Palast der Stille

Wie die Todesinsel aussieht, weiß man nicht. Wie man lebend zu ihr gelangt, ist ebenfalls unbekannt. Nur die Toten kennen sie, denn nur sie finden sich dort wieder. Aber was ist mit diesen blinden Wesen, die hier hausen?
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Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Samstag 5. November 2022, 00:56

Azura kommt von -> Sonstige Orte Celcias -> Auf hoher See -> Unter Venthas Willkür

Ihr Leben galt als beendet. Fort waren der Kapitän, der in einer anderen Welt und zu einer anderen Zeit vielleicht doch zu einem der Tanzbälle gekommen wäre, ihr den Hof gemacht und sie in eine Ehe geführt hätte, die erfüllt gewesen wäre von Kindern mit seinen blaugrünen Augen, seinem unbändigen Haar und seinem verschmitzten Lächeln.
Fort war der Gevatter, welche die Seelen in ihr persönliches Paradies führte. Er hatte ihnen besondere Aufwartung gemacht, indem er ein Spiel auf Leben und Tod angeboten hatte, jedoch nicht für die, die zurückgeblieben war. Allein, in ihrem persönlichen Paradies. Es war so still, obgleich sie das Summen der Insekten in den Gärten und das Plätschern des Springbrunnens noch immer hören konnte. Aber wie war gerade Letzteres möglich, wo sie doch auch von Ventha, ihrer Göttin, verlassen worden war? Auch sie hatte sich einfach wortlos davongemacht, hatte ihrem Element alle Ehre gemacht, indem sie sich einfach verflüssigte. Sie hatte sich wie alle anderen aufgelöst, Nebel gleich wenn die Sonne endlich den Morgen durchbrach.
Aber Ventha war gnädig, wenigstens zu ihren Kindern. Denn auch wenn sie erzürnt schien, dass Azura ihren Leib in die See gegeben hatte, so hinterließ sie ihr nun einen Funken Hoffnung. Denn just als die Andunierin erkennen musste, dass der Spiegel zum Leben einfach ebenfalls verschwunden war, fand sie wenig später das handlichere Geschenk ihrer Göttin. Wie schön es war und wie niedlich die winzige Statue in den Teich selbst blickte! Oh, unter besseren Umständen hätte die junge Frau gewusst, es richtig wertzuschätzen. Nun aber obsiegte die Hoffnung, die hinter der Entdeckung des Geschenkes stand.
Azura kehrte in die Gärten zurück. Die Sonne wärmte ihren Körper, der nicht länger geisterhaft erschien, wenngleich etwas blasser als sie es gewohnt war. Mit Hoffnung im Herzen erschien ihr auch das Wasserspiel des Brunnens lebendiger, lauter und erfrischender. Sie ließ sich bequem auf die Bank nieder, wechselte alsbald aber in das weiche, knöchelhohe Gras, denn sie wollte einen erneuten Versuch wagen, Corax eine Nachricht zukommen zu lassen. Anders ertrug sie seinen Anblick kaum. Auf der einen Seite erfüllte es ihr Herz mit Freude, dass sie ihn weiter beobachten konnte, auf der anderen Seite erschütterte es sie wie sehr er doch unter ihrem Verlust litt. Eingesperrt - so schien es - hinter einer Steinwand, die die Kapitänskajüte aufteilte, kauerte er am Boden, ohne Azuras tote Hand loszulassen. Er wimmerte und zitterte, dass einem das Herz zerspringen wollte. Wieviel Leid ertrug eine Seele?
Azuras Entschluss stand fest. Was nützte ihr das Paradies, wenn sie es vollkommen allein und bis in alle Ewigkeit würde bewohnen müssen, während sie zuschaute, wie ihr widerlicher Schuft von einem Begleiter durch all die Gefahren und Schrecken so sehr litt? Dann gab sie lieber nach und nach alles von sich auf, damit er zu sich zurückfände und wieder nach vorn blicken könnte - ohne sie.
Azura versuchte, sich seine Haltung so gut es ihr möglich war einzuprägen. Dann schloss sie die Augen, konzentrierte sich ganz auf ihn. Sie stellte sich vor, wie ihre Finger sanft auf Corax' Schulter Platz fänden und ihre Lippen seine Wange berührten. Beinahe glaubte sie, das Salz all seiner Tränen zu schmecken, die Wärme seiner Haut zu spüren. Sein Duft erreichte sie, dass sich die Härchen an ihren Unterarmen aufrichteten. Schmerz empfand sie nicht. Azura befiel lediglich ein Gefühl der Anstrengung, ohne dass sie dadurch erschöpft wurde. Es war bizarr, aber sie wusste, dass sich erneut ein Teil von ihr löste, ebenso winzig wie der erste und doch hinterließ er etwas. Der Palast, in den Tod sie geführt hatte, fühlte sich um ein Quantum stiller an. Das Ergebnis sah sie nicht einmal, da sie weiterhin ihre Augen geschlossen hielt.

Corax erfuhr es. Er kauerte in der Welt der Lebenden vor dem klobigen Holztisch. Die Illusion brach, ebenso wie sich jene der Schutzmauer gerade auflöste. Er konnte beides nicht halten. Nicht, wenn das Leid ihn zu zerfressen drohte. Kein Albtraum der Schlange aus Nadeln, die die Männchen ihm regelmäßig zum Einschlafen geschickt hatten, zehrte so sehr an ihm wie der Verlust seiner Liebsten. Er klammerte sich an ihre Hand, die den Druck nicht erwiderte. Stattdessen fühlte sie sich kalt an und bald würde sie so steif und unbeweglich werden wie der Rest ihres Körpers, bis die Totenstarre nachließ und der Verwesungsprozess einsetzte.
Der Dunkelelf rührte sich nicht, von seinem Zittern abgesehen. Er schluchzte erstickt, denn auch ihm fehlten weitere Tränen, um die Trauer aus ihm heraus zu spülen. Es war schon wieder passiert. Schon wieder hatte er jemanden verloren, den er liebte. Dieses Mal war es aber um Längen schlimmer als sonst, denn dieses Mal hatte er es nicht herbeigeführt. Nicht bewusst. Er ahnte nicht, dass auch er seinen Teil dazu beigetragen hatte, dass Azura in einer Kurzschlussreaktion das Ende in Venthas Fluten gesucht hatte. Wäre ihm das nun bewusst, er hätte sie losgelassen, um sofort von Bord zu springen! Andererseits konnte er das auch nicht einfach tun, denn er war an eine Herrin gebunden, die ihren Liebsten wieder in den Arm nehmen könnte und diese Geste erwidert bekäme. Der Gedanke schüttelte Corax und ließ ihn winseln.
Da fühlte er Gewicht auf seiner Schulter. Schon wollte er herumfahren und den Störenfried bedrohlich ankrächzen, als ihm auffiel, dass dort niemand war. Es fühlte sich lediglich warm an. Er berührte seine Schulter. Nichts, was er greifen konnte, außer sich selbst. Dann fühlte er diese Wärme an seiner Wange. Sie brach seine Tränenbahn, verwischte diese und hinterließ den Schein eines Lippenabdrucks auf seiner Haut. Corax berührte die Stelle. Nichts hatte sich jemals so warm und liebevoll angefühlt. Es ließ ihn erneut erbeben. Dann legte er seine gesamte Hand um die Wange, als wollte er das Gefühl dort beschützen und verwahren. Aber es verflüchtigte sich viel zu schnell. Betrübt ließ er die Hand sinken, bis ihm etwas auffiel. Er starrte auf seine Handinnenfläche. Dann ließ er erstmals Azuras tote Finger los, um sich unter das Hemd zu greifen. Das Säcklein aus dem Stoff ihres Ärmels hing noch immer dort, sicher verschnürt durch das geflochtene band ihrer Haarsträhne. Er tastete den Stoff ab und erfühlte dort die kleine Tränenperle, die sie für ihn geweint hatte, bevor alles zu Ende gegangen war.
Erneut blickte Corax auf seinen anderen Handteller. Wenn die Tränenperle noch an Ort und Stelle war, wo kam diese zweite her? Sie besaß dieselbe Farbe, wirkte gläsern mit einer winzig milchigen Spur, als bestünde sie aus Geisterlicht. Corax hob sie mit zwei Fingern an, führte sie zu seinen Lippen und küsste sie. Dann machte er sich daran, sie zu ihrer Schwester in das selbstgebastelte Säcklein zu geben.

Azura öffnete zwangsläufig die Augen, als ein vertrauter Druck gegen ihre Lippen ausgeübt wurde. Kurz nur und sie musste sich konzentrieren, um den Geschmack des Rabenelfen wahrzunehmen, doch er war für einen knappen Zeitraum vorhanden. Er hing an ihren Lippen. Nichts im Paradies ihres Palastes konnte so schmecken!
"Das riecht nach Liebe." Eine Stimme. Sie kam von der Steinbank hinter Azura. Das sanfte Greinen eines Säuglings gesellte sich hinzu und schon hörte sie die Stimme beruigend auf das Kind einreden. Eine Frau, eine Mutter. Sobald Azura hinsah, erkannte sie jedoch ein Wesen, an dessen Anblick man sich erst gewöhnen musste. Teile von ihr waren sehr wohl weiblich. Ihr nackter Schoß, der Bauch und die entblößten, vollen Brüste, an denen der Säugling hing und kräftig trank, stammten eindeutig von einer Menschenfrau. Auch der Kopf ließ darauf schließen, wenngleich sie keine Haare besaß ... und keine Augen. Darüber zog sich nur eine lange Metallplatte mit einem eingearbeiteten Symbol: eine Feder. Ob sie einem Raben gehörte, konnte man allerdings nicht sagen, wenn man selbst kein ausgebildeter Vogelkundler wäre. Einem Jadgfalken gehörte das Bildnis nicht, so viel erkannte Azura. Wie die Metallplatte über ihren Augen hielt, war ebenfalls nicht zu erkennen. Sie hinderte die Mutter lediglich am Sehen, sofern sie darunter entsprechende Organe besäße. Erschreckend war darüber hinaus noch der Anblick ihres Mundes. Die Lippen besaßen eine blutige Kruste, welche sich als weite Risse bis zu ihren Wangen empor zog. Aber sie lächelte selig auf ihr Kind herab, das sie nicht mit natürlichen Armen hielt. Die Frau besaß keine Gliedmaßen. Stattdessen wurde das Kindlein von Armen aus Metall gehalten, deren Verarbeitung zwar filigran und präzise war, aber eben nicht menschlich. Und auch die Beine waren eher metallische Imitate. Sie glänzten silbern in der Sonne.
"Du musst keine Angst haben. Der Erlöser Yrrn sagte, wir könnten hier bleiben und dir Gesellschaft leisten. Aber wir werden gehen, wenn du lieber allein in der Ewigkeit wärst. Dann sage ich es auch den anderen Frauen." Andere Frauen? Tatsächlich... Sobald Azura den Blick schweifen ließ, erkannte sie weitere Gestalten, die ebenso aussahen wie das Wesen auf der Bank. Der Unterschied war, dass sie in verschiedenen Stadien einer Schwangerschaft zu sein schienen. Manchen sah man die leichte Wölbung ihres Bauches gerade erst so an. Andere schlenderten mit einer prallen Kugel durch die Gärten, aber allesamt schämten sie sich weder ob ihrer Blöße noch wirkten sie bedrohlich trotz ihrer metallenen Ersatzteile. Und sie alle waren blind, trugen die Metallplatte mit der Feder als Sichtschutz über den Augen.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Sonntag 6. November 2022, 10:04

Es war vorbei... und dennoch war sie noch immer da, mit all ihren Erinnerungen und Gefühlen. Diese Erkenntnis jedoch betäubte mehr, als dass sie ihr wirklich helfen könnte. So konnte sie sich nicht daran erfreuen, in welch einer Umgebung sie sich befand und dass ihr von unsichtbaren guten Geistern jeder Wunsch erfüllt werden würde.
Denn es gab nur einen, den sie hatte, und diesen wollte sie nicht erfüllt bekommen. Nein, Corax sollte leben und endlich lernen, glücklich zu werden! Mit ihr an seiner Seite wäre es ja doch nie soweit gekommen...
Es dauerte, bis Azura die Kraft fand, zum Spiegelraum zurück zu kehre. Dort allerdings würde sie zuerst gehörig enttäuscht, als sie erkennen musste, dass es nicht mehr so wie zuvor war. Entkräftet sank sie zu Boden und drohte zu verzweifeln, bis... bis sie den kleinen Handspiegel entdeckte, der offensichtlich ein Geschenk ihrer Göttin war.
Unter anderen Umständen hätte sie dies viel besser zu würdigen gewusst, vor allem die vorzügliche Handwerkskunst. Jetzt jedoch hatte sie nur Augen für die Möglichkeit, die sich ihr damit bot, sodass sie mit diesem Schatz an ihren Lieblingsort zurück kehrte. Dort legte sie sich ins Gras, den Spiegel direkt vor ihrem Gesicht, um keinen Sturz zu riskieren.
Dann schloss sie die Augen und konzentrierte sich, versuchte, jedes noch so kleine Detail zu sehen, zu spüren, zu schmecken und zu riechen. In der Hoffnung, wenn sie wirklich alles gab, ihm noch eine Botschaft zukommen lassen zu können. Dabei verbot sie sich jede Frage danach, ob es funktionieren würde oder nicht.
Sobald sie Zweifel hätte, wäre sie abgelenkt. Wie hatte er ihr schon mehrmals gesagt? Sie musste daran glauben! Also glaubte sie und ließ sich jenen Moment, in dem sie ihm den Kuss auf die Wange hauchte, immer und immer wieder vor ihrem inneren Auge ablaufen.
Solange, bis sie das Gefühl hatte, es könnte tatsächlich klappen. Etwas begann an ihr zu ziehen, als wolle es ihr ein Stückchen entreißen, das an ihr festgewachsen war.
Noch einmal bemühte sie ihre Konzentration, kniff die Augen sogar fester zusammen und malte sich alles scheinbar noch detaillierter aus. Bis mit einem Ruck sich ein Teil von ihrer Seele löste und sie aufkeuchend zurück in die Rückenlage sank. Ihr war schwindelig und sie hatte das Gefühl, als wanke der Boden unter ihrem Körper wie auf einem Schiff.
Zugleich hatte sie das Gefühl, als könne sie die Wärme seiner Haut an ihren Lippen fühlen, sodass sie ungläubig die Augen aufriss... um sie sofort wieder zu schließen und dieser Empfindung nachzuempfinden. Ihre Hand hob sich wie von selbst und ihre Fingerspitze legten sich an jene Stelle, während sich ein Lächeln in ihrem Mundwinkel zu bilden begann. Erleichterung und so etwas wie Glück wollten sie durchströmen.
Doch es kam nicht dazu, denn plötzlich durchbrach eine Stimme alles, was sich in ihr abspielen wollte. Erschrocken öffnete Azura die Augen und sah in jene Richtung, aus der dieser Klang gekommen war.
Was sich ihrem Blick dort offenbarte, ließ sie entsetzt aufkeuchen. Hastig richtete sie sich in eine sitzende Position auf, raffte den kleinen Spiegel an sich, um ihn beschützend an ihre Brust zu drücken, und wollte davon. Aber dazu war sie zu schwach, den der Schwindel griff erneut nach ihr und sorgte dafür, dass sie sich mit der freien Hand an die Stirn fasste, ganz so, als könne ihr das helfen.
Da drang das schwache Raunzen eines Säuglings an ihre Ohren und lenkte ihren Blick zu dem winzigen Wesen, das Hunger zu haben schien und eigentlich gar nicht an diesem Ort sein sollte! Bei dem Anblick, wie dieses monströse Wesen aus Frau und Mechanik mit dem Kind umging, schnürte sich ihr die Kehle zu und verkrampfte sich etwas in ihrem Magen. Sie musste wegsehen, um nicht aufzuschluchzen, weil ihr dieser Segen nun niemals vergönnt sein würde.
Auf diese Weise allerdings musste sie feststellen, dass es noch mehr dieser seltsamen Gestalten gab, die sich nun in dem Garten tummelten. Dabei hatten sie allesamt einige Gemeinsamkeiten und dennoch auch ihre Unterschiede, manche hatten Säuglinge im Arm, andere wirkten vollkommen ohne gesegneten Leibes und wiederum andere reckten ihre verschieden großen Bäuche nach vorne, während sie sich bewegten.
Hätte die junge Frau noch einen Herzschlag besessen, so hätte sich dieser spätestens jetzt beschleunigt vor Unbehagen und ja, auch aufkeimender Angst. Was sollte das? Wieso waren diese Wesen... hier?! Was wollten sie von ihr?
Noch immer saß sie im Gras, den Spiegel an ihrer Brust, als die Stimme von der Bank erneut erklang. Schwer schluckte Azura und drehte langsam ihren Kopf, in dem es arbeitete. Es schauderte sie leicht, als sie sich dazu zwang, der anderen ins Gesicht zu sehen, denn die Platte mit der Feder darauf schien etwas Unnatürliches, Schauriges zu verbergen, sodass sie gar nicht auf die Idee kam, dahinter schauen zu wollen. Es reichten ihr bereits die verstümmelten Lippen, die ihr Alpträume bescheren würden, wenn sie noch welche haben konnte.
"Was...?", hauchte sie und schluckte schwer, ehe sie ihre Sprache erneut finden konnte. "Wer seid... ihr?", präzisierte ihre Frage und schloss damit all diese seltsamen Wesen ein. Mehr brachte sie jedoch vorerst nicht über die Lippen.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Montag 7. November 2022, 11:54

Corax ein Zeichen zu schicken, war anstrengend. Es laugte aus, aber nicht nur, weil Azura all ihre Kraft dafür aufbrachte, sich auf ihn zu konzentrieren. Sie gab auch jedes Mal einen kleinen Teil von sich selbst ab. Was genau, das ließ sich zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht sagen. Sie spürte lediglich den Verlust von etwas. Es war klein, aber es würde ihr fehlen. Vor allem füllte sich der Rückstand mit der Leere des Jenseits. Tod's Domäne bestand aus allem, was vergangen war. Auch sie würde vergehen, setzte sie ihre Planung in die Richtung fort, sich selbst zu verlieren, um Corax klar zu machen, dass er sein Leben weiterführen sollte - ohne sie.
Bislang sah es nicht danach aus. Nachdem er auch die zweite entdeckte Tränenperle in seinem Beutel verstaut hatte, umfasste er erneut Azuras leblose Hand. Er küsste die erkalteten Finger und musste feststellen, dass der Arm bereits anfing, sich zu versteifen. So raffte er sich auf die Beine, legte Azuras Gliedmaß ordentlich zum Gegenstück, dass sie wie eine schlafende, sehr bleiche Prinzessin auf dem Tisch ruhte. Sie sah eher danach aus, als wollte ein Wahnwitziger sie gleich sezieren. Vorbei war die Traumillusion. Corax klammerte sich mit beiden Händen an der Tischkante fest. Er beugte sich vor, zu Azuras Lippen. Sie waren blau und eingerissen, weil die Heilung nicht mehr hatte vollendet werden können, bevor es mit ihr endete. Unter einem Aufschluchzen, das den Raben bis ins Mark schüttelte, sank er auf Azuras Leib zusammen. Er hielt sie und weinte, dieses Mal tränenlos, denn auch seine Wasser waren versiegt. Dann küsste er ihre Lippen, ihren Hals, einen schmalen Pfad zwischen ihren Brüsten entlang bis zu ihren gefalteten Händen. Er küsste jeden einzelnen Finger. Nichts.
Corax verwandelte sich in das zerrupfte Rabenküken, das Azura in einem ihrer Träume einst so vehement verteidigt hatte. Er hopste auf ihren Bauch, nistete sich dort in den Stoffen ihres Hemdes ein und schob den Kopf unter den Flügel. Er wartete ... entweder auf die Rückkehr seiner Herrin, die ihn mit Befehlen ablenken könnte oder ... auf einen Fremden, der auch ihn endlich mitnehmen würde. Es war kein Suizid, wenn er aus Kummer starb, oder?

Azura bekam von seinem stillen Flehen, ebenfalls sterben zu dürfen, nichts mehr mit. Sie hatte den Blick von ihrem kleinen Handspiegel zur Lebendwelt abgewandt. Stattdessen richtete sie ihn nun auf die Besucher ihres persönlichen Paradieses, welche ihr zunächst mehr als Unbehagen bereiteten. Unheimlich sahen diese Wesen aus, die mehr auch Metall zu bestehen schienen, denn wirklich Frauen waren. Und doch haftete ihnen etwas Menschliches an. Viele von diesen Gestalten waren schwanger oder bereits Mutter. Sie säugten ihre Kinder, streichelten sie oder sangen sie in den Schlaf. Keines der Kleinen konnte älter als einige Tage sein. Winzig, hilflos und doch umsorgt. Niemand war von Boshaftigkeit getrieben, wenn er sich so liebevoll um ein Neugeborenes kümmerte. Das schenkte Azura den nötigen Mut, sich jener Mutter auf ihrer Lieblingsbank wieder zuzuwenden, nachdem diese das Wort an sie gerichtet hatte. Die Wesen sollten ihr also Gesellschaft leisten. Ob Azura das zu schätzen wusste, war zu bezweifeln. Noch immer empfand sie ein gewisses Unbehagen, wenn sie all das Metall an ihnen betrachtete. Trotz alledem gelang es ihr endlich, den Mut zu einer Reaktion aufzubringen, die mehr beinhaltete als bloßes Starren. Aus sicherer Entfernung und noch immer im weichen Gras sitzend fragte sie schlicht: "Wer seid ... ihr?"
"Mütter", erwiderte die Fremde ebenso schlicht. Sie lächelte, da sie erkannte, dass diese Antwort Azura nicht reichen würde. Wie bemerkte sie das nur? Sie konnte mit der Metallplatte auf den Augen unmöglich sehen. Und ihr Mund! Fast glaubte Azura zu hören, wie das verkrustete Blut dort brach, ehe ein kleiner Teil abbröckelte. Es musste schmerzen, zu sprechen. Zum Glück existierte dieses Gefühl nicht in einer Welt, die für die Verstorbenen bestimmt war. Hier sollte niemand mehr leiden. Warum war Azuras Herz dann so schwer, wenn sie Corax in ihrem Handspiegel beobachtete?
Die Fremde lenkte sie ab. "Wie sind gequälte Seelen, wir alle." Sie strich ihrem Kind liebevoll über den Kopf, auf dem nur ein dünner Flaum aus Haaren gewachsen war. "Er nannte uns Ank. Er, das ist Yrrn, unser Erlöser. Er schickte einen Boten, einen Lebenden. Dieser hat uns aus unserer Qual befreit, uns erst von den physischen und dann den irdischen Fesseln gelöst." Sie reckte den Hals und ein zweites Lächeln kam zum Vorschein. Eines, das aus einem roten Schnitt bestand, der ihr einmal quer über die Kehle ging. Mit grotesker Zärtlichkeit strich sie mit zwei Fingern an ihrer tödlichen Wunden entlang. "Er hat mir mein einziges Lächeln im Leben gegeben, seit die Qualen begonnen hatten. Mein einziges und letztes Lächeln. Er gab es uns allen. Wir danken ihm. Seinen Namen werde ich aber nicht aussprechen." Sie legte beide Finger an ihre Lippen, als versiegelte sie ihren Mund, um diese Kostbarkeit darin zu verwahren. Dann berührte sie die eingravierte Feder auf ihrer Augenplatte. "Wir tragen sein Zeichen. Er war Yrrns Bote, der uns rettete, im Auftrag des Erlösers. Nun sind wir hier, dürfen endlich Frieden finden." Sie wandte den Kopf von Azura ab und ließ ihren Blick schweifen, hätte sie nur einen besessen. Trotzdem schien sie die Umgebung zu begutachten und für einen Moment schwand das Unbehagen, das diese Frau verbreitete. "Dein Paradies ist so wunderschön", lobte sie. "Du hast dir einen friedvollen Ort für deine Ewigkeit gewählt und wir werden auch dir dankbar sein, falls du uns bleiben lässt. Wir wären bereit, dir zu helfen, wo auch immer du uns benötigst. Und sei es nur für ein Gespräch." Sie rutschte auf der Bank ein Stück zur Seite und tätschelte den Stein neben sich anschließend einladend. Unfreundlich war sie nicht. "Gibt es etwas, das wir für dich tun können? Ich möchte mich gern irgendwie erkenntlich zeigen für deine Großzügigkeit, uns ein Tor zu deinem Paradies geöffnet zu haben."
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Dienstag 8. November 2022, 14:02

Es tat ihr im Herzen weh, ihn so leiden zu sehen, denn das hatte sie nicht gewollt. Sie hatte lediglich ihn und den Kapitän von sich befreien wollen, nachdem ihr deutlich geworden war, dass sie ohnehin bald durch die Göre ersetzt werden würde. Dass sie sich jedoch in Bezug auf ihren Raben so getäuscht hatte... das war ihr allmählich bewusst geworden und sie bereute es.
Doch viel konnte sie nicht ausrichten, außer, sich selbst ein zweites, endgültiges Mal für ihn zu opfern. Um ihm Zeichen zu senden, die er bewahren konnte, wie die Erinnerung an sie, um dann nach vorne zu blicken. Ganz gleich, wie alt er wirklich sein mochte, er war ein Dunkelelf und als solcher hätte er gewiss noch ein langes Leben vor sich, sofern er sich nicht unnötig in Gefahr begäbe. Und dieses sollte er glücklich und erfüllt leben können!
Obwohl sie nicht vollständig davon überzeugt gewesen war, dass sie auch ohne ihrer Wassermagie ein Zeichen zustande bringen könnte, hatte sie es geschafft. Erschöpft und zugleich erleichtert, trotz des Gefühls des Verlusts, sank sie ins Gras zurück und wollte der leicht prickelnden, warmen Empfindung auf ihren Lippen nachspüren, als eine Stimme die Ruhe des Garten zerriss.
Erschrocken öffnete sie die Augen und musste feststellen, dass sie Gesellschaft bekommen hatte. Allerdings nicht irgendwelche! Nein, es handelte sich dabei allesamt um Frauen, Mütter und Schwangere und vielleicht auch ein paar Nicht-Schwangere. Das war schon beklemmend für sie, die niemals in den Genuss von Mutterschaft kommen würde aufgrund ihres Sprungs in die See.
Doch viel schlimmer war das Offensichtliche von deren körperlichen Zuständen! Sie wirkten, als wären sie einer Schauergeschichte entsprungen, ihrer Extremitäten beraubt und durch Metallteile ersetzt, mit fürchterlich zugerichteten Gesichtern. Unwillkürlich schauderte es die junge Frau und instinktiv drückte sie den kleinen Handspiegel an ihre Brust. Hätte sie noch einen Herzschlag besessen, es hätte nun wild dagegen getrommelt, dass es Corax bestimmt hätte hören müssen!
Es dauerte seine Zeit, bis sie den ersten Schrecken soweit überwunden hatte, um ihre Stimme wieder zu finden. Die erste Antwort war lediglich die Bestätigung dessen, was sie sehen konnte. Entsprechend blinzelte sie verständnislos und bekam noch mehr zu hören.
Über etwas, das ihr Unbehagen noch steigerte und ihr ein gewisses Maß an Unwohlsein bescherte. Am schlimmsten wurde es, als dieses Wesen vor ihr den Hals reckte und die klaffende Wunde in der Kehle offenbarte, über die sie auch noch liebevoll mit den Fingern strich. Azura keuchte und presste sich instinktiv eine zur Faust geballte Hand vor den Mund, weil sie das Gefühl hatte, sich bei diesem Anblick gleich übergeben zu müssen.
Wieso? Wieso sie?! Wieso musste sie solch einen Anblick ertragen, der all das überstieg, was sie bislang zu sehen bekommen hatte? Sie hatte mit körperlicher Gewalt, abgesehen von einigen Schlägen, bisher nichts zu tun gehabt und sich auch stets davon ferngehalten, wenn auf dem Markt ein Dieb zur Bestrafung für sein Handwerk einen Finger oder anderes Körperteil hatte einbüßen müssen. Besser gesagt... ihre Eltern hatten zu verhindern gewusst, dass sie so etwas sah. Jetzt, wo sie diese offene Kehle direkt vor sich hatte, verspürte sie trotz allen Ekels wahrlich Dankbarkeit für diesen Schutz damals!
Dennoch konnte sie den Blick nicht davon lösen und war erleichtert, als das Wesen vor ihr endlich den Kopf bewegte und sie von diesem Anblick selbst befreite. Während sie noch das Gesagte zu verarbeiten versuchte und ahnte, dass ihr das noch eine gehörige Portion Alpträume bescheren würde, sofern sie noch welche hätte, jetzt, da sie wirklich tot war, sah die andere sich um.
Das Lob sorgte dafür, dass auch ihr Blick sich kurz dem Garten zuwandte und von dem Besucherinnen abgelenkt wurde, ehe die Traurigkeit darin auftauchte. Ja, es war sehr schön hier, so, wie sie es sich oft erträumt und als angemessen für sich betrachtet hatte. Nur... was nutzte es ihr noch? Jetzt, da sie ohne ihn hier war?!
Wieder sprach die andere und es zeigte sich, dass Azura tatsächlich auf dem Weg zu einem Wandel war, der seit der Begegnung mit ihrer Göttin begonnen hatte. "Bleibt, wenn ihr wollt. Ich brauche nichts.", erwiderte sie leise und schüttelte daraufhin den Kopf. "Ich habe nur einen Wunsch... und hoffe, dass er sich niemals erfüllen wird.", fuhr sie schließlich fort und löste den Spiegel von ihrer Brust, um hinein zu sehen.
Darin musste sie erkennen, dass ihr Liebster sich wieder verwandelt und sich in ihr Hemd gekuschelt hatte. Noch immer hatte er ihren Körper nicht allein gelassen. Oh, wie gerne wäre sie jetzt bei ihm, würde ihn trösten, ihn streicheln, ihn herzen, bis es ihm besser ginge! Doch das wäre nicht mehr möglich...
Sie hatte verloren, sie war tot und die einzige Möglichkeit, ihn je wieder sprechen zu können, wäre, wenn auch sein Leben zu Ende gegangen wäre. Und das sollte noch tunlichst lange nicht passieren!
Ihre Hand hob sich wie von allein und mit einem unterdrückten Schluchzen strich sie über das kühle Spiegelglas, als könne sie ihn auf diese Weise doch über sein schwarzes Gefieder streichen. Wenn er nur einsehen würde, dass er ohne ihr besser dran wäre... Es würde ihnen beide den Abschied leichter machen... oder ihm wenigstens! Mehr wollte sie gar nicht...
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 10. November 2022, 00:38

