Das Haus der Famlie van Tjenn

Sämtliche Straßen Andunies sind gepflastert und von schönen kleinen Häusern gesäumt. Meist Fachwerkhäuser, aber auch mal eine prächtige kleine Villa. Nur die ärmeren Bezirke der Bettler und Halunken sollte man meiden.
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Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 23. August 2023, 11:09

Madiha kommt von Der Hafen Andunies -> Perfektion mit Fettnäpfchen

Madiha und Caleb hatten sich vorgenommen, ihre Schicksalwege gemeinsam zu beschreiten. Sie wollten dabei kleine Schritte tun und einen nach dem anderen. Das führte nicht nur endlich auf körperlicher Ebene zum Erfolg, sondern auch wenig später, als sie die dunklen Docks Andunies verließen und es beide in die Straßen der Innenstadt führte. Inzwischen war es tiefste Nacht. Nahezu alle Gebäude lagen im Dunkeln da, trotzdem erhellten Straßenlaternen die Umgebung. In einer Stadt wie Andunie war es üblich und in einigen Stunden würden Menschen mit seltsamen Metallglocken an langen Stangen durch die Straßen stapfen, um die Kerzen in den Laternen eine nach der anderen zum Erlöschen zu bringen. Dazu halfen ihnen besagte Stangen, mit denen sie die kleinen Feuer unter der Metallglocke ersticken würden. Bis dahin war es aber noch eine Weile hin. Vor der Dämmerung gab es keinen Anlass dazu. Denn bis dahin mussten die Lichtkreise den Weg der Nachtwandelnden erhellen. Neben Patrouillen, die größtenteils inzwischen aus Dunkelelfen, gelegentlich in Begleitung eines Orks, bestanden, waren das nur noch Madiha und Caleb, sowie einige Trunkenbolde oder Obdachlose. Letztere hielten sich allerdings bevorzugt in Gassen auf, in denen kein Licht mehr zu ihnen durchdrang. Von solchen Wegen hielt Caleb seine Wüstenrose fern. Er kannte die Stadt, wusste wohin er gehen musste und während sie beide so schlenderten, erfrischte die Nachtluft ihre erhitzten Körper.
Hier und da blieb Caleb stehen, erzählte vor einem der Schaufenster, was man tagsüber im jeweiligen Geschäft alles erstehen konnte oder hielt eine Anektdote seiner Jugendzeit zum Besten. Er hatte schon vor seiner Karriere als Wüstendieb das eine oder andere aus fremden Auslagen stibitzt. "Ich glaube, es hatte etwas mit persönlichem Nervenkitzel zu tun", versuchte er eine Erklärung für seine jugendlichen Straftaten zu finden. "Als meine Familie in den Neuadel aufstieg, kamen Vater und ich nicht mehr oft in die Werft. Er musste die Arbeiter nicht mehr beaufsichtigen. Er bezahlte andere dafür und genoss seinen Tag mit Verhandlungen oder Treffen der adligen Kaufmänner." Caleb zuckte mit den Schultern. "Mama hatte auch nicht immer Zeit für mich, also bin ich auf eigene Faust lsogezogen. Ich hab immer ein Abenteuer gefunden." Er grinste auf und führte Madiha die nächsten Straßen hinunter. Hin und wieder machte er Halt, zeigte ihr seine Lieblingsstellen der Stadt. Einige davon lagen in Trümmern da, was ihn dann verharren ließ, um das Ausmaß der feindlichen Eroberung in sich aufzunehmen. Dann wurde Calebs Miene ganz ernst. Bei einem Springbrunnen mit der Statue eines nackten Jungen, der ins Wasser pinkelte - das andunische Männlein Piss - ballte er sogar die Faust. Der steinerne, freche Bursche war zerschlagen worden. Sein gebrochenes Antlitz zierte in mehreren Bruchteilen das Pflaster. Niemand hatte sich genötigt gesehen, ihn wenigstens wegzuräumen. Der restliche Steinkörper funktionierte aber noch tadellos und so pieselte ein kopfloses Männlein das Wasser ins flache Brunnenbecken.
Caleb ließ Madihas Hand los. Er sammelte schweigend die Kopftrümmer ein und legte sie auf dem Beckenrand zu des Jungen Füßen zu seinem Gesicht zusammen, soweit es ihm noch möglich war. Danach starrte Caleb lange darauf. "Gehen wir weiter", murmelte er nach einer Weile, vergaß gänzlich, in Sendli zu sprechen. Es war eben nicht alles wie in seiner guten alten Zeit geblieben und die Eroberung Andunies durch dunkle Völker hinterließ Spuren. Nach wie vor gab es Schlechtes, selbst wenn die Andunier sich mit den Eindringlingen zu arrangieren schienen. Es würde dauern oder aber es käme zum Gegenschlag ... oder Andunie Vernichtung. Caleb sprach es nicht an. Er führte Madiha jedoch nun zügiger durch die Straßen. Keine Gespräche mehr, keine kleinen Geschichten. Er musste Abstand zum Brunnen bekommen. Seine Füße lenkten ihn wie von allein und plötzlich fand er sich in irgendeiner Straße wieder, die erfüllt war vom Duft eines saftigen...
"Apfelkuchen." Sofort entspannte sich Calebs gesamte Muskulatur. Sein Gesicht nahm weiche Züge an, wehmütig, sehnsüchtig. Er roch ein Stück Kindheit, als er es wiederholte: "Andunischer Apfelkuchen, mit einem Becher Sahne, damit er extra saftig schmeckt. Und mit geschlagenem Eiweiß, damit er fluffig bleibt. Schmale Apfelscheiben ... keine Stücke ... keine Stückchen schneiden, Caleb! Die schmiegen sich nicht gut in den Teig. Mama..." Er seufzte und wandte den Kopf. Dann zuckte er zusammen, als sein Blick auf die Fassade eines der Häuser hier fiel.

Inspiration: Haus

Es handelte sich wie seine Nachbarn um ein Fachwerkhaus, wirkte jedoch nicht so schmucklos. Man sah ihm das gewisse Etwas an. Es war reich verziert durch Blumenkästen, kleine Gartentöpfe, aus denen ebenfalls Pflanzen ihre Köpfe streckten, sowie allerlei Zierrat. Zwar besaßen auch die umliegenden Gebäude Dekorationen, aber wo es dort eine Wäscheleine, ein Putzeimer, kleine Stoffwimpel oder nur eine Holzbank vor der Tür waren, da wies dieses eine Haus mehr auf: Zum Pflasterweg, der sich zwischen den Häuserschluchten entlang schlängelte, führte eine Treppe aus breiten Steinquadern. Zu beiden Seiten wurde sie von bepflanzter Keramik gesäumt und geschwungene, hölzerne Schnitzbögen stützten das vorstehende Stück der oberen Fachwerk-Etage. Aus der Hauswand lugte die Vorrichtung für eine Wasserpumpe. Auf der Terrasse selbst fanden sich Anzeichen, dass jemand in seiner Freizeit Blumen und Kräuter pflanzte. Die Scheiben der Fenster bestanden aus eckigem Milchglas, das noch einmal dutzendfach unterteilt war, so dass es Madiha sicher schnell an die Mosaike des Badehauses erinnerte. Das Gebäude besaß neben dem Erdgeschoss mit steinernen Wänden noch zwei Etagen aus Fachwerk. Die oberen Fenster ließen sich mit Luken verschließen. Bei den unteren stand eines offen. Von dort, aus dem Inneren heraus, drang der köstliche Duft des gebackenen Apfelkuchens.
Das Haus selbst lag ansonsten im Dunkeln da, obwohl es neben der Straßenbeleuchtung noch reichlich Laternen gab, die die Terrasse und auch die Straße selbst hätten erhellen können. Im Grunde war es ein idyllischer Anblick, könnte man über die Zerstörung hinweg schauen. Sie hatte auch hier stattgefunden. Madiha fielen die zerschlagenen Blumenkübel auf, vor denen sich Erde wie blutiges Fleisch aus einer offenen Wunde ausbreitete. Die Pflanzen waren plattgetreten. Erdklumpen verteilten sich auch auf der Terrasse selbst und eines der entfernteren Fenster besaß keine Scheiben mehr. Man hatte Bretter davor genagelt, um ein Eindringen zu verhindern. Über die Eingangstür zog sich eine rot gestrichene Fledermaus, zumindest konnte man das Symbol als solches erkennen, wenn man genauer hinschaute.
Caleb sah es nicht. Er ignorierte jedes Warnsignal, sondern folgte nur dem Duft des Apfelkuchens. "Er riecht genau so wie meine Mutter ihn immer gemacht hat", murmelte er und näherte sich geduckt dem offenen Fenster. "Ich ... muss ein Stück davon haben. Ich hole uns beiden eines, Madi." Schon kletterte er behände ins Innere des Hauses. Er war wirklich flink und vor allem stieg er in das Haus ein, als wäre ihm dieser Weg schon vertraut. Er ging sehr lautlos vor, aber er hatte die Gefahrenzeichen nicht bemerkt. Nur Madiha hatte sie erkannt und nun war Caleb schon im Inneren. Zu laute Rufe könnten die Hausbewohner wecken und wenn es sich um Dunkelelfen handelte, wäre Calebs Leben in großer Gefahr.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 25. August 2023, 09:53

Madiha häufte derzeit so viel Glück an, dass es unheimlich war. Jemand der in normalen Zuständen aufgewachsen und das Wechselspiel von Höhen und Tiefen kennengelernt hatte, hätte gewiss langsam gezweifelt, ob das Glück nicht längst den Höhepunkt erreicht hätte. Und unweigerlich etwas Pech folgen musste. Die Welt aus Gegensätzen aber war Madiha noch nicht sehr geläufig. Für sie gab es ganz lange nur Pech und erst jetzt lernte sie, dass Glück auch in rauen Mengen existieren konnte. Dass ihre Speicher bald voll sein würden und sich das Glück dann wieder entleeren musste, ahnte sie jedenfalls noch nicht. Andere würden gewiss sagen, dass sie naiv wäre und gutgläubig. Doch Madiha war berauscht von dem, was sie erleben durfte. Sie fühlte sich, wie Corax in seinem buntschillernden Federkleid und hätte jedem etwas abgeben können davon und immer noch genug für sich selbst. Deshalb hatte sie auch so darum gekämpft, dass Corax nicht in diese Situation gebracht wurde. Dass er etwas von ihrem Glück abhaben durfte, denn er hatte es mindestens genauso verdient – wenn nicht mehr. Nun aber hatte sich die Sarmaerin umgezogen und freute sich auf die frische Luft und den Spaziergang. Ihre Wangen glühten noch, als sie die Muschelkette, den Ring und die Feder von Corax angelegt oder verstaut hatte. Dann sah sie sich in der Kajüte um. Ringsherum flackerten noch Kerzen und Madiha begann, sie auszupusten. Bis sie plötzlich stutzte und auf ihre Hand schaute. Sie hatte bei Kjetell’o gelernt, dass sie das Feuer aufnehmen konnte. Beflügelt von ihrem Glück probierte sie es. Sie konzentrierte sich auf die übrigen Flammen der Kerzen und fühlte in sich die Magie, wie sie ruhig durch ihren Körper floss. Sie lächelte kurz, dann aber wollte sie wirken, dass die Flammen sich in ihrer Hand zu einer etwas Größeren sammelten und sie dann dort erlöschen lassen. Ob es ihr gelang oder nicht, sie sorgte dafür, dass die Kerzen keinen Schaden anrichten konnten, wenn sie hier ohne Aufsicht vor sich hin brannten und folgte dann ihrem Dieb über die Docks zu den Gassen der Innenstadt. Hier schritt sie schweigend neben Caleb her, der ihr immer wieder Anekdoten erzählte. Sie lachte amüsiert, wenn er erzählte, wie er als Wirbelwind durch diese Gassen getollt war, und die Freiheit schon damals genossen hatte. Er war ein Freigeist und er würde es stets bleiben – ein Grund mehr, ihn zu lieben. Das Mädchen hörte genau zu und nahm sämtliche Erzählungen in sich auf. Sie verwahrte jene Anekdoten in ihrem inneren Haus, das sich allmählich wieder aufbaute. In der Ecke, die sie für Caleb eingerichtet hatte, fand sich eine Schatulle, in die sie alles sorgsam hineinlegte. Es waren Kostbarkeiten, die gehütet werden wollten. Und sie würde das übernehmen. „Hättest du dir nicht die Dinge auch kaufen können?“, wollte sie wertfrei wissen. "Ich glaube, es hatte etwas mit persönlichem Nervenkitzel zu tun.“, erklärte er ihr und sie nickte. "Als meine Familie in den Neuadel aufstieg, kamen Vater und ich nicht mehr oft in die Werft. Er musste die Arbeiter nicht mehr beaufsichtigen. Er bezahlte andere dafür und genoss seinen Tag mit Verhandlungen oder Treffen der adligen Kaufmänner. Mama hatte auch nicht immer Zeit für mich, also bin ich auf eigene Faust losgezogen. Ich hab immer ein Abenteuer gefunden." „Das Leben eines Adeligen klingt… langweilig.“, meinte sie und verzog das Gesicht. Dann lächelte sie aber. „Ich schätze einige passen mehr hinein als andere, hm?“

Sie folgte ihm wieder, bis sie zum Springbrunnen kamen. Madiha betrachtete das zerstörte Gesicht und beobachtete dann Caleb, wie er ganz ruhig wurde. Es musste eine wirklich liebgewonnene Erinnerung sein, die dort in Trümmern lag. Geduldig wartete das Mädchen und hielt sich im Hintergrund. Sie gab ihm den Moment des Erinnerns und vielleicht sogar Trauerns. Sie sah ihm zu, wie er die Teile des Gesichts einsammelte und aufbahrte und versuchte die Situation in sich aufzunehmen. Es musste ihm viel bedeuten, denn auch wenn er bei den anderen Orten still verharrte, war es hier besonders lange. "Gehen wir weiter", murmelte er und sie nickte schweigend. Während sie ihm folgte, sah sie zum Brunnen zurück. Sie musste daran denken, ob es etwas in Sarma gab, was sie so lange anstarren würde, wenn es der Zerstörung und der Eroberung anheimgefallen wäre. Doch für Madiha gab es da nicht wirklich etwas. Inzwischen vielleicht die Feuerakademie, falls sie nicht ähnlich, wie die Wasserakademie gepflegt würde. Doch ob sie je dorthin zurückkehrte? Madiha sah wieder nach vorn und schloss zu Caleb auf. Ihr Weg führte sie vorerst nicht in die heiße Wüste zurück. Sie war hier, bei ihm. In seiner Heimat und was kommen sollte, würde ich zeigen. Mit Kjetell’o würde sie es schaffen, die Magie in sich weiter zu formen und zu lenken, dessen war sie sich sicher. Sie musste dem Elfen nur noch ihre Entscheidung mitteilen… und Caleb. Bisher war sie nicht dazu gekommen, doch das war jetzt auch nicht wichtig. Sie hatte Zeit damit. So folgte sie weiter, bis das Viertel deutlich gehobener wurde. Die Häuser hier waren eher Anwesen und Madiha konnte nicht anders als zu staunen. Es hatte seinen ganz eigenen Charme und die Fachwerkhäuser mochte sie sehr. Es war gemütlich, auch wenn hier gewiss auch elitäre Verhaltensweisen an der Tagesordnung waren. Doch darüber wusste Madiha herzlich wenig. Für sie war es einfach ein wundervoller Anblick und so genoss sie ihren Spaziergang, bis sie in eine besonders hübsch beleuchtete Gasse kamen. Das Mädchen blieb für einen Moment stehen und nahm das Bild in sich auf. Blumen in den schönsten Farben hingen aus kleinen Kästen unterhalb von Fenstern. Hier und dort leuchtete eine Kerze hinter Glas, doch allgemein war es sehr dunkel und ruhig hier. Madiha aber ließ die kleinen Details dennoch wirken. Dann aber sah sie sich das Haus zu ihrer Linken genauer an. Vordergründig war es der Charme, der definitiv zu bezaubern wusste. Hier und dort die Kübel und das Glas der Fenster… Doch dann runzelte sich Madiha’s Stirn etwas. Dort war ein Kübel zerbrochen und die Pflanzen plattgetreten. Auf der anderen Seite war ein Fenster kaputt und nur behelfsmäßig repariert. Die Verzauberung der Schönheit verflog etwas. Madiha schluckte. Dann fiel ihr Blick auf die Fledermaus über dem Eingang. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie sie erkannte. Das Schiff im Hafen hatte auch solche Banner. Und in Sarma…da hatte sie es auch gesehen. "Er riecht genauso wie meine Mutter ihn immer gemacht hat" Sie stutzte. „Was?“, fragte sie, weil sie gar nicht mitbekommen hatte, dass er etwas gerochen hatte.
Dann aber ging alles so schnell, dass sie zu spät reagierte: "Ich ... muss ein Stück davon haben. Ich hole uns beiden eines, Madi." „Caleb… war-“, zu spät, er war bereits durch das geöffnete Fenster geklettert und im Dunkel verschwunden. „Caleb!“, zischte Madiha so leise wie nötig und eindringlich wie möglich. Vergebens. Das Mädchen spürte Sorge in sich aufwallen. Hatte er es denn nicht gesehen? Was, wenn dieses Haus… was wenn da nun Dunkelelfen wohnten? Was wenn… Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Ihr Blick glitt links und rechts die Gasse entlang, doch da fand sie keine Lösung. Ihr Blick wanderte zurück zum Fenster. Unruhig starrte sie darauf und hielt die Spannung vor Nervosität nicht aus. Da! Eine Bewegung, kam er zurück? Doch sie bildete sich das aufgrund ihres Wunschdenkens nur ein. Ihr Mund wurde trocken, als sich eine Entscheidung formte, die sie eigentlich nicht treffen wollte. Madiha war keine Diebin. Madiha wusste aber, unauffällig zu sein. So betrat sie langsam die Veranda und an das Fenster heran. Ihr Herz klopfte so immens, dass sie glaubte, es verriete sie gleich noch. Dann spähte sie in das Hausinnere hinein und versuchte etwas zu erkennen. „Caleb?“, flüsterte sie wie ein Mäuschen und wusste, sie würde wohl keine Antwort erhalten. Es war eher ein lahmer Versuch, der Entscheidung zu entgehen. Doch dann holte sie tief Luft und kletterte Caleb nach ins ungewisse Innere des Hauses. Sie musste ihn warnen!
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Sonntag 27. August 2023, 08:19

Caleb hatte es nicht gesehen, dabei war er stets so wachsam. Doch nun hatte der Duft von Apfelkuchen ihn dermaßen abgelenkt, dass er jegliche Vorsicht hatte fahren lassen. Im Gegensatz zu ihm waren Madiha jedoch das reparierte Fenster, die zerstörten Blumenkübel, vor allem aber die gemalte Fledermausmarkierung aufgefallen. Letztere versetzte die Sarmaerin in Alarmbereitschaft. Etwas stimmte an diesem Haus nicht. Vielleicht war es von den dunklen Völkern geplündert worden, aber dann dürfte nicht der betörende Geruch frischer Backware aus dem Inneren strömen. Schlussfolgernd musste also noch immer jemand hier leben, auch wenn aktuell kein Licht brannte. Wenn die Fledermaus signalisierte, dass Dunkelelfen sich dieses Heim zu eigen gemacht hatten, schwebte Caleb mit seinem Einbruch in höchster Gefahr.
Um sein Wohlergehen besorgt, aber dennoch mit der Vorsicht, leise zu bleiben, bewegte Madiha sich hinüber zum offenen Fenster. Jetzt nahm auch sie den Duft von gebackenem Teig und heißen Äpfeln deutlich wahr. Eine Spur Zimt hing wie die letzte Erinnerung an einen schönen Abend in der Luft. Ihr Abend hatte so schön sein sollen. Oh, im Grunde war er das gewesen. Sie hatte so viel Glück erfahren und darüber hinaus einen Einblick in das erhalten, was Menschen zueinander zog. Sie hatte mit Caleb geschlafen und dabei wahre Lust empfunden. Das wäre vorüber, würde er sich nun nicht in Sicherheit begeben. Madiha rief nach ihm, aber sie bemerkte selbst, dass es zu halbherzig war, als dass sie es sich selbst abkaufen würde. Nein, ihr Körper wehrte sich dagegen, mehr Geräusche zu verursachen, aber er wollte Caleb auch nicht im Stich lassen. Sie wollte ihn nicht im Stich lassen.
Madiha war keine Wüstendiebin und auch sicher niemand, der in anderer Leute Gebäude eindrang, um Habseligkeiten zu plündern. Jetzt aber spürte sie erstmals ebenfalls diesen Nervenkitzel. Ihr Herz hämmerte wild, als sie die Fensterbank erklomm und sich so lautlos wie möglich ins Innere schob. Ihre Füße kamen auf Steinplatten zum Stehen. Direkt neben ihr lehnte ein Besen an der Wand und davor stand ein Putzeimer. Beides wurde offensichtlich noch genutzt, denn sie konnte auf dem Boden keine dunklen Flecken von Blut oder anderweitigen Schmutz ausmachen. Tatsächlich sah sie mehr als vermutet, denn im kleinen Ofen fast gegenüber von ihr brannte noch etwas Glut. Das wenige Licht reichte aus, dass Madiha Konturen ausmachen konnte. Sie befand sich in einer Küche.

Inspiration: Küchenbild

Der Raum an sich war weit gehalten, aber vollgestellt. Jemand kochte gern, versorgte sich mit allerlei Materialien, hatte sich aber einen besonders freien Raum gewählt, um für seine Leidenschaft den nötigen Platz zu besitzen. Zentral fand sich eine Kücheninsel mit allerlei Dingen darauf, die man im Dunkeln nur schwer erkennen konnte. Im ersten Moment mochte man auch meinen, dass zahlreiche, haarige Schrumpfköpfe von der Decke hingen, aber auf den zweiten Blick entpuppte sich auch hier die Liebe zu zahlreichen Pflanzen. In Kübeln und Hängekörben befanden sich Dutzende Gewächse, deren Blätter wie lange Kletterranken beinahe bis zum Boden herab baumelten. Viele davon mochten zur Zierde unter die Decke gehangen worden sein, aber sicher waren genug dieser Pflanzen auch Kräutergewächse, die bei der Zubereitung von Mahlzeiten dienlich wären. Madiha roch aus diversenen Winkeln des Raumes pfeffrige, minzige oder andere Aromen solcher Zutaten. Auch auf einigen Anrichten standen Töpfe und kleine Vasen. Das schwache Mondlich drang durch weitere Fenster an einer anderen Wand und malte bunte Schatten auf das Mobiliar. Selbst die Fenster besaßen kunstvoll verziertes Glas. vor allem aber ein Teil der Küche besaß diesen Zauber. Über dem Hauptkochbereich des Raumes hatte man ein Glasdach gebaut. Es war leicht gewölbt und wies ebenso buntes Glas auf wie die Fensterfront an dieser Seite der Wand. Das Mondlicht zeigte Madiha die Bildnisse von allerlei Blumen und Blüten. Jemand in diesem Haus besaß einen Faible für Pflanzen, aber schien ebenso gern zu kochen. Oder zu backen, denn erneut regte der Duft von Apfelkuchen die junge Frau dazu an, sich weiter umzuschauen. Endlich entdeckte sie Caleb.
Er stand nahe des Ofens, dessen Glut noch ein wenig Licht spendete. Neben dem Kochgerät kühlte ein wohlgeformter Kuchen auf der Anrichte aus. Jemand hatte ein Tuch übergelegt, das Caleb bereits entfernt hatte. Gerade tastete er die nahe Umgebung nach einem passenden Messer ab, um sich vom Kuchen einfach ein Stück abzuschneiden. Als er Madiha hinter sich bemerkte, wandte er sich um. Sein Grinsen erfüllte das Zwielicht. Er hob das Küchenmesser an, winkte ihr damit, näher zu kommen.
"Ich habe schon ein kleines Stück probiert. Er schmeckt ... er schmeckt genauso wie früher!", rief er begeistert aus. Es fiel ihm angesichts seiner Freude schwer, zu flüstern. Er wirkte wie ein Schuljunge, so munter und bereit für jede Schandtat, weil der Lohn alles wert war. Schon schnitt er ein großes Stück vom runden Kuchen ab. Er reichte Madiha die Ecke, um sich anschließend eine eigene zu beschaffen. "Wenn er dir schmeckt, nehmen wir ihn ganz mit. Oh, er duftet so wunderbar und ich habe ihn direkt gefunden. Ganz so, als wäre ich ... hier ..." Caleb stockte plötzlich. Er senkte das Messer. Er wandte sich um und ließ den Blick durch das Halbdunkel schweifen. Die vielen Pflanzen, die Kücheninsel, das gläserne Dach...
"D-das ... ist mein Zuhause!", brachte er so erschreckt hervor, dass er vollkommen vergaß, Sendli zu sprechen. Er schaute sich um und Madiha konnte an seinem Blick erkennen, dass Caleb keinen Zweifel hatte. Er ließ die grünblauen Augen zum Glasdach wandern, tastete die dortigen Bilder der Blumen ab, deren Blätter ebenso grün wie sein eigenes Seegras waren. Er ließ den Kuchen stehen und wanderte an der Anrichte entlang, bis zu einer Spüle, die sich nur deshalb von dem hölzernen Mobiliar abhob, weil sie hellgrün gestrichen worden war. Caleb berührte die Keramikwanne, in der er als Jugendlicher oft das schmutzige Geschirr abgewaschen hatte. Er betrachtete den kleinen Schwamm, der immer bereit lag seit er darüber hatte nachdenken können. Er erkannte den Satz ordentlich gestapelter Küchentücher mit dem karierten Muster, das seine Mutter so geliebt hatte. Er schritt bis in die eine Ecke, wo mehrere Dosen und kleine Einmachgläser standen. Zur Zeit der Abendsonne wurden sie mit Marmelade befüllt. Zur Zeit des Übergangs fand sich eingelegtes Windergemüse darin. Und natürlich durfte die Schale mit andunischen Äpfeln nicht fehlen. Caleb streckte seine Hand nach der blau bemalten Schüssel mit den kleinen Fischen darauf aus. Er berührte zielgenau einen Sprung in der Keramik, zuckte darunter zusammen. "Warum haben meine Füße mich hierher getragen? Das ist wirklich ... mein Heim." Er wandte sich um und starrte Madiha an. "Ich wohne hier", brachte er hervor und seine Augen waren tellergroß.
"Tut ihr das, ja?", schnarrte plötzlich eine fremde Stimme in der Dunkelheit. Sie besaß die Schärfe eines gespannten Bogens und es genügte wohl nur ein einziger Laut, um einen tödlichen Pfeil loszulassen. Doch es war keine Fernkampfwaffe, welche sich nun auf Madiha und Caleb richtete. Von einem zweiter offener Türbögen aus, die in andere Räumlichkeiten führen mochten, richtete ein ausgestreckter Arm die schwarze Klinge eines Dunkelelfenschwerts auf Caleb. Die Schneide blitzte nicht auf. Das dunkle Volk hielt es schon immer so, um seinem Gegner keine Chance zu bieten, sie zu entdecken. Und obwohl diese Person in den Schatten eine mittelschwere Rüstung aus Leder und Metall zu tragen schien, hatte das Einbrecherpaar sie vorher nicht wahrgenommen. Sie machte zwei Schritte auf die Eindringlinge zu, bis die Ofenglut mehr preisgab als nur ihre Konturen.

Inspiration: Bild (Dunkelelfe)

Eine Dunkelelfe stand ihnen gegenüber, schlank und auf den ersten Blick zu schmächtig, um mehr als Leder wirksam am Körper tragen zu können. Doch ihre Muskeln straften den Eindruck lügen. Sie war kein bisschen zart besaitet, sondern einfach nur sehr schmal, aber drahtig. Das ließ auf eine schnelle Kämpferin schließen. Sie trug nachtblaue Seide, die beinahe ins Schwarze überlief und nur signifikant heller war als ihr langes, seidiges Haar. Ihre Haut war nicht ganz so dunkel wie die der meisten namensgebenden Elfen, aber noch dunkel genug, um sie als solche auszuzeichnen. Zwei Lederscheiden, über Kreuz auf dem Rücken getragen, verrieten, dass sie eine beidhändige Kämpferin war. Tatsächlich trug sie in jeder Hand ein Schwer dunkelelfischer Machart. Nein, das stimmte nicht ganz, aber weder Caleb noch Madiha mochten die Unterschiede erkennen. Dazu waren sie im Umgang mit Waffen einfach nicht weit genug gebildet. Ansonsten hätten sie erkannt, dass diese Elfe zwei schwarz gefärbte Katana trug.
Metallene Arm- und Beinschienen schützten sie. Ansonsten trug sie über dem knappen Seidengewand, das einer Tunika mit reiclich Zierde glicht, lediglich nur noch schützendes Leder. Auf Schmuck verzichtete sie, abgesehen von einer Vielzahl an Ringen, die durch ihre Spitzohren gestochen worden waren. Sie waren aus mattem Silber, damit auch sie in der Dunkelheit nicht zu sehr aufblitzten. Was jedoch hell funkelte, waren ihre Augen. Sie leuchteten golden wie kleine, gefährliche Sonnen - eine optische Seltenheit bei Dunkelelfen, wenn sie überhaupt natürlich vorkamen. Doch ganz gleich, welche Farbe das Augenpaar besaß, es war geengt und mit Misstrauen auf Caleb gerichtet, ebenso wie die Waffe der Frau. Noch griff sie nicht an, erwartete aber in stiller Frage eine Erklärung für die Anwesenheit dieser beiden Diebe und zwar sofort.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 28. August 2023, 08:34

Niemals hatte Madiha aktiv darüber nachgedacht, was sie mit ihrem Leben eigentlich anfangen wollte. Nach der Zeit der Ketten, folgte nun offenbar eine Zeit des Treibenlassens. Die Sarmaerin aber hätte wohl für sich nicht den Beruf des Diebes gewählt. Das hätte gewiss aus ihr werden können, wenn Caleb sie damals nicht an Abbas, sondern an die Diebe verkauft hätte. Ob sie eine gute Diebin gewesen wäre? Lautlos, furchtlos und ebenso gewitzt, wie es Caleb war? Hätte sie ein Leben voller Abenteuer geführt oder wäre sie schon bei erster Gelegenheit im Gefängnis gelandet? Nun, sie sollte es jetzt herausfinden. Einzig aus Sorge um den Dieb, weil er offenbar die Anzeichen nicht hatte erkennen können, setzte sie einen Fuß auf das Sims und zog sich an den beiden Rahmen hoch. Ihr Herz pumpte schnell. Sie spürte den Nervenkitzel in sich aufsteigen, doch noch war da nicht der süße Beigeschmack, sondern eher Unsicherheit, ob das alles so eine gute Idee wäre. Immerhin wusste Madiha, dass eine Gefangenschaft mehr als wahrscheinlich war und hier womöglich auch inzwischen ganz andere Gesetze galten als vor der Belagerung. Keiner von ihnen wusste sich wirklich sicher in dieser Stadt zu bewegen. Auch wenn Caleb immer mehr aufblühte, je länger sie in Andunie blieben. Trotzdem wollte das Kind der Wüste den Dieb warnen. So stieg sie ein und wurde erstmal von einem Zwielicht empfangen. Ihr Blick fiel auf den Eimer in der Ecke, dann wanderte er zu dem Ofen. Hier schwelte noch etwas Glut und verschaffte ihr einen Vorteil. Sie brauchte nicht in der Dunkelheit sehen zu müssen. Es reichte das bisschen Licht aus, sodass sie den Blick schweifen ließ. Madiha kannte die Küchen in Sarma. Sie waren groß und es gab genug Platz, damit große Gelage feinschmeckerisch versorgt werden konnten. Meist gab es einen lauten, manchmal wuchtigen Koch, der streng Befehle bellte und seine Küchenhilfen scheuchte. Als Kind hatte Madiha oft in der Küche von Abbas aushelfen müssen. Und wenn sie nur die Abfälle entsorgte oder das Geschirr spülte. Damals hatte sie eine echte Aufgabe, ohne ständig den Schmerz ertragen zu müssen. Caleb hatte kein schlechtes Haus ausgesucht – er hatte nur, wie so oft, die möglichen Folgen nicht bedacht. Jetzt aber dachte sie darüber nicht mehr nach. Ihr Blick wanderte neugierig über die Arbeitsplatten, die vollgestellt waren mit allerlei Utensilien und Helferlein. Es gab sogar Krüge mit feinen Aromen darin. Madiha blickte auf einen zu ihrer Rechten und lehnte sich etwas vor. Es roch süß. War das Honig? Die Sarmaerin vergaß beinahe, warum sie noch mal eingestiegen war. Sie staunte über die Vielfalt und das leicht verwunschen wirkende Ambiente. So etwas hatte es in Sarma nicht gegeben.
Auch dort gab es Gewürze. Aber eher in Säcken und getrocknet. Keine Pflanze würde es in dem Klima besonders lange aushalten und Wasser war kostbar. Sarmaer Köche ließen sich diese in Gewürzsäcken kommen und schöpften dann bei Bedarf mit einer kleinen Kelle. Auch roch es hier ein wenig anders. Wo Senfsaat, Kurkuma, Nelken und Anis vorherrschten im Land der ewigen Sonne, roch es hier eher… lieblich frisch. Sie schnupperte und ließ ihren Blick über die zahlreichen Kräutertöpfe wandern. Sie erkannte nicht viele der Gerüche. Minze kannte sie noch, auch sie hatten zeitweise Minze bei sich zuhause in Sarma. Ansonsten… Was war das? Es roch zitronig und zog Madiha an. Sie trat auf ein grünes Gewächs zu und streckte die Hand nach dem weichen Blatt aus. Sie rieb daran und führte ihren Daumen zur Nase. Es war überraschend belebend. Sie lächelte sogar leicht und roch noch einmal genüsslich daran. Auf dem Topf stand sogar etwas geschrieben, "Zitronenverbene", aber Madiha verstand die Sprache nicht und konnte es somit nicht entziffern. Zudem hätte das wohl zu lange gedauert, das nun zu versuchen. Ihr fiel ein, weshalb sie da war, und so drehte sie sich etwas gehetzter um. Ob des Anblicks hatte sie sich einlullen lassen und war neugierig wie immer abgelenkt gewesen. Nun aber erfasste sie Caleb’s Rücken und atmete erleichtert auf. "Ich habe schon ein kleines Stück probiert. Er schmeckt ... er schmeckt genauso wie früher!" „Leise, Caleb…“, mahnte sie ihn und trat an ihn heran.

