezogen wurde.
Ein Mann stolperte in seine Richtung. Er trug eine braune Hose und eine mehr oder weniger weiße Leinentunika. Sein Gesicht war puterrot und er roch wie eine halbe Schnapsbrennerei.
"Jetzt geh nach Hause." Hörte man eine Stimme aus dem inneren des Hauses, "Dein Weib wartet bereits daheim." Der Betrunkene grummelte, während er sich am Türrahmen abstützte und laut aufstieß und Lauron riechen konnte, wa der Mann, neben dem Alkohol, noch so zu sich genommen hatte.
"Ich will nicht das sie schon wieder hier herkommt und mir die Gäste vergrault." rief jemand. Es war anscheinend der Wirt, der diesen Mann aufforderte zu gehen.
"Ich geh jaaa scho...n." Lallte dieser und stieß sich vom Rahmen ab und wäre beinahe gegen Lauron geprallt. "Oh... da is... ja wer.... seid gegrüßt..." Er versuchte sich zu verneigen und kippte fast vornüber, stolperte dann aber an dem Dunkelelfen vorbei und verschwand torkelnd über dem Platz, während Lauron die Schenke betrat.




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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Sonntag 27. November 2022, 19:39

Madiha kommt von Auf hoher See -> Unter Venthas Willkür

Die Nächte auf der Insel Belfa konnten sehr kalt werden. Dass die Wüste Sar nachts nicht zu Eis gefror, war immer wieder erstaunlich. Ebenso unterschätzten gerade Angereiste oft die kalten Temperaturen, sobald die Sonne am Horizont untergegangen war. Der Grund lag meist an den falschen Erwartungen. Man erfuhr von fahrenden Händlern stets nur von den hitzigen Debatten der Markthändler, deren Gemüt beinahe ebenso quälend heiß brannte wie Lysanthors Sonnenscheibe am Himmel oder der Sand unter den Stiefeln. Niemand sprach von den eisigen Nächten, in denen sogar ein sarmaer Obdachloser in der Gosse erfrieren konnte. Man unterschätzte fremde Welten.
Gleiches galt aber auch umgekehrt. Selbst Caleb als gebürtiger Andunier fröstelte kurz, als er und Madiha an Deck der Blauen Möwe gingen. Er mochte die vorherrschenden Temperaturen kennen und noch war die Zeit des Erwachens nicht angebrochen. Aber auch er hatte viele Jahre in Sarma verbracht. Sein Körper musste sich erst umgewöhnen. Madiha ging es wohl ähnlich. Denn was für einen Andunier eine angenehm laue Brise war, mochte für einen Sarmaer eine Frostnacht bedeuten.
Derzeit wehte ein lauer Wind. Die Temperaturen bewegten sich irgendwo mittig zwischen dem Gefrierpunkt und angenehmen 20 Grad. Angenehm für jene, die nicht aus Sarma kamen. Da wäre dies bereits ein Grund, sich dickere Pluderhosen anzuziehen. Caleb legte unaufgefordert einen Arm um Madiha. Bei dieser Geste zögerte er nicht, denn sie war aus Freundschaft geboren. Allerdings trat eine Pause ein, ehe er etwas Druck auf seinen Arm ausübte, um das Mädchen enger an sich zu schieben, bis sie seine Haut und Muskeln spüren könnte. Das hieß, sofern Madiha keinen Widerstand leistete. Caleb ging irgendwie nicht davon aus. Er fühlte sich warm an. Madiha spürte den Verband an seiner Hüfte. Der war heute Abend noch nicht erneuert worden. Da käme noch etwas Arbeit auf Corax-als-Dunia zu, aber noch war der Dunkelelf nicht bei ihnen. Er hatte sich einen Moment Zeit erbeten, ehe er aufschließen wollte, damit sie gemeinsam Andunie erkunden könnten.
Madiha musste somit vorerst an der Reling des Schiffes stehenbleiben. Trotzdem wurde ihr schon viel geboten. Andunies Hafen lag vor ihr und er sah ... so anders aus. Natürlich gab es auch hier Docks aus dicken Holzpfählen und vom Salzwasser rau gewaschenen Planken. Taue lagen bereit, um Schiffe an Pollern festzumachen. Kleine Boote trieben auf den Wellen, warteten auf die Fischer, welche sie morgen wieder gen Bucht fahren würden, um einen hoffentlich guten Fang einzuholen.
Neben der Blauen Möwe fanden sich weitere Schiffe mit unterschiedlicher Bauweise im Hafen. Überraschend viele von ihnen waren schwarz gestrichen worden oder besaßen nachtschwarze Segel. Eines davon hatte eine Galionsfigur in Form einer riesigen Fledermaus mit zum Schiff angelegten Flügeln und aufgerissenem Maul. Spitze Zähne lugten daraus hervor und man hatte sie aus reinstem Silber gearbeitet, denn sie blinkten in der untergehenden Abendsonne hell auf. Es lag aber auch ein Schiff vor Anker, das weder Caleb noch Madiha einordnen konnten. Die Segel wirkten fächerartig und es erinnerte eher an ein sehr langes Boot mit vielen Rudern.
Madiha konnte sich jedoch kaum lange für die Schiffe begeistern. Der Anblick des andunischen Hafens lockte viel zu sehr. Im Hintergrund und auf einer Halbinsel vor der Stadt gelegen ragte eine gewaltige Festung auf. Sie wirkte nicht sehr militant, denn viele Türmchen und Erkerfenster gaben der Architektur etwas Verspieltes. Außerdem fanden sich überall kleine Wasserspeier und andere Figuren, die noch eindrucksvoller wirken würden, sobald es einmal regnete und ihre gehaltenen Schalen und Steinamphoren mehr Bedeutung erhielten. Dieses festungsartige Gebilde erinnerte vielmehr an einen etwas eckigen Springbrunnen, der aktuell kein Wasser empor pumpte. Trotzdem hinterließ er Eindruck.
"Die Akademie der Wassermagie zu Andnie", erklärte Caleb, der Madihas Blick mit dem eigenen gefolgt war. "Viel mehr weiß ich darüber allerdings auch nicht. Wenn du keine Wassermagie beherrschst, hast du dort nichts zu suchen." Er rieb sich das Kinn. "Azura kann mit dem Wasser umgehen, oder nicht? Äh ... konnte. Ich frage mich, ob sie dort gelernt hat." Sie würden es nie erfahren, außer ihre Eltern könnten das aufklären. Aber die Andunierin würde ihnen keine Antwort mehr schenken. Sie war tot.
Ehe die Stimmung kippen konnte, streckte Caleb den Arm aus und zeigte von einer hohen Stadtmauer bis zu den Häusern der Stadt hin. Die Mauer war nicht flach gebaut, sondern besaß etwas Steigung. "Aquädukte", erklärte der Dieb. "Das sind steinerne Wasserstraßen. Sie transportieren Frischwasser bis hinunter zu den Häusern der Adligen. Weißt du, was ein Wasserklosett ist? Du wirst mir nicht glauben, wenn ich dir sage, dass du damit den Donnerbalken im Haus hast ... ohne Gestank. Jedenfalls nicht langfristig." Er lachte auf und seufzte daraufhin, als ihn die Erinnerung an seine Heimat einholte. Er schenkte Andunie ein Lächeln wie man es einem alten Freund nach langer Zeit der Trennung endlich erneut schenken konnte. Dann stützte er sich mit einem Arm auf der Reling ab und sah zum Hafen.
Ein paar Dinge hatten sich verändert. Natürlich war das Treiben aktuell nicht so wild wie tagsüber. Die Mannschaft der Schiffe hatte sich entweder auf jene zurückgezogen oder war in den Hafentavernen eingekehrt. Keine Verwalter der Handelskontore streiften umher. Es wurde keine Fracht mehr verladen und Händler stöberten auch nicht zwischen den Matrosen umher, weil sie auf die importierten Waren warteten. Es gingen auch keine adligen Pärchen unter Schirmen spazieren. Keine noblen Kaufmänner schlenderten bei Geschäftsgesprächen über das runde Kopfsteinpflaster, an dem die Holzdocks endeten. Es war in der Tat recht ruhig.
Aus Tavernen am Hafen drang Licht und sogar etwas Musik. Was fehlte, war das Gelächter angetrunkener Matrosen und das störte Caleb. Er schaute skeptisch zu den Hurenhäusern am Hafen. Sie existierten noch. Die Fenster leuchteten in verführerischem Rot, ebenso wie die Laternen neben den Türen, die die Gebäude als das kennzeichneten, was einen Suchenden dort erwartete. Die Huren davor allerdings ... Calebs blick versteinerte sich. Natürlich standen sie herum und warteten auf Kundschaft. Das war schon immer so, aber er kannte die leicht bekleideten Damen anders. Stets hatten sie gelächelt und versucht, Passanten mit einem Schal aus Federn einzufangen oder ihm Luftküsse zugeworfen. Besonders extrovertierte Mädchen hatten mit so manchem Matrosen sogar Wortspiele abgehalten, bis sie ihren Kunden gefunden und mit ihm ins Haus verschwunden war. Die Dirnen jetzt aber ... wirkten abgewrackt, müde und wagten es nicht einmal, auch nur einen der vorbei ziehenden Dunkelelfen anzusprechen. Bei einem großen Ork, der vorbeizog, senkten sie gar die Köpfe, um bloß nicht von ihm bemerkt zu werden. Aus einem der offenen Fenster drang lautes Weinen, gepaart mit Schmerzensschreien, wärend der Peiniger sich wohl mit dem Quell der gequälten Stimme paarte. Caleb wurde blass.
"Bleib dicht an meiner Seite, wenn wir von Bord gehen", wies er Madiha an und der Druck seiner Hand um ihre Schulter festigte sich ein bisschen. "Ich hoffe, nicht alle Ecken Andunies haben sich in diese Richtung hin verändert."
"Macht euch keine Sorgen, ich werde auf euch achtgeben ... Herr. Herrin." Die Tür der Kapitänskajüte stand offen. Schwärze blickten Caleb und Madiha entgegen, ehe Corax sich davon abhob. Er kam zu ihnen herüber, aber er war nicht allein.
"Was, bei ... ist ... das ... Azura?!"

Corax erreichte die Reling und lehnte den mannhohen Sarg aus schwarzem Holz nun dagegen, welchen er bis eben noch auf seinem Rücken mit sich geschleppt hatte. Es handelte sich um keine billige Fertigung. Das Holz war Walnuss, deshalb glänzte es so dunkel. Der kantige Sargdeckel besaß Metallverschlüsse, so dass er nicht versehentlich aufgehen konnte. Vorn und an den Seiten war etwas ins Holz geschnitzt: Falken. Woher auch immer Corax Azuras Liebe zur den Jagdtieren kannte, er hatte das Thema aufgegriffen. Vorn schaute ein aufrecht sitzender Falke den Betrachter an. An den Seiten des Sarges flogen sie. Tragen konnte man das Totenbehältnis an mehreren Ketten aus golden schimmernden Gliedern.
"Ich lasse sie nicht hier zurück", erwiderte der Dunkelelf fest entschlossen und war bereits wieder dabei, seine tote in ihrem letzten Ruhebett auf den Rücken zu hieven.
Caleb schaute zu Madiha und dann zu Corax zurück. "Bist du dir sicher, dass du sie die ganze Zeit tragen kannst?"
"Wenn ich sie zurücklasse, könnte sie geraubt oder ...", Corax presste die Lippen aufeinander, "entehrt werden." Er wich den Blick beider aus. Stattdessen wiederholte er fest: "Ich nehme sie mit. Ich werde nicht zurückbleiben und ich kann euch immer noch verteidigen."
Caleb seufzte und fuhr sich durch das widerspenstige Haare. "Ich schätze, deine Magie kann sie nicht auf die Größe einer Halskette schrumpfen, damit du es leichter hast, hm?"
Corax erwiderte Calebs Blick. Dann sah er zu Madiha in geduldiger Erwartung.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 28. November 2022, 12:29

Selbst Madiha konnte die rituelle Totenwaschung nur nach ihren Erinnerungen durchführen. Sie bemühte sich nach bestem Wissen und Gewissen, doch ein wahrer Gläubiger oder Priester, hätte sicherlich so einiges auszusetzen gehabt. Allein die Tatsache, dass das Mädchen aus Sarma keinem Glauben folgte. Weder Feylin, der als Hoffnungsträger im Armenviertel verehrt wurde, noch Lysanthor schafften es, dem Mädchen den Glauben an etwas Höherem zu bescheren. Ja nicht mal, dass Caleb Ventha gesehen haben will, hatte Madiha davon überzeugt, sich diesem Weg zu öffnen. Dafür waren die Dinge in ihrer Welt zu handfest. Sie hatte keine müde Sekunde übrig, um sich um eine göttliche Fügung zu kümmern. Sie musste überleben. Nahrung war wichtig, Gesundheit war wichtig. Der tägliche Kampf darum, verbot jedwede Ablenkung einfach. Trotzdem wollte sie es so richtig wie möglich machen und das aus dem Wunsch heraus, Corax zu helfen. Dass es also doch etwas gab, was Azura mit Madiha verband, hätten wohl beide nicht geahnt. Zumindest aber eine hätte erkennen können, dass es diese Verbindung gab. Madiha aber wusste nichts von Bibliotheken, Unterwasserfenster in das Reich der Lebenden oder göttlichem Geplänkel. Sie konzentrierte sich auf die Worte, auf das Tun und unterstützte Corax, wo sie konnte, wenn die Trauer ihm die Stimme raubte. Nachdem der tote Körper wieder in Kleider gehüllt werden konnte, betrachtete das Mädchen einen Moment staunend die schöne Garderobe, die Corax entstehen ließ. Das Graublau huschte über Gold und Grün, versuchte die Schleifen zu zählen – auch wenn sie das nicht sehr gut konnte. Es war ein Traum aus Stoff und sie hatte nichts dergleichen jemals zuvor gesehen. Sahen so die Frauen in Andunie aus? Trugen sie solche Kleider zur Schau, während sie höflich die Köpfe neigten und der eine dem anderen den Status klarmachte, so wie Azura es beim Kapitän versucht hatte? Weder Caleb, noch Ilmy oder Jakub sahen dem Bild, das sich in ihrem Kopf formte, ähnlich. Stammte Jakub Tauwetter überhaut aus Andunie? Ihre Gedanken verloren ihre Struktur, ebenso wie die Illusion des Kleides. Mitleidig betrachtete sie Corax und stumm zeigte sie ihm den Weg. Sie kleideten Azura in ihre geliehene Garderobe und beendeten die Waschung. Caleb war es, der auch die Stimmung wieder veränderte. Noch bevor Madiha aber sich dem Dieb widmen konnte, verlangte Corax seine Strafe.
Bei ihrer Antwort und seinem Verstehen, verkrampfte sich ihr Herz. So hatte sie es gewiss nicht gemeint. Sie wollte ihm begreiflich machen, dass sie ihren eigenen Weg finden würden. Dass nicht sie für seine Bestrafung zuständig war. Und dass er bei ihr diese nicht finden würde. Sollte sie denn den Mann, der vor Trauer kaum gerade stehen konnte, bestrafen? Welcher Logik entsprang das? Keiner, wie sie sehr gut wusste. Herrinnen und Herren brauchten keine Gründe, um Strafen zu verhängen. Sie brauchten das lediglich, um ihre Macht zu demonstrieren und klarzustellen, wie viel man wert war. Sie kannte das, sie erlebte es doch zeitweise immer noch. Aber das bedeutete gewiss nicht, dass sie diese Macht, die Corax ihr zuschrieb, auch ausleben würde. Sie erklärte ihm ihre Worte und zumindest in seinem Blick schien sie so etwas wie Dankbarkeit zu erkennen. Seine Worte brachten Madiha dazu, sich lieber anderem widmen zu wollen und auch Corax wandte sich ab.

Die laue Brise kam da gerade Recht. Und auch wenn Caleb’s Worte eher dem Raben galten, halfen sie auch ihr. Bis sie spürte, wie kühl es hier war. Madiha trug noch immer das weite Hemd, die braune Hose und hatte nichts an den Füßen. Doch auch das war ein Umstand, den sie kaum wahrnahm. Sie trug für eine immens lange Zeit, lediglich ein weißes Leinenhemd. Verdreckt, löchrig und viel zu groß. Caleb hatte sie so in den Zellen gesehen und auch so aus dem Sand gezogen. Das Erste, was Madiha jemals wirklich besessen hatte, war die Tunika von Dunia gewesen. Und diese verlor sie, weil sie Caleb das Leben zu retten versuchte. Das Mädchen trauerte dieser Garderobe nicht nach und sie verschwendete auch keinen Gedanken daran, dass sie vielleicht frieren und sogar krank werden könnte. Für sie war es normal und sie war schon dankbar, dass sie überhaupt etwas an den Beinen hatte! Also schaute sie auf die offene Tür und spürte ein leichtes Kribbeln vor Aufregung als Caleb bestätigte, dass sie nun das Schiff würden verlassen dürfen. "Die Dunkelelfen haben mir zwar mit einer Klinge an der Kehle zu verstehen gegeben, keinen Ärger zu machen, aber wir dürfen uns frei bewegen. Nur Amandins Sklaven sollen wir aus dem Weg gehen - man erkennt sie an einem besonderen Symbol. Schlendern wir erst einmal ein bisschen durch die Stadt. Ich möchte mir ansehen, was aus ihr geworden ist." Das Mädchen betrachtete ihn für einen Moment mit dem Schatten der Sorge. Eine Klinge? Unruhe wollte sich ihrer bemächtigen und trübte ein wenig die Neugierde. Alles war so fragil, so zerbrechlich. Jeden Moment, konnte sich wieder alles ändern. "Ich komme gleich nach", kam es von Corax und sie wandte ihm das Gesicht zu. "Du musst auch kein Rabe sein, schätze ich. Deinesgleichen hat die Macht über die Stadt - du bist mehr wert als wir." Auch Madiha sah auf, als Caleb das sagte, schwieg aber. Was hätte sie auch sagen sollen… Für Madiha war ohnehin jeder mehr wert als sie selbst. Aber das stand hier nicht zur Debatte, sodass sie seiner stummen Einladung folgte und Corax kurz zunickte. „Nimm dir die Zeit. Wir warten auf dich.“, versicherte sie dem Raben, ehe sie Caleb folgte.
Die Kälte, die sie nun umfing, war vorherrschend. Sie kroch ihr in den Stoff und hinterließ auf ihrer Haut einen Schauer. Madiha kannte die Temperaturen in Sarma, doch das hier… es war schlicht und ergreifend kalt. Instinktiv umfasste sie sich selbst und rieb sich die Oberarme. Sie löste ihre Geste, als sie Caleb’s Arm auf ihren Schulter spürte. Sie hielt für einen Moment die Luft an, während auch er eine Pause machte, die ihren Herzschlag zu steigern wusste. Bis er sie sanft an sich drückte und ihr damit leicht gerötete Wangen und ein Lächeln entlockte. Sie folgte dem Druck und spürte seine angenehme Wärme, die auf sie übergehen wollte. Sie fror bereits weniger, auch wenn es vielleicht nicht nur seiner Geste entsprang, sondern vor allem seiner Nähe und dem, was sie teilten geschuldet war. Sie legte selbst einen Arm um seinen Rücken und fühlte mit den nackten Fingerspitzen den Verband unter seinem Hemd. Um die Arbeit von Corax nicht zu zerstören, mussten sie sich noch darum kümmern, allerdings verzieh die Wunde gewiss einen kleinen Aufschub. Nun aber folgte sie dem Weg des Diebes und trat an die Reling heran. Hier fanden ihre Augen – viel. Das Mädchen klappte den Mund auf und ihre Augen huschten unruhig umher, um alles erfassen zu können. Das Bild, welches sich ihr bot, war ein gänzliches anderes, als das, was sie kannte.

Natürlich, es gab Stege, Schiffe, Fässer, Kisten, Netze und all das… doch… Madiha verlor den Halt an Caleb’s Rücken, als sie staunend die Hände auf das Holz der Reling legte. Sie konnte ihren Blick kaum abwenden. Die Gebäude waren so anders. Die Fassaden, die Fenster, die Wege… Die Schiffe sahen anders aus. Eines, das Madiha niemals zuvor gesehen hatte lag vor Anker mit auffallenden Segeln. Ein anderes war wahrlich furchteinflößend. Wie es dort lauernd schaukelte im sanften Wellengang, die silberne Gallionsfigur, die klarmachte, dass niemand der Fledermaus entkommen konnte, wenn sie erst Witterung aufgenommen hatte. Unheimlich. Ihre Augen blieben noch einen Moment an dem düsteren Schiff hängen, ehe sie weiterflogen, um alles aufzusaugen. Sie entdeckte die steinerne Festung. Was für ein Bauwerk! Wie war es möglich, dass Menschen das erschufen? Der Stein wirkte so massiv, wie Madiha ihn nicht kannte. In Sarma waren die Bauwerke aus hellem Sandstein, nicht so erhaben und schwer anmutend. Sie erkannte die Fenster, die Türmchen und Zinnen und vergaß, dass sie neben Caleb stand. Sie war gebannt von der Schönheit und der Kunstfertigkeit. Wie schafften Hände es, aus dem Stein diese kleinen Figuren zu hauen? Wie konnte der Stein so geformt werden, dass er einer Amphore glich? "Die Akademie der Wassermagie zu Andunie. Viel mehr weiß ich darüber allerdings auch nicht. Wenn du keine Wassermagie beherrschst, hast du dort nichts zu suchen. Azura kann mit dem Wasser umgehen, oder nicht? Äh ... konnte. Ich frage mich, ob sie dort gelernt hat." Noch einen Moment staunte sie über die kleinen Details und nickte langsam. „Ich wusste nicht, dass es auch so etwas für Wassermagie gibt.“, antwortete sie und dachte an die Feuerakademie in Sarma. Daraufhin stutzte sie. "Wenn... also ich meine, als ich in Azura's Nähe war, da habe ich immer das Gefühl gehabt, als würde ich irgendwie nicht richtig... stehen können? Als würde mich mein Gleichgewicht verlassen... Kann das an ihrer Magie gelegen haben? Vielleicht hat sie das bewirkt...", dachte sie nach und kam aber nicht auf den Gedanken, dass ihre Magieformen einfach Gegensätze waren. Sie glaubte, Azura hätte das vielleicht sogar mit Absicht gemacht. „Gibt es auch eine für Corax‘ Magie?“, fragte sie und kannte keine weitere Form. Wusste nicht, dass es auch andere Magiearten gab.
Sie folgte dem Fingerzeig seitens Caleb und erfasste die hohe Steinmauer. Mit hübschen Bögen versehen, verlief sie durch die ganze Stadt, wie sie erkennen konnte. "Aquädukte. Das sind steinerne Wasserstraßen. Sie transportieren Frischwasser bis hinunter zu den Häusern der Adligen. Weißt du, was ein Wasserklosett ist? Du wirst mir nicht glauben, wenn ich dir sage, dass du damit den Donnerbalken im Haus hast ... ohne Gestank. Jedenfalls nicht langfristig." Madiha grinste bei seinen Worten und seinem Lachen, ehe sie sein Seufzen dafür nutzte, um sich erneut die Wasserstraßen anzusehen. Sie folgte dem Weg soweit sie konnte und schüttelte langsam den Kopf. „Frischwasser für alle?“, fragte sie leise und konnte das kaum glauben. In Sarma gab es Brunnen und je nach finanziellen Möglichkeiten auch in unterschiedlichen Formen und Funktionen. Doch meist gab es Brunnen, die das Grundwasser erreichten und nur mit Hilfe von Plackerei Trinkwasser förderten. Das Wasser darin war zwar trinkbar, doch die Wärme hatte nicht selten dazu geführt, dass es schnell versiegte. Wasser war… Mangelware in Sarma, trotz all dem Prunk und Protz. Madiha folgte Caleb’s Geste mit den Augen, während er sich seiner Heimat zuwandte und sie betrachtete. Sie beobachtete sein Profil und fragte sich, was er wirklich dachte. Seine Augen suchten das Stadtbild des Hafens ab und plötzlich schien sich etwas zu ändern. Sie folgte seinem Blick, versuchte zu verstehen, was ihn betroffen machte. Sie sah die erhellten Fenster und hörte die Musik dahinter. Auch diese klang anders als das, was sie unter Musik kannte, doch das schaffte derzeit nicht, sie zu fesseln.

Sie sah auf die Frauen, die vor einigen Häusern standen und beobachtete sie, ebenso wie es Caleb tat. Madiha wurde ruhiger. Das Bild, welches sich ihr bot, erinnerte sie nur allzu gut an das, was sie selbst erduldet hatte. Das Senken des Blickes, das Ducken zwischen den Schultern, das nervöse Nesteln an den eigenen Fingern. Nur nicht auffallen… Sie beobachtete die Szene, während einige Dunkle vorbeizogen und dann der Ork auftauchte. Madiha stutzte. Ihre Augen folgten ihm, so etwas hatte sie jedenfalls noch nicht gesehen. Ihre naive Neugierde wurde durch aufflammendes Weinen und Schreie abgelenkt. Madiha zuckte zurück und wich sogar einen Schritt von der Reling weg. "Bleib dicht an meiner Seite, wenn wir von Bord gehen", beschied er plötzlich und sie sah erschrocken zu ihm. Er legte erneut den Arm um sie und verstärkte den Druck. Madiha wollte sich sicher fühlen, doch ihre Instinkte waren gewarnt. Erneut huschte ihr Blick zu dem offenen Fenster. Sie schluckte. Ihr fiel die dunkle Vision der Nadel ein, die Dunia zeigte. Madiha wurde blass und verscheuchte die Gedanken mit einem Keuchen. Dass es je anders gewesen sein könnte, wusste sie nicht. Dass die Frauen hier durchaus auch selbstbewusst, keck und vor allem kokettierend gewesen waren, dass sie die Zügel in den Händen gehalten hatten und mitunter sogar selbst entschieden, wie weit sie gingen… Madiha wusste nur, dass sie den Anblick der Frauen viel zu gut kannte. "Ich hoffe, nicht alle Ecken Andunies haben sich in diese Richtung hin verändert.", murmelte Caleb besorgt, was ihr umso mehr Sorge bereitete. Madiha befeuchtete ihre Lippen und nun fror sie doch wieder. Die Neugierde war einer dunklen Ahnung gewichen. „Meinst… meinst du denn, dass sie uns…“, begann sie doch sie konnte die Worte nicht formulieren. Wäre es wahrscheinlich, dass man sie dazu zwingen könnte? Aber wenn sie sich ruhig verhielten, dann durften sie sich doch freibewegen, so die Aussage? Madiha fröstelte noch mal. "Macht euch keine Sorgen, ich werde auf euch achtgeben ... Herr. Herrin." "Was, bei ... ist ... das ... Azura?!" Das Frösteln wollte nicht aufhören. Hatte der Wind aufgefrischt? Die Schwärze der einst roten Augen und das grausige Bild, welches ihnen entgegenstand, ließen Madiha wieder die Arme um sich legen. Die Stirn in Falten gelegt betrachtete sie das bizarre Bild, welches Corax bot. Sie folgte ihm mit ihren Augen, während er den Sarg gegen die Reling lehnte, als entspränge er einer alten Mähr über geflügelte Wesen, die in Särgen schliefen. "Ich lasse sie nicht hier zurück", beschied er eigensinnig und Madiha schüttelte langsam den Kopf. Auch Caleb schien sich zu fragen, wie das funktionieren sollte. "Bist du dir sicher, dass du sie die ganze Zeit tragen kannst?" "Wenn ich sie zurücklasse, könnte sie geraubt oder ...entehrt werden. Ich nehme sie mit. Ich werde nicht zurückbleiben und ich kann euch immer noch verteidigen." Madiha schloss die Augen. "Ich schätze, deine Magie kann sie nicht auf die Größe einer Halskette schrumpfen, damit du es leichter hast, hm?", eine Antwort darauf blieb aus.
Ihr Blick glitt von den fliegenden Falken an der Seite des Sarges zu dem Hafenbild. Sie sah eine der Frauen soeben mit einem Dunkelelfen verschwinden. Ihr ungutes Gefühl regte sich abermals und stach gemein in ihrer Brust. „Wir können das nicht tun…“, meldete sie sich zu Wort und sah der Frau nach, bis sie hinter einer der Türen verschwand. Das gequälte Weinen war inzwischen versiegt, offenbar hatte man getan, wofür man gekommen war. Sie wandte den Blick zurück zu Corax. „Wie weit ist es zu ihrem Elternhaus?“, fragte sie und ließ ihre Arme sinken. Es war nicht wirklich die Sorge, dass er es nicht körperlich schaffen könnte, die sie trübsinnig dreinblicken ließ. Sondern eine Erfahrung, die sich ihr durch das Gesehene ins Bewusstsein drängte: „Hier regieren die Dunkelelfen.“, bemerkte sie das offensichtliche. „Du bist kein Sklave, Corax, unabhängig davon, was du denken magst. Meinst du denn, es würde nicht alle Blicke auf uns ziehen, wenn du… eine solche Last trägst?“ Sie sah zu Caleb und schaute zum Hafen zurück. „Sie haben Angst.“, murmelte sie. Man sah ihr an, dass sie genau wusste, wieso. Ehe sie sich wieder Corax widmete. „Hier haben die Menschen Angst und senken die Köpfe. Du kannst nicht einfach mit einem Sarg auf dem Rücken durch die Stadt laufen. Man wird uns aufhalten… Sie wäre nicht sicher. Hier allerdings...“, sie nickte zur Kajüte, „hier wäre sie es wesentlich mehr oder nicht?“, meinte sie leise und hob die Schultern. Es war kein Befehl. Es war kein Nein. Es war eine Diskussion darüber, ob es umsetzbar wäre, was er vorhatte. Madiha sah von Corax zu Caleb und zuckte die Schultern. „Vielleicht liege ich auch falsch nur…“ sie schluckte. Ihr war die Sorge anzusehen, was sie in Andunie erwarten würde. Sie hatte sich auf die andere Welt gefreut. Aber sie hatte erkannt, dass sie hier vorsichtig sein mussten. Selbst Caleb hatte sie gewarnt, sich nicht von ihm zu entfernen… „…wir sollten Ärger vermeiden, meint ihr nicht?“, sah sie die beiden Männer ratlos an.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Samstag 3. Dezember 2022, 10:51