Er war kein Rabe, sondern ein Hund. Ein dummer Straßenköter mit der Hunde üblichen Loyalität. Er wollte einfach nicht von ihr loslassen, ihr widerlicher Schuft. Zu einem kleinen Ball aus schwarzen Flaumfedern aufgeplustert ruhte Corax auf ihrem Körper, der mit der Zeit gänzlich auskühlte. Nichts hielt die Organe mehr am Laufen und das Blut am Fließen. Ihr eigenes Gesicht war kreidebleich geworden, die Lippen hatten sich erst blau verfärbt und wirkten nun grau. Trotzdem sah Azura nach wie vor schön aus, wie sie so auf dem klobigen Tisch lag, von ihrem Raben so gut drapiert wie es ihm in seiner Trauer möglich war. Er hielt Totenwacht, ganz allein. Der Anblick war unerträglich, erst Recht, wenn man wie Azura und Madiha in sein Innerstes hatte schauen und sogar selbst hatte fühlen können, was er schon alles durchgemacht hatte. Es war nicht gerecht, dass er so litt. Es war nicht gerecht, dass Azura wegen seinem Leiden so litt.
Sie ertrug dieses Bild nicht länger. Sie hatte ihn doch glücklich sehen wollen und jetzt empfand sie das mehr als jemals zuvor. Auch wenn sie nicht mehr Teil seines Lebens sein könnte, so sollte er sich doch nicht länger an ihren Leib klammern. Er sollte weitermachen und wieder Lächeln finden, notfalls auch in den Armen der Göre - selbst, wenn es Azura einen tiefen Stich versetzen mochte. Azura tat alles, um ihm diese Botschaft zu überbringen. Wieder opferte sie einen kleinen Teil ihrer Seele und wieder erhielt Corax eine Perle. Selbst in seiner Rabenform konnte sie nun das Beutelchen um seinen Hals sehen. Es hatte sich nicht verwandelt, um Teil seines Gefieders zu werden, so wie es seine Kleidung machte. Es besaß beinahe die Größe des Raben, so dass er sich wie auf einem Ei zum Brüten auf den kleinen, eingepackten Perlen niederlassen konnte. Doch Corax tat es nicht. Das Säcklein ruhte neben ihm, damit seine Krähenfüße weiterhin direkten Kontakt zu Azuras Leib besaßen.
Ihre Seele, ihr Geist, wandte sich ab. Sie war erschöpft, aber auch erleichtert, dass der erneute Versuch erfolgreich gewesen war. Wie viele Male könnte sie ihm auf diese Weise noch Nachrichten zukommen lassen, ehe sie verging? Wie viel stärker würde sich der Verlust ihrer selbst irgendwann anfühlen? Bisher bemerkte sie nur, dass etwas fehlte. Irgendetwas, so klein, dass sie es nicht gezielt benennen konnte. Aber diese vielen kleinen Anteile würden sich summieren und dann? Es war egal. Was nutzte ihr die Ewigkeit in einem traumhaften Paradies, wenn sie ganz allein wäre? So allein wie Corax...
Doch Azura sollte Gesellschaft erhalten, in Form von Wesen, die halb Frau und halb Metallgeschöpf waren. Sie nannten sich Ank und waren von einem Diener des Yrrn gerettet worden, den sie als ihren großen Erlöser bezeichneten. Jedenfalls war das die einzige Information, die die Andunierin besaß. Sie kannte nicht einmal den Namen der Ankfrau, welche sich mit ihr unterhielt, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Es fühlte sich nicht schrecklich an. Ja, es tat sogar gut, einmal nicht der Etikette folgen zu müssen. Und niemand empörte sich darüber. Selbst wenn, was kümmerte es Azura noch? Sie war tot.
Seltsam an ihrem Zustand war allerdings, dass sie zwar weder richtigen Hunger noch Harndrang und vermutlich auch keinen Schmerz mehr spüren konnte, aber beim Anblick der Ank wurde ihr wahrlich ein wenig übel. Vor allem ihr Hals mit dem glatten Querschnitt darüber bereitete ihr dermaßen Unbehagen, dass sie glaubte, sich gleich übergeben zu müssen. Solange Azura sich aber nicht auf die Erinnerung dieser Emotion zu stark konzentrierte, würde sie abflauen und wieder verschwinden, denn nichts Anderes passierte hier. Sie mochte tot sein, aber noch nicht sehr lange im Verhältnis zur bevorstehenden Ewigkeit. Ihr Geist erinnerte sich noch immer zu stark an alles, was das Leben ausgemacht hatte und kleine Dinge konnten nach wie vor geweckt werden. So würde sie auch doch hungrig, wenn sie einfach nur das Bedürfnis hatte, weil sie essen wollte oder glaubte, es zu müssen. Dies hier war ihr persönliches Jenseits, demnach fügte es sich ihren Wünschen auch ein wenig und entsprechend stellte es sogar die Erinnerung an Bedürfnisse wieder her. Auf das Unwohlsein hätte sie dennoch gern verzichten können. Umso fester klammerte sie sich an das Lob der Ank. Ihr Garten schien gelungen, dabei war er doch schon vorhanden gewesen, noch ehe Azura sich bewusst geworden war, dass dies ihre Ewigkeit darstellte. Er würde sich wandeln, sollte Azura sich an der Schönheit satt gesehen haben, auch wenn sie das mit der Zeit noch herausfinden musste. Zunächst einmal war ihre eigene Wandlung wichtiger. Sie entwickelte sich, nein, sie hatte bereits einen Teil davon hinter sich, als Ventha sich ihr zugewandt und sie gesegnet hatte. Anders könnte man ihre Gastfreundschaft auf gleicher Ebene wohl kaum deuten. Die alte Azura hätte die Ank möglicherweise als Gäste in ihrem Garten zugelassen, aber die Arbeiten der Dienerschaft als Gegenleistung verlangt oder zumindest erwartet, dass man sie wie eine Prinzessin behandelte, wohingegen sie selbst sich wie die Axt im Walde benahm. Wäre jetzt nur das Gör hier, vielleicht bekäme auch sie etwas von dem Wandel mit und vielleicht könnte das das Verhältnis beider Frauen verbessern. Aber sie war nicht hier, ebenso wenig wie der Kapitän oder ... er.
"Bleib, wenn ihr wollt. Ich brauche nichts."
Die Ank neigte dankbar ihren kahlen Kopf mit der Metallplatte. Sie konnte Azuras Gemütszustand unmöglich sehen, aber dennoch traf sie genau ins Schwarze, als sie sanft erwiderte: "Du lügst." Sie streckte einen metallischen Finger aus. Er glänzte im Sonnenlicht, einem hoffnungsvollen Silberstreif gleich. Sie zeigte damit auf ihren Handspiegel. Sie wusste genau, was Azura benötigte, um im Paradies glücklich zu werden. So gestand die Andunierin: "Ich habe nur einen Wunsch ... und hoffe, dass er sich niemals erfüllen wird."
"Deine Hoffnung ist vergebens", erwiderte die Ank erneut. "Alle müssen einmal sterben. Für viele ist es mit Schmerz verbunden. Für uns", - sie vollführte eine ausschweifende Handbewegung, die über all die anderen ihrer Art hinweg glitt -, "Für uns war die Erlösung davon. Es bedeutete das Ende von Leid, Kummer und Angst. Das Ende von Qualen, die du dir nicht vorstellen kannst und die niemand jemals erleben sollte. Wen hast du zurückgelassen, dass dein Herz so schwer ist?"
Sie hatte also nur bemerkt, dass Azura litt, aber den Grund konnte sie nur erahnen. Die Adlige vermisste jemanden, ohne Zweifel. Doch ein Blick in den Handspiegel schien der Ank verwehrt zu sein - was ohnehin unsinnig war, wo ihre Augen doch hinter Metall steckten. Dafür löste Azura nun den Spiegel von ihrer Brust. Sie warf einen Blick hinein, zusammen mit der kleinen Möwe, die auf dem Rand befestigt war und ihren Schnabel gen Wasser streckte. Jetzt sah sie den schlafenden Raben, den Wächter ihrer Überreste. Er hatte die Augen geschlossen. Er schlief.
"Ah", sagte die Gestalt auf der Bank. Ihr Säugling wimmerte leise und sie strich dem Kind über den Kopf, ehe sie es anhob, damit es ein Bäucherchen machen konnte. So unheimlich sie ob ihrer künstlichen Körperteile auch wirkte, mit ihrem eigen Fleisch und Blut ging sie liebevoll um. Auch dieser Anblick bereitete Azura Kummer, denn sie würde eine solche Erfahrung nicht mehr machen. Weder mit Corax, noch mit irgendwem sonst. Caleb van Tjenn hätte es sogar sein können...
"Bevor mein Leben sich für immer änderte", begann die Ank wieder zu sprechen, "da diente ich einer Wesenheit, deren Namen ich längst vergessen habe. Sie hat mich verlassen, aber ich hege keinen Groll gegen sie. Ich verlor den Glauben an ihre Macht, weil sie machtlos gegen mein Leid war. Nun frage ich mich, ob sie mir nicht hatte helfen können, weil das Reale nicht ihr Reich war." Sie lächelte. "Ich erinnere mich an Nebel und einen makellosen Körper, der mich mit einem Mantel aus Sternenglanz zudeckte, damit ich Frieden fände. Ich erinnere mich, dass ich ihr zu Ehren schwarze Rosenblüten auf reines Wasser fallen ließ. Sie erhörte mich und sandte mir meinen Liebsten in meine Träume, obwohl auch er lange vor mir verstorben war." Ein Seufzen entwich ihren Lippen. "Er ist nicht hier, oder?", fragte sie hoffnungsvoll, obwohl sie die Antwort bereits zu wissen schien. Sie legte ihr Kind wieder in ihren Arm und begann damit, es zu wiegen. "Wenn ich nur wüsste, wie dieses Wesen eins hieß ... ich glaube nicht mehr an sie, aber vielleicht wäre sie jemand für dich. Damit sie dir auch deinen Liebsten schickt und sei es nur im Traum. Träumen wir an diesem Ort? Ich bin neugierig, es herauszufinden. Ich wäre aber ebenso neugierig, ihren Namen wieder zu erfahren. Wie hieß dieses Wesen? Oh, könnte ich doch nur in Büchern über sie stöbern! Ich würde gewiss fündig, aber..." Sie berührte die Feder auf ihrer Augenplatte. Dann lächelte sie schuldbewusst. "Ich bin undankbar. Ich sollte zufrieden sein mit dem, was man mir jetzt schenkte. Yrrn, vergib mir. Selbst wenn es hier ein Archiv mit allem Wissen der Welten gäbe, könnte ich ja ohnehin nicht nachsehen." Dann hob sie den Kopf an, als wollte sie Azura direkt ansehen. "Und es ist auch nicht mein Reich."
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Donnerstag 10. November 2022, 09:59

Oh, wie gerne hätte sie ihn jetzt gestreichelt, seinen Flaum gekrault und ihm mit Worten gut zugeredet. Doch nichts davon würde sie jemals wieder tun können, absolut gar nichts! Es tat so weh, ihn leiden zu sehen und zugleich zu wissen, dass sie ihn nicht einmal zu trösten vermochte. Ihre Botschaften kamen zwar bei ihm an und schienen ihm etwas zu bedeuten, nur... sie schafften nicht, dass es ihm besser zu gehen schien.
Sie musste sich etwas anderes überlegen, einen anderen Weg finden, um ihm begreiflich zu machen, dass er ohne ihr schlichtweg besser dran wäre! Aber noch hatte sie keine Ahnung, wie ihr das gelingen sollte.
Ohnehin wurde sie gerade von diesen schaurigen Wesen abgelenkt, wenngleich sie freundlich wirkten. Nun ja, dieses eine mit dem Säugling zumindest, das sich mit ihr unterhielt. Es war furchtbar, sie anzusehen und zur selben Zeit faszinierend in diesem Schrecken, dass sie den Blick kaum abwenden konnte.
Erst recht nicht, als sie ihr die aufgeschlitzte Kehle zeigte, dass ihr bei dem Anblick sogar schlecht wurde. Nicht wirklich körperlich, dazu hätte sie wohl oder übel leben müssen, jedoch war die Erinnerung an dieses Gefühl noch sehr präsent, sodass sie sogar die Hand auf den Mund hielt, als müsse sie ihren Mageninhalt auf diese Weise zurück halten. Dass sie gar keinen mehr besaß, denn auch Verdauung zeugte von Leben, daran dachte sie im Moment nicht.
Zu sehr war sie noch ihrem alten Dasein verhaftet, ganz gleich, wie lange sie tatsächlich schon an diesem Ort war, der sie hätte erfreuen sollen, in Wahrheit für allerdings nur trist geworden war. Nichts konnte sie noch glücklich machen, jetzt, da sie damit begonnen hatte, ihren Fehler einzusehen und mit der Sehnsucht nach ihrem Liebsten kämpfen musste. Dagegen half keine Pracht, kein Geschmeide, keine Kleidung!
Lediglich die Falken in der Volière, wobei eines der Tiere mit seinem Gefieder sie unwillkürlich an ihren ersten Jagdfalken erinnerte... und es vielleicht sogar war, und das Wasser in dem Brunnen halfen ihr zeitweise soweit, dass sie nicht vollkommen aufgegeben hatte. Dass sie sich auf ihre Möglichkeiten besonnen und ein weiteres Opfer erbracht hatte. Das nur leider nicht den erwünschten Erfolg gezeigt hatte... Trotzdem hatte es ihr wieder etwas von ihr selbst genommen und sie fühlte sich weiterhin erschöpft, während sie im Gras saß und zu dem seltsamen Wesen hochsah.
Endlich bewegte es sich soweit, dass die Halswunde sich wieder schloss und nicht länger offenbarte, was unter der Haut alles durchtrennt worden war, um das Leben zu beenden. Es schüttelte Azura noch leicht, ehe auch ihre Hand allmählich sank und die Erinnerung an das Gefühl von Übelkeit zu schwinden beginnen konnte.
Schließlich wandelte sich das Thema und die Erkenntnis der anderen mit dem sanften Tonfall ließ sie nicken. Ja, sie log, sie betrog sich selbst. Sie brauchte etwas... nein, nicht etwas, sondern jemanden! Doch dieser Jemand sollte nicht hier sein, sollte bleiben, wo er war und dort neues Glück finden, nachdem sie ihm das genaue Gegenteil gebracht hatte. Und dank der Einsicht, die sie in den letzten Tagen erlangt hatte, war es ihr tatsächlich möglich, das zu zugeben.
Die Antwort, die darauf folgte war... ehrlich und tat dennoch weh. "Ich weiß...", seufzte sie leise und strich wieder über die kleine Spiegelfläche. "Nur soll er bis dahin leben und mich vergessen, demnach niemals hier ankommen..." Es schmerzte sie tief im toten Herzen, ihre Gedanken laut auszusprechen, doch diese entsprachen dieses Mal der Wahrheit.
So sehr sie sich auch wünschen würde, ihn bald in ihre Arme schließen zu können, so wenig wollte sie diesen Wunsch erfüllt bekommen, weil es nicht das war, was sie ihm schenken wollte. Nein, er brauchte jemand anderes als sie, die Wertlose, die Gebrochene,... das Missgeschick. Ja, da war sie noch, die alte Azura, die, die alles missverstehen wollte, wenn es ihr gerade passte, und die unendlich nachtragend sein konnte. Aber es half ihr ein wenig, den Schmerz zu bekämpfen, diese unendliche Leere, die sich in ihr ausbreiten wollte, und auch dabei, ihren eigenen Wunsch nach seiner Nähe zu unterdrücken.
Mit sich selbst beschäftigt, hörte sie lediglich am Rande, was die andere erwiderte. Auf diese Weise auch kam es zu einer offenen Antwort ihrerseits, die sie sonst womöglich für sich behalten hätte. "Meinen Raben...", wisperte sie traurig und mit einem erstickten Schluchzen in der Kehle, während ihre Finger weiterhin über das Bild seines flaumigen Gefieders strichen.
Indes kümmerte sich ihre Gesprächspartnerin um den Säugling und half ihm dabei, die überschüssige Luft aus dem Magen entweichen zu lassen. Als sie daraufhin fortfuhr, hätte sie es beinahe erneut an sich vorbei plätschern lassen. Doch aus irgendeinem Grund, einem möglichen Prickeln auf ihrer Stirn oder aus ihrem eigenen Instinkt heraus, wandte die junge Frau den Blick von dem Spiegel ab und zu dem Wesen hin.
Langsam blinzelte sie und spürte, wie sich in ihrem Hinterkopf einige Rädchen zu bewegen begannen, während die andere weiter erzählte. Und plötzlich aussprach, welche Idee ihr selbst angefangen hatte zu kommen. Träume... Und Corax schlief gerade... Ihre Augen weiteten sich ein wenig, als immer mehr Rädchen ineinander griffen und einen Plan heranreifen ließen, der Bewegung in ihren Kummer brachte.
Ja, würde sie hier denn träumen können? Und würde sie in diesen Träumen auch etwas ausrichten können? Wenn Ventha ihr noch einmal zuhören und helfen würde, würde sie ihr vielleicht...? Azura schluckte mehrmals und leckte sich die Lippen, warf einen kurzen Blick erneut in den Spiegel und fasste einen Entschluss.
Als sie wieder aufsah, lag dieses Gefühl gepaart mit Dankbarkeit für diese Idee als Ausdruck in ihren Augen. "Die Göttin, die du meinst, heißt Manthala.", offenbarte sie der anderen, denn zumindest den Großteil ihres Wissens aus dem Unterricht über die Götterwelt hatte sie nicht verloren.
Daraufhin rappelte sie sich auf, schwankte allerdings ein wenig, sodass sie sich erst fangen musste, ehe sie ihren Rock in einer automatischen Geste abklopfte. "Es steht euch frei, euch aufzuhalten, wo ihr wollt. Allein mein Schlafgemach möchte ich für mich haben.", erklärte sie mit einer Stimme, die wieder an Kraft gewonnen hatte.
Ein Flattern links hinter ihr sorgte dafür, dass sie den Kopf drehte und sich auf die Unterlippe biss. Dann sah sie zurück und fügte hinzu:"Und die Falken. Sie sind kostbar und haben ihren eigenen Willen. Ich möchte nicht, dass..." Kurz zögerte sie, suchte nach den rechten Worten, um keine Beleidigung zu formulieren. "... dass es zu Streit kommt. Ansonsten stehen euch alle Räume zur Verfügung. Eine Bibliothek könnte es ebenfalls geben, ich habe bislang nicht danach gesucht." Damit nickte sie, zufrieden mit sich, der anderen zu. "Ich fühle mich erschöpft und werde mich jetzt zurück ziehen."
Sie wandte sich dem Brunnen zu und ließ kurz ihre Finger eintauchen in das kühle Nass. Dabei schloss sie die Augen. Ventha, wenn du mich hörst, verzeih, wenn ich noch eine Bitte an dich heran trage. Du hast schon so viel für mich getan, mir so viel geschenkt und doch... vielleicht bist du geneigt, der Göttin der Träume zu übermitteln, was ich mir wünsche. Du siehst in mein Herz und weißt es., dachte sie und seufzte leise, als sie ihre Hand zurück zog.
Danach wandte sie sich endgültig von allen ab und ging langsam, mit etwas unsicheren Schritten, hinein. Tatsächlich verspürte sie weiterhin diese Schwäche und dennoch konnte sie kaum an sich halten, nicht in ihr Gemach zu rennen. Sie wollte sich einfach nur noch hinlegen, die Augen schliefen und darauf hoffen, dass die Göttin der Meere ihr weiterhin gewogen war, dass sie ihr helfen würde, diesen Ort zu verlassen und in Corax Träume zu gelangen. Nicht, weil sie ihn dort zu spüren und zu lieben hoffte... nun ja, nicht nur. Sondern weil sie versuchen wollte, mit ihm zu reden, ihm Hoffnung zu geben, damit er sein Leben nicht wegwarf wegen ihr.
"Oh bitte, lass es gelingen!", wisperte sie zu sich selbst und kniff, als sie in ihrem Bett lag, die Augen zusammen, den Spiegel geöffnet dorthin gelegt, wo früher ihr Herz geschlagen hatte. Alles um sich herum versuchte sie auszublenden und nur an den einen zu denken, den sie erreichen wollte. Und wehe, der vermaledeite Kapitän oder die Göre mischten sich ein!
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Freitag 11. November 2022, 13:39

Auf Celcia gab es eine Redewendung: Pass auf, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen. Azura achtete tunlichst darauf. Ihre Wünsche waren erfüllt von Sehnsucht und dem Bedürfnis nach Nähe und dennoch wollte sie nichts davon erfüllt bekommen. Es hieße dann nämlich, dass ihr Rabe ebenso vorzeitig würde sterben müssen wie sie es für sich selbst eingeleitet hatte. Auch, wenn die Trauer dann von ihm abfallen mochte, weil er auch wieder bei ihr sein könnte, wünschte sie nicht, dass es sich erfüllte. Corax sollte leben. Er sollte leben und sie vergessen, damit er wieder glücklich sein konnte. Auch das war ein Wunsch. Er übertraf die eigenen und das machte ihn weitaus wertvoller. Azuras Entwicklung schritt mit jeder Minute weiter voran. Zu schade, dass sie nichts davon mehr auf ihr eigenes Leben anwenden könnte, denn es war verwirkt.
Allerdings eröffneten sich ihr neue Pforten und eine Idee wuchs in Azuras Kopf heran, die Hoffnung spendete. Wäre es möglich? Könnte sie zu Corax Kontakt über seine Träume aufnehmen? Dann könnte sie mit ihm sprechen, ihn wiedersehen und vielleicht noch mehr? Doch sie wollte nicht vorab auf zu viel hoffen, nur um dann tiefer zu fallen. Den kleinen Funken des Möglichen behielt sie aber in ihrem Herzen und wandte sich der Ank zu. Sie kannte die Göttin, von der die andere sprach. Zwar hatte Azura niemals eine Erziehung genossen, bei der man sich besonders manthalagefällig hätte verhalten sollen, doch sie kannte nahezu das gesamte Pantheon. Jedenfalls jenes, das den Anduniern geläufig war. Es gab mehr Götter und Göttinnen als Ventha und es war nicht schlimm, weitere zu ignorieren, was Gebete anbetraf. Sie gänzlich aus der eigenen Kenntnis zu streichen, sah man in den adligen Kreisen allerdings als mangelnde Bildung an. Und so hatte auch Azura in vergangenen Jahren lernen müssen, dass Venthas Liebe nicht nur der See, dem Wind und ihren celcianischen Kindern gehörte, sondern auch dem Sonnen- und Lichtgott Lysanthor. Manthala war seine Schwester, zusammen mit ihrem verruchten Zwilling Faldor. Selbst dessen Namen kannte Azura, wenngleich sie darüber hinaus nicht viel mehr wusste, als dass er ein Gott des Blutes und Krieges war. Ein Gott der dunklen Völker, die ihre Heimat überrannt hatten. An wen Corax wohl glaubte...?
Vielleicht ergäbe sie eine Möglichkeit, ihn das zu fragen. Vielleicht konnte sie in seinen Traum schlüpfen, wenn sie sich nun beeilte und irgendwie Manthalas Gunst erringen könnte. Ventha war ihr wohlgesonnen, so wandte Azura sich in einem stillen Gebet und mit den Fingern im kühlen Nass des Springbrunnens an sie. Dann teilte sie der Ank mit, dass sie und all ihre Gleichgesinnten bleiben durften, wenn sie sich an gewisse Regeln hielten. Es waren derlei nicht viele und jene, die Azura besser kannten, hätten wohl überrascht reagiert. Alles, was sie erwartete, war Privatsphäre in ihren eigenen vier Wänden und dass man ihre geliebten Falken in Frieden ließ.
Die Ank nickte ihr dankbar zu. "Wir werden dir in der Ewigkeit nicht zur Last fallen. Dennoch und falls es nicht zu dreist klingt, möchte ich dich um etwas bitten." Sie berührte erneut die Metallplatte, welche über ihren Augen lag. "Ich kann nicht lesen. Somit werde ich meinem Liebling niemals Geschichten meiner Göttin wiedergeben können, denn auch wenn du mir soeben ihren Namen nanntest, erinnere ich mich bereits nicht mehr daran. Es gibt nur noch den Erlöser Yrrn für mich. Aber mein Kleines hier soll von ihr hören. Es soll ihren Namen kennen. Deshalb bitte ich dich: Würdest du eine Bibliothek in deinem Paradies suchen und mir vorlesen, falls du dort auf passende Bücher stößt? Ich bin gern bereit, dir eine Gegenleistung anzubieten, wann immer du meine Hilfe benötigen könntest."
Wie auch immer Azura sich entschied, damit endete das Gespräch zwischen ihr und der Halbmetallischen. Sie brauchte Ruhe und Zeit, über ihre Idee nachzudenken. Wenn sie Corax in seinen Träumen zu treffen erhoffte, wäre es das Klügste, wenn auch sie sich schlafen legte. Ob es nötig war für eine geisterhafte Existenz wie sie oder nicht, spielte dabei nun keine Rolle. Sie hatte auch vorher schon geschlafen, einfach weil es zu ihrem Alltag gehört hatte. Gewisse Gewohnheiten würden erst mit der Zeit verschwinden, ebenso wie natürliche Bedürfnisse, Gefühle und ... Namen? Würde sie Corax irgendwann ebenso vergessen wie die Ank Manthala vergaß, selbst wenn man ihr den Namen noch einmal nannte? Bis dahin musste Azura ihren Raben unbedingt im Traum erreicht und ihm gesagt haben, dass auch er sie vergessen sollte.
Sie erreichte ihr Schlafgemacht. Es glich dem einer Prinzessin. Helle Pastelltöne, Goldverzierungen und weißes Holz erwarteten sie. Der glänzende Marmorboden war mit flauschigen Teppichen ausgelegt, damit sie niemals kalte Füße bekommen würde. Es gab zusätzlich einen Kamin aus weißem Gestein mit goldener Borte, in der sie das Symbolbild des Falken zusammen mit dem andunischen Wappen vorfinden konnte. Ein Feuer brannte und tauchte die beiden Sitzgelegenheiten davor in einen goldenes Licht. Da stand ein Diwan, auf dem sie ihre Füße hochlegen und nach einem Getränk greifen könnte, welches zusammen mit Glaskaraffe und einer Schale duftener Kekse auf dem Beistelltisch wartete. Aber es gab auch den mit Kissen geschmückten Schaukelstuhl, in dem man nicht nur die Füße baumeln lassen konnte, sondern auch die Seele, wenn man das Schwanken von Venthas Wellen an Land imitierte.
Dahinter und somit gegenüber von dem Sitzbereich am Kamin fand sich das gewaltige Himmelbett. Hohe Holzpfosten ragten bis zu einem Gestell, über das Seide gespannt worden war, in die man kleine Edelsteine gestickt hatte, damit sie vor dem Schlafengehen und beim Blick nach oben wie Sterne glitzern konnten. War es nicht dunkel genug, konnte man auch die cremefarbenen, dicken Vohänge zuziehen. Azura erinnerte sich an bessere Zeiten ihres Lebens, in denen sie mit ihren Freundinnen gespaßt hatte, dass man sich ebenfalls hinter den Vorhängen verbarg, um mit seinem zukünftigen unsittliche Dinge anzustellen. Amalie mochte einmal des Nachts am Schlafzimmer ihrer Eltern vorbeigehuscht sein und Geräusche hinter dem Vorhang vernommen haben. Damals hatte sie geschworen, dass da ein wildes Schwein im Bett der Eltern gelauert haben musste, so tief und brachial es gegrunzt hatte. Außerdem hätte die Matratze geraschelt und gequietscht. Sie war in ihrer Angst vor dem Tier rasch in ihr Zimmer geflüchtet und reichlich erstaunt gewesen, dass am Folgemorgen niemand davon gesprochen hatte. Doch weil gerade ihre sonst so strenge Mutter bester Laune war, wollte sie es nicht erwähnen. Heute konnte Azura sich denken, was wirklich im elterlichen Ehebett geschehen war. Corax hatte ihr einen Einblick in das gegeben, was nicht nur in heißen Quellen möglich wäre.
Oh, die Sehnsucht nach ihm fraß sie beinahe auf und so bemerkte Azura die Spur aus schwarzen Rosenblättern erst viel zu spät. Sie zog sich vom Eingang ihres Gemachs durch den halben Raum bin hin zu ihrem Bett. Dort lag eine einzelne, schwarze Rose auf dem Kissen und auf dem Nachttisch neben dem Bett schien gerade eine Kerze erloschen zu sein, denn der feine Rauch stieg just in dem Moment vom Docht auf, als sie hinschaute.
Von draußen war das sanften Schuhu einer Eule zu hören. Seltsamerweise war die Nacht noch nicht hereingebrochen. Azura ließ sich dennoch nicht beirren. Sie wollte ihren Plan verfolgen, Corax zu finden und so legte sie sich mit Venthas Handspiegel auf dem Herzen ins Bett und schloss die Augen. Der Qualm der Kerze waberte und umfing sie. Er breitete sich zu einem Nebel aus, der das gesamte Schlafgemach zu verschlucken drohte. Azura war hellwach und doch ahnte sie, dass sie nun ihr eigenes Paradies hinter sich gelassen hatte. Ohne Widerstand schritt sie durch das Nichts. Sie war nackt ein Blick auf ihren Leib verriet ihr, dass sie eine seltsame Nebelform angenommen hatte. Sie konnte durch sich hindurch wischen und verteilte dann die silbrige Substanz ihrer Selbst im Raum, ehe sie sich neu zusammenfügte. Nichts konnte ihr so etwas anhaben, aber gleichzeitig konnte sie überall hindurch oder hinein schlüpfen. Auch in die Träume der Lebenden? Sie war bereits auf dem Weg dorthin.
Wie verschwommen entdeckte sie das Bild des schlafenden Raben vor sich und steuerte darauf zu. Sie tauchte in dieses Bild ein, in seinen Traum und fand sich in ... Schwärze. Es war wirklich alles schwarz, wenngleich in verschiedenen Schattierungen, so dass manche Töne grauer als andere wirkten. Zum Glück musste sie nicht über den Boden gehen. Es hätte ihre nackten Geisterfüße ruiniert. Aus einem Untergrund aus schwarzem, dickflüssigem Schlamm stiegen Blasen empor. Sie platzten mit einem dumpfen Geräusch, das einem schweren Herzschlag gleich kam. Hier und dort ragten schwarze Äste aus diesem Teerbad heraus. Bei genauerem Hinsehen aber erkannte man, dass es dürre Arme und Beine waren mit Krallen als Fingern und langen Nägeln aus verdorrten, schwarzen Blättern. Sie erinnerten Azura an die Überreste der Stockmännchen, doch kein Zweig davon griff nach ihnen. Sie waren im Meer aus schwarzem Pech untergegangen und nicht mehr gefährlich.
Auf der einzigen Insel an diesem trostlosen Ort saß er, im Traum in seiner dunkelelfischen Gestalt: Corax. Er hockte auf einem Thron, geschaffen aus verfestigtem, schwarzen Schlamm, geleimt mit Blut. Ja, es war Blut, das den Boden der Insel benetzte und die einzige Farbe in diesem Albtraum bot. Es war so rot wie Azura es von seinen Rubinaugen kannte, aber es floss nicht von dort an seinen Beinen herab, sondern aus dem klaffenden Riss in seiner Brust. Sein Herz blutete, vergoss den letzten Rest Farbe, der ihm noch innewohnte. Corax war nebenkrähenschwarz. Er trug ein Gewand aus schwarzen Federn, zusammengehalten von einer schwarzen Fibel und schwarzen, filigranen Ketten. Sein Körper steckte in schwarz glänzenden Hosen, schwarzen Schuhen, die Krähenfüßen glichen und er hatte sich schwarzen Schmuck angelegt, der ihm grundsätzlich gut zu Gesich stand. Jetzt aber erweckte er nur den Schein vom Prunk des Schwarzen Prinzen, der er an diesem Ort war und der über nichts als waberndes Pech gebietete.
So saß er in seinem Traum, mit gefalteten Händen und gesenktem Kopf. Er wartete, dass das rubinrote Blut ihn endgültig verließ. Er wartete darauf, dass Azuras Wunsch sich erfüllte.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Freitag 11. November 2022, 22:02