Madiha blickte auf den Kuchen und konnte sich nicht recht daran erfreuen, denn das Unbehagen trat wieder in ihr Bewusstsein. „Caleb wir sollten hier…“ "Wenn er dir schmeckt, nehmen wir ihn ganz mit. Oh, er duftet so wunderbar und ich habe ihn direkt gefunden. Ganz so, als wäre ich ... hier ..." Sie sah zu ihm auf, als er stockte. „Was ist?“, flüsterte sie und sah sich suchend um, ob sie etwas fand, was ihn im Sprechen aufhielt. Dann trat Erkenntnis auf das Gesicht des Diebes. "D-das ... ist mein Zuhause!" „Was?“, entfuhr es Madiha überrascht und auch sie sah sich noch mal um, als könnte sie diese Tatsache ebenfalls erkennen. Allerdings kehrte sie gerade mit ihrem Blick zu Caleb zurück, um ihn zu warnen. „Caleb wir müssen hier raus!“, mahnte sie ihn eindringlicher und fasste ihn am Arm. Sie wollte es ihm erklären, aber nicht hier. Wenn man sie erwischte und sich ihre Befürchtung bewahrheitete, dann wäre dieser glückliche Tag ganz schnell ihr letzter, so fürchtete sie. Madiha wusste nicht, wie skrupellos die Dunklen werden konnten, wenn sie sie als Diebe wähnten. Aber Caleb war so davon überrumpelt, dass er gar nicht erkannt hatte, in welches Haus er eingestiegen war, dass er sie gar nicht hörte. "Warum haben meine Füße mich hierhergetragen? Das ist wirklich ... mein Heim." „Ich verstehe aber…“ "Ich wohne hier" Madiha nickte und schüttelte dann den Kopf. Doch noch bevor ihre Warnung endlich seine Aufmerksamkeit erhalten konnte, wurde sie schon unterbrochen: "Tut ihr das, ja?" Madiha zuckte erschrocken zusammen und starrte auf die Stelle, an der sich aus dem dunkleren Teil der Küche eine schlanke Frauenfigur schälte.

Ihr Herz setzte aus als sie erkannte, dass es eine Dunkelelfe war. Und sie ein Messer trug, welches sie ihnen entgegenhielt. Und als sie noch etwas nähertrat, da erkannte Madiha, dass sie bestens gerüstet schien. Metall schützte ihren Körper, wo schwarze Klingen – gleich mehrere an der Zahl – vermutlich blitzschnell zu tödlichen Waffen würden. Ihr Mund wurde trocken. Madiha hatte nicht gelernt, sich herauszureden. Es war bisher immer egal gewesen, was sie zu einer Verteidigung hatte anbringen wollen. Ob sie schuld gewesen war, für welches Vergehen auch immer. Madiha brauchte Zeit, bevor sich ihr Hirn überhaupt auf die neue Situation einstellen konnte und so starrte sie ein wenig die Elfe an. Dann aber ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie schob sich etwas an Caleb vorbei und hatte die Hände gehoben. Ihr Herz pochte so immens, dass sie glaubte, man würde sie gar nicht verstehen können. „Wir… wir haben uns geirrt.“, versuchte sie es. „Er… er ist Andunier und wir dachten, dass dies…“, sie stammelte, aber sie versuchte es zumindest auf eine ruhige Art. Die Elfe vor ihnen hatte nicht sofort Alarm geschlagen oder sie gar angegriffen. Sie schien zumindest hören zu wollen, was die beiden Kuchendiebe hier zu suchen hatten. Der Kuchen… Madiha versuchte sich an ein Bisschen Wahrheit, ein Bisschen weglassen der Fakten: „Wir.. wir kamen am offenen Fenster vorbei und rochen den herrlichen Duft.“, sie lächelte sogar etwas, auch wenn ihre Nerven gespannt waren. „Er war lange weg von zuhause und… und da ließen wir uns hinreißen. Es war ein Missverständnis… bitte…“, hoffte sie und wusste gar nicht, ob das irgendetwas bringen würde. Auch wusste sie nicht, ob sie zu viel preisgab. Aber was sollte sie machen? Flucht? Dann würden sie gesucht – schon wieder! Vielleicht war ja die Elfe gar nicht daran interessiert, dass sie jetzt zwei Diebe belangte… Vielleicht glaubte sie ihr ja auch? Konnte ja sein… Auch wenn Madiha’s Lebenserfahrung ihr gerade kichernd im Ohr lag. Als wenn…
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Montag 28. August 2023, 12:29

Eigentlich wusste er es besser, immerhin war Caleb Mitglied des Bundes der Wüstendiebe von Sarma. Auch er hatte eine Ausbildung zum Dieb genossen, wenn diese sich auch von klassischen Lehrlingsberufen unterschied und bei weitem nicht so diszipliniert ablief wie beispielsweise der Werdegang eines Stadtwächters oder Schusters. Auch folgte eine solche Ausbildung keinem festen Muster. Es gab eben gewisse Dinge, die man als Dieb beherrschen musste und je nachdem, worauf man sich spezialisierte, lernte man eben das. Caleb hate sich auf kleine Raubzüge und das Eindringen in Häuser konzentriert. Er war keiner dieser giftmischenden Diebe, die man gut und gern auch Meuchler hätte nennen können. Manche töteten sogar aus Spaß die Bewohner eines Hauses, nur um so viel wie möglich rauben zu können. Caleb nicht. Er hatte nie getötet ... bis er Corax kennenlernte. Doch seine Morde an den Stockwesen und an Serpentis waren nicht aus Mordlust geschehen, sondern um zu schützen. Nur so konnte er seine Taten überhaupt vor sich selbst rechtfertigen, ohne Reue zu empfinden. Jene stieg nun jedoch in ihm hoch, denn er hätte es im Grunde besser wissen müssen. Bereits mit den Grundlagen lernte ein Wüstendieb, dass man stets wachsam sein und seine Umgebung nicht aus den Augen verlieren durfte. Aber es war dieses Mal nicht mangelnde Vorsicht, die ihn in die Gefahrenlage geführt hatte, sondern ein Übermaß an Gewohnheit. Caleb hatte es nur nicht bemerkt. Zu sehr lagen ihm noch die Bewegungen in Erinnerung, welchen Pfad er zu welchem Fenster nahm, wie er dort lautlos einstieg und sich in die Küche schlich, um auf dem letzten Weg zurück ins Bett noch etwas vom Apfelkuchen seiner Mutter zu stibitzen, von denen über Nacht eigentlich immer einer zum Auskühlen bereit gestanden hatte. Es war ihm so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er nicht darüber hatte nachdenken müssen. Sein Körper war dem vertrauten Pfad instinktiv gefolgt. Seine Nase hatte ihm signalisiert, dass auch jetzt wieder Apfelkuchen wartete und so hatte Caleb alle Vorsicht fahren lassen. Was wäre denn für ihn das Schlimmste im eigenen Haushalt gewesen, wenn man ihn bei einer seiner nächtlichen Touren erwischt hatte? Seine Mutter hatte geschmunzelt, mit dem Kopf geschüttelt und ihn gebeten, rasch ins Bett zu gehen. Wurde er von seinem Vater ertappt, hatte es etwas mit dem Gürtel gesetzt und tags drauf stand irgendeine Strafarbeit an, um ihn zu disziplinieren. Dass man eine Klinge auf ihn richtete, war nichts Vertrautes in seinem Heim.
Sein Heim. Er befand sich wirklich zu Hause. Das hier war das andunische Stadthaus, das sein Vater Gregor Tjenninger erworben hatte und fortan nur noch van Tjenn hieß. Er stand in der weiten Küche, in der seine Mutter beiden Leidenschaften - Botanik und Backen - nachgehen konnte. Sein Vater hatte den Raum extra groß anlegen lassen und ihr damit einen Herzenswunsch erfüllt. Caleb hatte es geliebt, ihr beim Backen zuzuschauen, manchmal sogar zu helfen, vor allem aber die ersten Bissen eines frischen Apfelkuchens abzustauben. Dass er nun einer Dunkelelfe und deren gezogener Klinge entgegen blickte, riss seine Erinnerungen und die damit verbundene, nostalgische Geborgenheit entzwei. Er konnte gar nicht reagieren. Er konnte nur in die golden funkelnden Augen der Elfe starren, die sich keinen Millimeter weit gerührt hatte. Wenigstens griff sie nicht sofort an, aber das hätte sie wohl, wäre Caleb allein gewesen. Glücklicherweise hatte er Madiha mitgenommen und die junge Sarmaerin war nie ein Kind gewesen, das aufgab. Nein, sie kämpfte sich aus jeder noch so ausweglosen Situation und bisher hatte es gut funktioniert. Ob sie hier und heute ihr Ende durch eine Dunkelelfe fand, würde sich zeigen. Es schürte ihre Angst etwas, aber es nahm ihr nicht den Überlebenswillen. So schob sie sich mit ihrem dürren Körper vor Caleb, als wollte sie ihm ein lebendes Schutzschild sein. Das allein ließ die Pupillen der Dunkelelfe zucken. Sie musterte Madiha genau.
"Wir ... wir haben uns geirrt. Er ... er ist Andunier und wir dachten, dass dies..."
"Er ist ein Eindringling. Ihr beide", schnitt die Elfe Madiha sofort das Wort ab und ihre Klinge tat selbiges mit einem Schwung durch die Luft, dass sie glaubte, eine tödliche Brise zu spüren, die ihr wie eine Woge entgegen kam. "Er war lange weg von Zuhause und ... und da ließen wir uns hinreißen. Es war ein Missverständnis ... bitte..."
Das goldene Augenpaar huschte von Madiha zu Caleb. Es wanderte über dessen Gestalt hinweg, suchte nach der Wahrheit, die zu den Worten der Menschenfrau passen mochte. Die Elfe engte die Augen etwas. Sie runzelte die Stirn, als sie glaubte, irgendetwas in den menschlichen Zügen zu erkennen. Caleb fühlte sich unter ihrem Blick sichtlich nervös. Er legte eine Hand in den Nacken und ächzte unter einem schiefen Grinsen. "Es ist tatsächlich mein Zuhause - das heißt, das war es! Einst. Ich ... ich war wirklich seeehr lange weg. Wenn Ihr es inzwischen beansprucht, also ... ich werde nicht einmal Miete verlangen. Wir beide nehmen uns nur den restlichen Kuchen und gehen sofort wieder. Wir waren nie hier, einverstanden?"
Die Dunkelelfe zog ein zweites Katana aus der Halterung an ihrem Rücken. Sie hob beide Klingen in tänzerischer Angriffshaltung, bereit das Leben aus den Fremden herauszuschneiden. Sie machte einen Schritt auf Caleb zu und schwang ihre geschwärzten Schneiden mit seinem Hals als Ziel.
"Caleb?"
Die Klingen fanden einen Finger breit vor seinem Adamsapfel zur Ruhe. Sein Name klang selbst in Garmisch gleich, so dass Madiha ihn auch dann erkannte. Die weitere Gestalt, welche durch den offenen Torbogen in die Küche kam, kannte ihn. Sie wirkte noch dürrer als Madiha, beinahe gebrechlich. Ihre Arme waren in die Luft ausgestreckt. Sie trug ein Nachtgewand aus cremefarbenem Leinen, dessen ausladende Ärmel ihr knapp über die spindeldürren Finger hing. Das Haar verbarg sie unter einer Haube und sowohl Madiha als auch Caleb fiel schnell auf, dass die Kopfbedeckung einen kleinen Spitzenschleier besaß, der den oberen Teil des Gesichts gänzlich verhüllte. Die Dunkelelfe drehte den Kopf nur minimal nach hinten, um aus dem Augenwinkel eine Reaktion der neu Hinzugekommenen aufzufangen. Diese winkte leicht ab und plötzlich senkte die Elfe ihre Klingen, trat in die Ausgangshaltung zurück, behielt aber einen wachsamen Blick auf den beiden Fremden.
Die ältere Dame im Nachtgewand aber tappte über die Steinplatten näher. Sie trug plüschige Hausschuhe, ebenfalls cremefarben. Sie streckte beide Arme Madiha und Caleb entgegen, als wollte sie sie in eine herzliche Umarmung einladen. Mit den dünnen Fingern winkte sie sogar auffordernd. Dann sprach sie und ihre Stimme war von hoffnungsvoller Freude erfüllt: "Ich wusste, dass du noch lebst. Ich hab es immer gewusst. Komm her, mein Schatz. Lass dich umarmen!"
"M-Mama?" Caleb machte einen halben Schritt an Madiha vorbei. Als er dabei ihre Schulter berührte, wurde er ihrer Anwesenheit überhaupt wieder gewahr. "Mama ... kannst du auf Celcianisch sprechen? Madi versteht dich sonst nicht, ich meine ... woher weißt du, dass ich es bin? Ich ... war lange fort."
Die Frau im Nachtgewand schlussfolgerte, dass Caleb nicht in ihre Arme stürmen würde. So senkte sie jene, ohne Enttäuschung zu zeigen. Sie neigte den Kopf, dass der Spitzenschleier in Schieflage geriet. "Dreizehn Jahre ist es her", antwortete sie. "Aber ich bin deine Mutter, Caleb. Eine Mutter vergisst nie den Klang vom Gang ihres Sohnes. Sie erkennt ihn sofort am Geruch, an seiner Aura. Ich würde dich unter Tausenden erkennen."
"Mama!" Nun brach es aus Caleb heraus. Er stürmte an Madiha vorbei und auf die Frau zu, die offensichtlich seine Mutter sein musste. Tränen verließen seine Augenwinkel und flogen als feine, salzige Regentropfen durch die Luft. Doch er sollte Frau van Tjenn nicht umarmen können. Die Dunkelelfe war schnell und bildete eine Barriere zwischen ihm und ihr. Die lebende und vor allem bewaffnete Mauer weilte nur kurz. Calebs Mutter berührte sie lediglich mit zwei Fingern am Handgelenk und sagte leise: "Es ist gut, Jivvin. Er ist mein Sohn."
Die Elfe Jivvin zögerte nur kurz, dann trat sie beiseite und Calb sank vor seiner Mutter auf die Knie. Er umarmte ihren Leib, drückte seinen Kopf gegen ihren Bauch und schluchzte herzergreifend. Mutter van Tjenn streichelte seinen Kopf, spielte mit seinen Strähnen. Sie lachte. "Oh, dein Haar ist wie üblich zerzaust, mein Schatz. Irgendwie wusste ich, dass es so sein würde. Wie schön, dich wieder bei mir zu haben - endlich! Sag, wer ist deine Begleitung? Willst du sie etwa einfach so stehen lassen." Die Frau hob den verschleierten Kopf an, richtete ihren Blick aber nicht gezielt auf Madiha aus. "Eine Frau und jung an Jahren, hab ich Recht? Nur keine Scheu, stellt Euch vor. Jivvin wird niemanden attackieren. Sie ist freundlicher als ihr glaubt."
Die Dunkelelfe schnalzte mit der Zunge.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 28. August 2023, 20:50

Sofern man Madiha fragen würde, hätte sie wohl unabhängig der Warnsignale zugegeben, dass sie sich bereits in der Küche wohlfühlte. Nein. Bereits vor der Tür. Das Haus, in das Caleb aus Gewohnheit eingestiegen war, hatte so viel Charme, dass Madiha einen Eindruck gewann, wie der Dieb aufgewachsen sein musste. Es war einladend und heimelig. Auch die Küche war etwas, was Madiha gleich als gemütlich entdeckte. Sie fühlte sich wohl, obwohl sie etwas vollkommen anderes gewohnt gewesen war. Wer hier wohnte, musste sehr glücklich sein. Als sich später herausstellte, dass es ausgerechnet Caleb’s Elternhaus war, war Madiha für einen Moment sprachlos. Ihr Bild, das sich unweigerlich mit jeder Sekunde in Caleb’s Nähe bildete, fügte dieses wichtige Detail hinzu. Das Haus war wundervoll – zumindest das, was sie bisher hatte sehen dürfen. Und sie war sich sicher, dass der Rest ebenfalls mit Gemütlichkeit und Detailliebe aufwartete. Das Mädchen hatte nie zuvor so ein Haus betreten und musste so einige Unterschiede erkennen. Doch leider wurde ihre Neugierde erheblich gedämpft, als sich plötzlich eine dritte Partei zu ihnen gesellte. Die Dunkelelfe erschreckte das Mädchen und ihrem Aussehen nach, war sie nicht hier, um Freunde willkommen zu heißen. Einen Moment lang setzte ihr Herz aus, bis es wieder im schnelleren Takt weiterschlug. Madiha ließ sich nun nicht stoppen. Sie lernte doch gerade erst das Leben kennen und sie würde gewiss nicht aufhören, danach zu streben.
So versuchte sie es mit einer beschwichtigenden Geste und diplomatischen Worten, wo Caleb überraschter schien. Die Elfe aber schnitt ihr die Worte eindringlich ab und machte klar, dass sie nur auf den richtigen Moment zu warten schien, sie beide für ihr Eindringen zu belangen. Madiha schluckte ängstlich. Sollte es das gewesen sein? Caleb fand seine Sprache wieder und bediente sich seiner nervösen Geste. "Es ist tatsächlich mein Zuhause - das heißt, das war es! Einst. Ich ... ich war wirklich seeehr lange weg. Wenn Ihr es inzwischen beansprucht, also ... ich werde nicht einmal Miete verlangen. Wir beide nehmen uns nur den restlichen Kuchen und gehen sofort wieder. Wir waren nie hier, einverstanden?" Ihr Graublau sah von Caleb zur Elfe und versuchte zu erkennen, wie jene die Worte aufnahm. Dass Caleb nun in dieser Situation auch noch eine Bedingung stellte, hielt Madiha für sehr gewagt. Sie hätten einfach so verschwinden sollen – wieso für ein Stück Kuchen alles riskieren? Weil er so war… für das Gefühl von Freiheit und ein kleines bisschen Genuss, setzte Caleb immer wieder mal alles aufs Spiel. Madiha spürte, dass ihr etwas wärmer wurde, bis die Elfe sich allerdings plötzlich regte. Sofort wurde sie blass, als sie das Schwert zog und wich instinktiv zurück. „Caleb vor…“-, Madiha kam nicht weiter mit ihrer Warnung, denn zeitgleich ertönte sein Name in einem anders gefärbten Klang. Die Klinge hielt kurz vor seiner Kehle inne und das Mädchen stieß erleichtert den angestauten Atem aus. Das war knapp gewesen. Sie zitterte vor Anspannung.

Einen Moment brauchte sie, um die Situation zu verdauen und vor allem die Knappheit der Verschonung ihrer Leben. Erst dann hob sie den Blick und musterte die ältere Frau, die dort im Nachtgewand herangeschlurft kam. Ihr Blick glitt über die dürre Gestalt und die Pantoffeln. Unweigerlich grinste Madiha plötzlich. Die waren ja… niedlich! Sowas kannte Madiha auch nicht und dass die auch noch passend zum Nachtgewand waren, belustigte sie in ihrer naiven Art. Die gesprochenen Worte aber klangen so gar nicht vertraut, erst als Caleb sprach, sah sie ihn in seinem Rücken überrascht an. Ihr Blick glitt zu der hageren Frau. Seine Mutter? Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie die Frau eingehender betrachtete. Das war sie also… sie lebte… Caleb hatte seine Mutter gefunden, sein Elternhaus. Madiha öffnete leise die Lippen und spürte, wie sie ergriffen wurde von dem Moment. "Mama ... kannst du auf Celcianisch sprechen? Madi versteht dich sonst nicht, ich meine ... woher weißt du, dass ich es bin? Ich ... war lange fort."
"Aber ich bin deine Mutter, Caleb. Eine Mutter vergisst nie den Klang vom Gang ihres Sohnes. Sie erkennt ihn sofort am Geruch, an seiner Aura. Ich würde dich unter Tausenden erkennen."
"Mama!"

Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper auf, als Caleb auf seine Mutter zuging. Der Anblick rührte sie sehr. Wie eine Zuschauerin starrte sie dem Wiedersehen entgegen und nahm jede Nuance in sich auf. Es war wohl das Schönste, was sie miterleben durfte. Madiha lächelte über Mutter und Sohn und es verblasste nur kurz, als sich die Dunkle diesem Moment entgegenstellen wollte. Dann aber nahmen sich Caleb und seine Mutter endlich in die Arme und begrüßten einander richtig. Es war eine lange Zeit gewesen und nun konnten sie sich trotz allem wieder in die Arme schließen. Sie lächelte ganz ohne ihr aktives Zutun. Der Moment erfasste sie emotional sehr und so wischte sie sich eine kleine Träne der Rührung aus dem Augenwinkel. Sie verhielt sich ganz ruhig und störte nicht. Plötzlich huschte der Fokus allerdings auf sie selbst und Madiha wurde nervös. „Ich? Oh! Ehm… ehm…“, stammelte sie, als hätte sie ihren Namen vergessen. Oder wäre einfältig. „Madiha. Ich… ich heiße Madiha.“, brachte sie hervor und räusperte sich. Dass sie seine Eltern treffen wollten, hatte sie gewusst. Dass das jetzt so unvermittelt geschah, machte sie aber nervös. „Ich… ich wollte Blumen mitbri-… also ich habe nicht damit gerechnet…“, sie sah zu Jivvin, seufzte leise und schwieg.
Sie rieb sich den Arm, bevor sie einen Schritt auf die Ältere zumachen wollte. Sie vergewisserte sich abermals mit einem Blick, dass Jivvin nicht gleich die Klinge zückte, bevor sie neben Caleb trat. Madiha betrachtete sich die Dame aus der Nähe und ihr Blick fiel auf den Schleier. Ihre Stirn runzelte sich fragend, wozu man denn das bräuchte, wenn man schlief, doch dann räusperte sie sich abermals. Sie versuchte so höflich und irgendwie… adelig wie möglich zu sprechen. Sie kam sich mit einem Mal furchtbar Klein vor, obwohl Frau van Tjenn überhaupt nicht den Eindruck erweckte, streng oder kühl zu sein. Ganz im Gegenteil… Vermutlich war es das, was Madiha nun verschreckte. „Entschuldigung, dass… also dass ich … also wir… irgendwie, die nächtliche Ruhe gestört haben, Herrin..“, sie stockte und riss die Augen auf. Es war ein Automatismus. Madiha schluckte und biss sich auf die Unterlippe. „Frau van Tjenn…, meine ich…“, sie seufzte und sah entschuldigend zu Caleb hoch, ehe sie sich lieber etwas zurückzog, um nicht noch mehr Blödsinn zu reden. Warum war sie mit einem Mal so sehr nervös? Bis eben war alles in Ordnung gewesen. Sie sah kurz zu der Dunkelelfe und war so darauf erpicht, eine Kluft zu überwinden, die bisher gar nicht da war, dass sie irgendwie versuchte es allen recht zu machen. „Schöner Name, übrigens.“, murmelte sie zu der Elfe und lächelte schief. Dann aber holte sie tief Luft. Das lief ja eher so mittelprächtig… Sie hatte so gar keine Erfahrung mit so etwas.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Dienstag 29. August 2023, 11:25

Es war schwer zu glauben, dass Caleb all das, was Madiha nun sah, für ein wenig Freiheit aufgegeben hatte. Es schien ihm doch so unglaublich gut gegangen zu sein in seinem alten Leben. Allein die Küche reichte aus, um Zufriedenheit zu schaffen. Der Apfelkuchen lockte mit seinem köstlichen Duft und er hatte auch Caleb gelockt, dass der alle Vorsicht hatte fallen lassen. Es musste eine schöne Erinnerung in jedem Krümel des Gebackenen stecken. Bevor die Dunkelelfen Andunie eroberten, war es dort sicherlich auch schöner gewesen. Madiha brauchte nur an all die kleinen Geschichten zu denken, die Caleb ihr auf dem Weg zu seinem Elternhaus erzählt hatte. Sie brauchte sich nur die freche Statue des pinkelnden Jungen in Erinnerung zu rufen. Die Vergangenheit des Diebs wirkte mit so viel Liebe, Abenteuer und ja, auch Freiheit erfüllt. Warum nur hatte er das alles aufgegeben, um in Sarma darum zu kämpfen, anderen nicht zu viele Gefallen schuldig zu sein? Madiha hatte ihn im Gefängnis kennen gelernt. Da war Caleb ebenfalls nicht frei gewesen. Warum nur hatte er all das hier zurückgelassen?
Hinzu kam seine Mutter, die sich so sehr über seine Rückkehr freute. Sie hatte die Hoffnung nie aufgegeben, empfing ihn ohne jeden Schimpf und Tadel. Sie stand in diesem schlichten Nachtgewand da, mit diesen fluffigen Pantoffeln ... und machte einen herzensguten Eindruck. Einzig Jivvin störte das Bild, aber selbst die Dunkelelfe hielt sich inzwischen zurück. Militant stand sie neben Calebs Mutter und blickte auf sie herab, während sie ihren Sohn umarmte.
Madiha wischte sich ein Tränchen aus dem Augenwinkel und konnte nicht aufhören, vor Rührung zu lächeln. Jedenfalls nicht, bis sie angesprochen wurde. Die in die Jahre gekommene Frau van Tjenn vergaß sie nicht. Im Gegenteil, sie holte Madiha ab, sich sofort in die Runde zu gesellen und sich vorzustellen. Es ging hier nicht nur um Calebs Wiederkehr. Seine Mutter empfing auch mitgebrachte Freunde, als wären es die eigenen.
"Madiha. Ich ... ich heiße Madiha. Ich ... ich wollte Blumen mitbri-... also, ich habe nicht damit gerechnet..."
"Blumen eignen sich auch nicht unbedingt, wenn man in fremde Häuser einbricht", kommentierte Jivvin mit trockener Schärfe. Überraschenderweise war sie es, die einen Tadel erhielt. Frau van Tjenn hob den Kopf, dass der Schleier vor ihren Augen erzitterte. "Jivvin ...", gemahnte sie und die Elfe wurde still. Ein Augenrollen verkniff sie sich allerdings nicht.
"Entschuldigung, dass ... also, dass ich ... also wir ... irgendwie die nächstliche Ruhe gestört haben, Herrin.."
Nicht nur Jivvin hob eine Augenbraue. Auch Caleb wandte den Kopf und musterte Madiha fragend. Dann aber grinste er, schüttelte den Kopf und forderte sie mit Blicken auf, nur Mut zu zeigen. Sie war keine Sklaven mehr, nicht in Sarma und nicht hier. "Frau van Tjenn ... meine ich..."
Die ältere Dame lächelte auf. Sie schob Caleb ein Stück weit von sich und machte einen Schritt auf Madiha zu. Dann streckte sie ihr die Hand entgegen. Nun, nicht ganz, denn zwischen ihr und der Sarmaerin waren gewiss noch über anderthalb Meter Abstand. "Nenn mich doch einfach Estelle. Frau van Tjenn klingt furchtbar alt." Sie schmunzelte. "Und auch du hast dich nur als Madiha vorgestellt ... ein wirklich schöner Name. Er klingt so exotisch."
Madiha hatte ihrem Namen wohl nie zuvor ein solches Gewicht zugesprochen, aber in Sarma war er auch keiner, der rar gesät worden war. In ihrer Heimat klang Estelle eher exotisch. Oder auch ... Jivvin.
"Schöner Name, übrigens", versuchte die junge Frau das Eis zu brechen. Sie erhielt einen goldenen Blick, dsizipliniert und relativ emotionslos. Er hatte nichts mit den goldenen Sprenkeln gemein, die sie aus Kjetell'os tiefgrünen Wäldern seiner Seele kannte. "Danke", beantwortete die Dunkelelfe allerdings höflich. "Meine Mutter hieß Jivvin. Ich habe den Namen von ihr genommen, genauso wie ich ihr Leben genommen habe."
"Jivvin!" Estelle van Tjenn wandte sich um und gab der Dunkelelfe einen Klaps gegen die Hüfte. Es schmerzte sicherlich nicht, wahrscheinlich hatte Jivvin es aufgrund ihrer Rüstung nicht einmal bemerkt, aber dass die ältere Frau es überhaupt wagte. Caleb hielt den Atem an. Jivvins Goldblick wanderte zu Estelle. Dann seufzte sie, zuckte mit den Schultern. "Ich spreche die Wahrheit aus", meinte sie gänzlich gelassen.
"Ich weiß", entgegnete Calebs Mutter, "aber erschreck unseren Gast doch nicht so. Ihr bleibt doch hier über Nacht, Madiha? Caleb, mein Schatz? Du wirst hier bleiben, bei deiner Mutter, nicht wahr?"
"Nun, ich..." Caleb fuhr sich durch die Haare. Er schaute von seiner Mutter über deren seltsame Dunkelelfenbekanntschaft hinüber zu Madiha. Es interessierte ihn allerdings nur eine einzige Meinung. "Wenn du hier schlafen möchtest..."
"Natürlich möchte sie!", wies Estelle ihren Jungen zurecht. Sie lachte und machte wieder einen Schritt auf das Paar zu. Sie streckte ihre Hände aus. ließ sie allerdings in der Luft schweben. "Du stammst nicht aus Andunie, Madiha?"
"Sie ist Sarmaerin, Mama", mischte Caleb sich nun ein und trat neben Madiha, um seinen Arm um sie zu legen. Ein Symbolbild. Seine Mutter neigte den Kopf etwas. "Du sprichst voll Zuneigung über sie, mein Schatz. Sie bedeutet dir viel, nicht wahr."
Caleb wurd rot, rieb seinen Nacken und sah zu Madiha herunter. In seinen Augen glomm noch immer die Liebe, die er für sie empfand. Kurz wanderten die Fjorde zu ihrer Hand und dem Ring, der dort am Finger ruhte. Kleine Schritte, das hatten sie einander versprochen. Caleb würde nun nicht über ihre gemeinsame Entscheidung hinweg schreiten und Madiha vor vollendete Tatsachen stellen, denen sie noch nicht zugestimmt hatte. Er war nicht wie Männer aus Sarma, nicht wie die feisten Sultane, nicht wie Khasib. Unter ihm hatte Madiha keine Entscheidungen getroffen, die ihr Schicksal betrafen. Das war ihr nicht erlaubt. Hier und jetzt wagte Caleb es nicht, aus Respekt zu ihr, denn auch sie war ein denkendes, fühlendes Wesen. Gleichgestellt. Frei.
Plötzlich legten sich filigrane, aber durch das Alter etwas geknechtete Finger an Madihas Bauch. Sanft strichen sie über ihn. "Ich fühle noch keine Wölbung", murmelte Estelle. "Habt ihr beiden noch nicht mit der Planung angefangen? Hast du ihr schon einen Antrag gemacht, Caleb, Schatz? Du wirst mir doch Enkel schenken, bevor es mit mir zu Ende geht?"
"Mama, ich..." Calebs Druck seiner Hand verstärkte sich auf Madihas Schulter. Hier war der Grund, warum er geflohen war, zumindest einer. Seine Mutter ging größere Schritte. Sie sprang diese, als glaubte sie, kaum noch Zeit zu haben. "Es ist nicht mehr so leicht in Andunie zu leben wie früher", seufzte sie. "Schenk mir nach deiner Rückkehr doch noch diese letzte Freude, mein Junge. Oder seid ihr gar kein Paar? Madiha?" Sie drehte sich der Jüngeren zu und ließ ihre Hände vom Bauch an Madihas Unterarmen entlang zu ihren Fingern wandern. "Ich weiß, die Zeiten sind gefährlich und niemand denkt aktuell ans Kinderkriegen, aber..."
"Achtet Vater nicht auf dich, Mama?"
"Ich achte auf sie", warf Jivvin knapp ein. Caleb musterte seine Mutter nun genauer. Erstmals entdeckte er den Schleier und runzelte die Stirn. Der Stoff war nicht schwarz, doch das musste nichts heißen. "Wo ist Vater?", fragte er eindringlich. Estelle zögerte. "Im Garten, hinter dem Haus", erklärte sie schließlich. "Erinnerst du dich an den Apfelbaum, den wir beim Einzug gepflanzt haben? Er behütet ihn wie ... seinen eigenen Sohn." Sie hob einen Mundwinkel an. "Geh zu ihm, mein Schatz. Ich bin sicher, es ist wichtig, dass du ihm begegnest." Estelle klammerte sich an Madihas Finger. "Aber ganz gleich wie das ausgeht, ihr beiden bleibt doch hier? Ich könnte noch einen Apfelkuchen backen und zum Frühstück mache ich knursprige Brotscheiben mit geschmolzener Butter und dazu hart gekochte Eier! Haben wir noch Eier im Haus, Jivvin?"
Die Dunkelelfe schnaufte. "Wenn nicht, hoffe ich für deinen Sohn, dass er welche mitgebracht hat. Er wird sie brauchen, falls er nun in den Garten geht. Richtig harte Eier."
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Dienstag 29. August 2023, 22:32

Für das Waisenkind aus Sarma ging diese Szene der Wiedersehensfreude mit einer großen Faszination einher. Sie war gerührt davon, dass Caleb nach so vielen Jahren sein zuhause gefunden und nicht unbewohnt vorgefunden hatte. Dass er so unvermittelt auf seine Mutter traf und jene ihn willkommen hieß, ohne zu zögern. Dass ihn etwas ganz Banales und gleichzeitig so intimes hergeführt hatte, wie der immer schon beliebte Apfelkuchen seiner Mutter. Ganz instinktiv waren es die feinen Aromen, die den Sohn zur Heimkehr bewegt hatten und nun standen sie hier in dieser heimeligen Küche und zumindest Madiha durfte Zeugin dessen werden, was es bedeutete, familiäre Bande zu haben. Das Mädchen spürte in diesem Moment nicht den eigenen Verlust oder eine gewisse Einsamkeit aufkommen. Aber sie konnte dennoch nicht die Tränen zurückhalten, die bei näherer Betrachtung durchaus etwas salziger wären. Ihre Mutter war schon viel zu lange tot und hatte ihr bis auf ihren Namen nichts mitgegeben. Nun, vielleicht den unbändigen Willen zu leben, doch das konnte Madiha sich nur einreden und nicht wirklich wissen. Ihren Vater hatte sie indes nie kennengelernt und laut ihrer Mutter war jener ebenfalls lange tot. Sie hatte nicht mal Anhaltspunkte über ihn. Es gab ihn einfach nicht. Nicht, weil sie seine Existenz leugnen würde, aber für Madiha hatte er weder einen Namen noch ein Merkmal, das ihre Gedanken an ihn binden würde. Auch hatte sie niemals ein Heim wie dieses besessen. Es strahlte aus jeder Ecke, auch wenn in ihr Staub liegen sollte, eine Wärme und Gemütlichkeit aus, dass sie sich unweigerlich die Frage stellen musste, warum Caleb je geflohen war.
Ginge es nur darum ein wundervolles Haus zu besitzen, so hätte sie es wohl niemals verstanden. Aber Madiha kannte Caleb inzwischen gut genug. Und er hatte ihr seine Geschichten aus Jugendtagen erzählt, während ihn seine Füße ganz selbstverständlich hergeführt hatten.