Andunie zeigte sich für Madiha wirklich als fremde, neue Welt, doch manche Dinge blieben gleich. Da konnten all die interessanten Bauten an den Docks, die mehr aus Holz als Stein bestanden und ... schräge Dächer besaßen ... nicht mithalten. Wie sollte ein Fassadenkletterer denn da oben zurecht kommen? In Sarma waren die meisten Dächer flach. Manche besaßen Treppen, die nur nach oben führten, damit man die Dachfläche für sich nutzen konnte. Entweder stellte man dort Vorräte ab oder nutzte ihn als persönlichen Garten, auch wenn die Wüstenstadt nicht der beste Ort war, um reichlich Grün zu ziehen. Andunie aber reckte viele Spitzen gen Himmel und allesamt waren noch einmal mit Ziegeln abgedeckt. Madiha kannte Ziegel. So manches Herrenhaus ihrer Heimat besaß sie, allerdings maximal auf einem der Vordächer, deren Schräge ebenfalls recht flach ausfiel.
Hinzu kam die Mischung aus hellem Gestein und in geometrischen Mustern angeordneten, sehr dunklen Holzbalken für die meisten erhöhten Stockwerke der Wohnbauten. Das Erdgeschoss bestand meist ausschließlich aus Gestein, aber auch hier herrschten Welten zwischen Andunie und Sarma. Die Wüstenstadt nutzte plattenartige Wände aus gelblichem Stein oder kühlenden Lehm. Andunies unterste Hausanteile erinnerten Madiha an das Kopfsteinpflaster, das sich vom Hafen aus als Wege und Straßen in die Tiefen der Stadt schlängelte. Man nutzte das Material, das vorhanden war und das Festland schien weitaus interessantere Ressourcen zu besitzen als die Insel Belfa.
Madiha hätte zusammen mit Caleb Stunden lang auf Andunie starren und es genießen können, wären nicht einige Hinweise zu entdecken gewesen, die zeigten, dass es auch Gemeinsamkeiten gab. Die Schmerzensschreie der Frauen, welche sich den Eroberern der Stadt willenlos hingeben mussten, sorgten nicht nur bei Madiha für eisige Schauer, welche ihr über den Rücken liefen. Caleb zog das Mädchen sofort dichter an sich heran. Wären die Umstände anders begründet, hätte man die Geste als Einladung für mehr verstehen können. Der Dieb aber schaute wachsam auf das Hurenhaus am Hafen, dessen Geräuschkulisse sich nun nicht länger ignorieren ließ.
Um sich abzulenken, stellte Madiha zunächst einige Fragen zur Akademie der Wassermagie, die wie eine Festung am Rand der Hafenbucht wachsam über die Stadt niederblickte. Dennoch konnte auch sie nichts gegen die Schrecken unternehmen, welche sich in den Straßen und Häusern abspielten. Es blieb zu hoffen, dass sie wirklich ungeschoren davonkämen, würden sie andunischen Boden betreten.
"Ich wusste nicht, dass es auch so etwas für Wassermagie gibt."
"Irgendwo müssen die Begabten ja lernen", entgegnete Caleb, stutzte dann aber, als Madiha andere Schlüsse zog. Ob es für Corax illusionäre Zauber auch einen Ort gab, an dem er sie beherrschen lernen könnte? Sein eigener Blick flog zu der Akademie empor, aber Caleb zuckte mit den Schultern. "Was Magie betrifft, bin ich ein Stein. Dazu zählt auch mein Wissen zu dazu. Der Logik folgend müsste es auch eine ... äh ... düstere, unheimliche, Optik verändernde Gruselmagie-Akademie geben. Ich hoffe dann aber, dass diese Stockmonster nicht die Lehrmeister waren." Er brummte nachdenklich. Dann schüttelte er den Kopf. "Corax hat von diesen Biestern gelernt, oder nicht? Ich bezweifle, dass er je eine Akademie von innen gesehen hat. Er ist ... speziell."
Das traf auf jeden Fall zu. Wer sonst würde plötzlich mit der eingesargten Geliebten an Deck erscheinen, um sie mitnehmen zu wollen? Doch da tauchte er auf, schwarz wie die Nacht selbst, und trug den Sarg aus dunklem Holz bis an die Reling heran. Es kostete Kraft, sah dennoch leichter aus als Azura Gewicht und das Holz selbst wohl anmuteten. Trotzdem wirkte der Elf nicht erschöpft. Entschlossenheit - manche nannten es Sturheit - war ein guter Antrieb. Es half allerdings nicht dabei, möglichst unauffällig zu bleiben.
"Wie weit ist es bis zu ihrem Elternhaus?", fragte Madiha. Corax trat nun neben den Sarg, behielt aber stets eine Hand auf dem Deckel. Er spielte mit den goldenen Trageketten, während er den Blick nun selbt über die Stadt schweifen ließ. "Ich bin damals nicht von Seeseite her gekomme, aber die Häuser der Adligen waren nicht so nah am Fischgeruch dran", erinnerte er sich. "Wir müssen bis ins Stadtinnere."
"Das ist weit ... mit so einem schweren Sarg", versuchte Caleb, beschwichtigend klar zu machen, dass es keine gute Idee war, Azura vom Schiff herunter zu holen. Corax blieb stur. "Ich nehme sie mit", entgegnete er und man hörte anhand der Festigkeit seiner Stimme, dass er sich das nicht ausreden lassen wollte. Trotzdem versuchte auch Madiha ihr Glück. Sie appellierte an seine Logik. Mit dem Sarg würden sie auf jeden Fall Aufmerksamkeit erregen. Wenn ein Dunkelelf ihn zusätzlich hinter zwei Menschen her trug, kämen sie niemals bis zu Azuras Elternhaus. Das musste doch auch dem Raben klar sein.
"Ich lass sie nicht zurück." Stur wie ein Ochse. Caleb verdrehte unter einem Seufzen die Augen. Madiha blieb weiterhin ruhig. Sie hatte bereits erkannt, dass es generell leichter war, wenn man Corax auf gleicher Augenhöhe begegnete und ihm erklärte, anstatt den eigenen Willen aufzuzwingen. Er mochte sie Herrin nennen, aber sie wollte keine sein. So sprach sie ihren Freund und nicht den Sklaven an: "Vielleicht liege ich auch falsch, nur ... wir sollten Ärger vermeiden, meint ihr nicht?"
"Nein!" Corax krächzte das Wort zwar, dennoch erinnerte es an eine fauchende Katze. Er wandte sich beiden zu und wären seine Augen noch rot gewesen, hätten sie nun wie Feueropale geleuchtet vor Zorn. Stattdessen schluckte Finsternis die Reflektionen seiner beiden gegenüber Stehenden wie Nacht die Schatten. "Sie bleibt bei mir!"
"Corax", knurrte Caleb nun. Er löste sich von Madiha, um an den Elfen heran zu treten. Beide Männer funkelten einander an und boten sich einen stillen Machtkampf. Das kam ... überraschend, aber der Rabe wich keinen Schritt weit zurück. Seine Finger krampften sich klauenartig auf dem Holz, dass seine Nägel sich in das Material drückten. Caleb war etwas größer als er, so musste er zwangsläufig zu ihm heraufsehen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, weiterhin stur zu bleiben.
"Für einen Sklaven leistest du ganz schön viel Widerstand."
Caleb war ein Dieb. Er mochte ein gutes Herz haben und vor allem einen Beschützerinstinkt, wenn es um Madiha oder überhaupt andere ging, der ihn oftmals schneller handeln als denken ließ. Letztendlich aber hatte Sarma ihn gelehrt, alle Methoden einzusetzen, um seine Ziele zu erreichen. Mord war seine persönliche Grenze und trotzdem hatte Caleb sie auf diesem Schiff ebenfalls überschritten, als er das Genick der Stockmännchen brach wie Stroh. Natürlich setzte er dann auch sein Privileg gegenüber dem Elfen ein, der auch ihn bereits als Herren ansah. Der Zweck heiligte die Mittel... Im ersten Moment schien es auch zu wirken, denn die Spannung löste sich aus Corax. Seine Haltung erschlaffte ein wenig, während er zu Caleb empor starrte. Das Blickduell verlor er, als er den Kopf senkte und einen Laut des Unwillens ausstieß. Er fasste sich an den Stoffbeutel um seinen Hals, in dessen Band aus Azuras Haar nun auch der rote Faden geflochten war, den er sich aus der Brust gezogen hatte. Seine Hand klammerte sich um das Kleinod, bis Caleb erneut sprach.
"Mir gefällt das." Corax starrte erneut zu ihm auf, dieses Mal allerdings fragend und ungläubig. Caleb ließ sich nicht erschüttern. "Es zeigt endlich, dass du bereit bist, aus deiner Schicksalrolle auszubrechen. Du lehnst dich auf. Kein Sklave würde das tun. Ja, das ist gut." Dann aber seufzte er: "Trotzdem können wir Azura nicht mitnehmen. Das musst du doch einsehen."
"Wir können sie nur nicht mitnehmen, weil ich sie hinter euch hertrage."
Nun wich Caleb doch ein Stück zurück, aber nur weit genug, dass er beide Hände heben konnte, ohne dass Corax darin einen Angriff gegen sich interpretierte. "Erwartest du, dass ich den Sarg schleppe? Das Ding sieht richtig schwer aus und ich bin verletzt!", glomm etwas seiner verschmitzten Art hindurch. Caleb scheute sich eigentlich nicht davor, anderen zu helfen, aber er zog es vor, dabei nicht körperlich hart arbeiten zu müssen. Vor allem dann nicht, wenn er das Unterfangen selbst für fraglich hielt. Leider löste seine Antwort etwas bei Corax aus. Seine Augen engten sich. Er spähte vom Dieb hinüber zu Madiha, suchte im Blick der Herrin nach einer Lösung, Azura nicht zurücklassen zu müssen. Aber auch das Wüstenmädchen empfand es als sicherer, sie an Bord zu lassen - sicherer für das Dreiergespann. Sie wollte nicht erleben müssen, was die Dunkelelfen mit den Frauen des Bordells anstellten. Nie wieder.
Plötzlich riss Corax die Hand hoch. Es sah aus, als wollte er Caleb schlagen. Er nahm Schwung und ließ sie in einem weiten Bogen herunter fahren. Doch er zielte nicht auf den Dieb dabei. Sein Arm flog an dessen Gestalt vorbei, als Corax mit der flachen Hand durch die Luft strich. Ihn traf lediglich der Wind, den der Elf auf diese Weise angestoßen hatte. Madiha spürte es aber ebenso. Etwas erfasste sie, glitt durch sie hindurch und hinterließ ... ein seltsames Kribbeln. Es weilte nur kurz und trotzdem fühlte sie sich danach anders an. Sie kannte das bereits, als Corax ihr Azuras Gestalt verpasst hatte. Ketzt fehlte allerdings das Gewicht ihrer Brust und auch der Rahmen aus rotgoldenen Locken um ihr Blickfeld. Was war geschehen.
"Du bist schön", stellte Corax fest, nun wieder ruhig und mit leicht geneigtem Kopf, als er Madiha anblickte. Caleb blinzelte. Er wandte sich ihr zu und ... das Mädchen erkannte zusammen mit ihm die Veränderung. Sie sah zwar Caleb und doch war er ein anderer. Die Haut glänzte ihr so schwarz entgegen wie jene des Rabenelfen. Sein Haar hatte dafür die Farbe von Silber angenommen und Stoppelbart war einem glatten Kinn gewichen. Dunkelelfen besaßen keine Gesichtsbehaarung oder nur spärlich, wenn sich eine andere Blutlinie in die eigene gemischt hatte. Dafür warn Caleb zwei ansehnliche, spitze Ohren gewachsen. Nur seine Augen hatten sich nicht verändert. Das Grünblau schillerte viel intensiver vor dem schwarzen Hintergrund seiner Haut.
"Ma-Madi...", keuchte er und trat an sie heran. Er griff nach ihrer Hand. Sie war genauso schwarz wie die seine. Die Haarfarbe hatte sich bei ihr aber nicht verändert. Schwarze Haare waren bei Dunkelelfen eben üblich. Das ließ sie nun fast wie die kleine Schwester von Corax erscheinen, wohingegen Caleb durchaus weiterhin ihr Freund und neuer Liebhaber sein könnte. Gerade schob er zwei Finger unter ihr Kinn, hob es an und sah ihr tief in die Augen. Auch ihre Seelenspiegel hatten sich nicht verändert. Caleb lächelte leicht. Dann stahl er sich einen flüchtigen Kuss. "Schmeckt wie beim ersten Mal", säuselte er.
"Natürlich. Es ist nur eine Illusion. Aber jetzt falle ich nicht mehr auf, wenn ich Azura mitnehme."
Caleb drehte erstaunt den Kopf. "Du verstehst Sendli?" Corax nickte. Ja, inzwischen beherrschte auch er die Sprache der Wüste. Das geschah, nachdem er einen Blick auf Dunia in Madihas Erinnerungen hatte nehmen können. Davon wusste der Dieb allerdings nichts. "Und du willst sie immer noch mitnehmen?"
"Ich lasse sie nicht zurück. Gehen wir jetzt? Herr ... Herrin...?"
Caleb schüttelte unter einem Seufzen den Kopf, schmunzelte dabei aber. Manche Dinge änderten sich nicht, selbst wenn eine Illusion darüber lag. Corax befand sich auf einem guten Weg, doch es war noch zu früh, mehr von ihm zu verlangen. Vielleicht würde auch er die ihm selbst auferlegte Illusion seines Sklavendaseins irgendwann ablegen. Jetzt jedoch noch nicht.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 4. Dezember 2022, 00:32

Es war nur ein kleiner Teil, den Madiha vom Schiff aus erkennen konnte. Doch allein die Tatsache, dass sie hier stand und auf einen ihr fremden Teil der Welt blickte, war schon mehr als sie jemals zu hoffen gewagt hatte. Zwar war der Wille stets vorhanden gewesen, aber der wahrhaftige Glaube, jemals umsetzen zu können, was sie wollte, der war doch weitaus abwegiger für das Sklavenmädchen gewesen. Ja mehr noch, hatte sie nie wirklich eine Vorstellung von ‚den Ländern der anderen‘ gehabt. Wie auch? Madiha hatte keine Bücher gelesen, hatte kaum Geschichten gehört und nur hier und dort Wortfetzen aufschnappen können, wenn sie zur rechten Zeit am rechten Ort war. Keiner hatte sich dafür interessiert, ob sie neugierig auf das Unbekannte geworden war. Madiha musste alles für sich aufsaugen und die kleinen Schnipsel zu einem Bild zusammenfügen. Doch dass es so wäre… Nie hatte sie eine Vorstellung davon gehabt. Selbstverständlich glichen sich die grundlegenden Strukturen des Hafens mit dem von Sarma. Doch allein der Anblick der andersartigen Fassaden schaffte es, ihren Blick zu fesseln. Madiha stand staunend und aufsaugend neben dem Dieb an der Reling und verlor sich in den vielen kleineren Details. Den schrägen Dächern und den steinernen Fassaden, die in Holzstreben übergingen und so Stockwerke schafften. Es war die gesamte Ästhetik des Stadtbildes – zumindest jenes, das sie von hier aus sehen konnte -, die sie faszinierte. Und der, für viele andere, banale Umstand, dass es neu war. Neue Menschen, neue Gepflogenheiten, neue Statuten und neue Eindrücke für alle Sinne. Madiha war trotz ihrer verlustbehafteten Reise einfach von Neugierde gepackt. Man sah es ihr an, während sie die Augen über alles wandern ließ, was sie erfassen konnte. Sie nahm sich diesen Moment und fühlte sich privilegiert, weil sie hier sein durfte. Mehr noch – sie war mit Caleb hier. Es war seine Heimat und nun durfte sie diese kennenlernen.
Das Bild und ihr kribbeliges Gefühl der Vorfreude wurden getrübt, als sich ein Schatten auftat, den Madiha dann doch hinlänglich kannte. Auch Caleb schien nicht wohl zu sein, sodass er sie zu sich holte und schützend einen Arm um sie legte. Seine Geste befeuerte ihre Zuneigung ebenso, wie ihre Furcht vor dem bekannten Leid. Das Wimmern und Klagen aus geöffneten Fenstern, schafften bei ihr dunkle Erinnerungen, sodass sie unwillkürlich einen bitteren Kloß hinunterschlucken musste. Diese Erinnerungen keimten in ihr auf und schafften es, dass sie sich insgeheim fragte, ob sie nicht früher oder später doch wieder genau dort landen würde, woher sie gekommen war. Konnte es denn jemand verhindern? Wenn sie hier einen falschen Schritt taten, dann würde alles hinfällig werden. Madiha schluckte abermals und wurde abgelenkt, als Corax deutlich machte, dass er bereit war, diesen falschen Schritt zu gehen. Die Sarmaerin starrte das Gebilde aus Mann und Sarg an. Er konnte das unmöglich ernst meinen! Doch auch das Einlenken durch Caleb brachte nichts, ebenso wenig wie ihr Versuch, möglichst auf Augenhöhe zu argumentieren. Im Gegenteil:

Erneut zeigte Corax eine Seite an sich, die Madiha nicht einzuschätzen wusste. Sie zuckte unter seinem scharfen ‚Nein‘ zusammen und versteifte sich augenblicklich. Caleb löste sich von ihr und sie versuchte ihn tatsächlich im ersten Impuls zurückzuhalten, doch ihre Finger glitten von seiner Hand und er fand sich Corax gegenüber. Sie starrten einander an und Madiha beobachtete die beiden zweifelnd. "Für einen Sklaven leistest du ganz schön viel Widerstand.". Madiha sog die Luft ein und sah zweifelnd zu Caleb. Das war nicht der richtige Weg in ihren Augen. Er durfte ihn nicht weiterhin so sehen, sonst würde er doch nie loskommen von den auferlegten Fesseln. Madiha zog ihre Augenbrauen nach oben und ihr Blick glitt zu Corax. Offenbar hatte Caleb einen Nerv getroffen. Denn der Rabe wich aus und seine Haltung lockerte sich. Das Mädchen seufzte tonlos. Das war nicht der Weg den sie hatte gehen wollen. Es war nicht richtig. Auch Corax schien zu resignieren und unwillig dennoch dem Willen seines Herren zu gehorchen. Sie wollte gerade etwas einwerfen, als Caleb abermals die Stimme erhob: "Mir gefällt das. Es zeigt endlich, dass du bereit bist, aus deiner Schicksalsrolle auszubrechen. Du lehnst dich auf. Kein Sklave würde das tun. Ja, das ist gut. Trotzdem können wir Azura nicht mitnehmen. Das musst du doch einsehen." Madiha starrte Caleb’s Profil an. Wärme und Zuneigung breiteten sich in ihr aus, während er seine Worte an Corax richtete. Sie lächelte sogar leicht und atmete tief durch. Er hatte Recht. Corax schien sich langsam zu lösen und das war gut. Aber sie war viel mehr erleichtert, dass Caleb das erkannte und ihm positiv auslegte. Trotz der Starrköpfigkeit des Raben, die ihnen eine Menge Ärger einheimsen würde. Aber das wurde zur Nebensache, solange Caleb nicht seine Macht, die Corax ihm und ihr geschenkt hatte, ausnutzen würde. "Wir können sie nur nicht mitnehmen, weil ich sie hinter euch hertrage." Madiha musterte wieder Corax. Wollte er etwa…? Ihr Blick glitt zu Caleb zurück, der sich gleich etwas zurückzog. Doch bevor die Idee, dass der Dieb den Sarg schleppen würde, richtig greifbar wurde, handelte Corax. Erneut zuckte Madiha etwas als der Rabe seine Bewegung machte. Sie glaubte schon, er würde handgreiflich werden. Was deutlich zeigte, dass sie Corax zwar versuchte eine Freundin zu sein, er aber auch gehörig dazu beigetragen hatte, dass sie unsicher war mit ihm. Etwas zu wollen und zu bekommen, waren doch erheblich unterschiedliche Paar Schuhe, sodass Madiha gar nicht voraussetzte, der Dunkelelf könnte ihr keinen Schaden zufügen, wenn er nur wollte. Das Problem war, dass sie sich nicht in der vermeintlich sicheren Position einer Herrin wähnte. Sie war Madiha. Mehr nicht und Madiha war vor Übergriffen nie sicher gewesen. Warum sollte es also jetzt anders sein? Das einzige was sich geändert hatte war, dass sie sich vermutlich mehr wehren würde, statt stoisch zu akzeptieren. Doch jetzt galt es glücklicherweise keinen Angriff abzuwehren.

Madiha spürte den Lufthauch und das Kribbeln in ihrem Innern. Dann war es vorbei. Stirnrunzelnd blickte sie Corax an. "Du bist schön". Madiha blinzelte fragend und vor allem überrascht von dem plötzlichen Kompliment. Meinte er etwa sie?! Wieso? War sie etwa schon wieder Azura…? Sie wandte den Kopf, doch weder rotes Haar, noch ein üppiger Busen schob sich in ihr Blickfeld. Aber etwas – besser – jemand anderes schon: „Caleb?“, formte sie tonlos mit ihren Lippen, während er seiner Verwunderung Töne verlieh. Er kam auf sie zu und Madiha hatte nur Augen für den ihr unbekannten Mann. Wobei das nicht stimmte, denn irgendwie erkannte sie trotzdem Caleb in der Hülle. Ihre Augen erfassten das satte Schwarz seiner Haut, die spitzen Ohren und das silberne Haar. Er trat an sie heran und fasste nach ihren Fingern. Madiha blickte auf ihre Hände und drehte sie einmal, als könne sie nicht glauben, was sie sah. Bis er seine Finger unter ihr Kinn legte und ihre Augen die seinen fanden. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen und der flüchtige, aber sanfte Kuss, ließ sie die Augen schließen. "Schmeckt wie beim ersten Mal", hauchte er ihr entgegen und ihr Herz klopfte wie wild.
Auch wenn man es wohl nicht mehr so deutlich sehen konnte, spürte sie wie sie errötete. Seine Nähe war auch ohne das intensive Grünblau anregend und belebend. Doch gepaart mit der dunklen Hautfarbe, hatten seine Augen fast etwas Hypnotisches. Madiha hob ihre Fingerspitzen und berührte sein Kinn, welches nun glatt und etwas schmaler war. Dann glitten ihre Finger über seine Wange und in sein silbriges Haar nahe seiner Ohren. Sie öffnete die Lippen, um etwas zu erwidern, doch Corax meldete sich zu Wort: "Natürlich. Es ist nur eine Illusion. Aber jetzt falle ich nicht mehr auf, wenn ich Azura mitnehme." Madiha wich mit ihren Fingern zurück und wandte den Blick von Caleb ab. Noch einmal wurde sie verlegen, denn Corax hatte sie kurz vergessen. Und das eigentliche Thema. Viel zu sehr, war sie von Caleb abgelenkt gewesen, der es meisterlich verstand, sie auf eine anregende Art und Weise zu verwirren. "Du verstehst Sendli?" Auch Madiha nickte zur Antwort. Auch wenn ihr kurz das Gesicht entglitt, während sie die Erinnerung quälte, als Corax sich als Caleb ausgab und so hinter ihr Geheimnis gelangte, wie viel der Dieb ihr bedeutete… Doch niemand achtete auf sie. Corax wollte Azura immer noch mitnehmen und nun hatten sie keine Grundlage mehr, es abzulehnen. Madiha aber betrachtete schweigend ihre Hände. Dann hob sie jene und tastete nach ihrem Gesicht. Sie spürte, dass es ein wenig feiner wirkte. Etwas glatter und ihre Arme und Beine, sowie Finger, feingliedriger. Doch ihre Narben waren noch immer da, auch wenn sie jetzt wohl nicht mehr so rot hervorstachen. Ansonsten hatte sich kaum etwas geändert. Und dennoch… so ganz wohl war ihr nicht dabei. Sie hatte geglaubt, dass es an Azura’s Aussehen lag, dass es ihr nicht behagte, dass er sie in die Adelige verwandelte. Doch Madiha mochte das einfach generell nicht. Trotzdem sagte sie nichts, denn auch das war ein Teil, den sie hart erlernt hatte: Sie stand nicht im Fokus. Es ging um Corax und seine Bedürfnisse. Noch einmal sah das Mädchen zweifelnd zum Sarg, als sie sich halbwegs mit ihrer neuen Erscheinung vertraut gemacht hatte. „Wenn du eine Pause brauchst, sag es.“, murmelte sie schulterzuckend in Corax‘ Richtung. Dann blickte sie Caleb an.

Oh er sah gut aus… sowieso, vorher schon, doch sein illusionäres Äußeres gab ihm einen ganz eigenen Charme. Ihm fehlte die Düsternis. Das Gefährliche. Er ersetzte es mit Verwegenheit und einem verschmitzten Lächeln. Etwas, was Madiha durchaus zu schätzen wusste. Sie lächelte leicht verlegen, senkte den Blick und kriegte sich nur mühevoll wieder auf das eigentliche Problem konzentriert. „Ich halte es noch immer für keine gute Idee, aber…“, sie sah zurück zum Raben, „es ist deine Entscheidung.“, gestand sie ihm die Freiheit einer eigenen Meinung zu und nickte bekräftigend. Bevor sie sich aber zum Gehen wenden konnte, zögerte sie noch mal und sah hilflos abwechselnd in die Gesichter der beiden Männer: „Ich weiß ja gar nicht, wie sie so sind… die Dunklen… muss ich was beachten?“, fragte sie ehrlich und zeigte deutlich ihre Unerfahrenheit. Würde sie so vor einem Soldaten stehen, würde der sie gewiss nicht als Dunkelelfe betrachten. Dafür war sie viel zu kleinlaut und überhaupt nicht arrogant. Zudem trug sie immer noch ihre Kleidung… Madiha blieb Madiha. Ob nun mit üppigem Busen oder pechschwarzer Haut. „Und… was, wenn uns jemand fragt, wer wir sind? Oder wohin wir wollen?“, überlegte sie weiter. Sie sollten sich wohl abstimmen, für den Fall der Fälle. Madiha spürte, dass ihr noch unwohler wurde. Sie wusste ja kaum, wer sie selbst war und nun sollte sie eine Rolle spielen, die sie so gar nicht auszufüllen wusste. Sie war nervös und nestelte an ihrem Haar, als sie gegen die Spitze ihrer neuen Ohren stieß. Sie hielt inne und befühlte diese. Es war so grotesk.. Obwohl sie sich keineswegs anders fühlte, waren da vollkommen andere Merkmale. Sie suchte abermals Calebs Blick und das Grünblau gab ihr Sicherheit. Er war da. Er war bei ihr und würde sie durch seine Heimat lotsen. Ihr Blick glitt zu Corax… während er helfen würde, sich unter seines Gleichen zu bewegen. Sie holte tief Luft. „Also… dann… los..“, forderte sie halblaut auf und konnte ihre Unsicherheit einfach nicht ablegen.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 7. Dezember 2022, 13:41

Wäre Azura doch nur am Leben. Hätten sie und Madiha doch nur ein besseres Verhältnis zueinander aufbauen können, dann hätte sie dem Wüstenmädchen vielleicht mitegeteilt, dass Corax gar nicht so der folgsame Sklave war, als der er sich anderen gegenüber bereits gezeigt hatte. Bei Azura hatte er nämlich stets die Grenzen nicht nur ausgetestet, sondern ungefragt überschritten. Er hatte sie provoziert, mit ihr gespielt und seinen Schabernack teils auch auf ihre Kosten getrieben. Er hatte sich eine Menge herausgenommen und gegrinst, wenn es sie schockierte. Er hatte es geliebt, sie aus der Fassung zu bringen. Er hatte sie geliebt, tat es immer noch und viel zu sehr. Deshalb konnte er Andunie nicht ohne sie betreten. Er war bereit, viele Hürden zu nehmen und alles zu versuchen, um zumindest in dieser Hinsicht seinen Willen zu erhalten. Einen ungebrochenen Willen, so wie Madiha ihn als langjährige Sklavin immer noch besaß. Der Rabe war zu retten, daran glaubte sie. Nur ob er sich und ihnen einen Gefallen damit tat, Azuras Überreste in einem auffälligen Sarg durch die Stadt zu tragen, noch dazu hinter zwei - in Andunie inzwischen als minderwertig angesehenen - Menschen herzuschleppen? Aber auch dafür hatte er eine Lösung parat. Keine, die Madiha im ersten Ansatz gefiel, als sie bemerkte, was er angestellt hatte. Doch dann fiel ihr Blick auf den zum Dunkelelfen verwandelten Caleb. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus und sie musste sich eingestehen, dass ihm die Illusion mehr als gut stand. Er weckte ja vorher schon mit seinen Reizen Empfindungen in ihr, aber nun steigerte das düstere des Volkes diese noch um eine weitere Stufe. Endlich besaß seine Verwegenheit einen Hauch Verruchtheit, bei dem man nicht wusste, ob er sie zum Spaß entführen würde oder weil er ihr wirklich etwas antun wollte. Und doch weckte gerade dieses Dunkle auch den Wunsch, es herausfinden zu wollen. Allerdings nur bei Caleb, denn tief im Hinterkopf versteckt blieb die Gewissheit, ihm letztendlich vertrauen zu können. Ob Azura bei Corax ähnlich empfand? Er war dieser Dunkelelf. Er besaß diese düstere Aura, die ihn immer wieder unberechenbar machte. Aber sie hatte gewusst, wie sehr er an ihr hing und was er bereit war, alles für sie zu tun. Es besaß wirklich seinen Reiz.
Vor allem, als Caleb plötzlich die Initiative ergriff und sich einfach einen Kuss stahl! Es passte nicht so ganz zu seinem bisherigen Verhalten, war er doch Madiha gegenüber eher zurückhaltend und nervös gewesen. Aber sie hatte seine Gefühle erwidert und beide erste Erfahrungen miteinander austauschen können. Das öffnete Herzen und regte offenbar seinen Mut an. Trotzdem blieb der Kuss flüchtig und wenn die falsche Dunkelelfe nun genauer hinschaute, konnte sie die leichte Rötung auf den Wangen ihres Gegenübers erkennen, ebenso aber auch das Funkeln seiner Augen.
Einzig Corax konnte sie von Caleb ablenken. Er sah nun kein Problem mehr darin, einen mannshohen Sarg durch Andunie zu tragen, als wäre es ein simples Möbelstück. Er ließ sich wirklich nicht davon abbringen. Madiha nahm es hin.
"Wenn du eine Pause brauchst, sag es."
Corax musterte sie - überrascht. Für einen Wimpernschlag schlich sich erneut dieser Hauch Zuneigung in seinen Blick, der erfüllt war mit Dankbarkeit, weil sie ihn überhaupt berücksichtigte. Dann war es fort und seine düstere, teils unberechenbare Art übernahm wieder die Zügel. Er hievte sich den Sarg auf den Rücken, hielt dabei die goldenen Tragekettchen fest, die stabiler wirkten als sie zunächst den Anschein machten.
"Das sieht erschreckend leicht aus", meinte Caleb. "Ist der nicht schwer?"
"Nur, wenn du mich daran erinnerst", entgegnete Corax auf eine Art und Weise, bei der man nicht mehr heraushören konnte, dass ein mutmaßlicher Sklave mit seinem Herrn sprach. Kaum dass er Caleb und Madiha optisch auf eine Ebene mit sich selbst gebracht hatte, schien sich auch sein Auftreten ihnen gegenüber zu verändern oder aber er spielte bereits die Rolle einer Gruppe aus Dunkelelfen, die Andunie endlich erreicht hatten. Trotzdem war längst noch nicht alles geklärt. Sie durften nicht so planlos losziehen wie der Rabe glaubte, es einfach tun zu können.
"Ich weiß ja gar nicht, wie sie so sind ... die Dunklen ... muss ich was beachten? Und ... was, wenn uns jemand fragt, wer wir sind? Oder wohin wir wollen?"
"Naja, wir wollen zum Anwesen der van Ikaris...", begannt Caleb und winkte mit einer Hand in Richtung des Sarges, ohne genauer auf den Grund einzugehen. Er mied es, Corax ständig an seine tote Liebe zu erinnern, so gut es eben ging, wenn jener ihren Leichnam auf dem Rücken umhertragen wollte. Doch darüber hinaus hatte selbst der Dieb keine Ausrede parat. Er griff sich in den Nacken. "Ich kenne mich mit denen auch nicht gut genug aus." Sein Blick wanderte zu Corax. Jener blinzelte. Es geschah schließlich selten, dass er dermaßen in den Mittelpunkt gerückt wurde. Alles hing nun von seinen Kenntnissen um das eigene Volk ab. Er setzte Azuras Sarg wieder ab, ohne dabei jedoch die Goldketten loszulassen. Dann brummte er nachdenklich auf. "Dunkelelfen sind eiskalte Bastarde", war seine erste Einschätzung. Er nickte, um seine eigenen Worte abzusegnen. "Verhaltet euch normal, aber nicht zu freundlich. Seid misstrauisch, auch einander gegenüber, es sei denn, ihr tretet offen als Paar auf."
Caleb blinzelte, ehe seine Augen mit einem Fragen zu Madiha herüber huschten. Für Corax stand die Antwort ohnehin bereits fest, so überging er die beiden einfach. "Gegenüber allen, die auch nur ansatzweise keine reinblütigen Dunkelelfen sind, müsst ihr arrogant, überheblich und vor allem skrupellos vorgehen. Sie sind nichts wert und werden es niemals sein." Er sprach es so kühl und abgebrüht aus, dass es betroffen machte. Es war die Welt, die er über Jahre lang gelebt hatte und selbst er war als Dunkelelf nur Schmutz unter den Stiefeln eines anderen. Madiha wusste, wie man Sklaven sah. Sofern sie nicht als Sammlerstücke aufgrund einer besonders teuren Ausbildung gesehen wurden, behandelte man keinen von ihnen gut. Und selbst jene Kostbarkeiten waren nur wertvoll, weil man so viel Geld investiert hatte - wie bei einem Kamel, das darauf abgerichtet war, schnell zu laufen und deshalb wieder mehr Geld bei Wettrennen einfuhr. Man sah nicht das Kamel, man sah nur die Investition, das Objekt. Man wollte sein materielles ... Ding nicht beschädigt sehen. Gefühle zählten nicht.
"Am schwierigsten wird es sein, weil ihr kein Lerium sprecht. Die Illusion kann ich euch nicht auferlegen", fuhr Corax fort.
"Vielleicht solltest du dann unser Sprecher sein. Du musst nur zwischendurch immer mal wieder mitteilen, was du eigentlich sagst, damit wir mitspielen können", schlug Caleb vor. Corax schien nicht begeistert, zeigte hier aber mal keinen Widerstand. Er sah offensichtlich endlich einmal ein, dass zumindest das notwendig wäre. Derweil verschränkte der Dieb die Arme vor der Brust. "Bleibt nur noch der Grund unseres Hierseins. Warum sind wir nach Andunie gekommen? Warum wollen wir zum Haus der van Ikaris?"
"Wir bringen Azura zurück ..."
"Sie war ein Mensch", erinnerte Caleb und Corax verzog den Mund. Ja, hier war das Problem. Die van Ikaris konnte er nicht einfach zu einer dunkelelfischen Adelsfamilie machen, die seit Ewigkeiten in Andunie lebte. Das würde Verdacht schöpfen. Nur welche Ausrede könnte ihnen sonst einfallen? Beide Männer schauten Madiha einen Moment lang an. Das Mädchen war gewitzt, das wussten sie. Beide hofften auf eine Idee von ihr. Falls sie keine hatte, würden sie sich etwas aus dem Ärmel schütteln müssen und das käme wohl auch genau richtig, wenn es denn schnell käme. Denn sie bräuchten gleich eine Ausrede, als sich eine Gruppe dunkelelfischer Gestalten in Lederrüstungen dem Schiff näherten.
"He, was macht ihr da auf dem Schiff? Neu angekommen?", rief eine Frau zu ihnen empor. Sie trug als einzige kein Leder, sondern eine schwarze Robe mit allerlei silbernen Verzierungen darauf. Die meisten zeigten Sichelmonde und dornige Rosen. Ihre Kapuze war aber so verarbeitet, dass es aussah, als trüge sie den Kopf einer Eule über ihrem eigenen. Sie gab ihrerseits ein faszinierendes Bild ab und ihre Augen hätten mit denen von Corax in Konkurrenz stehen können. Sie leuchteten ebenfalls rot, allerdings nicht so schön wie Rubine. Sie erinnerten mehr an das dunkle Blut, das auf einem Schlachfeld zurückblieb.
"Sie fragt nach unserem Hiersein", raunte Corax seinen Gefährten leise zu. "Was soll ich antworten? Irgendetwas?" Jetzt begann es, spannend zu werden.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 8. Dezember 2022, 22:29

Madiha hatte nie den Drang verspürt, jemand anderes zu sein. Ihr Leben war gewiss nicht das Beste und sie selbst hatte nie wirklich etwas lernen dürfen oder ergründet, was ihr Freude bereiten würde. Man hatte ihr aberkannt, sich selbst kennenzulernen und herauszufinden, worin sie gut oder schlecht wäre. Doch trotz dieser Umstände oder gerade wegen ihnen, wollte Madiha sie selbst bleiben. Sie wollte nicht eine rothaarige Adelige mit üppigem Busen und toller Garderobe sein. Schon während Azura in Verzückung geriet, weil der flüchtige Kapitän offenbar einen Faible für die weibliche Garderobe gehabt hatte, konnte Madiha dem nichts abgewinnen. In ihrer Welt hatte es nie eine Rolle gespielt und somit vermisste sie auch nichts. Gleiches galt für ein Leben in Luxus. Nie hatte sie sich Reichtum gewünscht oder Speisen aus aller Herren Länder. Madiha wünschte sich nur eines: Ein eigenes Leben. Und Lesen und Schreiben zu können, das waren tatsächlich Dinge, die sie gern besser beherrschen würde. Doch darüber hinaus, wollte sie die Freiheit haben selbst zu entscheiden. Und darüber würde sie sich finden, so glaubte sie. Sie würde lernen, was sie mochte und was nicht und sie würde in ihrer Vorstellung sagen dürfen, wie sie empfand. Es war natürlich ein Prozess und bisher hatte sie geglaubt, sie würde es einfach nur grotesk finden, in Azura verwandelt zu werden, doch die Wahrheit war: Sie war gern sie selbst. Und niemand anderes. So blieb sie auch verhalten als Corax erneut seine Illusionen anwandte, um sie zu einer Dunkelelfin zu machen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass das Mädchen aus der Wüste bisher nichts anderes hatte kennenlernen dürfen. Es fiel Madiha schwer sich anders zu präsentieren, als sie es gewohnt war. Sie sprach ja auch noch immer lieber Sendli, obwohl sie Celcianisch ebenso beherrschte. Doch Sendli gab ihr Sicherheit. So wie ihr von Narben gezeichneter Körper ihr Sicherheit bot. Sie kannte sich eben in nichts gut aus, weshalb das Bisschen heilig blieb. Doch ihre Gedanken zu ihrer Verwandlung, wurden von Caleb weggewischt. Er trat an sie heran, um sich einen Kuss zu stehlen und trotz der Flüchtigkeit, war es für Madiha ein weiterer Moment voller Wärme. Auch sie wurde verlegen, ob der scheinbar selbstverständlichen Zurschaustellung, ihrer beider Zuneigung. War das jetzt etwas, was ihr gefiel oder nicht? Sie horchte und senkte leicht lächelnd den Blick. Es gefiel. Sehr. Dabei gefiel ihr aber auch, dass Caleb trotz der Verwandlung er selbst blieb. Denn die feine Röte auf den Wangen des jetzigen Elfen, das Funkeln in den grünblauen Iriden, seine Körperhaltung, seine Stimme… Das alles war er und gab Madiha die Gewissheit, dass auch sie blieb, wer sie auch immer war. Es war nur eine Maskerade, nichts weiter. Das Mädchen entspannte sich ein wenig und kam nicht umhin festzustellen, wie gut Caleb das Äußere stand. Und obwohl er etwas Verruchtheit bekam, war es eben der Umstand, dass er weiterhin war, wer er war, was Madiha anzog und auf ihn reagieren ließ. Diese Art der Gefühle mochte sie auch, stellte sie insgeheim fest.