Es war wie ein Wink von Ventha persönlich, als das Wesen vor ihr über etwas sprach, das die Lösung für ihr Dilemma sein könnte. Träume... Konnte sie das denn? In einem Traum erscheinen? Was würde sie dieses Mal dafür opfern müssen? Nein, das war ihr ganz egal, sie musste es einfach versuchen, um jeden Preis! Vielleicht könnte sie ihm dann endlich sagen, dass er aufhören sollte, um sie zu trauern, dass sie es nicht wert war und er sie endlich vergessen sollte.
Es drängte sie dazu, sofort aufzuspringen und in ihr Schlafgemach zu laufen, doch das kam nicht infrage. Einerseits, weil sie sich noch zu schwach dafür fühlte und auf diese Weise womöglich gar nicht erst bis dorthin gekommen wäre. Andererseits konnte sie eben auch nicht vollkommen ihre Erziehung ablegen und diesen Akt absoluter Unhöflichkeit brachte selbst sie nicht über sich. Zumindest nicht gegenüber einem Wesen wie diesem, bei dem Kapitän hätte es wahrscheinlich anders ausgesehen. Der hätte das schließlich auch verdient gehabt! Hier hingegen war es anders.
Zwar war sie mit ihren Gedanken schon bei ihrem Gebet zu ihrer Göttin und bei der Hoffnung auf deren erneuten Hilfe, als sie sich langsam aufrappelte, aber sie nahm sich ausnahmsweise doch Zeit für eine einfache Antwort. Daraufhin wurde ihr zugenickt und sie erwiderte es knapp, ohne wirklich zuhören zu wollen.
Warum sie es trotzdem tat... wusste Azura im Nachhinein nicht mehr zu sagen. Fragend blinzelte sie, einen Moment lang aus dem Konzept gebracht, weil sie mit ihren Überlegungen schon dabei war, was sie Corax am besten alles sagen sollte, damit er auf sie auch hörte. "Vorlesen...?", murmelte sie und konnte sich das gerade nicht wirklich vorstellen.
Ja, sie konnte gut lesen und hatte durchaus sehr gerne ihre Zeit mit Büchern verbracht. Allerdings einem fremden Säugling vorlesen? Über Manthala? Wozu? Es war viel zu klein und würde niemals wachsen, niemals verstehen können! Jedoch... sie brachte es auch nicht übers tote Herz, diesen Wunsch direkt abzulehnen.
"Irgendwann einmal, vielleicht.", erwiderte sie nach einem kurzen Zögern langsam und zuckte leicht mit den Schultern. "Derzeit habe ich nicht die Konzentration dafür und will mein Wort nicht geben, wenn ich es nicht halten kann." Das entsprach tatsächlich der Wahrheit und auch früher hatte sie in ernsten Angelegenheiten niemals etwas versprochen, von dem sie schon im Vorhhinein gewusst hatte, dass sie es brechen würde.
Nun aber empfahl sie sich endgültig und beeilte sich so unauffällig wie möglich in ihr Schlafgemach. Einen wirklichen Blick für ihre Umgebung hatte sie dabei nicht, sie wollte einfach nur noch die Augen schließen und sich auf ihren Raben konzentrieren. Ob Ventha sie bereits gehört hatte? Ob sie ihr helfen und bei Manthala ein gutes Wort für sie einlegen würde? Hätte ihr Herz noch geschlagen, es hätte vor Aufregung wild geklopft, als sie lag und die Augen geschlossen hatte.
Ihr schien es, als wäre überhaupt keine Zeit vergangen, bis sie durch die Luft zu schweben schien und an einen vollkommen anderen Ort gelangte. Dort war nichts schön und prunkvoll oder hell und exquisit. Nein, stattdessen empfing sie eine Landschaft, die ihr die Seele schwer werden ließ. Wer sollte sich hier auch nur einen Augenblick lang wohl fühlen können? Sie gewiss nicht und sie bezweifelte sehr, dass es ihm genauso erging.
Ihm, der vor ihr auf einer Art Thron saß, in sich zusammen gesunken, mit einer offenen Wunde in der Brust, aus der roter Lebenssaft quoll. Azura stockte der Atem, wenn sie noch einen benötigt hätte. Auf der einen Seite tat es ihr unendlich weh, ihn so sehen zu müssen, und ohne nachzudenken wusste sie, was sie als erstes tun musste, ehe sie wirklich mit ihm reden könnte. Auf der anderen jedoch... war er eine Erscheinung zum Niederknien!
Es war nicht so sehr der Schmuck, den er dieses Mal trug, sondern seine Kleidung selbst, die ihm wie maßgeschneidert stand und ihm ein Aussehen verlieh, das sie schlicht und ergreifend umwerfend fand. Hätte er sie noch nicht entjungfert und wäre sie noch am Leben, er hätte nur ein einziges Mal so vor sie hintreten müssen und sie hätte alles, absolut alles mit sich machen lassen, was er wollte!
Um ihm im Gegenzug selbst mit den Fingern unter seinen Umhang zu fahren, die Fibel mit den Zähnen zu lösen und die Federn von seinen Schultern zu streifen. Danach seinen Körper entlang zu streichen, mit ihren Fingern, gefolgt von ihren Lippen und das so tief, das sie auch der Hose zuleibe rücken würde.
Beinahe war es wohl ein Segen für sie beide, dass er derart in sich versunken war und diese Wunde in seiner Brust aufwies, sonst hätte sie sich wahrlich nur zu gerne in einen Succubus verwandelt und wäre über ihn hergefallen! Oh, hoffentlich würde er ihr niemals in dieser Aufmachung gegenüber stehen, wenn sie die Gelegenheit dazu hätte, über ihn herzufallen!
Jetzt hingegen... riss sie sich notgedrungen zusammen und konzentrierte sich auf die Wunde, die sie so gut wie möglich heilen wollte. Sofern sei es überhaupt vermochte...
Langsam schwebte sie näher und stellte sich instinktiv vor, dass sie mehr Substanz erhielt. Mehr noch, in ihrer Hand, gehalten von Zeigefinger und Daumen, erschien etwas Dünnes, Spitzes. Unter normalen Umständen hätte es geblinkt bei jedem noch so kleinen Lichtstrahl, hier allerdings war auch dieser feine Gegenstand vollkommen schwarz. Und in der Öse steckte ein roter Faden, so rot, wie sein Blut, das aus dem Riss quoll, langsam und stetig.
Endlich erreichte sie seinen Thron, setzte ihre nackten Füße knapp vor die seinen und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter. "Corax...", hauchte sie und wartete kurz. Würde er sie ansehen, würde sie ihm ein warmes Lächeln schenken, wenn nicht... Nun, es würde sie auch nicht von ihrem Vorhaben abhalten.
Denn daraufhin kniete sie sich aufrecht zwischen seine Beine, ja, drängte sich regelrecht dorthin und hätte etwas anderes hier viel lieber getan. Doch auch das, was sie vorhatte, war wichtig und ihr ein großes Anliegen. Ihrer Nacktheit indes war sie sich nicht bewusst, da sie weder Wärme, noch Kälte verspürte, und sowieso nur Augen für ihn hatte. Schon griff sie nach seiner Haut und zog sie über den Riss zusammen, wie sie es bei Stoffen getan hatte, wenn sie dieser Tätigkeit nicht hatte entkommen können.
"Das könnte jetzt ein wenig pieksen.", erklärte sie und schon stach sie mit der Nadel durch seine Haut, auf der einen Seite, drückte weiter, durchbohrte auch den anderen Teil und zog solange an dem Faden, bis der Knoten knapp vor dem Ende sie stoppte, da er nicht durch das Loch passte.
Dann kehrte sie zurück zur erste Seite der Wunde und vollführte diese Geste erneut. Immer und immer wieder stach sie hinein und vernähte den Riss, in der Hoffnung, auf diese Weise seine Blutung zu stillen. Dabei war sie hochkonzentriert und kaute an ihrer Unterlippe herum, ohne es zu bemerken.
Als sie am Ende war, zog sie die Nadel von dem Faden ab und das kleine Utensil verschwand im Nichts. Ihre Hände sanken beide herab, bis sie schließlich auf seinen Oberschenkeln zum Liegen kamen, und mit einem schiefen Lächeln sah sie zu ihm hoch. "Verzeih, ich bin nicht sonderlich gut darin. Nähen war noch nie meine Stärke!", sprach sie sanft zu ihm, als hätten sie keine anderen Sorgen, weswegen sie sich unverhofft an diesem Ort treffen konnten, während ihre Daumen wie von selbst ihn zu streicheln begannen.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Montag 14. November 2022, 14:07

Hatte sie alles richtig gemacht? War das hier wirklich Manthalas Reich des Schlafes? Befand sie sich in einem Traum und wenn ja, gehörte er zu Corax? Oder war diese unsagbar schaurige Gegend nicht doch ein düsterer Teil der Ewigkeit? Vielleicht gelangten Seelen mit mehr Lastern als sie sich je vorwerfen könnte, hierher. Andererseits erinnerte die gesamte Atmosphäre an die Dunkelheit und schwere der Seele, die sie damals schon verspürt hatte, als sie zusammen mit dem Gör hatte einen Blick in Corax Vergangenheit werfen können. Das waren ebenfalls Träume gewesen und dieser hier glich ihnen. Er war so stark angereichert von Kummer, dass sie die Emotion selbst in ihrem Zustand sehr deutlich fühlen konnte. So sehr, dass sie sich damit anreicherte und aus ihrer geisterhaften Gestalt heraus manifestierte. Vielleicht entsprang diese Veränderung aber auch ihrem Wunsch, dem schwarzen Prinzen auf seinem Thron gegenübertreten zu wollen, um seiner Agonie entgegenzuwirken.
Der Traum war richtig, wenngleich er nicht falscher hätte sein können. Aber bei dem Prinzen handelte es sich um Corax und obgleich er sich nicht nur in Rabenfedern, sondern auch eine Aura aus Finsternis hüllte, so weckte er mit seiner bloßen Erscheinung Reize in der Andunierin. Oh, wäre er ihr nur als dunkelelfischer Prinz aus Morgeria gesandt worden, um diplomatische Bande zwischen zwei Völkern durch ihrer beider Ehe zu knüpfen, sie hätte nie wieder mit einem anderen Galan auf einem der Bälle tanzen müssen. Es ließ sich nicht bestreiten, dass er unglaublich gut aussah in dieser Gewandung. Der dunkel Schmuck stand ihm und riss den Fokus nicht von anderem weg, weil er schwarz war. Dezent und doch ein Blickfang. Wie würden seine Rubine von Seelenspiegeln sich erst hervorheben, wenn er sie gleich anschaute? Bislang hielt er den Kopf ja gesenkt, aber das rote Blut, das aus seinem Herzen rann, stellte schon eine Vorahnung dar von dem, was ein einziger , begehrender Blick jetzt bedeuten könnte. Ihr geisterhafter Schoß kribbelte schon, als sie sich dem Thron näherte.
Corax sah nicht auf. Er rührte sich überhaupt nicht, als wäre es ihm gleich, ob nun sie, eine feindliche Armee oder der Gevatter persönlich vor ihm stünde. Auf Letzteren schien er ohnehin nur zu warten, weil ihn irgendetwas hinderte, den letzten Schritt selbst zu gehen. Dazu durfte es nicht kommen. So anziehend Azura ihn in seiner träumerischen Aufmachung auch fand, so sehr würde sie ihm nun die Richtung zurück ins Leben weisen müssen. Sein blutetendes Herz musste geheilt und Bande zu ihr endgültig gekappt werden. Wenn er sie vergaß, würde er das Glück wiederfinden. Davon war sie überzeugt und wollte alles tun, um das zu erreichen. Sie überwand gar ihre eigene Angst, als sie zwischen ihren Fingern eine schwarze Nadel erscheinen ließ. Ein Faden, so rot wie sein Blut, war bereits durch das schmale Öhr gezogen worden.
Still schritt Azura an den Thron heran. Ihre Füße hinterließen Spuren in der teerigen Masse, die aber sofort wieder verschluckt wurden. Erst auf der winzigen Throninsel selbst, wo sie kalten Untergrund fühlte, da war sie von der klebrigen Substanz befreit. Corax schaute nicht auf. Weder als sie ihm eine Hand auf die Schulter legte, noch als sie seinen Namen aussprach. Statuengleich saß er da und nur das stetig rinnende Blut, die Wärme seines Leibes und das gleichmäßige Atmen kündeten davon, dass Azura hier nicht auf eine Skulptur hereingefallen war. Dennoch wirkte er beinahe so leblos ... so leer.
Ihr Versuch, ihn anzulächeln, blieb ungesehen. Das hielt sie nicht davon ab, ihm weiterhin helfen zu wollen. Da er sie auch nicht von sich stieß, kniete sie sich zwischen seine Beine und hob die Hände an seine Brust. Das Blut war warm, fast so klebrig wie der Teer, aber hob sich kontraststark von seiner Kleidung und der dunklen Haut ab. Als hätte Azura in ihrem Leben nichts Anderes getan, ignorierte sie den Blutstrom und zog stattdessen die zerklüftete Haut zusammen, bis sie die Wunde überdeckte. Schon begann sie damit, zu nähen. In der Realität hätte sie deutlich mehr Schwierigkeiten gehabt. Im Traum aber war alles möglich.
"Das könnte jetzt ein wenig pieksen." Corax reagierte immer noch nicht auf sie. Er zuckte auch unter dem Durchstoßen seiner Haut durch die Nadel nicht zusammen. Azura konnte ihn ungehindert behandeln, bis der Blutfluss stoppte, weil sie die Wunde restlos vernäht hatte. Wie lange sie dafür brauchte, wusste sie nicht. Sie konzentrierte sich auf ihre Arbeit, ohne einmal emporschauen. Erst als die Nadel sich im Nichts auflöste, Azura sich zurücklehnte und ihre Hände auf Corax Schenkeln bettete, schaute sie auch zu ihm empor. Ob ihr Lächeln gefror oder gar verschwand, als sie sein Gesicht entdeckte? Denn endlich bewegte er sich, um in ihre Richtung zu schauen. Der Anblick war schauriger als der gesamte Traumort es bisher geschafft hatte. Corax fehlten die Augen. Keine Rubine blickten sie an. In den schwarzen Höhlen befand sich nur eine tiefe Leere. Die schwarzen Löcher erinnerten an ausgehobene Gräber, deren Schätze man geraubt hatte.
"Bist du's?", krächzte er. Seine Hand schob sich allerdings zielgerichtet zu Azuras Gesicht und legte sich an ihre Wange. Da füllten sich die Höhlen endlich mit tiefem Rot. Wenn Azura aber gehofft hätte, der Traum würde ihm nun seine facettenreichen Seelenspiegel schenken, wurde sie enttäuscht. Das Blut schwappte über und Corax weinte stille, tiefrote Tränen. Dann rührte er sich. Sein Daumen strich an Azuras Lippen entlang. Er beugte sich etwas zu ihr herunter.
"Das ist nur ein Traum. Wenn ich aufwache, bin ich wieder allein und du ... tot. Du bist nicht echt." Entgegen seiner Worte, bei denen man nun ein kummervolles Seufzen oder Wimmern hätte erwarten können, riss Corax nun auch die andere Hand vor. Er packte Azura, hob sie auf ihre Beine und höher, während der Thron unter ihm sich einfach in schwarzen Rauch auflöste. Die Insel schwand, der Teer ebenfalls. Zurück blieb Schwärze und das Gefühl eines Aufpralls, als er Azura kraftvoll gegen eine Wand auf Finsternis presste. Im nächten Moment drückten sich seine Lippen auf die ihren. "Ist mir egal", raunte er zwischen zwei intensiven, ein bisschen zu forschen Küssen hervor, aus denen eher eine Sehnsucht sprach als das Bedürfnis, grob zu ihr sein zu wollen.
Auf einmal schien die Welt sich zu drehen. Azura spürte zwar immer noch festen Grund in ihrem Rücken, aber alles schien die Position zu wechseln. Ihr Körper verriet ihr, dass sie nun mehr lag denn stand und Corax beugte sich über sie. Er drängte seinen Schoß gegen den ihren, dass sie immer wieder von seinem verhärteten Zentrum animiert wurde, ihm die Beine zu öffnen. Mit inniger Leidenschaft haschte Corax nach ihren Lippen, küsste zwischendurch aber auch ihren Hals entlang bis hinunter zu ihren nackten Brüsten, die er mit beiden Händen umschloss und wild knetete. "Ich will dich sehen", flehte er sie an, ohne dass er sein Begehren ganz aus der Stimme verbannen konnte. "Schenk mir Augen, ich will dich sehen ... schmecken ... fühlen..."
Instinktiv wusste Azura, dass es nur einer Winzigkeit bedurfte, ihm seinen Wunsch zu erfüllen, sofern sie es vorhatte. Schon zwei Mal hatte sie solche Kleinigkeiten geopfert, aber bisher nur, um ihm in der Wirklichkeit eine Botschaft zukommen zu lassen. Das hier war ein Traum und doch fühlte sich alles sehr echt an. Vor allem auch der pralle Anhang unterhalb von Corax bereitem Fleisch, der bei jedem Drängen an ihrer Haut mit entlang schabte und mehr verhieß als er ihr im echten Leben je hätte geben können.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Montag 14. November 2022, 21:26

Es gab so unendlich viele Gedanken, die sie in dieser Umgebung wälzen wollen würde. Wer hatte es geschaffen? Warum war es, wie es war? Wieso konnte sie etwas sehen, obwohl sie sich in absoluter, bekümmerter Schwärze wähnte? Das und noch vieles mehr wollte sich Raum in ihrem Geist schaffen wollen, doch sie ließ es nicht zu.
Alles zog sie stattdessen in eine einzelne Richtung, zu jener Person hin, die ihr Grund für ihr Kommen überhaupt erst war. Mehr noch, die ihr die Knie gefühlt weich werden ließ vor Mitgefühl und Anziehungskraft zugleich. Sie wollte ihm nahe sein, ihn berühren, ihn trösten, ihn an sich drücken, ihn... in sich spüren! Ihr gesamtes Sein schien zu vibrieren allein bei seinem Anblick und während sie sich ihm näherte, wurde ihre Gestalt immer fester und greifbarer.
Ganz so, als wäre ihr Wunsch, ihn zu berühren und vor allem von ihm berührt zu werden, ausreichend stark, um die Materie in dieser Welt des Traums zu beeinflussen. Aber anstatt einen Anflug von Größenwahn dadurch zu entwickeln, weil sie plötzlich so mächtig wirkte, hatte sie ausschließlich Augen für ihren Raben.
So trat sie an ihn heran, ungeachtet dessen, wie mühsam der Weg bis zu ihm sein mochte, wie beängstigend seine Wunde wirkte und wie besorgniserregend seine gesamte Haltung. Er reagierte nicht auf ihre Nähe, weder, als sie ihn ansprach, noch als sie ihn berührte. Und dennoch... es war gerade nicht wichtig.
Stattdessen erschuf sie eine tiefschwarze Nadel mit einem blutroten Faden darin und machte sich daran, seiner Verletzung zuleibe zu rücken. Noch nie hatte sie gerne genäht und gut war sie erst recht nicht darin. Jetzt allerdings war sie hochkonzentriert, kaute an ihrer Unterlippe herum und gab sich die allergrößte Mühe, es richtig zu machen. Sie wollte ihm helfen, ihn heilen... und das konnte sie nur, wenn sie die Begierde in ihrem Inneren zurück drängte. Erstaunlicherweise wehrte er sich nicht dagegen, obwohl sie ihm durchaus Schmerzen verursachen musste, die ihr wiederum sofort leid taten.
So hatte sie das Gefühl, aufzuatmen, als sie endlich den letzten Stich gesetzt hatte und die Nadel wie von Zauberhand wieder verschwand. Langsam sank sie zurück, legte ihre Hände behutsam auf seine Oberschenkel und verblieb ansonsten vertrauensvoll zwischen seinen Beinen knien. In dieser, leicht unterwürfig wirkenden, Haltung sah sie zu ihm hoch und hoffte, dass er nun, da sie ihn vernäht hatte, endlich reagieren würde.
Und wenn er sie anschrie, ihr Vorwürfe machte... Er hätte ja Recht damit! Sie hatte eine Dummheit begangen und erst im Nachhinein verstanden, welch ein Fehler das gewesen war! Nun konnte sie es aber nicht mehr ungeschehen machen, sondern nur noch alles in ihrer Macht Stehende versuchen, es ihm zu erleichtern und ihm den Weg in seine Zukunft zu weisen. Ihm zu helfen, das Glück zu finden, das sie ihm niemals hätte geben können, so gern sie es auch getan hätte.
Azura lächelte sanft und warm, wollte ihm auf diese Weise zeigen, dass sie trotz allem noch für ihn da sein wollte, solange er sie brauchen würde. Dass es an ihren Empfindungen zu ihm nichts geändert hatte, dass sie nun tot war. Jedoch gefror ihr das Lächeln auf den Lippen, als sie jetzt, nach dem Vernähen seiner Wunde, einen ersten Blick in sein Gesicht machen konnte.
Es entsetzte sie, was sie zu sehen bekam, aber nicht, weil es ein derart schauriger Anblick wäre. Unter anderen Umständen hätte sie womöglich sogar panisch zu schreien begonnen. Hier und in diesem Moment allerdings, nachdem sie schon seine körperliche Verletzung behandelt hatte, ohne sich um das Blut auf ihren Händen dabei zu scheren, konnte es sie nicht vertreiben. Im Gegenteil, je stärker sein Leiden ihr vor Augen geführt wurde, desto mehr wollte sie daran setzen, ihn zu heilen, soweit sie es konnte.
"Ach, Corax...", wisperte sie beinahe lautlos und voller Mitgefühl für seine fehlenden Augen. Da erklang eine gekrächzte Frage und während sie die aufsteigenden Tränen wegzublinzeln versuchte, gewann sie ihr Lächeln zurück, das sie ihm dennoch schenken wollte.
"Ja, ich bin es.", flüsterte sie zurück und spürte schon seine Hand an ihrer Wange. Obwohl sie ihn weiterhin ansehen konnte, konnte sie einfach nicht anders, als die Lider zu senken und sich an seinen Handteller zu schmiegen. Damit er sich ihr nicht sofort wieder entzog, legte sie noch ihre eigene Hand auf die seine, strich mit dem Daumen zärtlich über seine dunkle Haut. Oh, wie hatte sie seine Nähe vermisst!
Ein Schluchzen wollte sich ihre Kehle hinaufdrängen, auch wenn sie krampfhaft dagegen vorzugehen versuchte. Nein, er durfte nicht erfahren, wie sehr er ihr fehlte, er musste sie vergessen, um leben und glücklich werden zu können! Wenn er es ihr nur nicht gerade so schwer machen würde...
Erneut rührte er sich und sorgte dafür, dass sie ihn wieder ansah und ihre Lippen leicht öffnete, als er mit seinem Daumen darüber strich. Seine Worte hingegen... sie schnitten ihr ins Herz. Nein, sie war nicht echt... oder doch? Eigentlich schon und zugleich auch wieder nicht, immerhin befanden sie sich in seinem Traum. Aber... sie war durch eine bewusste Handlung hierher gekommen, das musste er begreifen!
"Ja, du träumst, und ja, ich bin echt. Der Segen der Götter hat mir geholfen, zu dir zu kommen.", versuchte sie, ihm zu erklären. Ob er ihr überhaupt zuhörte? Und ob er ihr glauben könnte?
Plötzlich jedenfalls griff er nach ihr, packte sie mit einer Stärke, die sie überrumpelte und leise aufquietschen ließ. Aber sie wehrte sich nicht dagegen, kam gar nicht erst dazu, als er sie schon auf die Beine stellte und im nächsten Wimpernschlag mit dem Rücken gegen etwas Hartes presste, so schwungvoll, dass es ihr unter lebenden Umständen die Luft aus den Lungen gepresst hätte.
Jetzt keuchte sie ebenfalls auf und schon spürte sie seine Lippen, seinen Kuss und erwiderte diesen ebenso hungrig. Ihre Arme schlangen sich wie von selbst um seinen Nacken und vergessen war das Blut, das sein Gesicht herunter gelaufen war, das sie dadurch wahrscheinlich ebenfalls beflecken würde. Es kümmerte sie nicht, gar nichts war mehr wichtig, wenn er nur nicht aufhören würde, sie so zu küssen!
Ihr wurde regelrecht schwindelig davon und als sie dieser Empfindung endlich Herr wurde, glaubte sie, nicht mehr zu stehen, sondern zu liegen, mit ihm auf ihr. Wie auch immer das geschehen war, sie scherte sich nicht darum!
Stattdessen nutzte sie diese neue Position, um auch die Beine um seinen Körper zu schlingen und ihm dadurch den Weg bereitwillig zu öffnen. Nichts sollte... nein, durfte ihn jetzt noch aufhalten!
Schon füllte er sie komplett aus und entlockte ihr Töne höchster Wonne, wenngleich er um einiges grober mit ihr umging als damals in den heißen Quellen. Vollkommen losgelöst, wand sie sich unter ihm und ließ ihn hören, was er mit ihr anstellte, während er überall zu sein schien mit seinen Lippen und seinen Händen. Nur seine Worte, sein Flehen... Es entlockte ihr unter all dem Stöhnen und Seufzen auch ein Schluchzen, weil es ihr so unendlich weh tat, wie er wegen ihr litt.
So sehr, dass sie zu jeglichem Opfer für ihn bereit wäre! "Alles...", keuchte sie und wölbte sich unter seinem Leib, als er besonders tief in sie vorstieß. "Alles will ich tun, um dich glücklich zu machen... Liebster... mein Rabe... Oh Götter!", stöhnte sie und konnte kaum damit umgehen, wie intensiv sich das hier in diesem Moment anfühlte.
War er größer geworden? Oder lag es daran, dass sie viel ausgehungerter nach ihm war, als sie sich bewusst gewesen wäre? Oder... war es einfach, weil sie hier in seiner Traumwelt miteinander umgingen? Im Endeffekt... war es ihr egal, so absolut und vollkommen gleichgültig! Es sollte schlicht und ergreifend niemals wieder enden, das war alles, wonach sie sich sehnte. Ihr Körper erschien ihr dieses Mal einzig und allein wie geschaffen für ihn, als hätte Ventha persönlich sie maßgeschneidert für seine Männlichkeit.
Und auch der Umstand, dass sie wahrscheinlich niemals wieder einen Höhepunkt erleben würde, der Ausdruck an Lebendigkeit schlechthin, war ihr jetzt gerade gleich! Nicht einmal ihre Umgebung, diese alptraumhafte Welt mitsamt ihrer Schwärze und seinen furchtbaren Wunden konnten die Lust schmälern, die er ihr hier bereitete. Nie, nie wieder wollte sie dieses Gefühl missen müssen!
So fest sie konnte und mit ihrem gesamten Körper, soweit es ihr möglich war, klammerte sie sich an ihn. Ja, sogar jene Öffnung, die so perfekt das Gegenstück zu ihm darstellte, versuchte sie anzuspannen, um ihn auch dort niemals mehr loslassen zu müssen.
"Du bist perfekt...", keuchte sie und haschte nach seinen Lippen, um ihn erneut küssen, ihm so zeigen zu können, dass sie ihm voll und ganz ergeben war. Warum nur musste das alles ein Traum sein...?!
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 16. November 2022, 09:54

Corax hörte offensichtlich nicht länger zu. Wie fatal, denn soeben hatte Azura ihm erneut beteuert, dass sie trotz der Traumumgebung echt war. Sie war davon überzeugt, dass auch Manthala ihr wohlgesonnen sei und sie nur deshalb jetzt bei ihrem Raben sein konnte. Jener aber dachte nicht daran, in seinen düsteren Träumen Gespräche zu führen, die ihn weiter deprimieren könnten. Azura war hier und er nahm es hin. Sie galt als der einzige Lichtblick des Traumes, also wollte er sie auch so nah wie möglich bei sich haben.
Mit ungebändigtem Hunger nach ihrer Nähe fiel er über sie her. Er war forsch, aber nicht brachial grob. Seine Leidenschaft drängte ihn dazu, den dominanten Part dieser Wiedervereinigung einzunehmen. Er selbst drängte sich ihr immer intensiver entgegen, dass es auch Azuras Dämme brechen ließ. Mit beiden Beinen umschlang sie die bereits bebenden Hüften und empfing ihren Raben, der sich so voll und ausfüllend in ihr anfühlte, dass sie fast glaubte, mit genug Zeit könne er sie nicht nur an den Rand des Wahnsinns treiben, sondern auch darüber hinaus in ein neues Leben. Sie spürte jeden Stoß tief in ihrem Innersten und Wogen sinnlicher Freuden erfassten ihren Körper, auf dem Corax einen lüsternen Pfad aus Küssen setzte.
Ihr Zusammenfinden passierte schnell und umso intensiver, aber nun nahm er sich Zeit. Sowohl Hände als auch Zunge erkundeten ihren Leib und er keuchte ihr eine Gänsehaut auf den Körper. Es fühlte sich ganz anders an als in den heißen Quellen. Dort war er so behutsam vorgegangen, bis auch sie soweit gewesen war, sich ihm hinzugeben. Jetzt drängte ihn sein Begehren zu leidenschaftlicheren Handlungen. Das war nichts Schlechtes, wie Azura feststellen musste. Es ging nur so schnell, so intensiv, dass sie sich kaum darauf konzentrieren konnte, welchen Teil ihres Körpers er sich gerade widmete. Sie spürte ihn überall und jede Faser ihres Leibes reagierte darauf. Oh, er wusste, sie zu nehmen. Jeder Stoß animierte sie nicht nur dazu, sich dem Rhythmus anzupassen, sondern jagte ihr auch Schauer der Lust über den Rücken.
Azura blendete alles aus, das nicht Corax war. Die düstere Umgebung schwand, wich einer beruhigenden Schwärze, aus der ihr ebenfalls schwarzer Rabe hell und strahlend hervorstach, direkt über ihr. Sie blendete die vernähte Brustwunde ebenso aus wie das Blut oder die Leere seiner Augenhöhlen. Nichts davon besaß Bedeutung, so lange sie in ihrer Zuneigung vereint waren. Und doch flehte er sie regelrecht an, sie auch sehen zu wollen.
"Alles will ich tun, um dich glücklich zu machen ... Liebster ... mein Rabe ... Oh Götter!"
Seine Stöße endeten abrupt. Er war noch tief in ihr gefangen, ohja, sie fühlte ihn. Sie spürte ihn mit allem, was er zu geben hatte, in ihrem Schoß und es konnte einen wahnsinnig machen, dass er nun einfach endete. In einer Mischung aus Traurigkeit und Belustigung schnaufte Corax aus: "Ja", raunte er mit bereits heiserer Stimme vor Lust. "Ein Traum ... du bist nicht echt ... das hättest du niemals zu mir gesagt." Er schloss die Lider über seine leeren Höhlen. Er hatte Recht. Wann hatte sie ihn je anders genannt als einen widerlichen Schuft? Und ihr Rabe war er ebenfalls nicht. Sie hatte ihn nicht haben wollen - als Sklaven. Einmal nur hatte sie ihm überhaupt gesagt, dass sie ihn liebte und das nur auf sein gewimmertes Bitten hin, als er im Fieberwahn gefangen fürchtete, diese Worte sein Leben lang von niemandem jemals hören zu dürfen. Wie ernst hatte sie diese damals gemeint und nun, da hinter ihnen die Wahrheit steckte: wie oft hatte sie es ihm je gesagt?
Nicht einmal im Traum brachte sie es offen über die Lippen. Er würde zwischen den Zeilen lesen müssen, als sie keuchte: "Du bist perfekt..."
"Nein", erwiderte er mit einem Kopfschütteln und hob die Lider wieder an. Darunter glommen Augen. Es waren nicht seine, denn sie waren nicht mit den wundervollen Rubinen zu vergleichen, die Azura kannte. Stattdessen blickte er sie aus reinen, glänzenden Perlen an, die sich so kontrastreich aus seinem schwarzen Gesicht abhoben, dass der Fokus sofort auf sie fiel. Azura hatte schon zwei Mal derartige Perlen gesehen und jedes Mal ein winziges Gefühl von Verlust in ihrem eigenen Selbst verspürt. Dieses Mal nicht, denn dieses Mal war sie eins mit jenem Mann, dem sie einen Teil von sich schenkte. Er lächelte ihr entgegen, weil er sie sehen konnte. Er neigte sich vor, um seine Lippen sanft gegen ihre zu drücken. "Ist mir egal", wiederholte er, als er schon einmal darauf hingewiesen hatte, dass er um den Traum und die falschen Bilder darin wusste. "Nimmermehr..."
Corax ruckte vor, stieß sich erneut in Azuras Leib, um ihr Liebesspiel fortzusetzen. Langsamer, aber dafür tief tauchte er in ihr Glück hinein, räkelte sich darin, bis es sich anfühlte, als wollte er sich im Inneren durch stetes Zucken mehr Freiraum verschaffen. "Nimmermehr", keuchte er dabei, ehe er an Geschwindigkeit wieder zulegte. "Nimmermehr!", stöhnte er animalisch heraus und rammte sich sprichwörtlich in ihren Körper. Es fühlte sich so intensiv an. Dann zuckte es noch zwei, drei Male in ihrem Leib, bis sich plötzlich eine Hitze ausbreitete, die von ihrem Schoß aus bis tief in ihren Unterleib strömte. Sie erfüllte Azura wie nichts Anderes jemals zuvor. Beinahe glaubte man, das war das Leben, nach dem sie sich sehnte. Es war zum Greifen nahe. Sie spürte so viel darin, dass es überall kribellte und sich auch bei ihr alles zusammenzog, nur um die Lust über alle Grenzen hinaus explodieren zu lassen. Mit pochenden Impulsen ebbte es ab, als ihr Rabe langsam auf ihr zusammensank. Sie spürte seine Wärme, sein Gewicht. Sie fühlte ihn noch immer mit ihrem Leib vereint. "Nimmermehr ... werde ich aufhören, dich zu lieben", wisperte er. Und dann löste er sich schlagartig im Nichts auf. Nur noch das sanfte Pulsieren ihres Schoßes, aus dem der Quell seiner Liebe mit zählflüssiger Hitze heraus tropfte, blieb zurück.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Mittwoch 16. November 2022, 11:04