Wie er mit anderen Jugendlichen herumgetollt hatte, sich Späße mit Bewohnern der Stadt erlaubt und dann lachend fortgelaufen war. Wie er sich beim Bäcker mal ein Stück Plunderteig gemopst und dann heimlich in einer abgeschiedenen Ecke gegessen hatte. Als seine Mutter ihn erwischte, weil der Puderzucker noch verräterisch an seiner Nasenspitze hing… Caleb war ein Freigeist. Und er würde sich nicht in Zwänge begeben, die ihm nicht behagten. Umso wundervoller durfte sich Madiha fühlen, als sie das kaum existente Gewicht an ihrem Finger fühlte. Sie strich gedankenverloren darüber und hob lächelnd den Kopf. Plötzlich aber war sie im Fokus des Geschehens und war äußerst überrumpelt davon. Sie hatte gar nicht erwartet, dass man sie nun miteinbezog. Immerhin hatten sich Mutter und Sohn seit 13 Jahren nicht mehr gesehen. Da hätte sie es durchaus verstanden – oder sowieso -, wenn man sie nicht bemerkt hätte. Nun aber stammelte sie sich etwas zurecht und sah überrascht auf, als Jivvin sich so barsch einmischte. "Blumen eignen sich auch nicht unbedingt, wenn man in fremde Häuser einbricht" Sie zögerte, dann aber blitzte es kurz in dem Graublau auf. „Sicher... oder gerade dann? Nur für den Fall…“, gab sie zurück und wirkte mit einem Mal etwas schlagfertiger als gewöhnlich. Der Moment währte aber viel zu kurz, sodass sie mit ihrem Blick zur Alten zurückkehrte, die die Elfe mahnte. Das Mädchen stellte sich nun endlich vor und verfiel gleich mal in alte Muster, die ihr einige fragende Blicke einbrachten und ihr die Röte ins Gesicht trieben. "Nenn mich doch einfach Estelle. Frau van Tjenn klingt furchtbar alt." Sie hob die Augenbrauen an. Sie sollte sie…? Estelle nennen?! Das Mädchen blinzelte einen Moment. Sie sollte sie beim Vornamen nennen? "Und auch du hast dich nur als Madiha vorgestellt ... ein wirklich schöner Name. Er klingt so exotisch." Nun war Madiha gleich noch mal baff. Das hatte sie schließlich bisher auch nicht gehört. Ihr Name war in Sarma nun nichts Besonderes. Einzig für das Mädchen selbst, da er von ihrer eigenen Mutter übriggeblieben war. Sie erinnerte sich, dass sie ihr mal sagte “Madiha… eine Frau, die es wert ist, geliebt zu werden… Das bedeutete ihr Name und sie hatte sich in den letzten Jahren sehr oft daran erinnert, um niemals aufzuhören, zu kämpfen! „Danke…“, flüsterte sie ehrlich geschmeichelt und lächelte danach. Dass sie keinen Nachnamen besaß, sondern lediglich den Beinamen ihrer Herkunft… nun, das ließ sie an dieser Stelle lieber aus. Sie wusste ja nicht, wie Estelle dazu stünde, dass ihr Sohn jemanden wie Madiha mitbrachte. Und sie wollte diesen Moment nun gewiss nicht trüben. Um von sich selbst abzulenken, versuchte sie bei der Dunkelelfe einige Punkte gutzumachen. Ihr war nicht entgangen, dass sie vordergründig sie angesehen hatte mit ihrem Tadel.

Die Erklärung dahinter allerdings… "Meine Mutter hieß Jivvin. Ich habe den Namen von ihr genommen, genauso wie ich ihr Leben genommen habe."
"Jivvin!"
, folgte gleich der Tadel aus dem Mund der Älteren. Madiha aber starrte Jivvin an und hatte beide Augenbrauen gehoben. Sie wusste nicht, ob die Dunkle einen schwarzen Humor hatte oder die Wahrheit sprach. Was sie ihr gleich mal beantwortete: "Ich spreche die Wahrheit aus" "Ich weiß, aber erschreck unseren Gast doch nicht so. Ihr bleibt doch hier über Nacht, Madiha? Caleb, mein Schatz? Du wirst hierbleiben, bei deiner Mutter, nicht wahr?" Madiha war noch mit Jivvin’s Geschichte beschäftigt und grinste sie irgendwie schief an. Es war faszinierend, wie sie unbekümmert und seelenruhig davon erzählte. Angst hatte Madiha jedenfalls nicht. In Sarma auf der Straße hatte sie genug erlebt von Kindesbeinen an. Und die darauffolgenden Jahre waren auch nicht anders verlaufen. Dann die Folter im Gefängnis… Madiha hatte genug erlebt, um sich davon nicht einschüchtern zu lassen. „Eure Mutter hat offenbar nicht für euch gebacken…“, murmelte die Sarmaerin in Richtung Jivvin und grinste noch mal schief auf, als Caleb plötzlich ihre Aufmerksamkeit beanspruchte. Madiha sah zu ihm auf, ehe sie die Situation zu verstehen versuchte. Sie hatte die Frage von Estelle nicht richtig mitbekommen. "Wenn du hier schlafen möchtest..."
"Natürlich möchte sie!"
, beantwortete die Alte gleich mal und Madiha räusperte sich. „Oh, das ist.. wirklich.. also…“, stammelte sie nun wieder. Ihre plötzliche Schlagfertigkeit verrauchte wieder und sie lächelte bescheiden. "Du stammst nicht aus Andunie, Madiha?", sie schüttelte schon den Kopf, da beantwortete Caleb gleich die Frage. Sein Arm legte sich wie eine schützende, wärmende Decke über sie und sie bekam rote Wangen. "Du sprichst voll Zuneigung über sie, mein Schatz. Sie bedeutet dir viel, nicht wahr." Nun wurde das zarte Rot dunkler und glich sich Caleb’s Ton bedeutend an. Auch sie sah zu ihm und lächelte ihn an. Seine Liebe regnete auf sie herab und für einen Moment versank Madiha in den Fjorden des Diebes. Sie lehnte sich dichter an ihn und folgte dann seinem Blick auf ihren Finger. Dort war er, der wundervolle Ring, der so gut zu ihr passte. Der ihre Seele und ihren Wert für Caleb symbolisierte. Der seine Liebe symbolisierte. Und der sie beide einen kleinen Schritt weiter auf ihren gemeinsamen Weg gebracht hatte. Es war der Beginn von etwas, das sie noch nicht begreifen konnte. Aber sie empfand nur Liebe für ihn, bei dem Anblick des Ringes und dem Glanz in seinen Augen. Mit einem Mal wurde das Gefühl jedoch unterbrochen, als eine dürre Hand sie berührte.

Madiha zuckte erschrocken und blickte in das sehr viel nähere Gesicht der Mutter. Sie sah den Schleier, dann ruckte ihr Kopf nach unten und ihre Augen erfassten das Tätscheln ihres Bauches. Das Mädchen verspannte sich merklich. „Was…?“, entfuhr es ihr, während die Alte etwas zu suchen schien. "Ich fühle noch keine Wölbung.“ „Was für eine Wölb-?“ “Habt ihr beiden noch nicht mit der Planung angefangen? Hast du ihr schon einen Antrag gemacht, Caleb, Schatz? Du wirst mir doch Enkel schenken, bevor es mit mir zu Ende geht?"
"Mama, ich..."
Sie spürte den Druck, der sich von seiner Hand auf ihrer Schulter entlud. Madiha runzelte die Stirn. Sie verstand gar nicht so schnell, was hier vor sich ging, als Estelle plötzlich ihre Finger hielt. "Es ist nicht mehr so leicht in Andunie zu leben wie früher. Schenk mir nach deiner Rückkehr doch noch diese letzte Freude, mein Junge. Oder seid ihr gar kein Paar? Madiha?" „Nun… also… also wir…“, stammelte sie hilflos, da sprang Estelle schon weiter. "Ich weiß, die Zeiten sind gefährlich und niemand denkt aktuell ans Kinderkriegen, aber..." „Kinderkrie-?!“, das Mädchen machte große Augen und ruckte mit dem Kopf zu Caleb herum. Das ging dann doch alles bedeuten zu schnell und versetzte Madiha in eine leichte Nervosität. Sie wollte seiner Mutter ja nicht vor den Kopf stoßen, doch glücklicherweise musste sie das auch gar nicht. Caleb wechselte gekonnt das Thema, sodass Madiha Zeit blieb, sich wieder etwas zu entspannen. "Achtet Vater nicht auf dich, Mama?"
"Ich achte auf sie"
"Wo ist Vater?"

Madiha schwieg in diesem Moment. Die Panik verflog wieder, denn nun ging es um etwas anderes, als ihre Pläne mit dem Sohn der adeligen Familie van Tjenn. Darüber hatten sie weder gesprochen, noch hatte Madiha je darüber nachgedacht. Wie auch? Bis vor einigen Wochen war sie noch Sklavin eines feisten Pfeffersackes gewesen und hatte jede Nacht dafür Sorge zu tragen, dass ihm nicht langweilig würde. Und dass sie keine Kinder bekam. Madiha runzelte kurz in ihrer eigenen Gedankenwelt die Stirn. Konnte sie überhaupt…? Den Gedanken dachte sie nicht zu Ende. Viel zu weit weg war das Thema doch für sie und so legte sich ihr Fokus zurück auf Caleb und das Gespräch mit seiner Mutter. " Erinnerst du dich an den Apfelbaum, den wir beim Einzug gepflanzt haben? Er behütet ihn wie ... seinen eigenen Sohn. Geh zu ihm, mein Schatz. Ich bin sicher, es ist wichtig, dass du ihm begegnest. Aber ganz gleich wie das ausgeht, ihr beiden bleibt doch hier? Ich könnte noch einen Apfelkuchen backen und zum Frühstück mache ich knusprige Brotscheiben mit geschmolzener Butter und dazu hart gekochte Eier! Haben wir noch Eier im Haus, Jivvin?" "Wenn nicht, hoffe ich für deinen Sohn, dass er welche mitgebracht hat. Er wird sie brauchen, falls er nun in den Garten geht. Richtig harte Eier." Madiha war ein wenig mit der Schnelligkeit der Dinge überfordert. Eigentlich war sie noch auf einer ganz anderen Ebene. Sie hatte mit Caleb gerade erst einen neuen Schritt gewagt und war darüber vor Glück fast zerschmolzen. Jetzt trafen sie auf seine Familie und wie auch immer die Konstellation genau beschaffen war, Jivvin wirkte nicht wie eine Tyrannin. Caleb’s Mutter konnte mit ihr ganz normal reden, bewegte sich frei und hatte offenbar das Sagen. Und Jivvin wartete mit echtem Humor auf! Madiha zog einen Mundwinkel hoch, bei den Worten der Elfe, hielt sich trotzdem lieber zurück. Die Fragen von Estelle waren so bohrend, dass Madiha glaubte, sie müsste sich wappnen, um nichts Falsches zu sagen. Gut, dass der Fokus nun von ihr abrückte.
„Wenn es dir recht ist, bleiben wir gern, Caleb.“, murmelte sie ihrem Dieb zu, bevor er sich auf den Weg machen könnte, um nach seinem Vater zu sehen. Was Jivvin meinte, warum er nun Stärke beweisen müsste, wenn er seinem Vater gegenübertrat, konnte sie nur mutmaßen. Sie wusste, dass Caleb so seine Schwierigkeiten hatte mit ihm und seinem Werdegang. Sie kannte die Geschichte seines Fortganges und dass es eher einer Flucht gleichkam, denn eines Wegganges. Aber sie glaubte trotzdem, dass sein Vater dein einziger Sohn direkt in die Arme schließen würde. Es musste so sein oder nicht? Madiha konnte nur ein Bild mit dem malen, was sie hatte. Und Estelle war so glücklich über seine Rückkehr – wäre es denn bei seinem Vater nicht auch so? Machte das nicht eine Familie aus? Madiha hatte eine romantische Vorstellung davon, weil sie sie selbst erschaffen hatte, ohne auf fundamentiertes Wissen zurückgreifen zu können. Eltern liebten einen immer, nicht wahr? Es musste so sein. Madiha griff nach Caleb’s Hand und lächelte ihm aufmunternd zu. Sie wollte ihm zur Seite stehen, wenn ihm der Gang schwerfiel.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 31. August 2023, 16:19

So viele Jahre war es her, dass sie sich nur noch schwer an Einzelheiten ihrer Mutter erinnern konnte. Emotional musste Madiha da noch tiefer graben. Umso intensiver berührte sogar sie als Außenstehende der Anblick zwischen Mutter und Sohn, die einander wiedergefunden hatten. Caleb war heimgekehrt. Dreizehn lange Jahre hatte es gedauert, aber er war endlich wieder zu Hause und seine Mutter empfing ihn derart herzlich, dass nur ein Eisklotz wie Jivvin keine Miene verzog. Sie betrachtete die Szene reserviert, aber wenigstens ohne eine Spur Ekel in der Miene. Sie freute sich allerdings auch nicht, weder für den fremden Besucher, noch für Estelle. Dass sie zu Letzterer allerdings ein entspanntes Verhältnis pflegte, beweisen beide im Umgang miteinander. Und dass Calebs Mutter eine herzensgute Person war, bewies sie, als sie Madiha sofort und ohne jegliche Umschweife in den kleinen Kreis Familie einbezog, einfach nur, weil ihr Sohn sie mit angeschleppt hatte. Sie blieb nicht abseits stehen, sie wurde ebenso freundlich empfangen ... und plötzlich fand sie die Finger der älteren Dame an ihrem Bauch. Wenig später schwante ihr der Grund dafür und somit auch erste Hinweise, warum Caleb sich eingeengt und wenig frei gefühlt haben mochte. Estelle van Tjenn war so auf Enkelkinder aus, dass sie vollkommen überging, wie ihr eigener Sohn darüber dachte. Sie hakte auch nicht vorab an, wie er und Madiha zueinander standen. Sie hatte lediglich bemerkt, dass er mit weiblicher Begleitung erschienen war, sie liebevoll in den Arm zog und gut von ihr sprach. Das erschien der Mutter schon Grund genug, in Madiha die potenzielle Schwiegertochter und Mutter zahlreicher Enkelchen für Oma van Tjenn zu sehen.
Es konnte zumindest Verständnis für den Dieb aufkommen, der seine heimelige Umgebung für ein wenig mehr Freiheit hinter sich gelassen hatte. Sein Vater war bis dahin noch nicht einmal Thema gewesen. Dass Caleb und er nicht das beste Verhältnis zueinander besaßen, hatte der Dieb bereits erwähnt. Wie es wohl jetzt aussähe? In Madihas Vorstellung, in der Eltern immer liebend und fürsorglich waren, ging sie davon aus, dass der Hausherr van Tjenn ihm sofort verzeihen und ähnlich in seine Arme schließen wollen würde wie Estelle es tat. Jivvins Anmerkung, sich zu wappnen ließ dieses Bild jedoch ein wenig schwanken. Es würde sicher nicht leicht, Vater van Tjenn gegenüber zu treten. Er sollte im Garten hinter dem Haus sein, bei einem Apfelbaum. Ob jener den verlorenen Sohn symbolisierte und deshalb so aufmerksam bewacht wurde? Der Gedanke ließ hoffen.
In jedem Fall war es wichtig, dass Caleb mit seinem Vater sprach und da bereits tiefste Nacht herrschte, sah Madiha es nur für ratsam an, Estelles Einladung anzunehmen.
"Wenn es dir Recht ist, bleiben wir gern, Caleb." Er nickte und schaute wieder zu seiner Mutter. Sie erwiderte den Blick offenbar ganz ruhig. Als Stille sich ausbreitete, winkte die alte Dame in die Luft. "Na los, mein Schatz. Du wolltest in den Garten. Bring es hinter dich ..." Jivvin verschränkte die Arme, schaute zur Seite und schnalzte mit der Zunge. Estelle überhörte es bewusst. "Ich bleibe mit deinem ... ich weiß immer noch nicht, wie ihr zueinander steht ... mit deiner Angebeteten? Ich bleibe mit Madiha hier."
Erneut nickte Caleb. "Ich bin bald zurück", wandte er sich kurz an Madiha und machte sich dann auf. Seine Schritte waren zielstrebig. Er kannte sich im Haus aus, brauchte kein Licht, um sich zurechtzufinden. Estelle hingegen schien diesen Umstand nun auch zu bemerken. Sie drehte den Kopf in Jivvins Richtung. "Würdest du Licht machen, damit wir nicht in der Finsternis stehen? Und sei doch so gut, setze ein bisschen Teewasser auf. Melisse, das beruhigt die Nerven."
"Soll ich nicht lieber gleich Baldrian-Tee kochen?", erwiderte Jivvin ausnahmweise wenig bissig. Erneut trat eine stille Pause ein. Dann seufzte Estelle und nickte. "Vielleicht auch etwas von dem importierten Whiskey aus Jorsan." Sie streckte die Hand nach Madihas aus, ergriff sie und legte ihre andere darüber. "Hat mein Caleb sich das Trinken angewähnt, weißt du das?"
"Wenn nicht, werde ich meine Freude haben, ihn betrunken zu machen", kommentierte die Dunkelelfe trocken, während sie sich einigen Küchenschränken zuwandte, um einen Teekessel hervor zu kramen, den sie gleich auch an der eingebauten Pumpe befüllte. Natürlich erst, nachdem sie für Licht gesorgt hatte. Im Schein einiger Laternen konnte Madiha endlich mehr erkennen. Das Küchenholz war hell und mit grünen Akzenten versehen, so dass es zum Grün der vielen Pflanzen perfekt harmonierte.
Estelle schenkte Madiha allerdings kaum Gelegenheit, den Raum zu bewundern. Sie zog sanft, aber bestimmt an ihrer Hand, während sie sich dem zweiten Torbogen zuwandte. "Im Salon ist es gemütlicher. Wir haben einen Kamin. Jivvin, würdest du bitte...?"
"Ich bin nicht deine Sklavin, Estelle!", erwiderte die Elfe. Trotzdem ließ sie den Teekessel auf der Ofenplatte stehen und huschte vor den beiden anderen Frauen durch den Torbogen, damit der Raum bereits erhellt wäre, sobald sie eintraten.
"Ich weiß", erwiderte Estelle, ohne dass Jivvin es noch hätte hören können. "Und ich bin froh, dass niemand sich Sklave unter diesem Dach schimpfen muss." Sie führte Madiha in den nächsten Raum. Erneut wurde sie von Reichtum geblendet, wie sie ihn sonst nur bei Assab oder Khasib kannte und doch erhielt sie ganz andere Eindrücke. Andunier besaßen keine Paläste. Sie stellten ihren Besitz nicht durch kostbare Vasen, Elfenbein oder wervolle Statuen, sowie juwelenbehangene Lustsklavinnen zur Schau. Trotzdem erkannte sie in jedem einzelnen Möbelstück des Raumes, dass er ein kleines Vermögen wert sein musste.

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Auch im Salon sah man keine Spuren eines Überfalls. Die zerstörten Blumenkübel, sowie das verrammelte Außenfenster waren einzige Spuren. Hier aber herrschte wie schon in der Küche eine Idylle vor, dass man sich irgendwo einkuscheln und nur die Harmonie genießen wollte. Der Raum war rund gehalten, mit einer kleinen Fensterfront und einem großen, runden Fenster in der oben offenen Etage. Auch hier herrschten zahlreiche Pflanzen vor, verrieten die Leidenschaft der Bewohner für Celcias Flora. Ein halbrundes Sofa aus grünem, samtigen Polstern stand vor der Fensterwand. Ein kleiner, runder Kaffeetisch beherbergte weitere Blumentöpfe, einige Bücher und ein Teeservice, das man offenbar am Abend vorher nicht fortgeräumt hatte. Gegenüber der mit zahlreichen Kissen und kuschligen Decken bereiteten Sofaecke fand sich ein ebenso dunkelgrüner, gemütlicher Sessel. Ein schwarzer Kamin erhellte den Raum bereits. Darüber hing ein Landschaftsbild der Stillen Ebene mit einigen kleinen, andunischen Apfelplantagen im Vordergrund. Zu beiden Seiten des Kaminds fanden sich Regale, angefüllt mit allerlei Büchern.
Estelle gab Madiha einen Moment Zeit, den Raum in Augenschein zu nehmen. Dann wies sie mit ausgestreckter Hand hinein. "Setz dich, wohin du möchtest. Es ist reichlich Pl-"
"AAAAAAHHHHHHHHHHHHHRRRRR!!!"
Sie wurde von einem jähen Schrei unterbrochen, in dem Schmerz und Leid mitschwang und der mindestens zwei der drei Frauen durch Mark und Bein ging. Jivvin richtete nur den Blick in den Augenwinkel und somit zurück gen Küche. "Weichgekochte Eier", murmelte sie, allerdings sehr leise, als wollte sie gar nicht, dass man ihren Kommentar wahrnahm. Das war Calebs Stimme.
Estelle löste ihre Finger von Madihas. Sie machte ein paar Schritte in den Salon, streckte die Hand nach der Sessellehne aus, ehe sie sich auf das weiche Polster sinken ließ. "Ich bin sicher, du willst zu ihm. Jivvin?"
Die Dunkelelfe sagte nichts. Sie trat nur neben Madiha, bereit, sie zum Garten zu führen. Estelle blieb im Salon zurück. Sie wartete, bis sie die Schritte beider Frauen verhallen hörte. Dann beugte sie sich voll Gram vor und faltete die Hände im Schoß zusammen. "Oh Ventha, Tränen würde ich dir opfern, wenn ich noch könnte...", flüsterte sie.

Madiha bekam davon nichts mehr mit. Sie ging hinter Jivvin her, getrieben von der Sorge um Caleb. Er schrie selten und noch seltener so voller ... Kummer? Es hatte auch schmerzlich geklungen, aber nicht so, als hätte ihn jemand geschlagen. War er mit seinem Vater in Streit geraten? Die Dunkelelfe und die Sarmaerin erreichten den Garten. Er befand sich hinter dem Haus, von einer niedrigen Mauer aus Stein umgeben und zu Teilen auch von einer mannshohen Hecke. So ließ er sich von den Gärten der Nachbarhäuser abschirmen. Allzu groß war er nicht, was dafür sprach, warum auch das Hausinnere zur Zuflucht zahlreicher Pflanzen geworden war. Tatsächlich fanden sich hier lediglich ein kleines Vogelbad, eine Steinbank, zwei Zierbüsche, weitere Pflanzenkübel und im Schutz der Hecken der gepflanzte Apfelbaum. Im Halbdunkel konnte Madiha lediglich sehen, wie Caleb unter dem Baum kniete, die Schulter und den Kopf hängen lassend. Sie sah aber sonst niemanden im Garten und er war zu klein, als dass ein anderer Mann sich dort hätte verstecken können.
Ohne Vorwarnung drückte Jivvin ihre Hand zwischen Madihas Schulterblätter und schob sie nach vorn. "Geh schon", riet sie der jungen Frau. Sie selbst blieb anschließend mit verschränkten Armen neben der Tür und im Schein der einzigen Laterne hier stehen. Als Madiha sich Caleb näherte, würde sie den Grund für seinen Zusammenbruch erkennen. Er hatte keinen Streit mit seinem Vater. Den würde er nie wieder haben. Im Halbdunkel und durch Calebs bloße Statur hatte Madiha den kleinen, halbrunden Stein vor ihm gänzlich übersehen. Er befand sich neben dem Apfelbaum. Eine Vase mit weißen Lilien stand davor und auf dem Stein war eingemeißelt: Hier ruht Gregor van Tjenn, Vater und geliebter Ehemann. Er verteidigte sein Heim bis zum letzten Atemzug. Nun segelt er auf Venthas Wogen.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 1. September 2023, 22:02

Wenn Madiha bereits vorher geglaubt hatte, völlig unwissend zu sein, dann war sie es jetzt erst recht. Estelle machte keinen Hehl daraus, was sie von ihrem Sohn und dessen Gast erwartete. Ohne sich zu vergewissern, wie die beiden zueinander standen, implizierte sie Wünsche und setzte Madiha unter Druck. Kinder?? Nun, sie hatte mal gerade erst einen guten Fortschritt erzielt und sich überhaupt geöffnet. Sie hatte mit Caleb eine wundervolle, erste Nacht verbracht und wenn sie daran zurückdachte, röteten sich ihre Wangen. Doch das, was seine Mutter wünschte, war ihr dann doch viel zu viel. Überfordert stammelte sie nur vage Worte ohne eine der vielen Fragen konkret zu beantworten. Es wirkte fast so, als wäre Estelle auch ganz gleich, wer ihr die ersehnten Enkelkinder schenkte, solange es möglichst bald passierte. Das Mädchen hatte Caleb einen fragenden Blick zugeworfen, doch schon kurz darauf, lies er sie mit Estelle und Jivvin zurück, um sich mit seinem Vater zu versöhnen. Einen Moment lang war Madiha unwohl. Sie wollte nicht allein zurückbleiben, verstand aber sehr wohl, dass er die Zeit nun brauchte. Unsicher lächelte sie sowohl im Richtung Mutter als auch Dunkelelfe, bevor Estelle Jivvin bat, Licht zu machen. Das folgende Hin und Her zwischen den Frauen, lies Madiha erneut zweifelnde und fragende Blick zwischen ihnen wechseln. Baldrian Tee für die Nerven? Vielleicht wäre das nicht so schlecht. "Vielleicht auch etwas von dem importierten Whiskey aus Jorsan.", sprach Estelle, bevor sie Madiha’s Hand ergriff und festhielt. "Hat mein Caleb sich das Trinken angewöhnt, weißt du das?" Sie hob beide Augenbrauen und schüttelte verneinend den Kopf. „Ich denke nicht, dass er viel trinkt.“, versuchte sie sich an einer Antwort, doch da mischte sich Jivvin schon ein: "Wenn nicht, werde ich meine Freude haben, ihn betrunken zu machen" Madiha sah verwirrt zu ihr: „Warum?“, fragte sie ehrlich interessiert, denn ihr erschloss sich nicht, warum die Dunkelelfe ihn betrunken sehen wollte.
Die beiden Frauen mussten bereits seit längerem zusammenleben, denn sie wirkten sehr eingespielt und routiniert im Umgang. So war es kaum verwunderlich, dass Jivvin sagte, sie wäre keine Sklavin. Was Estelle jedoch sagte, lies Madiha den Blick auf sie richten. "Und ich bin froh, dass niemand sich Sklave unter diesem Dach schimpfen muss." Sie räusperte sich verhalten, doch würde sie vorerst nichts dazu sagen. Sie überließ es Caleb, was er erzählen wollte und wie viel. Madiha hatte gelernt, dass es manchmal sehr viel besser war, den Mund zu halten. Und hier, in dieser Welt, kannte sie sich überhaupt nicht aus. Was ihr erneut von dem wundervollen und unbekannten Ambiente bestätigt wurde. Staunend betrat sie den „grünen Salon“ und starrte auf die große Sitzgarnitur. Alles harmonierte so unsagbar faszinierend, ohne dabei überladen zu wirken. „Ihr habt ein wundervolles Haus, Estelle.“, bemerkte Madiha ehrlich und sah sich mich leuchtenden Augen die vielen Bücher N. Das Glasdach, das sich erneut wiederfand. Die vielen Pflanzen und Blumen. Es war fantastisch. Gerade wollte Estelle ihr einen Platz anbieten, da gellte ein markerschütternder Schrei durch die Wohnbereiche.
Madiha fuhr erschrocken zusammen und starrte mit weit aufgerissenen Augen zum Ausgang aus dem Salon. „Caleb?!“ Ihr Herz hämmerte alarmiert, weil der Klang dieses Schreis etwas an sich hatte, dass sie nicht ertragen konnte. Kummer… er war so wahnsinnig kummervoll, dass ihre Hände sofort kalt wurden. Estelle erkannte die Lage und stellte ihr Jivvin an die Seite, die sie zum Garten führen sollte. Unruhig folgte sie der Elfe, die ihr ein wenig zu langsam ging, doch sie versuchte sich zu beherrschen, nicht einfach loszulaufen. Sie erreichten den Garten und endlich fiel ihr Blick gleich suchend über das beschauliche Plätzchen. Als erstes fand sie den Apfelbaum. Dann rutschte ihr Blick daran hinab und fiel auf Caleb’s Silhouette. „Caleb…“, flüsterte sie, denn er wirkte mindestens genau so gebrochen, wie noch vor einigen Stunden auf dem Schiff, nachdem er erkannte, welchen Fehler er hatte begehen wollen. Madiha war wie erstarrt, weil sie die Situation noch nicht verstehen konnte. In Gänze zumindest nicht. Wo war sein Vater? Eine Ahnung wollte ihr in die Seele kriechen, doch sie sperrte sie mit aller Macht aus. Das Mädchen aber war wie gelähmt von diesem Angriff, der ihr die unverblümte Wahrheit in den Verstand drücken wollte, bis sie dem Druck zwischen ihren Schultern nachgab und zwei Schritte auf Caleb zumachte. Dann blieb sie wieder stehen. Madiha hatte ihren Blick auf den erschütterten Dieb gerichtet und konnte an ihm dann vorbeisehen. Ein Stein… er starrte auf einen Stein. Erst fiel ihr nichts dazu ein. Nein… das stimmte nicht. Manchmal gab es Situationen, da brauchte man die Umstände nicht gehört zu haben. Da reichte die Bildsprache und auch ohne gelesen zu haben, was dort stand, wandte sich Madiha mit festem, funkelnden Blick zu Jivvin um. „Wieso habt ihr nichts gesagt?! Wieso habt… ihr ihn nicht vorgewarnt?!“, presste sie zwischen ihren Zähnen hervor. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie verstand das nicht. „Anstatt Witze zu machen, hättet Ihr etwas sagen müssen!“, schob sie noch einmal nach und wandte sich dann Caleb zu. Beim Anblick des Diebes, löste sich ihr Ärger in Luft auf und wurde von Mitleid vertrieben. Das Mädchen konnte sich an den Verlust der Mutter nicht mehr recht erinnern. Sie war bereits groß genug, doch sie hatte nur zusehen können, wie man den Leichnam ihrer Mutter auf einen Karren geworfen und zu den Armengräbern außerhalb der Stadt gefahren hatte. Mit einem Kloß im Hals, ging Madiha auf Caleb zu und stand schräg hinter ihm. Zögernd brauchte sie eine Sekunde, dann aber kniete sie sich neben ihn und legte dem trauernden Sohn stumm eine Hand auf die Schulter. Sie war da. Sie würde ihm Halt geben, wenn er ihn denn wollte. Madiha konnte Caleb’s Schmerz nicht nachvollziehen, weil sie ihn nie in dieser Form erlitten hatte. Zu erkennen, dass es keine Gelegenheit geben würde, sich auszusprechen und zu versöhnen. Aber sie hatte genug Menschen weinen sehen, um eine Stütze sein zu wollen. Mit einem Mal erinnerte sie sich daran, dass sie Caleb ihre Gefühle hatte gestehen wollen, bevor er Azura dann in den Tod nachsprang. Ihr fiel ein, dass sie das Gefühl gehabt hatte, dass sie ihre Chance verpasste…
Erst jetzt nahm sie sich Zeit, die Inschrift zu lesen. Es dauerte, die Buchstaben zu entziffern, denn sie hatte lange nicht geübt. Lesen klappe noch immer nicht flüssig und in diesem Moment mochte sie sich selbst dafür nicht sonderlich. Sie wollte Caleb doch beistehen… wie sollte sie, wenn sie nicht mal lesen konnte, was dort stand? Also konzentrierte sie sich verbissen und entzifferte Buchstabe für Buchstabe. „Es tut mir so leid…“, flüsterte sie, als sie endlich den Sinn hinter der Botschaft verstand.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Freitag 1. September 2023, 22:47