Corax lenkte sie mit seinem Starrsinn allerdings davon ab und Madiha resignierte. Er ließ sich nicht davon abbringen, soviel konnte sie erkennen. Also und weil sie sich nicht als dominante Herrin aufspielte, sprach sie ihm seinen Willen zu und beließ es dabei. Der kurze Blick in dem Zuneigung aufflackerte, den sah sie nicht, denn sie wechselte gerade den Blick zu Caleb. Bis sie bemerkte, wie Corax den Sarg hochhievte und ihn trug, als würde er nichts wiegen. Madiha blinzelte überrascht, während Caleb verbalisierte, was auch sie dachte. Die Antwort des Raben kam, wie man es von einem Begleiter erwartete, der sich zwar zwangsweise dem Bündnis angeschlossen hatte, nicht aber langfristig vorhatte, dabei zu bleiben. Eine ihrer Augenbrauen wanderte in die Höhe. Der Sklave wechselte seine Launen, wie anderer Leute die Kamele! Genau das Unstete war etwas, was Madiha vorsichtig bleiben ließ. Sie kannte wechselnde Gemüter zur Genüge und nicht selten bedeutete das, dass man sich ihr entweder auf die hart oder auf die sanfte Art genähert hatte. Oder aber, dass sie vollkommen willkürlich bestraft wurde, ohne zu wissen, wofür. Nein… Madiha war ein wenig auf vorsichtigen Abstand zu Corax gegangen. Dennoch konnten sie nicht einfach so losstürmen. Sie brauchten zumindest eine gute Geschichte. Wie jene, die sich die Mädchen ausdachten, wenn sie den lüsternen Blicken keine Aufforderung verschaffen wollten. Dann hatten sie stets etwas für jenen Herr oder die erste Haremsdame zu erfüllen. Sie mussten wachsam bleiben und deshalb brauchte Madiha noch einen Moment, um sich besser vorbereitet zu fühlen. Wenn man das denn in ihrer Situation konnte. Corax schien überrascht zu sein, dass man auf seine Hilfe angewiesen ist. "Dunkelelfen sind eiskalte Bastarde“ Nun blinzelte Madiha. War das ein Scherz? Er selbst war doch auch nicht eiskalt. Bevor sie nachfragen konnte, sprach er jedoch weiter: "Verhaltet euch normal, aber nicht zu freundlich. Seid misstrauisch, auch einander gegenüber, es sei denn, ihr tretet offen als Paar auf."
Auch Madiha hob ertappt die Augenbrauen und hüstelte etwas als hätte sie einen trockenen Hals. Sie erwiderte den fragenden Blick von Caleb und schaffte es nicht, seinem Blick standzuhalten. Sie lächelte verlegen und rieb sich den Oberarm. Was dachte er wohl darüber, wie sie sich geben sollten? Waren sie denn ein… Paar? Was für Regeln gab es diesbezüglich? Wie war man… ein Paar? „Also…“, setzte sie an, wurde von Corax aber übergangen. "Gegenüber allen, die auch nur ansatzweise keine reinblütigen Dunkelelfen sind, müsst ihr arrogant, überheblich und vor allem skrupellos vorgehen. Sie sind nichts wert und werden es niemals sein." Das ließ das Mädchen aus der Verlegenheit aufsehen und die Stirn runzeln. „Du bist aber nicht so…“, warf sie ein und neigte den Kopf etwas. „Die gibt es überall und auch wieder nicht.“, meinte sie fast schon trotzig, zuckte aber die Schultern. Im Grunde kannte sie doch auch nur jene, die Corax‘ beschrieb. Und die gab es ganz unabhängig von den Dunkelelfen.

Aber es gab eben auch die Dunias und Ilmy’s dieser Welt. Madiha hatte Schreckliches kennengelernt – aber auch erkennen dürfen, dass nicht jeder so war. Eine Ilmy wog zehn Palm’s mit seinen Schikanen auf. Und eine Dunia hunderte dunkle Soldaten, die sich einen Spaß daraus machten, die Frauen Sarma’s und Andunie’s zu vergewaltigen… Man musste nur selbst ein wenig die Ärmel hochkrempeln und… anfangen. Es besser machen. Und das wollten sie tun, denn Azura gehörte zu ihrer Familie. Das war etwas Gutes, was sie tun wollten. "Am schwierigsten wird es sein, weil ihr kein Lerium sprecht. Die Illusion kann ich euch nicht auferlegen.“
"Vielleicht solltest du dann unser Sprecher sein. Du musst nur zwischendurch immer mal wieder mitteilen, was du eigentlich sagst, damit wir mitspielen können"
, schlug Caleb vor und Madiha nickte bekräftigend. Corax sah so aus als wollte er lieber protestieren, besann sich aber darauf, dass sie alle an einem Strang ziehen mussten. Wieso auch nicht? Weder Madiha noch Caleb hatten bisher entgegen seinem Willen gehandelt. Ganz im Gegenteil, sie taten das zu einem Gutteil für ihn! "Bleibt nur noch der Grund unseres Hierseins. Warum sind wir nach Andunie gekommen? Warum wollen wir zum Haus der van Ikaris?"
"Wir bringen Azura zurück ..."
"Sie war ein Mensch"
, gab der Dieb zu bedenken und Madiha bearbeitete ihre Unterlippe mit ihren Zähnen. Das war ein Problem. Die Blicke der beiden Männer, ließen Madiha etwas schrumpfen. Woher sollte sie denn das wissen? Ausgerechnet sie, das weltfremde Sklavenmädchen in viel zu großen Hosen! Doch Madiha bearbeitete ihre Unterlippe weiterhin und wich den Blicken aus. Dass man auf die drei vermeintlichen Dunkelelfen an Deck der Blauen Möwe aufmerksam wurde, bemerkte Madiha jedenfalls nicht. Sie dachte nach und starrte auf die hölzernen Planken. Dann formte sich ein Gedanke zu einer Idee, doch bevor sie diese erörtern konnte, kroch die unheimlich klingende Sprache über ihren Rücken und ließ sie erschaudern: "He, was macht ihr da auf dem Schiff? Neu angekommen?", verstand sie kein Wort, doch konnte sie die Sprecherin ausmachen, als sie sich umdrehte. Sie sah faszinierend aus und ähnelte Corax tatsächlich etwas. Die Robe hatte etwas mystisches und Madiha starrte einen Moment die Drei an. Nun war guter Rat wirklich teuer und das Mädchen in Gestalt einer Dunkelelfin, erstarrte beinahe zur Salzsäule. Ihr Herz klopfte, während Corax flüsterte: "Sie fragt nach unserem Hiersein. Was soll ich antworten? Irgendetwas?" Madiha schluckte und befeuchtete dann ihre Lippen. „Geld…“, raunte Madiha zurück und versuchte fieberhaft ihre Gedanken in knappe Worte zu pressen, damit die beiden Männer verstanden und sie eine Geschichte hatten, sollte Corax nicht eine eigene inzwischen parat haben oder Caleb etwas eingefallen sein: „Wir wollen für Azura Geld abpressen von den Eltern…“, meinte sie und sah nicht ganz wohl damit aus. Schön war die Idee gewiss nicht. Aber Madiha nahm das, was Corax über sein Volk berichtete, und verpackte es in ein Szenario, welches sie selbst erlebt hat. Wenn auch in anderer Form. „Wir verkaufen Überreste an adelige Häuser, für die Möglichkeit zur Bestattung…“, raunte sie zurück und befand sich ein wenig hinter den beiden Männern, sodass die Fragenden sie nicht gleich entdecken konnten. Es erklärte zumindest den Sarg… Vielleicht reichte das.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 15. Dezember 2022, 05:01

"Dunkelelfen sind eiskalte Bastarde." Corax sprach es nicht mit Hass aus, aber die Verachtung über seinesgleichen konnte er nicht ganz verbergen. Vielmehr, er wollte es nicht. Weder Caleb noch Madiha besaßen morgerianisches Blut. Darüber konnte die aktuelle Illusion auch nicht hinweg täuschen. Aber beide sah er als seine Herrschaften an, die ihn besaßen wie einen Gegenstand. Somit verhielt er sich ihnen gegenüber vertrauter und offener als so manch anderem. Aber auch das konnte man nicht nur auf diesen einen Umstand münzen. Es war Madiha zu verdanken, dass er nicht in allen Dingen distanziert blieb oder ein stiller Schatten, wie man es von einem Sklaven eigentlich erwartete. Sie war Corax mehr als einmal schon entgegen gekommen und das mit mehr Verständnis als er bislang wohl in seinem Leben erhalten hatte. Nicht einmal Azura war ihm gegenüber dermaßen empathisch gewesen. Das konnte man ihr angesichts ihres eher egoistisch geprägten Weltbildes jedoch keineswegs vorhalten. Überhaupt konnte man bei ihr keine Entwicklung mehr erhoffen, außer die verschiedenen Phasen des Verwesungszustandes. Wie sie im Sarg nun wohl ausschaute? Zumindest dem Sklaven, der sie viel zu abgöttisch liebte, war es dermaßen egal, dass er bereit war, sie durch halb Andunie zu schleppen. Er konnte gar nicht dieser arrogante und skrupellose Geselle sein, als die er sein eigenes Volk darstellte. Auch Madiha sah das so.
"Du bist aber nicht so..."
Er schnaufte auf und als er Madiha entgegen schaute, starrte sie nur diese tiefe, trostlose Schwärze an, zu der seine Iriden geworden waren. Sein gesamtes Gesicht verlor durch so viel Dunkelheit an Mimik. Er wirkte wie ein Schatten seiner selbst und es war schwer, etwas aus seiner Optik heraus zu deuten. Seine Stimme hingegen schwappte mit dieser Ruhe herüber, die Sklaven sich aneigneten, um bloß nicht missgünstig bei ihren Herren aufzufallen. Distanzierte Loyalität, geprägt von eingesperrten Emotionen, denn niemand interessierte sich für die Mentalität eines Besitzstücks. "Ich werde sein, was du möchtest, das ich bin, Herrin."
Plötzlich schnellte eine Hand auf Corax zu. Selbst wenn er sie noch rechtzeitig bemerkt hätte, gestaltete es sich mit dem Sarg auf dem Rücken unmöglich, passend zu reagieren. An ein Ausweichen oder Gegenwehr war nicht zu denken. Aber die Hand schoss auch nicht für eine Ohrfeige auf ihn los. Calebs Pranke landete mit kameradschaftlicher Schwere auf Corax' Schulter und erst nach ihrem Treffer wirkte sie wieder so schlank wie die des Raben. Die Illusion verschwamm ein wenig, wenn Corax mit Situationen nicht rechnete und sich nicht konzentrierte. Natürlich! Er konnte nicht alles ständig aufrecht erhalten, wenn er nicht kraftlos zusammenbrechen wollte. Er trug einen illusionären Sarg mit sich herum und hatte zwei Menschen verwandelt. Madiha hatte schon nach ihrem kleinen, magischen Ausbruch für so lange Zeit im Bett ruhen müssen und ihre Hände dankten es ihr noch immer nicht. Sie brauchten noch Zeit, um ganz abzuheilen. Wieviel an Magie stämmte Corax derzeit? Und jetzt kam noch Calebs schwere, wenngleich elfenfeine Hand hinzu.
"Sei mal weniger verbohrt und mehr du selbst. Das wäre ein Anfang, den ich mir wünschen würde. Und wenn du's von dir aus nicht sein kannst, dann sieh es als Befehl deines Herrn, der gar keiner sein will." Er verpasste Corax einen Rüffel, der den Dunkelelfen geradezu verwirrt zurückließ. Mit einer derartigen Aufforderung hatte er sich in seinem ganzen Sklavenleben wohl noch nie konfrontiert gesehen. Er sollte ... er selbst sein. Aber nicht nur das stellte ihn erst einmal vor neue Herausforderungen. Plötzlich mutierte der aus eigener Sicht Wertloseste des Trios zu deren Sprecher und Anführer. Die erste Feuerprobe wartete auch schon auf sie in Form einer Gruppe aus Dunkelelfen. Sie alle wirkten wir Söldner, von der gewandeten Schönheit in ihrer Mitte abgesehen. Die erinnerte mit ihrer reich verzierten Robe eher an eine Kultistin oder Zauberin und ihren Augen wohnte das Blutleuchten inne, das man bei Corax inzwischen vermisste. Jener aber musste nun Rede und Antwort stehen, denn die Dunkelelfen fragten in Lerium und nur er könnte ihnen auf gleiche Weise antworten. Celcianisch stand nicht zur Debatte, das hätte nur den Verdacht geschürt. Es lag nun also am Raben allein, die Situation am Laufen zu halten oder die Gruppe so rasch als möglich abzuwimmeln.
Madiha wisperte ihm als Grund ihres Hierseins eine Ausrede zu, die mit Geld begann. Corax nickte kaum merklich. Gold war bei jedem Volk stets eine gute Motivation. Ihr Plan mit Azura passte ihm dann aber doch nicht so sehr. Dafür kam ihm eine andere Idee. Eine, mit der er besser hantieren konnte, weil sie ihm vertraut war und den Fremden hoffentlich nicht. Schließlich spazierte nicht jeden Tag ein Schelm durch Andunie.
"Es war das Geld, das uns ursprünglich hierher trieb. Wir hörten, Andunie sei von den unseren erfolgreich eingenommen und wir erhofften uns mehr als in...", er blickte flüchtig zu Caleb und Madiha herüber, "Sarma."
"Ihr seid Deserteure"
, knurrte sofort einer der in Lederharnisch gerüsteten Dunkelelfen, dessen Hand viel zu schnell zur Klinge an seinem Gürtel wanderte. Corax setzte den Sarg wieder ab und schüttelte den Kopf. "Lasst mich erklären", erwiderte er nun auf Celcianisch und da war er, der Verdachtsmoment. Man spürte förmlich, dass die Gruppe sich wie eine Person etwas anspannte, während das Misstrauen in ihren Augen funkelte. Der Rabe hob beschwichtigend beide Hände. "Ein unglücklicher Umstand ist der Grund, weshalb ich die Schmutzsprache der Minderen in den Mund nehmen muss. Es betrifft meine Gefährten." Er zeigte erst auf Madiha, dann auf Caleb. "Die Frau ist meine Madeleine, meine Cousine zweiten Grades und das hier ist ... Caltjenn, ihr Verlobter."
Es war Calebs jahrelang einstudierter Erfahrung zu verdanken, dass er die nötige Selbstbeherrschung aufbrachte, nun nicht imaginäres Wasser auszuspucken und Corax anzustarren. Er verzog keine Miene, brauchte aber einen ganzen Moment, bis er seine Hand von der Schulter des Raben zog, um nach Madihas zu greifen - symbolisch für ihren Verlobungsstand. Hoffentlich fragte niemand auch nach einem sichtbaren Symbol dieser Art. In Sarma trug man Ringe, manchmal aber auch Armbänder oder kostbaren Schmuck. In Andunie hatten sich lediglich die Ringe durchgesetzt. Wie es bei Dunkelelfen jedoch aussah, wusste vielleicht nicht einmal Corax.
"Und warum sind sie der Grund, dass Ihr es vorzieht in der Sprache der Minderwertigen zu kommunizieren?", entgegnete die Dunkelelfe an den Docks kühl. Sie ließ sich nicht dazu herab, ins Celcianische zu wechseln. ihre Begleiter umringten sie nun enger und mittlerweile lag keine Hand mehr fern von einer schnell ziehbaren Waffe. Corax ließ sich dadurch nicht einschüchtern. Er blieb bei seiner Geschichte und beim Celcianischen.
"Das Problem ist, dass beide verflucht wurden. Der Zauber löste sich auch dann nicht, als wir die Verantwortliche hinrichteten." Er klopfte gegen das Holz des Sarges. "Im Innern befindet sich die Leiche einer andunischen Grauschelmin. Wir drei kennen uns mit dieser Magie-Richtung nicht gut genug aus und mutmaßten einfach nur Illusionen hinein, aber keinen anhaltenden Fluch."
"Wie sieht dieser Fluch aus?", sprang die Elfe endlich auf Corax' ausgelegten Köder an. Er wiederholte ihre Frage in seiner Antwort, damit Madiha und Caleb den roten Faden der Geschichte nicht verloren. "Der Flucht ist nicht sichtbar, wie Ihr mit Euren wachsamen Augen sicher schon bemerkt habt."
"Spart Euch Eure geheuchelten Schmeicheleien, Elf!"
"Die tote Schelmin wollte meine Cousine und ihren Gefährten in widerliche Menschen verwandeln, damit sie von ihrem eigenen Volk hingerichtet würden. Manchmal schimmert die menschliche Optik sogar jetzt noch durch. Schlimmer aber ist, dass ihre Fähigkeiten, Lerium zu verstehen oder zu sprechen einfach verschwunden sind. Sie können dem Gespräch nicht folgen, wenn es nicht auf Celcianisch oder in der Muttersprache der Sarmaer Menschen stattfindet. Ich weiß nicht, wie dieser Fluch es anstellt, dass es so funktioniert."
Das Misstrauten im Blick der Gruppe schwand nicht vollends. Nach einer Weile nickte die Frau aber ihren Begleitern zu und wenigstens die Hälfte von ihnen ließ von den Waffen ab. Tatsächlich wechselte nun auch sie ins Celcianische, wenngleich mit einem entnervten Seufzen und eisigen Blicken in Richtung Madiha und Caleb, als seien sie für ihr Schicksal selbst verantwortlich. "Und deshalb seid ihr desertiert und nach Andunie aufgebrochen?"
"Wir sind nicht desertiert", stellte Corax richtig. "Wir haben herausgefunden, dass die Familie der toten Schelmin hier leben soll und werden ein Brechen des Fluches gegen die Übergabe ihres Leichnames einfordern." Er legte eine Pause ein, um die Informationen sacken zu lassen. Dabei erkannte Corax, dass die Ausrede nicht reichte. Also setzte er nach: "Sobald meine Cousine Madi und Caltjenn wieder ganz sie selbst sind, werden wir alles auslöschen, was noch an die Schelmin und ihr Blut erinnert."
"Meine Meisterin kann euch vielleicht helfen - sofern die Bezahlung stimmt. Serpentis Mortis könnte einige der versklavten Magier aus der Akademie zusammentrommeln. Vielleicht findet sich darunter ein Kenner für die Schelmenrichtung." Die Dunkelelfe neigte den Kopf. Ihre Augen blitzten blutig auf. "Oh? Was zuckt Ihr denn zusammen, fremder?"
Corax presste die Lippen aufeinander. "Ich kenne Serpentis Mortis", brachte er nach kurzem Zögern heraus. "Wir ... stehen in keinem allzu guten Verhältnis zueinander. Ihr und unser Haus. Außerdem möchten wir uns die Gelegenheit eines langen und qualvollen Foltertodes der Schelmenfamilie nicht entgehen lassen."
Die Dunkelelfe nickte endlich. Ein Grinsen bahnte sich auf ihren Zügen an und es innerte fast an das mordlüsterne Antlitz von damals, als Corax versucht hatte, Madiha zu erwürgen. Hier jedoch stand deutlich mehr Sadismus im Blick. "Ich verstehe. Dann willkommen in Andunie!" Sie verneigte sich würdevoll. Ihre Gefährten beließen es bei Reglungslosigkeit oder einem knappen Nicken. "Solltet ihr bei der Brechung des Fluches nicht vorankommen, findet ihr vielleicht Hilfe in der Akademie zu Andunie. Wie gesagt, meine Meisterin Serpentis hat dort inzwischen die Führung übernommen. Erwähnt ihren oder meinen Namen und ihr habt ein erstes Standbein."
"Wie lautet Euer Name?", mischte Caleb sich mit einem Mal ein. Da die Dunkelelfe nun Celcianisch sprach, wollte er nicht alles Corax überlassen. Die Elfe verneigte sich erneut. Sie machte eine wahre Schau aus ihrem Auftritt, denn sie nannte nicht nur ihren eigenen Namen, sondern listete gleich damit ihre halbe Blutlinie auf: "Ignis Pyrdica aus dem Hause Rasverath zu Morgeria, das mit Stolz die Fledermaus trägt und Verachtung auf alles nicht Dunkelelfische herab blickt. Ich bin die in die Familie eingeheiratete Gemahlin von Edwin Rasverath, Neffe fünften Grades des hoch angesehenen Montgomeric Faldorslieb des Vierten Rasverath - Oberhaupt des Hauses Rasverath."
"Ich kenne das Haus", erwiderte Corax und deutete mit einem Nicken seinen Respekt an. "Madeleine und ... Rabe, aus dem Hause Teneb-"
"Tenebrée?", warf einer von Ignis' Handlangern überrascht ein. "Aber die sind bis auf die ehrwürdige Starle Tenebrée gänzlich ausgelöscht."
Corax' Augenlid zuckte. Er hätte sich keines der größeren Häuser als Namenshalter wählen sollen. Diese waren bekannt und jetzt schon fast ausgesprochen. Rasch griff er auf eine weitere Lüge zurück. "Nicht Tenebrée", sagte er. "Tenebbe. Wir sind ein kleines Blutsgeschlecht, das den Aufstieg versucht und bereits jetzt von der Namensähnlichkeit profitiert."
Das schien die Gemüter zu beruhigen. Natürlich hatte noch niemand vom Hause Tenebbe gehört. Es existierte nicht. "Madeleine und Rabe Tenebbe, sowie Caltjenn, künftiger Tenebbe. Ich heiße euch in Andunie erneut Willkommen. Unsere Angelegenheiten sind geregelt und wir waren auf dem Weg zu einer der kleineren Spelunken hier am Hafen. Dort gibt es das beste Rauschkraut, das sich auftreiben ließ. Ich lade euch ein, euch uns anzuschließen. Die Reise mit dem Schiff war sicherlich lang und beschwerlich. Trinkt mit uns und genießt den Luxus einer von Dunkelelfen eingenommenen Stadt. Eure Leiche ist bereits tot, ihr habt also Zeit."
"Haben wir. Danke, Ignis."
Die Stimmung an den Docks lockerte sich. Mit der Einladung wartete dei Gruppe unter Ignis' Führung nun nur darauf, dass das Trio mit dem Sarg sich anschloss. Corax spielte nun den Elfen, der an seiner Last arg zu tragen hatte und somit etwas Zeit bräuchte, bis er von Bord wäre. Genug für einen raschen, gewisperten Wortwechsel mit seinen beiden Herrschaften. "Es geht nicht anders. Eine Einladung von einem höheren Haus schlägt man nicht aus. Ausgerechnet Rasverath ... sie sind blutrünstig und sadistisch. Seid auf der Hut, Herrin, Herr."
"Andunies Bucht ist bis zum Rand gefüllt mit Scheiße", knurrte Caleb. Er nickte Corax zu und deutete an, ihm beim Tragen des Sarges zu helfen. Nur missmutig nahm der Rabe das Angebot an, weil der Schein erforderlich war. Aber es passte ihm gar nicht, dass selbst Caleb das Holz berührte. Wenig später ging es dann von Bord und mit der Gruppe zu einer der Spelunken. Das Schild über dem Eingang war inzwischen unleserlich, weil das Blut auf dem Holz über den Buchstaben getrocknet war. Jemand hatte es aber mit abgetrennten Händen von Kindern geschmückt, die in einem Bündel darunter hingen und in ihren kalten Fingern eine Laterne hielten.

Das Innere der Taverne war eine neue Erfahrung für Madiha und zugleich auch nicht. Khasib hatte einige Räumlichkeiten in seinem Anwesen besessen, die man gut und gern als Drogenhöhle hatte bezeichnen könnten. Der Charme ähnelte dem Schankraum. Wo Khasib aber mit Marmor und hellem Stein, mit jeder Menge bemalter Keramik und Wandteppichen geprotzt hatte, fiel die Einrichtung hier spärlich aus. Dunkles Holz, von dem man nicht mehr sagen konnte, ob es braun oder grau war, gab den Maßstab vor. Die Tische waren mit Fässern aufgestockt worden, so dass man an den Kosten für Stühle hatte sparen können. Es gab wenige Bänke. Der rustikale Tresen nahm den meisten Platz im Raum ein. In einem L-förmigen Bogen führte die offene Seite zu einigen Hinterzimmern, deren Türrahmen mit einem Vorhang abgehängt war.
Es roch furchtbar nach einer Mischung aus allerlei Kräutern, nach Alkohol, aber auch Blut. Zwei andere Dunkelelfen und ein wahrer Berg von einem grünlich braunen Ork waren die einzigen Gäste. Sie hatten es sich in einer Ecke des Raumes gemütlich gemacht, tranken und hatten sich eindeutig bereits einige Mittelchen gegönnt. Die Elfen nahmen kaum Notiz von den Neuankömmlingen. Der Ork hingegen schaute mit rötlichen Augen zu ihnen herüber, pfiff ob der Frauen und lehnte sich dann auf seinem Fass etwas zu weit zurück. Er fiel rücklings zu Boden, grunzte und blieb dann einfach liegen, während er seine empor gestreckte Hand betrachtete. Seine Begleiter nahmen auch davon keine Notiz. Sie schwebten in anderen Sphären. Dafür zuckte die einzige Bedienung hinter dem Tresen zusammen.
Ein erschreckend dürres Mädchen, vielleicht einige Jahre jünger als Madiha, sah die Neuen aus großen, rehbraunen Augen an. Das Haar hing ihr offen, aber fransig über die Schultern, so dass es an Stroh erinnerte. Ihre Unterarme besaßen blaue Flecken, eine Wange war geschwollen. Ihr ging es nicht gut und sie fürchtete mit dem Eintreffen neuer Kundschaft wohl eine Fortsetzung der bisherigen Behandlung. Trotzdem fragte sie tapfer: "W-was kann ich euch ... bringen?"
Ignis' Handlanger hielten auf den Tresen zu. Sie grinsten die Hauswirtin düster an. Der erste von ihnen bestellte einen Blutwein, was immer das war. Ignis hingegen blickte über die Schulter zu ihren Gästen zurück. "Den Sarg könnt Ihr an der Wand abstellen. Setzt euch zu mir an einen der Tische. Ich möchte mehr über euch erfahren."
"Auf Celcianisch", erinnerte Corax. "Sonst erfahrt Ihr kaum etwas."
"Oh, wie lästig", schnarrte Ignis. "Dann verschieben wir das Gespräch. Ich will erst einmal etwas trinken." Sie winkte dem Trio dennoch auffordernd zu, irgendwo Platz zu nehmen, ehe auch sie sich an den Tresen begab. Einer ihrer Leute hob sie geradezu elegant auf einen der besser gepolsterten Sitzplätze. Auch sie bestellte Blutwein, sowie etwas von den guten Kräutern. Das flachsblonde Mädchen zuckte zusammen, nickte und machte sich daran, die Bestellungen aufzunehmen.
"Was jetzt?", brummte Caleb. Corax wies zu einem der Tische, die weit genug entfernt standen, damit man sich leise unterhalten konnte.
"Nicht auffallen", mahnte er. "Und ... nehmt nichts von den Kräutern, sonst sind wir nach dem Aufwachen alle Sklaven." Er traute Ignis und ihren Leuten nicht weiter als ein Goblin spucken konnte. Ein Goblins mit zugenähtem Maul!
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 16. Dezember 2022, 13:35

"Ich werde sein, was du möchtest, das ich bin, Herrin." Madiha hob den Kopf und blickte ihn aus blaugrauen Augen an. Sie erkannte in ihm keine Emotionen mehr, denn die hatte Azura’s Tod mit sich genommen. Er war nur noch eine Hülle, ohne Eigenheit und ohne Lebensfreude. Wenn er je welche besessen hatte, dann war auch diese mit der Adeligen im Sarg eingesperrt. Und bald würde sie unter der Erde begraben liegen. Unerreichbar für jedermann. Madiha musterte Corax und ließ ihren Blick über die Dunkelheit seiner Augen wandern. Caleb war es, der passender auf seinen Ausspruch reagierte. Auch er war der Überzeugung, dass es besser war, wenn Corax sich verhielt wie er es für richtig hielt. Auch wenn das zeitweise dazu führte, dass sie sich in einer Diskussion wiederfanden. Madiha selbst hatte die bittere Sklaveneigenschaft, nichts Eigenes einzubringen, schneller ablegen können. Sie war aber schon als Kind von einem Trotz beseelt gewesen, der sich auch nach all den Jahren in Diensten nicht verflüchtigt und ihr viel Ärger eingebracht hatte. Allerdings hatte sie genug Einblick in das Leben der Sklaven erhalten, um zu wissen, woran es lag. Auch sie war immer noch überrascht, wenn man sie nach ihrer Meinung fragte. Wenn man sie beachtete und, in Calebs Fall, sogar mochte. Wenn man sie wahrnahm… Caleb’s Worte entlockten der Sarmaerin ein leichtes Lächeln. Es stimmte, er sollte er selbst sein und erkennen, dass weder Madiha noch Caleb ihn als das ansahen, was er meinte zu sein. Sie hatte das nicht eine Sekunde getan. Seit sie seine Frage mit ‚Ja‘ beantwortet hatte, hatte Madiha in Corax eine Persönlichkeit gesehen. Eine unberechenbare… schwer einschätzbare Persönlichkeit, doch sie war gewillt daran zu arbeiten! Es fiel ihr gewiss alles andere als leicht mit der Situation umzugehen, doch sie bemühte sich wirklich und wollte, dass er herausfand, wer er sein konnte. Caleb aber war es, der es auf den Punkt brachte und sie nickte bestätigend, während sie dem Raben ein aufmunterndes Lächeln schenkte. Sie sah es genauso wie der Dieb.
Das Lächeln des Mädchens erstarb allerdings, als ihre Aufmerksamkeit auf die drei Dunkelelfen gelenkt wurde. Unbehagen trat an die Stelle ihres Lächelns und sie rutschte etwas in den Hintergrund. Auch wenn sie mit Corax bereits reichlich zutun gehabt hatte, war es für sie immer noch etwas anderes, wenn sie den Vertretern der Dunklen gegenüberstand. Diese Leute hatten ihre Heimat überfallen und waren maßgeblich dafür verantwortlich, dass sie sie verlassen hatte. Nun musste sich Corax allerdings beweisen und zeigen, ob er in der Lage war, er selbst zu sein. Die Sprache des Trios verstand Madiha nicht mal ansatzweise und konnte aufgrund der grundlegenden Intonation nicht mal sagen, ob es gut oder schlecht lief für sie an Bord. Allerdings schien Corax ihren Vorschlag gehört zu haben, auch wenn er ihn gänzlich anders auslegte. Madiha ließ ihn. Dies war eine Entscheidung, die er treffen musste und die er treffen sollte. Er war eigenständig – und er hatte eigene Ideen! Madiha war stolz auf ihn, zeigte aber nichts davon. Das war gewiss nicht der Moment dafür. Nervös verfolgte sie das Gespräch in unbekannter Sprache, bis Corax wechselte und sie nun auch wieder verstehen konnte. Ihr fiel es indes schwer sich wie die Dunkelelfe zu geben, die nun alle sahen. Sie fühlte sich nicht anders und war sich nicht bewusst, wie sie vielleicht wirken musste. Ähnlich wie Corax wohl. Vielleicht waren sie doch so überhaupt nicht unterschiedlich. "Die Frau ist meine Madeleine, meine Cousine zweiten Grades und das hier ist ... Caltjenn, ihr Verlobter.", stellte er sie vor und Madiha hielt die Luft an. Ihr Blick flatterte im Rücken zu Corax, ehe sie unerwartet die Hand von Caleb spürte. Ihre Finger schlossen sich kühl um seine eigenen.

Ihr Herz polterte dabei und sie sah etwas überrascht aus, besann sich aber eines Besseren. Sie mussten alle mitspielen, wenn das funktionieren sollte! Madiha richtete sich etwas auf und trat näher an Caleb heran, während sie seinen Unterarm mit ihrer anderen Hand umfasste. Ein wenig hielt sie sich auch an ihm fest, denn die Angst war da, dass das hier alles gehörig in die Hose ging. Offenbar fragte die Zauberin nach ihnen, nur so ließ sich Corax‘ Antwort verstehen. "Das Problem ist, dass beide verflucht wurden. Der Zauber löste sich auch dann nicht, als wir die Verantwortliche hinrichteten. Im Innern befindet sich die Leiche einer andunischen Grauschelmin. Wir drei kennen uns mit dieser Magie-Richtung nicht gut genug aus und mutmaßten einfach nur Illusionen hinein, aber keinen anhaltenden Fluch." Ihr Blick flackerte kurz. Corax sponn eine gute Geschichte, die ihr im Leben nicht eingefallen wäre. Und sie war um Längen besser, als das was sie sich ausgedacht hatte! "Die tote Schelmin wollte meine Cousine und ihren Gefährten in widerliche Menschen verwandeln, damit sie von ihrem eigenen Volk hingerichtet würden. Manchmal schimmert die menschliche Optik sogar jetzt noch durch. Schlimmer aber ist, dass ihre Fähigkeiten, Lerium zu verstehen oder zu sprechen einfach verschwunden sind. Sie können dem Gespräch nicht folgen, wenn es nicht auf Celcianisch oder in der Muttersprache der Sarmaer Menschen stattfindet. Ich weiß nicht, wie dieser Fluch es anstellt, dass es so funktioniert." Ihr Druck um Caleb’s Finger verstärkte sich bei den Worten. Die Geschichte erklärte alles, selbst wenn seine Magie nicht ausreichen würde, den Trug aufrechtzuerhalten.
Allerdings wurde ihr auch bewusst, dass das Volk der Dunklen überhaupt nichts von Menschen hielt. Dass sie hier, wie Jakub berichtete, zwar zeitweise geduldet wurden, damit alles weiterlief, aber ein Fehltritt… könnte das Ende bedeuten. Das war als wären sie aus der prallen Mittagssonne entkommen, um in der Wüste Abkühlung zu finden! War es die richtige Entscheidung gewesen? Nun, wie sollte sie das beantworten. Sie war nur froh, dass Caleb bei ihr war... Offenbar aber wirkte die Geschichte, die Corax erzählte. Denn egal was die Frau fragte, er hatte eine -scheinbar- plausible Antwort. "Und deshalb seid ihr desertiert und nach Andunie aufgebrochen?", änderte sogar die Zauberin ihre Sprache. Sie glaubte es. "Wir sind nicht desertiert. Wir haben herausgefunden, dass die Familie der toten Schelmin hier leben soll und werden ein Brechen des Fluches gegen die Übergabe ihres Leichnams einfordern. Sobald meine Cousine Madi und Caltjenn wieder ganz sie selbst sind, werden wir alles auslöschen, was noch an die Schelmin und ihr Blut erinnert.“ "Meine Meisterin kann euch vielleicht helfen - sofern die Bezahlung stimmt. Serpentis Mortis könnte einige der versklavten Magier aus der Akademie zusammentrommeln. Vielleicht findet sich darunter ein Kenner für die Schelmenrichtung." Madiha blickte zu Corax, der etwas zusammenzuckte. Auch der Zauberin blieb das nicht verborgen. "Oh? Was zuckt Ihr denn zusammen, fremder?" "Ich kenne Serpentis Mortis. "Wir ... stehen in keinem allzu guten Verhältnis zueinander. Ihr und unser Haus. Außerdem möchten wir uns die Gelegenheit eines langen und qualvollen Foltertodes der Schelmenfamilie nicht entgehen lassen." Der Sarmaerin in Dunkelelfen-Optik wurde etwas flau. Dieses Volk wirkte wahrlich sadistisch. Doch was war ihre Motivation dahinter? Einfach nur Grausamkeit? Worin lag es begründet, dass sie so sorglos mit Leben anderer umgingen? Madiha verstand diese Blutrünstigkeit nicht, doch wie sollte sie auch. Sie war erst seit ein paar Wochen überhaupt in Freiheit. Dafür hatte sie vieles gesehen und kennengelernt und noch mehr nicht verstanden. Die Welt war ihr fremd. Ohne Corax würde sie nicht mal von Bord des Schiffes herunterkommen, weil sie gar nicht wüsste, was sie tun sollte.