Alles um sie herum wurde unwichtig, sobald er damit begann, sie in seine Arme zu schließen. In ihrem tiefsten Inneren war sie sowohl Ventha als auch Manthala absolut dankbar für diese Möglichkeit, ihrem Raben noch einmal nahe sein zu können, ihn zu spüren, wie noch nie zuvor. So intensiv, so mächtig und so entschlossen, dass es ihr allein dadurch schon sämtliche Säfte in die Körpermitte geschossen hätte, wenn ihr Leib noch dazu fähig gewesen wäre.
Erstaunlicherweise aber tat ihr sein Eindringen nicht weh, obwohl er sie kaum darauf vorbereitet hatte, abgesehen von seinem atemberaubenden Anblick. Es hätte sie jedoch, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, nicht wirklich gestört, denn ihr war gerade nichts so wichtig wie der Umstand, ihn mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten spüren zu können. Dafür war sie vieles bereit in Kauf zu nehmen.
Umso angenehmer und erregender war es nun für sie, während sie Arme und Beine um ihn geschlungen hatte und versuchte, ihn so lange wie möglich festzuhalten. Nie, nie wieder wollte sie ihn loslassen müssen!
Soweit sie es konnte, versuchte sie, ihm entgegen zu kommen, zu erwidern, was er ihr gerade schenkte und ihn zugleich dazu zu animieren, niemals wieder damit aufzuhören. Selbst seinem Wunsch, ihr noch mehr von sich zu schenken, wollte sie nur zu gerne erfüllen und ihm das auch mitteilen. Mit Worten, die sie sonst noch nie gewählt hatte, weil... nun ja, weil sie es nicht gekonnt hatte. Es war ihr nicht über die Lippen gekommen, da ihr das Bewusstsein für ihre Gefühle für ihn gefehlt hatte.
Die letzte Zeit allerdings hatte sie mit viel Nachdenken verbracht und dabei so einige neue Ansichten gewonnen oder zumindest erkannt, die es jetzt galt, auch kund zu tun. Doch er... er glaubte ihr nicht! Einen Moment lang zuckte sie wie unter einem Peitschenhieb zusammen und fühlte große Enttäuschung in sich aufsteigen, während ihr ein Wimmern entkam, weil er ihren Leib mit seinem Innehalten regelrecht quälte.
Dann aber wurde ihr bewusst, dass es gar nicht anders hatte kommen können. Wie denn auch? Er hatte ihre Entwicklung seit ihrem törichten Handeln nicht miterlebt, war nicht dabei gewesen, als Ventha erschienen war, und wohl auch nichts von dem Kapitän über sie hören wollen... oder können, denn der hatte ja sowieso nur das Gör im Sinn.
Traurigkeit löste die aufkommende Enttäuschung ab, als sie langsam ihre Arme von seinem Schultergürtel löste und nach seinen Wangen griff. Entgegen ihrem Liebesspiel strich sie mit beiden Daumen sanft über seine Wangen und spürte, wie einer Erinnerung gleich eine Träne aus ihrem Augenwinkel trat und ihre leblose Haut hinunter lief. "Nein, habe ich nicht getan, weil ich es nicht besser wusste...", gestand sie ihm und suchte seine Lippen für einen liebevollen Kuss.
"Jetzt würde ich am liebsten nie wieder damit aufhören, Liebster!", fuhr sie, dicht an seinem Mund, fort, ehe sie ihn wieder mit allen Gliedmaßen umschlang und sich so eng wie möglich an ihn klammern wollte. Dabei entkam ihr noch eine andere Bemerkung, die er ebenfalls ablehnte.
Erneut hob sie den Blick und konnte diesmal auf jene beiden Perlen sehen, die sie ihm in ihrem verzweifelten Bestreben, einen Abschied zu schicken, vermacht hatte. Ein trauriges und zugleich warmes Lächeln umspielte ihre Lippen. "Doch, für mich bist du perfekt, Corax.", hauchte sie und hob ihren Kopf soweit an, dass sie sich mit der Stirn an seinen Kiefer drücken und ihr Gesicht in seiner Halsbeuge verbergen konnte.
Wie lange sie in dieser Haltung verblieben wäre, wusste sie nicht. Er jedenfalls bewegte sich, sodass ihr eigener Kopf zurück sank und sie sein Lächeln erkennen konnte. Mit Freuden empfing sie seinen Kuss und wollte die Trauer in ihrem Inneren davon weggespült wissen. Wenn nur seine Worte nicht gewesen wären...
Sie blickte zu ihm hoch, öffnete ihren Mund, um einen weiteren Versuch zu wagen, ihn davon zu überzeugen, dass sie echt war, als er seine Hüfte bewegte. Schlagartig leerte er damit ihren Verstand und bescherte ihr jenes Hochgefühl von vorhin, das sie laut und hingebungsvoll aufstöhnen ließ. Ein Wort drang dabei an ihre Ohren, das er keuchend wiederholte und sich auf diese Weise hinein zu steigern schien.
Bis es auch ihr über die Lippen kam, unbewusst und dennoch so voller Sehnsucht nach ihm, das es ihr das Herz zu zerreißen drohte. "Nimmermehr... hör nimmermehr auf!", flehte sie ihn an und spannte alles in ihrem Körper erneut an, um ihn an jeglicher Flucht zu hindern.
Als er plötzlich dieses eine Wort laut stöhnte und so kräftig in sie stieß, dass sie das Gefühl hatte, er wollte sie gänzlich pfählen. In diesem Moment auch schoss etwas heiß und tief in sie hinein, das sie so nicht kannte und ihr trotzdem ein absoluter Genuss war. Bebend für Lust und vor allem fehlender eigener Befriedigung klammerte sie sich an ihn und schluchzte lautlos auf, als sein Wispern an ihr Ohr drang.
Doch ehe sie darauf reagieren konnte, verschwand sein Körper plötzlich von ihr. Weg war der Druck auf ihr, in ihr und Arme wie Beine klappten wie die leblosen Glieder einer Marionette, der man die Seile durchtrennt hatte, auf sie herab. "Nein...", wimmerte sie, als die Kälte sie umfing und ihr umso deutlicher bewusst machte, dass es vorbei war.
"Nein!", schluchzte sie lauter und schlang nun ihre Arme um sich selbst, während sie sich zur Seite rollte und die Beine anzog, um sich so klein wie möglich zu machen. Wäre sie jetzt noch am Leben, heiße Tränen der Verzweiflung würden wie Sturzbäche über ihre Wangen laufen, während sich ihr Schluchzen immer weiter steigerte und sie heftiger durchzuschütteln schien, als er es zuvor vermocht hatte. "Corax... Lass mich nicht allein...", stammelte sie mehrfach und mal mehr, mal weniger verständlich.
Um irgendwann in einem Ausruf vollster Verzweiflung zu enden, als sie aus Leibeskräften schrie:"Ventha, ich flehe dich an, bring mich zu ihm zurück!" Ehe sie wimmernd wieder in sich zusammen sackte und sich kaum beruhigen konnte.
Wie denn auch? Ihr Vorhaben, ihm den Abschied von ihr zu erleichtern, war vollkommen fehlgeschlagen. Ja, im Gegenteil, sie hatte sich dadurch selbst nur neuerlichen Qualen ausgesetzt, weil sie diesen Verlust nur noch weniger ertragen konnte. Die Sehnsucht drohte sie regelrecht zu zerreißen, während in ihrer Verzweiflung zu unsagbaren Dummheiten bereit wäre, wenn sie am Ende wieder leben dürfte, um bei ihm zu sein.
Wobei sie einen großen Fortschritt in ihrer Entwicklung tatsächlich nicht zunichte machte, indem sie sich wünschte, er wäre bei ihr. Nein, sie wollte zu ihm zurück, denn er sollte weiterhin leben! Und sie wollte es auch wieder...
Wieso gab es dieses Mal kein goldenes Kettchen, das ihr den Weg zurück finden helfen würde...?
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Freitag 18. November 2022, 17:24

Träume sind Schäume und manchmal zerplatzten sie wie die zugehörigen Seifenblasen. Corax zersprang zwar nicht und es gab auch kein ploppendes Geräusch, aber er verschwand dennoch schlagartig aus Azuras Armen. Er löste sich einfach auf, wirkte selbst im Moment seines Höhepunktes erschreckt und konnte ihn nur spärlich zu Ende bringen, da war er auch schon fort. Eine unbefriedigte Tote blieb zurück. Noch immer fühlte sie das dumpfe Pulsieren in ihrem Schoß, den er mit so viel Leidenschaft erobert hatte. Schmerz war gänzlich fern geblieben, aber das gehörte doch auch zum Reich Manthalas hinzu. Im Traum empfand man keinen Schmerz, jedenfalls keinen Physischen. Vorher erwachte man, falls dieser bis in den Schlaf eindrang. War Corax erwacht? Hatte er sich verletzt?
Auch Azura erwachte, gewissermaßen. Die Reise in einen fremden Traum dauerte nur so lang an, wie der Traum selbst existierte. Erwachte sein Schöpfer, zerbrach auch das Gebilde und so fand sie sich in den Laken ihres majestätischen Bettes des ewigen Palastes wieder, in denen sie sich zur Ruhe gelegt hatte. Azura rollte auf die Seite, gequält von ihrem Verlust und nicht beendeten Scheitelpunkt aller Ekstase. Ihr gesamter Leib zitterte und wie ein Mantra wiederholte sie ihr Flehen, Corax mochte sie nicht allein lassen. Aber er war nicht hier.
Die Verzweiflung wuchs, ebenso wie ihre Sehnsucht. Sie hatte doch versucht, ihn zu verabschieden, damit er sie vergaß und nun war es Azura, die es nicht konnte. Im Gegenteil, nie zuvor hatte ihr Herz ihn so sehr vermisst wie jetzt. "Ventha, ich flehe dich an, bring mich zu ihm zurück!"
Eine Göttin erhörte sie. Azura spürte es zuerst, als ein Punkt hinter ihrer Stirn seltsam zu prickeln und kribbeln begann. Sie war mit diesem Gefühl bereits vertraut, doch musste erst die steinerne, kleine Möwe sich vom Rest des magischen Handspiegels lösen, damit sie darauf aufmerksam wurde. Frech pickte sie mit ihrem steinernen Schnabel gegen Azuras Stirn. Es schmerzte nicht sonderlich. Vielmehr war es die anhaltende Penetranz, dass man das erwachte Tier irgendwann nicht einfach ignorieren konnte. Sobald Azura ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte, legte die Möwe den Kopf schief, um sie aus einem steinernen Auge genau zu betrachten. Es war weder ihr vogelähnlicher Laut noch irgendeine Stimme. Sie gab nichts von sich. Dennoch konnte Azura Venthas Rauschen in ihrem Geist wahrnehmen. Oh, und wie sie rauschte. Ihre kraftvolle Stimme stürmte über die Verstorbene hinweg.
"Dein tiefer Glaube an mich ist schön und gut, aber ich kann nicht alle fünf Minuten nach dir sehen kommen. Weißt du überhaupt, was eine Göttin wie ich den ganzen Tag zu tun hat? Ich muss Weltmeere bewegen und Winde herausbeschwören, damit ihr überhaupt ansatzweise eine Chance zum Überle... oh ... naja, du nicht mehr." Der wilde Wellengang ihrer Stimme legte sich und Azura hatte das Gefühl, als strich ein Wind nun sanft über ihren Arm hinweg. "Du bist tot. Wir haben beide um eine Rettung gekämpft, aber verloren. Daran lässt sich nun nichts mehr ändern. Auch ich muss mich dem Leben selbst fügen." Das Bett, in dem Azura lag, schien sich zu bewegen. Es wiegte sie und die Matratze fühlte sich an, als sei sie mit Wasser gefüllt. Sie war es! Was immer Ventha gerade bewirkte, Azura konnte wie durch Glas in die Tiefen ihrer Unterlage schauen. Sie entdeckte kleine Fische, Muscheln und weißen Sand am Grund, auf dem ein Krebs soeben Schutz zwischen einigen Korallen suchte. Das Bild erinnerte sie an die Zeit zurück, da Corax ihr eine Fischflosse gegeben hatte, damit sie beide Wesen der Meere hatten sein können.
Die sanften Wogen ihres Wasserbettes lockten zum Verweilen und lullten ein. Die Steinmöwe aber piekte erneut mit ihrem Schnabel. Ventha sprach wieder: "Überhaupt müsstest du dich an Lysanthors Schwester wenden. Ich habe betteln müssen, dass sie dir Zutritt in den Traum gewährt." Ein Zögern. Dann peitschte eine eiseskalte Welle durch Azuras Geist: "Wenn du das jemandem verrätst, werde ich nie wieder zu dir kommen." Schon kehrte Ventha in ihren ruhigeren Zustand zurück. Die Göttin zeigte sich mit einem Mal entsetztlich launenhaft. Offenbar schienen auch ihr die Umstände um eine so gläubige Seele nicht ganz zu passen ... oder aber sie hatte wirklich Wichtiges zu tun, von dem Azura sie gerade abhielt.
"Manthala bestätigte mir, dass sie dir vielleicht erneut kleine Traumbesuche gewähren wird. Aber die Göttin ist eine Händlerin und erwartet stets eine Gegenleistung. Ich werde nicht noch einmal betteln. Jetzt liegt es an dir. Sieh zu, dass du etwas findest, das man ihr anbieten kann. Sie ist zum Glück nicht allzu wählerisch und ich hab vom Springbrunnen aus gehört, dass du einmal ihren Namen sagtest. Bis dein Herzblatt wieder schläft, wird Zeit vergehen. Nutze sie ... und mit den Gezeiten kehrst du für einen neuen Traum zu ihm zurück. Bis dahin..."
Die Möwe hüpfte zu dem steinernen Wasser, das den Handspiegel bildete. Sie schob das Kleinod auf Azuras Hand zu, hopste erneut auf den Uferrand und reckte den Kopf gen Spiegelfläche. Dann war sie still. Auch das Prickeln hinter Azuras Stirn verschwand. Dafür konnte sie wieder einen Blick in das magische Spiegelwasser werfen und dort sich selbst sehen ... und Corax, der von Caleb erst von ihrem halb entblößten und benutzten Leib heruntergezerrt wurde, nur um dann eng von ihm umarmt zu werden. Auch das Gör war anwesend. Und Azura lag totenbleich auf dem Tisch, Rock und Unterröcke hochgezogen, dass man ihr blankes Heiligtum sehen konnte. Es glänzte nicht so feucht wie in Corax' Traum, trotzdem machte es den Anschein, als hätte es jemand erobert. Ein milchiger Fleck auf dem Rüschenstoff verriet auch, dass der Lustmolch wahrlich seine Freude an ihr gehabt hatte.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Freitag 18. November 2022, 21:33

So schnell, wie sie ihn endlich wieder gefunden hatte, war er auch schon wieder verschwunden. Aufgelöst, einfach so, bevor sie mit ihm wirklich hatte reden können! Zurück ließ er eine verzweifelte junge Frau, der dadurch umso klarer geworden war, was sie durch ihre unbedachte Tat verloren hatte. Vollkommen aufgelöst machte sie das einzige, das ihr in diesem Moment einfiel, sie rief nach jener Göttin, der sie sich bislang verbunden gefühlt hatte.
Immer und immer wieder wiederholte sie jene Worte, ihr Flehen an Ventha, wimmerte sie des Öfteren auch kaum verständlich, während sie sich selbst umschlungen hatte mit ihren Armen und schluchzend in dem viel zu großen Bett lag, das niemand mit ihr teilte. Vor allem er nicht!
Irgendwann spürte sie ein Kribbeln auf ihrer Stirn, wie schon manch anderes Mal, seit sie von der Göttin dort berührt worden war mit deren Lippen. Doch noch war sie viel zu sehr in ihrer Verzweiflung und Sehnsucht gefangen, als dass sie es wirklich wahrnehmen wollte. Wie ein Häuflein Elend lag sie nicht nur da, sondern schien sich regelrecht in ihrem eigenen Leid zu suhlen, als müsse sie es tun, um noch mehr Mitleid zu erregen... und auf diese Weise ihren Willen zu bekommen.
Es bedurfte eines Vogels, wenngleich keines Raben, um sie irgendwann soweit heraus zu holen, dass sie endlich aufmerkte. Blinzelnd und schniefend wischte sie sich undamenhaft mit dem Handrücken die Nase, unerheblich davon, ob dort etwas herausgekommen wäre oder nicht. Da vernahm sie auch das Rauschen wie von einer Brandung bei leicht windigem Wetter. Nicht übermächtig laut, aber auch alles andere als gemächlich und sanft.
Kurz darauf ertönte auch die inzwischen vertraute Stimme, die sie... was? Tadelte? Tröstete? Azura war sich nicht sicher, was sie von diesen Worten halten sollte, die sie erneut blinzelnd ließen. "Aber... aber...", stammelte sie und wurde von dem Anblick, den ihr ihre Unterlage plötzlich bot, prompt abgelenkt.
Keuchend starrte sie einige Sekunden lang auf die Szenerie, bis... bis auch diese sie ebenso an Corax und die gemeinsame Zeit unter Wasser erinnerte. Ein weiteres Schluchzen kroch ihr die Kehle hoch und sie schlug die Hände vors Gesicht, um nichts mehr sehen zu müssen.
Doch die Göttin war noch nicht fertig mit ihr, sondern fuhr fort und machte ihr... Vorwürfe?! Unwillkürlich hielt sie inne und hörte trotz allem seelischen Schmerz weiterhin zu, während ihr Kopf wie leer gefegt wirkte und sie zu keiner Erwiderung in diesem Moment fähig war.
Und dann verabschiedete sie sich... einfach so, ohne auf eine Antwort überhaupt auch nur im Ansatz zu warten! Die junge Frau fühlte sich, als hätte sie einen Schlag gegen die Schläfe bekommen und wäre noch ganz benommen.
Ihre Hände sanken langsam herab, rechtzeitig genug, um die Möwe dabei beobachten zu können, wie sie ihr den kleinen Spiegel wieder zuschob und sich dann auf den ursprünglichen Platz zurück begab. Ihr Blick fiel auf die Fläche und sie konnte sehen, was an Bord des Schiffes geschehen sein musste.
Was zum...? Ihre Augen weiteten sich, als sie begriff, was ihr Rabe getan hatte und dabei auch noch erwischt worden war. Schlimmer noch, da gab es einen Fleck, der sie stark an das Gefühl erinnerte, das in sie geschossen war, ehe er sich aufgelöst hatte. Während in den heißen Quellen damals...
Wie eine Flutwelle schoss die Wut in ihr hoch, dass sie nach dem erstbesten griff, das sie zu fassen bekam, was unglückseligerweise der Handspiegel war. Mit einem lauten Zornesschrei warf sie das Ding weit weg und hätte vermutlich unbeschreibliches Glück, wenn das kleine Dinge unbeschädigt bleiben würde.
Dann aber hielt sie nichts mehr in dem Bett, sodass sie sich auf die Beine kämpfte und wie ein wildes Tier schnaubend umher zu tigern begann. "Traum... Ich soll mich mit einem Traum zufrieden geben? Einem elendigen Traum, in dem er mich nicht einmal für echt hält? Das soll alles sein?!", fauchte sie und schnappte sich die nächste Vase auf ihrem Weg, um diese ebenfalls mit einem lauten Schrei von sich zu schleudern.
"Ich will keine Träume, ich will leben!", schluchzte sie auf und hielt bei einem filigranen, teuren Stuhl inne, weil sie das Gefühl hatte, als würde ihr schwindelig werden und sie andernfalls das Gleichgewicht verlieren. Sie starrte auf die gepolsterte Sitzfläche, versuchte, sich zu beruhigen, indem sie bewusst und vollkommen unnötig ein- und ausatmete und wieder ein... und wieder aus... und... Mit einem beinahe schon ohrenbetäubenden Krachen schlug der Stuhl gegen die Kamineinfassung und es war ihr absolut gleichgültig, welche Zerstörung sie hier anrichtete.
"Warum?", schrie sie in die Leere ihres Gemachs und stampfte mit dem Fuß auf, wie ein kleines Kind. "Das ist nicht fair! Ich habe das letzte Spiel geführt, ich habe gewonnen! Warum darf ich nicht zurück?! Was..." Sie brach ab und entsann sich des Umstandes, das in den letzten Tagen nicht nur sie und der vermaledeite Kapitän gestorben und letzterer wieder auferstanden war. Nein, noch jemand hatte dieses Wunder vollbracht...
Azura ballte die Hände zu Fäusten und knirschte einen Moment lang mit den Zähnen, dass sie die deutliche Erinnerung von schmerzenden Kiefern erfüllte. "Warum Corax? Warum der unverschämte Kerl? Warum dürfen die zurück und ich nicht?! Und das mit dem freiwilligen Springen gilt nicht, den verfluchten van Tjenn hat ja auch keiner dazu gezwungen! Das ist nicht fair!", schimpfte sie weiter und begann erneut mit ihrer Wanderung, als wolle sie ihren Weg in den Teppich trampeln.
Sie verstand es nicht, es war absolut ungerecht, sie hier versauern zu lassen, während die anderen... Warum durfte das Gör glücklich werden und sich freuen? Wieso war das dem verdammten Kapitän erlaubt, der doch an allem eigentlich schuld war?! Er hatte sie schließlich soweit getrieben, dass sie alle von sich erlösen wollte, indem sie sprang! Ohne ihr wäre er noch immer hier und hätte haushoch verloren! Und wie wurde ihr das gedankt?!
Noch eine Vase kam ihr in die Quere und wurde geworfen. Dann jedoch erlosch die Energie kurzfristig und sie sackte zu Boden. "Ventha... ich weiß, dass du mich hörst! Wieso hast du mich aufgegeben? Wieso hast du nicht weiter gekämpft?! Wasser findet doch immer seinen Weg...", rief sie anklagend und hielt inne, als ihr dieser Gedanke kam.
Blinzelnd starrte sie vor sich auf den Teppich, ehe sie erneut das Wort ergriff. "Schlupfloch... Es muss doch irgendwie ein Schlupfloch geben! Seit wann lässt du dich von irgendetwas aufhalten? Es sei denn..." Es sei denn, sie wäre es nicht wert... nicht wert, dass sich eine Göttin noch mehr für sie engagiert und ihr die Lösung präsentierte, die sie für ihren Wunsch bräuchte. Den Wunsch, in ihren Körper zurück zu kehren und wieder zu leben, richtig zu leben! Und nicht nur in einem Traum auftauchen, wenn eine andere Göttin ihr gnädig gestimmt wäre... oder von ihr sonst etwas verlangen würde als Gegenleistung, in dem sie ohnehin für ein Hirngespinst gehalten wurde!
Wobei... Die junge Frau erstarrte, als ihr ein Gedanke kam. Wäre das vielleicht... möglich? Würde das ihr Dilemma lösen? Aber... so etwas gab es doch nur in Geschichten! Obwohl... Sie hatte so viel erlebt seit dem Überfall auf ihre Heimat... Warum also nicht? Wenn sie es schaffte, in einem Traum zu erscheinen... warum könnte sie, mit der richtigen magischen Hilfe, nicht auch eine Botschaft in einen anderen Traum senden?
In einen, der in der Vergangenheit stattgefunden hatte, um ihr selbst eine Warnung zukommen zu lassen. Eine, die sie davon abhalten würde zu springen! Und wenn das gelingen würde...
Was dann? Würde sie sich auflösen? Würde sie mit jenem anderen Ich verschmelzen? Egal, was auch immer, sie wäre dann bei ihrem Raben, wäre nicht von ihm getrennt und könnte mit ihm tun, was sie beide sich wünschten! Nur... wo könnte sie solch ein Wissen finden?
Sie blinzelte und kam langsam wieder auf die Beine. Bibliothek... Hier gäbe es womöglich eine Bibliothek, oder? Es würde sie wundern, wenn nicht. Und... war sie nicht um Lektüre gebeten worden? Ja, also müsste es diesen Ort geben! Mit welchem Inhalt? Egal, und wenn sie jedes einzelne Buch herausholen und durchblättern müsste.
Sie wollte und würde eine Möglichkeit finden, irgendwie... irgendwann! Abrupt drehte sie sich um, kümmerte sich nicht um das Chaos, das sie angestellt hatte, und wollte zügig in jenen anderen Raum marschieren, um ihr Vorhaben so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen. Denn sie würde es nicht länger auf sich sitzen lassen, dass andere bevorzugt wurden und sie das Nachsehen hätte! Nein, nicht mit ihr, Azura van Ikari, nicht mit ihr!
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Sonntag 20. November 2022, 01:45

Der Göttin Ventha zu dienen - ob aktiv oder nur im Glauben - war nicht leicht. Man musste ihre Launen ebenso aushalten wie akzeptieren, denn sie wechselte diese wie das Wetter die Aussicht. Wo zuvor noch ein strahlend blauer Himmel Lysanthors Sonne mit Wohlwollen präsentierte, konnte binnen Minuten ein heftiger Sturm aufziehen und das nur, weil Ventha als Geliebte des Sonnengottes es manchmal einfach nicht ertrug, dass ihr Herzblatt den Sterblichen mehr Aufmerksamkeit schenkte. Dann handelte sie ... wenig göttlich. Auch jetzt schien es fast, als hätte sie es auf Azura abgesehen, um sie mit Vorwürfen zu überhäufen.
Doch tatsächlich...

"Sie schöpft langsam Verdacht."
Die anderen Anwesenden erwiderten mit Schweigen.
"Sie ist tiefer gläubig als mancher Seefahrer. Sie kennt mich. Natürlich weiß sie, dass ich mehr Macht besäße."
"Er kann nicht jeden zurückschicken", entgegnete das Kind mit der Laterne und streckte sich, um ihren Worten durch ihre innewohnende Erfahrung mehr Ausdruck zu verleihen. So strich die junge Frau das seidige Haar hinter das Ohr und gab die Spitzen ihres blanken Busens frei. Die Launische ließ sich davon nicht beirren. "Sie bereut. Wir sollten ihr-"
"Wenn er jeden zurückschickt, ist alles wertlos, was ihn ausmacht. Und deine Gläubigen wertschätzen dann auch dich nicht mehr. Warum sollten sie ein höheres Wesen anbeten, wenn sie selbst höhere Ewigkeit besitzen? Schmerz, Leid und Tod werden belächelt. Lebenslange Liebe, Treue und die Wärme an verlorene Erinnerungen verblassen in Bedeutungslosigkeit." Der schlanke Frauenkörper verlor an Glanz und Farbe, ebenso wie an Größe. Selbst die Laterne in der Hand wirkte nun runzlig, als die Gestalt die Optik einer gebeugten Frau annahm. Immer noch war sie nackt, schämte sich weder ihrer Falten, noch Warzen oder hängenden Brüste. Aber das ergraute Haar bedeckte ohnehin das meiste, was einst anziehend gewesen war. "Ihr Götter müsst noch so viel lernen, denn ihr seid noch so jung."
"Schick sie einfach zurück, ich bitte dich. Sie hat gezeigt, dass sie lernwillig ist und es war ein Fehler von ihr. Es war menschlich. Du schätzt das Menschliche, das weiß ich."
"Ich schätze alles Leben", entgegnete die Alte. Sie ächzte, so dass der Knöcherne an ihrer Seite seine Hand reichte. Leben hielt sich an den blanken Fingern fest und lächelte. "Hab Vertrauen, Herrin der Meere. Beruhige den Sturm. Lerne Geduld ... oder..."
"Oder was?"
"Dir bleibt immer noch, ihr Leid zu beenden. In deinem Reich wird sie das erhalten, was sie erbat. Sie wird ein Teil von dir."
Ventha verschränkte die Arme und blickte skeptisch auf Azura hernieder, die in ihrem Palast der Ewigkeit die Stille vertrieb, indem sie Vasen und Stühle warf. Die Göttin engte die Augen. "Ich bezweifle, dass es das ist, was sie wirklich will."

Azura hatte ein Chaos hinterlassen. Damit wusste sie, dass sie wirklich gestorben war. Zu Lebzeiten wären längst einige Diener aufgetaucht, um die Scherben zu beseitigen. Anschließend hätte ihre Mutter nach ihr gesehen, den Kopf geschüttelt und gemahnt, dass sie die Standpauke ihres Vaters nicht abfangen würde und das Kind da allein durch müsste. Dann hätte sie mit flauem Magen auf das Erscheinen ihres Vaters gewartet, nur um vor ihm in Tränen auszubrechen und unter Wut zu erklären, warum sie ihren Frust hatte am Moliliar ablassen müssen. Ihr Vater hätte sie dann seine kleine, zornige Prinzessin genannt, ihr Haar gestreichelt und ihr zur Beruhigung irgendeine Süßigkeit oder ein neues Paar Schuhe für den nächsten Tanzball geschenkt. Einmal war er mit ihr sogar auf die Jagd ausgeritten, damit sich ihr geplagtes Herz beruhigen könnte.
Hier, in ihrem Palast, erschien niemand. Nicht einmal Corax, um ihr einen denunzierenden Spruch an den Kopf zu werfen ... oder sie zu küssen ... zu lieben... Letzteres tat er, wie sie mit einem Blick in ihren magischen Spiegel feststellen musste. Im Traum hatte er offensichtlich gehandelt und sich ihres Körpers bemächtigt. Jetzt war er zurückgeholt worden und natürlich hatte der Störenfried van Tjenn dafür gesorgt, dass ihr liebster Rabe nicht noch länger von ihr umschlungen hatte sein können. Die Wut ebbte nur langsam ab, suchte sich aber ein neues Ventil. Es waren ohnehin sämtliche Vasen des Raumes zerstört. Trotzdem schmerzten ihre Füße nicht, als Azura einfach über die Scherben hinweg schritt. Sie schnitt sich nicht einmal die Haut auf. Wozu auch? Sie war tot. Alles, was Leben ausmachte, war hier bedeutungslos und das nahm den Antrieb, weitermachen zu wollen. Irgendwann würde es auch sie so sehr einholen, dass der Gevatter ihr ein allerletztes Mal erscheinen sollte. Dann würde er ihren Rest Dasein mit der Sense zerreißen und ihre Seele so von der Welt trennen. Sie würde zum Strand seines Reiches zurückkehren, eins mit dem Sand werden und Anteile von ihr würden eines Tages irgendjemandes Zeit füllen. Aber nicht jetzt und nicht heute.
In Azura keimte eine Idee. Sie konnte also in Corax' Träume eintauchen, um ihn zu sehen. Ob er sie dabei für echt hielt oder nicht, blieb einmal dahin gestellt. Sie hatte es vollbracht, warum also nicht auch in andere Träume gehen? In ihre eigenen? In Vergangene, um eine Warnung auszusprechen? Oh, sie musste herausfinden, ob das möglich wäre. Da sie niemanden um Rat fragen konnte - die Ank fielen raus, sie erinnerten sich nicht einmal an Manthala - beschloss sie, deren kleine Information aufzugreifen und nach einer Bibliothek zu suchen. Es musste hier doch eine geben! Es war Azuras Palast der Ewigkeit. Hier würde sich alles nach ihren Wünschen richten - fast alles. Eine Bibliothek war in jedem Fall drin und so spürte sie regelrecht, dass sie auf dem richtigen Weg war, als sie das Schlafzimmer verließ und die lange Halle entlang schlenderte. Tageslicht schien durch die Fenster, zusammen mit dem salzigen Duft der andunischen Küste, den sie so liebte. Der Wind bauschte die seidenen Vorhänge auf, dass sie nach Azuras Knöcheln griffen, aber die Tote huschte an ihnen vorbei, ohne berührt zu werden. Dann fand sie sich vor der großen Flügeltür wieder. Dahinter befand sich die Bibliothek. Sie wusste es. Trotzdem hätte sie niemals erwartet, dass sie so groß wäre.