Hoffentlich wäre der Baldrian-Tee schnell fertig. Madihas Magen zog sich auf unliebsame Weise zusammen und sie konnte nicht sagen, warum. Noch nicht. Calebs Aufschrei allein aber hatte genügt, in ihr alle Sorge um ihn zu wecken. Sie kannte den Klang von Kummer und genau jenen hatte sie aus seiner Stimme herausgehört. Das verhieß nichts Gutes. Das Wiedersehen mit seinem Vater schien nicht gut zu verlaufen. Noch ahnte Madiha ja nicht, was wirklich geschehen war, aber es sollte auch nicht mehr lange dauern, bis sie es herausfand.
Jivvin führte die junge Frau in den Garten hinter dem Haus. Nicht groß, aber ebenso heimlig wie das übrige Gebäude derer van Tjenn. Trotzdem lag eine seltsame Stimmung in der Nachtluft. Spätestens als Madiha den in sich zusammengesunkenen Körper Calebs entdeckte, wusste sie, dass es von ihm ausging. Und so wie er da saß, weckte es in ihr die Schreckensbilder an Bord der Blauen Möwe, die beinahe zu einem echten Unglück geführt hätten. Im letzten Moment war es verhindert worden. Mehr noch, es hatte sich in Verzeihen und anschließend etwas Wundervolles gewandelt. Caleb hatte Madiha gezeigt, wie schön Zweisamkeit sein konnte und dass Khasib ihr so viel genommen hatte, indem er sie hatte glauben machen, der Akt an sich wäre nichts, was eine Frau mit Freude verbinden dürfte. Ihr Dieb hatte ihr diesen Irrglauben gestohlen und dafür all seine Liebe zurückgelassen. Es war der beste Tausch ihres Lebens und letztendlich auch den vorhergehenden Kummer wert. Denn sie hatten es alle überstanden, ohne Verluste.
Hier war es nun anders. Zwar war es nicht Calebs Fehler, aber sein Verlust, mit dem er nun kämpfen musste. Zunächst begriff Madiha gar nicht, was ihn an einem gemeißelten Stein unter dem Apfelbaum so bekümmern könnte. In Sarma begrub man die Toten nicht unter der Erde. Jeder Wüstensturm könnte sie wieder freilegen, zudem war die Gefahr groß, dass sie das wenige, kostbare Grundwasser verseuchten. Die Reichen erhielten steinerne Sarkophage in Gruften oder pyramidenartigen Palästen, weitaus in der Wüste. Das wäre aber nicht einmal jemandem wie Khasib vorbehalten. Dazu war der Mann nun auch nicht mächtig genug. Würde er sterben, erhielt er wohl einen Steinsarg oder eine sehr kostbare Vase als Urne, die irgendwo ein einer Gruft in Sarma selbst aufgestellt würde, mit Namensschild und vielleicht sogar einer Schriftrolle, auf der all seine falschen Ruhmestaten verewigt wären. Die Armen, die Sklaven jedoch verbrannte man, bis nur noch die Knochen übrig blieben und jene warf man entweder ins Meer oder brachte sie weit fort in die Wüste, wo sie in einem Massengrab verrotten konnten, um vergessen zu werden. Madihas Mutter hatte dieses Schicksal erlitten, nachdem man ihren Leichnam ins Beinhaus gekarrt hatte. Nichts war ihr von ihrer Mutter gelieben. Caleb hatte hier wenigstens einen Stein als Erinnerung. Dennoch...
"Wieso habt ihr nichts gesagt?! Wieso habt ... ihr ihn nicht vorgewarnt?! Anstatt Witze zu machen, hättet Ihr etwas sagen müssen!"
"Hätte ich das?", erwiderte Jivvin von ihrem Platz an der Tür, welcher mit einem Mal viel kälter wirkte. Sie zuckte nur mit den Schultern, hielt Madihas Blick ungerührt Stand. Sie war ihr keinerlei Rechenschaft schuldig, ihr, der kleinen Diebin, die in fremde Häuser eingedrungen war. Dennoch ... sobald Madiha nicht mehr hinschaute, sondern sich Caleb widmete, wandte die Dunkelelfe den Kopf ab. Leise und in ihrer Muttersprache murmelte sie: "Ich habe ihm doch gesagt, er soll sich mit extra harten Eiern rüsten ... so viel Mitgefühl erhält er nur, weil er Estelles Sohn ist. Ein Privileg!" Sie schnalzte erneut mit der Zunge, was in der Nacht einem Peitschenhieb gleichkam.
Madiha kniete sich inzwischen neben Caleb nieder, die Hand auf seine Schulter gelegt. Er ließ es zu, rührte sich kaum. Sie spürte, dass er das Beben seiner Schultern zusammen mit Schluchzen zu unterdrücken suchte. Seine Wangen glänzten tränenfeucht.
"Es tut mir so leid..."
Ohne hinzuschauen langte Caleb nach ihrem Körper. Er umschlang Madiha und zog sie an sich, dass sie sich nicht einmal aus der Umklammerung hätte winden können, wenn sie die Kraft dazu besessen hätte. Er hielt sich an ihr fest, verbarg sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und keuchte seinen trauernden Atem gegen ihre Kleidung. Er gestattete sich nicht, laut zu weinen, aber er bat still um ihren Beistand, bis er die Kraft zurückerlangt hätte, wieder zu handeln. Das kostete einiges an Zeit. Zeit, in der Jivvin sich irgendwann abwandte. Nicht aus Spott oder Verachtung. Von der Küche her pfiff der Teekessel und sie ging hinein, um ihn von der Ofenplatte zu nehmen.
Irgendwann kehrte sie in den Garten zurück. "Der Tee ist serviert. Eure Mutter wartet im Salon." Von jemandem wie Jivvin durfte man wohl kein Wort des Beistands erwarten. Sie drückte ihr Mitgefühl, sofern sie es besaß, anders aus. Schließlich sprach sie Caleb nun auf einer deutlich höflicheren Ebene an und schickte Madiha nicht einmal mehr diesen Blick, der sie als Einbrecherin stigmatisierte. Sie wirkte kalt, zugleich aber auch neutral. Es war die Reserviertheit einer Kriegerin, der ein weiterer Tod nichts mehr bedeutete. Ihre Seele war abgestumpft. Wenn jemand in diesem Haus harte Eier besaß, dann war es Jivvin.
Sie führte Caleb und Madiha alsbald zurück zum Grünen Salon. Auf dem Weg dorthin sprach der Wüstendieb das erste Mal seitdem er in den Garten aufgebrochen war, um seinen Vater zu treffen. Er sprach zu Jivvin: "Wie...?" Mehr brachte er nicht heraus, aber sie verstand. Und sie antwortete.
"Das Haus ist wie viele andere von den Eroberern der dunklen Völker überfallen worden. Man wollte plündern und schänden. Euer Vater wollte es verhindern und war nicht klug genug zu erkennen, wann man aufgeben sollte. Mein Volk hat ihm die Gelegenheit genommen, seine Lektion zu lernen", fügte sie an und es klang erstmals emotional, wenn auch nur minimal. Eine Spur der Ablehnung schwang in ihrer Stimme mit. Man musste jedoch sehr aufmerksam sein, um sie überhaupt heraushören zu können. Caleb schwieg dazu. Er ließ sich in den Salon führen, wo er sofort auf seine Mutter zu eilte und vor dem Sessel zu ihren Füßen niedersank. Er bettete seinen Kopf auf ihren Knien, eine Geste, die die alte Dame gar nicht erschreckte. Er musste schon früher als Junge auf diese Weise ihren Trost gesucht haben. Estelle van Tjenn legte ihrem Sohn eine Hand auf den Kopf, strich das widerspenstige Haar und versuchte gar nicht erst, es zu ordnen.
"Er hat dir verziehen, mein Schatz. Es tat ihm leid, dich vertrieben zu haben. Auch er hat bitterlich geweint, als er glaubte, Venthas Wogen hätten dich geholt. Mehr tröstende Worte kann ich dir leider nicht geben, mein Schatz." Caleb nickte stumm. "Du bist nun Erbe des Vermächtnisses derer van Tjenn", sagte sie. "Leider ... gehört nichts hiervon mehr uns." Estelle wandte den Kopf Richtung Tür, wo Jivvin noch stand. Auf dem Kaffeetisch fand sich ein neues Tablett mit Teekanne und mehreren Tassen. Die Dunkelelfe verschränkte die Arme vor der Brust. Sie betrachtete das Bild, das Estelle und Caleb abgaben. "Was er für sich beanspruchen will, kann er haben. Ich lege keinen Wert darauf, wenn etwas ... fehlt."
Estelle lächelte schwach und nickte wie zum Dank. Madiha kannte diese Geste, wenn auch deutlich unterwürfiger. Es war die stille Dankbarkeit, die eine Sklavin ihrem Herrn zuwarf, wenn er sich entschied, sie nicht zu bestrafen.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 1. September 2023, 23:30

Wenn man in einem Harem aufwuchs und unter zahlreichen jungen Mädchen und Frauen nur eine von vielen wurde, dann lernte man unweigerlich jede Form von Kummer kennen. Kummer, weil man den Eltern nicht genug bedeutete, um nicht für eine Summe X verkauft zu werden. Kummer, weil man nichts mehr hatte, was verhindert hätte, dass man sich selbst verkaufte, um die Familie daheim zu ernähren. Kummer, weil man geglaubt hatte, dass man in einer fremden Stadt eine neue Zukunft haben konnte und erkennen musste, dass alles viel schlimmer geworden war. Es gab viele Versionen ein und desselben Gefühls und Madiha hatte oft schweigend daneben gesessen, um stumpf einen Rücken zu tätscheln oder irgendwelche Floskeln zu dreschen. Sie selbst hatte Kummer lange Zeit für sich nicht zugelassen. Sie hatte ihren Kummer in etwas anderes verwandelt und gelernt, dass sie nur fest daran glauben musste, um es wahr werden zu lassen. Stoisch musste man sein, wenn man seine Seele schützen wollte. Und Madiha hatte Jahre ausgehalten, ohne die Last und den Druck des Kummers so zu verspüren, wie es andere taten und darunter zerbrachen. Sie hatte es nicht zugelassen, sodass sich erst ihr schwarzer Klumpen im Innern hatte bilden können. Die Wut, die unterdrückte, die Jahre des Schmerzes. Alles hatte sich dann letztendlich entladen und das mehr als nur einmal. Bis sie endlich erlöst worden war.
Den Kummer, den Caleb verspürte, kannte Madiha allerdings noch nicht. Der Verlust des eigenen Vaters musste schwer wiegen, denn er brach den Mann entzwei, der sich niemals unterkriegen ließ. Der mit seiner eigenen Art dem Leben und dessen Stolpersteine trotzte und Madiha gezeigt hatte, wie frei jemand sein konnte, wenn er nur fest daran glaubte. Der Dieb, der glaubte alles stehlen zu können und nun vor der Tatsache seinen Kopf neigte, dass Zeit nicht dazugehörte. Das Mädchen hatte Mühe, die Inschrift auf dem Stein zu entziffern, doch wollte sie unbedingt Teil seiner Trauer sein, dass sie sich anstrengte. Danach murmelte sie ihre Worte und ertappte sich dabei an diese unsäglichen Floskeln zu denken.
Dabei meinte sie es ehrlich und es tat ihr unsagbar leid, dass er nun damit konfrontiert war. Caleb aber rührte sich einen Moment nicht, bis er nach ihr griff und sie so fest umarmte, dass sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Madiha aber beschwerte sich nicht. Sie spürte sein Beben und seine Anspannung und legte ihre Arme um die breiten Schultern. Sanft strich sie ihm über den Rücken und schloss die Augen. Mitgefühl regte sich in ihr, während er sich bemühte, nicht offen und laut zu weinen.
Das Kind der Wüste spürte, dass sich ein Kloß in ihrer Kehle bildete und ihre Augen feucht wurden. Sie betrauerte nicht den Verlust. Das könnte sie nicht. Aber sie trauerte darum, dass Caleb einen solchen Schlag erlitt. Madiha gab ihm alle Zeit, die er brauchte, bis sie zusammen sich erhoben und er bereit war, einen nächsten Schritt zu gehen. Das Mädchen schwieg, denn sie musterte wachsam Caleb, immer bereit, ihm zur Seite zu stehen, wenn er es brauchte. Auf seine einsilbige Frage, antwortete Jivvin wahrheitsgemäß. Ihre kalte, neutrale Art war sicher hilfreich, doch während sie ihr zum grünen Salon folgten, musterte Madiha etwas abseits die Dunkelelfe. "Das Haus ist wie viele andere von den Eroberern der dunklen Völker überfallen worden. Man wollte plündern und schänden. Euer Vater wollte es verhindern und war nicht klug genug zu erkennen, wann man aufgeben sollte. Mein Volk hat ihm die Gelegenheit genommen, seine Lektion zu lernen" Das Mädchen runzelte die Stirn im Hintergrund und beobachtete Jivvin’s Mimik. Es klang beinahe so, als war dies nicht in ihrem Sinne. Aber Madiha verwarf den Gedanken wieder, denn sie maß sich nicht an, das aus einer einzigen Antwort herauszulesen.

So betrat das ungleiche Trio den Salon, in dem Caleb’s Mutter bereits wartete. Madiha blieb in der Nähe des Einganges stehen und beobachtete die Szene zwischen Caleb und Estelle. Er sank auf die Knie und bettete seinen Kopf auf den Schoß der Mutter, die ihm sofort zärtlich durch das Haar strich. Erneut rührte Madiha der Anblick, ohne, dass sie sich dessen völlig bewusst war. "Er hat dir verziehen, mein Schatz. Es tat ihm leid, dich vertrieben zu haben. Auch er hat bitterlich geweint, als er glaubte, Venthas Wogen hätten dich geholt. Mehr tröstende Worte kann ich dir leider nicht geben, mein Schatz. Sie schluckte. Caleb hatte die Freiheit gesucht und gefunden. Aber er hatte seinem Vater nie die Absolution erteilen können, dass es ihm gut ging. Dass der Sohn wohlauf war. Madiha’s Blick wanderte kurz zu Jivvin, die sich ebenfalls zurückhielt. "Du bist nun Erbe des Vermächtnisses derer van Tjenn. Leider ... gehört nichts hiervon mehr uns." Madiha war sich sicher, dass Caleb das nicht weiter kümmerte, solange seine Mutter versorgt war. "Was er für sich beanspruchen will, kann er haben. Ich lege keinen Wert darauf, wenn etwas ... fehlt.", sagte plötzlich die Elfe und Madiha hob die Augenbrauen. Ihr Blick huschte zu Estelle, die eine Geste machte, die Madiha mehr als nur gut kannte. Abbas hatte früher seine Kindersklaven antreten lassen und einmal alle paar Wochen verkündet, wer sich besonders gut gemacht hatte und deshalb ein Geschenk erhielt. Madiha war nie ausgewählt worden, denn sie rebellierte zu oft. Doch sie hatte oft genug die Kinderaugen leuchten gesehen, die sich dankbar verneigten. Später bei Khasib hatte sie nach Monaten des Wehrens und gezüchtigt Werdens, angefangen ebenfalls auf diese Weise ihren Dank auszudrücken. Sie schluckte und blickte Jivvin wieder an. Sie ist die Herrin. Nicht Estelle. Das Mädchen drückte sich noch etwas mehr in den Hintergrund und ließ seinen Blick von Jivvin fallen. Estelle hatte gesagt, dass es unter diesem Dach niemanden gäbe, der sich als Sklave fühlen müsste. Wieso? Erneut blickte sie Jivvin an. Still musterte sie sie und sie wusste, dass die Elfe die Herrin in diesem Haus war. Doch wie weit ging sie? Bisher hatte sie nichts davon gezeigt, sondern sich im Gegenteil gut gekümmert.

Gewiss, die Frau war gebrechlich und benötigte Hilfe, doch war es erstaunlich, dass Jivvin genug Herz bewies, sie auch zu umsorgen. Und auf sie zu achten, wie sie selbst erwähnte. Madiha blickte zurück zu Caleb und seine Mutter. Es entstand eine Stille, die sie nicht recht zu füllen wusste. Doch dann fiel ihr Blick auf das Teetablett und ohne Umschweife ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie füllte vier Becher mit Tee und hob das Tablett dann an. Die Kanne stellte sie auf das Tischchen zurück. Sie trat an Caleb und Estelle heran und reichte ihnen den Tee, falls sie wollten. „Hier, der Tee“, sprach sie leise, um die Stimmung nicht zu stören und doch beide wissenzulassen, dass etwas angereicht wurde. Schon in ihrer Zeit als Sklavin hatte Madija gelernt, dass sie zwar wichtige Geschäftsgespräche nicht zu stören hatte, aber dennoch bedienen sollte. Ein Schatten sollte sie sein, lautlos und unsichtbar, bis sie den zweiten Teil ihrer Pflicht zu erfüllen hatte. Dann sollte sie nur noch stumm und gefügig sein. Doch hier war es anders. Sie wollte nützlich sein und gleichzeitig nicht stören. Danach ging sie zu Jivvin und hielt ihr ebenfalls eine Tasse auf dem Tablett entgegen. Ihr Graublau blickte ihrem Schwarz entgegen. Einen Moment hielt sie dem Blick stand, doch dann senkte sie ihren. Es war ein Zeichen von Demut. Das wusste Madiha nur zu gut. Ob Jivvin Tee nahm oder nicht, Madiha kehrte nach kurzer Zeit zum Tischchen zurück und stellte alles wieder darauf ab. Dann sah sie abermals zu Caleb und Estelle. Sie wirkte unschlüssig, weil sie nicht wusste, wohin sie sollte. Das Gefüge war ihr vollkommen fremd, weshalb sie entschied, sich lieber Dingen zuzuwenden, mit denen sie sich auskannte. Lautlos, wie es eine gute Sklavin zu sein hatte, wandte sie sich wieder an Jivvin. „Soll ich… also ich könnte das Zimmer herrichten, solange sich…“, sie warf einen Blick zurück und erneut regte sich ihr Mitleid für ihren Dieb, „solange sie trauern…“, schloss sie. „Sagt mir nur, wo ich alles finde, dann… kümmere ich mich darum.“, bot sie an. Vielleicht war es auch eine kleine Flucht. Flucht vor dem unbekannten Gefüge, in das sie so unvermittelt gestolpert war. Madiha war frei – und doch längst nicht frei von Gewohnheiten. Das würde wohl noch einen langen Weg dauern, bis sie wusste, was sie konnte, durfte oder sogar sollte.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Samstag 2. September 2023, 19:27

So schlecht wie Caleb mit Madiha bisher über seinen Vater geredet hatte, so wenig sprach er nun, als sie sich irgendwann von dessen Grab lösten und zum Grünen Salon zurückkehrten. Er stellte überhaupt nur eine Frage und diese ging an Jivvin. Gregor van Tjenn - Gregor Tjenninger - hatte sein Heim vor den Invasoren der dunklen Völker verteidigt. Laut einer von ihnen war es eine unkluge Tat, die ihn zu viel gekostet hatte. Madiha glaubte aber auch, eine Spur Ablehnung herauszuhören, denn Jivvin schien zumindest unzufrieden, dass Gregor dadurch keine zweite Chance erhielt, in der er seine Lektion hätte lernen können. Das passte zum Bild, das sie bald von der Elfe bekommen sollte. Doch zunächst einmal musste sie eine Szene der Trauer zwischen Mutter und Sohn mitanschauen und fühlte sich irgendwie etwas fehl am Platz. Sie liebte Caleb. Sie hatten mehr als nur das Bett miteinander geteilt. Madiha war dem Dieb vollkommen verfallen und zu ihrem Glück nutzte er es bisher nicht aus, denn auch er liebte sie. Dennoch galt sie ebenso wie Jivvin als Außenstehende, als er sich seiner Mutter zu Füßen warf und beide einander trösteten. Sie konnte nicht viel tun außer zuzusehen. Madiha war jedoch nie eine Beobachterin gewesen. Sie ertrug es nicht, wenn ihr Handlungsfreiraum versagt wurde und auch jetzt konnte sie nicht anders. Sie sprang lieber in alte Muster zurück als sich dieses Bild weiterhin anschauen zu müssen und sich selbst dabei so hilflos zu fühlen, weil sie Caleb den Vater nicht zurückbringen konnte. Seine Möglichkeit, sich mit ihm Angesicht von Angesicht zu versöhnen war dahin - für immer.
Was das mit sich brachte, darüber klärte Estelle van Tjenn die Anwesenden nun auf. Caleb war der einzige Erbe. Somit gehörte ihm das Vermächtnis, das sein Vater hinterlassen hatte. Aber was zählte dazu? Das Anwesen, die gesamte Werft? Würde Caleb nun an die Aufgabe gebunden sein, Handels- oder sogar Kriegsschiffe bauen lassen zu müssen, alles zu organisieren und zu beaufsichtigen? Eher weniger. Schon sein Vater hatte andere für sich arbeiten lassen und nur den Luxus der eingefahrenen Gewinne genossen. Im Grunde sahen die Aussichten eigentlich gut aus. Estelle machte sie jedoch schnell zunichte. Nichts, was eins van Tjenn war, gehörte noch ihnen und damit eröffnete sie die Verhältnisse, in denen sie und Jivvin sich befanden.
Madiha bekam große Augen. Ihr Blick huschte zu der Dunkelelfe zurück, nachdem sie allen aus Mangel anderer Tätigkeiten die Teetassen gebracht hatte. Sogar Jivvin nahm sie an, trank aber nicht. Sie hielt sie locker in ihrer Armverschränkung, während ihr Blick auf Caleb und seiner Mutter ruhte. Sie verzog keine Miene. Madiha hingegen sah Jivvin eine Weile an. Schließlich trat sie als einstudierter Schatten an ihre Seite und sprach mit ihr, ohne Blickkontakt aufzubauen. Auch die Elfe verzichtete darauf, schien allerdings zuzuhören, was der unerwartete Gast zu sagen hatte.
"Soll ich ... also ich könnte das Zimmer herrichten, solange sich ... solange sie trauern... Sagt mir nur, wo ich alles finde, dann ... kümmere ich mich darum."
Für mehrere Herzschläge geschah nichts. Schließlich seufzte die Dunkelelfe tonlos und rührte sich. Sie trank ihren Tee in einem Zug aus und stellte den Becher eigenhändig zurück auf den Kaffeetisch. "Ich zeige der kleinen Einbrecherin die Schlafzimmer", erklärte sie knapp. Estelle hob den Kopf an, nickte. Caleb murmelte in ihren Schoß: "Sie heißt Madiha."
Jivvin bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick, erwiderte aber nichts. Sie wandte sich ab und ging an der Sarmaerin vorbei. "Komm mit, Madiha", forderte sie auf. Es klang militant, aber nicht herablassend. Gemeinsam verließen beide den Grünen Salon. Jivvin ging voran, denn nur sie kannte den Weg. Kaum aus dem Salon heraus, griff sie nach einem Kerzenleuchter, entzündete die drei Lichtquellen darauf. Irgendwann schnappte sie sich zusätzlich eine kleine Laterne, welche ebenfalls bald brannte. Diese reichte sie Madiha.
Es ging durch eine offene Halle und hier sah die Sarmaerin das Ausmaß der Eroberung. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, mehr als nötig aufzuräumen. Die große Haustür schien zwar von innen wieder verriegelbar zu sein, aber man erkannte noch die Kerben im Holz von Äxten oder was auch immer sie gesprengt haben mochte. Hier fand sich auch das verrammelte Fenster. Flurtische waren zerborsten und nicht ersetzt worden. Die Überreste eine Marmorbüste hatte man wenigstens in einer Ecke zusammengekehrt. Der Besen lehnte noch daneben an der Wand. Bilder fehlten, man erkannte es an den quadratischen Stellen der Wände, die nun schmucklos wirkten. Doch am meisten stach ein sehr großer, dunkelbrauner Fleck aus dem ganzen Bild heraus. Madiha konnte ihn zwar nur zur Hälfte erkennen, aber das war keine geringe Pfütze getrockneten Blutes auf den Holzdielen. Das war eine Lache, deren Inhalt in einen ganzen Körper passte. Jivvin trat an den Fleck heran und rückte einen Teppich darüber. Man hatte offenbar versucht, jenen zu reinigen, aber auch hier fanden sich Spuren von reichlich Blut. Die Dunkelelfe sagte nichts weiter dazu, sondern nahm Madiha nun in das erste Stockwerk mit. Auch hier fehlte nahezu alles, was einst die Wände der Korridore geziert haben mochte.
"Es gibt ein Bad, gleich hier. Die Wanne lässt sich mit einem Pumpensystem befüllen, du wirst also keine Eimer vom Brunnen schleppen müssen, falls du baden willst", bemerkte Jivvin und wies auf eine unscheinbare Tür gleich links nahe der Treppe. Sie setzte ihren Weg allerdings zügig fort, bis sie zwei gegenüber liegende Türen erreichte. Sie öffnete auch hier die linke Tür zuerst.

Inspiration: Gästezimmer (Jivvins Raum)

Madihas Blick fiel in einen Raum, der zumindest farblich dem Salon angeglichen worden war. Dunkles Holz dominierte das Mobiliar. Im gesamten war der Raum schlicht gehalten, das Bett gerade breit genug für eine Person. Für jemanden, der nichts hatte jedoch, wirkte diese Schlafkammer schon wie das Zimmer einer Prinzessin. Hier gab es richtige Lampenschirme, die das Kerzenlicht dimmten! Der Stuhl bei dem kleinen Sekretär gegenüber des Bettes war gepolstert. Eine Reihe aus niedrigen Schränken unterhalb der Fenster war mit allerlei Tand dekoriert. Man könnte sich hier aber auch bequem niederlassen, um einen Blick hinaus auf die Straßen Andunies zu erhalten. Diesen Raum hatte niemand mit Plünderabsichten erreicht. Er war ordentlich hergerichtet. Hier wurden Madihas angebotetene Fähigkeiten nicht gebraucht.
"Das Gästezimmer. Mein Schlafzimmer", erlärte Jivvin knapp und zog die Tür rasch wieder zu, nachdem ihre Begleitung einen groben Überblick hatte erhaschen können. Ihr kalt goldener Blick traf Madiha. "Keiner von euch wird diesen Raum betreten. Auch Estelle respektiert das, weil sie weiß, dass ich dann meine Klingen sprechen lasse. Sag das deinem Freund, dem Erben der van Tjenns." Sie trat an Madiha vorbei, um die Tür des gegenüberliegenden Raumes zu öffnen. "Das war sein Zimmer. Jetzt schläft Estelle darin." Jivvin zögerte. Schließlich entschied sie sich aber, so offen zu sein wie bisher: "Sie kann nicht mehr im eigenen Schlafzimmer ruhen. Nicht nach den Ereignissen. Sie hat den Raum auf ihre Bedürfnisse angepasst. Damit muss ihr Sohn nun leben."

Inspiration: Calebs Schlafzimmer

Der Raum wirkte wesentlich gemütlicher als das von Jivvin bezogene Zimmer. Es war wesentlich kleiner und die Decke niedrig, was auf einen ehemaligen Vorratsraum oder einen begehbaren Schrank vermuten lassen konnte, aber es besaß niedliche Fenster. Ein bogenförmiges mit einem weiteren Kreisfenster in der Mitte wurde zu beiden Seiten von schmalen, eckigen Fenstern gesäumt. Die Vorhänge waren grün. Direkt unter dem Fenster fand sich das Bett, das bis zur anderen Wand des Räumchens reichte. Auch jenes war ordentlich gemacht, wartete nur auf ein müdes Haupt, das sich in die pfirsischfarbenen Kissen legte. Die moosartige Decke hielt sicherlich besonders warm. Hinter dem Bett fand sich ein Schränkchen mit Spiegel an der Wand und darüber eine Apparatur zur Zeitmessung. Eine richtige Wanduhr! Kleine Bilder umrahmten den Spiegel. Sie zeigten einenen Jungen, in dem Madiha selbst beim Stil der eindeutig unterschiedlichen Künstler sofort Caleb erkannte. Sie hatten sein verschmitztes Grinsen und das Leuchten seiner Augen gut eingefangen. Auf einem Bild erkannte sie ihn zusammen mit Estelle. Oh, er besaß ihre Augen! Calebs Mutter wurde auch mit grasumsäumten Fjorden gesegnet. Auf dem Bild war sie noch jünger, das Haar etwas heller als seines, dass es fats blond wirkte. Und sie lächelte warm.
Ein schmaleres Bild darunter zeigte Caleb, wie er als stocksteifer Sohn vor einem diszipliniert drein blickenden Mann mit Backenbart stand. Jener besaß Calebs Statur, hatte dem Jungen auf dem Bild die Hände auf die Schultern gelegt und hielt mit den Lippen eine Fischerpfeife fest. Ein Wappen der Tjenninger Werft zierte die Jacke des Mannes. Sein Blick war streng, konzentriert und nach vorn gerichtet. Es war das einzige Bild von Calebs Vater hier im Raum.
Dass Estelle sich in Calebs altem Kinderzimmer eingerichtet hatte, sah man erneut an den vielen Blumentöpfen. Sie zierten die Fensterbänke und kleinen Wandregale, zusammen mit einigen Keksdosen, Wasserkaraffen oder Tand, an dem wohl eher der Junge gehangen hatte. Madiha sah ein hölzernes Spielzeugschiff, ein weiteres in einer Flasche, sowie überkreuzte Holzschwerter, eine Stoffpuppe mit Kapitänsmütze und einige kleine Ankerskulpturen aus Messing.
Auch hier schenkte Jivvin Madiha nur einen kurzen Blick in Calebs einstige Kinderwelt. Dann zog sie die Tür wieder zu. "Ich überlasse es Estelle zu entscheiden, ob du ihr Reich betreten darfst oder nicht. Sprich es mit ihr ab." Jivvin ging eindeutig schon davon aus, dass die ungebetenen Gäste länger als eine Nacht im Haus van Tjenn bleiben würden. Sie wirkte nicht verdrossen deswegen. Sie verwies auch beide nicht des Hauses. Die Dunkelelfe hatte ein etwas forsche Art an sich, blieb aber überraschend neutral, wenn man bedachte, dass sie ihnen allen auch einfach die Köpfe spalten könnte.
"Das Elternschlafzimmer ist für Caleb und dich vorgesehen. Ob ihr ein Paar seid oder nicht, ihr müsst euch arrangieren." Sie wanderte wieder voran, steuerte aber nur das Ende des Ganges an, wo die letzte Tür auf sie wartete: eine hölzerne Doppeltür. Plötzlich und zum ersten Mal warf Jivvin Madiha einen direkten Blick zu. Ihre Augen funkelten golden. "Wenn du damit nicht zurecht kommst, überlasse ich dir meinen Raum und schlafe bei dem Erben. Aber dann werde ich auch mit ihm schlafen." Nicht ein Tropfen Begehren schwang in ihrer Stimme mit. Sie hatte es nicht auf Caleb an sich abgesehen. Sie begehrte ihn weder als Mann noch als Menschen, aber er war nun einmal der Erbe der van Tjenns. Sie könnte ganz legitim all sein Eigentum erhalten, würde sie eine Bindung mit ihm eingehen, was allemal besser wäre als es ihm zu rauben.
Jivvin öffnete die letzte Tür. Die Flügel der Doppeltür schwangen auseinander und gaben den Blick auf einen nahezu rund gehaltenen Raum frei.

Inspiration: Eltern-Schlafzimmer

Dunkle Farben prägten das Bild, allerdings verzichtete man in diesem Raum auf Grün als Begleitfarbe, sah man auch hier von all den Zierpflanzen ab, die in Töpfen auf dem Boden standen oder von Wänden und Decke hingen. Vorhänge, sowie Bettwäsche und Sitzpolster waren schwarz gehalten. Das Bett besaß eine zum Fußende hin runde Form, so dass die Sitzpolster direkt darunter sich im Halbkreis um die Schlafgelegenheit schmiegten. Hinter dem Bett fand sich eine aufwändige Shcnitzerei in der Wand. Sie zeigte ein andunisches Handelsschiff als Symbol, das gerade in See stach und im Halbkreis über und unter dem Schiff stand in geschnitzten Lettern: Werft van Tjenn - Mit Venthas Segen.
Lampen mit orangefarbenem Glas tauchten den Raum in ein warmes Licht. Sie hingen an den Wänden. Über dem Bett aber fanden sich Kerzen der gleichen Farbe in einem extra dafür gefertigten, offenen Rundregal, das von der Decke hing und somit einen ganz besonderen Kronleuchter bot. Hohe Fenster würden am Tag viel Licht einlassen. Jetzt aber zeigten sie nur den Nachthimmel, sowie Blick auf die Gärten der umliegenden Häuser ... und den eigenen Garten mit dem Apfelbaum, sowie Gregor van Tjenns Grab darunter. Kein Wunder, dass Estelle es nicht ertrug, in diesem Raum zu schlafen. Ein Blick aus dem Fenster genügte, um sie an ihren Verlust zu erinnern, von den leeren Laken einmal abgesehen. Stattdessen hatte sie eindeutig an der Hoffnung festgehalten, ihr Junge würde eines Tages zurückkehren. Um ihm wenigstens im Herzen nahe zu sein, schlief sie nun in dessen Bett.
"Ich erwarte von dir keine Sklavenarbeiten", meinte Jivvin plötzlich und riss Madiha aus den Gedanken, sowie ihren Blick vom Schlafzimmer der van Tjenns. "Räumt hinter euch auf, geht zur Hand, wenn Estelle euch bittet. Ich verlange nichts. Ich komme allein zurecht - ohne Sklaven, in denen ohnehin niemand einen Wert sieht." Sie schnaufte. "Was soll ich mit wertlosen Klötzen am Bein?" Es klang nicht ansatzweise danach, als würde sie Estelle als eine Last ansehen, obwohl diese offensichtlich Hilfe benötigte. "Und nun? Legst du dich schlafen, kleine Einbrecherin Madiha?" Jivvin lehnte sich an den Türrahmen. Sie schien darauf zu warten, dass eine Tirade aus Fragen über sie niederging und bereitete sich offenbar schon mental darauf vor. Ehe Madiha aber auch nur eine stellen konnte, falls sie es überhaupt in Erwägung zog, meinte sie: "Wenn du etwas haben willst, sprich mit mir. Trügerischen Dieben hacke ich nämlich die Finger ab - ohne Ausnahme."
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 3. September 2023, 16:22

Fehl am Platz zu sein kannte Madiha gut. Nie war sie gewünscht, allenfalls geduldet und schließlich nur von Nöten, wenn andere etwas brauchten. Die Szene zwischen Caleb und Estelle aber war etwas anderes. Hier ging es um tiefe Gefühle, die Madiha nicht kannte. Sie konnte durchaus Rührung empfinden, wenn das Wiedersehen nach langer Zeit Wellen schlug. Sie konnte auch Trauer empfinden, wenn Caleb am Boden zerstört war. Das alles konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie niemals eine wahrhaftige Bindung zu irgendwem aufgebaut hatte. Caleb war der einzige in ihrem Leben, dem sie bisher bis zur Grenze des Erträglichen nachgeweint hatte. Und auch das war etwas, was Madiha erst noch in Gänze kennenlernen musste. Sie liebte den Dieb, doch diese Liebe wog auch schwer und machte sie nicht objektiv. Ihre ganze Welt drehte sich um ihn und so fühlte sie sich hier Fehl am Platz, weil sie ihm nicht beistehen konnte. Weil sie nicht wusste, nicht wissen konnte, wie es war, einen Vater zu verlieren. Egal wie schlecht Caleb von ihm gesprochen hatte. Würde sie um Khasib weinen? Niemals. Hatte sie je um Abbas geweint? Nein. Niemand war ihr so wichtig gewesen. Nichtmal nach dem Tod ihrer Mutter hatte Madiha weinen können, denn Zeit ihres Lebens wurde sie daran erinnert, dass sie stets ums Überleben zu kämpfen hatte. Was sie tat – jeden Tag. Um nicht einfach nutzlos herumzustehen und Gefühle zu sehen, die sie nicht einzuordnen wusste, bot sie Jivvin ihre Dienste an. Das war etwas, was Madiha kannte. Schon nachdem sie geglaubt hatte, sie hätte mit ihrer Magie beinahe alle getötet, weil sie so töricht gewesen war, verfiel sie in alte Muster zurück. Sie gaben ihr einen Rahmen, in dem sie sich zu bewegen wusste und das gab ihr wiederum Sicherheit. Jetzt aber wollte sie einfach nur nützlich sein und wartete auf Jivvin’s Reaktion. "Ich zeige der kleinen Einbrecherin die Schlafzimmer" Madiha hob die Augenbrauen, bevor sie sie runzelte. Sie klappte schon den Mund auf, da drang Caleb’s Stimme hervor: "Sie heißt Madiha." Den durchdringenden Blick bekam Madiha mit und schlug die Augen nieder. Allerdings folgte wieder eine aufbrausende Standpauke, wer in diesem Haus das Sagen hätte, noch eine weitere Schelte in Richtung Madiha. Die im Übrigen nichts dazu sagte, dass Jivvin ausgerechnet SIE als Einbrecherin bezeichnete. Madiha hatte in ihrem Leben noch nie fremdes Eigentum, ohne zu fragen betreten. Dafür hätte sie überhaupt mal das Anwesen von Khasib verlassen müssen dürfen. "Komm mit, Madiha", sprach die Elfe, nachdem sie bereits an ihr vorbeigegangen war. Madiha blinzelte und sah noch mal zu Caleb und Estelle. Er rührte sich nicht noch mal und hielt sie auch nicht auf, was ihr ihre Entscheidung nur bestätigte. Er brauchte jetzt Zeit mit Estelle. Und diese wollte sie ihm auch geben. Madiha zog sich also zurück und folgte der Dunklen durch das restliche Anwesen.