Plötzlich lächelte die Sprecherin des Trios sadistisch auf und Madiha schluckte bei dem Anblick. Auch Corax hatte so ausgesehen… Ihr fiel es schwer sich natürlich zu geben, denn diese Ungewissheit machte ihr angst. Niemand konnte wahrlich sagen, wie das hier für sie ausgehen würde. Ein falsches Wort, ein schiefer Blick… Die Männer hatten ihre Hände ja bereits an den Waffen gehabt, während Corax einfach nur vorschlug in Celcianisch zu sprechen… Wie sollte sie das schaffen?! Wie sollte sie, die sich nie in einer anderen Welt als die hinter Sarma’s reichen Türen bewegt hatte, keinen Fehler begehen, der sie alle das Leben kosten könnte? Madiha war nervös und trat von einem Bein auf das andere. Sie wurde abgelenkt, als man sie zweifelhaft Willkommen hieß. Was folgte war eine Vorstellung, die offenbar üblich war. Allerdings horchte Madiha auf, als Corax ihr eigenes Haus erwähnte, aus dem sie offenbar stammten. War das ein Fehler? Wenn diese Serpentis durch Ignis davon erfuhr, weil Corax eine kleine Fehde erwähnt hatte… flöge der Schwindel sofort auf. Sie mussten vermeiden ihr zu begegnen, denn ganz offenbar kannte Corax diese Serpentis wirklich und das würde alles niederreißen. Wieder ein wackeliger Stützpfeiler, auf dem alles aufbaute. Madiha schluckte ihre dunklen Ahnungen hinunter, um sich nicht zu verraten. "Madeleine und Rabe Tenebbe, sowie Caltjenn, künftiger Tenebbe. Ich heiße euch in Andunie erneut Willkommen. Unsere Angelegenheiten sind geregelt und wir waren auf dem Weg zu einer der kleineren Spelunken hier am Hafen. Dort gibt es das beste Rauschkraut, das sich auftreiben ließ. Ich lade euch ein, euch uns anzuschließen. Die Reise mit dem Schiff war sicherlich lang und beschwerlich. Trinkt mit uns und genießt den Luxus einer von Dunkelelfen eingenommenen Stadt. Eure Leiche ist bereits tot, ihr habt also Zeit."
"Haben wir. Danke, Ignis."

Madiha wandte sich Corax zu, als jener sich zu ihnen drehte. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. "Es geht nicht anders. Eine Einladung von einem höheren Haus schlägt man nicht aus. Ausgerechnet Rasverath ... sie sind blutrünstig und sadistisch. Seid auf der Hut, Herrin, Herr."
"Andunies Bucht ist bis zum Rand gefüllt mit Scheiße"
Madiha sah von einem zum anderen. „Ich… wir sollten das schleunigst hinter uns bringen. Mir ist nicht wohl dabei und ich…“, sie biss sich auf die Unterlippe. Man sah ihr die Sorge an, dass das nicht gut werden könnte. „Ich habe kein gutes Gefühl dabei!“, warnte sie und schob die Augenbrauen zusammen. „Wir müssen sie loswerden…“, raunte sie, was aber wohl allen klar sein dürfte. Dennoch… Madiha hatte das Gefühl Bauchschmerzen zu bekommen.
Eine Dunkelelfe zu sein, wo sie keine Ahnung davon hatte, das war schon viel verlangt, doch jetzt auch noch diesem Trio beizuwohnen, während sie etwas tranken und ihre Geschichte aufrechterhalten mussten… Sie glaubte nicht, dass sie das gut könnte. Aber sie nickte schließlich ebenfalls und straffte die schmalen Schultern. Die Männer trugen den Sarg, während Madiha sich in ihrer Nähe aufhielt und sie schließlich dem Trio folgten.

Schon beim Näherkommen, richtete sie den Blick auf das Schild der Taverne. Das Grauen zeigte sich augenblicklich und ließ sie nach Luft schnappen. Die erkannte die Kinderhände und augenblicklich wurde ihr Mund trocken. „Ki…nder auch?!“, wisperte sie entsetzt und ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie augenblicklich wegwischte. Sie bemühte sich, dem Entsetzen nicht weiter Tür und Tor zu öffnen, sondern möglichst unbeteiligt auszusehen. Im Innern herrschte Zwielicht und sie blinzelte einen Moment, bis sich ihre Augen daran gewöhnt hatten und die Schreckens-Tränen versiegt sind. Sie bedachte die Insassen mit einem Blick, während sie sich so klein wie möglich machte. Der Pfiff gellte unnatürlich laut in ihren Ohren, doch erledigte sich die Aufmerksamkeit von selbst. Madiha kannte diese Art der Einrichtung. Oder besser: Sie kannte den Zweck dahinter. Auch Khasib hatte solch einen Raum, in dem er zeitweise verkehrte oder Handelspartner brachte. Die Männer hatten Kräuter zu sich genommen, die sie seltsam veränderten. Manchmal aber hatten auch sie diese Kräuter nehmen müssen, um stundenlang gefügig und willens zu bleiben. Madiha erinnerte sich vage an einen Aufenthalt in diesem Raum. Allerdings waren die Erinnerungen deutlich verblasst und sie hatte lange nicht mehr daran gedacht, weil ihr die Erinnerungen daran so flüchtig vorkamen. Allerdings war die Einrichtung wahrlich ähnlich und rüttelte an ihren Erlebnissen. Ihr Blick glitt zum Tresen, wo das dürre Mädchen stand. Wieder zuckten Erinnerungen vor ihrem damals benebelten Geist auf… sie war nicht allein gewesen, während sie bereitwillig alles mit sich hatte machen lassen, was gesichtslose Fratzen wollten. Ihr wurde schlecht. Schlecht vom Anblick des Mädchens, schlecht vom Geruch der Luft hier drinnen und den Erinnerungen, die mit einem Mal wachgerüttelt wurden. "Den Sarg könnt Ihr an der Wand abstellen. Setzt euch zu mir an einen der Tische. Ich möchte mehr über euch erfahren." "Auf Celcianisch. Sonst erfahrt Ihr kaum etwas.", lenkten die Worte das Kind der Wüste ab. "Oh, wie lästig. Dann verschieben wir das Gespräch. Ich will erst einmal etwas trinken." Madiha atmete ihre Anspannung aus. "Was jetzt?" "Nicht auffallen. Und ... nehmt nichts von den Kräutern, sonst sind wir nach dem Aufwachen alle Sklaven.", beschwörte Corax, Madiha’s Ängste weiter.
Das Mädchen folgte reichlich schweigsam den beiden Männern und setzte sich auf eines der Fässer, im Rücken eine Wand. Sie schaute in den Raum hinein und beobachtete das Trio am Tresen und das Mädchen, welches sich eilig daranmachte, die Bestellungen aufzunehmen. Madiha nestelte an ihren Fingern, die sie auf den Tisch gelegt hatte und senkte den Blick. Immer wieder tauchten Erinnerungen auf, die sie verstörten, weil sie so lange nicht daran gedacht hatte. Weil sie einfach wie weggewischt gewesen waren, durch die Substanzen, die sie hatte einnehmen müssen. „Ich will hier raus…“, flüsterte sie leise und sah zur Tür. „Ich schaffe das nicht…“, setzte sie furchtbar leise nach und schluckte abermals, als könne das zu einer Besserung beitragen. Dann atmete sie durch, fuhr sich durch das Gesicht und starrte auf ihre schwarzen Hände, die noch immer bandagiert waren. Sie ballte die Hände zu Fäusten und legte sie langsam wieder ab. „Was wenn sie verlangen, dass wir etwas nehmen?! Was wenn sie es als Zeichen von…"

“Zeig deinen guten Willen, Madiha! Nimm die Kräuter und sei ein braves Mädchen! Sie werden es dir danken, weißt du? Und mir auch, also hilf deinem Haushalt! Wir müssen alle dafür sorgen, dass es uns gut geht und dass es so bleibt!“ Er strich ihr mit seinen schweißigen Fingern durch die Haare und lächelte schmierig. Ihr Herz pumpte, alles in ihr wollte das nicht. Aber was sollte sie tun? Was könnte sie tun…. „Ne… nein!“, hauchte sie, auch wenn sie es so meinte. Der Griff in ihren Haaren wurde augenblicklich schmerzhaft. „Wie bitte?“, knurrte die Stimme von Khasib nahe ihrem Ohr. „Nein…“, bebte ihre Stimme und sie fasste an das Handgelenk des Mannes, der ihren Kopf nach hinten riss. Es tat weh und er wusste das. Ein Fingerschnippen reichte, dann wurde ihr eine seltsame Flüssigkeit, die ekelhaft bitter und würzig zugleich schmeckte eingeflößt, ehe er sie unsanft von sich stieß und sie hustend, prustend taumelte und versuchte, die Flüssigkeit zu erbrechen. Zu spät… noch bevor sie etwas erreichen konnte, verschwamm ihre Sicht und verklärte sich ihr Geist…Nur um immer wieder mal kurz aufzutauchen und zu erkennen, wie sich wechselnde Leiber über ihr befanden und ihr keine Pause gönnten... Sie spürte Schmerzen, sie spürte Scham und es war ihr schlichtweg egal…

Sie blinzelte aus der Erinnerung auf und keuchte. Madiha fasste sich an den Hals, der sich zugeschnürt anfühlte und versuchte dennoch keine Aufmerksamkeit zu erregen. „…was wenn sie es als Zeichen eines guten Willens wollen?“, fragte sie leise und schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich will das nicht!“, zischte sie und sah hilfesuchend erst zu Corax, dann zu Caleb. „Wir können nicht mit ihnen hierbleiben!“, mahnte nun sie und ihr Blick glitt abermals zu den Rücken der zweifelhaften Begleiter. Ich muss mich beruhigen..., dachte sie und schloss die Augen. Sie atmete einige Züge tief durch und ihre zu Fäusten geballten Hände entspannten sich etwas. Panik würde sie alle in Gefahr bringen. Und sie wollte wirklich nicht alles vermasseln. Aber diese Anspannung und Ungewissheit waren Gift für ihr Gemüt. Denn Madiha hatte am Meisten Angst davor, dass sie wieder in ihr altes Leben zurückmüsste. Und sie musste nur dieses arme Mädchen ansehen, um zu wissen, dass es jederzeit passieren könnte. "Wer ist diese Serpentis Mortis?", flüsterte sie plötzlich und blinzelte. Ablenkung. Sie brauchte Ablenkung.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 21. Dezember 2022, 12:50

Unstetig und wankelmütig beschrieben Corax recht gut. Selbst wenn man im Moment glauben mochte, dass er all seine Lebensfreude abgelegt hatte wie die wenigen Farben, die doch so flammend aus seiner Seele gesprochen hatten. Zurückgeblieben war so viel schwarz, so wenig Emotion und offenbar kein freier Wille mehr. Dass dem nicht so war, sahen nur jene, die sich längerfristig mit ihm auseinandersetzen durften oder mussten. Denn er wechselte die Richtung wie ein Fänhnlein im Wind. Er konnte einen Willen besitzen und ihn auch sehr stoisch durchsetzen, ansonsten würde Azuras Sarg nun nicht an der Wand des Schankraumes lehnen. Dann aber verfiel er wieder in diese durch ein Sklavenleben geprägte Apathie von Freiheit. Azura hatte unbewusst sehr viel in ihm bewegt. Ihr Tod schickte all das, was sich vorgewagt hatte, zurück in ein Schneckenhaus und übrig blieb das, was man aus Corax sein Leben lang geformt hatte. Es war nun an Madiha, ihn wieder hervor zu locken. Zum Glück hatte sie Caleb an ihrer Seite, denn der Dieb entpuppte sich überraschend wirkungsvoll auf den Elfen. Mit nur wenigen Worten erreichte er ihn, auch wenn Corax es nicht offen zeigte. Dass er über Calebs Vorschlag nachdachte, häufiger einfach er selbst zu sein, erkannte man an der Nachdenklichkeit in seinem sonst so trostlos totem Blick.
Und während beide daran arbeiteten, dass Corax ein Leben in Freiheit kennen lernte, musste Madiha doch selbst damit noch kämpfen. Sie mochte nicht so intensiv geprägt worden sein, dafür nicht minder missbräuchlich. Auch an ihr gingen die Spuren eines Sklavenlebens nicht vorüber. Die meiste Zeit konnte sie ignorieren, was man ihr angetan hatte, aber wie bei einem durch den Krieg traumatisierten Soldaten konnten es Kleinigkeiten sein, die Ängste und Albträume schlagartig an die Oberfläche steigen ließen. Hier genügte es, den Schankraum der Blutigen Kinderhand - keinen anderen Namen hatte die Taverne mehr verdient - zu betreten. Es gab hier weniges, das an Sarma erinnerte und doch so vieles, das bei Madiha das Grauen erweckte. Allein wie die beiden fremden Dunkelelfen und der Ork auf ihren Stühlen in der Nische hingen, das Rauschkraut noch in einer Schale auf dem Tisch. Der Dunst desselben zwischen Alkohol und dem furchtsamen Blick einer ängstlichen jungen Frau im Raum heizte die Erinnerung an Khasibs Drogenhöhle weiter auf. Es fehlten nur noch der Gestank von Schweiß, die schwieligen Pranken auf ihrem nackten Leib und das Stoßen in ihren Schoß, bei dem sie hoffte, dass die Menge bald für genug Taubheit sorgen würde, um den Schmerz in den Hintergrund zu rücken. Bilder tanzten bereits vor ihren Augen, während Übelkeit bis zu ihrem Hals empor schwappte. Madiha fiel es schwer, aufmerksam zu sein. Der Schankraum weckte zu vieles in ihr, um es dieses Mal außer Acht zu lassen. Sie wusste, sie würde keine weiteren fünf Minuten hier drin schaffen, die Dunkelelfe zu spielen, die Corax als Illusion über sie gelegt hatte.
Dass sie von ganz allein zu zittern begonnen hatte, bemerkten nur die beiden Männer, die mit an ihrem Tisch saßen. Caleb fiel es zuerst aus. Er kannte Madiha eben auch schon länger und konnte schnell deuten, wenn etwas im Argen lag. Besorgt linste er aus dem Augenwinkel heraus zu ihr herüber. Als er erkannte, dass sie die Fäuste ballte, legte er seine Hand darauf. Es half dieses Mal nicht, ihr Innerstes zu beruhigen.
"Ich will hier raus ... Ich schaffe das nicht...", wisperte das Wüstenmädchen und selbst beim Flüstern brach ihre Stimme beinahe. Ihre Worte erreichten auch Corax' Spitzohren. Er zuckte mit ihnen, ehe sein Blick folgte. Nun war es an ihm, Madiha lange zu mustern. Auch Caleb schaute ihn an. "Was tun wir jetzt? Können wir sie unter einem Vorwand rausbringen, an die Luft? Wir hauen dann einfach ab, so schnell wir..."
Caleb brach ab, als Madihas Hand sich unter einem Keuchen unter seiner hervor grub, damit sie sich an den Hals greifen konnte. "Madi, alles in Ordnung?", raunte er nur noch besorgter. "Ich will das nicht! Wir können nicht mit ihnen hierbleiben!"
"Madi, beruhige dich", versuchte Caleb auf sie einzureden. Er legte ihr bereits einen Arm um die Schultern, eine Geste, die nicht einmal bei Dunkelelfen verdächtig war, wenn man sie für Verlobte hielt. Leider half auch das nicht weiter. Madiha hatte Bilder vor ihrem geistigen Auge gesehen. Die Erinnerungen tanzten durch ihre Gedanken und sie erregten Aufmerksamkeit auf ihren Kreislauf. Sie spürte, wie ihre Atmung von ganz allein zunahm. Sie brauchte dringend Ablenkung, um nicht in Panik zu geraten. So fragte sie: "Wer ist diese Serpentis Mortis?"
Sie erhielt keine Antwort. Corax hatte die Anzeichen bemerkt. Er hatte ihre Worte gehört. Sie schaffte es nicht. Sie konnte nicht mit den echten Dunkelelfen am Tresen in diesem Raum bleiben. Er erhob sich, dass sein Stuhl über den Holzboden kratzte. Niemand jenseits ihres Tisches nahm davon Notiz. Allein Caleb schaute auf und er erhob seine Stimme, als Corax sich gen Tresen bewegte.
"Was ... hast du vor? He. He, Corax!"
Bei diesem Namen wandten Ignis und ihre Schergen die Köpfe. Sie hatten sich eigentlich gerade einen Spaß daraus gemacht, mit der Scheu der Wirtin zu spielen und ihr ruppig zu verstehen zu geben, dass sowohl Getränke als auch eine ordentliche Portion der Rauschkräuter auf's Haus gehen würden, da erregte Caleb ihre Aufmerksamkeit. Corax hatte sich als Rabe Tennebe vorgestellt. Misstrauisch zogen sich Brauen zusammen oder verengten sich Augenpaare. Das hielt Corax aber nicht auf, bis an den Tresen zu treten.
Nun sprang auch Caleb von seinem Stuhl auf. "Was tust du denn?!", rief er dem anderen nach und in seinem Magen formte sich eine flaue Kugel. Endlich blieb Corax stehen. Er wandte den Kopf um, blickte mit schwarzen Augen über seine Schulter zurück. "Was ich kann", antwortete er totenfinster. Dann erklang ein Geräusch aus dem Sarg. Es konnte unmöglich Azura sein. Sie war tot. Es klang auch nicht nach den Anzeichen einer wieder Erwachten. Vielmehr schien in dem Inneren etwas zu zerplatzten wie zu stark strapaziertes Glas. Es klirrte, alle schauten zu dem Totenbehältnis herüber. Alle, bis auf Corax und Caleb. Letzterer entdeckte noch, wie sich die Augen des anderen mit feurigem Blut füllten, als das Rubinrote die Iriden wieder in Beschlag nahm.
Corax wandte sich Ignis und ihren Handlangern zu. "Was ist?", fragte er jene, die bereits wieder zu ihren Waffen griffen. "Habt ihr etwa .... Angst?" Er zog die Frage in die Länge, ebenso wie seinen Körper. Er wuchs und wuchs, breitete sich aus, ohne dass sein Leib wirklich mehr Raum einnahm. Es waren Schatten, die wie schwarze Arme nach dem Schankraum griffen und sich mit züngelnder Genauigkeit um die Gruppe am Tresen legte. Sie leckten bereits an den Rändern ihrer Existenz, während silberne Nadelspitzen zwischen den Schatten aufblitzten wie Sterne.
"Was ist das? Erklärt euch!", verlangte Ignis. Sie hob eine Hand und über ihren Fingern formte sich, was Madiha nur durch Zufall und aus der Not heraus manchmal gelang: Ein Feuerball loderte auf, wuchs ebenso wie Corax Präsenz, schaffte es aber nur, seine Gestalt mit den flackernden Flammen noch unheimlicher erscheinen zu lassen. Einer der Handlanger knurrte und stob mit gezogenem Schwert auf den Raben zu. Wahrlich ein Rabe, denn Corax wechselte noch im kurzen Sprung des anderen seine Gestalt. Unter einem Krächzen riss er den Kopf hoch, dessen Mund und Nase sich zu einem schwarzen Schnabel formen, während seine Augen blutrot aufleuchteten. Die Schatten wurden seine Schwingen und er stob empor zur Decke, um so dem Schwertstreich zu entkommen. Sein Flügelschlag mit übergroßen Schwingen stieß die Gruppe am Tresen zurück auf ihre Stühle. Unbesetztes Mobiliar kippte um. Die Wirtin schrie auf vor Schreck und wich bis zu einigen Fässern hinter der Theke zurück. Sie wurde nun aber auch nicht von Corax' schwarzen Schwingen erfasst, als er im Sturzflug auf die Dunkelelfen niederging und sie unter seinen Federn aus Schwärze und Silbernadeln begrub. Er umkreiste sie, bis er selbst zu einem Schatten mit rubinroten Schlieren wurde, die sich hinter ihm herzogen wie der Schweif eines Kometen. In seinem Wirbel aus Albträumen schrien mehrere Stimmen, eine davon gehörte Ignis. Man hörte einen Knall, dann pufften vereinzelte Flammen und Rauch durch die Wand, die Corax mit seiner Umkreisung schuf. Sie schafften es nicht, eine Bresche zu schlagen.
Die Schreie hoben an, gingen immer mehr in pure Angst über, bis sie durch ihre Laute nur noch nach dem Flehen um Erlösung klangen.
Caleb und Madiha konnten nur zusehen. Die anderen Dunkelelfen und der Ork hoben lediglich mal die Köpfe. Sie waren zu sehr in ihrem Rausch gefangen, um zu reagieren. Schließlich landete Corax in halb menschlicher, halb rabenhafter Gestalt auf seinen Beinen. Die Schwingen legte er um sich wie ein schwarzes Gewand. Federn rieselten aus den Überresten seines Wirbels nieder. Silberne Nadelspitzen blitzten ein letztes Mal auf, ehe der Zauber verklang. Am Boden lagen Ignis und die anderen Dunkelelfen, allesamt zusammengekrümmt und die Arme um sich geschlungen. Sie wimmerten, sie winselten und sie waren noch immer mit dem Echo von Leid und Furcht beschäftigt.
Corax griff kurzerhand nach einer der dunkelelfischen Klingen. Er zog sie aus der Scheide. Die Klinge war geschwärzt und blitzte nicht einmal auf. Aber sie färbte sich schnell rot, als der Rabe sie tief in den Nacken eines der Handlanger stieß. So schnell wie es geschehen war, zog er die Klinge auf wieder heraus, wandte sich dem nächsten Schurken zu und beendete sein Leben auf gleiche Weise. Ignis aber hieb er kurzerhand den Kopf ab. Er rollte bis unter einen Barhocker, wo die nunmehr leeren Augen starr ins Nichts spähten, während der Schreck geweitete Mund davon kündete, dass sie ihr Ende nicht einmal hatte kommen sehen.
Blut breitete sich unter den Körpern aus, befleckte den Boden und würde bald tief in das Holz sickern. Aber Corax fand noch kein Ende. Er marschierte schnurstraks weiter zu den Berauschten in der Nische. Den Ork tötete er zuerst und ohne auch nur ein Wort an das Trio zu richten. Dafür fand Caleb seine Stimme wieder.
"Corax. Corax!", rief er ihm zu, doch der Dunkelelfen ließ sich dadurch nicht aufhalten. Mit zwei weiteren gezielten Hieben löschte er auch noch das letzte Leben der Berauschten aus. Aber eines existierte noch. Der schwarze Rabe wandte sich um. Erneut führten ihn seine Schritte gen Tresen. Die Wirtin dahinter starrte ihn an, wich weiter an die Fässer zurück. Sie schüttelte den Kopf, dass ihr Haar nur noch wirrer abstand. Tränen traten in ihre Augen.
"B-bitte nicht...", wimmerte sie voller Angst.
Caleb stürzte fast über seinen Stuhl, als er los hastete. Dass er Madiha dabei noch immer nicht los ließ, sorgte nur dafür, dass sie zwangsläufig mitgerissen wurde. "CORAX!", brüllte der Dieb nun lauthals. "Hör auf, das ist ein Befehl!"
Mit einem Klirren fiel die Dunkelelfenklinge zu Boden. Corax ließ die Schultern hängen. Er atmete schwer. Erst dann blickte er auf sein Werk herab - ohne Reue. Er hatte getan, was nötig gewesen war. Madiha würde nicht länger mit dieser Gruppe konfrontiert werden. Sie konnte die Taverne verlassen. Außer ihrem Trio gab es nur noch eine Zeugin, die von der wahren Tat hinter dem Massaker wusste. Und diese sank gerade an den Fässern zu Boden, um bitterlich zu weinen.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 22. Dezember 2022, 21:55

Madiha wollte sich nicht von ihrer Herkunft oder ihrem bisherigen Leben unterkriegen lassen. Jeden Tag kämpfte sie darum, sich in der neuen Welt zu behaupten und war ständig auf der Hut, weil sie doch nichts darüber wusste. Sie reagierte viel nach dem Instinkt, nach ihrem Gefühl und hörte auf das, was ihr Herz ihr sagte. Sie bemühte sich Schritt zu halten und gleichzeitig alles in sich aufzusaugen. Gleichzeitig zerrte aber das gelebte Leben und die daraus resultierenden Wunden, die sich auf ihrer Seele eingenistet hatten an ihrem Vorankommen. Madiha spürte es bereits, als sie miterleben musste, wie Jakub sich ihr näherte. Und dann als sie mit ansehen musste, wie Corax wieder und wieder gequält und missbraucht wurde. Sie erkannte, dass sie nicht anders waren und das weckte in ihr den Wunsch, für den Raben da zu sein. Ausgerechnet das dürre Mädchen aus Sarma solidarisierte sich mit einem Mann, der unberechenbar und launisch werden konnte. Der von einer auf die nächste Sekunde um sich schlug und der mit einem Fingerschnippen bereit sein könnte, ihr das Leben zu nehmen. Oder Calebs zu nehmen. Es gab keine Garantie und Madiha brauchte hierbei ein gewisses Vertrauen, welches sie dem Dunklen schenkte und das ganz ohne Eigennutz. Denn auch wenn Corax maßgeblich an ihren heilenden Händen beteiligt war und auch Caleb im Leben behalten hatte… Sie verlangte nichts. Sie verlangte nichts wirklich für sich und hätte der Rabe verneint, sie hätte lernen müssen, damit zu leben. Sie hätte ihm das nie befohlen, wenn es seine eigene Gesundheit nachhaltig gefährdet hätte. Nun aber war seine Azura tot und er verlor sämtliche Lebensfarbe. Und sie hatte Mitleid. Mitleid mit ihm, der sich bereits an ihr vergriffen hatte und Mitleid mit eben jenem, der so viele Männer getötet hatte. Doch Madiha hatte verstanden, dass es diese Stockmännchen gewesen waren. Dass sie ihn lenkten und sie war heilfroh, dass diese nun Geschichte waren. Sie wollte den Neuanfang in Andunie und das mit den allerbesten Voraussetzungen: Caleb erwiderte, was sie schon eine Weile fühlte und es nie richtig zu benennen wusste.
Ja mehr noch, er zeigte es ihr sogar und erschuf damit eine wundervolle, neue Erfahrung. Die Sarmaerin aber hatte sich keine Vorstellung davon machen können, wie dieses neue Leben aussehen könnte. In Andunie herrschten die Besetzer und machten ihr Luftschloss zunichte. Das Unbehagen kehrte zurück zu ihr und auch wenn Jakub das Leben hier nicht ganz so aussichtslos beschrieb, es war doch ein Leben unter Herren und Dienern. Und Madiha war eben letztere – schon wieder. Wie alle Menschen hier. Trotz der Tarnung durch Corax, fühlte sie sich getrieben und ängstlich.

Sie bemühte sich die ihr auferlegte Rolle zu mimen, doch schon bei dem Türschild der Taverne, packte sie das kalte Entsetzen. Diese bot ihren verschwommenen Erinnerungen fruchtbaren Boden, sodass sie davon überschwemmt wurde. Sie konnte mit einem Mal nichts mehr dagegen tun, dass sich ihr Bilder zeigten, die tief in ihr verborgen geblieben waren. Der Geruch innerhalb der Taverne war ähnlich, das Ambiente war ähnlich und die bis dahin unbewusste Erinnerung, zog sie in einen Abgrund, den sie nicht hatte kommen sehen. Selbst Caleb konnte sie nicht daraus befreien, denn sie war schon so weit versunken, dass es ihr scheinbar die Kehle zuschnürte. Die Worte des Diebes erreichten sie kaum, denn die Erinnerung an die Rauschmittel und die daraus resultierenden Akte, die sie hatte geschehen lassen müssen, hielten sie mit eisernem Griff gefangen. Madiha wollte sich daraus befreien, aber sie konnte lediglich versuchen klarzumachen, dass sie hier nicht bleiben konnte. Sie wollte hinaus, nur einen Moment, damit sie durchatmen und sich beruhigen konnte. Die Erinnerungen hatten sie einfach kalt erwischt. Sie hatte sich nicht darauf vorbereiten können, sodass sie gewappnet gewesen wäre. "Was ... hast du vor? He. He, Corax! Was tust du denn?!", hörte sie wie durch einen dumpfen Schleier, die Stimme Caleb’s. Madiha sah auf und blickte auf den Raben, der sich just in dem Moment umdrehte und mit einer Stimme antwortete, die ihr augenblicklich Schauer über den Körper jagten. Madiha blinzelte träge als etwas klirrte. Sie wandte den Blick ebenfalls zum Sarg, doch wurde sie sofort von einer Bewegung im Augenwinkel zurück zu Corax geholt. Dann geschah es. Madiha’s Augen wurden weiter und weiter, während Corax sich in ein wahrhaftiges Grauen verwandelte. Die Finsternis, die er ausstrahlte, erfasste nicht nur die Dunkelelfen am Tresen.
Das Mädchen aus Sarma erhob sich mit wattierten Beinen und trat an Caleb heran, der noch immer stand. „Was….“, entkam es ihr wie ein entsetztes Hauchen, doch mehr wollte nicht herauskommen. Schon erschuf Ignis einen Feuerball und Madiha musterte sie einen Moment gebannt, dann aber alarmiert. Was, wenn sie Corax tötete?! Das Mädchen machte sogar zwei Schritte nach vorn, um einzugreifen, doch erschuf die Dunkelelfe mit ihrer Magie ein viel größeres Monster. Das Entsetzen wuchs noch weiter, während Corax seinen Albtraum auf Ignis und ihre Begleiter niederregnen ließ. Madiha war wie gebannt von der Szenerie, die so skurril und gleichzeitig beängstigend wirkte. Allerdings schaffte Corax es hervorragend, sie von ihrer eigenen Panik abzulenken. So gesehen ging sein Plan wohl auf. Das Schauspiel endete, während Corax sich zurückverwandelte und die drei Elfen am Boden klagten und flehten. Madiha schaute auf sie herab und zog die Augenbrauen zusammen. Offenbar hatte Corax’ Streich gut funktioniert, sodass sie nun in der erschaffenen Verwirrung, fliehen konnten. Madiha lächelte sogar ein wenig, denn sie glaubte, dass das Corax‘ Plan gewesen war. Sie griff nach Caleb’s Hand, damit sie gemeinsam die Taverne verlassen konnten, als es ein hässliches, schmatzendes Geräusch gab.

Augenblicklich schreckte Madiha zusammen als sie erkannte, was dieses Geräusch ausgelöst hatte. Es ging so schnell… Schon rollte der Kopf von Ignis unter einen Barhocker und starrte Madiha aus toten Augen an, während ihr Mund zu einem letzten, stummen Schrei geöffnet war. Die Augen des Wüstenmädchens starrten auf das Blut, welches sich langsam in einer Lache verteilte und ihr Herz klopfte wie wild. Ihre Ohren rauschten, während die Erkenntnis, was Corax da gerade tat, endlich in ihren Verstand sickerte. Sie hatte Caleb’s Hand so krampfhaft festgehalten, dass sie gewiss Abdrücke hinterließ. „Co..“, krächzte sie und sie merkte, wie trocken ihre Kehle geworden war. Es war das blanke Entsetzen, das sie empfand, während Corax sich den Berauschten annahm und einfach weiter tötete. Immer weiter… immer mehr. Es dauerte noch einige Sekunden, bis Madiha aus ihrer anfänglichen Schockstarre aufwachte. Das geschah zeitgleich mit Caleb’s Erwachen und seinem Rufen. Doch es brachte nichts – der Rabe beendete auch das letzte Leben ohne mit der Wimper zu zucken. Doch er war nicht fertig. Er wandte sich dem Mädchen zu, das vollkommen verängstigt hinter dem Tresen hockte und sich flehend dem Unheilbringer entziehen wollte. Leben kehrte in Caleb, dem das ganze offenbar auch ordentlich zugesetzt hatte. Er hastete so schnell los, dass er Madiha mitriss und sie folgte, auch wenn ihre Beine nicht recht wollten. Der Dieb aber war es, der Corax Einhalt gebot.
Dann folgte eine schreckliche Sekunde lang bittere Stille. Madiha stand, von Caleb losgelöst inmitten der Toten und starrte kreidebleich auf das Massaker. Ihre Augen schwammen vor Tränen und sie hatte entgeistert den Mund geöffnet. Sie fand keine Worte. Immer wieder huschten ihre Augen zwischen all dem Blut und den toten Leibern umher und die Bilder brannten sich auf ihre Netzhaut, sodass sie in just dieser Sekunde wusste, dass sich diese einreihten in die Bilder der vielen Toten an Bord der Blauen Möwe. Ihr Herz raste durch das Adrenalin. Das Mädchen am Tresen begann zu weinen, sodass die gespenstische Stille unterbrochen wurde. Madiha wandte sich dem Raben zu: „Was hast du getan?!“, hauchte sie kraftlos und ihre Tränen rollten ohne, dass sie es recht bemerkte. Noch einmal nahm sie die Bilder in sich auf, die sie ein Leben lang belasten würden. „Was hast du getan, Corax?!“, kam es kräftiger von ihr und sie ballte die Hände zu Fäusten. Dann wandte sie sich von den Toten ab und fuhr zu dem Unheilbringer herum. „Bist du vollkommen übergeschnappt?! Was - hast - du - GETAN?!“, fuhr sie ihn an und ihre Stimme gewann so einiges an Kraft. „Wie kannst du nur!! Glaubst du wirklich, dass das der einzige Weg ist?!“, fuhr sie fort, ehe sie dem Entsetzen erneut bewusst wurde und sich mit einem vollkommen geschocktem Blick an Caleb wandte.