Inspiration (Bild 1) | Inspiration (Bild 2)

So weit das Auge reichte, reihten sich gefüllte Regale an holzvertäfelte Wände. In Abständen von einigen Metern und mit Säulen aus aneinandergestellten Bücherregalen fanden sich schwere Eichentische und -stühle. Treppenaufgänge führten in die verschiedenen Bereiche der Bibliothek, die sowohl nach Themen als auch Autoren sortiert zu sein schienen. Kerzen spendeten dem Leser etwas Licht, während gewaltige Kronleuchter mit Kristallgläsern in Mehrfachschliff das Licht so weit in den Raum reflektierten, dass eine angenehme Atmosphäre vorherrschte. Am Ende dieser monströsen Halle fand sich eine Nische, von der Azura wusste, dass sie allein für sie existierte. Es war der perfekte Ort zum Schmökern. Sie hatte die Wahl, ob sie sich an den goldenen Prunktisch mit seinen Polsterstühlen setzte, um eifrig zu studieren oder ob sie es sich in einem der bequemen Ohrensessel gemütlich machte. Letztere boten den direkten Blick auf drei riesige Fensterfassaden, die die wohl schönste Aussicht boten, um ihr Herz höher schlagen zu lassen. Wie schon eben erst in ihrem Schlafzimmer zeigte ein Blick aus den Fenstern die bunte Unterwasserwelt eines Korallenriffs mit Muscheln, Krebsen, Fischschwärmen, einer Schildkröte und sogar einem Hai, der im Hintergrund seine Bahnen zog.
Kerzen unter gläsernen Lampenhauben verströmten diffuses Licht. Runde Globen im Raum zeigten Celcia, aber auch andere Welten, die Azura gänzlich unbekannt waren. Auf einem kleinen Rollwagen konnte sie nach Gebäck und Tee greifen oder sich an einem anderen mit einem Glas Alkohol genüsslich tun. Für ihren Geschmack war alles dabei.
Die gesamte Bibliothek roch nach gut geöltem Holz, den dicken Blättern unzähliger Bücher, ein wenig nach Staub und verbranntem Holz, das von den vielen Kaminen herrührte, die die Halle beheizten. Ihre Schritte hallten unnatürlich laut von Holzboden wider. Direkt neben dem Eingang wartete ein Paar flauschiger Pantoffeln auf sie, falls sie es vorzog nicht barfuß unterwegs zu sein. Bei jedem Regal, das sie passierte, glaubte Azura, die Papiere der Buchseiten rascheln zu hören. Sie flüsterten ihr zu, es sich mit ihnen auf ewig gemütlich zu machen. Es gäbe so viel zu lernen, zu lesen und sich abzulenken. Denn nicht nur Wissen könnte sie sich hier einverleiben, sondern auch Kurzweil, wenn sie einen Liebesroman aufschlug oder es sich mit einer schlüpfrigen Komödie gemütlich machte. Nur wie sollte sie in diesem großen Angebot nur finden, wonach sie suchte? Auch hierauf hatte ihr Geist instinktiv eine Antwort, denn wie von allein leiteten ihre Füße sie zu einem Podium. Auf dem hölzernen Buchständer mit Schreibablage fand sich ein aufgeschlagenes Buch. Seine Seiten waren leer, aber Tropfen von Tinte, sowie durchgestrichene Worte auf der aufgeschlagenen Seite kündeten vom Nutzen dieses Schriftstückes. Wer zur Feder griff und einen Eintrag nach dem Themengebiet verfasste, über das er lesen wollte, sollte belohnt werden. Drei durchgestrichene Wörter fanden sich bereits in dem Buch.

Botschaft
Traum
Corax
Schriftrolle Fuss
Wer immer die Worte verfasst hatte, hatte Azuras Handschrift perfekt imitiert. Nun aber war es an ihr, selbst etwas einzutragen. Eine Bibliothek mit dem Wissen von Welten stand ihr offen. Sie musste nur die richtige Forderung stellen.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Dienstag 22. November 2022, 12:53

Vielleicht war es mit ein Grund für ihre Verehrung für Ventha, dass sie selbst ein seh launenhaftes Wesen sein konnte. Nachdem sie es in ihren ersten Lebensjahren durchaus schwer gehabt hatte, war sie danach von ihrem Stiefvater nach Strich und Faden verwöhnt worden, sodass es für sie rasch zur absoluten Selbstverständlichkeit geworden war zu bekommen, was sie wollte. Das hatte nicht sonderlich dazu beigetragen, ihren Geduldsfaden zu stärken oder andere Charaktereigenschaften, die dennoch in ihr schlummern könnten und sie empathischer machen würden.
Jetzt allerdings... war dieser Faden erst einmal gerissen und so tobte die junge Frau in dem für sie geschaffenen Schlafgemach ungehindert in ihrer wütenden Verzweiflung. Irgendwann in diesem Toben kam ihr auch ein Gedanke, den sie ebenso zornig sofort aussprach und dabei den Vorwurf nicht einmal im Ansatz zurück hielt. Wobei sie davon überzeugt war, dass ihre Göttin das hören würde, denn sie hörte alles und erst recht Dinge, die ihr nicht gefallen würden. "Wo ist dein Schlupfloch, Ventha, wo? Schick mich doch mit einer Aufgabe zurück ins Leben, irgendwas, das ich für dich erledigen soll, wenn dir keine andere Idee kommt! Ach nein, du bist ja keine Händlerin. Vielleicht sollte ich mich wirklich mehr auf eine andere konzentrieren!"
Ob das eine Drohung war, den Glauben zu wechseln? Nein, nicht wirklich, dazu war Azura ihrer Göttin viel zu sehr verbunden, auch unabhängig von ihrer Magie. Aber sie war wütend und vor allem enttäuscht darüber, dass sie noch immer hier festsaß und sich mit Träumen zufrieden geben sollte, sofern sie Manthala etwas zu bieten hätte.
Auch wollten Zweifel in ihr aufsteigen, Zweifel daran, dass Ventha so mächtig wäre, wie sie bislang immer geglaubt hatte, oder dass sie ihr doch nicht so wichtig sein könne, wie es seit ihrem Sprung den Anschein gehabt hatte. Wozu aber dann dieser besondere Segen und die Hilfe, die sie bisher erhalten hatte? Wozu dieser Aufwand, wenn es am Ende ohnehin nur umsonst gewesen war?!
Dass ihr jetzt diese eine, letzte Unterstützung verwehrt wurde, erreichte im Endeffekt genau das, wovor ein anderes Wesen warnen wollte. Die junge Frau begann an Ventha und deren Gaben zu zweifeln. Nicht viel und noch nicht besonders bewusst, jedoch der Keimling war gesät in ihrem Herzen. Dabei hätte sie das Leben und vor allem die Macht ihrer Göttin viel stärker wertzuschätzen gewusst, wenn sie tatsächlich endlich zurück geschickt worden wäre. Schließlich hatte sich das bereits in der kurzen, traumhaften Begegnung gezeigt!
Stattdessen saß sie weiterhin hier fest und tobte, bis ihr Zorn abkühlte, wenn auch nicht verrauchte, und ihr ein anderer Gedanke kam. Ventha wollte... oder konnte ihr nicht helfen, also musste sie es selbst tun! Mit neuem Schwung rauschte sie hinaus und in Richtung der Bibliothek dieses Anwesens.
Zwar begriff sie nicht, woher sie wusste, dass es eine gab, und erst recht nicht, wo diese lag, allerdings steuerte sie direkt dorthin. Als sie allerdings eine der beiden Türen öffnete und eintrat, blieb sie einen Moment lang sprachlos stehen. Niemals hätte sie einen Raum dieses Ausmaßes erwartet! Wäre sie anderer Stimmung... und vor allem, wäre sie nicht tot, sie hätte dieser Ansammlung von Wissen mit mehr Ehrfurcht und Respekt begegnen, sie wertschätzen können. So aber deutete sie ein unwilliges Kopfschütteln an und besann sich auf ihren eigenen Plan.
Nur... wo sollte sie anfangen zu suchen? Gab es womöglich irgendwo ein Verzeichnis oder eine Kartei, in der sie nach Schlagworten sehen konnte, um nicht bei der Fülle an Büchern sogleich zu verzweifeln? Wie, als kenne sie diesen Ort, durchzuckte sie eine Idee und lenkte ihre Schritte, als sie barfuß weiter ging, vorbei an gut bestückten Regalen, die ihr Herz einst hätten höher schlagen lassen. Doch dafür hatte sie jetzt keinen Blick und wollte sich auch keine Zeit dafür nehmen.
Den einzigen Respekt, den sie diesem Platz im Moment erwies, war ihre Beherrschung, denn hier wollte sie nicht wie ein Wirbelwind hindurch fegen. Auch wenn es sie viel kostete, um nicht genauso ungeduldig und wütend bis zu dem Podium zu stampfen, setzte sie ihre Schritte so leise wie möglich.
Endlich kam sie bei dem aufgeschlagenen Buch an und konnte auf jene Seite blicken, auf der drei Wörter standen... in ihrer Handschrift! Wie konnte das sein? Wofür? Und warum waren diese Worte auch wieder durchgestrichen worden?! Azura starrte einige Zeit darauf und konnte sich einfach keinen Reim darauf machen.
Schließlich schüttelte sie den Kopf und besann sich auf ihr eigentliches Vorhaben, denn nur, wenn sie endlich etwas tat, würde sie des Rätsels Lösung hoffentlich auch endlich näher kommen! Also griff sie zur Feder, tauchte sie ins Tintenfass, streifte die überschüssige Flüssigkeit sorgsam ab, bewegte ihre Hand über das Blatt... und verharrte.
Was sollte sie schreiben? Was wäre der richtige Suchbegriff? Rückkehr ins Leben? Oder gar etwas wie Vergangenheit beeinflussen? Oder musste sie sich auf ein einzelnes Wort beschränken, so, wie es zuvor jemand getan hatte, um sie davon Zeuge werden zu lassen?
Während die Tinte Zeit bekam, in der Federspitze zu trocknen, hob Azura ihren Blick und richtete ihn nachdenklich auf die breite Fensterfront, durch die sie hier ebenfalls direkt in ein tiefes Gewässer blicken konnte. Doch sie sah davon nichts, nahm weder das herrliche, sich wandelnde Blau wahr, noch die darin schwimmenden Tiere. In ihrem Kopf arbeitete es und zugleich fühlte er sich unsagbar leer an.
Schon einmal war sie an einem Ort gewesen, ohne zu begreifen, wie sie dorthin gekommen war. Ohnehin fehlte ihr ein Großteil der Erinnerung daran und es war vielmehr ein Gefühl, dass ihr jetziger Zustand eine ähnliche Vorgeschichte hatte. Eine, die anders geendet hatte, dank... dank eines goldenen, dünnen Fadens, dem sie gefolgt war, durch eine seltsame Gegend und über eine Wegstrecke, die absolut unnatürlich lang für solch ein seltsames Ding gewesen war. Bis... bis sie in Venthas zerstörtem Tempel aufgewacht war mit... mit dem Goldkettchen, das sie so lange und unzerstörbar an Corax gefesselt hatte!
Ob er das eigentlich wiederholen könnte? Aber dazu müsste sie es ihm erst einmal sagen, ihn auf diese Idee bringen! Und dann müsste er daran glauben... und sie auch... Denn im Gegensatz zu damals wusste sie nun, dass er ein Schelmenmagier war, das seine Kräfte auf den Schein aufbauten.
Ob stattdessen sie solch ein Band knüpfen und ihrer Seele den Weg ins Diesseits zurück weisen könnte? Nein, ihre Magie war mit dem Element Wasser verbunden und sie keineswegs so stark, um ein derart langes Wasserseil zu knüpfen. Jedoch...
Azura blinzelte leicht, während ihre Hand mit der Feder noch immer über dem Blatt schwebte. Was war eigentlich mit dem Brunnen, über den sie das Gefühl gehabt hatte, mit Ventha kommunzieren zu können? Woher kam sein Wasser? Und wo floss es hin? War er womöglich jenes Schlupfloch, das sie zuvor von der Göttin verlangt hatte zu finden? Könnte sie ihre Form so sehr ihrem liebsten Element anpassen, dass sie gemeinsam damit zurück ins Leben gespült werden könnte?
Nur... was dann? Was wäre, wenn sie es geschafft hätte? Wie käme sie zurück in ihren Körper? Was müsste sie tun, um darin haften zu bleiben und all seine Lebensgeister wieder zu wecken? Würde sie... Nadel und Faden benötigen, wie in einer jener Geschichten, die ihre Mutter ihr früher erzählt hatte, in der ein Mädchen den Schatten eines Jungen eingefangen und an dessen Fußsohlen wieder angenäht hatte? Um mit ihm gemeinsam in dessen Reich zu fliegen, in jenes Land, in dem die Kinder niemals erwachsen werden mussten.
Fragen über Fragen wirbelten in ihrem Kopf umher und noch immer wusste sie nicht, nach welchem Schlagwort sie suchen sollte... oder wen sie um Rat bitten könnte!
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Samstag 26. November 2022, 09:12

Weit, weit über dem Palast der Stille, in dem aktuell wenig Ruhe herrschte, schaute man auf das Treiben der Seele darin herab. Die besten Plätze waren gewählt, auch wenn eine Figur im Besonderen sich erneut für einen knöchernen Lehnstuhl entschieden hatte. Gepufften Mais gab es trotzdem. Den gab es immer. Eine der Schüsseln flog, um an einer nicht vorhandenen Wand zu zerschellen. Puffmais rieselte herab. Irgendwo auf Celcia begann es zu schneien...
"Die göttliche Ruhe", kommentierte eine hohle Stimme, die im eigenen bleichen Schädel widerhallte. Sie wurde mit einem undamenhaften Knurren abgespeist und der Gevatter erhielt doch tatsächlich einen Klaps in den kapuzierten Nacken. Sein Schädel grinste.
"Sei still", schalt ihn Ventha. "Ich verliere eine Gläubige und das nur wegen deiner Spielchen. Wer bist du? Manthala?!"
"Göttliche Perfektion", erwiderte Tod. Er war seelenruhig. Totenruhig. Und er grinste. Seine Knochenfinger haschten nach einem gepufften Maisstückchen, das er sich zwischen die Zähne warf. Wenig später knirschte und quietschte es, als er kaute.
"Oh, du treibst mich zur Weißglut!" Ventha ließ es irgendwo auf Celcia regnen und andernorts stürmen, als sie ihr Gewand aus Ozeanfalten und Meeresrauschen raffte, um mit einem Fuß aufzustampfen. Es donnerte, einmal kräftig, dann war es still.
Der Gevatter ließ sich nicht beeindrucken, denn was sollte sie ihm schon antun? Ihn umbringen? Er aß ein zweites Maiskörnchen, das unter Hitze aufgesprungen und mit Butter und Salz verfeinert worden war. Die süßen Körner mochte er weniger. "Vergiss nicht, es sind deine Spielchen. Wir haben schon Schlupflöcher eingebaut, wie deine Gläubige es verlangt. Allzu leicht möchte ich es ihr nur einfach nicht machen. Leben ... muss man sich verdienen." Tod stellte die Schale Puffmais beiseite und lehnte sich gegen seinen Stuhl. Er überschlug die Beine. Wenn sie nur noch aus blanken Knochen bestanden, sah das reichlich komisch aus, aber er hatte diese Haltung bei einer Adligen entdeckt und wollte sie nun ausprobieren. "Unbequem...", kommentierte er, während Ventha auf eines ihrer Kinder herabblickte, das sich endlich zur Bibliothek aufmachte.
"Was passiert, wenn sie es nicht schafft?"
"Sie hat die Ewigkeit, um es zu versuchen. Gib ihr Zeit."
"Ich würde ihr lieber Geduld geben."
Tod grinste - mehr als sonst. "Keine deiner Tugenden. Du kannst nicht verschenken, was du nicht hast."
Erneut donnerte es, als Ventha verärgert ihre Hacken in den Boden rammte. Aber dann wurde die See ruhig. Gemächlich ebbte ihr Gewand ab und schwoll wieder an, dass all die kleinen Fische darin hin und her gewirbelt wurden. Sie streichelte einen Schwarm mit ihren Fingern. Da erhob der Bleich wieder die Stimme: "Wenn du es aber nicht länger erträgst, kannst du immer noch wegschauen oder..."
"Ich werde mich nicht von meinen Kindern abwenden!", unterbrach sie ihn. Tod nickte. So launenhaft und unberechenbar die Göttin der Stürme auch sein konnte, ihr Herz war groß wie Celcias Gewässer und schlug für jeden noch so kleinen Tropfen ihrer eigenen Meeresherde. Darin war sie groß.
"Oder dir bleibt noch der andere Weg", fuhr der Gevatter fort. Ventha verzog unwillig die Lippen. Tod deutete auf die Bilbiothek herab, in der die Seele sich gerade umschaute. "Die Ewigkeit würde enden."
"Nein, es würde nur eine andere", seufzte Ventha. Tod nickte.
"Vielleicht lässt du ihr die Wahl", schlug er vor.

Azura konnte der gigantischen Bibliothek nicht den Respekt zollen, den sie unter jeglichen anderen Umständen übrig gehabt hätte. Nicht jetzt. Vielleicht ein anderes Mal, denn die Ewigkeit dauerte lang und ständig nur eine Gemütslage zu haben wurde mit der Zeit langweilig. Für's erste genügte es, dass sie auch hier nicht wild Dinge durch den Raum warf. Stattdessen erreichte sie das kleine Podium mit dem aufgeschlagenen Buch darauf. Sie schaute auf die Seiten. Sie erkannte ihre Handschrift und las die durchgestrichenen Worte. Sie verstand nicht, wie diese hatten geschrieben werden können. Azura war es nicht gewesen und doch standen dort einzelne Begriffe, als hätte man sie eingetragen, um im Archiv der Bibliothek nach ihnen zu suchen. Wenn sie sich länger mit ihnen befasste, könnte sie zum Schluss kommen, dass sie doch irgendwie für die Formulierungen verantwortlich war. Sie hatte eine Botschaft senden wollen, ein Zeichen. Sie hatte Teiles ihres Selbst aufgegeben, um Corax kleine Tränen aus weißen Perlen zu schenken. Anschließend hatte sie darum gebeten, ihn im Traum wiedersehen zu können und erneut waren Anteile von ihr dadurch verlorengegangen. Dafür hatte sie etwas Zeit mit ihm verbringen können. Wäre er doch nur nicht erwacht!
Corax...
Sein Name stand als letzter Eintrag im Buch, ebenfalls durchgestrichen. Konnte sie ihn nochmal schreiben? Durfte sie immer nur ein Wort eintragen oder wäre es auch möglich, gezielter Antworten auf niedergeschriebene Fragen zu erhalten? Sie würde es nicht herausfinden, wenn sie nicht schrieb. Aber die in Tinte getauchte Feder schwebte tatenlos über dem Papier, während Azura einfach nur auf das Pergament herab starrte.
Eigentlich hätte die Tinte längst eintrocknen sollen. Trotzdem löste sich ein schwarzblauer Tropfen und senkte sich mit quälender Langsamkeit nieder, bis er losließ und das Papier erreichte. Er durchtränkte die Poren des Materials, tauchte hinein und verteilte sich. Statt eines Fleckes aber streckte sich die Tinte in ungeahnte Bahnen. Sie schwang schöne Formen, bis Azura erneut ihre eigene Handschrift erkannte. Worte entstanden. Dieses Mal waren es mehrere, ein ganzer Satz. Eine Frage.

Botschaft
Traum
Corax


Wünschst du dir das endgültige Ende? Dann heiße ich dich Willkommen.
Schriftrolle Fuss
Ein sachtes Rauschen erregte Azuras Aufmerksamkeit. Es erinnerte sie an die sanften Regengüsse Andunies zur Zeit der Abendsonne. Niemand hasste dieses Nieseln, weil es warm und erfrischend war. Azura liebte es sogar. Sie hatte stets ihren mit Rüschen, Perlen und Schleifen verzierten Sonnenschirm beiseite geworfen, um im Schauer der Brillanten ihrer Göttin zu tanzen. Auch jetzt rieselten sie gleichmäßig hernieder. Neben ihr und dem Podium tropfte Regen aus dem Nichts und nieselte zu Boden, ohne diesen auch nur ansatzweise zu befeuchten. Unten angekommen vergingen die Tropfen in einem weißen Gischtrauschen. Sie klopften an den Fuß einer Pforte, die allein nur durch die Dichte des Regengusses geschaffen wurde und auch nur über ihr nieder tröpfelte. Wo das Licht der Bibliothekslampen und -kerzen auf das Wasser warf, brach es sich und schuf winzige Regenbögen. Die Gischt am Fuß der Pforte schob jene einen kleinen Spalt weit auf, so dass Azura einen sehr schmalen Blick auf das erhielt, was dahinter wartete. Es war ... das Ende. Die Ewigkeit. Einzug in Venthas Reich. Die Göttin hieß sie Willkommen, diesen letzten Schritt zu gehen.
Doch noch ehe Azura es überhaupt in Erwägung ziehen konnte, wurde sie auf etwas Anderes aufmerksam. Die Fensterfront der Bibliothek veränderte sich. Sie bot nicht länger Aussicht auf den Meeresboden eines unbekannten Ozeans mit all seinen Korallen und kleinen Bewohnern, sondern zeigte etwas Anderes. Jemand Anderen. Azura konnte Corax sehen. Er beugte sich zu ihr, blickte auf sie herab. Oh, wie eingefallen seine Wangen waren und wie tränennass! Das Haar wirkte stumpf wie die Federn einer Nebelkrähe und ähnlich ausgefranst hing es an seinen spitzen Ohren vorbei. Voll Kummer schaute er sie an. Dann erfasste ihn ein Schluchzen und er hob die Hände vor seine Augen. Diese schönen Augen, die längst ihren tiefen Glanz verloren hatten. Corax senkte die Finger und der letzte Rest Farbe war aus seinem Blick gewichen. Schwarz waren seine Iriden geworden, so dunkel wie der Rest von ihm. Der Rabe. Der Todesbote. Der Leidbringer, der sich selbst das größte Opfer war.
Er hielt zwei in Ringe eingefasste Rubine in den Händen, die er Azuras toten Fingern anlegte. Dann neigte er sich zu ihren Lippen, um sie mit seinem Atem ein letztes Mal zu erwärmen.
Die Szene wechselte. Azura sah Madiha. Ausgerechnet die Göre stand nun vor ihrem Leib. Jener war nackt. Corax legte ihre Kleidung beiseite. Um sie herum hatte man Kerzen und Laternen aufgestellt. Schalen mit Wasser standen bereit. Madiha zitierte ein Gebet aud Sendli, das selbst Azura ansatzweise bekannt war. Sie hatte das Glück, eine gute Bildung erhalten zu haben, die auch über die eigenen Grenzen hinaus ging und sich mit anderen Kulturen beschäftigte - wenigstens in der Theorie. Das war eine rituelle Waschung, eine sarmaer Tradition. Madiha erwies ihr die letzte Ehre, indem sie ihren Körper rituell reinigte. Und auch Corax vollzog die Waschung. Er beherrschte sie nicht halbwegs so gut wie das Mädchen, doch gab sich große Mühe, alles möglichst richtig zu machen. Gemeinsam tupften sie das Wasser aus verschiedenen Schalen auf ihre Haut und lösten alles, was sie verunreinigte. Anschließend wurde sie in ein paar Tücher gewickelt, bis Corax sie trocknete.
Danach schuf er ihr ein Kleid von wahrer Pracht, wie sie es auf jedem Tanzball hätte tragen und damit Blicke auf sich ziehen könnte. Der Stoff besaß die Farbe ihrer Augen und war überall mit Gold gesprenkelt. Dann zerfiel der Traum einer Garderobe. Der Rabe schluchzte auf und sank vor der Toten nieder, dass Madiha ihn erneut trösten musste. Er konnte es nicht tun. Er konnte die Illusion nicht aufrecht erhalten vor Kummer. So waren er und das Wüstenmädchen gezwungen, Azura wieder in ihre alten Gewänder zu hüllen. Jene, die mit ihr den Weg hinab in Venthas Reich gefunden hatten. Nein, das stimmte nicht. Ihr Reich wartete auf sie...
Als die Szene ein letztes Mal wechselte, gab es nicht mehr viel zu sehen. Holz. Es besaß eine merkwürdige Form. Es war verarbeitet und lag wie ein Deckel auf jenem, der in das Bild selbst blickte. Es bewegte sich leicht, als würde es getragen. Ein ... Sarg?
Erneut erregte etwas Azuras Aufmerksamkeit. Die Feder kratzte über die aufgeschlagenen Seiten des Buches auf dem Podium. Sie schrieb neue Worte, ohne den letzten Eintrag durchzustreichen. Das bedeutete doch, dass er noch gültig war. Sie könnte das endgültige Ende wählen, wenn sie es wollte. Darunter aber bot ihr eine andere Weisung noch einen Pfad an:

Botschaft
Traum
Corax


Wünschst du dir das endgültige Ende? Dann heiße ich dich Willkommen.
Oder du findest, was mir gehört. Wo sonst, als in einer Bibliothek könnte es sein?
Schriftrolle Fuss
"Nicht sehr subtil", kommentierte die hohle Stimme des Gevatters. Er grinste, weil er Ventha mit seinen Worten ein unzufriedenes Grummeln entlockte, dass irgendwo auf Celcia ein sanftes Donnergrollen über das Land rollte. Die Göttin verschränkte die Arme vor ihrem Meeresgewand. "Na und?", schnaufte sie schnippig. "Ich bin all die Geheimnisse leid. Genauer kann ich nicht werden, aber sie wird schon verstehen."
"Und wenn nicht, hat sie die Ewigkeit zu suchen", erwiderte der Gevatter. Puffmais landete zwischen seinen Beißern. "Es sei denn, sie wählt das Portal. Dann ist sie endlich und für immer ein Teil deines Reiches."
"Ja", murmelte die Göttin. Sie klang unzufrieden. Es war nicht so, dass sie ihre Kinder nicht Willkommen hieß. Sie gewährte jedem Einlass in ihre eigene Ewigkeit, der sich im Leben dem Glauben an sie gewidmet hatte und sei es nur für ein einziges Gebet gewesen. Sie wies niemanden ab, denn Venthas Herz war groß. So groß wie der Ozean ihrer Seelen, die sie bei sich beherbergte und es schlug für jeden einzelnen dieser Tropfenschar. Sie würde auch Azura nicht abweisen. Niemals. Sie bedauerte lediglich, wenn es jetzt schon geschah. Es war zu früh, viel zu früh.
"Sie muss den Weg nicht gehen", erinnerte Tod und legte seine Knochenhand auf Azuras Schulter. Die Göttin schaute überrascht auf. "Macht dein Lehrling dich weich?" Sie reckte das Kinn. Tod zog die Hand zurück. Die Knochen waren nun feucht. "Da war nur eine Gräte", erwiderte er und aß dan eifrig seinen Puffmais weiter. Ventha hingegen kümmerte sich nicht mehr darum. Sie schaute auf die Bibliothek herab, gespannt, wofür ihr Kind sich entscheiden würde.

Hinweis: Durchschreitet Azura das Portal in Venthas Reich, wird sie tot sein. Endgültig und unumkehrbar. Denn alles andere würde dem Rollenspiel auf Celcia, dem Reich des Todes und all der Tiefe unserer Welt die Glaubwürdigkeit nehmen. Wenn Azura durch die Regenpforte geht, wird sie Teil von Ventha und damit stirbt der Charakter seinen letzten Tod. Du wärst natürlich eingeladen, dir dann einen neuen Zweitcharakter zu schaffen ... oder du entscheidest dich für einen anderen Weg ;)
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Sonntag 27. November 2022, 10:23

Die junge Frau hätte sich in diesem Raum äußerst wohl fühlen und die Ewigkeit, im wahrsten Sinne des Wortes, hier verbringen können. Wenn... ja, wenn es da nicht etwas gegeben hätte, das sie mehr als alles andere wollte. Ins Leben zurück kehren! Bei Corax sein! Ihn zum Lächeln bringen, ihn glücklich sehen!
Dafür wollte sie alle Hebel in Bewegung setzen und nicht mehr darauf warten, dass ihre Göttin endlich jenes Schlupfloch so gestaltete, dass sie es auch erkennen konnte. Denn sollte es dieses bisher gegeben haben, war es Azura nicht aufgefallen.
Außerdem musste sie einfach etwas tun, der innere Aufruhr nötigte sie regelrecht dazu und verbot es ihr, noch einen Moment lang still zu sitzen. Sie sollte einfach abwarten und dafür geben, was andere von ihr wollten, um dann trotz allem nur den minimalsten Lohn zu erhalten wie vorhin? Nein, das machte sie nicht mit, sie wollte selbst bestimmen!
Also stand sie endlich in der Bibliothek und doch konnte sie hier nicht weiter stürmen, denn das würde ihr nichts bringen. So ungeduldig sie auch oftmals sein mochte, jetzt musste sie innehalten und überlegen, denn das würde sie schneller voran bringen, dessen war sie sich bewusst. Welches Stichwort wäre somit am besten geeignet, um damit zu beginnen?
Sie hatte ein paar Möglichkeiten und wurde zwischendurch sogar durch eine weitere Idee abgelenkt, während sie auf die Meereswelt hinter der großen Fensterfront sah. Bis sie blinzelte und beinahe versucht war, sofort wieder los zu rauschen, um zu dem Brunnen zu eilen und herauszufinden, ob ihr Gedanke richtig sein mochte.
Da drang ein Geräusch an ihr Ohr, das sie unmöglich hören konnte an diesem Ort, und zugleich fesselte es ihre Aufmerksamkeit. Nein, nicht ganz, es lenkte sie und brachte die junge Frau dazu, den Blick endlich wieder auf das Pergament zu senken. Dorthin war ein Tropfen Tinte gefallen und... bildete neue Worte!
Sie stieß ein erstauntes Keuchen aus und ließ die Feder fallen, sodass sich noch mehr Tinte finden konnte, um zu einer Botschaft zu werden. Was...? Wer...? Die Fragen bildeten sich unvollständig in ihrem Gehirn, obwohl sie die Antwort fast greifen konnte, denn die Erkenntnis ruhte bereits in ihrem Inneren. Sie stieg in ihr empor, wie wenn sie selbst sich im Wasser befände und langsam in Richtung des Lichts hinauf glitt, um auftauchen und nach Luft schnappen zu können.
Doch das brauchte sie ja nicht mehr, sie lebte nicht länger... Ein Lichtreflex in ihrem Augenwinkel sorgte dafür, dass sie blinzelnd den Kopf drehte und erneut vor Staunen erstarrte, den Mund leicht geöffnet.
Ihr Blick traf eine kleine Öffnung, inmitten eines Nieselregens, der gemeinsam mit der Beleuchtung wunderschöne Regenbögen schuf. Es war ein herrlicher Anblick, einen, den sie stundenlang bewundern, darin regelrecht versinken könnte, der mal wieder deutlich offenbarte, welch Schönheit in Venthas Gaben innewohnte. Außerdem war da diese Öffnung selbst, jene, die ihr die Sicht auf ein Reich bot, das ihr Herz vor Wonne höher hätte schlagen lassen, wenn es nicht verstummt wäre. Sie war verlockend und zog sie wie magisch an, dort hinein zu tauchen und für immer dieses Paradies genießen zu wollen.
Doch noch bevor sie auch nur den kleinsten Finger in diese Richtung rühren konnte, zog etwas anderes ihren Blick fort. Was auch immer dafür verantwortlich war, sie drehte den Kopf zurück zu den Fenstern... und erstarrte. Dort war Corax und dennoch... war er es nicht mehr. Er war nicht mehr der Mann, den sie bislang erlebt und lieben gelernt hatte, sondern er war... ergraut, farblos geworden. So voller Trauer, das es ihr die Kehle zuschnürte.
Ihr war, als sähe er direkt zu ihr, obwohl das gar nicht sein konnte, denn er konnte keinen Blick in dieses Reich werfen. Nein, der Blickwinkel änderte sich und sie konnte zusehen, wie er ihren zurück gelassenen, ihren toten Leib wusch. Die Totenwaschung... Dass die Göre ihm dabei half und auch sarmaische Riten anwandte, bemerkte sie kaum, denn sie hatte nur Augen für ihren Liebsten. Für den Mann, wegen dem sie überhaupt hier war, um einen Weg zu finden, wieder zu ihm zurück zu kehren. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und ihre Lippen pressten sich fest zusammen.
Erst, als das Bild sich veränderte und sie das Gefühl hatte, als läge sie in einem Sarg, wandte sie den Blick ab. Nein, das war dann trotz allem einfach zu viel für sie!
Fest wollte sie die Lider zusammen kneifen, um sich wieder zu fassen, als ein leises Kratzen an ihr Ohr drang. Unwillkürlich sah sie auf und bemerkte, wie die Feder wie von Zauberhand über das Pergament geführt wurde. In ihrer eigenen Handschrift erschien eine weitere Botschaft, die dafür sorgte, dass sich die Augen der jungen Frau weiteten.
Was Ventha gehörte... "Aber was ist das...?", murmelte sie zu sich selbst und sah noch einmal zu jenem Tor an ihrer Seite.
Daraufhin schüttelte sie den Kopf und griff entschlossen nach der Feder. Nein, sie würde jetzt nicht aufgeben, sie wollte zurück! Also nickte sie sich selbst zu, wie, um sich auf diese Weise Mut zu machen, und tauchte automatisch die Spitze wieder in das Fässchen.
Während sie die überschüssige Tinte abstreifte, überlegte sie, was sie schreiben sollte. Dann traf sie eine Wahl und nickte sich selbst zu. Mit geübter Hand, nun nicht mehr durch eine Verletzung beeinträchtigt, strich sie das Angebot ihrer Göttin durch, denn das war ihr das erste Bedürfnis. Um im Anschluss daran zwei Worte darunter zu setzen.