Hier und dort ließ sich die Zerstörung einfach nicht mehr leugnen. Halbherzige Versuche, das ganze etwas zu bereinigen waren kläglich gescheitert und so achtete das Mädchen darauf, nirgendwo draufzutreten. Auch wollte sie instinktiv nicht zu viel Lärm machen. Es lag etwas Unheimliches in der Luft und eine gewisse Beklemmung. Jene wurde auch nicht besser, als Madiha auf den immensen Blutfleck starrte. Ihr Herz setzten einen Moment aus und sofort kam ihr der grausame Gedanke, dass dies die Stelle war, an der Gregor van Tjenn sein Ende fand. Madiha fröstelte und fühlte sich mit einem Mal nicht sehr wohl. Dieses Haus hatte gerade bedeutend viel Gemütlichkeit verloren. Es war gewiss mal ein Heim für Herzen gewesen, doch… das hier. Die Sarmaerin bemerkte erst, dass sie sich nicht mehr gerührt hatte, als Jivvin einen Teppich über das Blut zog. Blinzelnd erwachte Madiha aus ihrer Trance und sah erschrocken und bleich zu der Elfe. Jene sagte nichts dazu, was Madiha zum Anlass nahm, ihre Gedanken für bare Münze zu nehmen. Reichlich nachdenklicher folgte sie Jivvin wieder und warf noch einmal einen Blick zurück, ehe sie die Stufen in das erste Stockwerk nahm. Auch hier war die Zerstörungswut oder Plünderungen gut ersichtlich. Helle Abdrücke an den Wänden zeugten davon, dass es einst nicht so schmucklose Wände gewesen waren. Auch bei Khasib und Abbas hingen hier und dort Gemälde oder Wandteppiche in ausladender Größe und Form an den Wänden, um sie zu verzieren. Davon war hier aber nur noch die Ahnung übrig. Madiha blieb stehen, als Jivvin ihr eine Tür zeigte. Sie nickte bei der Erklärung, es wäre das Badezimmer. Kurz war sie neugierig, als Jivvin das Pumpensystem erwähnte, denn sie erinnerte sich gut, wie oft sie hatte für ein einzelnes Bad für die Herrschaften laufen müssen. Doch davon sagte sie nichts. Überhaupt versuchte Madiha sich nicht anmerken zu lassen, woher sie kam. Wie gut oder schlecht sie darin war, konnte sie indes nicht einschätzen. Jivvin aber wirkte wie eine gute Beobachterin, denn wann immer Madiha sie verstohlen betrachtete, ertappte sie die Elfe dabei, dass sie Mutter und Sohn äußerst eindringlich betrachtete. Das nächste Zimmer war dann allerdings für Jivvin selbst. Staunend betrachtete sie die schlichte, aber aufgeräumte Einrichtung.
Es wirkte düster und entsprach nicht ganz Madiha’s Geschmack. Allerdings sah selbst sie, dass es hochwertig war. „Gemütlich…“, murmelte sie. "Das Gästezimmer. Mein Schlafzimmer. Keiner von euch wird diesen Raum betreten. Auch Estelle respektiert das, weil sie weiß, dass ich dann meine Klingen sprechen lasse. Sag das deinem Freund, dem Erben der van Tjenns." Das Mädchen hob den Blick und musterte die Elfe. „Sicher, das werde ich.“, bestätigte sie. Wieso auch nicht? Madiha hatte kein Interesse daran, Jivvin’s Zimmer zu betreten. Offenbar war sie nicht dafür zu haben, dass Madiha gewisse Aufgaben übernahm. Zumindest hatte sie bisher nichts dahingehend verlauten lassen. Gegenüberliegend öffnete sie nun eine weitere Tür.
"Das war sein Zimmer. Jetzt schläft Estelle darin. Sie kann nicht mehr im eigenen Schlafzimmer ruhen. Nicht nach den Ereignissen. Sie hat den Raum auf ihre Bedürfnisse angepasst. Damit muss ihr Sohn nun leben." Neugierig schaute Madiha an Jivvin vorbei und blickte in ein Reich, das sie niemals in seiner ganzen Pracht hatte kennenlernen dürfen. Ihre Augen aber sogen jedes Detail, jede Nuance in sich auf. „Hier wuchs er also auf…“, flüsterte sie fast schon ehrfürchtig. Wäre Caleb weniger darauf bedacht, dass es ihr gut ging, hätte er wohl sämtliche Trümpfe in der Hand. Madiha konnte sich ihm nicht entziehen und selbst sein Zimmer war für das Mädchen eine Möglichkeit, ihm nahe zu sein. Es war unfassbar gemütlich und ein Lächeln schlich sich unbemerkt auf ihre Züge. Ihre Augen tasteten verklärt das ab, was sie sehen konnte. Für einen Moment blieben sie an den Zeichnungen hängen.

Estelle war eine wunderschöne Frau, wie Madiha erkannte und dann sah sie das Bild von Caleb’s Vater. Traurigkeit erfasste sie wieder, obwohl das Bild so unfassbar steif wirkte. Madiha wollte mehr sehen, mehr erfahren und sog alles in sich auf. Sie erfasste gerade die kleinen Tandstücke und fragte sich, ob Caleb damit früher gespielt hatte, da machte Jivvin die Tür wieder zu. "Ich überlasse es Estelle zu entscheiden, ob du ihr Reich betreten darfst oder nicht. Sprich es mit ihr ab." Sie nickte gehorsam. „Natürlich.“, murmelte sie zur Antwort und folgte dann weiter. "Das Elternschlafzimmer ist für Caleb und dich vorgesehen. Ob ihr ein Paar seid oder nicht, ihr müsst euch arrangieren." Madiha hustete leise, überrascht von der Neutralität in ihren Worten. Vor der Doppeltür blieb Jivvin plötzlich stehen und sah Madiha an. Das Mädchen hob überrascht beide Augenbrauen an und wunderte sich, über den Blick. "Wenn du damit nicht zurechtkommst, überlasse ich dir meinen Raum und schlafe bei dem Erben. Aber dann werde ich auch mit ihm schlafen." Madiha hatte für einen Moment das Gefühl ein langgezogenes Piepen in ihren Ohren zu hören. Sie starrte in den goldenen Blick und hörte Rauschen in ihrem Innern. Dann verfinsterte sich ihre Miene, ohne, dass sie etwas dagegen hätte machen können. „Er würde nicht mit euch…“, sie stockte. Ihre finstere Miene zerbrach und machte Erkenntnis breit. Madiha betrachtete Jivvin einen Moment, dann presste sie die Lippen aufeinander und wandte das Gesicht ab. Er würde. Er hatte es fast mit Azura getan und mit Corax. Madiha musste mit der Wahrheit leben, dass Caleb jederzeit schwach werden könnte. Wenn Azura einen Weg fand, wieder schön zu werden und sich ihr Selbstwertgefühl wieder zurückerobert hätte, dann stünde ihr nichts mehr im Weg, Caleb zu verführen. Dessen war sich Madiha sicher. Und auch Corax… er musste nur… Madiha brach in ihren Gedanken ab. Sie waren Gift für ihre Seele und Gift für ihre Beziehung. Sie musste Caleb vertrauen. Musste ihm glauben, wenn er ihr versprach, dass er nur sie begehrte. Aber Jivvin’s Worte zeigten ihr, dass sie kaum etwas dagegen würde tun können. Sie konnte nur hoffen. Hoffen, dass seine Liebe zu ihr hielt. Hoffen, dass er sich nicht anders entschied. Hoffen, dass das Erbe seiner Eltern – was auch immer davon übriggeblieben war oder nicht – nicht dazu führte, dass er vergaß, was er ihr versprochen hatte. Denn Madiha wusste, dass sie sich nicht würde zurechtfinden können. Nicht in dieser Welt. Sie hatte ja schon Schwierigkeiten bei den kleinsten Dingen.

Das Mädchen folgte Jivvin nun in das Schlafzimmer der Eltern. Auch hier war die Einrichtung dunkel und strahlte Reichtum aus. Sie hatte so etwas noch nicht gesehen oder betreten. Das Mädchen ließ die Augen wandern und trat dann automatisch an den Fensterplatz heran. Sie musterte den Baum im Garten und runzelte die Stirn. Jivvin befand sich noch im Raum, auch wenn sie das kaum wahrnahm. Was würde jetzt wohl geschehen? Madiha ahnte, dass Caleb für seine Mutter sorgen wollen würde. Und das war auch richtig so. Doch was dann? Bevor ihre Gedanken ausufern konnten, erschreckte die Dunkle Madiha, sodass jene sich umdrehte. "Ich erwarte von dir keine Sklavenarbeiten. Räumt hinter euch auf, geht zur Hand, wenn Estelle euch bittet. Ich verlange nichts. Ich komme allein zurecht - ohne Sklaven, in denen ohnehin niemand einen Wert sieht. Was soll ich mit wertlosen Klötzen am Bein?", Madiha runzelte abermals die Stirn und betrachtete die goldäugige Elfe. „Sie sind nicht wertlos…“, murmelte sie ungehalten und wandte den Blick wieder ab. Erneut blickte Madiha aus dem Fenster in den Garten. „Sie haben… Träume. Hoffnung… und ein Leben, das sie führen wollen.“, sprach sie weiter und spürte plötzlich, wie ihre Hände schmerzten. Sie sah auf sie herab und erkannte, dass sie ihre Nägel eingegraben hatte. Madiha atmete durch und schloss die Augen. Dann schüttelte sie den Kopf und wandte sich Jivvin wieder zu. „Warum wollt Ihr allein zurechtkommen, wo andere sich mehrere Sklaven halten?“, fragte sie freiheraus und beobachtete die Reaktionen, die Jivvin ihr vielleicht lieferte. „Und wieso missbilligt ihr, wie man mit Gregor van Tjenn umgegangen ist?“, fragte sie weiter. Madiha konnte ihre Neugierde nicht verbergen. Inzwischen nicht mehr, denn sie wollte die Welt um sich herum verstehen. Danach blickte sie sich wieder im Zimmer um und fand die Inschrift, die sie aber nicht lesen konnte, weil sie in einer Sprach verfasst war, die sie nicht beherrschte. "Und nun? Legst du dich schlafen, kleine Einbrecherin Madiha?" Das Mädchen ließ ihren Blick zu Jivvin zurückschnellen. Sie runzelte abermals die Stirn. „Ich bin keine Einbrecherin.“, korrigierte sie zum ersten Mal. „Hört auf das zu sagen!“, verlangte sie ungewohnt fest. "Wenn du etwas haben willst, sprich mit mir. Trügerischen Dieben hacke ich nämlich die Finger ab - ohne Ausnahme."
Nun aber verfinsterte sich Madiha’s Gesicht noch mehr. „Gestohlen habe ich auch noch nie!“, stellte sie klar, ohne laut zu werden. Obwohl das nicht ganz stimmte. Als kleines Kind hatte sie versucht Caleb zu bestehlen… was schlimm geendet hatte, wie man feststellen durfte. „Ihr kennt mich nicht. Bildet euch keine Meinung darüber, wer oder was ich bin.“, verlangte sie abermals und ballte erneut die Hände fest zusammen. Dann aber bemerkte Madiha selbst, dass sie zu weit gehen könnte und holte tief Luft, um sich zu entspannen. „Verzeiht.“, knirschte sie leise und wandte den Blick ab. „Es war ein langer Tag.“, murmelte sie. Eigentlich ein glücklicher. Sehr glücklich. Aber Glück war eben flüchtig. „Darf ich noch etwas fragen, Jivvin?“, versuchte sie es bedeutend ruhiger. „Warum lebt ihr hier mit Estelle? Wo ist eure Familie? Wo sind eure Freunde?“, fragte sie und hob den Blick. Ihre finstere Miene war verschwunden.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Montag 4. September 2023, 09:00

Was Jivvin wirklich mit ihrem kleinen Rundgang bezweckte, wusste Madiha nicht. Es ging allerdings nicht darum, sie zu quälen oder psychisch zu belasten - nicht mit den Bildern der Zerstörung dieses einst so kuscheligen Heimes. Denn Jivvin riss die Sarmaerin aus den Gedanken, indem sie den Anblick auf das eingetrocknete Blut durchbrach. Sie nahm sie schweigend mit, um das Thema überhaupt nicht erst anzurühren. Sie war nicht darauf aus, Madiha zu zeigen, wozu ihr Volk imstande war. Sie brachte sie lediglich in den ersten Stock. Sie erklärte ihr, wo sie ein Badezimmer fände und welche Räumlichkeiten zum Schlafen wem zugeteilt worden waren.
Und sie beobachtete. Sie beobachtete Madiha sehr genau, achtete auf deren Reaktionen und wie lange sie welches Zimmer samt Einrichtung betrachtete. Sie schaute aufmerksam, worauf Madihas Blick am längsten hängen blieb und sie verzeichnete alles in ihrem Hinterstübchen, ohne auch nur ein Wort darüber fallen zu lassen. Auch verzog die Elfe keine Miene. Sie führte die junge Frau lediglich von Zimmer zu Zimmer.
Auf einmal aber wagte sie sich einen Schritt weiter vor. Sie hatte Madihas Augen gesehen, die vor allem über all die Kleinigkeiten in Calebs altem Zimmer gewandert waren. Sie hatte die Kommentare zu jenem und ihrem eigenen Raum noch nicht vergessen. Sie hatte erkannt, wie sehr Madihas Herz an dem des Erben der van Tjenns hing. So ließ sie eine Andeutung durchblicken, dass sie in jedem Fall mit Caleb das Bett teilte, sollte sich diese Konstellation ergeben. Dass sie damit mehr auslöste als nur eine stille Information über die Beziehung beider Gäste zu erhalten, hatte aber nicht einmal die Dunkelelfe erwartet.
"Er würde nicht mit Euch..."
Die Elfe blieb eine unergründliche Statue. Nicht ein Deut Mimik zeigte sich auf ihrem Gesicht. Lediglich ihre Augen funkelten einmal auf. Schließlich meinte sie ungerührt: "Natürlich. Würde er nicht." Auch wenn diese Aussage scheinbar frei von Wertigkeit war, so konnte Madiha nicht umhin, irgendetwas darin zu lesen. Jivvin machte den Eindruck, offen zu sprechen und doch sagte sie nicht das, was sie wirklich meinte. Auch bei ihrem Kommentar zu der Unnötigkeit, sich Sklaven zu halten, weil sie jene eher als wertfrei ansah, stimmte etwas nicht. Das war nicht ihre aufrichtige Ansicht. Madiha machte sie darauf aufmerksam, was sie zwischen den Zeilen heraushörte und was ihre eigene Sicht auf die Dinge war: "Sie sind nicht wertlos ... Sie haben ... Träume. Hoffnung ... und ein Leben, das sie führen wollen." Sie hielt den Blick aus dem Fenster gerichtet. Noch immer herrschte tiefste Nacht. Der kleine Apfelbaum im hauseigenen Garten war dennoch relativ gut zu erkennen. Überall gab es Laternen und die Noblen schienen nicht gewillt, jene an ihren Hauswänden über Nacht löschen zu lassen. Die Hintergärten erstrahlten in kleinen und größeren Lichttupfen. Manche von ihnen waren weiträumiger als die Schlafunterkünfte des Haremsbereich in Khasibs Palast! Einer von ihnen besaß sogar ... einen Teich? Ein Badebecken? Es war nicht konkret auszumachen. Madiha musste genauer hinschauen und doch erkannte sie es nicht. Vielleicht bei Tageslicht.
Jivvin nutzte die Zeit, Madiha weiter zu studieren. Sie betrachtete stumm, kommentierte ihre Aussage zu den Sklaven nicht, aber sie wirkte nachdenklich für jene Zeit, in der sie sich selbst unbeobachtet fühlte. Mit verschränkten Armen und der Schulter locker an den Türrahmen gelehnt beobachtete sie die Szenerie. Ihre Augen richteten sich erst wieder vollkommen auf Madiha, als diese sich umdrehte, die Fingernägel tief ins eigene Fleisch gegraben.
"Warum wollt Ihr allein zurechtkommen, wo andere sich mehrere Sklaven halten? Und wieso missbilligt Ihr, wie man mit Gregor van Tjenn umgegangen ist?"
Jivvins Brauen wanderten empor, allerdings auf ihre Mundwinkel. Kurz grinste sie. "Du bist ja reichlich neugierig für eine Sklavin." Wieder erfasste ihr Blick genau jede Regung der jungen Frau, die ihr gegenüberstand. Ohja, sie hatte all die Anzeichen sehr früh schon bemerkt. Bereits, als Madiha den Tee servierte, hatte Jivvin Muster erkannt in der Art, wie sie sich bewegte, was sie erwiderte. Und nun hatte Madiha den letzten Funken Bestätigung durch ihre Verteidigung von Sklavenwerten gegeben, sowie mit ihrer Frage, die weiterhin offen im Raum stand. Jivvin beantwortete sie nicht, wie erwartet. Sie stellte Gegenfragen, die Madiha offenbar zum Nachdenken anregen sollten. Nur dadurch würde sie sich ein Bild von der Elfe machen können. Ob jenes stimmte oder sie ihre Farbpinsel zu sehr nach eigenen Inspirationen schwingen ließ, blieb ebenso offen wie die Fragen ungeklärt.
"Kannst du deine Träume und Hoffnungen ausleben, Madiha? Kannst du's, wenn du Caleb van Tjenn nachläufst, ihm alle unausgesprochenen Wünsche erfüllst und seine Bedürfnisse befriedigst, Tag für Tag, Jahr für Jahr?" Sie musterte die Sarmaerin. Dann schüttelte sie den Kopf, als hätte sie selbst eine Erkenntnis ereilt. "Nein", meinte sie fast in sich gekehrt. "Er ist es gar nicht. Ihr seid gleich. Kein Einbrecher. Flüchtlinge."
Das bestätigte auch Madiha vehement nochmal, zumindest jenen Teil, den sie verstandn hatte. "Ich bin keine Einbrecherin." Jivvin nickte ihr zu. Erneut aber hoben sich ihre Brauen, als Madiha mehr wagte. "Hört auf, das zu sagen! Gestohlen habe ich auch noch nie! Ihr kennt mich nicht. Bildet Euch keine Meinung darüber, wer oder was ich bin."
"Du bist eine Sklavin auf der Flucht, aber Caleb van Tjenn ist nicht dein Herr", erwiderte Jivvin knapp und erneut mit dieser Abgebrühtheit, dass sie fast an Kjetell'o erinnerte. Ihr aber fehlte die innere Ruhe. Sie wirkte in ihrer Neutralität beinahe hart, ging zu forsch mit ihrer Umwelt um. Allerdings ging sie auch nicht auf Madiha los, obwohl jene ein mehr als loses Mundwerk an den Tag legte in einem Haus, in das Caleb und sie eingedrungen waren und das unter dunkelelfischer Führung stand. Sie legte sich mit der Hausherrin an, obwohl ihr Hintergrund für jene eindeutig war.
"Verzeiht. Es war ein langer Tag."
"Nein." Jivvin stieß sich vom Türrahmen ab. Mit zwei nahezu lautlosen Schritten war sie an Madiha heran. Hätte sie gewollt und mehr Schwung in ihre Bewegungen gelegt, wäre die junge Frau nun wohl von beiden Katana entzwei geschnitten worden. Die Dunkelelfe stand aber nur vor ihr, blickte auf sie herab - sie war ein ganzes Stück größer - und sagte eine Weile lang nichts. Schließlich aber meinte sie in einem kühlen Ton, der den Worten nicht gerecht wurde: "Du wirst niemanden um Verzeihung bitten dafür, dass du für deine Träume und Hoffnungen kämpfst." Ihr Blickt ruhte fest auf der anderen. Dann riss er ab, als sie sich umwandte. Sie drehte Madiha den Rücken zu, fürchtete keinen Hinterhalt oder zumindest keinen, dem sie nicht gewachsen wäre. Ihr gesamter Körper strahlte Wachsamkeit aus. Sie würde sich nicht überrumpeln lassen. "Ich sagte bereits, dass ich dieses Haus von wertlosen Unnötigkeiten reinhalten will, also ... sei keines davon. Fall nicht in Muster zurück, die hier fehl am Platz sind."
Sie war schon im Begriff, Madiha allein zu lassen. Das Mädchen hatte es selbst gesagt. Es war ein langer Tag gewesen, die Nacht würde durch ihr Fortschreiten kürzer sein und ausreichend Schlaf blieb definitiv aus, sollte sie mit dem ersten Hahennschrei erwachen müssen. Jivvin wollte ihr Schlaf gönnen. Sie erreichte die Tür nicht mehr.
"Darf ich noch etwas fragen, Jivvin?" Die Dunkelelf blieb stehen. Sie wandte den Kopf nicht, aber wartete auf die Frage. "Warum lebt Ihr hier mit Estelle? Wo ist Eure Familie? Wo sind Eure Freunde?" Ein amüsiertes Auflachen war die erste, offensichtlich ungewollte Reaktion. Dann aber hatte Jivvin sich wieder im Griff. Sie spähte aus dem Augenwinkel zu Madiha zurück. "Wer?", fragte sie. Dann verließ sie den Raum mit zügigen Schritten und schloss die Tür geräuschvoll.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 4. September 2023, 11:03

“Natürlich. Würde er nicht.“ Die Worte waren so neutral, dass die eigentliche Bedeutung nicht mehr zu überhören war. Madiha blickte in das Gold der Elfe und spürte den Stich in ihrer Brust. Sie wussten beide, dass er würde, wenn Jivvin es nur richtig anstellte. Caleb war gewiss kein Schürzenjäger, wie er im Buch stand, aber er war sorglos und bedachte selten Konsequenzen. Eine war zum Beispiel, dass Madiha jetzt damit leben musste, dass er offenbar Gefühle für sie hegte, aber wenn es anders gekommen wäre, sehr wohl mit Azura geschlafen hätte. Und wenn sie nicht so vehement eingeschritten wäre, auch mit Corax-Dunia. Er dachte nicht daran, dass ihr allein sein Gedanke daran mehr wehtat, als es der Schmerz der Vereinigung je könnte. Madiha selbst war sich ihrer Gefühle mehr als bewusst. Aber sie hatte auch keine Alternativen. Sie liebte ihn, weil er es war, der immer für sie da ist. Weil seine Freiheitsliebe ihre entzündete. Weil sein gutes Herz, ihres berührte. Was das nun hieß und ob es als gesund zu bewerten war, davon wusste Madiha nichts. Das Gespräch hingegen entwickelte sich auf eine Weise, die deutlich machte, warum Madiha niemals vollständig zur Sklavin wurde. Vollständig gebrochen und zertrampelt. Sie lehnte sich auf, sie sprühte Funken und sagte ihre Meinung, wenn sie sich nicht rechtzeitig beherrschen konnte. Dass Jivvin in ihr las, wie in einem Buch, bemerkte Madiha gar nicht. Sie war viel zu sehr daran gewöhnt, dass sich eben niemand für sie interessierte, dass sie diese Möglichkeit vollkommen ausschloss. Zudem hatte sie gar nicht viel zu verbergen. Sie ging nicht hausieren damit, dass sie aus der Gosse Sarma’s stammte. Aber das musste sie auch nicht, denn die Dunkelelfe wusste längst Bescheid. "Du bist ja reichlich neugierig für eine Sklavin." Madiha’s Ärger verrauchte und sie blinzelte ertappt. Ihre Schultern sanken hinab, während sich ihre Finger aus der Faust lösten.
"Kannst du deine Träume und Hoffnungen ausleben, Madiha? Kannst du's, wenn du Caleb van Tjenn nachläufst, ihm alle unausgesprochenen Wünsche erfüllst und seine Bedürfnisse befriedigst, Tag für Tag, Jahr für Jahr?" Nun aber runzelte sie die Stirn. „Ich bin nicht… er ist nicht…“, stammelte sie, doch Jivvin hatte bereits eine Antwort für sich festgelegt. "Er ist es gar nicht. Ihr seid gleich. Kein Einbrecher. Flüchtlinge." Das letzte Wort verstand sie nicht, doch sie stellte noch mal klar, dass sie gewiss weder Einbrecherin noch Diebin wäre! Und dass Jivvin sie nicht kannte. Leider überzeugte sie die Elfe prompt vom Gegenteil: "Du bist eine Sklavin auf der Flucht, aber Caleb van Tjenn ist nicht dein Herr.“ Madiha blickte die Frau vor sich erstaunt an. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte, sodass sie trotzig die Lippen aufeinanderpresste und zur Seite sah. Sie war viel mehr als eine Sklavin. Aber das ist es, was die Leute in ihr immer sehen würden.

Madiha schluckte den Groll herunter, sodass sie es schaffte, eine Entschuldigung zu formulieren. Die offenbar abgelehnt wurde. Madiha zog die Brauen zusammen, denn Jivvin setzte sich in Bewegung und kam auf sie zu. Das Mädchen spannte sich an, denn sie glaubte bereits, dass sie nun körperliche Züchtigung erdulden sollte. Es war eben das, was andere in ihr sahen nicht wahr? Den Kopf etwas gereckt, weil sie der anderen ins Gesicht sehen wollte und aufsehen musste, wurde ihre Haltung ganz ruhig. Madiha hatte früh gelernt, Schläge auszuhalten und irgendwann schrie sie dabei auch nicht mehr. Sollte Jivvin nun Hand an sie legen, würde sie es ertragen. Vielleicht… Denn etwas in ihrem Innern wollte sich befreien und sich gleich verteidigen. "Du wirst niemanden um Verzeihung bitten dafür, dass du für deine Träume und Hoffnungen kämpfst." „Was?“, japste Madiha und blinzelte perplex. Ihre Anspannung wich aus ihrem Körper und bescherte ihr für eine Sekunde weiche Knie. Sie war so felsenfest davon überzeugt gewesen, dass sie nun Schmerzen zu erdulden hatte, dass ihr das vollkommen den Wind aus den Segeln nahm. Jivvin wandte sich ab und Madiha erkannte, dass die andere Frau ihr gerade Absolution erteilt hatte. Das Mädchen bekam feuchte Augen und folgte der bewaffneten Elfe mit ihrem Blick. "Ich sagte bereits, dass ich dieses Haus von wertlosen Unnötigkeiten reinhalten will, also ... sei keines davon. Fall nicht in Muster zurück, die hier fehl am Platz sind.", mahnte sie die ehemalige Sklavin und Madiha nickte ergriffen. „Werde ich nicht.“, keuchte sie und wischte sich über den Augenwinkel, damit die Träne nicht ihren Weg nehmen konnte. Madiha atmete tief durch und schüttelte ihren Zorn, Unwillen und den Schmerz ab. Bevor die Elfe jedoch gehen konnte, hielt das Mädchen sie auf. Sie wollte wissen, wo ihre Familie wäre. Doch Jivvin lachte plötzlich auf und es lief Madiha kalt den Rücken hinunter. Das einfache Wörtchen offenbarte so vieles, dass Madiha noch eine ganze Weile auf die Tür starrte, obwohl Jivvin bereits gegangen war. Das war… eigenartig gewesen.
Die Elfe wirkte vollkommen emotionslos, doch das war sie gar nicht. Madiha hatte sehr wohl Nuancen erkennen können. Gerade als Sklavin war es wichtig, jene im Vorfeld zu sehen und erkennen zu können, damit man sich für folgende Gefühle wappnen konnte. Nur so konnte man einer Hand entgehen, wenn man sich rechtzeitig wegduckte. Nur so wusste man, in welcher Laune man seinen Herrn oder die Herrin vorfand. Jivvin ließ sich kaum in die Karten gucken. Aber die Worte die sie sagte klangen zeitweise einstudiert. Es waren Fakten aber nicht unbedingt ihre Meinung, die sie wiedergab. Gleichwohl hielt sie nichts davon, dass Gregor van Tjenn sein Ende gefunden hatte. Sie hielt auch nichts davon, dass Madiha eine Sklavin war oder ist. Das war deutlich zu spüren. Sie hatte ihr den Rat gegeben, dass sie sich niemals für ihre Ziele entschuldigen sollte. Das Mädchen lächelte leicht. Sie nickte noch mal, obwohl es keiner sehen konnte. Sie musste hier nicht aufpassen, denn Jivvin wollte keine Herrin sein. Warum sie mit Estelle hier lebte, blieb abzuwarten, aber es war nicht so, dass sie die Mutter von Caleb überwachte. Das Mädchen wandte sich in dem Raum um, in dem sie nun allein war. Sie blickte auf das Bett und trat etwas vor, um die Schriftzeichen mit den Fingerkuppen zu berühren. Dann aber trat sie wieder ans Fenster und blickte auf den Apfelbaum. Eigentlich eine schöne Geste, wenn man etwas hatte, wohin man sich wenden konnte, um an den Verstorbenen zu denken. Sie hatte nichts dergleichen. Und sie selbst hätte nichts dergleichen bekommen. Niemand erinnerte sich an ihre Mutter oder ihren Vater – sollte er verstorben sein. Niemand hätte sich je an Madiha Al’Sarma erinnert, wenn sie im Sand den Kampf verloren hätte. Aber Caleb hatte sich an sie erinnert. Er hatte sie nicht vergessen und sie aus dem Zustand geholt, der ihr in Fleisch und Blut übergegangen war.
Das Mädchen spürte, wie sie über ihre Gedanken müder wurde. Sie setzte sich vorerst auf die Sofagarnitur, die vor dem Bett in das Bettgestell eingefasst war und wartete still. Sie wusste nicht recht, was sie nun tun sollte, denn im Grunde wollte sie für Caleb da sein, wenn er käme. Allerdings spürte sie auch, wie sie von einer immensen Müdigkeit erfasst wurde. Der Tag war sehr lang. Die letzten Tage anstrengender als ihr halbes Leben. Zwar hatte sie eine Woche im Koma verbracht, doch da hatte sich ihr Geist auch nicht erholt. So allein in ihrem Zimmer hatte Madiha keine Ablenkung. Keine Flucht. Sie stöberte tatsächlich nicht in etwaigen Kisten oder Schränkchen, denn das gehörte sich nicht. Was aber dazu führte, dass sie alles noch mal revuepassieren ließ. Und nicht wollte. Seufzend rollte sich Madiha auf der Couch etwas zusammen. Sie wollte wach bleiben, bis Caleb käme. Sie wollte ihm zeigen, dass sie da wäre, wann immer er sie bräuchte. "Kannst du deine Träume und Hoffnungen ausleben, Madiha? Kannst du's, wenn du Caleb van Tjenn nachläufst, ihm alle unausgesprochenen Wünsche erfüllst und seine Bedürfnisse befriedigst, Tag für Tag, Jahr für Jahr?" echote es in ihrem Kopf abermals wieder. Madiha schloss die Augen und vergrub ihr Gesicht. Sie liebte ihn. Und sie würde ihm jeden Wunsch erfüllen wollen, wenn es bedeutete, dass er glücklich war. Und sie würde trotzdem ihren Anteil an Freiheit erhalten. Ihr Blick fiel noch einmal auf den Ring. Sie strich darüber und lächelte plötzlich. Er sperrte ihr Feuer nicht ein. Er bot den sicheren Rahmen, in dem es brennen durfte. Und über jene Gedanken, glitt Madiha in das Reich der Dunkelheit.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Dienstag 5. September 2023, 14:07