Es war eine Mischung aus Hilfe suchend und Entgeisterung, weil sie nicht verstehen konnte, wie es dazu hatte kommen können. Dann wurde ihre Miene dunkel und sie bekam einen wütenden Ausdruck. „Du hast nicht das Recht, so etwas zu tun! Du … du kannst nicht wahllos jeden abschlachten! Bist du vollkommen von Sinnen, Corax? Wem glaubst du damit einen Gefallen zu tun?! Hm? Mir? Oh wage es bloß nicht, das mit meinem Namen zu rechtfertigen!“, redete sie sich in Rage, stand vor dem größeren Dunkelelfen und hatte beide Hände zu Fäusten geballt. „Niemals, niemals würde ich irgendetwas von dir verlangen! Und schon gar nicht so etwas! Und dann willst du auch noch eine Unschuldige, eine Unbeteiligte einfach so niederstrecken?! Mir wird schlecht! Ich kann nicht glauben, dass du auch nur einen Moment denken kannst, dass es das ist, was in so einer Situation angebracht wäre!!“, schnauzte sie weiter und man sah ihr sowohl die Wut, aber auch die Verzweiflung über diese Wendung an. Madiha war außer sich vor Zorn. Was sich durchaus auch latent in einem gewissen Schwelen bemerkbar machen könnte, sie aber gar nicht wahrnahm. „Lass ja die Finger von dem Mädchen!“, warnte sie ihn, ohne einen Befehl daraus zu machen. Das hatte Caleb bereits getan.
Madiha schaute den Raben direkt ins Gesicht und ihre Angst, er könne ihr etwas antun, war fortgewischt von der Wut, die sie über sein Handeln empfand. Das ging entschieden zu weit! Plötzlich aber ließ Madiha ihre Anspannung fahren und ihre Hände öffneten sich. Sie straffte die Schultern und reckte ein wenig das Kinn. Allerdings konnte gerade Corax, den sie ansah, durchaus erkennen, dass er sie maßlos entsetzt hatte. „Ich bin so enttäuscht…“, murmelte sie daraufhin und schüttelte den Kopf. „Das trifft es nicht wirklich. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was ich empfinde.“, gestand sie, trat dann aber an ihm vorbei und rempelte ihn tatsächlich leicht mit der Schulter an. Sie ging zu dem Mädchen hinterm Tresen und hockte sich hin. Mitleidig sah sie sie an und erneut kullerten die Tränen aus ihren Augen, während sie leise schniefte. „Lauf weg…“, murmelte sie ihr behutsam zu und lächelte traurig. „Er tut dir nichts… versprochen…“, meinte sie bekräftigend, ehe sie sich wieder aufrichtete. Sie wusste nicht, ob das Mädchen auch Folge leisten würde, doch sie wandte sich den anderen beiden wieder zu. Dann glitt ihr Blick wieder zu den Toten und sie presste in wachsendem Entsetzen die Hände vor den Mund. Erschrocken zog sie ihren nackten Fuß zurück, der leicht von Blut benetzt wurde, weil sie nicht darauf geachtet hatte. „Ich… ich wollte das nicht.“, keuchte sie und die bittere Erkenntnis, wog unfassbar schwer, dass Corax ihr ausgerechnet damit helfen wollte. Das konnte sie nicht akzeptieren… Ihr Blick glitt zu Caleb und wirkte glasig sowie panisch. "Was machen wir denn jetzt?!"
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Montag 26. Dezember 2022, 14:54

Es herrschte einen Moment lang Stille. Nicht einmal das Weinen und Schluchzen der jungen Wirtin konnte sie wirklich durchbrechen. Die Welt war für diese Zeit in Watte gepackt und über ihr hing ein Schleier aus Bedrückung, der alles irgendwie in Schatten tauchte. Lediglich die Blutlachen stachen heraus. Sie breiteten sich von den Körpern der Getöteten immer weiter im Raum aus. Das Blut von Orks war dunkler als das anderer Völker. Jetzt vermischte es sich mit dem der hingerichteten Elfen, als es zähflüssig vom Tisch zu Boden tropfte. Auch diese Geräusche blendete sich vollkommen aus. Inmitten all dessen stand, den Rücken zu seinen Herrschaften gerichtet, Corax. Er ließ die Schultern hängen, ebenso den Kopf, wirkte er von seiner Tat doch erschöpft. Außerdem schaute er auf die toten Augen aus Ignis' abgetrenntem Schädel, der mit starrer Todesmiene unter einem der Barhocker und somit ein ganzes Stück weit entfernt von ihrem Körper lag. Der Rabe hatte sein Mordwerkzeug fallen gelassen. Die Klinge lag neben ihm am Boden und wurde nun ebenso wie seine nackten Füße in Blut getaucht. Der Verband um seinen rechten Fuß sog sich damit auf. Es war die einzige Farbnuance an Corax, die er zuließ. Sein Haar, sein Körper, seine Seele ... alles war schwarz.
Er starrte auf seine Tat herab. Er bereute es nicht, noch nicht. Aber er atmete tief auf, als sei er froh darüber, dass es nun vorbei war. Dass die Wirtin immer noch lebte, hatte sie definitiv Caleb's ausgerufenem Befehl zu verdanken. Zu eben jenem drehte Corax sich nun um. Schnell aber fiel sein Blick auf die entsetzte Miene seiner Herrin. Er runzelte die Stirn.
Dann ging das Donnerwetter los. Im Hintergrund weinte das strohblonde Häuflein Elend, denn die Wirtin verstand nicht ein Wort Sendli und fürchtete schon, es ginge ihr doch noch an den Kragen. Aber es war Corax selbst, auf den Madiha nun losging. Zwar wandte sie sich lediglich verbal an ihn, aber ihre Worte trafen ihn doch wie reine Peitschenhiebe. Er zuckte darunter zusammen, die Augen in ehrlichem Unverständnis aufgerissen. Dann wich er ihren zornigen Augen aus. Nicht aus Scham, sondern um sich zu vergewissern, dass er keinen Fehler begangen hatte. Nein, da lagen sie, alle. Er hatte sie alle getötet und Ignis sogar den Kopf abgeschlagen. Er hatte auch die berauschten Orks und den Elfen hingerichtet, um Zeugen zu vermeiden, die Verfolger auf ihre Spur hetzen könnten. Wenn niemand Rede und Antwort stehen könnte, würde man vielleicht sogar glauben, dass beide Parteien sich in einem Streit gerichtet hätten. Moderne forensische Analysen wie sie bisweilen an Orten wie Santros von einigen versierten Logikern durchgeführt wurden, fände man in Andunie nicht. Hier sähe man nur das Ergebnis: Die Gruppe um Ignis Rasverath war nicht mehr. Sie starb in einer Drogenhöhle und einige schwer Berauschte waren beteiligt gewesen. Die meisten malten sich da ihr eigenes, blutiges Bild. Lediglich die Wirtin wusste neben Madiha, Caleb und Corax die Antwort. Dass Caleb sie nicht hatte tot sehen wollen, war seine Entscheidung. Corax führte nur Befehle aus. Er hatte dafür gesorgt, dass Madiha aus der Situation herauskam, wie es ihr Wunsch in aufsteigender Panik gewesen war. Er hatte gehandelt, wie er es gewohnt und wie es in den finstersten Nischen Morgerias Gang und Gebe war.
Dementsprechend verwirrt richtete er seinen Blick wieder zurück auf seine Herrin. Was hatte er übersehen? War er bei seiner Hinrichtung zu forsch umgegangen? War die Sauerei zu groß? Hätte Madiha es sich diskreter gewünscht? Er blickte sie mit fragendem Ausdruck an, aber sie schmetterte weiter ihre Wut gegen ihn.
Wem, glaubst du, damit einen Gefallen zu tun?! Hm? Mir? Oh, wage es bloß nicht, das mit meinem Namen zu rechtfertigen!"
"Aber..." Ganz aus Reflex antwortete er ihr ebenfalls in Sendli, kam nur nicht groß zu Wort. Corax wusste ohnehin kaum etwas auf ihren Wutausbruch zu sagen. So hatte bislang kein Herr und keine Herrin reagiert. Dass sie zornig war, weil er ... getötet hatte. Er blinzelte nur noch mehr, als sie sich sogar daran störte, dass er auf eine Unschuldige hatte losgehen wollen.
"Du hast nicht das Recht, so etwas zu tun!"
"Herrin, du hast das R..."
"Niemals, niemals würde ich irgendetwas von dir verlangen! Ich kann nicht glauben, dass du auch nur einen Moment denken kannst, dass es das ist, was in so einer Situation angebracht wäre!!"
Corax' Augen verengten sich kurz. Er war drauf und dran, etwas zu erwidern, schüttelte dann aber den Kopf. Stattdessen betrachtete er Madiha nun mit nachdenklichem Blick. Hinter seiner Stirn arbeitete es deutlich - mehr als vor und während seiner Tat offenbar. Er musterte sie. Seine Augen hatten das Rot zurückerhalten. Jetzt wirkte es aber nicht so schön wie die Rubine, in die man mit etwas Symapthie durchaus gern schaute. Sie erinnerten an das vergossene Blut seiner Opfer.
"Ich bin so enttäuscht..."
Corax schluckte leer. Er starrte Madiha an, bis sie den Blick von ihm löste und an ihm vorbei zog, nicht ohne ihn anzurempeln. Er ließ es geschehen. Er war zu perplex, um überhaupt darauf zu reagieren. Noch immer starrte er auf die Stelle, an der Madiha eben gestanden und ihm ihre Wut entgegen geschleudert hatte. Und ihre Enttäuschung. Corax umfasste seinen linken Unterarm mit der rechten Hand. Er hinterließ Blutflecken auf seiner Haut, aber seine halbe Kleidung war ohnehin schon durchtränkt davon.
Madiha ignorierte es. Sie war auf dem Weg zur Wirtin, welche sofort erschreckt bis an die Fässer zurückwich, als die Dunkelelfe sich näherte. Natürlich. Noch immer besaß sie nicht ihre eigene Gestalt. Sie hatte sich mit den anderen in Sendli unterhalten und einer ihrer Gefährten hatte alle in der Spelunke abgeschlachtet. Natürlich fürchtete sich die Strohblonde. Da halfen nicht einmal die Tränen, die die falsche Dunkelelfen vergoss oder dass sie sich zu ihr herab hockte. Die Wirtin zog die Beine an und schlang ihre Arme eng darum. Sie versuchte, sich so klein wie möglich zu machen.
"Lauf weg... Er tut dir nichts ... versprochen..."
Die Wirtin rührte sich nicht, von ihrem Zittern abgesehen. Sie war noch nicht soweit. Oder sie traute Madiha nicht. Es war einerlei und jeglicher Versuch, sie auf die Beine zu hieven, endete gewiss in einer weiteren Katastrophe. Madiha erhob sich wieder, drehte sich den beiden Männern zu und noch während ihre Frage den Raum erfüllte, wurde sie von einem Donnern weggefegt, das seinesgleichen suchte. Nie zuvor klang eine Ohrfeige dermaßen laut. Es klatschte nicht auf nackte Haut. Tausend Peitschenhiebe knallten gleichzeitig, dass die Wucht auch Madiha wie eine starke Windbö entgegenschlug.
Corax riss es von den Füßen. Er folgte dem Schwung seines Kopfes, der von Calebs massiver Ohrfeige zur Seite gefegt wurde. Er taumelte ein paar Schritte durch die Blutlachen. Erst als er sein Gleichgewicht wiederfand, legte er eine Hand an die schmerzende Wange. Calebs Hieb hatte ihm tatsäüchlich die Haut platzten lassen. Nun waren seine Finger auch in eigenes Blut getaucht.
Im Hintergrund keuchte das Wirtsmädchen erneut auf. Ihr Japsen konnte sich Calebs Ausbruch aber in keinster Weise in den Weg stellen.
"Raus..". knurrte der Andunier Corax an. Seine Stimme nach nicht nur an Kraft und Zorn, sondern auch an Lautstärke zu. "Aus meinen Augen! HINAUS! HAU AB!" Er kam auf Corax zu, der sich wieder vollends aufrichtete. Er schubste ihn. "Ich dachte, der Schrecken an Bord sei diesen ... Dingern geschuldet. Diesen Stockmännlein. Aber nun hast du es wieder getan. Du hast ... DU BIST EIN MÖRDER!"
"Ja...", entgegnete Corax tonlos. Er war über diese Tatsache wenig überrascht. Natürlich war er das, schon immer gewesen. Wenn sein Herr oder seine Herrin sich nicht die Hände schmutzig machen wollte, war er geschickt worden. Leben war wenig wert in Morgeria und noch weniger die Seele des Sklaven, der töten sollte.
Caleb aber stammte nicht aus Morgeria. Er war kein Dunkelelf, er kannte dessen Kultur nicht. Und er schien noch weniger damit zurechtzukommen, was Corax getan hatte als Madiha. Mit grobem Griff packte er Corax am Arm, riss ihn herum und schleuderte ihn unsanft gen Tür, dass der Rabe mit einem Keuchen dagegen prallte. "MÖRDER!", brüllte Caleb ihm entgegen. Seine Schultern bebten, seine Hände wussten nicht, ob sie sich zu Fäusten ballen sollten. So brachte er es kaum fertig, die Tür aufzustoßen und Corax mit einem heftigen Tritt hinaus zu befördern. "Verschwinde!", fauchte er ihm nach und mit einem kräftigen Rumms war die Tavernentür wieder zu.
Caleb lehnte sich nicht minder zitternd als die Wirtin zuvor mit dem Rücken gegen das dunkle Holz. Er wischte sich einmal über die Augen, ehe seine bebenden Finger sich erneut zur Faust ballten, so dass er damit hart gegen den Türrahmen schlug. Mit der anderen Hand hielt er sich seine Hüftverletzung. Dort war glücklicherweise kein Blut zu sehen. Sie war nicht wieder aufgebrochen, aber Calebs Körpereinsatz forderte nun einen Tribut aus Schmerz. Er blinzelte, dass ihm die Tränen nicht länger die Sicht wässrig machten, sondern seine Wangen herab rannen. Dann legte er den Kopf in den Nacken, um den Fluss gänzlich zu unterbinden.
"Oh, du Dummkopf", seufzte er, unklar darüber, wen er nun ansprach. So blieb er eine Weile stehen, bis sein Herzschlag sich beruhigte und das Entsetzen langsam nachließ. Gleichermaßen ließ aber auch seine Optik nach. Madiha konnte seine wahre Gestalt sehen, die durch die Hülle des attraktiven Dunkelelfen hindurch schimmerte. Das Bild wurde immer deutlicher, fester, wohingegen die dunkle Haut und die silbrigen Haare mehr und mehr verblassten. Schließlich war es wirklich wieder Caleb, der an der Tür lehnte, just als von draußen ein erschütternder Rabenschrei zu hören war.
Caleb legte den Kopf nach vorn. Er sah Madiha aus geröteten Augen an. Sein Blick glich ihrem Gemütszustand, bis er die Stirn runzelte. "Du bist wieder du...", brachte er hervor. Im nächsten Moment löste sich der Sarg an der Wand in Wohlgefallen auf und Azuras verwesender Körper klappte nach vorn, sowie reglos zu Boden.

An einem anderen Ort, wenige Zeit später:
Die Mahlzeit war bescheiden. Er konnte froh sein, überhaupt eine erhalten zu haben. Das war seiner Bekanntheit geschuldet. Es gab noch immer ein paar lebendige Gesichter, die ihn so oft gegrüßt hatten, wenn er in Andunie eingetroffen war. Damals aber hatten sie gelächelt und man sich später zu einem gemeinsamen Bier getroffen. Nun saß er allein hier, vor einem Teller mit Brot und etwas Käse. Dazu gab es zwar ebenfalls Bier, aber es war wässrig. Ihm genügte es, ebenso wie das mit Stroh ausgelegte Bett und die einzige Laterne im Raum, deren diffuses Licht gerade ausreichte, um die Ecken der Kammer zu erhellen. Seit es zu regnen begonnen hatte, drang nicht einmal mehr Mondlicht durch das Fenster herein.
Die Tropfen prasselten an die Scheiben, doch zwischen ihnen ertönte zweifach ein Geräusch, das er nicht einordnen konnte. Er wandte den Blick um, erhaschte aber nur noch einen Schatten, welcher sich vom Fenster lossagte und in die Nacht verschwand. Dennoch ging er hinüber, öffnete es und spähte hinaus. Kalte Tropfen trafen sein Gesicht. Sofort zog er sich ins Innere zurück. Die ganze Stadt hinterließ einen flauen Magen bei ihm. Es war Zeit, ihn mit etwas zu füllen.
Als er sich erneut vor seine Mahlzeit setzte, klopfte es wieder. Dieses Mal kam es von der Tür. Misstrauisch griff er zum Brotmesser, da er so töricht war, seine Klinge im Stiefel belassen zu haben und der stand mit seinem Bruder bereits unter dem Bett. "Wer da?", rief er, ohne hereinzubitten. Die Tür öffnete sich dennoch und eine Gestalt trat gerade weit genug ein, dass man sie im Licht ausmachen konnte.
Sofort ließ er das Brotmesser fallen, als er erschrak. "Du? Aber ... ich dachte, du bist tot!"
Er stolperte über seinen Stuhl, kam zu der durchnässten Gestalt heran und wagte es, dessen Gesicht zu berühren. Er musste einfach wissen, dass er nicht träumte. "Du blutest. Was ... warum bist du denn hier? Ausgerechnet bei mir? Wo ist denn deine...?"
Der andere schüttelte den Kopf, dass ihm das regennasse Haar gegen die Wangen klatschte. Dann sank er schlotternd zu Boden und klammerte sich an den nackten Füßen des anderen fest, ohne Rücksicht darauf, dass er ihn mit Blut benetzte.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 26. Dezember 2022, 23:06

Das Geräusch, das sich durch die diesige Taverne zog, ließ Madiha zusammenfahren. Sie riss die hellen Augen auf, während ihr Blick erfasste, was Corax spüren musste. Sie hielt den Atem an und starrte auf Caleb, der dem Raben eine schallende Ohrfeige verpasst hatte. Erneut wurde es für einen gedehnten Moment unsagbar still und das klatschende Geräusch hallte an den schmutzigen Wänden wider. Das Mädchen in ihrem Rücken japste auf, doch Madiha nahm das nur am Rande wahr. Noch immer befand sie sich in einem seltsamen Zustand zwischen blankem Entsetzen und Enttäuschung über Corax‘ Tat, doch jetzt mischte sich noch eine Bitterkeit bei, die sie nicht klar definieren konnte. Ihr Blick wanderte träge zu Corax, der sich gefangen hatte und die Wange vor Blicken abschirmte. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor und erneut wurde das Wüstenmädchen geschüttelt. Erinnerungen griffen nach ihrer Aufmerksamkeit, doch lenkte Caleb sie davon wieder ab. "Raus.. "Aus meinen Augen! HINAUS! HAU AB!", ertönte die Stimme des Diebes in ungewohnter Lautstärke, sodass Madiha aus ihrer eigenen Schockstarre hervorgeholt wurde. Das Mädchen machte einen beherzten Schritt nach vorne, landete aber mit ihren nackten Füßen in dem Blut von Ignis, sodass sie entsetzt keuchte und wieder zurückwich. Es fühlte sich seltsam warm und glitschig an. Madiha spürte die Übelkeit in sich aufkommen, versuchte das Blut loszuwerden, doch Caleb war es erneut, der sie von ihrem Schrecken ablenkte. Dieses Mal aber projizierte er neuen in ihr. Als Corax geschubst wurde, zuckte auch Madiha. „Caleb!“, rief sie mahnend, doch er überhörte sie. Viel zu groß war die Wut, die er empfand und auch Madiha fühlte so, allerdings war das, was sie zu sehen bekam auch etwas, was sie aufwühlte. Caleb griff Corax körperlich an. Corax hatte einen – zugegeben – sehr großen Fehler begangen… Und er wurde von seinem Herrn dafür körperlich angegangen. Madiha hatte einen seltsamen Knoten im Bauch und fühlte sich zwischen ihren widerstreitenden Gefühlen hin- und hergerissen.
"Ich dachte, der Schrecken an Bord sei diesen ... Dingern geschuldet. Diesen Stockmännlein. Aber nun hast du es wieder getan. Du hast ... DU BIST EIN MÖRDER!" „Ja“ Madiha startete einen erneuten Versuch, zu den beiden Männern zu gelangen.

Sie schaute auf den Boden und suchte eine Stelle, wo sie nicht durch das Blut waten musste. Während sie suchte, packte Caleb Corax am Arm und schubste ihn gen Tür. „Caleb, warte!“, rief sie erneut und sprang über die Lache am Boden. Sie prallte von einer unsichtbaren Wand zurück, als sie in die toten Augen der Feuermagierin blickte und schloss die Augen. Aufgewühlt suchte sie den Dieb und den Raben, die sich derweil an der Tür befanden. "MÖRDER!", hallte Caleb’s Stimme über Corax hinweg und erfasste auch Madiha. Eine eisige Kälte legte sich über das Mädchen und umschloss das Herz mit festem Griff. Madiha starrte auf Caleb’s breiten Rücken, der Corax beinahe gänzlich verdeckte. Er bebte und schien mit sich zu ringen. Ihre Augenbrauen zogen sich in stummer Verzweiflung zusammen, denn sie empfand genau so, aber sie konnte auch nicht abschütteln, dass Corax eine versklavte Seele war, die, genau wie sie, stets nur körperliche Züchtigung erwartete. Der darauf angewiesen war, dass er das Wohlwollen seiner Herren behielt. Und Madiha war enttäuscht und wütend und angewidert von seiner Tat, das hatte sie ihm gezeigt. Doch Caleb… Er erhob die Hand gegen ihn und jeder Schlag, jeder Stoß, traf irgendwie auch Madiha. "Verschwinde!", zischte er und unterstrich seine Wut über das Geschehene mit dem Knallen der Tür. Madiha’s Herz raste und in ihren Ohren rauschte es. Sie starrte auf die geschlossene Tür und die Symbolik, die es auslöste, ließen ihre Augen schwimmen.
Es dauerte einen Moment, bis ihr Blick zu Caleb glitt, der sich zitternd und sichtlich um Haltung bemühend, gegen die Wand lehnte. Sie zuckte, als er gegen den Türrahmen schlug und sah besorgt zu, wie er sich die Hüfte hielt. Sie machte einen Schritt auf den Dieb zu, wollte ihm zur Hilfe eilen. Doch sie blieb wieder unschlüssig stehen. Er wirkte so aufgewühlt, so erbost über das, was geschah… Und dann flossen die Tränen über seine Wangen. Madiha starrte ihn an und war unfähig sich zu rühren. Das, was geschehen war lähmte sie. Dass die Reaktion so heftig ausfiel, damit hatte sie einfach nicht gerechnet, denn auch wenn sie niemals wie Corax instrumentalisiert wurde, hatte doch auch sie das Leben in Ketten gelebt und wusste, dass man irgendwann alles tun würde, nur um es seinem Besitzer Recht zu machen. Dabei hieß sie die Tat von Corax in keiner Weise gut. Aber sie kannte eben den Schatten dahinter. "Oh, du Dummkopf" „Caleb…“, flüsterte sie in Zuneigung für ihn und doch brach ihre Stimme. Ihre Augen füllten sich ebenso mit Tränen, die stumm überschwappten. Sie blinzelte und wischte kurz, denn sie hatte das Gefühl, nicht richtig sehen zu können.

Als sie die Augen halbwegs getrocknet hatte, erkannte sie jedoch, dass die Illusion doch nachließ. Immer wieder schimmerte die wahre Gestalt von Caleb durch und bettete Madiha in ein vertrautes, warmes Gefühl ein. Das Mädchen atmete leicht auf als der Dieb wieder wie gewohnt vor ihr stand. Und offenbar war das auch bei ihr der Fall, denn just in dem Moment sah er sie an und bestätigte es. Sie hob die Hände, drehte sie, ehe sie sie wieder sinken ließ und den Kopf wieder zu Caleb hob. Madiha öffnete den Mund, denn sie hatte das dringende Bedürfnis etwas zu sagen. Doch noch ehe sie einen Ton herausbringen konnte, löste sich der Sarg auf und Azura kippte zu Boden. Wieder erschrak Madiha, denn der Schreck saß ihr noch gehörig in den Knochen, sodass sie dünnhäutig wurde und nicht recht dazu kam, all ihre Empfindungen und Gefühle zu verarbeiten und in vernünftige Bahnen zu lenken. Allerdings reagierte sie trotzdem instinktiv und wollte die Adelige auffangen, doch sie glitt ihr durch die geschundenen Hände und wurde nur milde abgefedert. Madiha ließ sie zu Boden sinken und schaute auf das, was der Prozess nach dem Sterben mit der Rothaarigen angestellt hatte. Und während sie auf Azura blickte und halb neben ihr hockte, ließ sie plötzlich den Kopf hängen und atmete hörbar aus. Es war alles so verwirrend.
Dann jedoch erhob sie sich und wandte sich dem Dieb zu. Ihr Blick war eine seltsame Mischung, die sie selbst nicht würde deuten können, wenn sie sich im Spiegel betrachtet hätte. Das Mädchen ließ kurz ihre Augen in stummer Erwartung, dass sich das Blut abzeichnen würde, auf seiner Hüfte ruhen, ehe sie sich noch mal zu den Getöteten umwandte. Die Bilder waren grauenhaft und würden sie lange verfolgen. „Er hat geglaubt, er würde mir damit helfen…“, begann sie leise zu sprechen und schüttelte noch immer vor Entsetzen den Kopf. „Wie konnte er glauben, dass ich… dass das etwas wäre, was ich mir…“, sie brach ab und erneut wurde sie von der schrecklichen Erkenntnis übermannt, dass der Rabe sein Schauerstück nur wegen ihr aufgeführt hatte. Madiha schluchzte leise. „Er hat aus dem Glauben heraus gehandelt, er müsste es tun…“, kam die Erkenntnis über ihre Lippen und ihre Hand legte sich an ihren Oberarm. „Er glaubt, das ist der einzige Weg.“, schniefte sie leise, bevor sie sich zu Caleb drehte. „Es ist so falsch… es ist so… so unsagbar falsch was er getan hat.“, meinte sie und wischte sich über die Nase. „Aber Caleb … du hast ihn verstoßen. Er… erst hat er Prügel bezogen und dann hast du ihn verstoßen… So wie er es immer gekannt hat…“, offenbarte sie ihre widersprüchlichen Gefühle und war sogar etwas überfordert damit. „Versteh‘ mich nicht falsch, ich… ich fühle ebenso wie du. Ich heiße das bei meinem Leben nicht gut aber… Nun ist er weg und was ist, wenn er an jemanden gerät, der ihn wieder zu dem macht, was er glaubt zu sein?“, fragte sie leise und unsicher, ob Caleb sie überhaupt verstehen würde. Immerhin hatte Corax kaltblütig gemordet und sie versuchte an Caleb’s Verständnis zu appellieren. Sie wusste ja selbst nicht, warum in ihrer Brust zwei Herzen schlugen. „Er hat unsere Wut verdient. Unsere Enttäuschung. Aber wir kennen sein Leben. Diese Männchen mögen tot sein, doch das was er durch sie gelernt hat, ist es nicht. Wir müssen sein Leben mit Besserem auffüllen…“, murmelte sie und ging langsam auf den Dieb zu. Vor ihm blieb sie stehen und hob ein wenig den Kopf in den Nacken, um in sein Gesicht sehen zu können. Sie streckte ihre Hand vorsichtig nach seiner aus, unsicher, ob er sie überhaupt noch nehmen wollte. „Meine Angst hat dazu geführt, dass er glaubte das tun zu müssen…“, flüsterte sie und die Erkenntnis lastete schwer auf ihr, doch versuchte sie das nicht zu zeigen. „…jetzt ist er fort und hat sogar Azura zurückgelassen. Wie soll es nun weitergehen?“ Madiha sah ihn weiterhin an und betrachtete seine roten Augen. Er hatte geweint… trauerte er um sein Vertrauen, das er Corax geschenkt und nun verloren hatte? Wie gerne würden sie Caleb umarmen, wagte es aber nicht, aus Angst, er könne sie selbst mit anderen Augen sehen. Das, was sie sagte, könnte man durchaus als Verständnis für Corax interpretieren. Doch darum ging es ihr nicht. Sie verstand das nicht und sie verurteilte ihn. Doch anstatt ihn körperlich zu züchtigen, wollte sie ihn ihre Enttäuschung spüren lassen… Sie wollte nicht so sein, wie all die Herren und Herrinnen vor ihr… sie wollte überhaupt keine Herrin sein und er war nicht ihr Sklave. Sondern eine Art Freund, der einen sehr, sehr bitteren Fehler begangen hatte…
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Dienstag 27. Dezember 2022, 15:20

Wie still die Welt doch sein konnte, wenn niemand mehr schrie. Erst die Dunkelelfen in Angst, ehe Corax ihnen das Leben ausgehaucht hatte, dann Madiha in ihrem Entsetzen und schließlich Caleb in seiner Wut. Beendet wurde es mit dem rabenhaften Schrei von draußen. Doch als Regen einsetzte, verstummte es und wurde wie viele andere Geräusche vom Prasseln der Tropfen verschluckt. Leider schwämmte der Regen nicht zu ihnen in den Schankraum, um das Blut aufzuwischen. Es sickerte schon ins Holz, so dass selbst mehrfache Reinungungsaktion mit jeder Menge Kernseife die Spuren nicht würden beseitigen können.
Wie still sie doch alle waren, die Toten. Wie schrecklich aufgerissene, leere Augen sich in das eigene Gedächtnis prägen konnten. Madiha würde das Bild von Ignis' abgetrenntem Kopf nicht so schnell vergessen. Sie war entsetzt, wütend und enttäuscht. Dennoch brachte sie auf skurrile Weise noch immer Verständnis für Corax' Handeln auf. Wer sein Leben lang nichts Anderes gelernt hatte ... wie viele Male hatte er in diese toten, aufgerissenen Augen sehen müssen? Wann war er dafür abgestumpft so wie sie, wenn Khasib seine Gäste über ihren Körper herfallen ließ? Irgendwann nahm man hin, dass es das eigene Schicksal war und man selbst nur so viel wert wie Mächtigere in einem sahen. Irgendwann ergab man sich und ließ Dinge geschehen. Man handelte, ohne darüber nachzudenken, weil die eigenen Gedanken lediglich um darum kreisten, dass es schneller weiterging, wenn man sich nicht sträubte. Wenn man tat, was erwartet wurde...
Er hatte ihre Panik falsch interpretiert, weil man ihm nie eine Wahl gelassen hatte, es anders zu sehen. Für Corax gab es nur diese eine Lösung, denn alles andere hätte wahrscheinlich Ärger bedeutet. Und nun hatte Caleb ihn nicht nur geschlagen und angeschrien, sondern auch auf die Straße verbannt. Sein Handeln war ein Fehler gewesen, geboren aus den Fehlern, die andere an ihm begangen hatten. Wieviel Schuld trugen Mörder an ihren Taten, wenn die Wege ihrer Möglichkeiten zu einem gemauerten Tunnel geworden waren? Corax' Tunnel war durch Caleb eingestürzt, denn nun war auch das von ihm mutmaßlich erwartete Handeln falsch gewesen. Die dicken Steine waren auf über ihm zusammengestürzt. Sie öffneten neue Wege, aber vielleicht begruben ihn alte Grenzen nun auch endgültig.

Madiha entschied, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten. Das Blut der Toten fühlte sich noch immer warm an. Es klebte an ihren Füßen, trotzdem ging sie keinen Bogen darum. Sie schob ihre eigenen, eingestürzten Mauersteine beiseite, um sich einen Weg zu suchen, wo sie mit ihnen würde etwas Neues aufbauen können. Der gewählte Pfad führte sie bis vor Caleb. Er lehnte an der Tür, hatte seine alte Form zurückerhalten und wirkte dennoch so unendlich erschöpft. Die Hand an seiner Hüfte bereitete dem nun auch wieder zurückverwandelten Wüstenkind Sorge, doch sie konnte schon nach einer Weile durchatmen. Caleb musste Schmerzen haben, aber die Wunde riss glücklicherweise nicht mehr auf. Selbst als Illusion hatte Dunia beste Arbeit geleistet. Corax als Dunia. Er hatte immer getan, was man von ihm erwartete oder was er glaubte, was erwartet würde. Er hätte auch in Calebs Gestalt mit Madiha...
Nur wenn es um Azura ging, besaß er einen rebellischen Willen. Ansonsten wäre sie nicht hier. Oh und wie präsent sie plötzlich war! Ehe Madiha ihre Ausführungen gegenüber Caleb beenden konnte im Versuch, dass auch er verstehen würde - das musste nicht heißen, dass er auch verzieh -, da löste sich auch der Sarg auf. Azuras Leichnam fiel gen Boden. Madiha fing ihn reflexartig auf und wurde fast vom Gewicht der Adligen begraben. Tote, die keine eigene Körperspannung mehr besaßen, waren unerwartet schwer. Rasch eilte Caleb ihr zu Hilfe und hob den Körper von ihr herunter. Azura roch. Sie stank nach Tod und ein Blick in ihr bleiches Gesicht zeugte davon, dass der Verwesungsprozess bereits eingesetzt hatte. Unter dem linken Auge bis hin zu einem großen Fleck auf der linken Wange hatte sich Haut schon aufgelöst. Sie hing in einem leichten Fetzen herab, offenbarte die Sicht auf halb verfaultes Fleisch und sogar einen Teil ihres Kiefers. Es war abscheulich! Auch ihre Arme und Beine wiesen erste, von Hautfetzen umhangene Löcher aus Fäulnis auf. Madiha konnte den blanken Unterarmknochen der Andunierin ausmachen. Es bestand kein Zweifel mehr. Sie würde nicht zurückkehren. Sie war tot.
Caleb legte Azuras Leichnam dennoch behutsam auf einem der Tische ab. Er erwies aber nicht nur ihr diesen Respekt. Ohne Madiha anzuschauen, aber mit zitternden Pranken begann er damit, die toten Dunkelelfen an einer Wand nebeneinander abzulegen. Er achtete darauf, dass man sie beim Hereinkommen nicht sofort sah und dem Schrecken direkt ausgesetzt wäre. Das Blut genügte schon. Bei Ignis' Kopf aber zögerte selbst er. Dafür brachte er endlich Madiha eine Erwiderung auf all ihre Worte. Seine Stimme klang belegt, die Wut aber war gewichen. Er sprach ruhig mit ihr, beinahe traurig.
"Du hast ja Recht, Madi. Ich hätte ihn nicht schlagen sollen." Er atmete tief durch. Die Worte fielen ihm gewiss nicht leicht. "Aber Mord ... schon wieder? Er ... Hättest du jemanden umgebracht, wenn Khasib es von dir befohlen hätte? Ganz gleich ob direkt oder mit Interpretationsspielraum?" Der Dieb griff sich in den Nacken. Entgegen der üblichen Geste, die sonst stets seine Nervosität oder Verlegenheit ausdrückte, schob er die Hand nun aber von hinten durch sein Haar, bis er seine gefurchte Stirn erreichte. Darunter hielt Caleb die Augen fest verschlossen. Wieder seufzte er. "Er hätte nicht so weit gehen müssen." Es klang versöhnlich. Caleb hieß ebenso wie Madiha nicht gut, was Corax angerichtet hatte, aber er bemühte sich darum, es nachzuvollziehen. Ein Leben unter den seltsamen Kreaturen und in Sklavschaft hatte ihn geprägt. So sehr, dass er offensichtlich schon das kleinste Bisschen echter Zuneigung als Rettungsanker sah. Calebs Blick wanderte zu Azuras Körper herüber.
Seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen. Erschöpft zog er sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf nieder. Er faltete die Hände ineinander, um das Zittern zu unterbinden. Plötzlich schaute er auf und zu Madiha herüber. "Ich wollte Sarma schon lange den Rücken kehren, wusstest du das? Der Angriff der Dunkelelfen gab mir den letzten Antrieb dazu. Nachdem ich gesehen habe, wie auch unsere Seite ... nicht aus Notwehr, sondern einfach so ... da waren zwar keine Kinder dabei, aber ich habe dunkelelfische Halbstarke in Rüstung fallen sehen. Niedergemetzelt mit einem Triumphschrei auf den Lippen der Wüstendiebe." Er sog rasselnd die Luft ein. "Nicht alle von ihnen töten, aber genug und erschreckend viele aus reinem Nervenkitzel. Ich ... wollte ein ganzes Bündnis, eine ganze Stadt und ... Dunia ... hinter mir lassen, weil ich damit nicht zurechtkomme. Mord ist kein kleiner Diebstahl einer Geldbörse von irgendeinem reichen Pfeffersack!" Jetzt fuhr er sich mit beiden Händen durch die Haare und bis in den Nacken. Er hinterließ Blutspuren. Dunkelelfenblut, das auch ihn zwangsläufig hatte befelcken müssen, als er die Toten mit so viel Respekt aufreihte wie es ihm möglich war. Fast verzweifelt brachte er hervor: "Wie kann ich Sarma im Stich lassen, weil ich ihre skrupellosen Tötungsakte nicht gutheiße und dann bei einem einzelnen, der ein Massaker begeht ... das ist doch blanke Heuchelei. Und trotzdem..."
"E-er ... hat a-uch ... er hat geweint."
Caleb schaute auf. Die Stimme der Wirtin zitterte fast so stark wie seine Hände, als sie hinter dem Tresen hervor trat. Jetzt, da Madiha und Caleb nicht mehr die Gestalt von Dunkelelfen besaßen und sie bislang nicht erneut bedrohlich angegangen waren, wagte sie sich vor. "Ihr ... seid Menschen", fing sie vorsichtig an und schob einige ihrer strohigen Strähnen hinter das Ohr.
"Was hast du gesagt?", wollte Caleb nur wissen. Sein Blick ruhte auf der Wirtin, aber er war fern von Bösartigkeit, so dass sie ihm standhalten konnte. Sie deutete zur Tür. "Als er mich angesehen hat. Ich hab Tränen gesehen."
Caleb vergrub das Gesicht in den Händen, als er sich stöhnend nach vorn beugte und die Ellenbogen auf seinen Schenkeln abstützte. "Warum musst du auch so ein dummer, schrecklich dummer Elf sein!" Er gab sich einen Moment. Er brauchte die Zeit, um sich zu fangen. Dann fragte er zwischen den Fingern hindurch: "Also, was tun wir nun? Ihn wieder reinholen?"
Das würde nicht ausreichen, denn bei einem Blick auf die regennassen Pflastersteine der Straße zwischen Häusern und Docks würde sich zeigen, dass Corax nicht mehr anwesend war. Keine Spur von ihm war mehr zu sehen. Madiha hatte Recht behalten. Er war fort ... und er hatte Azura zurückgelassen.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Dienstag 27. Dezember 2022, 19:36

Madiha sah Caleb nach, als er half Azura abzulegen. Beinahe wäre sie unter der Toten begraben worden. Allerdings entging er damit auch ihrem kläglichen Versuch, Nähe aufzubauen. Madiha seufzte tonlos und blieb dort stehen, wo sie war. Sie hatte ohnehin das Gefühl, dass sie nicht würde weit kommen können, denn der Schreck und das Adrenalin ebbten ab und hinterließen bei ihr die Kraftlosigkeit, die nach einem schlimmen Vorfall bestehen blieb. “Du hast ja Recht, Madi. Ich hätte ihn nicht schlagen sollen.“, kam es traurig von ihm. Madiha hob den Kopf und wandte ihn halb, zum Zeichen, dass sie zuhörte. "Aber Mord ... schon wieder? Er ... Hättest du jemanden umgebracht, wenn Khasib es von dir befohlen hätte? Ganz gleich ob direkt oder mit Interpretationsspielraum?" Madiha antwortete nicht sofort. Ihr Kopf drehte sich wieder in die Neutralhaltung und sie überdachte seine Frage. Es war nicht so einfach, was er von ihr hören wollte. Beinahe ebenso traurig, erklang dann aber doch noch ihre Antwort: „Ich war bereit, dass die Wüstendiebe mich vergewaltigen, wenn sie dir nur helfen. Und ich war bereit für die Überfahrt auf der Blauen Möwe mit Jakub Tauwetter zu schlafen…“, erwiderte sie leise und sah Caleb dabei nicht an. Sie schämte sich und es laut auszusprechen fühlte sich nicht gut an. „Ich bin einfach anders aufgewachsen…“, bemerkte sie recht pragmatisch und hob die Schultern. „Wenn die Dinge anders gelaufen wären, wer weiß was ich alles noch tun würde…“, murmelte sie düster und hatte ihm den Rücken weiterhin zugewandt. Sie schaffte es nicht, ihn anzusehen. Ihr Leben verlief einfach anders und das von Corax auch. Sie beide hatten einfach nie wirklich eine Wahl gehabt. Madiha stand zwar mit dem Rücken zu Caleb, hörte aber, wie er die toten Körper bewegte. Sie schloss die Augen, öffnete sie aber gleich wieder, denn die Fratzen tauchten leichenblass vor ihrem geistigen Auge auf. Madiha aber empfand trotz ihrer abgewandten Haltung eine immense Zuneigung für Caleb. Sein Tun zeugte von Anstand und von einem Ehrgefühl, das keinen Unterschied machte zwischen den Ethnien. Bei dem Gedanken daran, hoben sich ihre Mundwinkel ungesehen ein Stück an. Dennoch fühlte sie sich schrecklich. "Er hätte nicht so weit gehen müssen.", seufzte er und sie pflichtete ihm bei. „Nein, das hätte er bei weitem nicht…und er hat nicht zugehört, denn du hast vorgeschlagen, hinauszugehen … was wiederum erkennen lässt, wie sehr er gefangen ist in seinem Leben.“, seufzte nun sie, während er sich bereits auf einem Stuhl niedergelassen hatte.
Sie schaute auf Azura, die inzwischen schrecklich vom Tod gezeichnet war und auch dieses Bild, würde Madiha nicht vergessen können. Es gab so vieles, was sie nun mit sich tragen würde und die paar friedvollen Stunden mit Caleb, die endlich einmal etwas Schönes gewesen waren, verblassten unter all dem Schmutz. Es wirkte sogar surreal, wenn sie daran zurückdenken wollte. So als wäre es eine Erinnerung, die sie nicht greifen konnte. Dabei war sie lediglich überlagert. "Ich wollte Sarma schon lange den Rücken kehren, wusstest du das? Der Angriff der Dunkelelfen gab mir den letzten Antrieb dazu. Nachdem ich gesehen habe, wie auch unsere Seite ... nicht aus Notwehr, sondern einfach so ... da waren zwar keine Kinder dabei, aber ich habe dunkelelfische Halbstarke in Rüstung fallen sehen. Niedergemetzelt mit einem Triumphschrei auf den Lippen der Wüstendiebe. Nicht alle von ihnen töten, aber genug und erschreckend viele aus reinem Nervenkitzel. Ich ... wollte ein ganzes Bündnis, eine ganze Stadt und ... Dunia ... hinter mir lassen, weil ich damit nicht zurechtkomme. Mord ist kein kleiner Diebstahl einer Geldbörse von irgendeinem reichen Pfeffersack!" Sie wandte den Blick von Azura ab und fröstelte als sie sich endlich Caleb zuwandte.