Botschaft
Traum
Corax

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Oder du findest, was mir gehört. Wo sonst, als in einer Bibliothek könnte es sein?

Ventha's Besitz
Schriftrolle Fuss
Langsam sank die Hand mit der Feder darin herab und sie seufzte leise. Was würde nun folgen? Würde sich ein Hinweis zeigen? Würde irgendetwas aufleuchten oder ihr ein dienstbarer Geist Lektüre bringen, was sie haben wollte? Nur... was könnte das sein? Was könnte sie hier suchen sollen, das ihr half, zurück ins Leben zu kehren? Im Moment fühlte sich Azura vollkommen ahnungslos, obwohl sie dazu entschlossen war, nicht zu ruhen, bis sie genau das gefunden hatte.
Dadurch auch arbeitete es eifrig hinter ihrer Stirn, während sie auf eine Reaktion auf ihren Suchbegriff wartete. Oder würde ihre Wassermagie ihr helfen können? Aber wie? Beinahe war sie versucht, mit dem Fuß vor Frust aufzustampfen, weil ihr dieser Hinweis zwar die Möglichkeit bot, wie sie ihren innigsten Wunsch in die Tat umsetzen könnte, aber dermaßen vage war, dass sie erst recht nicht wusste, wo sie beginnen sollte. Es war zum Haareraufen!
Sollte sie noch etwas schreiben, etwas simples wie Wasser oder so? Doch das würde ihr wohl kaum weiterhelfen, oder? Es war ja viel zu allgemein... Da könnte sie gleich einfach so in der einen Ecke der Bibliothek anfangen und jedes einzelne Buch durchackern, da wäre sie vermutlich genauso schnell!
Was nur könnte es geben, das Ventha gehörte, und an einem Ort mit Büchern aufbewahrt wurde? Buch... wobei... musste es denn ein Buch sein? Nein, es gab ja so vieles mehr, in dem man lesen konnte und das hierher passte! Bücher... Tafeln... Bildbände... Rollen... Moment! Rollen? Schriftrollen, genauer gesagt.
War da nicht einmal etwas gewesen, in ihrem Unterricht? Irgendetwas in ihrem Hinterstübchen klingelte und war dennoch nicht sofort für sie greifbar, vor allem jetzt, wo sie intensiv versuchte, genau diese Erinnerung zu greifen.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Montag 28. November 2022, 01:21

So verlockend der Blick durch den schmalen Spalt des Regenportals auch war, etwas lenkte Azura doch davon ab, ihre jetzige Ewigkeit gegen eine an der Seite ihrer Göttin einzutauschen. Genauer gesagt, lenkte sie jemand ab. Corax' Anblick in der Fensterfront erschütterte ihr Herz und kein anderes Bedürfnis machte sich nun mehr breit als der Wunsch, ihn wieder lächeln zu sehen. Was sie verloren hatte, erkannte sie erst jetzt.
Aber dann schwand sein Gesicht, wich der Szenerie einer Totenwaschung und im nächsten Moment der langweiligen Aussicht auf Holz. Befanden sich Azuras Überreste nun in einem Sarg? Es sah ganz danach aus und das bedeutete, dass sie - zumindest nach andunischen Bräuchen - unter die Erde kommen würde. Sie mochte die Ewigkeit Zeit haben, aber nicht, wenn sie zurück ins Leben gelangen wollte. Niemand würde sie hören und sich freizugraben wäre ein Ding der Unmöglichkeit, wenn sie erst einmal mehrere Meter unter der Erde steckte. Zurück ins Leben, um wieder zu sterben? Niemals! Dennoch entschied sie sich nicht für das leichte Ende. Ihre eigene Handschrift hatte ihr anderes offeriert als nur den Weg zu ihrer Göttin. Sie sollte etwas beschaffen, das Ventha gehörte. Da war sie doch, ihre Aufgabe, wenngleich Azura sie zunächst erfüllen müsste, ehe sie Hoffnung auf Leben ... oder ein neues Schlupfloch haben durfte.
Das Problem mit Göttern schien zu sein, dass sie niemals klar aussprachen, was sie denn wünschten. Venthas Verlangen nach ihrem Eigentum war zu vage und mit einer Bibliothek ließ sich nicht viel anfangen. Man konnte auf ein bestimmtes Wissen schließen, das der Göttin verlorengegangen war. Denn abgesehen von den Fenstern mit Unterwasserweltenblick gab es hier nichts, das sie mit Ventha sofort in Verbindung brächte. Die Fenster aber zeigten im Moment nur das Innere ihres Sarges, sofern es wirklich einer war. Die Aussicht hatte stark an Qualität verloren.
Aber Azura besaß ohnehin keine Zeit. Fieberhaft dachte sie nach, was sie in das Buch eintragen könnte, um möglichst rasch das zu finden, wonach es ihrer Göttin gelüstete. Sie machte es sich leicht und schrieb einfach "Venthas Besitz" auf das Papier. Dafür strich sie ihre Möglichkeit durch, jemals das Regenportal nutzen zu können. Die letzten Tropfen fielen und dann war es fort, mitsamt der kleinen Gischspritzer und den Regenbögen. Trotzdem meinte Azura, noch immer ein Rauschen vernehmen zu können. Es erinnerte nicht mehr an Regen. Vielmehr dachte man an tosende Wellen, als käme gleich eine Flutwelle um die Ecke.
Die junge Frau, welche schon immer eine Affinität zum Wasser besaß und somit auch viel Zeit in der Nähe dieses Elements verbracht hatte, täuschte sich nicht. Mit einem gewaltigen Schlag, der sofort einige Bücher aus den Regalreihen stieß, preschte eine gigantische Welle aus einem der Bibliotheksgängen. Dicke Wälzer, versiegelte Schriftrollen und schmalen Hefte fielen ihr zum Opfer, als sie sich in die wirbelnden Wasser stürzten, aus denen der Strom bestand. Er kam mit rasender Geschwindigkeit auf das Ende der Bibliothek und somit Azuras kleine Ecke zu. Wo das Wasser Regale streifte, riss es hier und dort ganze Buchreihen mit sich. Blätter wirbelten umher, wurden sofort von den Wellen verschlungen und durchnässt. Weder das niedergeschriebene Wissen noch Azura könnten diesem tosenden Fluss aus dem Nichts entkommen, aber was sollte schon passieren? Sie war bereits tot. Trotzdem neigte der menschliche Verstand dazu, sich entweder einer Gefahr zu stellen oder erst einmal vor ihr zu fliehen. Wie Azura aber auch reagieren mochte, der Welle entkam sie nicht. Seltsamerweise schien das Wasser nicht gewillt, sie zu verschlingen wie es das gleiche mit den Büchern getan hatte. Als handelte es sich um eine Schlange aus reinstem Wasser rollte sich die Welle nahe des Podiums auf und formte eine Art Kopf. Es war nicht wirklich ein Schädel, aber das mit einer Schaumkrone versehene obere Ende der Wasserstraße wackelte knapp über Azura. Tropfen regneten auf sie herab, als speichelte ein überdimensonaler Hund sie von oben aus voll. Dann preschte die Welle über ihre rotgoldenen Locken hinweg und stürzte sich auf den langen Tisch mit den gemütlichen Polsterstühlen. Sie spülte über das Holz hinweg, bis auch das andere Ende das Mobiliar erreichte. Dann nahm das Wasser einen anderen Zustand an. Die Bibliothek lag im Nebel, so dass Azura kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Sie spürte nur die Dicke der Tröpfchensuppe, die ihr das Atmen erschwert hätte, wäre sie zum Leben noch darauf angewiesen gewesen. Naja, das war sie im Grunde ja, aber sie lebte eben nicht mehr.
Endlich klarte der Nebel etwas auf. Nicht genug, als dass sie den gesamten Raum hätte erkennen können, aber doch soweit, dass sie zumindest wieder das Buch und die Schreibfeder vor Augen hatte. Das bisher Geschriebene war fortgespült worden. Stattdessen fand sich nun eine neue Zeile aus blauschwarzer Tinte auf dem Papier.

"Zu ungenau. Für detaillierte Hilfe wird ein Opfer erwartet."
Schriftrolle Fuss
Ein Opfer. Schon wieder. Langsam konnte man glauben, dass Azura hier eher ein Spiel mit Manthala spielte als mit Ventha zu um ihre Seele zu kämpfen. Aber wer wusste schon, wer sich ihrer aktuell wirklich annahm. Um Corax Botschaften zu entsenden hatte sie bereits Opfer bringen müssen. Teile ihres Selbst, die bei ihm als weiße Perlen angekommen waren. Erneut deutete einiges darauf hin, dass es wieder genau so von ihr erwartet würde. Denn zwischen Stapeln aus Büchern und nun etwas fransigen Schriftrollen, aber auch einzelnen Notizen, die das Wasser auf dem Tisch zurückgelassen hatte, fand sich eine große und sehr schöne Muschel. Sie war weiß mit vereinzelten rosa Streifen in ihrer Schale und einem bräunlichen Rand. In dem Moment, da Azuras Blick auf die Schale fiel, öffnete sie sich. Im Inneren fand sie nicht etwa die fleischige Masse, die den weichen Körperanteil eines dieser Meeresbewohner ausmachte. Stattdessen lag darin ein dickes Kissen aus rotem Samt. Goldene Quasten baumelten von den vier Enden und in die Mitte hatte jemand einen goldenen, runden Knopf vernäht. Die wortlose Aufforderung an sie war eindeutig.

"Immer musst du dich einmischen." Fernab der Bibliothek donnerte es wieder, als eine Göttin mit dem Fuß aufstampfte. Dieses Mal saß ihr kein bleiches Skelett an der Seite. Der Gevatter hatte schließlich noch andere Dinge zu tun. So hatte er zu Venthas Gesellschaft jemand Anderes eingeladen. Der Gast schmunzelte und strich sich das schwarze Haar beiseite, dass es sich teilweise in Rauch auflöste. Ihr mondhelles Lächeln stand im starken Kontrast zu Venthas Schmollmund.
"Der Nebel ist nun einmal auch meine Domäne."
"Das meinte ich nicht und das weißt du sehr gut."
"Liebe Schwägerin in spe, lass mir doch den Spaß. Außerdem gefiel mir die Idee unseres kleinen Laternenkindes. Leben muss man sich nun einmal verdienen."
"Jajaja, aber dennoch mischst du dich einfach in meine Angelegenheiten ein!" Es donnerte noch einmal. Das aber konnte das Lächeln aus dem zarten Gesicht der anderen nicht vertreiben. Sie tätschelte Venthas Haar und zupfte eine Alge heraus. "Als Gegenleistung erhält sie einen weiteren Traum, was hältst du davon?"
"Den bräuchte sie nicht, hättest du dich einfach heraus gehalten."
"Aber dann hätte sie viel zu lange suchen müssen. Ich beschleunige es nur ein bisschen. Natürlich nicht umsonst. Ich möchte auch eine Perle haben."
"Natürlich..."
Beide Göttinnen spähten nun mit Interesse auf Azura herab. Wenn die Sterblichen nur wüssten, wie sehr ein einzelnes Individuum von ihnen die Faszination der Götter wecken konnte. Es war wohl besser, manche Dinge im Dunkeln zu lassen.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Montag 28. November 2022, 21:04

Ein Dasein für die Ewigkeit im Reich ihrer Göttin war stets etwas gewesen, das sie für erstrebenswert gehalten hatte. Doch jetzt, als ihr jenes Tor dorthin geöffnet wurde, spürte sie deutlich, dass die Zeit dafür noch nicht gekommen war. Viel zu leicht schaffte es der Anblick ihres Rabens, ihren Wunsch zu verschütten und jenen anderen, ihn glücklich zu machen, darüber zu stülpen und wichtiger erscheinen zu lassen.
Tatsächlich wollte Azura so intensiv wie noch nie zuvor leben! Leben, bei ihm sein, ihn spüren, schmecken, hören, ihm den Hals umdrehen und sich daraufhin genau an diesen Hals zu werfen... oder auch umgekehrt. Wahrscheinlich war es wichtig gewesen, dass sie diesen Sprung in den kalten, nassen Tod gewagt hatte, denn in diesem Reich hier hatte sich ihr so einiges offenbart. Aber nun reichte es ihr und sie wollte endlich zurück.
Dafür war sie bereit, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Nur... wo sollte sie anfangen? Und vor allem... wie?! Der Hinweis war dermaßen ungenau, dass sie alles und wiederum nichts bedeuten konnte.
Trotzdem unternahm sie einen Versuch, das Pergament um Unterstützung zu bitten, indem sie zwei Worte darauf schrieb. Viel Hoffnung, dass dabei etwas Brauchbares herauskommen würde, hatte sie nicht, sodass sich ihre Gedanken bereits weiter bewegten, während sie auf eine Reaktion wartete.
Diese erfolgte auch... wenngleich definitiv nicht so, wie die junge Frau es erwartet hatte. Ein Rauschen, wie von einer fernen Brandung, drang an ihre Ohren und ließ sie aufmerken. Es wurde lauter, intensiver, weil... weil der Verursacher dessen näher kam? Würde ihr Ventha erneut erscheinen? Oder...?
Nein, es war nicht ihre Göttin, nicht direkt, sondern eine Welle, die um die Ecke brach und Unheil verkündend näher kam. Dabei riss sie einiges mit sich und ließ anderes wiederum stehen, einfach, weil sie es konnte und aus keinem anderen Grund. Azura starrte ihr entgegen, unfähig, sich zu rühren. Wo auch immer diese Welle herkam und wieso es sie hier überhaupt gab, sie war unbezweifelbar eine Naturgewalt ganz eigener Schönheit.
Ob Ventha sie ihr geschickt hatte, um ihr die Suche trotz allem etwas zu erleichtern, indem sie ihr einen Haufen Bücher vor die Füße spülte? Oder war sie wütend darüber, dass sie ihre Einladung ausgeschlagen hatte? Sollte sie weglaufen? Wohin denn?
Ein kurzer Blick in die Runde offenbarte ihr, dass es in der näheren Umgebung nichts gab, wohin sie sich retten könnte. Und sterben konnte sie ja sowieso nicht mehr... Also blieb sie stehen und harrte der Dinge, die ihr da entgegen rauschten. Lediglich ihre Hand tastete nach dem Rand des Pultes, um sich in einem unsinnigen Versuch daran festhalten zu wollen, wenn es soweit wäre.
Jedoch täuschte sie sich, denn die Welle hatte es gar nicht darauf abgesehen, sie selbst hinweg zu spülen. Ja, sie bekam nicht einmal nasse Füße, so sehr machte das Wasser einen Bogen um sie. Mehr noch, es war, als käme es um sie herum zur Ruhe und begann... sich aufzuwölben?!
Azura blinzelte und traute ihren Augen kaum, als ihr Blick dem sich in die Höhe windenden Wasser folgte und sie beinahe schon erwartete, gleich ein Gesicht zu sehen zu bekommen, ein flüssiges Antlitz. Doch dazu kam es nicht mehr, warum auch immer. Stattdessen nahm die Welle Schwung und segelte über sie hinweg, um letzten Endes hinter ihr sich mit dem restlichen Wasser wieder zu vereinigen und zu... verdampfen.
Mit einem Mal konnte sie so gut wie gar nichts mehr sehen, war fest von dichtem Nebel eingehüllt, der sich wie eine schwere, nicht wegzustrampelnde Decke um sie legte. Zwar musste sie nicht länger atmen, allerdings hatte sie dennoch das Gefühl von der Beklemmung, die diese Umgebung verursachte.
Blinzelnd versuchte sie, wider besseren Wissens, trotzdem etwas erkennen zu können, mit ihren Blicken den Nebel zu durchdringen. Ein Ding der Unmöglichkeit! Somit musste sie sich notgedrungen gedulden und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sie allmählich wieder etwas erkennen konnte.
Das Buch mit den Suchbegriffen schälte sich aus dem Nebel, jedoch hatte es sich verändert. Die Tinte war fort und statt jener Worte, die sie bislang dort hatte lesen und schreiben können, war eine neue Botschaft entstanden. Eine, die dafür sorgte, dass sich Azura auf die Unterlippe biss und die Hand zur Faust ballte vor innerem Ärger.
Ein Opfer... natürlich! Immer ging es nur um Opfer, darum, etwas von sch zu geben, um vielleicht zu erhalten, was man sich wünschte! Was sollte sie denn noch alles hergeben?
Leise und wenig damenhaft schnaubte sie und wandte sich erst einmal von dem Podium ab, um zu prüfen, ob sich dies nicht vielleicht umgehen lassen würde. Der Nebel hatte tatsächlich sich noch weiter gelichtet und bot ihr nun die Sicht auf einen Gegenstand, der von der Welle hierher gespült worden war. Eine Muschel, wunderschön und sicherlich kostbar, lag dort und öffnete sich just in jenem Moment, um den Blick auf ihren Inhalt preiszugeben.
Die junge Frau trat langsam und behutsam näher, als hätte sie Angst, dass dieses Ding verschwinden... oder weghüpfen könnte, wenn sie sich zu schnell bewegte. Schließlich erreichte sie den Tisch und kam ganz nahe heran, um auf das Kissen aus nächster Nähe sehen zu können.
Darauf lag... ein Knopf?! Ungläubig starrte sie einige Momente lang darauf, ehe sie sich einen inneren Ruck gab und langsam ihre Hand danach ausstreckte. Darauf achtend, ob die Muschel nicht plötzlich zuschnappte, bewegte sie sich und konnte den Knopf letzten Endes unbeschadet an sich nehmen. Sie hob ihn hoch und betrachtete ihn von allen Seiten, doch da war nichts in ihrem Kopf, das ihr einen Hinweis darauf hätte geben können, was sie damit anfangen sollte. "Was, bei allen...?", murmelte sie und ließ ihren Arm wieder sinken.
Nein, sie hatte keine Idee und dennoch... sie hatte das deutliche Gefühl, dass sie dies der Lösung näher bringen sollte. In der Theorie...
Seufzend wandte sie ihren Blick ab und unbewusst zu der Fensterfront zurück, während sie an ihrer Unterlippe nagte und angestrengt überlegte. Dabei begann sie unbewusst, mit dem Knopf zu spielen, ihn zu drehen und zu fühlen, ohne wirklich hinzusehen. Bis sie plötzlich zusammen zuckte und auf ihre innehaltenden Finger starrte. Genau, das war es! Das musste es einfach sein!
Eine Erinnerung, zurück gekehrt durch eine ähnliche Handlung wie damals. Es war lange her, sie war noch mehr ein Kind denn eine junge Dame gewesen. Sie hatte ein neues Kleid bekommen und sogleich angezogen, musste allerdings zuerst den langweiligen Unterricht über Geschichte über sich ergehen lassen, ehe sie zu ihren Freundinnen laufen durfte, um diesen neuen Schatz würdig präsentieren zu können. Es war eine Schönheit gewesen, aus hellblauem Stoff mit Rüschen und Spitze, nach der neuesten Mode und eigentlich schon beinahe in einem erwachsenen Schnitt gefertigt. Zur Zierde und zum Blickfang hatte sie vorne auf ihrem Oberkörper eine Schnürung gehabt, die keinen anderen Zweck besessen hatte, und an den äußeren Rändern war jeweils eine Knopfleiste angebracht worden.
An einem dieser Knöpfe hatte sie gedankenverloren gespielt, während sie aus dem Fenster gestarrt und sehnsüchtig nach der Freiheit geseufzt hatte. Doch ihre Mutter war unerbittlich gewesen, wenn es um ihren Unterricht gegangen war. Oh, wie sie es gehasst und sich dabei oft gelangweilt hatte! Fragen hatte sie kaum stellen dürfen, trotz ihrer Neugier, und die Lehrer hatten sie mit monotoner Stimme gequält, ohne auch nur einen Funken Interesse erwecken zu wollen. Aber wehe, sie hatte sich beim Abdriften ihrer Konzentration erwischen lassen! Mehr als einmal hatte sie den Stock auf ihren Fingern zu spüren bekommen!
Um was war es dieses Mal in der Stunde gegangen? Es war irgendein Geschwafel gewesen, eigentlich total unwichtig, so wie jede Woche zu dieser Zeit. Doch... es musste einen Grund geben, dass sie ausgerechnet darauf hingewiesen wurde. Was hatte der alte Haugen noch geplappert?
Schrift... Schrift... irgendwas mit Schriftrollen... Ja, genau, das war es gewesen! Er hatte darüber gesprochen, wie bedauerlich er es fand, dass es in den Legenden hieß, dass es zwar spezielle Schriftrollen zu jeglicher Magieart geben sollte, allerdings niemand wirklich fähig dazu war, sie zu finden.
War es das, was Ventha ihr hatte sagen wollen? Dass sie ihre Schriftrolle wieder haben wollte?! Nur... war sie denn hier? Nein, vermutlich nicht, das wäre zu einfach, oder? Aber... vielleicht ein Hinweis auf deren Verbleib? Die junge Frau sah zu der Muschel hin.
"Ist es das? Soll ich rausfinden, wo die Schriftrolle zu finden ist? Die Schriftrolle für die Wassermagie? Bringt mich das ins Leben zurück?", fragte sie das kleine Ding, als wäre es lebendig und könne ihr antworten.
Leise und unwillkürlich belustigt schnaubte sie auf. Begann sie jetzt etwas, langsam durchzudrehen? Verwunderlich wäre es vermutlich nicht, jedoch durfte das auf keinen Fall passieren. Sie musste absolut klar und bei Verstand sein, wenn sie das hier überstehen und endlich zurück kehren wollte!
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Dienstag 6. Dezember 2022, 16:55

So wie sich das Tor in Venthas ewige Nachwelt vor ihr verschloss, so entzog sich Azura auch der Blick auf Corax. Stattdessen boten die Fenster nun die Aussicht auf Holz anstelle der farbenfrohen Unterwasserwelt. Hätte Azura sich länger darauf konzentriert, so wäre von der Form her eine Verknüpfung mit einem Sargdeckel vor ihrem geistigen Auge geschaffen worden. Ein schlichter Sarg, ohne Verkleidung aus weichem Polster, über das man Seide gespannt hatte, damit es der tote Leib auch bequem haben mochte. Ihre Konzentration lag jedoch auf anderen Dingen. Dinge, die sehr forsch ihre Aufmerksamkeit verlangten. Eine Flutwelle konnte man nun einmal nicht einfach ignorieren. Glücklicherweise spülte sie weder über Azura hinweg, noch riss sie die Verstorbene mit sich. Sie schien auch nicht die komplette Bibliothek verwüsten zu wollen. Das Wasser griff nur hier und da einmal nach einem Buch oder einer Schriftrolle. All die Beute schien es darüber hinaus auf dem langen Tisch für Lesebegeisterte zu stapeln, ehe der Strom weiterzog und schließlich verschwand. Keinerlei Spuren dieser Umweltkatastrophe blieben zurück. Weder war das Holz der Regale verquollen von der Feuchtigkeit, noch hatten die Bücher gelitten. Nicht einmal eine Pfütze fand sich noch auf dem Boden, wenngleich er glänzte, als hätte gerade jemand gut durchgewischt. Azura sah dies allerdings erst, nachdem der aufgedampfte Nebel wieder verflogen war. Vielleicht räumten in seinem kaum durchsichtigen Dunst auch heimliche Kreaturen des Todes hier auf. Sie wusste es nicht, konnte nur bestätigen, dass trotz der kleinen Flutkatastrophe nichts zu Bruch gegangen war. Im Gegenteil, etwas Neues hatte Einzug in die Bibliothek gefunden. Bevor Azura sich jedoch diesem neuen Gegenstand widmen konnte, ärgerte sie sich erst einmal über die neue Nachricht, die das Buch auf dem Podium für sie bereit hielt. Wenn sie ein Opfer brächte, könnte sie weitere Hilfe erhalten. Fast sollte man meinen, die Göttin ihrer Gunst sei Manthala. Möglicherweise hatte Ventha sich auch etwas bei der Herrin des Handels abgeguckt. Vielleicht blieb ihr aber auch nichts Anderes übrig, denn das Totenreich war kein Gebiet, in dem eine Göttin wie sie Macht besaß. Dass sie Azura schon mehrfach hier und dort Hinweise gegeben oder ihr geholfen hatte, deutete zwar darauf hin, dass sie Einfluss nehmen konnte, aber gänzlich eingreifen und ihre Gläubige beispielsweise zurück ins Leben schicken, blieb selbst ihr verwehrt. Das machte Leben und Tod somit mächtiger als göttliche Wesen, was durchaus logisch war. Götter existierten durch den Glauben an sie und nur wer lebte, konnte glauben. Am Ende herrschten Leben und Tod über alles, ob es sich nun um personifizierte Gestalten wie das Knochenskelett handelte oder nicht.
Während diese Schlussfolgerungen noch ungedacht im Raum hingen und versuchten, durch Azuras Ärger durchzudringen, wurde die Andunierin endlich von dem neuen Schmuckstück der Bibltiothek abgelenkt. Es lag auf dem Tisch und war so groß wie eines ihrer Schmuckkästchen zu Lebzeiten. Öffnete man den Deckel, erschien dort eine hölzerne Tänzerin, die ihre Arme bogenförmig über dem Kopf hielt und sich mittels eines Mechanimus' im Inneren drehen konnte, während eine Spieluhr die Melodie eines andunischen Schlafliedes abspielte. Der Gegenstand hier beherbergte keine solche Ingenieurskunst. Das konnte man von einer großen Muschel aber auch nicht erwarten. Eigentlich war es ebenso verwunderlich, dass in ihrem Kern keine Perle ruhte, sondern ein großes Polsterkissen mit goldenen Quasten und einem gleichermaßen glänzenden Knopf in der Mitte des Kissens. Er zog Azura wie magisch an, vielleicht weil er beim ersten Blick einer Münze glich. Erst beim zweiten Hinschauen erkannte man die Löcher, durch die sich das rote Garn zog und den Knopf mit dem Kissen verband. So war es Azura nicht möglich, ihn einfach zu greifen und einzustecken, es sei denn, sie wollte ihn bewusst abreißen. Das Garn war dünn und mit ein wenig Gewalt ließe der Knopf sich entfernen. Dann wäre Platz in der Mitte des Kissens. Platz für eine Opfergabe, sofern sie es wirklich in Erwägung zog. Bisher aber stellte Azura eigene Überlegungen an. Sie suchte nach einem Sinn für die Muschel, das Kissen und den Knopf. In ihrer Erinnerung fand sie dann eine Situation aus der Vergangenheit, die sie auf die Gegenwart übertragen und eigene Interpretationen anstellen konnte. Zu allem Überfluss fiel eine Schriftrolle aus einem der Regale, noch während sie angestrengt versuchte, ihrer Erinnerung mehr Leben einzuhauchen als sie selbst es noch besaß.
Das Pergament kam auf dem Boden auf und entrollte sich. Azura erkannte sofort die garmische Schrift und sofern sie darin las, würde sie genau jene Szenerie beschrieben finden, an die sie soeben gedacht hatte. Es las sich beinahe wie ein Tagebuch-Eintrag, auch wenn sie mit Sicherheit von sich behaupten konnte, keines geführt zu haben. Das war viel zu mühselig und ihre Zeit als adliges Töchterchen knapp bemessen. Jedenfalls empfand sie es wohl damals so. Meinungen konnten sich ändern, Erinnerungen blieben. Und so schien die Bibliothek ein Hort dessen zu sein. Sie konnte nicht nur diese eine auf Papier gebannte Erinnerung wachrufen. Sofern sie nur gezielt suchte, wäre es ihr möglich, ihr ganzes Leben noch einmal zu ... ja ... lesen. Aber bestand die Bibliothek nur aus Aufzeichnungen ihrer Existenz. Wohl kaum. Hier musste es noch mehr geben. Etwas, das Ventha gehörte...
Mit den Gedanken noch an der Szene, die nun auch auf dem Pergament zu finden war, fiel zwar nicht der goldene Knopf, aber endlich der Groschen. Azura glaubte zu wissen, was sie zu suchen hatte. So stellte sie ihre Frage offen in den Raum: "Ist es das? Soll ich rausfinden, wo die Schriftrolle zu finden ist? Die Schriftrolle für die Wassermagie? Bringt mich das ins Leben zurück?"
Sie wartete. Nichts geschah. Hatte Ventha sie verlassen? Es war eine geraume Zeit lang still. Auch bei der Fensterfassade tat sich nichts. Noch immer blickte sie auf totes, verarbeitetes Holz. Wenn sie nur dicht genug heran trat, hätte sie ein Gespräch zwischen ihrem Raben, Caleb und Madiha hören können, wenn auch nur dumpf wie durch eine Tür. Aber Azura achtete aktuell nur geringfügig bis gar nicht darauf. Stattdessen erhoffte sie sich, von ihrer Göttin noch eine Antwort zu erhalten. Und dann kratzte es.
Das Geräusch einer Federspitze, die über Papier flog. Als sie wieder zum Podium schaute, legte sich die Feder dort zurück an die Seite. Neue Worte waren im Buch geformt worden, wenn auch nicht gerade hilfreich. Stattdessen könnten sie erneut ihren Zorn schüren, aber wer auch immer ihr diese Nachricht hinterließ, wollte ihr offensichtlich nicht alles direkt und vorgekaut auf einem Silbertablett servieren. Dort stand nämlich nur geschrieben:

Finde sie und du findest, was du wirklich suchst.
Schriftrolle Fuss
Zumindest hatte jemand zugehört. Nun stand fest, dass es um die Schriftrolle der Wassermagie ging und wenn Azura sich dazu nötigte, noch einmal ihre Erinnerungen der Lektion von damals nachzulesen, würde sie auch den Inhalt ihrer Lehrstunde wieder erfahren. Dann erhielt sie das Wissen, dass die magische Schriftrolle zu ihrer Zeit von einem Studioso der zyranischen Schule verfasst worden war, den man nur Tarubyn nannte. Er hatte es schwer, die Magie zu meistern, so wie sie selbst. Deshalb wollte er festhalten, was er wusste. So war die erste Schriftrolle der Wassermagie entstanden. Jene, die als verschollen galt vor sehr langer Zeit. Ihr Lehrmeister hatte aber nie erwähnt, wo sie angeblich zu finden wäre. Das war eine andere Person ... wer nur? Dunkel drang das Bild einer ebenso dunklen Elfe aus ihrer Erinnerung hervor, ehe sie Corax vor ihrem geistigen Auge erkannte. Er stand neben dieser Person. Ohja, sie erinnerte sie. Diese Furie namens Serpentis Mortis, die ihre Haare entflammt und sie und ihren Raben wie Abfall auf einem Leichenberg im geschändeten Ventha-Tempel entsorgt hatte!
Aber Serpentis hatte auch davon gesprochen, Azuras Begabung in Wassermagie zu nutzen, um an die Schriftrolle zu gelangen. Sollte das der Ansatz sein oder müsste die Adlige nur in den Hallen der Bibliothek nach der richtigen Rolle suchen? Wäre das überhaupt die Lösung? Finde sie und du findest, was du wirklich suchst... Niemand war hier, um ihr zu helfen. Sie war auf sich allein gestellt. Es sei denn, sie schenkte dem Kissen der Muschel ein neues Opfer.
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Donnerstag 8. Dezember 2022, 20:53

Die junge Frau konnte ihren Liebsten nicht mehr sehen, dafür war der Gedanke, ihn bald wieder als Lebende unter die Augen zu treten, umso präsenter. Somit hielt sich ihr Interesse an dem nun eher dunklen Bild in Grenzen, selbst, wenn sie nicht von einer heranrauschenden Flutwelle abgelenkt worden wäre. Dabei wählte sie, rein instinktiv und weniger aufgrund des Umstands, dass sie bereits tot war, die Option stehen zu bleiben und sich der Naturgewalt zu stellen.
Was, wie sich rasch zeigte, eben nicht notwendig war, denn das Wasser umschloss sie zwar auf dem niedrigen Podest, spülte sie allerdings nicht hinweg. Stattdessen ebbte die Welle allmählich ab und hinterließ ein Chaos von mitgerissenen Schriftstücken, jedoch auch in Form einer sich öffnenden Muschel. Diese bekam sie zu sehen, nachdem sich der Nebel, in den sich das Wasser gewandelt hatte, aufgelöst hatte.
Der Inhalt lockte sie an, sodass sie allmählich näher trat. So ganz schlau wurde sie zwar nicht daraus, aber vor allem der Knopf hatte es ihr angetan. Sie griff danach und merkte, dass er angenäht war. Doch anstatt nun zu überlegen, ob er nicht als Unterlage für etwas dienen sollte, schlugen ihre Gedanken einen anderen Weg ein, während sie leicht an dem kleinen, glänzenden Ding drehte. Ganz so, wie sie es schon früher einmal getan hatte... an einem anderen Ort... in einer anderen Situation...
Es dauerte ein wenig, letzten Endes allerdings kehrte die Erinnerung an jene Szenerie von damals in ihr Bewusstsein zurück und eröffnete ihr eine Möglichkeit, die sie der Lösung durchaus näher bringen könnte. Gerade, als sie diese greifen konnte, fiel ihr eine Pergamentrolle direkt vor die Füße. Unwillkürlich sah sie darauf und ihr eigener Denkanstoß wurde von den Zeilen umso deutlicher weiter geschubst, um ihr vor Augen zu führen, weswegen sie hier sein könnte. Hier, in dieser Bibliothek, auf der Suche nach etwas, das Ventha gehörte...
Obwohl sie alleine war, konnte sie die Worte nicht zurück halten, die ihr über die Lippen drangen. Eigentlich war es lächerlich, mit sich selbst zu sprechen, und dennoch... Was sollte sie auch sonst tun? Sie war allein und sie war überzeugt davon, dass ihre Göttin ihr zuhörte. Wer sonst sollte die Flutwelle geschickt haben? Wer ihr die Botschaften mit dem Wunsch, einen bestimmten Besitz zu finden?
Nur... was erhoffte sie sich davon? Azura wusste es selbst nicht so recht, sodass ihr Blick in den folgenden, langen Momenten des Wartens auf eine Reaktion gedankenverloren zu der Fensterfront wanderte. Dort konnte sie immer noch nicht wirklich etwas sehen und dennoch... irgendetwas stimmte mit diesem Anblick nicht. Es war ein Umstand, der in ihrem Hinterkopf nagte, wenngleich noch viel zu leise, um sich bemerkbar zu machen.
Leise seufzte sie und war drauf und dran, die Hoffnung auf eine Reaktion aufzugeben, als etwas an ihr Ohr drang, das sie aufhorchen ließ. Wie von allein drehte sie sich der kratzenden Feder zu und konnte zusehen, wie sie den Schwung der letzten Worte noch vollführte, geführt von unsichtbarer Hand. Sie blinzelte und rieb sich sogar über die Augen.
Als sie wieder hinschaute, lag die Feder wie zuvor neben dem Schriftstück, aber der Text dort hatte sich verändert. Neugierig, was nun geschrieben stehen könnte, trat sie langsam näher. Hätte sie noch einen Herzschlag besessen, er hätte sich jetzt erheblich beschleunigt.
Würde sie jetzt des Rätsels Lösung zu lesen bekommen? Oder nur eine weitere, kryptische Botschaft, hinter deren Sinn sie erst noch kommen müsste? Es war... eine Mischung aus beidem, irgendwie. Sie schien auf dem richtigen Weg zu sein mit ihrer Idee zu der Schriftrolle der Wassermagie. Doch der Rest...
Die junge Frau schnaubte leise und hörbar beleidigt. Ja, toll, und wie sollte ihr das jetzt helfen?
Sie schüttelte leicht den Kopf und wandte sich ab, denn die Botschaft brachte sie keinen Schritt weiter. Vielmehr musste sie sich noch immer selbst den Weg ebnen und darauf hoffen, dass sie sich nicht verrannte. Nun ja... es war trotzdem noch immer besser als nichts!
Gut, wo also sollte sie jetzt nach dieser blöden Rolle suchen? Hatte ihr Lehrer es damals erwähnt? Oh, wenn sie sich doch nur richtig und vollständig erinnern könnte! Wenn... Moment! War da nicht vorhin...
Noch ehe sie den Gedanken wirklich zu Ende gesponnen hatte, eilte sie schon die wenigen Schritte zurück und griff nach genau jenem Stück, auf das ihr Blick zuvor erst gefallen war. Rasch und mit geübtem Blick überflog sie die Zeilen, konnte allerdings nicht wirklich etwas Hilfreiches dabei entdecken.
Seufzend ließ sie die Rolle etwas sinken, schloss die Augen und spürte, wie Frust in ihr aufzusteigen drohte. Nein, das konnte und durfte sie sich nun nicht leisten! Sie hatte hier einen Anhaltspunkt und diesen musste sie festhalten, um ihn nicht wieder zu verlieren! Vielleicht... vielleicht hatte sie es in der Eile ja nur überlesen!
Also hob sie ihre Lider wieder an und nahm sich dieses Mal mehr Zeit für diese geschriebene Erinnerung. Enttäuscht musste sie feststellen, dass sie das gesuchte Wissen nicht übersehen hatte, denn es befand sich nicht in jenem Text. Mit einem leisen Wutschrei warf sie das Pergament zurück zu einigen anderen Rollen, die dadurch in Schwung gerieten und sich auseinander bewegten.
Azura sah schon nicht mehr hin, sondern starrte frustriert zu der Fensterfront zurück, deren Bild sich auch weiterhin nicht verbessert hatte. Was sollte sie jetzt nur tun? Wo sollte sie als nächstes nachsehen, ohne unnötig Zeit zu vergeuden? Als Geist mochte sie zwar die Ewigkeit auf ihrer Seite haben, jedoch war da noch immer ihr Körper. Wie es um diesen wohl stand, jetzt, nach der sarmischen Totenwaschung? Würde er schon sich so entwickeln wie jede Leiche? Würde ihr Leib... verwesen? Was, wenn sie also in diese sich zersetzende Hülle zurückkehrte? Würde das geheilt werden können? Oder würde sie den Rest ihres Lebens an sich selbst sehen... und riechen können, dass sie tot gewesen war?! Nein, das wollte sie gar nicht erst herausfinden!
Umso mehr drängte es sie, die Lösung so rasch wie möglich zu finden und zurück zu kehren. Sie musste es auch schaffen, ehe jemand sie begraben... oder, schlimmer noch, verbrennen würde!
"Ach, du heilige Schei...", entfuhr es ihr bei dieser Erkenntnis und sie sprang auf, um zu der Fensterfront zu rennen.
Dort trommelte sie mit ihren Händen gegen eine Scheibe, ohne darüber genauer nachzudenken. "Corax! Corax, hörst du mich?! Ich bin da, ich bin noch da! Ich komme zurück!", rief sie laut und mit echter Verzweiflung in der Stimme.
Bis ihr aufging, wie dumm sie sich verhielt. "Ich komme zurück...", wiederholte sie schwach, während sie einen Schritt zurück wich und über sich selbst den Kopf schüttelte. Was sollte das? Verlor sie jetzt den Verstand, weil sie glaubte, auf diese Weise mit ihrem Liebsten reden zu können?
Oh, wie dumm von ihr! Anstatt die Zeit zu vergeuden, die ihr noch verblieb, bis es für eine Rückkehr zu spät wäre, sollte sie lieber weiter suchen! Und dennoch... irgendwie müsste sie mit Corax reden können, irgendwie... Nein, später, später konnte sie darüber nachdenken, aber nicht jetzt!
Sie kehrte zu jener Stelle zurück, an der sie sich zuvor befunden hatte, mitten unter all dieser Lektüre, die noch immer schier unübersichtlich wirkte, obwohl sie dank der Flutwelle schon deutlich reduziert worden war. Zumindest ging sie davon aus, dass dies die Botschaft des Wassers sein sollte, dass sie hier zuerst suchen sollte.
Nur... mit welchem Stück? Und worauf sollte sie achten? Ein weiterer Schritt... und sie stupste unbewusst gegen eine Pergamentrolle, die sich dadurch etwas für sie öffnete.
Azura sah blinzelnd herab und stutzte. War das Zufall? Oder hatte gerade eine bestimmte Göttin ihre Bewegung gelenkt?
Langsam sank sie in die Hocke und rollte das Schriftstück weiter auf. Ihre Augen überflogen die Zeilen dieser Erinnerung, die Szene einer bestimmten Begegnung, die ihr die Kehle eng werden ließ. Der Überfall auf Andunie, das erste Mal Corax sehen, sich über ihn aufregen...
Sie musste die Augen schließen, um gegen das Gefühl aufsteigender Tränen anzukämpfen. Es zerriss ihr beinahe das Herz und in einem ersten Impuls wollte sie das Ding in ihren Fingern wegwerfen. Doch dann dachte sie erneut daran, ob sie tatsächlich zufällig auf ausgerechnet diese Erinnerung gestoßen war. Was, wenn damals etwas geschehen... oder gesprochen worden war, das ihr half, der Lösung näher zu kommen?
Es fiel der jungen Frau schwer, aber sie riss sich zusammen und zwang sich dazu, den Text zu lesen, der sie in die Vergangenheit eines besetzten Andunies versetzte, als sie von jenem Mann schikaniert worden war, der sie von Anfang an so zur Weißglut hatte treiben können wie kein Zweiter. Mehr noch, der es gewagt hatte, sie zu beleidigen und sie zu schlagen.
Fest presste sie die Lippen aufeinander und konnte sich nicht erklären, wie aus diesem Anfang werden konnte, was zwischen ihnen entstanden war. Sie schüttelte leicht den Kopf und ermahnte sich im Stillen dazu, sich zu konzentrieren. Alles andere konnte und musste warten!
Schwer schluckte sie, aber dann las sie weiter und suchte nach jenem Hinweis, diesen einen, weswegen sie sich diesen ganzen Text hier überhaupt antat. Hoffentlich würde sie ihn bald finden, ehe sie die Willenskraft verlieren würde, weil der Herzschmerz sie überwältigte!
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Dienstag 13. Dezember 2022, 12:36

Azura glaubte längst nicht mehr an Zufälle, zumindest nicht hier. Ebenso wenig glaubte sie daran, dass Ventha sie verlassen hätte. Die Göttin wachte noch immer über sie, selbst nach ihrem Ableben. Oder vielleicht gerade sogar deshalb, denn auch sie schien sich zu wünschen, dass die junge Frau zurück ins Leben fände. Warum sonst erwartete sie, dass Azura eine Aufgabe erfüllte? Sie sollte etwas finden, das Ventha gehörte. Weshalb nahm die Göttin es sich nicht selbst? Die Frage war berechtigt, nur eine Antwort würde man sich selbst zusammenreimen müssen, ohne zu wissen, ob sie richtig wäre.
So ganz hatte Azura noch nicht herausgefunden, was sie denn für ihre Gottheit finden sollte. Das Buch auf dem Podium half ihr da auch nicht weiter. Hinweise auf Hilfe hatte sie allerdings bereits erhalten. Für ein Opfer müsste sie nicht allein ihren Kopf anstrengen, aber welche Form das Opfer besaß, konnte sie ebenfalls nur erahnen. Sie hatte bereits Opfer gebracht, um Corax Nachrichten schicken zu können. Dabei schien jedes Mal irgendein Teil von ihr selbst verloren gegangen zu sein. Er musste winzig sein, denn Azura war nicht in der Lage, genau zu sagen, was ihr fehlte. Sie spürte lediglich, dass sie nicht mehr ganz vollständig war. Zugleich hatte sie sich Corax ungemein nahe gefühlt und auch ihre eigene Sehnsucht an das Leben intensiver empfunden, als er die zu kleinen Perlen gewandelten Opfergaben ihrer Selbst empfangen hatte. Wenigstens verwahrte er sie allesamt auf. Azura konnte nur hoffen, dass sie in der Lebendwelt erhalten blieben, wenn sie einmal nicht mehr wäre. Vor nicht allzu langer Zeit war genau das ihr Wunsch gewesen. Nun aber wollte sie ihn negieren und ins Leben zurückkehren, bevorzugt vollständig. Somit wären weitere Opfer eine schlechte Sache ... oder irrte sie da? Sie konnte so vieles nicht beantworten und es half auch nicht, alles zu zerdenken. Selbst, wenn ihr dafür die Ewigkeit zur Verfügung stünde. Doch während sie sich darauf berufen konnte, würde die Zeit bei Corax weiterlaufen. Vielleicht gelänge es ihr, eines Tages zurückzukehren. Wären seine Gefühle aber dann noch vorhanden oder verblasst? Wäre er gealtert? Und wie sah es mit ihrem eigenen Körper aus?
Eine fürchterliche Angst kroch plötzlich aus den Tiefen empor und verhakte sich in ihrem Geist wie die kleinen Füßchen irgendeines Insektes, das schier problemlos Wände und Decken empor klettern konnte. Es hinterließ ein ähnlich unangenehmes Kribbeln auf ihrer Seele. Mit einem Mal befürchtete Azura, sie hätte keinen Zugriff mehr auf ihren Leib, wenn sie sich zu viel Zeit ließe. Es gab viele Methoden der Bestattung. In Andunie wandte man nebst einer Beerdigung auch gern eine Seebestattung an, bei der der Leichnam durchaus auch mitsamt dem Schiff in Flammen stand, wenn man einen brennenden Pfeil auf die letzte Ruhestätte schoss, die langsam die Bucht verließ. Das durfte nicht passieren! Selbst wenn man Azuras Überreste nicht verbrannte, durften sie ebenso wenig hilflos und allein auf dem Meer treiben wie irgendwo unter Erde und Schmutz begraben werden - einem Ort, an dem sie nicht atmen könnte, sobald sie ins Leben zurückfände. Der Gedanke jagte ihr einen dermaßen großen Schrecken ein, dass sie an ihre Fensterwand lief und gegen das Glas hämmerte. Sie rief nach Corax, bat ihn, den Körper bloß nicht zu bestatten ... es half nichts. Niemand hörte sie. Hingegen nahm sie nur wieder ganz dumpf die Gespräche jenseits des hölzernen Bildes wahr, das zu ihrer Aussicht geworden war. Dunkel drangen Worte bis in ihren Palast der Ewigkeit herüber. Sie musste sich zwar anstrengend, sie zu vernehmen, aber mit ein wenig Konzentration erkannte sie sogar, dass Corax und Caleb sich unterhielten.
"Das sieht erschreckend leicht aus. Ist der nicht schwer?"
"Nur, wenn du mich daran erinnerst."

Es klang beinahe so, als scherzten die beiden miteinander, wäre da nicht ein gewisser Ernst in ihren Stimmen. Wenig später erfuhr Azura sogar, wohin die Reise für ihren Raben und deren Begleiter wohl hingehen sollte.
"Naja, wir wollen zum Anwesen der van Ikaris..." Das war die Stimme von Caleb van Tjenn. Er musste ihre Familie kennen, immerhin wäre er beinahe mit ihr verlobt worden, hätten sie einander auf einem der vielen Tanzbälle die Möglichkeit gehabt, Sympathien aufzubauen. Das reichte oftmals schon, damit die Eltern eine Ehe arrangierten. Solange der Bräutigam mit der Optik einverstanden war und die Braut sich nicht gänzlich angewidert abwandte, lag ein Ehevertrag meistens schon tags darauf auf dem Schreibtisch irgendeines Elternteils. Caleb würde wissen, wo er zu den van Ikaris käme oder hätte vielleicht die Mittel, sich den Weg zu erfragen. Und Corax? Der hatte sie aus ihrem Elternhaus entführt. Er kannte den Weg. Warum nur sprach er dann plötzlich von seinem Volk?
"Dunkelelfen sind eiskalte Bastarde." Das Gespräch vertiefte sich etwas und die dünnen Laute von Madiha waren nur als sanftes Raunen zu hören. Azura fiel es immer schwerer, Sinn aus den Worten zu erhalten, denn sie drangen nun beschwerlicher zu ihr durch. Ganz so erschien es ihr, als stünden die drei nicht direkt bei dem Holz, das ihr die Sicht versperrte. Wenig später hörte sie fremde Stimmen rufen. Es waren nur Laute. Sie konnte nichts damit anfangen und es brachte sie auch nicht weiter. Sie hatte eigene Dinge zu erledigen, wenn sie die Hoffnung auf eine Rückkehr nicht begraben wollte.
Fest stand, dass sie in der Lage war, ihre Erfahrunen, Erlebnisse der Vergangenheit und Erinnerungen wachzurufen, indem sie diese als Schriftstücke in der Bibliothek zusammen sammelte. Das Lesen könnte einige Zeit in Anspruch nehmen, aber davon hatte sie nun ja reichlich. Sie brauchte weder zu Essen, noch zu schlafen oder anderen körperlichen Bedürfnissen nachzugehen. Das hieß nicht, dass sie Essen nicht mehr genießen könnte. Es war einfach nicht nötig, aber es brächte ihr Entspannung, Ablenkung und ein wenig die Illusion, noch zu leben. Würde sie all dies mit der Zeit sein lassen, vergaß sie, wie man lebte und der Weg zurück wäre wohl noch beschwerlicher. Nein, sie musste sich an gewisse Abfolgen halten, die Lebende durchführten. Aber das sollte sie früher oder später schon noch merken. Im Moment gab es keine Anzeichen dafür, dass sie das Lebendigsein binnen kürzester Zeit vergaß. Sie konnte sich wichtigeren Dingen widmen.
Inzwischen war sie davon überzeugt, für Ventha die Schriftrolle der Wassermagie finden zu müssen. Ob sich diese jedoch hier in ihrer eigenen Nachwelt auftreiben ließ? Vielleicht sollte sie hier auch nur recherchieren, wo und wie man an dieses wertvolle Dokument gelangen könnte. Ganz gleich, wie die Antwort ausfiel, sie musste endlich handeln. Es half nichts, einfach nur herum zu stehen. Andererseits fühlte sie sich auch etwas hilflos. Selbst wenn sie handeln wollte, mit sollte sie denn beginnen? Ihre niedergeschriebene Erinnerung an eine Lehrstunde zum Thema der Schriftrolle hatte ihr bislang nicht sehr weitergeholfen. Dafür drang eine andere Erinnerung zu ihr durch und zwar, ohne dass sie diese erst lesen musste.
Serpentis Mortis. Corax ehemalige Herrin und ein niederträchtiges Biest unter den Dunkelelfen hatte Azura zur Findung der Schriftrolle der Wassermagie einspannen wollen! Sie selbst war zwar ebenfalls eine fähige Magierin, aber eben in Bezug auf das falsche Element. Azura erinnerte sich wohl nur noch zu gut an den Moment, da die dunkelelfische Hexe ihre Haare entflammt hatte. Leider drangen darüber hinaus aber keine Einzelheiten in ihr Gedächtnis zurück, doch langsam lernte sie, die Bibliothek ihres eigenen Refugiums passend einzusetzen. Sie entdeckte schnell eine weitere Schriftrolle, von der sie nach nur wenigen Zeilen wusste, dass sie die Erinnerung an ihr erstes Zusammentreffen mit Serpentis Mortis enthielt ... und auch die erste Zeit ... mit Corax.
Sie las seinen Namen tatsächlich zuerst und erinnerte sich auch daran, dass er damals anders geklungen hatte. Düsterer, kälter, mordlüsternder. Das Gespräch, das hier nun auf Pergament gebannt war, war auf Lerium geführt worden. Warum aber verstand sie nun jede einzelne Zeile? Handelte es sich hierbei wirklich um ihre Erinnerungen?

"CORAX", drang die vertraute Stimme so schneidend zu ihm durch, dass er zusammenzuckte. Sofort lockerte er seinen Griff. Anschließend lösten sich die Hände hänzlich vom Hals der Andunierin namens Azura. Die Mordlust, die ihn trieb, schwand schlagartig. Er richtete den Blick zu seinen Füßen, dass ihm Strähnen der kohlrabenschwarzen Haare ins Gesicht fielen und seine Miene verdeckten. So blieb nur noch der verbissene Ausdruck sichtbar auf seiner Miene zurück. Das Zähneknirschen aber hörte man noch besser.
"Herrin", erwiderte er gehorsam, denn er wusste, sie erwartete es. Das reichte aber auch nicht aus, sie dieses Mal zu beschwichtigen.
"Kannst du mir mal verraten, was du da tust?! Es war für mich schwer genug, eine potenzielle Wassermagierin zu finden und du bist drauf un dran, ihr Leben auszuhauchen?!"
Schriftrolle Fuss
Corax hatte ihr nie auch nur ein Haar gekrümmt. Jedenfalls nicht, nachdem Azura an ihn gekettet im geschändeten Tempel ihrer Gottheit erwacht war. Sie, mit verbranntem Haar, und er halb tot. Das Bild seines aufgeschnittenen Fleisches, weil eine Klinge sich einmal quer durch seinen Rumpf gefressen hatte, blitzte vor ihrem geistigen Auge auf. Glücklicherweise war damals diese eine Fremde - Miriel LeFay - zur Stelle gewesen. Ihr Trank hatte Corax aud wundersame Weise geheilt. Von da an war die Reise irgendwie unter anderen Umständen losgegangen. Sie und der Elf hatten einander zwar immer noch angegiftet und waren jenseits der Gefühle gewesen, die sie heute für ihn empfand, aber wenn sie zurückdachte, hatte er sie seither körperlich nicht mehr so angegangen. Davor waren Schläge passiert und sogar der Wunsch nach ihrem Tod in seinen Augen aufgefunkelt, als er seine Hände um ihren schlanken Hals gelegt hatte. Der Absatz auf der Schriftrolle war der Moment, an dem sie sich schon für tot geglaubt hatte. Doch dieses Erlebnis sollte erst noch geschehen. Wenn Azura weiterlas, würde sie es wohl herausfinden. Sie entschied sich, zu lesen, auch wenn es ihr Schmerzen bereitete, sich an den finsteren, eiskalten Corax zu erinnern.
Dennoch ... während sie las, schien sie immer mehr Zweifel hegen zu dürfen, dass der Verfasser gar nicht sie selbst gewesen sein mochte. Die Sichtweise stimmte nicht. Außerdem hatte jemand Anmerkungen gemacht, die mit ihrem Blick auf die Perspektive nicht unbedingt überein stimmten. Sie erkannte solche zwischen den Zeilen auch nur, weil sie in einer anderen Schrift und deutlich feiner an die Seiten des Papiers gekritzelt worden waren.

"Verzeiht, Herrin."
Ich weiß gar nicht, aus welchem Grund genau die Hände sich um ihre Kehle legten. Mordlust. Warum sollte man sie tot sehen wollen? Was hat sie angestellt, außer schön zu sein? Aber ich wollte ihr gefallen und das half, die Situation zu lösen.
"Ich dachte, ich hätte dich Disziplin gelehrt, nachdem ich dir genommen habe, was vorher so hinderlich war! Wage es nicht, mich durch Missachtung meiner Befehle zu hintergehen, Corax!" Serpentis Mortis stieß ihn mit zwei Fingern vor den Kopf. Erneut zuckte er zusammen, dieser Soldat, der eben beinahe eine Frau erwürgt hätte. Vor jener neuen hier kuschte er wie ein Welpe.
Ich will ihr gefallen. Ich will ihr für immer gehören. Ich will, dass sie mich ... liebt. Ich habe alles getan, um das zu erreichen. Alles, selbst ...
Serpentis trat an Azura heran. "Genug der Spielchen. Hol Luft und dann zeige mir die Bücher, die du zusammen mit meinem loyalen Soldaten aus der Bibliothek gesammelt hast. Ich hoffe, ihr wart erfolgreich. Es wird deinen weiteren Weg erleichtern und dein ... Leben verlängern - falls mir dieser unsagbare Hund nicht schon wieder dazwischen funkt!"
Sie hat mich auch vorher nicht geliebt, aber damals stand ich wenigstens in ihrer Gunst. Seit dem ... Ereignis war sie kalt zu mir. Auch mein Beweis der Loyalität hatte nicht ausgereicht. Sie, die mir statt ihrer Liebe gestand, zu töten, hatte nicht ausgereicht. Mein eigenes ... Kind ... zu töten ... hatte nicht ... gereicht... und ich bin kein Soldat, du Hexe! Du wolltest, dass ich es bin! Du wolltest immer, dass ich irgendjemand bin: Sklave, Knecht, Diener, Spion, Meuchler, Liebhaber ... und dann doch wieder nur Mörder.
"Wie gut beherrschst du deine wassermagischen Kräfte?", wandte die Hexe Serpentis sich nun an Azura. Doch die Adlige brauchte mehr als nur einen Moment, um Luft zu holen. Die Kraft hatte auch ihren Körper verlassen, so dass sie keuchend zu Boden sank. Corax blieb nichts Anderes übrig, als sich halb nach vorn zu beugen. Seprentis hatte ihnen ja bereits die magische Fesselung angelegt.
Magisch ja. Härter auch, aber nicht unzerstörbar, so wie ich es später getan habe. Ich weiß immer noch nicht, wie es mit gelungen ist. Es war nichts, das jemanden unglücklicher gemacht hätte. Ich hab ... sie immerhin ... gerettet. Das war entgegen all dessen, was ich bin. Und es hat sie überhaupt nicht gefreut. Ich spüre das Picken ihrer Schnäbel immer noch. Sie werden die Nadeln erneut rufen und mich all meine Fehlentscheidungen durchleben lassen. Sie weisen mir den Platz. Sie sagen mir, wer ich bin.
Corax hielt den Blick gesenkt und mühte sich um eine einigermaßen würdevolle Haltung. Serpentis gab sich damit nicht zufrieden. Eine kleine Flamme sprang von ihren Fingern auf eine Stelle seines Körpers über, die nicht von seiner Rüstung geschützt war - auf seine Haare. Sofort stank es nach angesengten Strähnen. Corax zuckte, riss die Hand hoch, um sein brennendes Haar zu löschen. Es gelang ihm schnell, aber seine Reaktion riss auch Azura unweigerlich auf die Füße.
"Halt dich gefälligst gerade, du bist Soldat!", schnauzte Serpentis ihn an.
Sklave, Knecht, Diener, Spion, Meuchler, Liebhaber, Mörder ... Soldat. Nichts davon bin ich. Ich bin ... Leid.
"Ja, meine Herrin." Corax richtete sich auf. Er besaß noch genug Kraft, um das Fliegengewicht von Adliger notfalls auch mit im Stand zu halten. Sein Blick wanderte zu ihr, noch immer war er von finsterer Verachtung durchdrungen.
Warum bist du so schön?! Lenk mich nicht ab! Sie ist eifersüchtig ... und ich hab nichts mehr, um meine Fehler zu tilgen. Nichts bis auf ...
Serpenits würdigte Corax zunächst keines Blickes mehr, aber seine Tat würde nicht ungestraft bleiben. Das wussten beide. Vorerst galt ihr Interesse jedoch Azura. Es sank allerdings, weil sie ob des Würgeangriffs noch nicht wieder in der Lage war zu antworten. "Ich werde deiner überdrüssig, Kindchen", warnte die Hexe, ehe ihre Hand vorschnellte, um Azuras Gesicht zu packen. Ihre Fingernägel gruben sich in die zarten Wangen der jungen Frau, rissen an ihrem Kopf. Aus Serpentis' Augen sprühte ihr eisige Verärgerung entgegen.
Sie ist zornig und frustriert. Das ist gut. Soll sie sich nur ärgern! Weder diese Hübsche hier noch irgendein anderer wassermagischer Schüler der Akademie wird dir helfen können. Du wirst niemals zwei Magie-Arten beherrschen und eine ganze Akademie unter deine Kontrolle bringen! Denn du wirst die magische Schriftrolle mit all ihrem Wissen niemals finden! Ich habe sie versteckt. Ich hab's getan, als
Schriftrolle Fuss
Das Pergament endete in Fransen. Es fehlte ein Teil und das gerade jetzt. Die Anmerkung hätte Azura weitergeholfen, doch nun? Es sah abgerissen und noch recht frisch aus. Wäre das untere Ende des Papieres schon früher entfernt worden, hätten die Fransen sich aufgeweicht, wären braun und runzlig geworden. Hier aber konnte es noch nicht so lange her sein. Trotzdem fehlte der Teil des Notizenschreibers eben, der ihr so viel Aufschluss hätte bringen können. Wahrscheinlich wusste sie längst, wer die Gedanken zwischen den Zeilen verfasst hatte. Und er wusste, wo die Schriftrolle der Wassermagie sich befand?
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Azura » Donnerstag 15. Dezember 2022, 13:51