Jivvin hatte sie viel zu schnell durchschaut. Die Dunkelelfe beobachtete und nur so war es ihr möglich gewesen, dass die Rädchen ineinandergriffen und die einzige Schlussfolgerung übrig blieb, welche somit der Wahrheit über Madiha entsprechen musste. Sie war eine herrenlose Sklavin, unterwegs mit dem Sohn der einstigen Hausherrin dieses Anwesens. Unterwegs mit dem Erben der van Tjenns. Aber Jivvin hatte nur den Sklavenanteil angesprochen. Sie reduzierte Madiha auf genau das. Ja, sie beobachtete, aber allein durch Zuschauen konnte man auch nicht alles über eine andere erfahren. Dass noch so viel mehr hinter der Sarmaerin steckte, konnte sie unmöglich wissen! Der Beweis war, dass sie sie auf ihre versklavte Vergangenheit ansprach. Darüber hinaus kannte sie Madiha nämlich wirklich nicht. Sie hatte nichts zu ihrer Persönlichkeit zu sagen, zu ihrer Verbindung mit Caleb nur Mutmaßungen anstellen können und ihren magischen Kern gänzlich unerwähnt gelassen. Sie wusste nichts, außer das Offensichtliche.
Gleichermaßen konnte man es aber auch aus der anderen Perspektive sehen. Was wusste Madiha denn von Jivvin? Jenseits ihrer dunkelelfischen Zugehörigkeit, obwohl ihre Haut nicht ganz so dunkel war wie sie es von Corax oder jenen kannte, die er in dieser schaurigen Taverne auf dem Gewissen hatte, wusste sie doch auch nur, dass die Elfe relativ gerecht mit den anderen unter diesem Dach umging. Zu Estelle schien sie eine gute Verbindung aufgebaut zu haben. Beide Frauen respektierten einander auf einer Ebene, die man fast freundschaftlich nennen konnte. Etwas, womit Madiha nicht gerechnet hatte, bis sie es mit eigenen Augen gesehen hatte. Auch sie hatte Jivvin zunächst in die Reihen der finsteren Eroberer gepackt, sie als Bedrohung gesehen und schon befürchtet, unter ihren Klingen den Tod finden zu müssen. Auch sie wusste nichts von ihr. Deshalb begann auch sie nun, zu beobachten. Mehr noch: Madiha hörte zu. Sie lauschte dem, was eben nicht gesprochen wurde und erfuhr wahrscheinlich mehr von der Elfe als jener lieb war. Das harsche Auftreten beherbergte nämlich durchaus Chancen für sie und auch Caleb, unter diesem Dach sicher zu sein. Sie wollte keine Sklavin, die ihr die Arbeit abnahm. Sie meinte, sie bräuchte es nicht, denn sie käme allein zurecht. Allein ... Auf die Frage hin nach Familie und Freunden verriet die Dunkelelfe durch ihre Reaktion so ungemein viel. Jedenfalls, wenn man mit der Empathie arbeitete, die Madiha so natürlich zustand wie ihre Feuermagie. Sie sah mehr hinter der Frage als nur die Offensichtlichkeit, dass Jivvin eine sehr unabhängige ihrer Art war. Vor allem aber hatte die Dunkelelfe sie nach ihren Träumen und Hoffnungen gefragt ... und geradezu verlangt, dass sie für beides kämpfte. Gebrochene Sklaven kämpften nicht mehr. Deshalb schienen sie Jivvin ein Dorn im Auge und folglich wertlos. Unrettbar?
Die harte Schale der Frau schrie geradezu danach, geknackt zu werden, um ein weiches Inneres zu finden. Vielleicht einen Schatz, der nicht einmal Jivvin selbst bekannt wäre. Doch dafür blieb vorerst keine Zeit. Die Elfe ließ Madiha allein. Sie hatte ihr nicht befohlen, im Zimmer zu bleiben. Die junge Frau hätte auch erneut aufstehen, vielleicht sogar durch das Haus streifen und natürlich nach Caleb sehen können. Doch sie tat es nicht. Ihr Körper schrie langsam nach Ruhe. Der Tag war aufregend gewesen, mit Tiefen und Höhen. Vor allem aber war er lang gewesen, dass er bis in die Nacht hinein reichte. Es wurde Zeit, ihm die verdiente Erholung zu gönnen. Ehe Madiha sich weitere Gedanken zu ihren künftigen Plänen machen konnte, war sie auch schon auf der Polsterbank vor dem Bett eingeschlafen.
Dort erwachte sie aber nicht. Sie lag ausgestreckt auf den weichen Laken des Ehebetts dieses Schlafzimmers. Die Decke sah nicht nur traumhaft weich aus, sie war es auch und ein seichter Duft irgendwelcher Wässerchen strömte ihr in die Nase. Calebs Eltern mussten stets darauf geachtet haben, dass ihr Heim nicht nur wohlig aussah, sondern auch aromatisch duftete. Sie glaubte, die Frische der andunischen Meeresbrise zu spüren, die sie in der Nase kitzelte. Tatsächlich drang der Duft aber nicht aus den Laken, sondern durch die geöffnete Fensterfront des Schlafzimmers. Ein frisches Lüftchen wehte herein. Es nieselte, aber der Regen war inzwischen so schwach, dass man die einzelnen Tropfen kaum ausmachen konnte. Dafür würde es sich klamm anfühlen, wenn man ungeschützt draußen Zeit vebrrachte. Madiha, die nur die Hitze Sarmas gewohnt war, könnte es sogar etwas kühl sein. Aber da half das Bettzeug, das noch über ihr lag, sowie die Wärme eines anderen Körpers, der dicht neben ihr zu finden war.
Caleb lag neben ihr in einer Position, die einer fleischgewordenen Variante seiner Haare glich: ungebändigt. Alle Extremitäten waren abgestreckt, auch wenn er dabei ein Bein angewinkelt hatte und damit Madihas Wade wie in einem Bein-Schraubstock festhielt. Sein Arm hatte wohl mal um sie gelegen, war in der Nacht gewandert und mitten in ihrem Haar hängen geblieben. Einzelne ihrer kurzen Strähnen lösten sich von Calebs Pranken. Er brummte, erwachte aber nicht. Mit dem anderen Arm umklammerte er ein Kissen, presste es an seine Brust. Das verbliebene Bein streckte sich geradeaus, dass der Fuß aus der Decke heraus lugte. Und seine Haare ... nun, die waren die haargewordene Version seiner Haare. Jeder Kamm würde mindestens die Hälfte seiner Zinken verlieren, wollte er sie begradigen. Jede Bürste weinte in ihre Borsten bei dem Anblick. Aber es war Caleb, der geweint haben musste.
Seine Züge wirkten nicht entspannt, obwohl er noch immer fest schlief. Er sah selbst jetzt müde aus, die Brauen hatten sich im Schlummer zusammengezogen. Die kleinen Fältchen um seinen Mund wirkten tiefer. Schatten umrahmten seine Augenpartie und getrocknete Tränenbahnen mussten viele Stunden lang seine Bartstoppeln gewässert haben. Nun war die Quelle versiegt, man erkannte aber noch ihren Fluss. Wie lange war Caleb bei seiner Mutter geblieben? Wann hatte er sich zu Madiha ins Zimmer und schließlich mit ihr ins Bett begeben? Er musste sie behutsam hineingelegt haben, hatte es aber nicht gewagt, sie auszuziehen. Er selbst trug ja noch seine Kleidung. Er hatte nicht einmal beide Schuhe von den Füßen gelöst. Nur einer lag irgendwo achtlos im Raum, zusammen mit seinem Hemd. Das hatte er ausgezogen. Sein nackter Oberkörper störte sich kein bisschen an dem Lüftchen, das ihn und Madiha begrüßte. Es war ein Erschöpfungsschlaf, der ihn noch imer festhielt.
Dem Licht von außen nach zu urteilen hatten sie beide allerdings recht lang geschlafen. Frühaufsteher wären sie heute nicht, auch wenn es bis zum Mittag noch einige Stunden hin wäre.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Jivvin wartete nicht. Sie platzte einfach in den Raum herein. Das mochte das einzig Taktlose an ihr sein, denn ansonsten war sie gestriegelt vom Scheitel bis zur Sohle. Ihr seidiges Haar trug sie jetzt nicht mehr offen, sondern zu einem strengen Knoten am Hinterkopf zusammengebunden, aus dem zwei metallene Nadeln heraus ragten. Nadeln, die in Silber sofort an Corax' Albtraumwesen erinnert hätten. Sie aber waren eher dunkel wie Eisen. So fügten sie sich perfekt in das übrige Schmuckbild der Elfe ein, die wiederum zahlreiche Ringe in ihren Ohren trug, ansonsten aber nichts. Wenigstens verzichtete sie an diesem Morgen größtenteils auf eine Rüstung. Stattdessen trug sie ein schwarzes, halbtransparentes Seidenkleid mit reichlich Spitze in Mustern aus Monden und Rosen, die glücklicherweise genau jene Stellen bedeckten, die für einen Mann interessant geworden wären. Ein schwarzer Gürtel mit eiserner Schnalle hing schwer von ihrer Hüfte, denn sie hatte daran ihre beiden Katana befestigt. Das Gesamtbild einer Kriegerin in Abendgarderobe wurde durch die Schuhe gestört. Jivvin trug auch plüschige Pantoffeln, ähnlich denen von Estelle, nur waren ihre in einem knalligen Pink gehalten. Bei jeder anderen hätte man gegluckst oder laut losgelacht, aber diese Elfe trug sie mit so abgebrühter Normalität, dass man es gar nicht wagen wollte, sie auf den optischen Fauxpas aufmerksam zu machen.
Ihre goldenen Augen sondierten den Raum. Missbilligend nahm sie Calebs Unordnung zur Kenntnis. Dann schnupperte sie. "Wenigstens lüftet er." Ihr Blick lenkte sich auf Madiha, die zumindest etwas aufnahmefähiger war als ihr Begleiter. "Frühstück, unten. Leiste Estelle Gesellschaft", sagte sie und auch wenn es nicht wie der Befehl einer Herrin klang, so duldete Jivvin nun keine Widerrede. Sie ließ Madiha allein und ihr somit Zeit, sich ein wenig frisch zu machen.
Den Weg zurück in die Küche und den Grünen Salon kannte sie ja bereits. In letztem saß die ältere Dame wie am Vorabend im Sessel. Heute trug sie ein schwarzes Gewand mit einem schwarzen Schleier. Ihr Haar, das eine Spur heller als Calebs, dafür aber von reichlich grauen Strähnen durchsetzt war, hatte jemand ihr hochgesteckt. Allein war eine solche Frisur nicht möglich, da brauchte es Hilfe. Sie trug runde Ohrringe aus Silber, dazu eine passende Halskette, die auf der bordeauxroten Bluse besonders gut zur Geldung kam. Auch Estelle hatte noch Puschen an den Füßen. Es waren die cremefarbenen von letzter Nacht. Die alte Dame drehte an einem Ring an ihrem rechten Finger und schaute offenbar vor sich durch den Schleier ins Nichts. Sie wandte jedoch aufmerksam den Kopf, als Madiha erschien und ein warmes Lächeln umspielte ihre halb verschleierten Züge.
"Guten Morgen, Madiha", grüßte sie freundlich. "Möchtest du dich zu mir setzen oder lieber Jivvin zur Hand gehen? Sie bereitet für uns das Frühstück zu - für uns alle."
Das stimmte. Jivvin befand sich in der Küche und dem Duft nach zu urteilen kredenzte sie Rühreier mit Speck. Es roch aber auch nach frisch gebackenem Brot. Nur der Duft des Apfelkuchens war verblasst. Je nachdem, mit wem Madiha nun lieber ein Gespräch führen wollte, konnte sie im Grünen Salon bleiben oder in die Küche gehen. Caleb hatte sie nicht wach bekommen, aber das war nun wohl wichtig. Er brauchte ein wenig Ruhe. Sein Tag hatte nicht so schön geendet und all die wundervollen Erlebnisse - sein perfekter Plan - waren nur noch wie ein Traum. Sie wirkten so weit weg.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 8. September 2023, 21:24

Man rechnete nicht damit, dass sich plötzlich jemand für einen interessierte, wenn man sein ganzes Leben unter Vielen war. Wenn Individualismus nicht gefördert und noch weniger geschätzt wurde. Demnach hatte Madiha sich auch gar nicht verstecken können, während die wachsamen, goldenen Augen der Dunkelelfe sie beobachteten. Schon beim Hereinkommen hatte Madiha sich verraten. Sie hatte Estelle ungeschickterweise ‚Herrin‘ genannt und damit sicher den Grundstein für so manche Vermutung gelegt. Aber so wie Corax sich nicht leichtfertig aus seinem alten Leben schälen konnte, so verfiel auch Madiha immer mal wieder in Gewohnheiten, die sich einfach viel zu tief eingebrannt hatten in ihrer Seele. Zu dünn war das, was sich Freiheit nannte und sich wie eine liebevolle Umarmung über ihre verwundete Seele legte. Es würde Zeit brauchen und sie musste fleißig lernen, um zu verstehen, dass ihr niemand mehr das Gefühl geben durfte, minderwertig zu sein. Madiha lebte in Teilen bereits dieses Grundbedürfnis aus, doch Erziehung wog eben schwer und so war es ihrer devoten Art geschuldet, dass Jivvin Verdacht schöpfte, wer und was sie war. Darüber hinaus biss Madiha gleich in die Hand, die sich im Prinzip keinen Fehltritt erlaubt hatte. Sie war vielleicht nicht sonderlich warm und schmiegte sich nicht an sie, doch sie schlug auch nicht nach ihr, sondern reichte ihr stumm ein wenig Nahrung für die Seele, die danach hungerte. Dass Jivvin nichts von ihr kannte, war nur logisch und ihr Ausbruch daher weit mehr Zeichen ihres unbändigen Willens, endlich ihre Ketten zu sprengen und all das hinter sich zu lassen, als eine echte Einforderung von Respekt. Das Mädchen ruderte jedoch sogleich zurück. Denn bei allem, was ihr widerfahren war, war doch etwas Kostbares entstanden: Madiha entpuppte sich als empathisches Wesen, das nicht die ganze Welt für ihr Schicksal verantwortlich machte, sondern auf ihre Umwelt mit reinem Herzen und wachsamen Augen achtete. Hin und wieder wohl zu viel, denn sie verlor den eigenen Fokus nicht gerade selten, doch diese Balance würde sie schon eines Tages zu halten wissen. Jetzt jedoch führte es dazu, dass sie ihren Ärger hinunterschluckte und bereit war, auch bei Jivvin zwischen den Zeilen zu lesen. Jene predigte ihre Freiheit und den Blick mehr nach innen zu richten und Madiha glaubte daraus zu lesen, dass die Elfe ihre ganz eigenen Erfahrungen darin gesammelt hatte.
Das freudlose Auflachen bestätigte nur, was sie vermutlich schon geahnt hatte. Jivvin hatte niemanden. Die eigene Mutter getötet – wie sie sagte – und allein. Das Mädchen aus Sarma musste nicht wissen, was genau passiert war. Aber sie betrachtete stumm die Tür, die ins Schloss gefallen war und sie von weiteren Fragen aussperrte. Jivvin war unabhängig, zumindest sah es danach aus. So unabhängig, wie Madiha eines Tages sein wollte. Auch wenn sie sich nicht danach sehnte, sämtliche Brücken abzubrennen – sie wollte unabhängig von ihrer Vergangenheit werden. Aber nicht allein sein. Mit wirbelnden Gedanken schlief sie tatsächlich irgendwann ein. Sie hatte auf Caleb warten wollen, doch als sie plötzlich langsam erwachte, da musste sie sich erstmal orientieren.

Ihre Finger befühlten den weichen Stoff, unter dem sie lag und sie strich mit der flachen Hand und geschlossenen Augen darüber. Es fühlte sich herrlich an, ehe eine Brise einzelne Strähnen ihres inzwischen geschnittenen Haares durcheinanderwirbelte. Madiha sog die frische Luft tiefer ein und lächelte leicht. Sie mochte den leicht salzigen Geruch und das Gefühl, die Brandung im Wind hören zu können. Bis sie leicht fröstelte. Stirnrunzelnd zog sie die Decke bis zur Nasenspitze und drehte sich auf die Seite. Es war an Gemütlichkeit kaum zu überbieten, sodass sie drohte wieder in einen seligen Schlaf zu fallen, bis plötzlich die Tür geöffnet wurde. Madiha riss die Augen erschrocken auf und starrte direkt Caleb an. Desorientiert runzelte sie die Stirn, blinzelte ein paar Mal, bevor ihr Blick zur Seite glitt. Dort stand die Dunkelelfe in einem Kleid, das verboten werden sollte! "Wenigstens lüftet er.", hörte sie sie sagen und verstand nicht sofort, was sie damit meinte. "Frühstück, unten. Leiste Estelle Gesellschaft", wurde Madiha angewiesen und nickte schweigsam. Sie hatte noch immer die Decke bis über den Mund gezogen als wolle sie etwas verheimlichen. Erst als Jivvin fort war, regte sich das Mädchen langsam wieder. Sie blickte zu Caleb zurück und bekam jetzt etwas Zeit, ihn genauer zu mustern. Und während ihre Augen über sein Gesicht glitten und ihren Weg über seinen Hals zu seiner Brust fanden, lächelte Madiha plötzlich warm. Erinnerungen an ihre gemeinsame, erste Nacht, fluteten ihr inneres Auge und wärmten die Sarmaerin von innen heraus. Madiha verhielt sich ganz ruhig und betrachtete Caleb einfach nur. Ihr entging nicht, dass er reichlich zerzaust und angestrengt wirkte, doch er schlief so fest, dass selbst eine Berührung von ihr an seiner Wange ihn nicht aufwecken konnte. Sie entschied sich, ihn schlafen zu lassen.
Es würde ihm gut tun, nach allem, was er erfahren hatte. Madiha versuchte sich aus seiner ‚Umarmung‘ zu lösen und als sie es endlich behutsam geschafft hatte, hockte sie neben ihm und sah auf ihn hinab. Sie nahm sich die Zeit ihn zu betrachten und lächelte dann leicht traurig. Madiha neigte sich hinunter und hauchte ihm einen Kuss auf den Mundwinkel. „Der Schmerz wird vergehen, Caleb… ich verspreche es…“, flüsterte sie beinahe tonlos und sog kurz die Luft ein. Er hatte nichts getrunken, wie sie nebenbei feststellte, was darauf schließen ließ, dass er den Schlaf einfach dringend benötigte. So leise wie es Madiha möglich war, wusch sie sich mit dem kalten Wasser in der Schüssel und kämmte ihre Haare mit den Fingern durch, bis sie halbwegs vernünftig aussehen mussten – hoffte sie. Die Frisur vom Abend zuvor war hin, zerwühlt und ohne Kamm oder Bürste, würde sie dem wohl auch nicht Herr werden können. Nun aber wusch sie sich ein wenig mit dem kalten Wasser und zog sich wieder an. Ersatzkleidung hatten sie nicht, doch das würde sich gewiss anders regeln lassen. Madiha hatte aber Jivvin’s Auftrag nicht vergessen.

Die Sarmaerin ging hinunter und sah noch mal mit klammem Magen auf den Teppich, der den Blutfleck verdecken sollte und es nur bedingt schaffte. Sie hüpfte verdrängend darüber und wollte ihn nicht betreten, als sie im Salon ihre Aufwartung machte. "Guten Morgen, Madiha! Möchtest du dich zu mir setzen oder lieber Jivvin zur Hand gehen? Sie bereitet für uns das Frühstück zu - für uns alle." Das Mädchen lächelte kurz und nickte der Alten zu. „Guten Morgen, Frau van… -Estelle.“, murmelte sie und sah zu der Küche, die sich in ihrem Rücken befand, wie sie noch wusste. „Nun, ich würde Jivvin zur Hand gehen, aber sie bat mich, euch ein wenig Gesellschaft zu leisten, solange sie beschäftigt ist.“, gestand Madiha und wandte den Blick zurück. Sie musterte Estelle einen Moment und erkannte den schwarzen Schleier. Stirnrunzelnd setzte sich Madiha der anderen Frau gegenüber. „Es tut mir sehr leid, was mit eurem Mann geschehen ist.“, fühlte sie sich bemüßigt zu sagen, weil sie mal gelernt hatte, dass es höflich wäre. Sie selbst hatte das nie erlebt. „Wie… wie geht es euch?“, wollte Madiha dann wissen. Aufmerksam musterte sie Estelle und beobachtete ihre Reaktionen. „Ich habe Caleb noch nie so aufgelöst erlebt…“, murmelte sie gedankenverloren und erinnerte sich trotzdem an den Moment, als er beinahe etwas Unverzeihliches getan hätte. Doch das war anders gewesen… „Ihm war wohl nicht bewusst, wie sehr er seinen Vater geliebt hatte…“, sprach Madiha ihre intuitiven Gedanken leise aus und seufzte erneut. „Kann ich euch etwas bringen Estelle?“, fragte sie dann und kehrte aus ihren Gedanken um Caleb’s Zustand zurück. „Braucht ihr einen Tee? Oder einen Apfel?“, sie grinste leicht. „Caleb sagte, in Andunie gäbe es die besten!“, versuchte sie sich an einem kleinen Witz. Sie wollte diese leicht unangenehme Stimmung aufbrechen. Zudem war sie nach wie vor nervös, obwohl Estelle ihr keinen Grund dazu gab. Aber Madiha wusste auch nicht so recht damit umzugehen, dass sie die Mutter von Caleb war. Und wie man sich ihr gegenüber zu verhalten hatte. Sie hatte ursprünglich mal Azura danach fragen wollen, doch das hatte sich nicht ergeben… Dann hatte sie Corax gefragt, aber auch er hatte keine Ahnung gehabt. Und nun saß sie hier und strampelte in viel zu tiefem Gewässer.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Samstag 9. September 2023, 10:40

Caleb hatte nicht getrunken. Jemand, der sein Leid im Alkohol ertränkte, roch auch entsprechend. Er aber verströmte nur sein eigenes, leicht kerniges Aroma, an das Madiha sich nicht nur bereits gewöhnt, sondern dass sie auch lieben gelernt hatte. Die Erinnerung daran, mit einer leichten Schweißnote und diesem Duft von vereinigten Körpern im Liebesspiel, steckte ihr noch in den Knochen. Sie glaubte, ihn in der Nase kitzeln zu spüren und auf der Zunge zu schmecken wie die Nacht zuvor, als sie zum ersten Mal hatte erleben dürfen, wie wunderschön es sein konnte, wenn ein Mann sich über ihren Körper beugte.
Am liebsten wäre sie bei ihm geblieben, hätte ihn verwöhnt und gehegt, denn die Spuren auf seinen Wangen verrieten, dass er nicht selig in den Schlaf gefunden hatte. Am liebsten hätte Madiha wohl ihre gemeinsame Nacht wiederholt. Vielleicht hätte sie Caleb damit trösten können, doch sie erkannte, dass er den Schlaf brauchte. Außerdem rief man sie zum Frühstück und auch, um Estelle Gesellschaft zu leisten. Die alte Frau musste seit dem Tod von Gregor van Tjenn sehr allein sein. Ob das der Grund war, weshalb Jivvin sie im Haus behielt? Damit Estelle nicht einsam in irgendeiner Gasse vor sich hin vegetierte, bis der Tod sie mit ihrem Mann wieder vereinte? Damit beide Frauen nicht allein wären. Madiha vermutete hinter der unabhängigen Fassade der Dunkelelfe bereits mehr und ihre Empathie ließ sie offensichtlich nicht im Stich. Wie ihre Feuermagie hatte Madiha diese Gabe an sich entdeckt. Beides wollte die pflegen, fördern. Beides ließ sich nur mit Übung verbessern. Jivvin bot ihr einen reichen Nährboden. Sie war fast schon bestrebt, den Kern der Elfe aus der harten Schale zu holen. Somit verließ sie das Zimmer mit dem schlafenden Caleb alsbald und kehrte in den Grünen Salon ein.
Madiha trug erneut die Kleidung vom Vorabend. Sie hatte nicht in die Schränke geblickt, nichts für sich beansprucht, was ihr nicht gehörte. Mit zerzaustem Haar und den verknitterten Sachen an ihrem Leib trat sie vor Estelle. Die noble Dame saß erneut in dem weichen, tiefgrünen Sessel. Der Schleier, der heute ihre Augen verbarg, war schwarz. Sie grüßte Madiha sofort und wirkte genauso willkommensfreundlich wie die letzte Nacht. Trotzdem fühlte Madiha eine Nervosität in sich emporsteigen. Gern hätte sie sich besser auf das Treffen mit Calebs Eltern vorbereitete, war sogar bereit gewesen, vorab einmal mit Azura darüber zu sprechen. Die "Waffenruhe" zwischen ihr und der Andunierin hätte den Grundstein gelegt, nur hatte sich keine Gelegenheit geboten. Es war so viel passiert, binnen kürzester Zeit und jetzt landete noch eine weitere Schippe neuer Probleme darauf. Diese betrafen vordergründig zwar Caleb, aber Madiha fühlte sich ebenso in der Pflicht. Immerhin war sie jetzt ... mit ihm zusammen? Waren sie ein Paar? Was immer beide verband, es war mit Liebe geknüpft worden und sollte somit lange halten. Auf ewig, wenn es nach der Sarmaerin ging. Dennoch ließ sich damit die Nervosität gegenüber Calebs Mutter nicht ganz vertreiben.
"Nun, ich würde Jivvin zur Hand gehen, aber sie bat mich, Euch ein wenig Gesellschaft zu leisten, solange sie beschäftigt ist." Ein Versuch Madihas, der unangenehmen Situation zu entkommen. Sie hätte sich beim ersten Aufeinandertreffen mit der Elfe wohl nicht zu träumen wagen können, dass sie sich in ihrer Gegenwart nun wohler fühlen könnte als bei Calebs Mutter. Dabei strahlte die alte Dame nicht eine schlechte Eigenschaft aus. Es war die Trauer, ihr Verlust, der den Raum so schwer machte, weil es auch Calebs Trauer, Calebs Verlust waren.
Estelle wusste jedoch, diese Schwere mit einem einzigen Wink ihrer dünnen Hand zu vertreiben. Sie filigranen, von Altersflecken gezeichneten Finger zerrissen sie wie Klingen, die durch Papier schnitten. "Ach, diese sture Schachtel!", schimpfte sie Jivvin mit der Zuneigung einer Freundin. "Sie weiß sehr wohl, dass sie die Gesellschaft eher gebrauchen könnte. Ich genieße den Morgen mit seiner Ruhe und meiner Tasse Tee. Jeden Morgen! Sie ist es, die dann zu mir in den Salon kommt, sich schweigend zu meinen Füßen setzt und..."
"Ich höre dich!", drang ein scharfer Ton aus der Küche. Estelle verstummte, aber lächelte warm dabei. Sie angelte nach ihrer Tasse, nahm einen Schluck und meinte anschließend deutlich leiser: "Und ich schweige. Mach dir da keine Sorgen."
"Wie ... wie geht es Euch?", versuchte Madiha die Situation etwas zu lockern und doch höflich genug zu bleiben, nach Estelles Befinden zu fragen. Immerhin durfte man ihren Verlust nicht einfach ignorieren. Doch die Alte versuchte es. Sie wollte nicht unglücklich sein. "Es geht mir gut. Nein, das wäre gelogen. Ich komme zurecht. Nein, das ist auch nicht richtig." Sie atmete durch und wies Madiha mit einem Fingerzeig an, sich zu setzen. Wenigstens hierfür sollte die Sarmaerin noch bleiben. Ob sie anschließend nicht doch zu Jivvin ging, blieb ihr überlassen. "Es ... geht", sagte Estelle wahrheitsgemäß. "Ich bin froh, dass Jivvin und ich uns arrangieren konnten. Ich bin froh, dass sie hier ist und mir zur Hand geht. Ich ... bin froh, noch am Leben zu sein. Denn so hab ich meinen Schatz empfangen und noch einmal in die Arme schließen können. Das ist doch wunderbar." Sie schniefte, hob ihre Hand zum Schleier und senkte sie, bevor die Finger darunter hätten wandern können.
"Es ist jetzt gut einen Monat her..." Selbst wenn Caleb und Madiha noch vor dem Angriff in Sarma und aus welchen Gründen auch immer aufgebrochen wären, um in seine Heimat zurückzukehren, hätte der Sohn den Vater nicht mehr retten können. Dafür war er viel zu spät. "Ich finde langsam zu mir zurück", fuhr Estelle fort. "Und Caleb ist stark genug, um es ebenfalls zu schaffen."
"Ihm war wohl nicht bewusst, wie sehr er seinen Vater geliebt hatte..."
"Doch, das war ihm sehr bewusst. Beiden. Sie sind nur furchtbar stur." Estelle schmunzelte. "Sie ... waren es. Gregor konnte nicht von seinem neuen Weg abkommen, weil er darin Chancen für unseren Caleb sah. Er sah jedoch nicht das Unglück im Herzen seines Jungen und Caleb? Er sah nicht, dass sein Vater für ihn nur das Beste wollte. Aber er sah dessen Liebe und nur aus diesem Grund hat er verhindert, dass diese Liebe in Hass umschlägt - auf seine Weise. Caleb hat vieles schon immer mit einer Flucht geregelt, anstatt mit einer Aussprache. Aber ich weiß, dass er lieber diesen Weg wählte als einen Streit mit jenen vom Zaun zu brechen, die er liebt. Er ist ein gutes Kind." Sie hob den Kopf, blickte anscheinend ziellos im Raum umher, bis sie sich Madihas Richtung zuwandte. "Das ist er doch immer noch, nicht wahr? Du weißt es, Madiha. Sag mir, wie er geworden ist. Kann ich ... noch stolzer auf meinen Wildfang sein?" Dann lachte sie sanft auf. Es klang gelöst. Sie wirkte glücklich, sich endlich selbst einmal ablenken zu können. "Andunies Äpfel sind einzigartig. Du wirst nirgends auf Celcia eine bessere Sorte finden. Oh, ich möchte unbedingt einen Apfelkuchen für dich und meinen Schatz machen. Ich verspreche auch, ihm dieses Mal nicht mit dem Kochlöffel auf die Finger zu hauen, wenn er viel zu früh ein Stück davon sitbitzen will."
"Das mache ich!", bot Jivvin von der Küche aus an, aus der es bereits köstlich nach Rührei mit Speck und Zwiebeln duftete. Estelle drehte den Kopf zum offenen Torbogen. Sie lächelte, schnupperte. Dann holte sie Luft: "Ich glaube, du hast dich nun lange genug mit mir alter Vettel unterhalten. Geh zu Jivvin. Falls sie einen Grund sucht, warum du mir nicht länger Geselllschaft leistest, erinnere sie daran, dass sie unmöglich Geschirr und Pfanne alles auf einmal tragen kann. Hilf ihr beim Servieren, sei so gut."
"Ich kann mehrmals gehen!", rief die Elfe wieder aus der Küche. Estelle antwortete mit kräftiger Stimme: "Du kannst, aber du würdest nicht wollen!"
Daraufhin war es still, doch man konnte die Reaktion auf den Konter fast in der Luft schmecken. Jivvin lächelte ebenfalls.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 10. September 2023, 08:31

Madiha hatte in ihrem Leben bereits viel mit Verlust zu tun gehabt. Allerdings weniger mit echtem Schmerz dahinter. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt, wusste nichts über ihn, nicht mal seine Herkunft. Ihre Mutter verstarb so früh und plötzlich, dass Madiha mit jedem Jahr, das sie älter wurde, mehr und mehr vergaß. Zudem war sie noch so jung gewesen, dass sie die folgenden Monate und Jahre mehr mit dem Kampf ums Überleben zu tun gehabt hatte, denn mit Trauer. Und irgendwann war sie einfach von anderen Dingen verschüttet worden. Sich jetzt mit dem Schmerz des Verlusts eines geliebten Menschen konfrontiert zu sehen, machte Madiha nervös. Tod war in Sarma etwas alltägliches. Nun, inzwischen wohl auch in Andunie, doch lebte man in Sarma meist am Rande des Todes, wenn man nicht zu den Pfeffersäcken gehörte. Seit sie denken konnte, war der Tod stets ein allgegenwärtiger Gedanke ihres Lebens. Er wurde inflationär benutzt, um sie zu Arbeiten anzutreiben. Man drohte ihr damit, ihr das Leben auszuhauchen, wenn sie nicht spurte. Dann ihr Ende, das sie im Sand finden sollte, Palm, der dürre Magieschüler, der sie nicht in ‚seiner‘ Akademie dulden wollte und ihr drohte. Der Angriff, die Diebe in den Gängen, die Diebe im Unterschlupf, die Caleb auflauerten. Überall wurde Madiha daran erinnert, wie endlich ihr mickriges Leben war. Und dann passierte etwas gänzlich anderes: Zum ersten Mal in ihrem Leben, spürte sie auch, was der Tod auslösen konnte. Als sie Caleb über die Reling springen sah und sich die Gewissheit bereits wie eine kriechende Kälte ihren Weg suchte, um ihr Herz zu erfrieren. Madiha aber schüttelte diesen Gedanken von sich. Der Schmerz, den sie damals empfand, war … bedeutend. Er war schwer und hatte sie nachhaltig verletzt. Diese Wunde würde nicht mehr heilen, sondern immer wieder aufreißen, wenn sie nicht aufpasste. Aber eben weil Madiha nur das eine oder andere Extrem kannte, glaubte sie, sie müsste Estelle ein wenig Beistand leisten. Auf ihre Nachfrage hin, antwortete sie erstmal so, wie man es von jedem wohl erwartete. Madiha aber beobachtete die Alte genau und schon revidierte sie ihre Aussage. Zweimal. Das Mädchen lauschte aufmerksam als Estelle wahrheitsgemäß antwortete. "Ich bin froh, dass Jivvin und ich uns arrangieren konnten. Ich bin froh, dass sie hier ist und mir zur Hand geht. Ich ... bin froh, noch am Leben zu sein. Denn so hab ich meinen Schatz empfangen und noch einmal in die Arme schließen können. Das ist doch wunderbar. Es ist jetzt gut einen Monat her… Ich finde langsam zu mir zurück" Madiha betrachtete die verschleierte Frau einen Moment nachdenklich. „Wieso tragt Ihr dann einen Schleier?“, wollte sie wissen und meinte es nicht böse.
Sie wusste, dass in Sarma 3 Tage und Nächte Klagelieder gesungen wurden, ehe man die Toten zur Waschung brachte. Danach fand die Beisetzung statt, wenn man sie sich leisten und einen Platz auf dem Friedhof bezahlen konnte, ehe die Trauer von einer Feier abgelöst wurde. Madiha war nie auf einer solchen Bestattung oder Feier gewesen, doch sie hatte aufmerksam zugehört, als man ihr davon erzählt hatte. Geschichten waren schließlich das einzige, was Madiha gehabt hatte, um überhaupt ein Mindestmaß zu erfahren. Die meisten Sklavinnen waren nicht bereits als Kind in ein Haus eingekehrt, sodass sie Dinge von ‚draußen‘ berichten konnten. Estelle war sich sicher, dass Caleb es überwinden würde. Madiha musterte die Alte erneut nachdenklich.