Ihr Blick glitt über seine Gestalt und sie entdeckte Anzeichen, dass es ihn deutlich mitgenommen hatte. Caleb war eine gute Seele und obwohl er um die Welt wusste, in der er lebte, nahm ihn die grausame Wahrheit sichtlich mit. Sie hingehen war nur mit Schrecken aufgewachsen. Vielleicht kam sie deshalb besser damit zurecht… Vielleicht war auch sie bereits viel zu verkorkst als dass es ihr je würde möglich sein können, ein Leben abseits davon zu führen. Er sprach weiter und sie hörte geduldig zu. "Wie kann ich Sarma im Stich lassen, weil ich ihre skrupellosen Tötungsakte nicht gutheiße und dann bei einem einzelnen, der ein Massaker begeht ... das ist doch blanke Heuchelei. Und trotzdem..." Seine Verzweiflung regte ihre Beine. Madiha kam ein paar Schritte auf ihn zu und sank vor ihm auf die Knie. Sie wollte gerade nach seinen Händen greifen, um ihm etwas Trost zu spenden, doch da drang die zarte Stimme der Wirtin zu ihnen herüber. Er wandte sich ab, sodass ihr Impuls erneut verrauchte. Auch Madiha richtete ihren Blick zu der Wirtin. Ihre Worte erfassten auch ihr Gemüt. Es war falsch gewesen, Corax aus der Taverne zu befördern. War es nicht auch Aufgabe von ihnen, ihn aufzufangen? Auch Caleb schien langsam zu begreifen, was eine bessere Variante hätte sein können und das hohe moralische Vorstellungen manchmal nicht schwarz oder weiß ins Bild passten… "Warum musst du auch so ein dummer, schrecklich dummer Elf sein!“ Madiha legte ihm ihre Hand nun doch noch auf sein Knie in liebevoller Geste. „Ich kann dir nicht sagen, wie deine Vorstellung mit Corax' Handeln zusammenpasst… Ich will nur sagen, dass manchmal… die Umstände dazu führen, dass man Dinge tut, die man nicht gerne macht.“ Madiha erhob sich und ließ ihre Hand von seinem Bein rutschen. „Manchmal hat man eben keine Wahl…“, murmelte sie noch und glaubte tatsächlich selbst daran.
Auch für Madiha fühlte es sich so an als würde sie lediglich mit Körperlichkeit weiterkommen. Auch sie sah keinen anderen Weg, auch wenn sie sich bemühte. Jakub hatte ihr das gezeigt. Und dieses Stockmännchen, das sich Azura bemächtigen wollte. Sie alle gaben Madiha das Gefühl, dass es nie anders sein würde. Und Corax? Sie glaubte, dass auch er so empfand. Er hatte es oft genug gesagt und… gezeigt. Doch wenn Madiha Corax aufgab… würde sie sich nicht auch aufgeben? Wer würde sie auffangen, wenn sie Fehler beging? Die Welt konnte mitunter verwirrend sein und sie versuchte einfach nur einen Weg für sich zu finden und dabei krampfhaft zu verhindern, dass man sie für das verachtete, was sie war. "Also, was tun wir nun? Ihn wieder reinholen?", murmelte er dumpf hinter seinen Fingern hervor. Die Sarmaerin wandte sich der Tür zu und ging ihr entgegen. Sie öffnete und… trat ins Nasse. Ihre nackten Füße wurden von einer Pfütze umspült und das Wasser färbte sich hellrot von dem Blut der Elfen. Madiha zog ihren Fuß erschrocken zurück, dann hob sie den dunklen Schopf und blinzelte in den Regen. „Corax!“, rief sie gegen das Tönen der Regentropfen an, doch sie sah ihn nicht. Einen Moment stand sie einfach nur da und wurde nass, während sie die Straße hinauf und hinab blickte als würde er vielleicht irgendwo hocken.

Doch er war nicht mehr da. Schon das Fehlen der Illusionen hatte in ihr die Wahrheit gepflanzt, die sich nun bestätigte. Madiha schloss die Augen und ließ einen Moment die eiskalten Tropfen auf ihr Gesicht regnen, während sie es dem Himmel entgegenreckte. Dann kam sie zurück in die Taverne, schloss den Regen aus und lehnte sich gegen das Holz der Tür, wie Caleb zuvor. „Er ist weg..“, sagte sie das Offensichtliche. Sie war tatsächlich betroffen davon und wischte sich eine tropfende Strähne zur Seite. Ihr Blick fiel auf Azura. „Wir halten an unserem Plan fest. Vielleicht kommt er wieder… ihretwegen.“, nickte sie mit dem Kopf und schaltete daraufhin ihre Gefühle ein wenig aus. Madiha fühlte sich ausgelaugt und betroffen davon, dass Corax verschwunden war. Gleichzeitig aber haderte sie mit seinem zweifelhaften Werk und ihren Moralvorstellungen, die mit ihrem Wissen um ihn kollidierten. Vielleicht musste er nur darüber nachdenken… Finden würde sie ihn nicht können. Sie kannte sich wirklich nicht aus in diesem Teil der Welt. Und wohin er auch immer verschwand, um Zuflucht zu suchen… sie hatten Azura und vielleicht würde er sich wenigstens wegen ihr noch mal blicken lassen. Zudem hatte die Andunierin kaum noch Zeit. Sie wandte sich an das Mädchen der Taverne: „Es tut mir sehr leid, was du erleben musstest…“, meinte sie ernst und ehrlich. „Aber… weißt du zufällig, wo wir das Haus der van Ikari’s finden können?“. Madiha wischte sich mit dem zu großen Hemd das Gesicht trocken und ließ es zerknautscht zurückfallen. „Wir wollen…“, sie deutete auf die Tote auf dem Tisch „sie ihren Eltern zurückbringen, falls sie noch leben…“, weihte sie die andere ein und zwang sich derweil dazu, nicht zu den aufgereihten Toten zu sehen. Oder dem Blut, das sich bereits mit dem Holz der Dielen verband.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 28. Dezember 2022, 10:32

Beide schauten einander nicht an, während sie sich gegenseitig Dinge offenbarten, die deutlich machten, dass die Welt ihnen entweder nicht so viele Wahlmöglichkeiten ließ wie man bisher glaubte oder nicht so romantisch war wie in den Geschichten eines Schriftstellers. Caleb musste das erkennen, als Madiha ihre eigenen Optionen offen legte. Sie war zwar nie zu einem Mord getrieben worden, hätte ihren Körper aber ein um's andere Mal verkauft für Dinge, die ein freier Mensch mit genug Münzen hätte erhalten können. Ein Mann wie Caleb erbeutete sich diese Münzen von jenen, die es seiner Meinung nach verdient hatten, ein Loch in den Beutel geschnitten zu bekommen. Seiner Vergangenheit nach zu urteilen hätte er nicht einmal das nötig gehabt. Er hätte leben können wie die Tote, die nun auf einem der Tische aufgebart worden war. Doch er hatte anders entschieden. Er hatte eine Wahl gehabt.
"Ich beginne, es zu verstehen", murmelte Caleb, als er den letzten toten Dunkelelf ablegte. Die Orks waren zu schwer. Er konnte sie nicht vom Tisch in der Nische bis zu einer Wand schleppen. Seine Hüfte protestierte ja jetzt bereits. Schön drapieren wollte er sie dann aber auch nicht, das fühlte sich seltsam an. Er schloss ihnen lediglich die Augen und achtete darauf, dass ihre Leichen stabilisiert auf den Stühlen und dem Tisch lehnten. Niemand sollte sich noch mehr erschrecken, weil sie plötzlich zu Boden krachten. Der Anblick war schrecklich genug.
Nachdem auch dies getan war, gestattete Caleb sich selbst einen der Stühle. Er sank darauf zusammen und starrte für einen Moment auf seine blutigen Hände. Sie wollten einfach nicht aufhören zu zittern. Es war doch nicht das erste Mal, dass er mit Getöteten konfrontiert wurde. Es war auch nicht das erste Mal, dass er einen Verbündeten hatte morden sehen. Warum ließ es ihn gerade nicht los? Er fand sich in einem tiefen Konflikt gefangen zwischen dem wachsenden Verständnis für einen Sklaven, der nicht aus freiem Willen, sondern als geschultes Werkzeug gehandelt hatte und seiner Tat, die für ihn bei anderen schon unverzeihlich gewesen war. Caleb fand keine Lösung und auch Madiha konnte ihm nicht da heraushelfen. Trotzdem wollte sie für ihn da sein. Es genügte, wenn einer der Gruppe nun irgendwo umher irrte und glaubte, von aller Welt verlassen zu sein. Es brauchte keinen zweiten und sie selbst suchte sicherlich auch irgendwo nach einem Stück Geborgenheit, um sich wieder sammeln zu können.
Calebs Augen wanderten zu ihrer Gestalt, hafteten sich an ihre Hände. Seine eigenen wurden ruhiger. Hätte die junge Wirtin sich nicht zu Wort gemeldet, hätte er nach Madiha gegriffen. So aber schaute er auf. Ohne es zu wissen, bestätigte sie mit ihren Worten, was beide bereits erkannt hatten. Corax hatte für sich keine Option gesehen. Er schien seine eigene Tat auch nicht gut zu heißen, dennoch hatte er sie begangen. Andere Herren mochten es von ihm erwartet haben. Er war nicht gewohnt, dass es anders sein könnte. Nicht einmal, wenn er bereits erkannt hatte, dass Madiha ihn anders behandelte.
Caleb stöhnte seinen Ärger aus, der zugleich eine große Sorge um das laufende Unglück auf zwei Beinen mitschwingen ließ. Madiha legte ihm eine Hand auf das Knie und erneut gelang es ihr, ihn dadurch zur Ruhe zu bringen. Grünblaue Dankbarkeit hafteten sich an ihren Blick. Er streckte seine Hand nach ihrer aus. Er sah seine blutigen Finger und zögerte. Dann war die Gelegenheit vorbei, als Madiha ihre eigenen von ihm wegzog und sich erhob.
"Manchmal hat man eben keine Wahl..."
Caleb musterte sie. Dann erhob er sich. "Und wegzulaufen löst die Probleme ebenfalls nicht." Er seufzte und schaute zur Tür. Madiha war schon auf dem Weg dorthin, öffnete sie, um Corax wieder herein zu lassen. Es war aber nur der Regen, der Einzug hielt, zusammen mit einer aufgekommenen Brise. Sie roch und schmeckte salzig, war deutlich kühler als Sarmaer es gewohnt waren. Sie peitschte Madiha einige Tropfen direkt ins Gesicht, so dass sie eine Weile in der Dunkelheit nichts erkannte als das verwaschene Bild des Hafens. Nachdem sich ihre Augen an die vorherrschende Nacht gewöhnt hatten, musste sie feststellen, dass der Rabe verschwunden war. Überhaupt wirkten die Straßen jetzt wie leer gewaschen. Der Regen trieb selbst die Dunkelelfen zurück in die Hurenhäuser, Tavernen und Heime, die sie sich angeeignet hatten. Dies konnte man auf einer Seite durchaus als Glück bezeichnen, denn so war niemand auf das Geschrei aus der Kneipe aufmerksam geworden. Dass Corax sich aber aus dem Staub gemacht hatte, bedeutete nichts Gutes. Madiha rief nach ihm. Regenprasseln antwortete, aber kein Rabenschrei erklang.
"Er ist weg...", teilte sie mit und kehrte ins warme Innere zurück. Sie sperrte den Regen aus, wandte sich Caleb und der Wirtin zu, die hinter dem Tresen hervor lugte. Jetzt, da die beiden wieder Menschen waren, fasste sie offenbar neuen Mut. Sie hatte sich gewaltig erschreckt. Nun schienen die Toten sie aber ebenso wenig zu verängstigen wie all das Blut am Boden. Sie griff sogar nach Eimer und Lappen, als wollte sie sich gleich an die Arbeit machen. Erst jetzt mochten weitere, getrocknete und spärlich geschrubbte Flecken am Boden auffallen. Noch nicht sehr alt, aber auch auch nicht mehr von gestern. Und plötzlich erschienen aufgeschlitzte Polsterungen der Barhocker und Kanten im Holz der Tische, die von eingeschlagenen Waffen künden mochten, eine neue Bedeutung zu erhalten.
Caleb beobachtete die Wirtin. Er erhob sich, um ihr die Putzutensilien abzunehmen. Sie zuckte zusammen, wich aber nicht mehr ängstlich in eine Ecke zurück. Während Caleb sich also daran machte, das Blut vom Boden zu schrubben, lauschte er Madiha. "Wir halten an unserem Plan fest. Vielleicht kommt er wieder ... ihretwegen."
"Wenn nicht, geht das auf meine Kappe." Er machte sich bereits jetzt Vorwürfe, Corax so hart angegangen zu sein. Jetzt, nachdem der erste Schrecken verflogen war und Caleb verstand, was die Beweggünde waren. Es ließ den Massenmord nicht weniger hart erscheinen, aber es könnte eine Freundschaft retten, die angefangen hatte, sich zu etablieren. Mit jedem Zug, den der Schrubber über den Boden machte und das Blut mit Wasser verdünnte, bastelte Caleb gedanklich an seiner Entschuldigung und wie er sie hervorbrachte, ohne den Mord gleichzeitig herunterzuspielen. Er sah hochkonzentriert aus, so dass Madiha sich erst einmal an die Wirtin wandte. Jene stand für den Moment etwas hilflos im Raum. Caleb hatte ihr die Ablenkung genommen.
"Es tut mir sehr leid, was du erleben musstest..."
"Ich hab das schon bei ... meinem Bruder..." Sie brach ab, weil ein Aufschluchzen ihre Stimme zum Erliegen brachte. Rasch schüttelte sie den Kopf, um aufkommende Erinnerungen zu vertreiben. Corax war nicht der einzige Dunkelelf, der mit einer Klinge durch Andunies Lebende wütete.
"Weißt du zufällig, wo wir das Haus der van Ikaris finden können? Wir wollen ... sie ihren Eltern zurückbringen, falls sie noch leben..."
Das strohblonde Mädchen folgte Madihas Fingerzeig zu Azuras Leichnam. "D-das ist sehr nobel von euch", murmelte sie etwas tonlos, aber aufhrichtig. "I-ich ... nein. Van Ikari klingt adelig. Sie befinden sich bestimmt irgendwo im Zentrum, im Viertel der Wohlhabenden. I-ich kann mich aber schlau machen. Wenn ihr so lange hier ... hier warten wollt." Sie betrachtete Madiha einen Moment lang, ehe sie hastig und mit erhobenen Händen anfügte: "Ich werde euch nicht an die Dunklen verraten. Ich schwöre es! A-aber ich weiß, wen ich fragen könnte. Es dauert nicht lange, wirklich. Ihr könnt ... so lange hier etwas essen oder euch ausruhen. I-ich hab Schlafzimmer oben."
"Hast du andunischen Apfelwein?", fragte Caleb plötzlich und stellte seinen Wischmob zurück in den Eimer, dessen Seifenwasser bereits tiefrosa geworden war. Die Wirtin nickte. "Jede Taverne in Andunie hat Apfelwein. I-ich hab nicht den besten Jahrgang, aber..."
Caleb trat an Madihas Seite. Da er durch das Wischen auch seine Hände hatte etwas reinigen können, zögerte er nun nicht mehr, nach der ihren zu greifen. Sein Grinsen war nicht so spitzbübisch, nicht so echt wie sonst, aber er versuchte, Ruhe in die Situation zu bringen. Er kaschierte seine wahren Gefühle, wie immer. "Du wolltest doch welchen probieren. Nutzen wir die Gelegenheit und geben ... Corax Zeit, zurückzukommen, hm?"
Dann wandte er sich an die Wirtin: "Wäre es gefährlich, wenn du dich jetzt nach den van Ikaris erkundigst? Ich meine, für dich als Mensch auf den Straßen?"
Sie schüttelte den Kopf. "Wenn wir nicht auffällig werden, bleiben wir recht unbehelligt. Es gibt ... natürlich Ausnahmen." Ihr Blick huschte kurz zu all den Toten und wieder zurück zu Caleb. "Ich gehe los. Ihr wartet hier und ich ... ich bringe bestimmt gute Nachrichten."
Caleb nickte. "Wenn wir das Haus der van Ikaris nicht ausfindig machen können, kenne ich ein anderes als Alternative." Er atmete tief durch. "Die van Tjenns haben ziemlich komfotabel gelebt."
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 28. Dezember 2022, 19:53

Madiha wusste nicht was sie alles zu tun bereit wäre, wenn die Umstände es von ihr verlangten. Vielleicht war ihr prägendes Leben daran Schuld, vielleicht entdeckte sie aber auch gerade, dass sie jemand war, der es anderen Recht machen wollte. Der sich selbst geringer schätzte und sich damit hintenanstellte. Ob das nun ein angeborener Charakterzug war oder aber aus dem Leben selbst geboren, welches sie bis hierher gelebt hatte.. das vermochte sie nicht zu sagen. Allerdings war auch dem Wüstenkind klar, dass Mord etwas vollkommen anderes war, als sich selbst zu schaden, indem man in Dinge einwilligte, die nicht richtig waren. Würde sie einen Mord begehen? Die Frage beschäftigte sie, auch wenn sie bereits Caleb’s beantwortet hatte. Denn dass sie nicht vehement verneinte und sich echauffierte, wie er das von ihr denken könnte, nagte an ihr. Corax war zum Töten auserkoren. Und Madiha besaß zwar mehr Moral als er, aber ebenso wenig Handhabe, wenn es darum ging, von stärkeren und mächtigeren ausgenutzt zu werden. Caleb hatte eine hohe Moralvorstellung bewiesen, indem er nicht gleich über die Tat hinwegsehen und erkennen konnte, aus welcher Not das geboren wurde. Das machte ihn in Madiha’s Augen zu einem wertvollen Menschen, denn sie selbst hatte wenige mit dieser Tugend kennengelernt. Sie kannte es, dass Männer ihre Würde verloren, ihre Haltung und ihr Ehrgefühl, wenn es um niedere Gründe ging. Sie hatte steife Händler gesehen, mit allen Wassern gewaschen, die auf ein Bisschen mehr Haut angespitzt reagierten oder bei einem devoten Blick alles über Bord warfen, was sie ausmachte. Wenn der Preis stimmte, wenn die Umstände stimmten, konnte sich vieles ändern… und deshalb war es ihr auch nicht so einfach möglich, die Frage von Caleb leichtfertig zu beantworten. Und weil er so mit dem was er empfand haderte, suchte Madiha die Nähe zu ihm, um ihm eine Art Trost zu spenden. Sie versuchte Nähe aufzubauen, wurde aber immer wieder durch andere Dinge unterbrochen. Es ging weiter, immer weiter und es blieb keine Zeit, für einen Moment zu verarbeiten, dass vor ihren Augen erneut Lebewesen ihren letzten Atem taten. Die Schrecken waren derlei viele und trotzdem erkannte Madiha eine seltsame Stärke in sich, die sie bisher kaum wahrgenommen hatte.

Ihr Fokus wurde von Caleb abgelenkt, durch die Wirtin. Sie wollte Corax wieder zu sich rufen, wollte ihm klarmachen, dass er viel zu weit gegangen war und er so etwas nie wieder tun dürfte. Doch Corax war weg. Und Madiha schluckte einen bitteren Kloß hinunter. Glaubte er, er dürfe nicht wiederkehren? War nun alles vergebens gewesen, was sie bereit war zu ändern? Madiha hatte Caleb nicht aufhalten können, sich an Corax abzureagieren. Nun hatte das zur Folge, dass der Rabe vermutlich glaubte, er wäre nicht mehr erwünscht. Mit wachsenden Sorgen sah sie in die Dunkelheit der Straßen und nahm nur am Rande wahr, dass die Gassen wie leergefegt waren. In Sarma war es eher nicht so, denn die Dunkelheit brachte Abkühlung und rief ohnehin das Gesindel auf den Plan. Foch das alles waren nur lose Gedankenfetzen, die derzeit nicht wichtig waren. Mit der schlechten Nachricht im Gepäck, versuchte das Mädchen aus Sarma trotzdem irgendwie den Kopf oben zu behalten. Sie würden ihren Plan weiterverfolgen. Was blieb ihnen auch? Ihr Blick huschte zum Dieb, der sich nun mit Schuldgefühlen zu plagen schien. Madiha schüttelte leicht den Kopf. „Sag das nicht.. du bist kein totes Kamel, das nichts mehr fühlt. Wir machen Fehler, er den größten und dennoch… er wird es erkennen und … ich bin mir sicher, er kommt wieder.“, ein winziges Lächeln, Mut machend und doch auch unsicher, zierte ihr Gesicht. Sie wollte ihm die Last nehmen, auch wenn sie nicht recht wusste, ob Corax die Einsicht gelang, dass noch nicht alles verloren war. Sie brauchte noch einige Sekunden, in denen auch das Lächeln wieder verblasste und wandte sich an die Wirtin mit ihren Fragen. Leider verneinte sie, sodass Madiha ratlos zu Azura blickte.
Doch das strohblonde Mädchen, hatte einen Vorschlag: “ I-ich ... nein. Van Ikari klingt adelig. Sie befinden sich bestimmt irgendwo im Zentrum, im Viertel der Wohlhabenden. I-ich kann mich aber schlau machen. Wenn ihr so lange hier ... hier warten wollt. Ich werde euch nicht an die Dunklen verraten. Ich schwöre es! A-aber ich weiß, wen ich fragen könnte. Es dauert nicht lange, wirklich. Ihr könnt ... so lange hier etwas essen oder euch ausruhen. I-ich hab Schlafzimmer oben.", bot sie an und die Dunkelhaarige wandte sich nachdenklich zu ihr um.
Ihr Blick glitt an ihr vorbei, sodass sie Caleb dabei zusah, wie er den letzten Rest des Blutes aufwischte. Erneut wurde ihr schlecht, sodass sie den Blick abwandte. Um sich abzulenken, richtete sie ihre Aufmerksamkeit erneut auf das Mädchen. Sie wollte gerade etwas erwidern, als Caleb plötzlich seine Frage stellte. Madiha hob die Augenbrauen. Jetzt? Obwohl… vielleicht würde es die Nerven etwas beruhigen können… und da kam plötzlich, trotz all der Schrecken, dieses warme Gefühl auf, das sich in ihr ausbreitete. Madiha hob die Mundwinkel etwas an, als er neben sie trat und als er ihre Hand griff, spürte sie, wie sich ein paar der Knoten in Luft auflösten. Sie rutschte mit einem kleinen Schritt dichter an ihn heran und umschloss seine Hand mit der ihren. „Du wolltest doch welchen probieren. Nutzen wir die Gelegenheit und geben ... Corax Zeit, zurückzukommen, hm?"

Sie nickte auf seine Idee hin und widmete sich ebenfalls der Wirtin. Dass sie einer Gefahr ausgesetzt würde, wollte Madiha indes auch nicht. Es war genug geschehen und offenbar hatte auch sie bereits genug erlebt. Doch das Mädchen verneinte und zerstreute ein wenig ihre Sorgen, sodass der Plan Bestand hatte. Sie würde sich erkundigen und Caleb sowie Madiha konnten einen Moment die Tat ihres Freundes verarbeiten… "Ich gehe los. Ihr wartet hier und ich ... ich bringe bestimmt gute Nachrichten." Madiha lächelte das Mädchen etwas an. „Das ist wirklich nett von dir. Danke…“, meinte sie aufrichtig und sah ihr nach, als sie die Taverne verließ. Sie hatte mit Sicherheit auch ein wenig Ruhe nötig und vielleicht half ihr die kalte Luft, das Geschehene zu verarbeiten… irgendwie. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, brauchte Madiha einen Moment, um sich wieder Caleb zu widmen. Ihre Gedanken waren noch träge von dem Erlebten und wollten sie mit Bildern quälen, doch sie blieb standhaft. Seine Stimme holte sie wieder ins Jetzt und der vertraute Klang ihrer Heimatsprache, half Madiha sich auch auf das Gesagte zu konzentrieren. „Wäre das für dich denn in Ordnung?“, fragte sie zweifelnd und sich erinnernd, dass Caleb nicht gern an seine Familie dachte oder über sie sprach. Madiha drückte seine Hand und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Warten wir ab, was sie für Informationen erhalten kann. Irgendjemand müsste doch wissen, wo sie leben.. und sollte uns sonst keine Alternative einfallen.. nehmen wir das Haus deiner Familie als letzten Ausweg. Vielleicht gäbe es hier aber auch ein - oder zwei... natürlich also -Zimmer, die wir… nun… trotz allem beziehen könnten vorerst.“, überlegte sie und ließ den Blick schweifen. Einladend war es hier wirklich nicht gewesen und jetzt ohnehin nicht mehr. „Obwohl ich gar keine Münzen habe…“, murmelte sie noch ehrlicherweise und verzog etwas das Gesicht dabei. Dann zuckte sie die Schultern und atmete leise aus. Ihr Gesicht wurde wieder ernst, während ihre Augen auf den Toten ausharrten. Immer wieder durchlebte sie die schrecklichen Momente, hörte die Rufe, das Schneiden, das Schmatzen… Das Gurgeln. Madiha kniff die Augen zusammen und setzte eine ebenso halbherzig gut gemeinte Miene auf, wie er.„Ich denke, ich würde jetzt gern etwas von dem berühmten Apfelwein probieren…“, erwiderte sie und zog ihn leicht mit in Richtung Theke.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 29. Dezember 2022, 09:59

Die Wirtin ließ sie allein zurück. Wären die noch immer sichtbaren Spuren des Massakers nicht gewesen, hätte es nunmehr durchaus romantisch zwischen Caleb und Madiha werden können. Aber nach wie vor erkannte man dunkle Flecken auf den Holzdielen. An der Wand direkt bei der Nische reihten sich die getöteten Elfen auf. Die beiden Orks hingen wie leblose Säcke auf dem Rundtisch, an dem sie ihren letzten Rausch erhalten hatten. Wenigstens hatten sie auf diese Weise wohl kaum mehr ihr Ende richtig mitbekommen. Und dann war da noch Azura. Ohne Sarg bot auch sie einen erschreckenden Anblick, denn das Stadium ihrer Verwesung hatte bereits eingesetzt. Noch zeigten sich keine Maden, die sich durch ihre Eingeweide fraßen, aber die Haut löste sich an diversenen Stellen schon vom Fleisch, welches begann zu faulen. Bald würde sie richtig stinken! Es wurde Zeit, sie zu ihren Eltern zu bringen und falls diese auch nicht mehr lebten, wenigstens so nahe wie möglich an ihrem Heim zu bestatten.
Ohne die Hilfe der Wirtin kämen die Flüchtlinge aus Sarma aber nicht weit, denn Corax war fort und nicht einmal Caleb wusste, wo sich das Anwesen der van Ikaris befand. Ihnen blieb somit erst einmal nichts Anderes übrig als zu warten. Das war keine schlechte Sache, denn beide konnten sich nicht nur Zeit füreinander nehmen, sondern wenigstens im Kopf oder bei einem Gespräch untereinander das eben Erlebte noch einmal aufarbeiten.
Caleb zählte nicht zur Sorte Mensch, die sich den Kummer von der Seele sprach. Er lenkte sich mit Arbeit ab und kaschierte anschließend. Das kannte Madiha bereits von ihm und in weniger entsetzlichen Situationen brachte ein Witz oder sein schiefes Grinsen durchaus Lockerung in eine verzwickte Lage. Jetzt aber war nicht einmal ihm groß zum Scherzen zumute. Ganz aus seiner Haut konnte er dennoch nicht. Das hatte sich gezeigt, als er nach dem andunischen Apfelwein gefragt hatte. Die Wirtin hatte sie beide mit einer Flasche zurückgelassen.
Der Wüstendieb studierte das Etikett. "Sie hat Recht. Es ist nicht der beste Jahrgang. Sei also nicht zu kritisch." Es sollte die üblich lockere Äußerung sein, aber er brachte sie nicht so unbeschwert herüber wie sonst. Sein Lächeln war auch mehr aufgesetzt. Er zwang sich dazu, erst einmal zu verdrängen. Caleb brauchte das. So überwand er schnurstraks die Theke, indem er sich mit zwei Schritten umrundete. Schnell fand er zwei Krüge. Auf Gläser musste man vergeblich hoffen. Caleb füllte die Becher zu jeweils einem Drittel mit dem goldenen Getränk, das sofort eine süßliche Apfelnote verströmte. Er schnupperte gar an der Flasche. Es tat gut, den Leichengeruch mit etwas Angenehmeren zu überdecken.
"Wäre das für dich denn in Ordnung?"
"Hm? Ich betrinke mich ja nicht das erste Mal im Leben." Caleb schaute auf. Dann erkannte er, dass Madiha den Wein gar nicht zum Thema gemacht hatte, sondern seinen angedeuteten Vorschlag, das eigene Heim und somit auch seine eigenen Eltern aufzusuchen. Er brummte. "Teils, teils ... meinem Vater unter die Augen zu treten, darauf lege ich es nicht unbedingt an." Er schnaubte, nicht ohne halb dabei zu schmunzeln. "Das wird eine Standpauke geben: 'Wie konntest du es wagen vorzutäuschen, auf See verschollen gegangen zu sein!' Oder er wird etwas sagen wie 'Drei arrangierte Hochzeiten sind geplatzt, weil du dich nicht einer Braut vorgestellt hast - schon wieder!' Ohja, ich habe wirklich wenig Lust, ihm unter die Augen zu treten." Er sog noch einmal den Duft des Weines durch die Nase ein. Anschließend blickte Caleb eine ganze Weile auf den Inhalt seines Bechers. "Aber es ist hinnehmbar, wenn wir dafür einen sicheren Unterschlupf bei Menschen haben, denen ich zumindest vertrauen kann, dass sie uns nicht an die Dunklen ausliefern."
Er reichte Madiha einen von zwei Bechern über die Theke, umrundete selbige dann erneut und zog sich einen der noch heil gebliebenen Barhocker heran. Caleb ließ sich schwerfällig darauf nieder, umfasst seinen Krug mit beiden Händen. Er trank den Inhalt in einem Zug aus. "Mach das nicht so", riet er mit einem halb unterdrückten Aufstoßen. "Nimm dir Zeit, den Wein kennen zu lernen. Riech an ihm, schwenk ihn ein wenig, damit er sich entfalten kann. Dann nippe vorsichtig daran. Lass ihn nur deine Lippen und Zungenspitze berühren. Anschließend kannst du dir einen ersten, kleinen Schluck genehmigen, der deinen Gaumen für den Rest bereit macht. Danach trinkst du einen größeren Schluck. Und dann sagst du mir, wie du ihn findest."
Nichts übertraf andunischen Apfelwein. Vor allem dann nicht, wenn er mit einer Honig- oder Nussnote durchzogen war, um ihn besonders fruchtig oder eben nussig schmecken zu lassen. Natürlich existierten auch Varianten, so genannte Mischweine. Andunischer Apfel und eldarische Erdbeere harmonierten sehr gut miteinander. Es waren aber auch Sorten beliebt, die mit Kräutern wie Minze oder etwas Ingwer durchsetzt waren. Nichts von alledem fand sich in der Flasche des Wirtshauses. Hier hatte man den Wein eher mit Wasser gestreckt, trotzdem besaß er eine fruchtig süße Note. Man schmeckte allerdings deutlicher den Alkohol heraus und wusste somit schneller, wann man zu viel hatte. Zum Glück war er um längen nicht so scharf wie ein kräftiger Rum. Man konnte ihn trinken und Lust auf eine bessere Qualität bekommen. Wäre dies aber die einzige Flasche andunischen Apfelweins, die Madiha in ihrem Leben probieren würde, dürfte es ihr schwer fallen zu glauben, dass es das regionale Lieblingsgetränk und ein Verkaufsexport in andere Städte war.
Während Caleb noch eine Reaktion abwartete, ging er auf Madihas Vorschlag ein, hier ein Zimmer zu beziehen. Er warf dabei zunächst einen Blick über die Schulter. "Vielleicht sollten wir uns in dem Fall eine weniger blutige Taverne suchen. Das würde aber bedeuten, dass wir Azuras Körper durch die Stadt tragen müssen - als Menschen, dieses Mal, und ohne einen Sarg. Aber für eine Nacht können wir bestimmt hierbleiben. Um eine Bezahlung brauchst du dir auch keine Gedanken zu machen." Er klopfte an einen kleinen Lederbeutel an seinem Gürtel, der vom Hemd bisher gut verborgen worden war, weil der Stoff etwas überhing. "Ich sagte doch auf der Möwe schon, dass Jakub von den Dunkelelfen gut ausgezahlt worden ist. Hrm ... vielleicht kommen wir in dem Gasthaus unter, in das er sich einquartieren wollte." Der Dieb rieb sich nachdenklich das Kinn. Plötzlich fiel sein Blick auf Madiha. Er betrachtete sie. Wärme legte sich auf seine Züge und er senkte die Lider einen Deut weit. Sein Gesicht näherte sich dem ihren. Caleb versiegelte ihre Lippen mit den seinen, wobei er nur anfänglich etwas zaghaft vorging und schaute, ob Madiha den Kuss auch wollte. "So schmeckt zumindest mir der Wein gleich noch etwas besser."
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 29. Dezember 2022, 16:32

Die Ruhe, die einkehrte war Balsam und Fluch gleichermaßen. Das Schloss klickte dumpf, nachdem das andunische Mädchen hinausgetreten war und ließ sie zurück mit Caleb. Keiner von ihnen sprach sofort ein Wort. Sie beide mussten sich wohl noch immer ihrer Gefühle klarwerden und zumindest Madiha haderte noch mit den Bildern des Erlebten. Allerdings kannte Madiha den Dieb seit geraumer Zeit und wusste, dass er nicht darüber sprechen wollen würde. Nicht gleich und vielleicht nie, sodass sie sich ebenfalls entschloss, nichts dazu zu sagen. Jeder ging auf seine Weise mit Erlebnissen um und sie trug ohnehin bereits einen Sack voll mit ungeklärten Problemen, Bildern und Erlebnissen mit sich, sodass ein weiterer Schrecken wohl kaum ins Gewicht fiel. Madiha entschloss sich, für einen Moment die Dinge so zu lassen, wie sie gerade waren und zog Caleb mit sich in Richtung Theke. Sie setzte sich auf einen der Barhocker, sparte aber ganz bewusst die drei aus, die vorher von den Dunklen besetzt gewesen waren. Sie entschied sich für die gegenüberliegende Ecke und legte ihre Unterarme auf den Tresen, während Caleb um das Holz herumging und hinter ihn trat. Madiha beobachtete den Dieb eingehend als er das Etikett studierte. Sie ließ ihren Blick über sein Profil wandern und prägte sich die feinen Nuancen seines Ausdrucks ein. Wann hatte sie je Zeit gehabt, das zu tun?
Madiha wurde ruhiger, während er sich um die Getränke kümmerte. Ihr fiel auf, dass er nicht ganz so sorglos wirkte, wie sie es gewohnt war, doch das war etwas, was sie nur gutheißen konnte. Sich immer zu verstellen, immer gute Miene zum bösen Spiel zu machen, half der Seele nicht zu heilen. "Hm? Ich betrinke mich ja nicht das erste Mal im Leben.“ Madiha schmunzelte und wartete, bis er aufsah und verstand, dass sie davon nicht gesprochen hatte. "Teils, teils ... meinem Vater unter die Augen zu treten, darauf lege ich es nicht unbedingt an. Das wird eine Standpauke geben: 'Wie konntest du es wagen vorzutäuschen, auf See verschollen gegangen zu sein!' Oder er wird etwas sagen wie 'Drei arrangierte Hochzeiten sind geplatzt, weil du dich nicht einer Braut vorgestellt hast - schon wieder!' Ohja, ich habe wirklich wenig Lust, ihm unter die Augen zu treten.", erzählte er und sie lauschte interessiert. Aber es ist hinnehmbar, wenn wir dafür einen sicheren Unterschlupf bei Menschen haben, denen ich zumindest vertrauen kann, dass sie uns nicht an die Dunklen ausliefern." Sie schlug die Augen nieder und nickte leicht.