So ganz verstand sie noch immer nicht, warum sie sich eigentlich in diesem Zwischenreich befand, in dem sie immer wieder Einblick in die Welt der Lebenden erhielt, und zugleich eigentlich tot war. Den Weg in Venthas Reich hatte sie ausgeschlagen, denn auch ihr war instinktiv klar gewesen, dass damit tatsächlich alles ein endgültiges, absolutes Ende gefunden hätte.
Das wollte sie nicht, auch wenn sie es vor nicht allzu langer Zeit angestrebt hatte. Im Gegenteil, sie wollte ihren Sprung rückgängig machen, wollte in ihren Körper zurück kehren und dieses Mal wirklich leben! Wollte ihr neugewonnenes Wissen nutzen, ihre Göttin umso ehrlicher verehren und zugleich bei dem Mann sein, der ihr das Herz gestohlen hatte.
Wenn sie nur endlich diesen einen, zielführenden Ausweg aus ihrer Misere gefunden hätte! Doch anstatt ihr offen darzulegen, was sie tun sollte, bekam sie Hinweise und Andeutungen, um selbst die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Wie mühsam! Aber ein Aufgeben kam für sie momentan nicht infrage, schließlich wollte sie unbedingt zurück und war bereit, dafür tatsächlich einmal eine Leistung zu erbringen.
Zwar könnte sie auch den einfachen Weg wählen, so, wie sie es als verwöhntes Töchterchen mit einem adeligen, vermögenden Stiefvater gewöhnt war, jedoch... etwas in ihrem Inneren sträubte sich dagegen. Ihrem Raben hatte sie gerne etwas von sich selbst geopfert, in dem kläglichen Versuch, ihm auf diese Weise Trost spenden zu können. Was genau sie dadurch verloren hatte und ob sie es jemals wieder erlangen könnte, wusste sie nicht.
Nun allerdings einfach so etwas von sich herzugeben an jemanden, der ihr Botschaften übermittelte, die nicht immer sonderlich hilfreich waren... Nein, dazu war sie noch nicht verzweifelt genug, sondern wollte und musste es zuerst selbst probieren.
Und es drängte die Zeit, wie ihr bewusst wurde. Denn, auch wenn sie keine Ahnung davon hatte, wie lange es dauerte, bis ein Körper verweste, und von den einzelnen Stadien dieses Prozesses gewiss nichts hören wollte, war sie sich dessen bewusst, dass ihrem Leib das durchaus blühen könnte, wenn sie zu lange für ihre Rückkehr brauchte. Oder, schlimmer noch, in der Zwischenzeit begraben werden würde! Und im allerschlimmsten Falle ins Meer geworfen oder verbrennen sollte!
Nein, das durfte einfach nicht passieren! Sie musste schneller sein, definitiv! Oder trotz allem mit Manthala verhandeln, um noch einmal einen Traum besuchen zu können... in dem er sie nicht für selbiges hielt...
In ihrer aufsteigenden Panik handelte sie kopflos, trommelte gegen die Scheibe und rief und... erreichte nichts. Bis auf den Umstand, dass sie Stimmen hören konnte, leise und lediglich verständlich, wenn sie sich darauf konzentrierte, aber auch ihr Rabe war dabei. Er hatte sie also noch nicht verlassen... Azura schluckte leer und schüttelte den Kopf. Sie musste sich konzentrieren, alles andere hielt sie nur unnötig auf!
Also wandte sie sich ab und fühlte einen Hauch Erleichterung, als ihr ein Gedanke kam, der ihrem folgenden Handeln Sinn gab. Es gab an diesem Ort demnach Aufzeichnungen ihres Lebens und auf diese Weise könnte sie ihre Vergangenheit wieder aufleben lassen, sie nach Hinweisen durchforsten und mit etwas Glück tatsächlich des Rätsels Lösung finden!
Bedauerlicherweise enthielt die erste Schriftrolle, in der es um jene langweilige Lektion von damals ging, nichts, das sie weiter brachte. Das war ärgerlich, für sie aber im Moment kein Grund, sofort aufzugeben. Stattdessen stieß sie unbewusst gegen eine andere Rolle, die dadurch ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
Sie hob diese auf, begann zu lesen und musste es abbrechen, denn die Gefühle drohten sie zu überwältigen. Mehrmals musste sie schlucken an dem Kloß in ihrer Kehle, der ihr die Luft abgeschnürt hätte, wenn sie dieser noch bedurft hätte. Ihre Augen brannten voller ungeweinter Tränen. Das, was sie da in der Hand hielt, war die Erinnerung an ihr Kennenlernen, ihre erste Begegnung mit ihm, der sie damals noch hatte leiden sehen wollen. Der ihr Angst gemacht und dem sie nichts als ihren adeligen Stolz entgegen zu setzen gehabt hatte. Nein, das tat weh, das tat einfach zu weh, das wollte sie nicht lesen!
Und dennoch... irgendetwas in ihrem Inneren, ihr Bauchgefühl, riet ihr dazu, diese Qual auf sich zu nehmen. Es half letzen Endes ja doch nichts... Wenn sie zu ihm zurück wollte, musste sie alles durchforsten, was ihr in die Finger geriet, bis sie die Lösung hatte!
Trotzdem hatte sie das Gefühl, als wären ihre Knie butterweich, und sie musste sich setzen, ehe sie mit dem Lesen fortfahren konnte. Es war, gelinde gesagt, schrecklich, den Anfang ihrer Beziehung nachzulesen und noch einmal zu erleben, was sie hatte durchmachen müssen. Auch hinterließ es die Frage in ihrem Hinterkopf, wie daraus nur so etwas gänzlich anderes hatte werden können... und wann dieser Wandel eigentlich begonnen hatte.
Wie konnte es nur sein, dass sie sich in ihn verliebt hatte, obwohl er zu Beginn dermaßen grausam zu ihr gewesen war? Sie hatte einmal einen Roman gelesen von einer äußerst fragwürdigen Liebesbeziehung, da hatte sich die gefolterte Maid ebenfalls in ihren Peiniger verguckt, der das weidlich ausgenutzt und sie nur noch mehr zerstört hatte. Am Ende war dann selbstverständlich der strahlende Ritter und Held ihres Herzens aufgetaucht, um sie wieder zu heilen. Aber... es erinnerte die junge Frau unwillkürlich an sie selbst.
War sie auch so jemand? Wollte sie von ihm verletzt werden, während sie unaufhörlich zu ihm hielt und an ihm... hing, wie ein Tier, das verlernt hatte, was ihm eigentlich gut tat? Nein, er hatte es versucht, er hatte sich darum bemüht, ihr eine Freude zu machen und ihr Gutes zu tun. In der Kabine, als sie gedacht hatte, sie wäre stumm, auch davor schon mit der Illusion ihrer veränderten Körper im Meer. Und vor allem in... in den heißen Quellen...
"Reiß dich zusammen, sonst verwest du wirklich beim Aufwachen!", schalt sie sich selbst, schloss noch einmal die Augen und nickte sich entschlossen zu. Nun war Schluss mit all der Gefühlsduselei, sie hatte eine Aufgabe und um diese musste sie sich endlich kümmern!
So konzentriert wie möglich also las sie jene Momente nach, in denen sie Corax und seiner damaligen Herrin auf Gedeih und Verderb ausgeliefert gewesen war. Fest presste sie dabei die Lippen zusammen und bemühte sich darum, sich jeden weiteren Gedanken zu verbieten. Vor allem jenen, wie es sein konnte, dass sie verstand, was damals gesprochen worden war. Und dass sie das Gefühl hatte, als wäre die Situation nicht aus ihrer Sicht beschrieben. Das konnte sie später noch gedanklich herum wälzen, jetzt kam es darauf an, den entscheidenden Hinweis zu finden!
Je weiter sie jedoch voran kam, desto öfter waren da... Zusatzbemerkungen, Gedanken und Meinungen, die nicht die ihren waren und niemals hatten sein können. Sie stammten von... "Corax...?", hauchte sie, schüttelte den Kopf und nickte im nächsten Moment. Ja, das war die Antwort, die einzige, die Sinn ergab.
Nur... wie? Wie hatte er das gemacht? Und warum hatte sie diese Schriftrolle hier und keine mit der Situation aus ihrer eigenen Sicht? Er hatte sie damals schon hübsch gefunden... Ohne es zu wollen, musste sie schmunzeln und biss sich auf die Unterlippe dabei, als könne er sie sehen und durch diese Geste noch anziehender finden. Aber dann wurde sie sich dessen bewusst und schüttelte energisch den Kopf. Konzentration!
Langsam las sie weiter, presste die Lippen fest aufeinander, verkrampfte sich innerlich oder stöhnte leise auf, je nachdem, welche Gedanken sie gerade vor sich hatte. Wenn das hier eine Erinnerung von ihm war, gespickt mit Überlegungen und Empfindungen, die wie später hinzugefügt wirkten... könnte sie das dann eigentlich auch? Könnte sie eine Schriftrolle nehmen, etwas hinzufügen... oder wegstreichen und damit ihre eigene Vergangenheit ändern?
Wäre das möglich? Hätte das irgendwelche Konsequenzen, abgesehen von der Änderung an sich? Diese Fragen beschäftigten sie, während ihre Augen weiter wanderten und dadurch beinahe die allerwichtigste Botschaft dieses Textes verpasst hätten, die am Ende stand.
Azura stutzte ob des plötzlichen Abbruchs und blinzelte. So recht konnte sie sich nicht erinnern, was am Schluss gestanden hatte, weil sie gedanklich eben bei dieser anderen, neuen Möglichkeit hängen geblieben war. Leise seufzte sie und wollte die Rolle eigentlich weglegen, in der Annahme, dass dies der einzige Grund gewesen war, warum sie darauf gestoßen war.
Doch eine Ahnung, eine Art Gefühl verleitete sie dazu, es nicht sofort zu tun, sondern den letzten Abschnitt ein zweites Mal zu lesen. Es war ja nicht viel und... schaden würde es gewiss nicht. Da weiteten sich ihre Augen und sie keuchte jenen Fluch, den auch der unselige Kapitän verwendet hatte:"Oh, bei Venthas Titten..."
Er! Er hatte die Schriftolle? Oder wusste zumindest, wo sie diese finden könnte?! Ungläubig starrte sie auf den Text, las die Worte immer und immer wieder, doch der Sinn änderte sich nicht. Viel zu überrascht davon, bemerkte sie gar nicht, wie frisch zerstört der untere Rand der Rolle aussah, sondern spürte stattdessen das Bedürfnis zu lachen.
Es kroch in ihr hoch, stieg höher und höher ihre Kehle herauf und schrillte ihr in den Ohren, als es aus ihr ausbrach. Wie lange sie so dasaß und lachte und kicherte, während ihr das Schriftstück ihren Fingern entglitt, wusste sie nicht zu sagen. Schließlich verebbte der Laut allmählich und sie schüttelte den Kopf, strich sich mit beiden Händen über Gesicht und Haar, um am Ende über ihrem Mund liegen zu bleiben.
Auf diese Weise verstrichen weitere Sekunden, in denen es heftig in ihr arbeitete, bis sie sich wieder rühren konnte. "So ist das also...", wisperte sie und schloss noch einmal die Augen, um sich zu sammeln.
Corax... er war der Schlüssel, mit ihm musste sie reden. Sie brauchte seine Hilfe, sein Wissen! Nur... wie? Ein weiterer Traum? Würde das denn etwas bringen? Beim letzten Mal hatte er sich auf sie gestürzt, sie für nicht real gehalten und sie trotzdem so verzweifelt geliebt, als läge sie tatsächlich in seinen Armen. Nein, das wäre sinnlos, es noch einmal zu versuchen.
Oder...? Wie sollte sie das überhaupt anstellen? Manthala, die Göttin der Träume, würde ein Opfer von ihr verlangen. Welches? Was hätte sie zu bieten? Ein weiterer Teil ihrer selbst? Wie lange würde ihre Seele das noch überstehen, ehe es sinnlos wäre, noch zurück kehren zu wollen?
Oder hatte sie noch andere Möglichkeiten? Ihr Blick fiel auf die Schriftrolle, die sich wieder zusammen gefügt hatte, wie sie lange Zeit über gelegen hatte. Dabei war das untere Ende oben und zeigte deutlich jene Fransen, an denen der Rest einst gewesen war. War es das? Sollte sie nach dem abgerissenen Stück suchen? Wo denn? Diese Bibliothekt war riesig! Hier etwas zu finden, ohne Anhaltspunkt... Nein, unmöglich! Sofern das Gesuchte überhaupt an diesem Ort war...
Aber was blieb ihr sonst übrig? Eine Idee blitzte in ihrem Hinterkopf auf, flüchtig und doch dazu angetan, immer stärker heran zu wachsen. Nein, das wäre sinnlos, das brauchte sie ohne einem weiteren Opfer gar nicht erst probieren! Wobei... andererseits... was hatte sie schon zu verlieren? Wäre es nicht einen Versuch wert? Warum also nicht?
Azura seufzte leise und starrte auf die Schriftrolle, als würde diese ihr die Antwort liefern. Tat sie nicht, denn der Inhalt war ihr nun bekannt und hatte ihr Dilemma ausgelöst. Sie zauderte, befürchtete, dass sie es damit übertreiben und den Segen verlieren würde. Trotzdem hielt sie ihren Einfall für durchaus lohnenswert und wollte die Hoffnung auf Erfolg nicht gänzlich aufgeben.
Also gab sie sich einen inneren Ruck, nickte sich selbst zu, griff sich das Schriftstück mit der Erinnerung ihres Raben und drückte sich in die Höhe. Anfangs noch entschlossen, das Ganze jetzt durchzuziehen, jedoch mit jedem Schritt immer zögerlicher trat sie an das Pult heran, in der Annahme, dass dort am ehesten die Antwort erkennbar werden würde. Einen Fußbreit davor verharrte sie und sah unwillkürlich zu der Scheibe hin.
Nein, die Aussicht blieb unverändert und war damit auch nicht dazu angetan, sie abzulenken und ihr Zaudern zu begründen. Das musste sie jetzt durchziehen!
Fest presste sie die Lippen aufeinander, ballte die freie Hand zur Faust und vollführte den letzten Schritt. "Jetzt oder nie!", murmelte sie zu sich selbst und empfand das Bedürfnis, tief durchzuatmen, ehe sie mit der Umsetzung ihres Vorhabens begann.
"Ventha, Göttin der Meere und der Stürme, hör mich an!", hob sie an und versuchte, ihrer Stimme einen festen, beinahe schon feierlichen Klang dabei zu geben. Ihr Blick richtete sich währenddessen bewusst auf die aufgeschlagenen Buchseiten, in der Hoffnung, möglichst bald eine Replik darauf erkennen zu können. "Du möchtest, dass ich deine Schriftrolle finde, und das will ich tun. Ich habe einen Hinweis über deren Verbleib gefunden und werde diesem auch nachgehen. Aber das kann ich nicht von hier aus und auch ein Traum wird mir nicht weiterhelfen. Die einzige Lösung ist, dass du mich zurück schickst."
Sie schluckte und bekam ein ungutes Gefühl, wie, als wäre sie drauf und dran, eine Dummheit zu begehen. Aber sie war bisher gekommen, jetzt würde sie nicht kneifen, nicht bei dem Preis, der sie im positiven Falle erwarten würde!
"Ich habe dir also einen Vorschlag zu machen... einen Handel anzubieten!" Erneut hielt sie inne, doch dieses Mal, um ihre Schultern zu straffen und dieser Pause mehr Gewicht zu verleihen, als wäre sie vollkommen von sich überzeugt, so, wie sie es früher gewesen war. "Mir ist bewusst, dass du nicht die Göttin des Handels bist. Dennoch bist du die Schutzherrin der Seeleute und da diese durchaus deinen Segen für ihre Handelsfahrten erflehen, ist es dir gewiss nicht vollkommen fremd. Erweise mi also die Gnade und höre mich an!", fuhr sie, betont förmlich, fort.
Ob es hingegen etwas bringen würde, bliebe abzuwarten. Denn sie tat es nicht, weil es sich so gehörte, dazu war sie zu sehr davon überzeugt, dass Ventha jegliche Wortwahl akzeptieren könnte, solange der Inhalt stimmte und sie nicht verärgerte. Nein, die junge Frau benutzte deswegen eher gestelzte Worte und einen dazugehörigen Tonfall, um die Wichtigkeit ihrer Idee zu unterstreichen.
"Schicke mich zurück zu den Lebenden und gewähre mir eine machbare Frist, um deine Schriftrolle zu suchen. Gelingt es mir, diese einzuhalten, möge ich wieder leben und dir im Diesseits als deine ergebene Dienerin zur Verfügung stehen. Gelingt es mir hingegen nicht..." Kurz stockte sie und musste schwer schlucken, dann allerdings hatte sie sich wieder im Griff. Sie musste das durchziehen, ansonsten gingen ihr tatsächlich die Ideen aus! "Versage ich, unterstelle ich mich deinem Urteil und werde dieses annehmen." Nun ja, nicht kampflos, höchstwahrscheinlich!
Jedoch war sie auch fest davon überzeugt, dass dies ein Vorschlag war, mit dem die Göttin einverstanden sein könnte, denn er bot ihr viele Möglichkeiten, um ihr trotzdem das Leben zu lassen. Einerseits wäre da die Frist selbst und andererseits musste ihr Urteil nicht zwangsläufig das absolute Ende bedeuten. Nur... würde Ventha sich darauf einlassen?
"Wie sieht es aus, Herrin und Gebieterin? Haben wir eine Abmachung?", vollendete sie ihre Ansprache und atmete hörbar aus. Nun war es geschehen und sie konnte vorläufig nichts anderes tun als... zu warten.
Wäre sie noch am Leben gewesen, ihr hätte das Herz bis zum Halse geschlagen, ihre Knie wären butterweich gewesen und wahrscheinlich hätte sie am ganzen Leib gezittert. So indes stand sie lediglich vor dem Pult, stellte sich unbewusst diese körperlichen Reaktionen vor und haderte mit der sich ewig ausdehnenden Zeit bis zu einer Reaktion. Sofern diese überhaupt kommen würde...
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Re: Palast der Stille

Beitrag von Erzähler » Dienstag 20. Dezember 2022, 15:02

Azura glaubte, sich noch immer in einer Welt zwischen Leben und Tod zu befinden, weil sie nach wie vor auch einen Blick auf Corax werfen konnte. Nun, im Augenblick nicht, denn Holz versperrte ihr die Sicht auf ihn und sie nahm nur dumpf seine Stimme, sowie die von Caleb wahr, aber sie hatte einseitigen Kontakt. Dass dies vielleicht auch im Jenseits möglich war, in dem sie sich bereits befinden könnte, bis die letzte Erinnerung an ihre Existenz mit den Hinterbliebenen schwände und sie sich Richtung Venthas Reich aufmachte, kam ihr nicht in den Sinn. Aber es war gut, dass sie so dachte, denn so hielt sie auch an ihrem Wunsch fest, den Palast der Stille auf anderem Weg zu verlassen als durch das Wassertor und hinein in Venthas Ewigkeit. Wenn sie nur wüsste, wie sie zu Corax und den anderen zurückkehren könnte!
Ein Schachspiel mit dem Tod stand ihr ebenso wenig zur Verfügung wie die Gunst ihrer Göttin. Obgleich Ventha überraschend stark an ihr interessiert war, so half sie ihr nicht direkt. Weder schickte sie eine rettende Notlösung, noch sandte sie Azura mit göttlicher Macht einfach zurück zu den Lebenden. Sie erwartete vielmehr eine Gegenleistung als sei sie plötzlich zu Manthala mutiert. Azura sollte etwas beschaffen, das ihr gehörte und sich - warum auch immer - in ihrem Nachweltspalast aufhielt.
Die Adlige begann zu suchen. Sie durchforstete Erinnerungen, niedergeschrieben von wem auch immer und verfügbar, sobald sie sich darauf versteifte. Überraschend war, dass sie zwar Erinnerungen an Erlebtes wiederfand, diese jedoch aus ganz anderer Perspektive nachlesen konnte. Außerdem waren Randnotizen hinzugefügt worden. Schnell wurde ihr ersichtlich, dass sie hier in eine von Corax Erinnerungen abgetaucht sein musste. Er hatte ihr erstes Aufeinandertreffen so anders wahrgenommen als sie, geleitet vom Wunsch seiner damaligen Herrin über alle Maße zu gefallen. Wie weit er dafür ging, zeigten seine Bemerkungen am Rande des Papiers. Er verstand teilweise selbst nicht, warum er Azura angegangen und sogar bereit gewesen war, ihr Leben auszuhauchen. Sein Handeln war von blinder Mordlust überschattet gewesen, aus der Azura mit wenigen Schlussfolgerungen ihr eigenes Erlebtes leicht abbilden könnte. Die unheimlichen Stockmännchen mit den Schauerfratzen hatten ihn getrieben, ihn geführt wie eine Marionette an Fäden. Sie selbst hatte es erlebt, als sie den schön geformten Dolch aus einer Laune heraus lieber in sein Herz hatte schleudern wollen anstatt vor seine Füße. Und sie hatte es nur ein einziges Mal so erlebt! Wie musste es dem Dunkelelfen da ergehen, der bereits im Säuglingsalter darauf geschult worden war, sich dem Willen dieser Gruselfiguren unterwerfen zu müssen? Ein Leben lang hatte er nach ihren Pfeifen getanzt und wenn nicht nach dem Willen seiner geheimnisvollen "Familie", dann doch immer so, dass es eben jenem Herrn oder jener Herrin gefiel, dessen Eigentum er zu diesem Zeitpunkt gewesen war.
Azura hatte nie nach seinem Alter gefragt. Wie viele Jahre, wie viele Jahrzehnte hatte er sich seinem Schicksal schon ergeben müssen? Und wie oft hatte Corax aus eigenem Antrieb gehandelt, weil er seinem eigenen Wunsch gefolgt war? In Azuras Beisein wenigstens einmal. Die heißen Quellen ... es war nur Gutes in diesem Moment entstanden. Das hatte keines dieser Männchen ihm aufhalsen können. Es hatte kein Leid gebracht, nicht wähend ihrer Vereinigung, sondern erst danach, als sie so laut geschrien und die Zwerge sie beide auf dem falschen Fuß erwischt hatten. Aber nicht, als sie sich unter ihm bewegt und seine Nähe genossen hatte. Das war echt gewesen und von ihm gekommen. Jedenfalls wollte man sich das wünschen, um zu hoffen.
Aber auch eine andere Tat schien ihren Ursprung in Corax' Willen erhalten zu haben. Er hatte etwas mit der Schriftrolle der Wassermagie angestellt, damit Serpentis Mortis sie nicht in die Hände bekommen konnte. Er hatte sie versteckt? Aber wo? Das Pergament seiner Erinnerung endete jäh, weil der untere Teil abgerissen worden war. Doch Azura war einen Schritt weiter. Nun konnte sie mit großer Sicherheit sagen, dass ihre Göttin nach der Schriftrolle suchte. Warum sie diese selbst nicht erreichte, blieb unbeantwortet. Ebenso wo sich das magische Artefakt befinden mochte, aber Corax wusste es. Sie musste mit ihm sprechen. Sie musste zurück.
Aus dieser Erkenntnis keimte erneut ein Zwiegespräch mit ihrer Göttin. Azura ging davon aus, dass Ventha sie jederzeit hören würde, wenn sie sich offen an die Herrin von Wind und Wasser wandte. So rief sie einfach in die Bibliothek hinein. Sie schlug ihr einen Handel vor, der auf der Logik fußte, dass sie die Schriftrolle nicht würde bergen können, wenn sie nicht ins Leben zurückkehrte. Wie sonst sollte sie mit Corax Kontakt aufnehmen?
Eigentlich gab es einen Weg, aber dazu wäre ein Opfer nötig. Eines, das sie nicht bereit war zu gehen. Noch immer hatte Azura nicht herausgefunden, welchen Teil ihrer selbst sie aufgegeben hatte, aber sie war nicht länger bereit dazu, weitere Tränenperlen aus ihrer Seele entstehen zu lassen. Es musste einen anderen Weg geben. Ventha musste nun einschreiten, da war sie sich sicher.
So rief sie ihre Göttin an und Ventha ... hörte zu. Mehr noch. Plötzlich erklang erneut ein Rauschen wie schon zuvor, als die Flutwelle durch die Bibliotheksgänge geschossen war. Dieses Mal nur war es glücklicherweise nicht so laut und es drängten sich auch keine Wassermassen herbei, um vereinzelte Schriftstücke mitzureißen und über Azura hinweg zu spülen. Dieses Mal riss es das Wasser aus einem der Globen. Die aufgezeichneten Landmassen wurden verdrängt, als das quirlige Element sich von der kugeligen Oberfläche löste und in einem sprudelnden Wasserstrahl zum Podium herüber schoss. Dort bildete es zunächst eine große Lache zu Azuras Füßen. Wenn sie hinein schaute, erkannte sie die Tiefen der See darin, in deren Zentrum das Wasser immer schwärzer wurde. Fischschwärme stoben vorbei. Der Schatten irgendeines Raubtieres der See kreuzte kurz die sichtbare Fläche. Dann hob sie sich empor.
Azura hatte schon einmal Venthas Schönheit bewundern können. Dieses Mal trug sie wieder ein gänzlich flüssiges Gewand und doch sah es ganz anders aus als bei ihrer ersten Begegnung. Auch eine Göttin pflegte sich darin, modisch aufzutreten. Niemand käme je an ihren Geschmack heran. Ein Kragen aus verschieden grünem und braunem Tang legte sich einem fleischigen Fächer gleich über ihre Schultern. Spangen aus Seerosen hielten den Überwurf und das darunter befindliche Gewand zusammen. Sie trug erneut ein langes Kleid, dessen unterer Saum dieses Mal an winzigen Flusskieseln endete, welche den Stoff davon abhielten, einfach von ihrem Körper zu fließen. Gelegentlich spritzte es von dort auf. Winzige Gräser sprossen zwischen den Kieseln und einige Libellen aus reinem Licht fühlten sich dazu angezogen, auf ihnen zu landen. Sie boten Nahrung für die vielen kleinen Goldfische, die mit glitzernden Schuppen durch das Gewand schwammen, gelegentlich daraus hervor sprangen und sich einen der Insektenhappen schnappten. Venthas Arme lagen dieses Mal frei von ihrem wässrigen Stoff. Stattdessen zierten ihre Arme goldener Schmuck, der sich wellenförmig um ihre Haut legte und von vielen Fassungen gesäumt war. Einige davon trugen Perlen, aber viele waren leer. Mit einer Hand, an der goldene Ringe mit Fischschuppen in allen Farben prangten, grüßte Ventha ihre Gläubige. Sie hob die Finger an ihr Haar, das seidig und schwarzgrün auf ihren Algenüberwurf fiel. Aus den Strähnen löste sich die Überreste eines Fischernetzes mitsamt einigen Muscheln und kleinen Krebsen. Während sie damit begann, Letztere zu befreien, seufzte sie auf.
"Du musst lernen, Dinge selbst in die Hand zu nehmen und nicht immer von anderen zu fordern, es für dich zu erledigen", schalt sie Azura, aber mit mütterlicher Milde in der Stimme, ruhig wie die See, wenn Lysanthors Sonnenscheibe über ihr lächelte und die Wogen glättete. "Du bist nicht die Einzige, die sich Hilfe suchend an mich wendet und auch meine Zeit ist knapp bemessen." Sie befreite einen der Krebse, welchen sie anschließend zu ihren Füßen auf den Kieselsaum ihres Kleides absetzte. Er winkte mit einer seiner Scheren.
Ventha richtete sich wieder auf. Ihre Augen legten sich auf Azura. Sie schillerten blaugrün, erinnerten fast ein bisschen an die des Kapitäns van Tjenn. Dann aber nahmen sie eine tintenblaue Schwärze an und wirkten mehr wie der tiefste Abgrund, der geheimnisvoll an irgendeinem Meeresboden vorzufinden war. Anschließend wandelten sie sich erneut, um ein Blau anzunehmen, dem man Azuras Namen zuschreiben konnte.
"Noch einmal: Ich kann dich nicht zurückschicken. Jedenfalls nicht direkt. Ich gebe dir einen Hinweis, wie du es selbst in die Hand nehmen kannst, aber dieser allein und dein Weg zurück werden etwas verlangen. Etwas, das ich dann einfordern muss, obgleich es eine andere ist, die es von uns beiden erwarten wird." Ventha warf einen Blick zurück über die Schulter und in einen der Gänge der Bibliothek. Dort glomm ein diffuses, weißgelbes Licht, das nicht hell genug war, die Gestalt vollends zu zeigen, die es trug. Im Grunde erkannte man hier nur ein Paar nackter Damenfüße.
Die Göttin lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Azura zurück. "Die Welt der Lebenden und des Gevatters Inselreich, auf dem auch dein Palast sich befindet, werden von Gewässern getrennt. Sie sind zu weit, als dass die Ewigkeit ausreichen würde, sie zu durchschwimmen. Begrabe diese Idee also sofort, falls du daran nun denkst. Wenn du den Weg über das Gewässer nicht kennst, wirst du dich darin verlieren. Und den Weg kennt nur einer." Sie fuhr mit ihrer Hand durch ihr Kleid, dass die Falten kleine Wellen schlugen. Der Schatten eines Bootes glitt über die Oberfläche, ehe er verblasste. "Du musst den Fährmann finden und ihn bitten, dich zurück zu bringen. Er wird etwas einfordern, auch wenn er nicht Manthala ist. Seine Arbeit ist wichtig und er erwartet eine Bezahlung, wenn man sein Boot nutzen will. Unabhängig davon wirst du aber allein für deine Rückkehr ein Opfer bringen müssen. Das Gleichgewicht muss aufrecht erhalten bleiben und wenn ein Leben zurückkehrt, wird eines genommen. Ich möchte, dass du dir darüber Gedanken machst. Es muss dir bewusst sein, was du hier tust. Dein Wert wird aufgewogen, daran führt kein Weg vorbei. Selbst der Kapitän - Caleb van Tjenn - ist diesen Schritt gegangen, auch wenn er nicht einmal im Ansatz ahnt, dass es Kosten gab. Aber du wirst es wissen." Die Göttin neigte sich nach vorn, dass ihre Haare die Farbe des Windes annahmen und sanft ihr Gespräch umrahmten. Ihre Augen färbten sich wie der Himmel vor einem Sturm in ein stählernes Blaugraugemisch mit winzigen weißen Flecken, als schwirrten Seemöwen über dem Meer.
"Ich habe keinen Einfluss darauf, welches Leben gleichwertig mit deinem ist. Ich kann dir nicht sagen, wie das Gleichgewicht hergestellt wird. Ob es eine gute, eine böse, eine junge oder alte Seele sein wird. Ob es ein Insekt, ein Tier oder ein Mensch sein wird. Ich kann dir nicht einmal sagen, ob du diese Seele kennst. Vielleicht ist sie ein kranker Soldat auf dem Schlachtfeld, verletzt durch eine Pfeilwunde, der es als Erlösung ansehen wird, endlich gehen und nicht länger leiden zu müssen. Vielleicht ist es eine Maus, die einen Moment lang nicht aufpasste und zur Beute für den lauernden Raubvogel wird. Vielleicht ist es aber auch ein Kind, vollkommen unschuldig und zufällig nur mit deinem Wert gleichzusetzen. Vielleicht ist es einer deiner Gefährten."
Ventha neigte sich vor. Ihre Arme schlossen sich um Azuras Gestalt. Sie spürte weder die Kühle noch die Feuchtigkeit des Wassers. Sie fühlte die Göttlichkeit und nichts war damit vergleichbar, abgesehen von der geborgenen Wärme der Umarmung einer Mutter, ihrem Kuss auf die Stirn und den sanften Worten, dass sie ihr Kind liebte. Azura konnte nicht verhindern, dass ihre Seele weinte. Tränen flossen, obgleich sie dazu nicht mehr in der Lage sein dürfte. Sie brauchte nicht weinen, weil sie tot war. Aber es hinderte sie auch niemand daran, es dennoch zu tun.
"Mein liebes Kind." Selbst ihre Einleitung erinnerte an den Frieden, den nur eine Mutter spenden konnte. "Ich möchte dir damit keine Schuldgefühle einreden oder dich von deinem Wunsch nach Rückkehr abbringen. Es gibt hier auch kein richtig oder falsch. Es ist nur eine Entscheidung. Deine Entscheidung. Aber ich möchte, dass du sie nicht leichthin triffst. Sei dir bewusst, was du von uns - von uns allen
- erbittest und sei dankbar für das, was du erhältst, wie auch immer das Ergebnis aussehen wird. Es wird keine weitere Chance für dich geben udn das Gleichgewicht wird hergestellt. An dieser Konsequenz wirst du nichts mehr ändern können."
Langsam löste Ventha ihre Arme von Azura. Sie hinterließ eine Frische, welche verhieß, was auf die Andunierin warten mochte. Leben.
"Verlasse deinen Palast. Fürchte dich nicht auf dem Weg. Finde Styx, den Fährmann. Entlohne ihn und kehre in deine Stebrlichkeit zurück ... und vergiss nicht, was du dir selbst auferlegt hast durch diese Taten." Sie lächelte schmal, aber warm. "Jemand erwartet dich sehnsüchtig."
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