Sie äußerte einen Verdacht, der von Estelle allerdings klargestellt wurde. "Doch, das war ihm sehr bewusst. Beiden. Sie sind nur furchtbar stur. Sie ... waren es. Gregor konnte nicht von seinem neuen Weg abkommen, weil er darin Chancen für unseren Caleb sah. Er sah jedoch nicht das Unglück im Herzen seines Jungen und Caleb? Er sah nicht, dass sein Vater für ihn nur das Beste wollte. Aber er sah dessen Liebe und nur aus diesem Grund hat er verhindert, dass diese Liebe in Hass umschlägt - auf seine Weise. Caleb hat vieles schon immer mit einer Flucht geregelt, anstatt mit einer Aussprache. Aber ich weiß, dass er lieber diesen Weg wählte als einen Streit mit jenen vom Zaun zu brechen, die er liebt. Er ist ein gutes Kind. Das ist er doch immer noch, nicht wahr? Du weißt es, Madiha. Sag mir, wie er geworden ist. Kann ich ... noch stolzer auf meinen Wildfang sein?" Das Mädchen hatte aufmerksam zugehört und die Ältere aufmerksam gemustert, während jene sie teilhaben ließ an einem Stückchen Vergangenheit. Dabei hatte sie die Witwe gespiegelt und ebenfalls leicht gelächelt. Sie beschrieb Caleb genau so, wie Madiha ihn erlebte. Er ging noch immer so vor und doch auch wieder nicht. Dunia hatte er verlassen, obwohl er sie so liebte. Weil er aber wusste, dass es besser so gewesen war, denn sie würde sich nicht mehr aufgeben, niemals. Er hatte es gewusst und handelte danach. Dass er damals auch Madiha hatte alleinlassen wollen… nun, diesen Grund hatte er versucht zu erklären, doch Madiha hatte ihm nicht folgen können. Er fühlte sich damals verantwortlich und wollte nicht, dass er es schlimmer denn besser machte. Aber diese Entscheidung wäre, rückblickend betrachtet, falsch gewesen.. wenn man nun sah, was sie zu teilen bereit waren. Estelles Frage aber holte Madiha wieder in den grünen Salon. Das Graublau ihrer Augen ruhte auf dem verhüllten Gesicht, das im Prinzip die selben Augen verbarg, wie Caleb sie hatte.
„Nun…“, begann Madiha zögernd, denn sie überlegte noch, was sie genau sagen sollte. Doch dann rutschten ihre Augen zur Seite und ein Lächeln legte sich auf Madiha’s Züge. „Caleb ist viel mutiger, als er von sich selbst glaubt. Er… er handelt nicht immer bedacht, aber er tut es immer aus den edelsten Motiven heraus. Ganz gleich, welche Konsequenzen er zu tragen hat… oder andere.“, ihr Blick verschwamm kurz. Der Schmerz seines Todessprungs saß tief, aber sie wusste gleichzeitig, dass er es nicht aus Bosheit tat. „Er hat ein so großes Herz, dass jeder darin Platz finden kann, ganz gleich wie sehr er sich gegen seinen Charme auch wehrt und ihn wegstößt. Er ist geduldig, wartet… bis man selbst soweit ist zu erkennen, dass in Caleb der wohl sanfteste, reinste und … und… wertvollste Kern schlummert.“, Madiha lächelte und war längst mit ihren Gedanken woanders als im Grünen Salon. „Er will immer nur das Beste für alle um sich herum und … und… er würde niemals jemandem Schmerzen zufügen. Er schützt diejenigen, die sich nicht selbst schützen können und auch wenn er von vielen als Feigling geschimpft wurde…“, sie schüttelte in ihren Gedanken versunken den Kopf. „Das ist er ganz und gar nicht… Er würde sich selbst Ketten anlegen, wenn er dadurch Unrecht oder Schaden abwenden könnte, von jenen, die ihm wichtig sind.“, schloss sie langsam und blinzelte etwas überrascht. Madiha wurde rot. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sehr sie plötzlich ins Schwärmen geraten war und wie die Liebe zu Estelles Sohn einfach so aus ihr herausgesprudelt war. Doch dann schluckte Madiha kurz, befeuchtete ihre Lippen und sah Estelle an. „Ich… ich liebe euren Sohn, Estelle. Er hat mir erklärt was das ist und… und ich liebe ihn.“, ihr Herz klopfte vor Aufregung, während ihre Augen leuchteten. „Und ich bin dankbar, dass er Euch noch hat. Dass er euch in die Arme schließen und seinen Frieden finden kann…“, beendete sie ihre Antwort und verfiel in Schweigen.

Hatte sie zu viel gesagt? Madiha war sich unsicher, was Caleb vielleicht wollte. Ob er seiner Mutter gegenüber überhaupt detaillierter werden wollte. Ob er Madiha vorgestellt hätte als jemanden… den auch er… mochte? Liebte? Das Mädchen aber hielt sich genau damit zurück. Ihre Gefühle für Caleb waren für jedermann offensichtlich. Jivvin wusste es sofort und glaubte noch, sie wäre seine Sklavin. Doch sie wusste, es steckte mehr dahinter. Ein ganzes Herz, dass sich nach einem Einzelnen verzehrte. Nach einer Weile versuchte sich Madiha an etwas unverfänglicheren Worten und Estelle lachte. „Euer Apfelkuchen wurde bereits höchst gelobt. Ich… ich würde mich sehr freuen, ihn probieren zu dürfen.“, antwortete sie lächelnd und sah dann zum Durchgang, der zur Küche führen würde. „Natürlich, ich helfe gern.“, bestätigte Madiha ohne Umschweife und erhob sich, während Estelle und Jivvin noch ihr kleines Geplänkel hatten. Das Mädchen wartete einen Moment, ehe sie dann mit Ausbleiben der Reaktion von Jivvin, zur Küche ging. Langsam betrat sie den gut duftenden Raum. „Es riecht wunderbar… ist… das ein normales Frühstück?“, fragte sie und betrachtete die vielen Dinge, die es scheinbar zum Essen geben sollte. Madiha hatte in ihrem Leben eher selten wirklich gute Mahlzeiten genossen. Meist waren sie praktisch und sättigend. Genuss war ihr erst am Abend zuvor wirklich bewusst geworden. Madiha musterte Jivvin in ihrem schicken Kleid und erst jetzt fiel ihr Blick auf die pinken Pantoffeln. Das Mädchen starrte darauf und plötzlich hoben sich ganz von selbst ihre Mundwinkel. Das durchbrach das Bild der eisernen Kämpferin aber gewaltig! „Steht euch gut!“, verließ es ihren Mund, bevor sie darüber nachdenken konnte, doch meinte es nicht weniger ehrlich. „Was kann ich tun? Wohin bringe ich das Geschirr und wie deckt Ihr ein?“, fragte sie dann. Das Gespräch mit Estelle hatte Madiha gelöst. Sie traute sich, sich wohlzufühlen und öffnete sich etwas. Sie fühlte sich gerade nicht als Sklavin, aber zeigte dennoch, dass sie lange Zeit als solche hatte Leben müssen. Die Frage, wie der Tisch eingedeckt werden sollte, entsprang ihrer Zeit im Hause von Abbas und ihrer alltäglichen Aufgabe, für sämtliche Feste und Essen die Tische herzurichten.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Sonntag 10. September 2023, 17:17

Welche Schrecken Estelle van Tjenn durch Andunies Eroberung und den Verlust ihres Mannes erlebt haben mochte, verbarg sie inzwischen gut, ebenso wie ihr habes Anlitz. Sie schien es verkraftet zu haben und nur noch still für sich zu trauern. Jivvin war ihr da wohl eine große Stütze und Calebs Wiedererscheinen in ihrem Leben hatte für einen Schub an Hoffnung und neuem Lebenswillen gesorgt. Trotzdem würde auch die alte Dame irgendwann erneut mit allem Verdrängten konfrontiert. Wahrscheinlich jede Nacht, wenn sie in ihrem - oder Calebs - Bett lag, allein, ohne ihren Mann. Vielleicht auch jedes Mal, wenn sie durch die Dunkelelfe Hilfe erhielt, welche nun ihr Haus bewohnte und sich eindeutig an die neue Herrin ausgab, zumindest nach außen hin. Es ließ sich nicht verhehlen, dass beide Frauen der Öffentlichkeit das Spiel einer dunkelelfischen Herrin und ihrer betagten Sklavin vorgaukelten, nur um hinter dem Schleier gemeinsam einen friedlichen Alltag führen zu können. Für beide möglicherweise aus dem gleichen Motiv heraus: nicht allein zu sein. Die Wahrheit blieb verborgen und mit ihr auch die Trauer, die in Estelles Herzen wohnen mochte, verborgen hinter einem Schleier für die Gesellschaft.
"Wieso tragt ihr dann einen Schleier?", wollte auch Madiha wissen. Sie glaubte der Andunierin nicht vollständig, dass sie zu sich zurückfand. Niemand, der von seiner Trauer gelöst war, trug ein Symbol wie den Schleier nach außen oder etwa doch? Madiha konnte nur auf ihre sarmaer Kultur zurückgreifen und da war die Trauerphase auf drei Tage beschränkt, zumindest was den Auftritt in der Öffentlichkeit betraf. Im eigenen Haushalt trauerte man während der ganzen rituellen Zeit, bis der Leichnam seine Waschungen, Salbungen und heilige Gebetsriten hinter sich gebracht hatte, um den Göttern überführt zu werden. Aber mit jedem Schritt des Ritus heilten die Hinterbliebenen ein wenig. Hier in Andunie war es anders. Hier lagen Gregor van Tjennas Überreste hinter dem Haus, markiert durch einen Stein. Madiha wusste nicht einmal, ob man an ihm Waschungen, Salbungen und das Binden in saubere Tücher für den Übergang vollzogen hatte. Ob demnach Misstrauen Estelles Worten gegenüber oder bloße Neugier ihre leitende Kraft waren, letztendlich konnte sie nicht an sich halten und musste nachfragen.
Damit brachte sie die Ältere kurz aus der Fassung. Sie zeigte es nur minimal, weil sie stutzte, ehe ihre Hand sich zum Schleier empor hob. Sie berührte ihn aber nicht, sondern rang sichtlich um eine Erklärung. Stille erfüllte den Salon, dass es beinahe unangenehm wurde. "Nun...", begann Estelle, schien jedoch nicht die richtigen Worte zu finden. Sie seufzte und ließ ihre Hand zur Schwester in den Schoß sinken, wo sie beide wie zum Gebet ineinander faltete. Dann seufzte sie, wirkte unruhig.
"Andunier trauern ein Jahr und einen Tag um den Verlust eines Nahestehenden, wenn sie diese Zeit brauchen." Jivvin erschien auf der Bildfläche. Ihre Schritte waren eilig, aber durch die rosa Puschen sehr leise auf dem Grund. Sie steuerte zielstrebig Estelles Sessel an und legte dann einen kleinen Holzstiel mit einer bernsteinfarbenen Masse daran in ihre Teetasse. "Dein Kandiszucker. Ich weiß, dir schmeckt der Tee so besser", wandte sie sich erst an Estelle und bot dann sogar Madiha einen solchen Stiel für ihren Tee an. Schließlich huschte sie zurück in die Küche, wobei sie im Vorbeigehen nach einer Schürze griff, die an einem Wandhaken befestigt war.
Estelle lächelte warm, rührte mit ihrem Kandiszuckerstäbchen den Tee und probierte erneut. "Ahhh", seufzte sie, dieses Mal voll Wonne. "Viel besser. Du solltest es probieren, Madiha. Ein wenig Kandis macht alles gleich angenehmer." Damit war die Frage der jungen Frau rasch abgearbeitet und man wandte sich einem anderen Thema zu. Schnell kamen beide Frauen auf Caleb zu sprechen und nun war es Estelle, die ihre Neugier nicht zurückhalten konnte. Aus ihr sprach jedoch auch eine unterschwellige Sorge. Dreizehn Jahre lang hatte sie ihren Sohn nicht wiedergesehen. Er war verschwunden, als er gerade zum Mann heranreifte und sich somit von der gesamten Welt hatte prägen lassen können. Natürlich war die Furcht einer Mutter groß, außerhalb ihres Einflusses könnte er sich zu jemandem entwickelt haben, für den keine Liebe mehr übrig wäre. Estelle nahm es nicht an, aber eine Restspur an Zweifel bestand immer.
Madiha schaffte sie aus der Welt. Mit jeder Lobpreisung mehr, die sie für ihren Caleb übrig hatte, lächelte die alte Dame etwas seliger. Sie vergaß darüber hinaus glatt das Trinken, hielt nur noch ihre Teetasse und lauschte stattdessen sehr aufmerksam. Und Madiha hatte einiges zu erzählen. Dabei ging sie nicht einmal auf Calebs Werdegang in Sarma ein. Sie erzählte weder von seinen Verbindungen in die kriminelle Unterwelt noch davon, dass er Teil derselbigen war. Sie erwähnte aber auch ebenso wenig, dass er an Prinzipien festhielt, beispielsweise nicht zu töten. Ja, er hatte diese unheimlichen Stockwesen unter einem Knacken zerbrochen und er hatte Kjetell'os Einhorndolch verwendet,um Serpentis aus dem Hinterhalt heraus die Kehle aufzuschlitzen, aber beides war aus keinem boshaften Motiv geschehen. Wo Wüstendiebe mordeten, um Konkurrenz aus dem Weg zu räumen und sich selbst bereichern zu können, da hatte Caleb nur jene schützen wollen, die einen Platz in seinem Herzen besaßen. Er hatte Corax vor seinem Schicksal bewahrt - zwei Mal. Und er hatte verhindert, dass die Feuerhexe Madiha und Azura ein Leid antat. Er war ein Held, aber nicht einmal das fand in Madihas kleinem Monolog Erwähnung. Denn es war nicht wichtig. Caleb musste weder eine Karriere gemacht haben, auch wenn sie kriminelle Wurzeln besaß, noch sich als celcianischer Held hervortun. Es gab andere Dinge, auf die gerade die Sarmaerin größeren Wert legte. Sie betonte Estelle gegenüber wie aufrichtig ihr Sohn doch noch immer war und welch gütiges Herz in seiner Brust schlug. Sie lobte seinen Charme, mit dem er sich Freunde machte und seinen Mut, diese auch unter allen Umständen zu beschützen. Und sie endete mit den offenen Worten, wie ihr eigenes Herz über diesen Mann dachte.
"Ich ... Ich liebe Euren Sohn, Estelle. Er hat mir erklärt, was das ist und ... und ich liebe ihn."
Estelle lächelte. Trotzdem verviel Madiha in unsicheres Schweigen, denn sie wusste nicht, ob die Hausdame es guthieß, dass ihr Sohn sich auch in eine ehemalige Sklavin verliebt hatte. Wäre Calebs Liebe denn bereit genug, so weit zu gehen oder würde er sie in Gegenwart seiner Mutter eher als nebensächliche Liebelei abtun? Immerhin war er nun der stolze Erbe der van Tjenns. Andunie mochte in dunkelelfischer Hand sein, aber das hieß nicht, dass ein Mensch nicht auch seinen Weg und neue Verbindungen finden könnte. Auch ein Mensch könnte sich einen Namen in dieser Stadt machen ... mit der richtigen Frau an seiner Seite. Sogar Jivvin hatte Interesse bekundet, wenngleich es nicht sehr aufrichtig sondern eher nach einer Zweckmaßnahme klang. Dennoch könnte Caleb mit ihr als potenzielle Partnerin bei den Regierenden sicherlich mehr erreichen als mit einer dürren Sklavin, die nun in Freiheit lebte. Vielleicht gewährte er Madiha einen Platz im Haus. Für den Haushalt würde es reichen. Vielleicht gewährte Jivvin ihr, Calebs Geliebte zu sein, die er sich nach Bedarf ins Bett holen durfte. Nur weil sie ihn liebte und er diese Liebe aktuell erwiderte, hieß dies in einer Welt wie Andunie nichts. Und Estelle lächelte nur. Sie hatte noch nichts zu dem Thema gesagt.
Wie lange saßen Estelle und Madiha einander nun schon gegenüber? Die Stille wurde für sie fast unerträglich. Sie suchte einen Weg zu fliehen und klammerte sich an den Vorschlag, Jivvin nun helfen zu wollen. So erhob sie sich, um sich gen Küche zurückzuziehen und dann durfte Madiha ihn sehen. Da stand er in der Tür, die vom Hausflur aus zum Grünen Salon führte. Er lehnte mit einer Schulter im Rahmen, stieß sich aber davon ab, als seine blaugrünen Augen den Blick mit Madihas graublauen kreuzten.
Nur in ein ziemlich knitteriges, cremefarbenes Hemd gekleidet, das locker und reichlich unordentlich in der braunen Leinenhose steckte, stapfte Caleb in den Raum. Sein Haar passte zum übrigen Erscheinungsbild. Bartstoppeln schufen einen seichten Schatten entlang seiner Kieferpartie, aber auch unter den Augen besaß er dunklere Ringe als sonst. Trotzdem war sein Anblick der schönste, den Madiha je sehen würde. Für sie würde Caleb immer wunderschön sein.
"Ich liebe dich auch, Madiha", grüßte er sie sowohl mit ernster Stimme, als auch ernstem Blick. Er meinte es ernst und nichts, was seine Mutter darüber denken mochte, könnte seinen Standpunkt verrücken. "Danke", hauchte er nach, die Hand im Nacken, denn er musste den Monolog komplett mitbekommen haben. Seine Wangen nahmen ein wenig Farbe an und jetzt lächelte er sogar seicht. Es erreichte im Moment nur nicht seine von Trauer gezeichneten Augen. Sie begannen zu leuchten, als Estelles Worte an seine Ohren drangen.
"Du hast eine sehr gute Wahl getroffen, mein Schatz. Ich spüre die Vebrindung zwischen euch. Ihr seid ein wundervolles Paar und werdet einander viel Glück schenken."
"Mama..." Caleb passierte Madiha, tauschte noch einmal einen langen Blick mit ihr und streichelte im Vorbeigehen erst ihre Wange, dann ihre Schulter. Er wünschte, er könnte ihr nun mehr seiner Liebe zuteil werden lassen, aber sein Herz war schwer und diese Trauer wurde an der Seite seiner Mutter leichter zu ertragen. Wie schon in der Nacht zuvor kniete er vor ihr nieder, um seinen zerzausten Kopf auf ihren Knien zu betten. Estelle griff ihrem Sohn sofort ins Haar. "Ohweh, das hast du aber lang nicht mehr gebürstet. Immer noch mein Caleb", lachte sie liebevoll.
Madiha konnte beide nun allein lassen. So verschwand sie in die Küche. Dort werkelte Jivvin am Frühstück. Auf der Ofenplatte brutzelte Speck in einer Pfanne. Auf der Anrichte stand schon ein großer Teller mit Rührei bereit und sie schnitt gerade dicke Scheiben vom selbstgebackenen Brot ab, das inzwischen wohl kühl genug war, um gegessen zu werden. Es existierte kein Esstisch in der Küche und es gab viel zu viele Schränke, in denen sich das Geschirr verbergen konnte. Madiha, die mittlerweile durch Estelles liebevolle Art ein wenig Mut gefasst hatte, wurde offener. Sie wusste, sie käme nicht voran und könnte nicht helfen, wenn sie nicht fragte. So sprach sie Jivvin direkt an, wenngleich man immer noch Muster ihres eingebläuten Sklavendaseins finden konnte.
Missbilligend warf Jivvin einen Blick über die Schulter zurück. Dann zögerte sie. Sie musterte Madiha. Da stand eine junge Frau, die ihr in der Küche helfen wollte und keine Sklavin, die auf eine Order wartete. Die elfischen Züge erweichten sich zu einer neutralen Miene. "Es ist ein andunisches Frühstück, so wie Estelle es mag", klärte sie auf. Dann wies sie mit ausgestrecktem Brotmesser in der Hand zu einem Schrankfach. "Dort findest du einen Krug mit weicher Butter. Von dem Kräutergestell über dir schnapp dir ein paar Halme Schnittlauch, Petersiiie und hacke dann eine Knoblauchzehe klein. Misch alles mit der Butter für einen Brotaufstrich. Mach genug, dass es für alle reicht."
Jivvin war also nicht darauf aus, dass Madiha den Tisch deckte, der ohnehin nicht sichtbar vorhanden war. Aber die Sarmaerin sollte ihn bald antreffen. Dadurch erfuhr sie noch einmal mehr, dass Calebs Familie wohlhabend sein musste. In Khasibs Palast gab es mehrere verschiedene Speiseräume. Einen privaten für Khasib, der tatsächlich eher klein gehalten und selten genutzt wurde, sowie einen Speisesaal für ihn und seine Gäste, als auch einen kleineren Raum mit Platz für sechs Personen. Die Gesindeküche zählte nicht, aber auch dort hatte es einen langen Tisch mit Bänken für die Sklaven gegeben.

Inspiration: Esszimmer/Wintergarten

Das Anwesen der van Tjenns besaß einen heimligen Wintergarten mit verglasten Wänden und Dach. Auch hier dominierten erneut zahlreiche Pflanzen. Von der Decke hinten wurzelartige Laternenträger herab, dass sie an Elfen- oder Feenlichter aus einem Märchenwald heraus erinnerten. Man besaß Blick auf einen anderen Garten eines Nachbarhauses, der weniger gepflegt wirkte als der der van Tjenns. Wo draußen ein Urwald wartete, herrschte in dem wintergärtlichen Speisezimmer Ordnung. Die Pflanzen waren liebevoll zusammengestellt und zwischen sie schmiegte sich der Mensch mit seinem Mobiliar harmonisch ein. Es gab einen breiten Holztisch mit mehreren, gepolsterten Stühlen im Zentrum des Raumes. Ein roter Sessel stand nahe, eine gepolsterte Band an der Wand und weitere Stühle verteilt im Raum. Man konnte je nach Anzahl der Speisenden weitere zum Tisch hinzuholen. Ein roter Teppich verhinderte, dass man vom Weg aus dem Hausflur bis in an den Tisch kalte Füße bekam, denn der Raum war mit Steinkacheln gefliest.
Gemeinsam mit Jivvin richtete Madiha den Frühstückstisch her. Die Dunkelelfe verzichtete auf prunkvolle Optik. Sie erwartete nicht einmal kostbares Geschirr. Man aß aus Porzellantellern und mit simplem Messingbesteck. Saft, Milch und Wasser würden aus einfachen Metallbechern getrunken. Jivvin stellte nicht einmal eine Blumenvase dazu. Es wirkte bei ihr alles sehr pragmatisch. Nicht einmal Servietten stellte ise bereit, sondern stattdessen einige gefaltete Küchentücher. Sobald der Speck soweit war, verteilte sie zusammen mit Madiha auf jedem Teller Brot, einen Klacks der Kräuterbutter, Rührei und besagte, krustige Fleischstreifen. Es roch fantastisch.
"Ich hole noch einen Korb Äpfel. Estelle isst gern einen als Nachtisch", verkündete die Elfe und wandte sich der Tür zu. Ausnahmweise war ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf Madiha gerichtet, so dass sie Caleb übersah, der Estelle ins Speisezimmer begleitete. Beide Frauen stießen zusammen und es war nur dem Dieb zu verdanken, dass die Elfe nicht stürzte. Er langte nach ihr, hielt aber auch seine Mutter fest. Es war ein reichlich komisches Bild, das sie abgaben, aber wenigsten schien niemand verletzt worden zu sein.
"Geht es dir gut, Mama?", fragte Caleb, als er von Jivvin abließ, um nach ihr zu schauen. Estelle winkte ab, beteuerte, dass nichts geschehen sei, doch sie alle konnten nun etwas erkennen, das zumindest die jüngsten Gäste des Hauses erschüttern musste. Jivvin hingegen seufzte nur. Sie schob Caleb beiseite, der wie erstarrt schien, um Estelles Hand zu greifen und sie zum roten Sessel zu führen. Dabei richtete sie der Dame wieder den Schleier, damit der schwarze Stoff die leeren mit schweren Verbrennungen umrandeten Augenhöhlen erneut verdecken konnte.
"M-Mama...", keuchte Caleb, dem erneut der Boden unter den Füßen weggerissen zu werden schien.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 16. September 2023, 11:11

Für Madiha war es nicht wichtig, was ihr Dieb tat. Sie verurteilte Caleb nicht für seinen Werdegang oder liebte ihn für das ‚reiche‘ Erbe seiner Eltern. Das eine konnte sie nicht abschrecken, während das andere sie nicht lockte. Sie liebte Caleb um seinetwillen. Gerade für ein Mädchen wie Madiha, war es einfach nicht wichtig woher jemand kam. Zumindest im normalen Rahmen nicht. Wäre Caleb indes ein Mörder und Vergewaltiger, wären das schon Kriterien, die sie nicht akzeptieren könnte – zumindest glaubte sie das. Dass Caleb ihre Liebe besaß, war für Madiha so selbstverständlich, dass er vielleicht auch alles tun könnte, wenn es dem richtigen Zweck diente. Serpentis war so ein Zweck gewesen und Madiha hatte keinen Moment ein Monster in Caleb gesehen. So, wie er auch nicht die Sklavin in ihr gesehen hatte. Oder die Gefahr, vor der sie selbst so zurückgeschreckt war. Bisher hatte Caleb noch gar nicht erfahren, dass sie, Madiha, offenbar äußerst begabt zu sein schien, glaubte man Kjetell’o. Aber das würde erneut in die Ferne rücken, denn nun war mitnichten der Zeitpunkt für solche Gespräche. Nachdem Madiha sich lediglich gewaschen aber nicht erneut eingekleidet hatte, fand sie sich bei Estelle ein und führte ein kurzes aber durchaus tiefergehendes Gespräch. Auf die Frage, wie Caleb sich entwickelt khatte, antwortete Madiha nur aus ihrem Herzen heraus. Und dabei sparte sie all die unwichtigen Details aus. Er trug die Maske des Wüstendiebes. Er trug die Maske des verschmitzten Fassadenkletterers und perfektionierte sie. Aber das war er nicht. Caleb war jemand geworden, auf den man stolz sein musste. Und Estelle durfte jene Wahrheit natürlich erfahren. Nachdem Madiha geendet hatte, spürte sie, welche Tragweite ihre Worte doch hatten. Unsicherheit machte sich bemerkbar und plötzlich wusste sie nicht, wohin mit sich. Sie erhob sich und suchte mit Worten einen Ausweg, als sie sich umdrehte und plötzlich in das Gesicht von Caleb starrte.

Er lehnte vollkommen leise am Rahmen und hatte offenbar gelauscht, denn er kam sofort auf Madiha zu und bestätigte, was sie soeben Estelle anvertraut hatte. Das Mädchen wurde schlagartig rot und schlug die Augen nieder, während sich ein glückliches Lächeln auf ihre Züge schlich. Sie griff kurz nach seiner Hand, um sie zu drücke, da erhob Estelle das Wort, sodass sich Madiha zu der Akten umdrehte: "Du hast eine sehr gute Wahl getroffen, mein Schatz. Ich spüre die Verbindung zwischen euch. Ihr seid ein wundervolles Paar und werdet einander viel Glück schenken." Madiha blinzelte und wurde noch eine Spur dunkler im Gesicht. Es war die Absolution einer Mutter, die ihren Sohn ausgerechnet bei dem ehemaligen Sklavenmädchen in guten Händen wähnte. Nun, Estelle wusste nichts über Madiha, doch die Alte fällte ihr Urteil und erhob das Mädchen damit in einen ehrenhaften Stand. Zum ersten Mal urteilte jemand nicht nach ihrem Werdegang, sah sie nicht mit diesem Blick an, der zwischen Mitleid und Abscheu schwankte. Madiha starrte Estelle an und war sprachlos. Caleb trat bereits gerührt an seine Mutter heran und fiel erneut auf die Knie. Madiha betrachtete das Bild und lächelte für sich, bevor sie sich abwandte und den grünen Salon verließ. Jetzt war nicht die Zeit, sondern sie musste Caleb und Estelle Zeit geben, damit sie sich in ihrer Trauer beistehen konnten. Sie selbst konnte das nicht leisten.

Stattdessen widmete sich Madiha etwas, das sie gut konnte: Arbeiten. Das Mädchen bot Jivvin Hilfe an und nachdem die Dunkle erkannt hatte, dass es hier nicht um die Handlung einer Sklavin ging, sondern die einfache, helfende Hand, durfte Madiha auch anpacken. Gewissenhaft nahm sie die Anweisungen auf, bereitete die Kräuter zu, um die Kräuterbutter herstellen zu können und folgte später dann in den Speiseraum. Auch hier staunte Madiha über das Ambiente und das hübsche Dekor. Es war gemütlich und gleichzeitig wirkte es etwas erschlagend auf Madiha. Sie war weite Räume und viel Platz gewohnt. Hier war alles reichlich und dennoch mochte das Mädchen diese unbekannte Art des Wohnens. Madiha half fleißig und geschickt. Solche Tätigkeiten gingen ihr flüssig von der Hand und nicht einmal wies sie eine Unsicherheit auf, die ihr sonst so gern innewohnte. 5 Jahre lang hatte sie genau solche Tätigkeiten ausgeübt, bevor sie „zu Höherem berufen“ wurde und noch mal ganze 5 Jahre in einer vollkommen anderen Hölle lebte. Allerdings dürfte Jivvin nichts auszusetzen haben, denn Madiha war folgsam und so richteten sie das gewohnte Frühstück gemeinsam schneller als normal. Als Jivvin noch Äpfel holen wollte, nickte Madiha, betrachtete noch mal die Tafel und lächelte leicht. Gerade der Pragmatismus gefiel der Sarmaerin sehr. Es war… gemütlich. Plötzlich wurde Madiha aus ihren Gedanken gerissen, als es polterte und sie sah, wie Jivvin gegen Estelle fiel und Caleb schlimmeres verhinderte. Madiha machte ein paar Schritte auf das Dreiergespann zu, um zu helfen, da erstarrte auch sie. Ihr Blick lag auf den entblößten Augen der Mutter und ihr Herz setzte für einen Moment aus. Madiha’s Mund wurde trocken. Oh, diese Art der Verletzung erkannte sie auch ohne Kenntnisse von Medizin. Verbrennungen, die ihr das Augenlicht geraubt hatten. Madiha runzelte entsetzt die Stirn, denn in ihr formte sich ein übles Bild, das mit der Eroberung dieses Hauses einherging. Sie starrte auf Estelle und Jivvin, machte ihnen Platz, als sie an ihr vorbei zum roten Sessel gingen. „Waren sie das?“, fragte Madiha erschüttert und meinte die Angreifer dieses Hauses. Ihr Blick rutschte zu Caleb. Sie beobachtete ihn, wie er diese Erkenntnis vertrug. Madiha trat an ihn heran und griff seine Hand, um ihm zumindest ein Bisschen Beistand anzubieten. Dann blickte sie zurück zu Jivvin. „Kann es keine Heilung geben?“, fragte sie hoffnungsvoll und mitleidig zugleich. Gab es nicht Möglichkeiten? Gibt es nicht irgendwen, der hier würde helfen können? Es musste doch nicht so bleiben… oder?
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Sonntag 17. September 2023, 19:09