Caleb schob ihr ihren Becher zu, den sie mit ihrer Rechten empfing und schaute wieder auf, als er sich neben sie setzte. Madiha beobachtete ihn weiterhin, wie er den Becher im einem Zug leerte. Sie schaute auf ihren eigenen und wirkte ein wenig unentschlossen, doch er schien ihre Gedanken zu lesen. "Mach das nicht so", sie sah fragend zu ihm auf. Während er ihr erklärte, wie sie den Wein am besten schmecken konnte, schaute Madiha auf ihren Becher und hob ihn zögerlich an. Sie folgte seinen Anweisungen, während er sie aussprach und roch an dem Getränk. Sofort wurde ihre Nase von der süßlichen Note gekitzelt. Sie zuckte überrascht zurück und lächelte leicht. Süß hatte sie bereits bei den Datteln mit Honig genießen können und es gefiel ihr. Madiha hatte sehr selten Süßes kosten dürfen und jetzt war sie davon sehr angetan. Dann setzte Madiha ihren Becher an und ließ die Flüssigkeit ihre Lippen benetzen, bevor sie einen ersten Schluck nahm. Das Mädchen schmeckte die schwere Süßen und nahm gleich noch einen Schluck, so wie er ihr das empfohlen hatte. Der Alkohol war zwar nicht so scharf, wie der billige Fusel, den sie hin und wieder trinken musste, aber er reizte ihren Gaumen. Madiha hustete leise und nickte, ehe sie den Becher wieder abstellte.
Sie hatte lange keinen Alkohol mehr getrunken, bis auf die paar Schlucke der kleinen Flasche an Bord der Blauen Möwe. „Er ist lecker.. ich bin überrascht, wie sehr man Apfel schmeckt. Ich habe bisher nur einmal ein Stück Apfel gegessen, aber… der Geschmack ist intensiv und … es schmeckt mir wirklich erstaunlich gut. Auch wenn er etwas brennt.“ , bescheinigte sie und nahm noch einen Schluck. Caleb kam auf ihre Unterbringung zu sprechen und sie seufzte, während ihr Blick die Leichen mied. Madiha rieb sich über das Gesicht und nickte abermals. Sie stellte den Becher beiseite und wandte sich ihm zu. „Mir ist es gleich, wo wir unterkommen…“, erwiderte sie und sie war nun wirklich so gar nicht anspruchsvoll was das anging. „Hauptsache wir können uns endlich mal ein kleines Bisschen sicher fühlen…“,, murmelte sie erneut von allem Erlebten ergriffen und ließ den Blick sinken.

Ihr Blick fiel auf seinen Lederbeutel und sie verzog kurz den Mundwinkel. „Danke..“, sagte sie schlicht, denn es war nicht ihr Geld, was er da anzeigte. Sie besaß nicht einen Fuchs, sodass sie darauf angewiesen war, dass jemand für sie bezahlte. Auch wenn Madiha davon niemals ausgehen würde. Deshalb war es für sie selbstverständlich, sich bei dem Dieb zu bedanken, denn sein stilles Angebot, für sie mit zu bezahlen, hielt sie ebenso wenig für vorausgesetzt. Erneut richtete sie ihren Blick auf den Becher. Sie bemerkte den Blick seitens Caleb nicht, erst seine Bewegung in ihre Richtung, ließ sie sich erneut ihm zuwenden. Abwartend musterte sie ihn, während er sich ihr entgegenlehnte und nach ihren Lippen suchte. Madiha’s Herz flatterte bei seiner Nähe und sofort schoss ihr die Wärme in die Wangen. Die zärtliche Unsicherheit dauerte nur einen Moment an, in dem Madiha sich ihm nicht entzog. Noch immer konnte sie kaum glauben, dass Caleb tatsächlich etwas für sie empfand.
Sie schloss ihre Augen und erwiderte den Kuss voller Sehnsucht nach seiner Nähe. Er gab ihr Geborgenheit und er gab ihr Wärme, selbst an so einem Ort und all den Schreckensgespenstern um sie herum. Madiha hatte sich mit ihren Händen auf seinen Oberschenkeln ein wenig abgestützt, um nicht vom Hocker zu rutschen, bevor er sie löste. Leuchtende Augen sahen ihm dabei zu, wie er sie musterte. Sein Kompliment ließ sie abermals erröten und lächeln. Dann wurde sie etwas mutiger. Sie nahm ihren Becher und nahm einen weiteren Schluck des Weines, sodass ihre Lippen erneut benetzt wurden. Sie wandte sich ihm zu, blickte ihn aus hellen Augen an und lehnte sich ihrerseits etwas vor. „Noch mehr?“, fragte sie heiser, weil sie sich selbst ein wenig vor ihrer Courage erschreckte. Allerdings füllte der Wein ihren Körper mit Wärme an und Caleb’s Nähe in Verbindung mit dem Kuss, ließen sie vergessen… Madiha suchte nun ihrerseits seine Lippen, um einen erneuten Kuss zu ergattern und schloss dieses Mal sogar die Augen dabei. Ein wenig unsicher und vorsichtig ging sie noch vor, denn das war für sie gewiss noch lange nicht selbstverständlich, sich ihm auf diese Weise zu nähern. Doch sie mochte es und für einen Moment gönnte sich die Sarmaerin eine kleine himmlische Auszeit, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was hier passiert war, wohin Corax verschwand oder wie sie Azura bis zu ihrem Elternhaus bekämen. Madiha schlang die Arme um Caleb’s Nacken, um sich ihm ein wenig entgegenzudrücken und liebkoste seine Lippen zärtlich und mit Hingabe.
Sie löste sich nach einer schönen Ewigkeit, legte ihm eine Hand an die Wange und lächelte ihn an. Ihre Augen tasteten sein Gesicht ab, während sie ihn im Glanz ihrer Zuneigung badete. Langsam strich sie ihm über den stoppeligen Bart und betrachtete jede Nuance seines Gesichts. „Wieso bist du aus deiner Heimat geflohen, Caleb? Du sagtest, du hättest so getan, als wärst du auf See verschollen. Und dass du arrangierte Ehen platzen lassen hättest..“, sie löste sich ein wenig von ihm und hob dennoch nicht ganz die Nähe auf. Sie selbst hatte das Gefühl, gerade das jetzt zu brauchen. Einfach einen Moment ohne all die Sorgen, die im Hintergrund lauerten. „Ist es denn üblich, dass man hier Ehen arrangiert?“, wollte sie wissen, denn sie hatte damit kaum etwas zu tun gehabt. Lediglich Zwangsehen kannte sie, auch wenn sie nie dafür in Frage gekommen wäre. Sie war Eigentum, keine Tochter aus dem Hause eines Reichen. Diese hatte man oft zwangsverheiratet. Dass auch Caleb das erleben sollte, wunderte sie. „Wieso hat dein Vater das von dir verlangt?“, fragte sie weiter und musterte ihn aufmerksam, während sie halb vor ihm stand, halb auf seinem Schoß hockte, um die Nähe weiterhin genießen zu dürfen und das Gefühl von Geborgenheit nicht gleich wieder zu verlieren.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Freitag 30. Dezember 2022, 00:19

Calebs Adamsapfel hüpfte leicht, als er den Wein in wenigen Zügen herunterschluckte. Ob er genauso süß schmeckte wie das Getränk selbst? Madiha machte die alkoholische Wirkung kaum etwas aus. Sie hatte wesentlich Stärkeres schon trinken müssen, meistens, damit sie sich einem Stelldichein nicht länger sträubte. Wenn es nicht Drogen waren, die ihren Willen betäubten, dann doch ein kräftiger Dattelschnaps aus Khasibs Spirituosenschrank. Bedauerlicherweise pflegte er für seinen Harem sehr, sehr wenig Datteln zu nutzen, so dass außer dem Brennen im Hals und dem Kater am Folgetag kaum etwas in Erinnerung blieb. Manchmal war das das Beste, was sich eine Sklavin wie Madiha hatte wünschen können. Sie besaß genug Erinnerungen von stinkenden, schwitzenden Männerleibern über dem ihren. Je weniger sich davon anhäuften, desto besser. Dafür hatte sie nur zu gern auch die Kopfschmerzen oder den Brechreiz am Folgetag in Kauf genommen.
Hier und jetzt war es anders. Der süßliche Wein und Calebs Anwesenheit schufen eine eigene Atmosphäre. Vielleicht stieg ihr der Alkohol aber nur bereits wieder zu Kopf, dass Madiha für den Moment die Schrecken im Rücken gänzlich ausblenden konnte. Sogar Corax' Schicksal und Azuras Überreste waren vergessen. Im Schein der Schankraumsbeleuchtung hatte sie plötzlich nur noch Augen für Caleb.
Dem Dieb schien es ähnlich zu gehen. Er setzte zwar das Gespräch zwischen ihnen fort, irgendwann aber lenkte auch er den Fokus einzig und allein darauf, Madihas Blick zu erwidern. So lange, bis ihre Lippen einander trafen. Mit dem genossenen Apfelwein, der wie ein schwacher Film daran hing, wuchs daraus eine gänzlich neue Erfahrung. Eine, bei der auch Madiha auf den Geschmack kam und nach dem ersten Kuss noch einen zweiten einforderte. Caleb gewährte ihn natürlich. Er schmunzelte sogar und seufzte in diesen hinein. Mit einer Hand zog er Madiha von ihrem Barhocker und auf seinen Oberschenkel, damit sie ihm näher sein konnte. Er hielt sie fest - an ihrer Hüfte und an seinen Lippen. Wie lange die beiden ihre Zungeigung auf diese Weise austauschten, gehörte der Bedeutungslosigkeit an. Madiha konnte es höchsten am Prickeln ihrer Lippen erahnen, als sie sich beide auch aus dem zweiten Kuss heraus lösten. Sie fühlten sich irgendwie leicht geschwollen an, brannten ein wenig, aber beides hinterließ nicht dieses Negative, das sie mit Khasibs Gästen verband. Im Gegenteil, sie musste feststellen: Caleb zu küssen war einfach nur schön.
Vielleicht regte sich sogar schon eine wachsende Sehnsucht nach mehr in ihr. Vielleicht war es aber auch nur die Wärme des Alkohols in ihren Adern. Um es nicht sofort eskalieren zu lassen - die Wirtin sollte kein Liebesspiel auf ihrem Tresen sehen müssen, wenn sie zurückkehrte - ging Madiha nun auf enige interessante Aussagen ihres Gefährten ein. Dinge, die er in seiner Aufgewühltheit zu unbedacht ausgesprochen hatte oder einfach, weil er Madiha genug vertraute, um sich ihr endlich zu öffnen. Letzteres war der Fall.
Zwar schaute er sie ein wenig wehleidig an, als sie erneut auf seine Eltern, seinen Vater im Speziellen, zu sprechen kam, er lenkte aber auch nicht ab wie sie es sonst von ihm gewohnt war. Er schob lediglich seinen bereits geleerten Becher beiseite, um den Ellenbogen auf dem Tresen und somit sein Gesicht in der Hand abzustützen. Von der Seite her musterte er Madiha.
"Es ist keine schöne Geschichte, die du von mir zu hören verlangst", begann er. Dann zuckte er mit den Schultern. "Aber vermutlich lachst du mich aus angesichts deines eigenen Schicksals." Für das er zu einem nicht unerheblichen Teil verantwortlich war. Er hatte sie in die Reihen verkauft, die aus ihr beinahe eine willenlose Sklavin gemacht hatten. Calebs Geschichte war im Vergleich wirklich eher jene eines Lausbuben. Harmlos und voller Flausen und Dummheiten, dennoch mit dem Wunsch nach Abenteuer gespickt, der ihn schon immer begleitet hatte.
"Die Geschichte beginnt entgegen allen Erwartungen nicht mit der Familie van Tjenn, denn die gab es damals noch gar nicht. Sie fängt an, dass Gregor Tjenninger - mein Vater - seinen Platz in Andunie fand. Er hatte Träume, wollte sich dort einen Namen machen und brachte all sein Erspartes auf, um eine Ausbildung in irgendeiner Hafenwerft zu beginnen. Sein Ehrgeiz als auch die väterliche Zuneigung seines Lehrmeisters sorgten dafür, dass er sich an dessen Sterbebett nicht nur die Hand meiner Mutter sichern konnte, sondern auch gleich noch die gesamte Werft. Wie sie früher hieß, weiß ich gar nicht. Von dem Tag an aber war sie als die Werft Tjenninger bekannt. Oh und wie bekannt sie wurde! Mein Vater hatte sich bei den Schiffern, den Seefahrern und Händlern, die Andunie anreisten, bereits einen Namen gemacht, da lag ich noch in Tücher gepackt in der Kinderwiege." Caleb legte eine Pause ein, als er sich an die vergangenen Zeiten erinnerte. Gute Zeiten offenbar, denn es trat ein nostalgischer Glanz in seine Augen und ein Lächeln kräuselte seine Mundwinkel. "Er war stolz auf mich. Als sein Sohn sollte ich eines Tages alles erben, was er geschaffen hatte. Das allein weckte in ihm den Erhgeiz, noch mehr aus sich, der Werft und seiner Karriere zu machen. Schon als Junge durfte ich ihn zu seiner Arbeit begleiten. Ich lernte die Schiffbauer kennen, klettterte auf den Meisterwerken herum, die sie für Kapitäne schufen und manchmal stahl ich mich auch bis an die Docks davon, um mir dort die Geschichten der Seefahrer anzuhören. Geschichten von fernen Küsten, von bezaubernden Königreichen und Ländern, die in Schnee lagen. Weißt du, was Schnee ist?" Er winkte ab. Würden sie länger auf dem Festland bleiben und weitere Schrecken überstehen, sähe Madiha sicherlich irgendwann die Welt auch im weißen Gewand vor sich liegen. Irgendwie konnte Caleb es kaum erwarten, ihr das zu zeigen.
"Um es kurz zu machen: Ich hatte den Kopf in den Wolken und reiste in meinen Träumen überall hin. Mein Vater bemerkte dies und leitete alles in die Wege, um aus mir keinen Werftbesitzer zu machen, sondern mich in der Seefahrt auszubilden. Er sah mich schon als Kapitän auf einem der Handelsschiffe, als er durch den Bau eben jener solche Bekanntheit und genug Geld erlangte, dass er sich einen Adelstitel kaufen konnte. Tja und da fing es an. Plötzlich änderte sich alles." Calebs Miene verdüsterte sich. Aus den schönen Erinnerungen einer abenteuerlustigen Kindheit entwuchs nun wohl der Grund dafür, dass er Andunie den Rücken gekehrt hatte. "Die Tjenningers gab es nicht mehr, auch wenn die Werft ihren Namen behielt. Mit einem Mal existierte aber das neu gegründete Adelsgeschlecht derer van Tjenn. Wir zogen aus unserem gemütlichen Fachwerk in eines der Anwesen im Viertel der Wohlhabenden. Es ist nicht groß, lachhaft im Vergleich zu den wirklich adligen Familienheimen, aber mein Vater sah sich dennoch plötzlich als gut betuchter Ehrenmann von Welt. Und mich ebenso. Zwar sollte ich die Ausbildung zum Kapitän noch immer fortsetzen - er schickte mich fortan auch auf kürzere Schiffsreisen, um meinen Horizont zu erweitern - aber sein großer Traum war es von da an, dass ich in eine der nobelsten Familien einheiratete. Jedes Mal, wenn ich erschöpft und mit dem Herzen voll Heimweh nach Andunie zurückkehrte, wartete dort schon irgendein Debütantinnenball darauf, dass ich mich in Seidenstumpfhosen, ein sauberes Rüschenhemd und einen samtenen Frack packte, eine Perrücke aufsetzte und mir das Gesicht puderte, damit man mich auch als ansehnlich genug empfand für die heiratswilligen Töchter." Er seufzte. "Ich habe nie eine schlimmere Welt gesehen als die des Adels, Madi. Hinter jedem Satz kann dein Untergang stehen, wenn du damit die falsche Person beleidigst. Nein, niemand bringt dich um, aber du bist entehrt und Adelsfehden führen meistens zum absoluten Ruin für eine von zwei Familien. Darüber hinaus hüllt man sich in feine Gewänder, speist von goldenen Tellern und lächelt kokettiert irgendeiner Frau zu, deren Charakter man nicht kennt, während sich ehrliche Männer bei ehrlicher Arbeit gerade so das Brot in den Mund verdienen können. Es ist an Heuchelei nicht zu überbieten und ich habe in meinem Leben nur wenig mehr gehasst als das." Er stutzte, spähte knapp über seine Schulter hinweg und zur Wand mit den dunkelelfischen Leichen. Das war wohl eine der wenigen, unerwähnten Sachen. Damit Madihas Fokus nicht auch dorthin flog, setzte er seine Geschichte rasch fort.
"Wann immer ich konnte, schrieb ich mich nun auf irgendeinem Schiff ein, unter dem Vorwand, mehr über meine Pflichten als künftiger Kapitän lernen zu wollen. Dass mir das Seefahrerleben keinen allzu großen Spaß machte, vor allem nicht in der Position eines Mannes mit Verantwortung, stellte ich bereits früh fest. Aber es war mir lieber als in schwarzen Schuhen mit Rüschenaufsatz über ein Holzparkett zu tanzen, irgendein Mädchen im Arm, das hoffte, mich zu heiraten und ich kannte nicht einmal ihren Namen. Aber ich konnte ja nicht immer auf See sein. Manchmal stahl ich mich davon, suchte Schutz in den billigsten Spelunken des Hafens. Eben dort, wo mein Vater mich nicht vermutete. Oder ich war ... meine Mutter verstand mich. Sie verriet mich nicht, wenn ich mich zu ihr in die Küche schlich. Sie wartete, bis die Luft rein war und dann backten wir gemeinsam andunischen Apfelkuchen." Eine erneute Pause trat ein. Calebs Miene war von warmer Liebe für seine Mutter erfüllt. "Aber Mama wurde auch nicht jünger und irgendeine Adlige trichterte ihr ein, dass es auch zu den Pflichten eines Adligen gehörte, die eigene Blutlinie fortzusetzen. Plötzlich sollte ich nicht nur irgendeine Fremde heiraten, sondern gleich ein Dutzend Kinder mit ihr in die Welt setzen, damit die van Tjenns lange bestehen blieben. Dieses Schicksal hing an mir, weil meine Mutter meinem Vater kein andere Kind mehr hatte gebären können. Es ... ich fühlte mich unter Druck gesetzt, ohne Mitspracherecht und ohne eine Wahl. Und als meine Mutter mich plötzlich auch immer mehr jungen Adligen vorstellte, sah ich in ihr keinen Hort der Zuflucht mehr. Ich sah in Andunie keine Heimat mehr. Alles in der Stadt schrie danach, mich in ein Leben zu sperren, das nicht für mich gemacht war. Also fuhr ich erneut auf See, mit einem Schiff, das gen Sarma steuerte. Ich zahlte dem Kapitän viel Geld, damit er meinem Vater berichtete, dass ich bei einem Sturm von Bord gegangen war und als verschollen galt. Dann gab ich mein altes Leben auf und suchte mir ein neues in Sarma. Ein hartes Leben als kleines Licht auf der Straße. Es war mehr ein Überleben, bis die Wüstendiebe auf mich aufmerksam wurden." Hier endete er. Es war auch genug. Nun kannte Madiha seine Lebensgeschichte, wenigstens im Groben. Es gab nur noch eine wichtige Sache zu erzählen. Eine, die er ihr jetzt nicht länger vorenthalten wollte, zumal es nun wohl auch nicht mehr wichtig war. "Azura hat mir offenbart, dass sie eine dieser Heiratskandidatinnen für mich gewesen war. Sie hat vergeblich darauf gewartet, dass Caleb van Tjenn ihr den Hof machte. Ich hab sie entehrt und bloßgestellt, weil mein Vater meine Abwesenheit entschuldigen musste. Stell dir vor, ich wäre nie nach Sarma geflohen ... dann wäre sie vielleicht die Mutter meiner Kinder." Er schluckte leer. Dann griff er erneut zur Flasche, um seinen Becher mit mehr Wein zu füllen. Er lachte dabei schief auf.
"Wie dumm! Ich hatte alles, aber dieser Taugenichts von Sohn hat seinem Vater lieber Schande bereitet, ihn verlassen und ist nun nichts mehr als ein Dieb ... und ein Freund von Mördern. Ich hoffe, er kommt zurück und verzeiht mir."
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 30. Dezember 2022, 16:28

Es war im Grunde ein Wunder, dass Madiha überhaupt die Nähe zu jemanden so aufbauen konnte, wie sie es bei dem Dieb tat. Das Mädchen hatte genug körperliche Nähe erfahren, um mehrere Leben damit zu füllen. Allerdings hatte sie das auch nicht geplant oder gar im Sinn gehabt, sich auf jemanden einzulassen. Caleb war für sie einfach stets eine Konstante gewesen und nicht ‚irgendjemand‘. Er war der einzige Mensch, der sie durch ihr tristes Dasein begleitete und immer mal wieder auftauchte. Er war das, was einer Familie am nächsten kam, wobei das auch nicht stimmte. Sie konnte die Verbindung zu ihm nicht näher definieren und nun zeigte sich auch de Grund dafür: Gefühle. Eben jene, von denen sie nicht mal wusste, dass sie zu ihnen fähig war. Dass sie sie empfinden und sogar zeigen konnte. Das neue Leben hielt Überraschungen bereit und diese neue Erfahrung war definitiv eine davon. Und Madiha ließ sich davon treiben, umsorgen und badete in der Wärme, die sie dabei empfand. Die Sarmaerin wuchs im heißesten Teil der Welt auf und lernte dennoch erst jetzt wahre Wärme zu schätzen. Was ein Blick, eine vorsichtige Berührung oder zärtlicher Kuss auslösen konnte, war trotz all ihrer Erfahrung damit, Neuland.
Während sie sich einen neuen Kuss von ihm stahl und sein Seufzen sie animierte, mutiger zu sein und die Arme um seinen Nacken schlang, spürte sie das Kribbeln, welches durch ihren Körper zog. Auch das war neu. Da gab es etwas, was sie bisher nie gespürt hatte. Aber so sehr Madiha sich am Liebsten in dieser Geborgenheit verloren hätte, so ganz freimachen von dem Tod um sie herum und dessen Begleiterscheinungen konnte sie sich natürlich nicht. Das Mädchen hauchte Caleb noch einen letzten, zarten Kuss über die Lippen und löste sich von ihm. Für einige Sekunden spürte sie das Kribbeln ihrer beanspruchten Lippen nach und hatte tatsächlich ein sanftes Lächeln um den Mund. Sie öffnete ihre Augen und betrachtete ihn, während sie sanft über seine Wange strich. Doch alles Schöne musste auch mal ein Ende haben, gerade weil sie sich derzeit wirklich in einer Ausnahmesituation und keiner schönen Umgebung befanden. Alles das, was aus ihrer Nähe hätte entstehen können, musste warten. Madiha aber wollte die Nähe nicht gänzlich auflösen, sodass sie auf seinem Schoß sitzen blieb und ihre Fragen stellte.

Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war es noch immer nicht sein Lieblingsthema, aber das Mädchen hatte Fragen und sie hoffte, dass er ihr hin und wieder welche beantwortete. Sie beobachtete ihn, wie ihr einen Blick von der Seite zuwarf und wartete geduldig. Er fand einleitende Worte und gerade sein kleiner Hinweis, ließ sie den Kopf schütteln. „Ich lache dich nicht aus.“, meinte sie sanft. „Das steht mir gar nicht zu.“, zuckte sie die Schultern und klang tatsächlich ehrlich dabei. Caleb schien es zu genügen, denn er begann von seinem Leben zu erzählen. Madiha beobachtete ihn genau, während er sprach und lächelte bei seinen Worten über seine Kindheit. Es war ein besonderer Moment, den Madiha um nichts in der Welt eintauschen wollte. Er war offen und schenkte ihr ein Vertrauen, das ihr schmeichelte. Ruhig saß sie auf seinem Schoß und ließ ihn in seiner Erinnerung schwelgen, während sie seine Mimik aufsog und für sich speicherte. Sie mochte den verschmitzten Caleb. Sie mochte seine Art sehr, doch das hier schuf eine neue Basis und hob ihr Miteinander an. Vertrauen nannte man es wohl und auch sie hatte gelernt, ihm das entgegenzubringen. Caleb erzählte von seiner Verbindung zu seinem Vater und wie stolz jener auf ihn gewesen war. Er hätte alles sein können, so glaubte Madiha, denn die Unterstützung seines Vaters wäre ihm sicher gewesen. Wie er als Junge sich hier in Andunie bereits dem Abenteuer widmete, durch die Straßen zog und seinen Spielplatz daraus machte. Madiha erinnerte sich dunkel an die Zeit als Kind. Damals, während ihre Mutter noch lebte und sie einander hatten. Auch ihre Augen schwammen kurz zur Seite, während sie sich an Fragmente erinnerte und kurz wissend lächelte. Auch wenn der Unterschied zu Caleb’s Erzählung immens war.
Es machte ihr nichts. Seine Frage, ob sie Schnee kannte, beantwortete Madiha mit einem überrascht-fragenden Blick und schüttelte leicht den Kopf. Schnee? Nein, davon hatte sie noch nicht gehört. Sie wollte nachfragen, aber Caleb sprach weiter und sie wollte ihn nicht unterbrechen. „Kapitän van Tjenn…“, murmelte Madiha und schmunzelte leicht. Er hatte sich damals verraten, als er das ausplauderte. Jetzt verstand sie die Zusammenhänge. Caleb aber erzählte weiter und es war wundervoll ihm zu zuhören.

Madiha hatte nie etwas anderes kennengelernt als Sarma. Jetzt von ihm seine Geschichte zu hören, war ein wahres Geschenk für sie. Bis sich seine Miene veränderte und sie wusste, dass die schönen Jahre vorbei gewesen waren. Dass es etwas in seinem Leben gab, das er nicht gern hatte, war ihr bewusst. Und offenbar wollte er sie auch hierbei ins Vertrauen ziehen. Madiha legte Caleb eine Hand auf seine, die sich nicht am Tresen abstützte. Es war nur eine Geste, die ihn in seinem Redefluss nicht unterbrechen sollte. Es war erstaunlich, wie viel Empathie sie zu geben wusste, jetzt, da sie frei von Ketten war. Das Mädchen hörte, wie sich seine Welt mit dem Einzug in die Welt der Reichen verändert hatte. Welche Pflichten ihm damit auferlegt wurden und wie er das mit seinem Freigeist nicht in Einklang zu bringen wusste. Trotz des ernsten Thema aber, konnte sich Madiha nicht verkneifen, kurz aufzuschnauben, als er von Perücken und Puderungen sprach. Ein Grinsen huschte über ihre Züge. Die Vorstellung von ihm in dieser Aufmachung, war dann doch etwas, was sie kurzzeitig zu amüsieren wusste. Auch wenn sie ihn gewiss nicht auslachte, dafür war Madiha nicht der Typ. Allerdings verschwand das Grinsen, als sie bemerkte, wie sehr ihm die Erinnerung daran zusetzte. Madiha blickte ernst in das Gesicht des Diebes und nickte verstehend bei seinen Worten über den Adel. Sie konnte sich diese Welt nicht vorstellen. Mit ihren Regeln und den Zwängen, der Maßlosigkeit, die Caleb beschrieb. Es war eine weit entfernte Gesellschaft, für Madiha weder erreichbar noch erstrebenswert, wenn sie das hörte. Er schaute zu den Leichen herüber und Madiha ließ den Blick auf den Tresen sinken. Hier waren einige Kerben und Abdrücke erkennbar, die ihre ganz eigenen Geschichten erzählten. Er sprach weiter und ließ sie an seinem Dilemma teilhaben. Madiha hörte weiterhin aufmerksam zu, besah sich aber die Verbände um ihre Handflächen und stellte fest, wie sehr sie unter den letzten Stunden gelitten hatten.
Das Mädchen begann damit, während seiner Worte, die Verbände zu lösen und sie abzuwickeln, bis ihre Hände frei von Schutz dalagen. Die dreckigen Tücher legte sie beiseite, während sie ihre Handflächen musterte. Sie stellte sich vor, wie er sich stets davonstahl, um seinem Vater zu entgehen, bis er seine Mutter erwähnte. Madiha hob den Blick wieder zu ihm und wurde belohnt: Der warme Ausdruck weckte in ihr erneut die Zuneigung und sie lächelte ihn milde an. Das waren gute Erinnerungen, wie sie erkannte. Er dachte gern daran zurück und sie nickte verstehend. „Der Apfelkuchen.. magst du ihn deshalb so gern?“, fragte sie im günstigen Moment nach und schenkte ihm ein Schmunzeln. Solche Erinnerungen hatte Madiha kaum noch.
Ihre Mutter hatte alles für sie getan, nicht zuletzt, sich selbst zu verkaufen, damit sie sich ab und an etwas zu Essen kaufen, statt stehlen, konnten. Aber das Leben auf der Straße war hart gewesen und so etwas wie Kuchen oder eine gemeinsame Tradition, gab es nicht. Oder? Madiha merkte auf, während sie darüber nachdachte. Zwar hatten sie nie eine Küche besessen, doch Madiha wusste noch, dass ihre Mutter wann immer sie es einrichten konnte, mit ihr zusammen auf den Stadtmauern gesessen hatte und sie gemeinsam beobachteten, wie der Mond sich mit den unzähligen Sternen über die Stadt erhob.

Caleb erlangte wieder ihre volle Aufmerksamkeit und sie sah zurück zu ihm. Nun tauchte auch Sarma in seiner Geschichte auf und Madiha rutschte etwas auf ihrem Hocker umher. „Und dort wärst du beinahe von einem kleinen Mädchen beklaut worden…“, grinste sie etwas und versuchte auch ihm die schweren Gedanken etwas zu nehmen. Es war die stumme Botschaft, dass sie froh war, dass er den Weg nach Sarma gefunden hatte. Natürlich war er maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass sie zur Sklavin wurde. Allerdings hegte Madiha keinen Groll. Sie war allein gewesen, ihre Mutter gestorben, ihren Vater kannte sie nicht und wo wäre sie vielleicht heute, wenn er damals nicht gehandelt hätte? Würde sie hier sitzen und sich Geschichten über andere Welten anhören, ja sogar selbst sehen können? Sie glaubte nicht. Sarma war kein Ort für Waisen und kein Ort für verwaiste Mädchen. „Azura hat mir offenbart, dass sie eine dieser Heiratskandidatinnen für mich gewesen war. Sie hat vergeblich darauf gewartet, dass Caleb van Tjenn ihr den Hof machte. Ich hab sie entehrt und bloßgestellt, weil mein Vater meine Abwesenheit entschuldigen musste. Stell dir vor, ich wäre nie nach Sarma geflohen ... dann wäre sie vielleicht die Mutter meiner Kinder."
Das überraschte Madiha dann doch. Ihr Grinsen verlor ein wenig an Kraft, während ihr Blick über seine Schulter die Tote suchte. Bereute er nun, das getan zu haben? Der Gedanke kam ihr tatsächlich kurz. Immerhin war sie schön gewesen, wenn auch eher äußerlich. Aber Madiha lies diesen Gedanken ziehen und nahm noch einen Verlegenheitsschluck aus ihrem Becher. “ Wie dumm! Ich hatte alles, aber dieser Taugenichts von Sohn hat seinem Vater lieber Schande bereitet, ihn verlassen und ist nun nichts mehr als ein Dieb ... und ein Freund von Mördern. Ich hoffe, er kommt zurück und verzeiht mir." War das Bitterkeit in seiner Stimme? Madiha hielt kurz inne und holte tief Luft. Erneut trank sie und versuchte sich klar über ihre Gefühle zu werden. Die Nachricht, dass ausgerechnet Azura jemand gewesen wäre, die auf ihn gewartet hatte… Madiha fühlte sich seltsam, weigerte sich aber, das zum Thema zu machen.

Ein wenig Pause entstand, bis sie sich entschlossen zu ihm wandte. Sie wusste nicht mal, ob Caleb ihre eingeschränkte Meinung überhaupt hören wollte, doch war er offen zu ihr gewesen, sodass sie das Gleiche für ihn tun wollte: „Ich verstehe bestimmt nicht all die Zusammenhänge oder die Pflichten, die sich aus eurer Art zu leben ergeben. Aber ich finde, dass man niemanden dazu zwingen sollte etwas zu tun, was er nicht tun will.“, setzte sie an und es war kaum verwunderlich, dass sie das so sah. Allerdings sprachen da nicht nur die Jahre als Gefangene im Leben einer Sklavin aus ihr. Sondern ein gewisser ungestümer Geist, der groß hätte werden können, wenn das kleine schmutzige Mädchen nicht verkauft worden wäre. „Jeder hat ein Recht darauf zu entscheiden, wie er sein Leben gestalten möchte. Und wenn dich die Wünsche deines Vaters so weit getrieben haben, dass du sogar deinen Tod vortäuschen musstest…“, sie sah ihn ernst an und offenbarte tatsächlich kluge Gedanken, die hinter der einfältigen Fassade eines Mädchens lagen, das man nie als mehr angesehen hatte als ein Objekt zur Befriedigung und äußerst billigen Arbeitskraft.„…dann trägt er die Schuld daran. Sein Tun hat dich zu Entscheidungen gedrängt, die du aus der Not heraus getan hast.“, erteilte sie ihm ihre kaum nötige oder gar gebrauchte Absolution mit.
Aber Madiha sah auch, wie er darunter litt, dass es gekommen war, wie es kam. Madiha wusste natürlich nichts über familiäre Pflichten. Ob es sie nun emotional gab oder tatsächlich. Diese Eindrücke blieben ihr genauso verborgen, wie Caleb, sich jemandem hingeben zu müssen, den man gar nicht kannte. Sicherlich übersah sie in ihrer Meinung auch das komplizierte Verhältnis von Vater und Sohn in einer Welt, die nicht ihre war. Aber sie stand zu dem was sie sagte, sie vertrat diese Meinung mit jeder Faser ihres Körpers. Sie hatte nur gelernt, es trotzdem zuzulassen, weil sie bereits als Kind dominiert wurde. „War das denn der Grund, wieso Corax dir eine Ohrfeige verpasste? Und Azura dich so schlecht behandelte?“, wollte sie wissen, denn die Frage blieb bisher auch ungeklärt. „Weil du nie zu diesen Kennenlernen aufgetaucht bist?“ Sie hob den Blick zu ihm und musterte ihn abwartend. Ihr lag tatsächlich noch eine Frage auf der Zunge, aber Madiha verkniff sie sich, sodass sie abermals einen Schluck nahm und ihren Becher damit leerte.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Samstag 31. Dezember 2022, 15:09

Madiha hatte gehofft, wenigstens eine Frage beantwortet zu bekommen. Mehr dann im Laufe der Zeit und so häppchenweise mehr über Calebs Vergangenheit, sowie seine Beweggründe zu erfahren, seine Familie und Andunie zu verlassen. Dass er sich direkt so weit öffnete, ihr seine halbe Lebensgeschichte zu erzählen, damit rechnete sie nicht. Caleb aber erkannte, dass er nicht nur für Madiha eine Konstante im Leben war, sondern das auch auf Gegenseitigkeit beruhte. Immer wieder tauchte das Mädchen in seiner Geschichte auf. Meistens, weil er nach ihr sah, weil er sich angezogen fühlte und wissen wollte wie es ihr ergangen war seit dem letzten Mal. Und dann, weil sein Gewissen ihn belastet hatte. Er hatte sie in Schicksale gedrängt, die ihr Leben bestimmten, es aber nie besser gemacht hatten. Dann war er erschienen udn rettete sie ... und sich. Natürlich sah er zwischen ihnen dann ein Band, welches fest genug war, ihr vollkommen zu vertrauen und ihr somit auch Dinge anzuvertrauen.
Caleb erzählte seine Geschichte und Madiha hörte zu. Sie erfuhr von seiner Kindheit und den einfachen Verhältnissen, in denen er aufgewachsen war. Sie erkannte darin eine Zeit, in der Caleb sich wohl gefühlt und seine Abenteuerlust hatte ausleben können. Ein solcher Caleb wäre niemals zu ihr nach Sarma gekommen, außer er hätte die ganze Welt bereisen wollen. Sie lächelte, als er von seinem Vater erzählte und dass dieser zu einer Zeit mal stolz auf seinen Sohn gewesen war. Als die Geschichte endete, klang es nicht mehr danach. Eine Bitterkeit hatte sich in Calebs Züge geschlichen. Bereute er seine Entscheidungen? Nein, danach sah es nicht aus. Er versuchte, wie sein Vater zu sprechen und was er glaubte, wie er ihn - Caleb - nun sehen mochte. Der Taugenichts von Sohn, der alles hätte haben können, es aber in den Wind warf und nach Sarma floh. Und wofür? Dass er es bei den Wüstendieben nicht ausgehalten hatte, weil sie nicht die romantischen Strauchdiebe waren, die er sich erhofft hatte. Sie waren Schläger, Vergewaltiger und Mörder. Und als die neue Heimat angegriffen worden war, hatte nicht einmal Dunia ihn noch halten können. Der hochmütige Sohn, der seinen eigenen Tod vorgetäuscht hatte, würde nach Hause zurückkehren und auf Knien um sein altes Leben betteln. Die Bitterkeit rührte daher, dass Caleb glaubte, dass sein Vater ihn mit seinen mutmaßlichen Fehlentscheidungen konfrontieren würde, bis er aus ihm die Einsicht heraus gepresst hätte, dass er nur ein dümmlicher Bengel war und sich besser wieder unter den Willen des Vaters stellte. Dass er sich eine Adlige suchte und heiratete. Dass er eine Mannschaft zusammenstellte und mit einem Schiff auf Handelsrouten seinen Alltag bestritt.
"Kapitän van Tjenn ... wer hätte gedacht, dass mein Vater nun genau das bekommen hat, was er sich für mich wünschte." Er seufzte und trank von seinem wieder aufgefüllten Becher. "Angesichts der aktuellen Lage stehen nun wohl eher Dunkelelfen-Bräute auf dem Plan." Er verzog den Mund zu einem sarkastischen Grinsen und starrte vor sich auf das Holz des Tresens. Madiha aber war mit einer anderen Tatsache beschäftigt. Sie hatte eine Information erhalten, welche sie nicht ganz loslassen wollte. Eine über Azura ... und Caleb. Wäre die Adlige wirklich zur Mutter seiner Kinder geworden, wenn er nicht geflohen wäre? Man konnte es sich kam vorstellen, denn auch hier existierte ein enormer Altersunterschied. Doch in Andunie schien es egal zu sein. Vielleicht wurden adlige Nachkommen hier sogar schon im Säuglingsalter irgendwelchen alten Säcken versprochen, nur weil sich daraus gute Abkommen zwischen den Familien ergaben und vielleicht würde ein solcher Ehemann noch zu seiner Hochzeitsnacht kommen, bevor er an Altersschwäche starb. Ein schauriger Gedanke. Kein Wunder, dass es Caleb nicht gefiel. Er war ein Freigeist und brauchte die Freiheit. Jede Beziehung band ihn und engte ihn ein. Ob sie nun zu dem Beruf eines Schiffskapitäns zählte oder aber zu einer Frau.
Caleb schlang seinen Arm etwas enger um Madihas Hüfte, zog sie dichter an sich heran.
"Jeder hat ein Recht darauf zu entscheiden, wie er sein Leben gestalten möchte. Und wenn dich die Wünsche deines Vaters so weit getrieben haben, dass du sogar deinen Tod vortäuschen musstest, dann trägt er die Schuld daran. Sein Tun hat dich zu Entscheidungen gedrängt, die du aus der Not heraus getan hast."
Caleb schnaubte, aber mit einem amüsierten Ausdruck auf den Zügen. Er stützte den Kopf in einer Hand ab und betrachtete Madiha unter seinem vertraut schiefen Lächeln. "Sagst du das meinem Vater auch ins Gesicht, wenn ich dich ihm vorstelle? Als ... meine ..." Er stockte, wandte den Blick ab und konnte dennoch die Röte seiner Wangen nicht mit dem Becher verbergen, welchen er rasch noch einmal an seine Lippen führte. Aber er konnte auf diese Weise nicht alle Zeit der Welt überbrücken. So viel Apfelwein befand sich nicht im Krug. Er setzte ihn ab.
Er bekam die Röte ohnehin nicht mehr aus seinen Wangen heraus, also sprach er es offen an: "Madi ... was sind wir nun eigentlich, hm? Du und ich, meine ich. Als Dunkelelfen getarnt hat Corax uns direkt zu ... Verlobten gemacht."
"War das denn der Grund, wieso Corax dir eine Ohrfeige verpasste? Und Azura dich so schlecht behandelte? Weil du nie zu diesem Kennenlernen aufgetaucht bist?"
"Was? Nein, nein! Das war ... ohweh, du weißt nichts davon? Und jetzt sind wir so ... oh ..." Caleb räusperte sich. Er hatte nun schon so viel gesagt, ihr so viel anvertraut und Geheimnisse gelüftet. Da kam es auf ein weiteres wohl auch nicht mehr an. Warum nur fühlte er sich, als müsste er einen Moment der Untreue gestehen?
"Ich hab ihre ..." Caleb formte mit beiden Hände gut greifbare Rundungen vor seiner eigenen Brust. "Ich hab sie gesehen, eine ganze Weile sogar. Corax hat mir dafür eine gescheuert. Er war eifersüchtig, nichts weiter. Aber ich konnte ihm verständlich machen, dass es ein dummes Missgeschick gewesen war. Ich hatte sie nur trösten wollen, weil sie doch glaubte, er sei gestorben. Wir alle glaubten das. Die Kleidung musste einfach so an ihr herabgerutscht sein - ich weiß, wie das klingt! Ich lüge nicht! Ich habe nicht aktiv dazu beigetragen, dass sie ... ich hab sie nur nicht darauf aufmerksam gemacht. In Ordnung? Die Aussicht war einfach ... umwerfend. Ich konnte nicht. Ich hab's ja auch gern angesehen, muss ich zugeben." Er schmunzelte und fasste sich verlegen in den Nacken. Sein Blick wanderte umher, als er sich an Azuras beste "Charakterzüge" erinnerte. "Corax hat's mir zum Glück nicht übel genommen, sie allerdings schon. Aber schlecht behandelt? Nein, das würde ich nicht sagen. Von oben herab vielleicht, aber Adlige sind so. Mir hat sie gefallen, als sie .. nun ... einfach normal war. Es hätte ihr gut getan, all dieses Adelsgehabe einfach abzustreifen. Corax hätte das auch gut getan. Dieser dumme Elf."
Er schnaufte wieder auf. Es klang belustigt, etwas traurig, aber auch furchtbar nervös. Der Grund war eine noch immer unbeantwortete Frage. Seine grünblauen Seelenspiegel hefteten sich an Madiha. Er griff nach ihrer Hand und schluckte den Kloß im Hals herunter, was nicht so recht gelingen wollte. "Was ... sind wir denn nun ... Madi? Und bitte, mach mich nicht wieder zu Kapitän van Tjenn. Lass uns dieses Kapitel einfach abschließen. Ein Schiff zu haben, macht mich nicht zu etwas, das ich nicht bin, hm? Ich ... wäre lieber ... uhm ..."
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 1. Januar 2023, 00:23

Madiha lernte nicht nur eine neue Welt kennen. Sie lernte vor allem Caleb kennen. Der Dieb war offen und ließ sie ein Stück in seine Welt eintauchen, um ihr zu zeigen, wer er in Wahrheit war. Sie fühlte sich sehr geschmeichelt durch sein Vertrauen und auch wenn sie es nicht erwähnte, durfte er sich sicher sein, dass sie es gut bewahren würde. Madiha schien einen natürlichen Instinkt zu besitzen, der es ihr ermöglichte, sich trotz aller Gräueltaten, die man an ihr beging, in andere hineinzuversetzen. Auch wenn sie sich dann und wann mal irren konnte, denn sie meinte eine gewisse Bitterkeit in seiner Stimme zu hören, als er versuchte seinen Vater zu imitieren. Ihr war nicht sofort klar, was er genau damit meinte. Feinheiten blieben ihr zeitweise verborgen. Dennoch sprach sie aus, was sie dachte und zauberte damit einen amüsierten Ausdruck auf seine Züge. Seine Frage aber beantwortete das Mädchen mit einem verständnislosen Ausdruck: „Ja, wieso denn nicht?“ fragte sie und es schien, als wäre sie voller Wagemut, doch hier trat einmal mehr ihre Naivität zu Tage. Sie wusste ja nicht, was für ein Mann Gregor van Tjenn war und trotzdem besaß Madiha die unerschütterliche Wahrheit in sich es einfach auch so zu meinen. Sie würde Caleb’s Vater erzählen, was sie zu der vermeintlichen Enttäuschung meinte. Was sollte er dagegen haben? Allerdings wurde ihr Unverständnis durch etwas anderes abgelenkt.
Caleb wurde mit einem Mal verlegen und begann seinen Wein zu leeren. Sie beobachtete ihn fragend und lächelte leicht, während sich die Röte auf seinen Wangen abzeichnete. Seine Frage jedoch, ging in ihrer Gegenfrage unter.

Madiha hatte darüber nachgedacht, ob Corax dem Dieb deshalb zugesetzt hatte, doch offenbar war der Grund ein ganz anderer. Caleb verhaspelte sich ein wenig und wirkte noch konfuser als zuvor. Seine Frage, die so wichtig war, hatte Madiha tatsächlich überhört. Dann rückte er mit der Sprache heraus "Ich hab sie gesehen, eine ganze Weile sogar. Corax hat mir dafür eine gescheuert. Er war eifersüchtig, nichts weiter. Aber ich konnte ihm verständlich machen, dass es ein dummes Missgeschick gewesen war. Ich hatte sie nur trösten wollen, weil sie doch glaubte, er sei gestorben. Wir alle glaubten das. Die Kleidung musste einfach so an ihr herabgerutscht sein - ich weiß, wie das klingt! Ich lüge nicht! Ich habe nicht aktiv dazu beigetragen, dass sie ... ich hab sie nur nicht darauf aufmerksam gemacht. In Ordnung? Die Aussicht war einfach ... umwerfend. Ich konnte nicht. Ich hab's ja auch gern angesehen, muss ich zugeben." Madiha hatte die Geste beobachtet und stirnrunzelnd in sein Gesicht gesehen, während er dann antwortete. Dann öffnete sich ihr Gesicht verstehend und nun war sie es, die sich an den Becher wandte, um einen weiteren Schluck zu trinken. Es verschaffte ihr Zeit… Zeit, die sie brauchte, um das Gehörte irgendwie zu verdauen. Widersprüchlich fühlte sie sich, denn im Grunde war es etwas, was für sie ewig Alltag gewesen war. Nackte Haut war für Madiha blanker Hohn und mit Unwohlsein verbunden, allerdings hatte sie in ihrem jungen Leben auch bereits zu viel davon gesehen.
Das Mädchen schluckte den süßen Wein hinunter und sah zurück zum Dieb. Es passte ihr nicht, dass er Azura begehrte. Aber Madiha lächelte trotzdem leicht. „Verstehe..“, antwortete sie etwas wortkarg und räusperte sich. Ihr stand es doch überhaupt nicht zu, dass sie ihn für sich beanspruchen wollte… Treue oder das alleinige Interesse… zu erhalten, hatte sie ohnehin nie kennengelernt. "Corax hat's mir zum Glück nicht übel genommen, sie allerdings schon. Aber schlecht behandelt? Nein, das würde ich nicht sagen. Von oben herab vielleicht, aber Adlige sind so. Mir hat sie gefallen, als sie .. nun ... einfach normal war. Es hätte ihr gut getan, all dieses Adelsgehabe einfach abzustreifen. Corax hätte das auch gut getan. Dieser dumme Elf." Sie hatte ihm gefallen.. als sie normal war? Sie wusste nicht, was er meinte. Auch wenn da etwas in ihr aufschrie und verletzt die Fäuste ballen wollte, sie nickte Caleb zu. „Sie war sehr schön…“, murmelte Madiha und ließ ihren Blick zu der Toten wandern. „Es tut mir leid, dass sie diesen Weg gewählt hat, obwohl sie… doch alles hätte haben können…“, meinte sie leise und schloss Caleb vielleicht ein wenig damit ein. Es klang ebenfalls traurig, aber Madiha verstand nicht recht, wieso seine Worte über Azura sie so fühlen ließen.

Allerdings schaffte der Dieb es, dass Madiha ihre aufkommende Eifersucht, die sie nicht zu benennen wusste, vergaß. Er griff ihre Hand und sie schaute auf. Ihr Blick heftete sich an seine Augen und da war es wieder… diese Augeb, dieser Blick…sie betteten Madiha in ein so unglaublich schönes Gefühl, dass die negativen Gedanken fortgewischt wurden. "Was ... sind wir denn nun ... Madi? Und bitte, mach mich nicht wieder zu Kapitän van Tjenn. Lass uns dieses Kapitel einfach abschließen. Ein Schiff zu haben, macht mich nicht zu etwas, das ich nicht bin, hm? Ich ... wäre lieber ... uhm ..." Sie schwieg und hielt ihren Blick in seinen Augen, während ihre Hand die seine streichelte. Was meinte er denn? Was sollten sie sein? Und dann kehrte seine zuvor gestellte Frage zurück in ihr Bewusstsein. "Madi ... was sind wir nun eigentlich, hm? Du und ich, meine ich. Als Dunkelelfen getarnt hat Corax uns direkt zu ... Verlobten gemacht." Fragen huschten ihr durch das Gesicht, die sie nicht stellte. Dann lächelte sie jedoch und senkte den Blick verlegen auf ihre beiden Hände, die sich gegenseitig hielten. Eine feine Röte kroch ihr ins Gesicht.„Ich… weiß nicht was das bedeutet ‚verlobt‘… und ich weiß nicht, was wir sein könnten..“, setzte sie an und hob den Blick. Er konnte Unsicherheit erkennen. Woher sollte ausgerechnet sie wissen, wie man das nannte, was sie für Caleb fühlte? Und wie man es nannte, wenn er es erwiderte? Sie holte tief Luft und hob gleichzeitig ein wenig die Schultern an. Ihr Blick rutschte wieder aus seinen Augen auf ihre Hände und sie übte unbewusst etwas Druck aus. „Ich weiß nur, dass ich… bei dir sein will. Dass du mir mehr bedeutest als es je jemand getan hat… dass ich nicht weiß, wie mir geschieht, seit du … seit wir uns, naja küssten. Ich will das immer wieder tun..“ sprach sie und lächelte plötzlich reichlich verliebt. Es brach aus ihr heraus und Caleb erhielt einen Vorgeschmack darauf, wie es wäre, wenn Madiha mal so richtig glücklich aussah. „Ich möchte dich nicht wieder verlieren, weil ich glaube, dass es mich zerreißt.“ Sie hob ihren Blick erneut: "Es ist mir egal ob du ein Schiff besitzt oder gar nichts. Mir ist es egal ob du einen adeligen Namen hast oder nur Caleb heißen willst… das ist mir überhaupt nicht wichtig, ich kann damit ohnehin nichts anfangen.. aber ich weiß, dass ich bei dir sein will…und ich… wünsche mir, dass du das auch willst.“ Tiefrot wurde ihr Gesicht, weil sie dieses ehrlichen Vorstoß wagte und holte tief Luft, weil es wichtig war, das spürte sie: „Ich glaube.. ich liebe dich, Caleb. Und ich möchte mit dir zusammen sein.“, sprach sie aus, was sie von ihm gelernt hatte. Dass sie dabei aber auch ihre Beziehung definierte, war ihr nicht bewusst. Madiha hatte nur die Möglichkeit ihm zu sagen, was sie empfand. Eine echte Definition konnte sie nicht klar benennen, da sie diese Möglichkeiten gar nicht kannte. Sie kannte keine Beziehung, keine Verlobung, keine Heirat. Sie kannte nichts davon und war somit reichlich hilflos. Aber er hatte ihr gesagt, dass das was sie empfand Liebe bedeutete. Und das war etwas, was sie jetzt zu definieren versuchte.
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Re: Orientierungslos am Hafen

Beitrag von Erzähler » Montag 2. Januar 2023, 14:40

Auf ihre Frage hin, warum Madiha Gregor van Tjenn denn nicht einfach ins Gesicht sagen sollte, dass sein Sohn selbst entscheiden und sein eigenes Leben bestimmen dürfe und der durch ihn - seinen Vater - aufgebauten Druck erst dazu geführt hatte, dass er seinen eigenen Tod vortäuschte und Andunie verließ, sorgte beim Betroffenen für ein Lächeln. Es war kurz, aber so echt wie kein anderes. Es fehlte dieses schiefe Aufzucken seines Mundwinkeln, dafür erreichte die kleine Veränderung seiner Mimik auch die Augen, so dass die blauen Anteile wie strahlender Himmel über einer saftigen Wiese schimmerten. Ohne darüber nachzudenken, angelte Caleb nach ihrer Hand, um sie unter seiner eigenen, viel größeren zu begraben.
"Ach, Madi, ich l..." Er stockte, blinzelte, wich ihrem Blick aus und griff sich nun stattdessen in den Nacken. Trotzdem lächelte er weiterhin. Er wurde zunehmend nervöser, seine Wangen nahmen eine zauberhafte Röte an und trotzdem versuchte er, sie hinter dem Holzkrug zu verbergen. Garantiert war der leckere Apfelwein erneut geleert, aber Caleb simulierte noch immer gleichmäßiges Schlucken.
Was immer er hatte sagen wollen, es machte ihn verlegen. Viel mehr schämte er sich aber dafür, dass er Azura zumindest oben herum hatte nackt sehen können und dass es ihm gefiel. Dass sie ihm gefiel, zumindest optisch. Wie gut, dass er dabei die ausgetauschten Küsse mit der Adligen verschwieg. Er hatte ihr seinen ersten Kuss geopfert. Nein, so ganz stimmte es nicht. Sie hatte ihn eingefordert in einem Akt der Trauer und Suche nach ein wenig Trost. Und sie war enttäuscht gewesen, dass ein so stattlicher Mann wie Caleb ihn nicht erwidern konnte. Nur deshalb hatte er es noch einmal versucht ... und weil es durchaus seinen Reiz besaß. Hingegen musste er insgeheim für sich zugeben, dass er Madiha weitaus lieber küsste. Es fühlte sich einfach anders an. Die Lippen beider Frauen waren weich, schmeckten geradezu nach mehr und verführten seine eigenen spröden Mundgrenzen auf wundersame Weise. Trotzdem besaßen Madihas Küsse noch eine Innigkeit, die er bei Azura nicht hatte finden können. Den Grund dafür sollte er alsbald erfahren, denn Madiha war schon immer ein offener Mensch gewesen. Selbst Khasib hatte sie unverblümt oft genug ihre Meinung gesagt. Keine Konsequenz hatte sie davon abhalten können, sondern nur Rauschmittel, die ihre Zunge schwer und ihren Körper gefügig machten.
Eigentlich hätte Khasib mehr von der Wüstentochter gehabt, wenn er andere ihrer Fähigkeiten genutzt und gefördert hätte. Mit so viel Offenheit wäre Madiha, richtig geschult, eine durchaus begabte Beraterin oder Sprecherin des Sarmaer geworden. Vielleicht hätte sie in dieser Stellung sogar mehr Freude gehabt, sein Eigentum zu sein, was es letztendlich nicht wirklich besser machte, aber nicht jeder Sklave musste den grausamsten Missbrauch ertragen. Manche waren etwas schlechter gestellte Diener, weil sie statt eines gerechten Lohns Freiheitsenzug erhielten und weiterhin eher als Objekt galten. Trotzdem wäre ein solches Schicksal besser als jenes, bei dem man als Sklave, geschlagen, gedemütigt und missbracht wurde.
Khasib hatte seine Chance verspielt, weil er die Augen vor den Möglichkeiten verschlossen hielt. Er schätzte nicht, was für Caleb jetzt von enormer Bedeutung war. Es ließ sein Herz hüpfen, dass eine junge Frau wie Madiha nach all der Peinigung ihrer Seele noch immer diesen Mut besaß und weiterhin ein willensstarkes Herz für sie sprechen ließ. Dass sie hingegen nicht offen über ihre Gefühle sprechen konnte, als er durchaus angetan von Azuras weiblichen Reizen sprach, ahnte er nicht. Wie auch, für ihn waren diese Erfahrungen so neu. Er hatte bei Corax die Eifersucht auch nur erkannt, als sie ihm mit flacher Hand gegen die Wange geschlagen wurde. Vielleicht hätte Madiha ebenfalls ihre Hand erheben sollen, aber dazu wäre sie nicht in der Lage gewesen. Sie hatte ja nicht einmal dem Raben wirklich etwas antun können, nachdem er ... so viele vor ihren Augen ermordet hatte. Schon nach dem ersten Schrecken und Calebs strafender Reaktion schlug ihr Herz doch noch verständnisvoll für den Sklaven, der keine Alternative gesehen hatte. Und auch Caleb bereute seine Tat inzwischen, aber sie beide wollten ihn suchen. Später. Falls er nicht bis dahin von selbst wieder auftauchte. Denn sein Herz musste doch noch immer an Azura hängen. Er würde sie, selbst nach ihrem Tod, nicht im Stich lassen ... oder?
"Es tut mir leid, dass sie diesen Weg gewählt hat, obwohl sie ... doch alles hätte haben können..."
Caleb hob den Blick. Er musterte Madiha. Dann streckte er seine Finger nach ihr aus und schob sie sanft unter ihr Kinn, um ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen. "Sprichst du von ihr oder mir? Ich ... hätte auch eine Menge haben können, Madi. Aber Reichtum, Prunk und eine hohe Stellung sind nicht alles im Leben. Sie machen ebenso wenig glücklich, wie eine Frau, die zwar so schön wie eine Göttin sein mag, aber deren Herz nicht für dich schlägt." Er neigte sich vor. Seine Augen kamen näher, wirkten größer und ihr Fokus lag ganz auf dem Gesicht des Wüstenkindes. "Hätte ich alles gehabt, wenn ich eine lieblose Ehe geführt hätte mit einer Familie, die nicht aus Liebe geschaffen worden wäre? Welches Schicksal wäre solchen Kindern vorher bestimmt gewesen? Wäre ich irgendwann wie mein Vater geworden, der in erster Linie nur einen perfekten Werdegang für seinen Sprössling im Blick hatte?" Caleb schüttelte den Kopf. "Nein, dann bin ich lieber ein gesuchter Strauchdieb, der jeden Tag auf's Neue loszieht, um seine Familie - aus welchen Mitgliedern sie auch immer bestehen mag - am Abend satt zu kriegen und mit strahlenden Augen zuzusehen, wie man sich um das letzte Stück Brot balgt, nur um später gemeinsam unter einer alten Decke Schutz und Wärme derer zu suchen, für die man etwas empfindet."
Er erwähnte weder die kalten Nächte Sarmas, noch den von Unrat klumpig gewordenen und stinkenden Sand oder die vielen Krabbeltiere, welche ebenfalls gern nahe am Körper Unterschlupf suchten. Er sprach nicht von Krankheit oder der Gefahr, beim Stehlen erwischt und bestraft zu werden. Caleb verschwieg das unangenehme Gefühl, Tage lang in verschwitzter Kleidung auskommen zu müssen, bis man sich doch entschied, das wenige Wasser auch einmal zum Reinigen zu verwenden. Und er erwähnte nicht, was manche Seele alles verkaufte, um eine weitere Nacht zu überstehen. Er blieb der romantische Freigeist und Abenteurer. Für ihn blieb die Welt ein großer Spielplatz. Sollte er diese Perspektive einmal verlieren, dann würde er sich selbst verlieren. Wie gut, dass er nicht auf dem Parkett in Seidenstrumpfhosen mit den koketten Damen und den galanten Herren zu tanzen hatte!
Wie gut, dass er hier war, hier bei Madiha. Dem einfachen, kleinen Nichts Madiha, das ihm nichts bieten konnte außer etwas Nähe. Die kleine Madiha, die nicht so schön und gut gebaut war wie Azura. Madiha, die seltsame Kräfte besaß, welche sie nicht kontrollieren konnte, bis sie sich selbst verletzte. Madiha, die von anderen Männern schon so aufgebraucht worden war. Madiha, die sich selbst in die Schatten zurückzog, damit andere heller leuchten konnten. Madiha ... die es nicht mehr ohne Caleb aushielt und immer an seiner Seite sein wollte, nur um einmal mehr dieses schiefe Grinsen, die Hand im Nacken oder sein Durchfahren der widerspenstigen Haare sehen zu können. Die nur noch einmal seine Stimme hören wollte, jeden Tag auf's Neue. Die längst wusste, was sie wollte, ohne es benennen zu können. Aber Caleb forderte es ein ... und sie antwortete.
"Ich weiß, dass ich bei dir sein will ... und ich ... wünsche mir, dass du das auch willst. Ich glaube ... ich liebe dich, Caleb. Und ich möchte mit dir zusammen sein."
Wie sollte man auf eine Liebeserklärung aus dem Nichts heraus reagieren? Caleb blinzelte. Man konnte förmlich zusehen, wie die Informationen seine Ohren durchwandern und erst noch in seinen Verstand getragen werden mussten. Daraus entwuchs eine quälende Ewigkeit, in der seine Miene von der Überraschung einmal abgesehen nicht zu deuten war. Irgendwann aber zogen sich die Brauen zusammen. Darunter engten sich die Augen etwas. Zweifel... ein zweifelnder Blick.
Caleb suchte Anzeichen in Madihas Gesicht, kleinste Erkennungssignale, dass es ein Scherz war oder sie sich verplappert und etwas ganz Anderes gemeint hatte. Er wusste, dass er sie nicht finden würde und doch konnte er nicht glauben, was nun in seinem Kopf in einer Schleife nachhallte. Es passte sich seinem immer wilder pochendem Herzen an. Seine Finger waren schwitzig, zugleich aber auch richtig kalt, als er sie in den Nacken schob. Er wich ihren Augen aus, nur um sofort zu ihnen zurück zu kehren. Er schaute hinein, suchte noch immer und fand nur die Wahrheit ihrer Seele, die eben noch auf ihrer Zunge gelegen hatte. Er schluckte leer.
"Du bist betrunken, oder? Der viele Wein ... ich meine ..." Er schaute auf und fragte sehr eindringlich: "Bist du dir da sicher, Madi? Bist du dir bewusst, was du gerade...?" Er schnaufte etwas hilflos. Erneut huschten seine Augen unstet über die Umgebung. Nichts konnte ihn ablenken. Nichts konnte das Gesagte ungeschehen machen. Niemand konnte ihm aus der Situation heraus ziehen. Mit Traurigkeit in den Augen kehrte sein Blick zu ihr zurück. Es schmerzte, sie so anzusehen. Er konnte sie jetzt nur enttäuschen. Wie sollte er das über die Lippen bringen? Wie nur?
"Ich bin ein alter Mann, Madi. Viel zu alt ... du könntest meine Tochter sein und ... wenn irgendein schöner Jungspund plötzlich in dein Leben tritt, dann vergisst du mich doch sofort. Und das wäre zu deinem Besten, wenn nicht noch ein alter, haariger Körper über ... dir ..." Er schluckte. So viele Haare besaß er gar nicht und auch wenn er aktuell sehr schwitzte, ließ es sich doch nicht mit den feisten, lüsternen Säcken vergleichen, unter den Madiha sich gewunden hatte, bis es nicht mehr ging. Caleb war jenseits all dieser Männer!
Zum dritten Mal suchte er den Blick des viel jüngeren Mädchens auf seinem Schoß. Er sah ihr tief in die Augen. Er löste die schweißnassen Finger aus seinem Nacken und führte sie mit leichtem Zittern an ihre Wange. Er strich ihre Narben entlang, über die er nie ein Wort verloren hatte. Nicht in Bezug zu ihrem Äußeren. Er hatte sie niemals hässlich oder entstellt genannt, sie niemals auf diesen Makel reduziert. Er hatte ihn stets einfach als Teil von ihr hingenommen und mit derselben Caleb eigenen Art respektiert wie alles andere an ihr. All ihre Makel, all die seltsamen Dinge, all die Resultate eines Sklavenlebens. Er hatte alles bedindungslos akzeptiert und dazwischen immer nur sie gesehen: Madiha.
Und nun glaubte er, sie könne ihrerseits nicht über einen hohen Altersunterschied hinwegsehen? Nein, das glaubte er nicht. Er fürchtete nur, dass sie in ihrer Unerfahrenheit mit der Welt und freundlichen Menschen eines Tages sehen würde, was sie stattdessen alles haben könnte. Dass er sie nicht mit einem altersschwachen Leib würde halten können. Nicht, weil sie sich verliebte, nur weil er der mutmaßlich einzige Kerl Celcias war, der jemals nett zu ihr gewesen war! Sie konnte es nicht ernst meinen. Sie wusste überhaupt nicht, was sie da sagte! Sie...
"Dir ist vollkommen bewusst, was du sagst. Du liebst mich. Alles andere fühlt sich leer an, als würde die eigene Seele zerrissen. Du möchtest mi mir zusammen sein." Er seufzte aus. "Tja, dann..." Caleb umfasste Madihas Hüften. Mit Leichtigkeit hob er sie von sich herunter, hielt sie aber noch in der Höhe, weil er seinen Platz auf dem Barhocker freigab. Er setzte sie nun darauf ab. "Wenn, dann richtig ... ich fürchte, ich hab das meiste verlernt, aber ich gebe mir Mühe." Caleb räusperte sich. Dann warf er einen imaginären Umhang über seine Schulter und sank vor Madiha nieder. Ritterlich beugte er da Knie, legte beide Hände auf einen ihrer Oberschenkel, wo er sie in einer demütigen Bittstellergeste nach oben offen faltete, als wartete er darauf, dass Madiha ihm einen Obolus hineinlegte.
"Ich will das auch. Ich ... kann dir nicht wirklich sagen, ob es aufrichtige Liebe ist. Ich glaube, dafür müssen wir mehr Zeit miteinander verbringen, also ... zusammen. Als ... Paar." Er atmete durch. Es klang ungewohnt und seltsam, es offen auszusprechen. "Aber du bedeutest mir ungemein viel, Madi. Sehr viel. Was ich fühle, das ist ... es ist weitaus mehr als dieses Kribbeln und Ziehen, wie wenn ich Azura ansehe oder Dunia. Und es geht über den Wunsch hinaus, einfach nur eine gute Freundin zu haben. Ich möchte in deiner Nähe sein, dich beschützen und mit dir herum albern. Ich möchte dich trösten, wenn es dir schlecht geht, weil ich dich lächeln sehen will. Ich möchte, dass du lachst und Freude daran hast, in meiner Nähe zu sein. Und ich..." Er stemmte sich von ihrem Oberschenkel ab, zurück in den Stand. Dann griff er zu beiden Seiten an ihrem Körper vorbei, um sich an der Thekenkante abzustützen und so ihrem Gesicht mit dem seinen ganz nahe zu kommen. Die Hitze seiner roten Wangen spürte sie fast wie einen leichten Film, der sich über ihre eigene Haut legte. "Und ich möchte dich küssen. Weil ich dir eines Tages auch sagen will, dass ich dich liebe."
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