Dieses Mal war es nicht Caleb, der Madihas Herz erwärmte. Sie durfte erkennen, woher ihr geliebter Dieb seinen Charakter hatte. Estelle war mindestens ebenso gütig wie er, denn sie befürwortete ihre Verbindung zueinander. Mehr noch, sie sah in Madiha nicht das zerzauste und gezeichnete Sklavenmädchen. Auf ihre Narben war die alte Dame nicht einmal eingegangen, als hätte sie diese gar nicht gesehen! Oh, wie nahe der Gedanke doch an die Wahrheit herankam, aber das sollte sich erst später zeigen. Zunächst einmal strahlte die junge Frau aus der Wüste über die erteilte Absolution. Anschließend schlich sie sich davon, ließ Mutter und Sohn erneut Zeit, einander zu halten. Die Trauerarbeit würde noch etwas andauern. Wie lange, konnte niemand von ihnen sagen. Ob man das Paar schon vermisste? Nun, Corax wusste, dass sie gemeinsame Zeit miteinander verbrachten und so würden weder Kjetell'o noch Azura sich sorgen müssen. Letztere ohnehin nicht, hatte sie doch an Caleb kein gutes Wort mehr verloren, seit er ihr in den Tod nachgesprungen war und Madiha ignorierte die Adlige ohnehin. Estelle aber tat das nicht und auch Jivvin nicht, die wahrlich keinen Grund besaß sich überhaupt mit ihr abzugeben. Im Gegenteil, die Dunkelelfe spannte den neuen Gast sofort in die Küchenarbeiten mit ein, übertrug ihr Aufgaben, die sie ihr vorerst zutraute. Würde sie länger bleiben, dürfte sie vielleicht sogar einmal selbst kochen - sobald sie sich in der Küche genug auskannte. Bis dahin übernahm Jivvin und auch das war überraschend. Sie schien nach außen hin die neue Hausherrin vom dunklen Volk zu sein und Estelle van Tjenn als ihre Sklavin zu halten. Aber sie schonte die alte Dame, die offensichtlich genug Schrecken erlebt hatte. Erst die Eroberung ihrer Heimat, dann den Verlust ihres Mannes. Dass Caleb zurückgekehrt war, würde ihrem Herzen gut tun.
So arbeitete Madiha mit warmen Gedanken im Haus van Tjenn, bis das Frühstück nahezu gänzlich im Speisezimmer bereit stand. Jivvin wollte lediglich noch einige der andunischen Äpfel holen. Dann aber sollte ein weiterer Schrecken entstehen. Nicht für die Dunkelelfe, wohl aber für Caleb und Madiha. Denn kaum dass Jivvin versehentlich in Mutter und Sohn lief, Estelle aber durch schnelles Eingreifen vor einem Sturz bewahrte, konnten die anderen beiden sehen, was der Schleier bislang verborgen hatte: Leere Augenhöhlen, dunkle verbrannte Haut. Madiha blickte direkt in die vernarbte Schwärze von Schmerz und Leid einer Mutter, die ihren Sohn wieder hatte, aber niemals würde sehen können, wie stattlich er geworden war.
Jivvin handelte, denn ihr Körper befand sich in keiner Schockstarre, ganz im Gegensatz zu Madiha und Caleb. Letzterer stand wie zur Salzsäule erstarrt da, die eigenen Augen aufgerissen und die übrige Miene versteinert. Seine Pupillen zitterten, ebenso seine Finger, die er immer wieder zu Fäusten ballte. Man sah ihm an, dass er es sein wollte, der nun den Arm seiner Mutter griff. Caleb wollte es sein, der sie zum Sessel führte, ihre Schulter streichelte und sich dann anhörte, wie das hatte passieren können. Aber er konnte sich nicht rühren, weshalb Jivvin diese Aufgabe übernahm. Die Dunkelelfe half Estelle, sich zu setzen, obwohl die alte Dame den Weg trotz ihres verlorenen Augenlichts imstande war, gezielt anzusteuern. Sie kannte das Haus. Jivvin kniete vor ihr nieder, um den Schleier zu richten. Da fragte Madiha: "Waren sie das?"
Stille entstand. Jivvin unterbrach ihren Versuch, die verbrannten Höhlen wieder vor der Welt zu verbergen. Sie seufzte, straffte ihre Haltung und erhob sich, den Rücken noch immer Caleb und Madiha zugewandt. "Ich war es", erwiderte sie.
Madiha konnte gar nicht so schnell nach ihrem Dieb greifen, wie jener an ihr vorbei rauschte. Der Umstand, dass Jivvin direkt vor Estelles Sessel stand bewahrte sie davor, von ihm mit dem Kopf voran gegen die nächstbeste Steinwand gehämmert zu werden. Niemals zuvor hatte Madiha Caleb so in Rage gesehen. Wäre er der Feuermagier in ihrer Beziehung, hier wäre soeben ein ganzer Raum in Flammen aufgegangen. Caleb packte die Dunkelelfe, riss sie herum und beging eine Geste, die Madiha nur allzu gut kannte und ihr sofort das Gefühl in Erinnerung rufen dürfte, wie es war, wenn einem die Luft zum Atmen genommen wurde. Caleb legte beide Pranken um Jivvins Hals. Die Elfe wehrte sich nur im ersten Moment, aus reinem Instinkt heraus. Sie zappelte kurz, weil Caleb sie sogar etwas von den Füßen hob. Dann aber langte sie auf Gürtelhöhe, als wollte sie von dort etwas holen. Jetzt zuckte sie sichtlich zusammen. Sie erkannte ihren Fehler. Sie hatte vertraut, trug weder Rüstung noch Waffen. Sie konnte sich nicht verteidigen, denn Caleb schnürte ihr schon die Luft ab. Nun begann sie zu zappeln, stieß dabei mit dem Fuß gegen die Sessellehne.
Caleb ignorierte es. Er drückte nur noch fester zu. "Ich töte dich", schnarrte er und Madiha wusste, er würde es tun. So wie Corax es tun würde, wenn man Azura ein Leid antat. Auch Liebe hatte ihre Schattenseiten. Mit seiner Drohung entsetzte Caleb Jivvin mehr als seine eigene Mutter. Estelle schlug mit ihrer kleinen Faust auf das Sesselpolster. Es war jedoch ihre Stimme, die einen deutlicheren Effekt erzielte, obwohl die ältere Dame nicht einmal laut wurde: "Nun reicht es aber! Was immer ihr beiden tut, hört bitte auf damit." Sie seufzte. "Caleb ... mein Schatz, Jivvin lügt. Sie war es nicht."
Es zeigte Wirkung und wie. Caleb setzte die Elfe sofort auf ihre Füße zurück und ließ auch ihren Hals los. Er schaute auf seine Mutter herab, abwartend. Seine Wut war noch nicht verflogen, aber er hielt sie im Zaum. Er knirschte mit den Zähnen, um seinen Drang zu unterdrücken, Jivvins einzuschlagen. Die Elfe rieb sich den malträtierten Hals, rollte überraschenderweise nun aber mit den Augen. "...'stelle...", brachte sie hervor. Es klang fast nach Corax, wenn er krächzte. So konnte sie wenigstens keine Widerrede geben und Estelle war in der Lage es zu erklären.
"Setzt euch, bitte. Alle." Sie wartete, bis sie Stühle rücken hörte. Jivvin reichte ihr einen Becher Milch zum Sessel, schnappte sich selbst aber eine Tasse Tee. Sie schwieg, Caleb ebenfalls. Er setzte sich nur missmutig hin, einen harten Blick auf jede Bewegung der Elfe. Wäre es nicht seine Mutter, er hätte die Aussage nicht geglaubt. Es fiel ihm jetzt noch schwer, aber er riss sich zusammen. Trotzdem schien Estelle die Schwingungen zu spüren, die von ihm ausgingen.
"Jivvin sieht sich in der Verantwortung für mein Schicksal, aber sie hat es nicht verursacht." Die Dunkelelfe schnaufte in ihren Tee. "Als dein Vater und ich ... überfallen wurden ... es war Jivvins Gruppierung. Dieses Haus der Dornentännzer. So nennt ihr euch doch, nicht wahr, Jivvin."
"... ja." Sie nickte. Estelle fuhr fort: "Das Haus der Dornentänzer hat unseres überfallen. Gregor, dein Vater, stellte sich ihnen in den Weg. Er kämpfte tapfer, schlug sogar zwei von ihnen nieder, wurde dann aber überwältigt. Sie schleppten ihn und mich in die Halle. Sie wollten uns abschlachten. Jivvin ... gebot ihnen Einhalt."
"Das ... stimmt so nicht..." Die Dunkelelfe hustete. Sie gönnte sich einen großen Schluck Tee, um ihren Hals zu ölen. Madiha konnte ahnen, wie sehr jener nun kratzen und schmerzen musste. Trotzdem rang die Elfe sich dazu durch, nun das Wort zu ergreifen. "Für deinen Vater gab es keine Rettung mehr. Ich wollte ... unnötiges Blutvergießen ... verhindern. Es hat keinen Sinn, Hilflose ... abzuschlachten." Sie trank noch einen Schluck Tee. Estelle lächelte. Sie hatte sich den Schleier inzwischen selbst gerichtet.
"Jivvin bat ihre Gefährten darum, mich die Hinrichtung nicht mitansehen lassen zu müssen."
"Sie haben ... ihr Wort gehalten", warf die Elfe mit Bitterkeit in der Stimme mit. "Danach haben sie Gregor van Tjenn getötet. Anschließend ... habe ich Estelle zu einem Heikundigen gebracht, auch wenn ... es mir Verachtung ... und Spott einbrachte." Jivvin erhob sich. Sie winkte Caleb und Madiha zu. "Mein Hals ... helft mir, etwas Linderung zu finden." Sie verließ das Speisezimmer, wartete aber an der Tür, bis beide ihr folgten. Sie ging nicht weit, nur bis in die Küche. Dort wartete sie einen Moment und sah Caleb dann an. Der Dieb rang sichtlich mit sich.
"Ich habe sie umgebracht. Alle. Ich bin die letzte der Dornentänzer, aber die erste einer neuen Ordnung meines Hauses. Ich habe Gleichgewicht geschaffen, indem ich genug unnötige Leben für eine unnötige Tat nahm." Plötzlich griff sie nach einem Küchenmesser, um es verteidigend vor sich zu halten. "Ich lasse mich nicht dafür umbringen. Ich büße meinen Fehler ein und wenn du damit leben kannst, dann lebe. Lebe hier, lebe mit deiner Mutter, aber lass mich in Frieden."
Caleb starrte die Dunkelelfe an. Er ballte die Hände zu Fäusten. Und dann schaute er zu Madiha herüber. Er trat dicht an sie heran, wollte ihre Hand nehmen, konnte seine Faust aber vor Überwältigung nicht öffnen. Er wusste nicht, wohin mit den Gefühlen. Es war zu viel für ihn. So strahlen Madiha seine flehenden, mit Seegras umrandeten Fjorde entgegen. "Was ... würdest du tun?", bat er und niemals zuvor hatte er so dringend eine Antwort benötigt. Schließlich war er auch niemals zuvor so bereit gewesen, aus Rachedurst zu töten.
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Feuermagie (rudimentär)
Schwimmen (rudimentär)
Lesen & Schreiben (rudimentär)
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: Eine kleine Muschel mit Loch an einer Kette um den Hals
Tierische Begleiter: Keinen

Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 23. September 2023, 08:49

Wenn man in Sarma aufwuchs, dann kannte man das Elend vermutlich besser als anderswo in Celcia. Abgesehen von Morgeria, doch dort war es weniger das Elend als die Grausamkeiten, die das Leben für so manche verschlechterte. In Sarma gab es nur zwei Schichten: Die Armen und die Reichen. Wer zu letzteren gehörte, der konnte vermutlich seine Augen hervorragend verschließen, was es bedeutete zu den ersteren zu gehören. Wie jeder Tag zu einem puren Überlebenskampf wurde. Nicht nur körperlich un Form von Hunger, Krankheit und der mangelnden Hygiene. Sondern vor allem seelisch. Wenn man vermeintlich falsche Wege beschritt und dafür geschlagen, bespuckt und bepöbelt wurde. Wenn man ausgelacht, verhöhnt und angeschrien wurde. Gewalt war alltäglich und in vielen Versionen verfügbar. Ein buntes Potpourri das dazu diente, andere Seelen zu verletzen und zu zerstören. Denn ein Entkommen war nur in den äußerst seltensten Fällen möglich…
Madiha’s Leben war geprägt von Gewalt und Schmerz. Entbehrungen hatten sie zwar demütig werden lassen, was so manchem gefallen mochte, doch war das nur die Oberfläche des ganzen Ausmaßes. Madiha käme nicht auf die Idee viel zu fordern, wenn es um sie selbst ging. Im Grunde forderte sie überhaupt nichts für sich ein. Nun, außer einen Platz zu haben, von dem sie nicht verstoßen wurde. Bis sie ihren Platz in der Welt wirklich verinnerlicht hatte, würde es noch ein ganzes Stück zu gehen sein. Allerdings begannen ihre aus Sklaverei geborenen Gedanken bereits jetzt immer mal wieder porös zu werden. Ab und zu blitzte der eigene Wille hervor, ähnlich, wie bei Corax, wenn das Glück ihn übermannte oder er eine Entscheidung traf, die aus ihm selbst geboren worden war. Man müsste ihr gewiss nur mindestens genau so viel vermitteln, dass sie etwas wert wäre, wie man ihr das Gegenteil eingebläut hatte. Sie war auf dem Weg, aber sie war eben noch nicht am Ziel.

So war es für Madiha eine Selbstverständlichkeit, Jivvin zu helfen und sich höflich zurückziehen, als Caleb und Estelle in ihrer Trauer allein sein wollten. Es war ein leichtes für das Mädchen, den Tisch im Esszimmer zu decken und nach den Anweisungen Butter oder anderes herzustellen. Ob sie irgendwann mal kochen würde, darüber hatte sie bisher nicht nachgedacht. Gelernt hatte sie es nicht, denn dafür hatte es andere gegeben, die dafür sogar mal einen Tag frei bekamen oder etwas Lohn. Trotzdem half das Mädchen unabhängig ihrer einstudierten Handgriffe gern. Es war schon befriedigend, wenn man für seine Hilfe auch einen kleinen Dank oder ein nettes Wort erhielt. Da tat man es doch gern! Bis Jivvin mit Estelle zusammenstieß, hatte Madiha an eine neue Art des Frühstücks geglaubt. Alles war so… gemütlich, heimelig und erwärmte ihr Herz auf besondere Weise. Auch wenn es Geschehnisse nicht wieder rückgängig machte… das war doch ein Anfang für ein wenig Balsam? Die kleinen Dinge. Die, die mancher nicht mehr fähig war zu sehen… Nach dem Zusammenstoß offenbarte sich Caleb und Madiha nun, was es Estelle noch gekostet hatte, dass Dunkelelfen ihr Heim überfallen hatten. Entsetzen breitete sich rasend schnell aus und Madiha verlangte es sofort nach einer guten Nachricht darauf. Heilung musste dich möglich sein! Doch als erstes hatte sie die Frage nach dem ‚wer?‘ gestellt… und dann ging alles so unwahrscheinlich schnell. Eben hatte sie noch Caleb’s Hand gehalten, um ihm nach dieser Nachricht beistehen zu können, doch der Dieb reagierte prompt. Jivvin war es… Doch noch bevor Madiha überhaupt verstehen konnte, war Caleb bereits an der Dunklen dran und riss sie von den Füßen.

Erschrocken japste Madiha nach Luft: „Caleb!!“, versuchte sie an ihn heranzukommen, doch in seinem Zorn hörte er nicht. Das Mädchen konnte nur mit wachsendem Grauen erkennen, dass Caleb das Leben aus dieser Elfe pressen wollte. Die graublauen Augen starrten voller Grauen auf die sich zeigende Szene. Für einige Atemzüge, dehnte sich die Zeit und Madiha war handlungsunfähig. Das Bild… eines Mannes, der Gewalt gegenüber einer Frau zeigte und seine rohre Kraft dafür einsetzte, um ein Leben zu nehmen… Madiha erinnerte sich verdammt gut an den Moment, da Corax sie selbst so angesehen und so sehr an den Rand des Lebens gebracht hatte, nur weil Azura einen Kratzer erlitten hatte. Madiha’s Knie wurden weich. Dass auch in Caleb diese ungezügelte Wut, mehr noch der Hass, wohnte, erschreckte Madiha. Sie hatte sich immer sicher in seiner Nähe gefühlt. Immer. Nie war er gewalttätig oder dermaßen aufbrausend gewesen, dass sie glaubte, er würde nicht die Grenze kennen. Jetzt kannte er sie nicht mehr. Madiha war erschüttert und es war gut, dass Estelle dem ganzen Einhalt gebot. Madiha hätte womöglich zu spät ihre Sprache und Handlungsfähigkeit wiedererlangt und das hätte Jivvin’s Tod sein können… Ihr Tod… durch seine Hand… Das Mädchen schluckte, doch ihr Mund war viel zu trocken. Dann fror sie mit einem Mal, als die Anspannung von ihr fiel, wie Caleb’s Hände von dem Hals der Elfe. Estelle bat sie alle, sich zu setzen, doch Madiha rührte sich nicht vom Fleck. Sie starrte auf Estelle in ihrem Sessel, daneben Jivvin, die sich den Hals rieb und Madiha den Schmerz in Erinnerung rief und auf Caleb, dem sie die Wut noch immer deutlich ansah. Ein falsches Wort und Jivvin wäre die längste Zeit am Leben gewesen. Sie schauderte. Madiha hörte die Worte, die die Alte erzählte und war dennoch nicht gänzlich bei der Sache. Allein die Tatsache, dass Caleb nicht zuerst hatte hören wollen, wie es zu dem Ganzen kam, sondern gleich handgreiflich wurde, machte etwas mit dem Mädchen. Sie versuchte zu verstehen, wie es dazu hatte kommen können und wie er nicht hatte sehen können, dass Jivvin sich um seine Mutter wirklich kümmerte. Dass seine Mutter der Elfe offenbar nichts nachtrug sondern im Gegenteil eine Freundschaft aufbaute. Wie hatte er, er der Dieb der Herzen das nicht mit einbeziehen können?? Er musste doch sehen, dass dahinter weitaus mehr steckte, statt einfache Grausamkeit.
Madiha hielt sich bewusst im Hintergrund. Sie kämpfte mit dieser Szene weit mehr, als sie wollte, denn schließlich ging es nicht um sie. Aber es ging um Caleb… und darum, dass sie Angst hatte, dass diese Stadt ihn veränderte. Auf eine Weise, die ihr ihre Sicherheit nehmen könnte. Madiha erkannte in dem Moment, da die anderen endlich redeten, statt sich anzugreifen, dass sie ihn brauchte. Als ihren sicheren Hafen brauchte. Und im Moment war er das nicht. Jivvin winkte ihnen, sodass sich ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Szene lenkte.

Mit gesenktem Blick und Unbehagen, folgte sie der Elfe und mied es, Caleb anzusehen. "Ich habe sie umgebracht. Alle. Ich bin die letzte der Dornentänzer, aber die erste einer neuen Ordnung meines Hauses. Ich habe Gleichgewicht geschaffen, indem ich genug unnötige Leben für eine unnötige Tat nahm.“ Madiha zuckte zusammen, als Jivvin das Küchenmesser auf sie richtete. Es war noch nicht lange her, dass Madiha echte Angst gefühlt hatte, doch es erschütterte sie erneut und ließ sie verstummend den Blick senken. “Ich lasse mich nicht dafür umbringen. Ich büße meinen Fehler ein und wenn du damit leben kannst, dann lebe. Lebe hier, lebe mit deiner Mutter, aber lass mich in Frieden." Madiha blinzelte. Dann trat Caleb an sie heran, sodass sie sich etwas straffte, ihn aber nicht ansah. "Was ... würdest du tun?", drang seine Stimme zu ihr und sie erschauderte. Das war ihr Caleb… doch als sie endlich ihren Blick auf ihn richtete, sah sie den flehenden Blick und seine Körperhaltung, die die Wut nicht loslassen konnte. Madiha runzelte die Stirn und wandte den Blick wieder ab, um Jivvin anzusehen. Doch sie sah sie gar nicht richtig. „Könnt ihr das Messer runternehmen..? Bitte…“, verlangte sie leise und wandte sich wieder an Caleb. Sie hielt seinem Blick nicht stand. „Was ich tun würde? Caleb… wir sind hergekommen, weil wir deine Familie finden wollten. Du hast sie gefunden, auch wenn du mit schweren Verlusten zu kämpfen hast. Aber deine Mutter ist hier und abgesehen von ihrem Augenlicht, scheint es ihr… besser zu gehen!“, zählte sie ihre Beobachtungen auf und seufzte. „Siehst du denn nicht, dass deine Mutter sich mit Jivvin arrangiert hat?“, fragte sie ihn dann und sah auf. Madiha konnte nicht verbergen, dass er sie erschreckt hatte. „Ein…. Ein Satz hat genügt und du bist mit… mit solcher Wut, so einem… Hass auf Jivvin losgegangen, ohne die Fakten zu sehen.“ Madiha spürte ihren Kloß im Hals. „Du hättest… du hättest…. Sie getötet.“, jetzt war es heraus… die bitterböse Erkenntnis, dass er eben doch zum kaltblütigen Mörder werden könnte… dass es ihn verändert hatte, dass er Serpentis getötet hatte. Madiha sollte vielleicht doch Recht damit behalten, sich um ihn zu sorgen. Er hatte ihr versichert, dass es ihn nicht veränderte… und sie hatte ihm geglaubt. Ehrlich geglaubt. „Ich bin sicher nicht gut darin, wenn es um familiäre Bande geht… aber… aber rechtfertigt das einen Mord?“, fragte sie gerade heraus und spürte jetzt selbst eine gewisse Wut aufkommen. „Du hast mir versprochen, dass es dich nicht verändert hat! Wo sind jetzt deine Prinzipien?! Du willst wissen, was ich tun würde?? Ich hätte als erstes nach dem ‚wie‘ gefragt, bevor…“, sie zitterte und spürte, dass es sie aufwühlte. „Jivvin hilft deiner Mutter!“, brauste sie auf und trat einen Schritt von ihm weg. „Sieh in das Esszimmer! Sieh, was sie für deine Mutter getan hat! Tut das jemand der nicht Wiedergutmachung leisten will??“, fuhr sie ihn an und deutete mit ausgestrecktem Arm auf das Esszimmer. Madiha war sauer. Sauer darüber, dass er sich hatte von der giftigen Wut leiten lassen, anstatt zu sehen, was sie gemeinsam hatten erreichen wollen.
Madiha war es wichtig gewesen, dass es sowohl Estelle als auch Caleb ein wenig gut ging, nachdem was sie erleben mussten. Vielleicht war das auch Jivvin’s Intention dahinter gewesen, ein solches Frühstück zu bereiten. „Seit wann stürmst du gleich los und … und willst…“, ihre Stimme verlor den Zorn und sie presste nur noch mit Mühe das letzte Wort heraus: „töten…“. Dann ließ sie ihn stehen. Sie lies Jivvin stehen und Estelle warten. Sie ließ den Frühstückstisch stehen und lief durch das Haus. Sie nahm die Stufen hinauf und knallte die Tür zu dem ihnen zugewiesenem Zimmer. Erst hier erlaubte sie es sich, etwas zu atmen. Madiha setzte sich an das Fenster, öffnete es erneut und holte bewusst tief Luft. Es gab keine Sicherheit. Sie hatte sich etwas eingebildet und es konnte jederzeit dazu kommen, dass alles in sich zusammenfiel…
Madiha spürte, wie ihr die Tränen kommen wollten. Doch sie hielt sie zurück, wie sie es immer getan hatte, wenn sie sich in das Mehrbettzimmer der Sklavinnen zurückgezogen hatte. Sie wollte nun allein sein, denn die Szene erschütterte sie bis ins Mark. Erst nach einigen tiefen Atemzüge, kam die Kälte und erfasste sie. Madiha blickte auf ihre Handfläche und fokussierte sich dann darauf. Ein tröstliches Gefühl wollte sie erreichen. Tröstlich und warm, wo sich alles nur kalt anfühlte. Sie versuchte Kjetell’os Unterricht heraufzubeschwören und wollte sich mit den kleinen Übungen ablenken. Eine Kugel… ein Zylinder… sie wollte ihre Magie nutzen… um sich nicht so verloren zu fühlen.
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Re: Das Haus der Famlie van Tjenn

Beitrag von Erzähler » Montag 25. September 2023, 18:29

Madiha kannte Gewalt. Sie kannte die ruchlose Handhabung von Sklaven, welche nicht vorzeigbar sein mussten. Sie selbst war größtenteils von dem Schlimmsten verschont worden, denn niemand bestieg gern ... "zerbrochene Ware", wie Khasibs Bekanntenkreis jene Sklavinnen nannten, die optische Folgen seiner Strafen behielten. Madiha war noch eine der am schrecklichsten Zugerichteten unter denen, die ihren Körper hergeben mussten. Warum all die Narben, die auch ihr Gesicht zierten, sie nicht mit der Verschonung dieses Leidens gesegnet hatten, wusste sie nicht. Vielleicht hatte Khasib auch Freunde, die darauf nichts gaben und denen er Madiha hatte vorwerfen können im Versuch, ihren Willen endlich zu brechen. Nichts aber hatte die Sarmaerin erschüttern können, weder Schmerz noch Missbrauch oder Gewalt. Jetzt jedoch genügte ein Anblick, gepaart mit der Erinnerung wie sehr zudrückende Hände wehtun konnten. Es genügte, dass es Caleb war, der diese Tat beging. Auch nur ein Mann, der seiner Wut freien Lauf ließ. Nein, es war schlimmer! Es war ausgerechnet der Mann, dessen eigens gewählte Prinzipien ihn niemals in die Richtung hatten treiben wollen, ein Leben zu beenden. Der Mann, der jeden so nahm, wie er war - sogar eine zickige Person wie Azura oder einen seelisch zerstörten Dunkelelfen wie Corax, der seinerseits kaum andere Methoden kannte, um sich zu wehren. Caleb war immer freundlich zu allen gewesen. Wie er so ein Leben als Dieb hatte führen können, blieb ohnehin unvorstellbar, aber Madiha hatte erlebt, dass die anderen Kriminellen der Wüste ihn verspotteten. Nicht nur, weil er bis zur vorherigen Nacht vollkommen unberührt gewesen war, sondern auch weil er ein zu gütiges Herz besaß. Dieses gütige Herz hatte verdorbene Flecken erhalten, seit sie in Andunie eingetroffen waren. Er hatte Corax für seine Tat geschlagen und zurück in Serpentis' Arme getrieben. Er hatte seinen Fehler wiedergutgemacht, aber dadurch seine Prinizien verraten, indem er die Feuerhexe meuchelte. Und nun versuchte er bewusst, das Leben aus einer Frau zu pressen, deren Forderung zum Sehverlust der Mutter geführt hatte. Madiha bezweifelte jedoch, dass Jivvin es im Bösen gesagt hatte. Auch sie hatte Unnötiges verhindern wollen und nun würde sie damit mit ihrem Leben bezahlen. Fas schon fühlte die Sarmaerin selbst den Schmerz. Sie kannte ihn nur zu gut. Sie erinnerte sich an Corax' Hände, die ebenfalls sehr fest zudrücken konnten. Jivvin zappelte bereits. Sie musste etwas unternehmen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Wie sollte sie Caleb nur aufhalten?!
Wo das Schicksal einer Mutter zum Auslöser eines Mordversuches aus Rachedurst wurde, da verhinderten ihre Worte, dass Caleb sich dieses Stigma selbst verpasste. Estelle musste nicht einmal laut werden, um zu ihrem Sohn durchzudringen. Es genügte, dass er überhaupt ihre Stimme hörte. Sie fraß sich einen Weg durch seinen blutroten, von Trauer gepeitschten Zorn und legte Besonnenheit zurück auf seine Seele. Das hier war nicht Caleb wie Madiha ihn kannte. Es war nicht Caleb wie er sich selbst kannte. Beinahe hastig ließ er von Jivvin ab, erschreckt von seiner eigenen Tat, aber seine Wut war noch nicht verraucht. Sie wandelte sich nur in Frust, weil er sie nirgends loswerden konnte. Betreten stand er da und starrte auf seine Hände, während Madiha ihn anstarrte. Die Situation war aufgelöst, die Dunkelelfe gerettet, aber der Tatversuch blieb und mit ihm ... brach ein Teil von Madihas Zuflucht in sich zusammen. Sie hatte Angst - nicht um sich selbst, sondern um Caleb. Er war aus gutem Grund aus Andunie geflohen, wenn die Stadt ihm dermaßen schlecht bekam. Aber damals war es keine von Dunkelelfen eroberte Stadt gewesen. Das Düstere schwappte über ihn hinweg und drohte, ihn von den Füßen zu reißen. Madiha hatte ihn soeben schwanken gesehen, ihren Fels in der Brandung. Das Wasser schleifte ihn, machte ihn mürbe. Wie lange noch, bis nichts von ihm übrig wäre?
Auf Jivvins Geheiß folgten sie und der Dieb ihr zurück in die Küche. Estelle blieb im Speisezimmer sitzen. So sah niemand die alte Dame erzittern und das Gesicht in die eigenen Hände vergraben, als sie sich allein wähnte. Caleb hatte nicht nur Madiha erschreckt, dabei hatte Estelle unmöglich wissen können, was genau er getan hatte, aber eine Mutter spürte es. Sie hatte die Anspannung in ihrem Sohn gespürt, denn sie war noch immer greifbar. Madiha glaubte fast, sie schmecken zu können. So musste Corax sich fühlen, wenn er meinte, dass er anderer Geschöpfe Leid roch.
In der Küche aber erklärte Jivvin sich. Sie rechtfertigte einen Rückgewinn des Gleichgewichts, indem sie ihre eigene Blutlinie bis auf sich selbst gerichtet hatte. Viele Leben für eines, das noch immer existierte, aber geblendet worden war. Auch sie billigte dieses Tat nicht. Ihre eigenen Methoden waren jedoch nicht minder fraglich. Madiha schien damit eher umgehen zu können als mit Caleb Tat. Diese schmerzte. Sie war es, auf die sie sich konzentrierte und die ihr alles zu nehmen schien. Bis Caleb selbst neben sie trat und aus all seiner Wut flehentlich zu ihr herunter schaute, sie nach einem Rat fragte. Er hatte sich selbst erschreckt. Er war schockiert, zu was ihn der eigene Zorn so schnell fast hatte bringen können und doch schwelte er noch über ihm wie Rauch bei einem verbrannten Gebäude. Er fand kein Ventil, er fand keine Lösung. Er wusste nur, dass Madiha vernünftig entschied und so wandte er sich an sie. Doch die junge Frau kämpfte gerade selbst ... und verlor.
"Du hast mir versprochen, dass es dich nicht verändert hat! Wo sind jetzt deine Prinzipien?!" Caleb erstarrte. Seine Hand glitt wie von selbst zum Knauf des Einhorndolches an seinem Gürtel. Er wusste sofort, was Madiha meinte und seine ganze Haltung versteifte sich, als ihn die eigene Erkenntnis traf.
"Seit wann stürmst du gleich los und ... und willst ... töten..." Dann war sie es, die los stürmte. Madiha lief. Sie verließ die Küche, rannte durch den offenen Bogen erneut durch die Eingangshalle mit dem halb verborgenen, getrockneten Blutfleck unter dem Teppich, die Treppe empor und bis hinein in ihr Schlafzimmer, das sie mit Caleb teilte. Sie schaute nicht einmal zurück, bis die Tür mit einem Knall verkündete, dass sie sich aus der Situation herausgezogen hatte. Dieses Mal war sie geflohen. Ihr Herz brannte. Es tat unendlich weh, dass sie glaubte, nicht atmen zu können. So öffnete sie eines der Fenster. Die kalte Morgenluft mit dem regnerischen Salzgeschmack wehte ihr entgegen. Die Kühle legte sich auf ihre Haut, betäubte den seelischen Schmerz einen Moment lang und linderte das Chaos ihrer Emotionen. Sie fand ihre Beherrschung wieder, unterdrückte aufkommende Tränen. Um sich abzulenken, nutzte sie, was Kjetell'o ihr beigebracht hatte. Feuer musste nicht zerstören. Es besaß noch andere Fähigkeiten. Es wärmte, schenkte mit seinen hypnotisch tanzenden Flammen die Zuversicht und Sicherheit, die sie nun brauchte. Schon beschwor sie ihre Magie herauf, formte einen kleinen Feuerball, wandelte ihn in einen Zylinder umd und ließ die Flammen gelegentlich ausbrechen, nur um sie wieder einzufangen. Das Feuer hieß sie Willkommen. Nein, es war nicht zerstörerisch. Es konnte Wärme spenden, Leidenschaft und sogar Liebe. Sie empfing es wie die Umarmung einer Mutter, an die sie sich nicht erinnern konnte. Die Flammen konnten ihr nichts anhaben, außer ihr ein wenig die Trauer zu nehmen. Warm legten sie sich um Madihas Haut, ohne sie zu verbrennen. Sie wanderten an ihrem Körper entlang, verschonten sogar den Stoff, den sie trug, solange ihre Konzentration nicht in sich zusammenbrach. Sie hüllten die junge Frau ein wie einen Schutzschild, bevor sie sich lösten und zu ihrer Hand zurückkehrten.
"Alle glauben, Feuer ist zerstörerisch." Wann hatte Jivvin ihr Zimmer betreten?! Madiha hatte weder die Tür noch die Elfe gehört. Sie war leiser als jeder Schatten und nun trat sie zu ihr bis ans Fenster, verschränkte die Arme und blickte hinaus anstatt zu ihr herunter. "Aber nicht einmal Feuer kann sich immer an die Regeln halten. Wird es dadurch aufhören zu brennen? Wird es nie wieder fressen, wenn man ihm Nahrung gibt? Wird es an der Tatsache sterben, dass es einmal nicht den Erwartungen entsprochen hat?" Sie überließ es Madiha, eine Antwort darauf zu finden. Sie erwartete keine, sondern gab ihr nur einige Dinge zum Nachdenken.
"Dein Freund ist ein Idiot", meinte sie anschließend banal. "Aber ich hätte ihm nicht zugetraut, dass ihn der Tod seines Vaters und das Schicksal seiner Mutter so mitnimmt. Liebe ist verdammt beschissen! Zum Glück bin ich davon nicht betroffen." Sie schaute mit ihren tiefgoldenen Augen auf Madiha herab. "Glauben alle." Dann zupfte sie ihr am Haar. "Ich will nicht umsonst gekocht haben. Los jetzt!" Trotzdem ließ sie Madiha die nötige Zeit. Sie würde wohl nicht einmal mehr etwas in diese Richtung erwähnen, wenn ihr Gegenüber sich weigerte, am Frühstück teilzunehmen. Sie könnte damit leben, dass die andere hungerte. Und sie lebte. Sie ging aufrecht, stark. Es gab kein Anzeichen, dass Caleb sie beinahe zu Tode gewürgt hatte, von den Flecken an ihrem Hals abgesehen, aber Jivvin ignorierte es. Sie wirkte nicht einmal danach, als plante sie Vergeltung. Die Dunkelelfe arrangierte sich ihrerseits mit der Stadt, schaffte es jedoch besser als Caleb. Und zu jenem, ebenso wie zu Estelle wollte sie nun zurückkehren. Die Frage war, ob Madiha in ihrem Raum blieb oder ihr folgte. Vielleicht würde sie Jivvin auch aufhalten und noch einmal mit ihr sprechen wollen. Die Dunkelelfe wirkte offen genug, sich die Zeit zu nehmen. Immerhin war sie sogar zu ihr herauf gekommen, obwohl es sie nicht kümmern müsste. Sie bestätigte ihre eigenen Worte, indem sie bestimmte Erwartungen nicht erfüllte. Sie war nicht so kaltherzig wie man es angesichts der andunischen und auch sarmaer Eroberung von den Dunkelelfen annahm. Feuer war nicht immer zerstörerisch, nur weil nahezu jeder großflächige Brand alles zerfraß. Und Caleb konnte nicht immer herzensgut sein, wenn die Belastung zu groß wurde...
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