Mit halben Ohr, bzw. gar keinem, denn der Tod besaß im eigentlichen Sinne keine Ohren, hörte der Gevatter teils dem Spektakel auf der Wasserwand zu, teils seinen Gästen. Warum auch nicht? Er war tatsächlich das einzige Wesen dem Raum und Zeit egal war. Er konnte an mehreren Orten gleichzeitig sein und überall seine Nase rein stecken ...wie die Wichtel zur heiligen Nacht.
Und sein Geselle machte sich ganz gut, auch wenn er gerade einmal mehr von seiner Liebe von seinen Aufgaben abgelenkt wurde. Aber Tod hatte Zeit und jede menge Geduld. Alles passierte wann und wo es sollte. So beobachtete er das Mädchen mit den Kupfer schimmernden Haaren und grinste vor sich hin.
„Hätte nicht übel Lust den beiden da drüben mal einen Besuch abzustatten. Ob ich mal... Schau, ...“
Er wandte sich kurz zu Kazel und Janay, aber die hatten kein **Ohr** für seine Belange. Er zuckte mit den Schultern. Es war ihm egal. Sie hätten etwas lernen können, aber wie die Sterblichen nun mal oft waren, sie sahen nur ihre eigenen Probleme. Dass die Lösung manchmal auch wo anders liegen konnte, sahen sie nicht. Also führte er leise seine kleinen Selbstgespräche und lachte ab und an hohl, wenn sich das Gesicht des Mädchen auf der Wasserwand mal wieder in Erstaunen verzerrte.
„...köstlich! ...hat sich mal wieder selbst übertroffen... ...Respekt muss ich ja da doch zollen. So viel Kreativität... Allein dieses goldene Band! Herrlich! Schaut doch, ist wie bei euch... bei euch ist es die Liebe und das wachsende Leben, bei ihr die Kette. Haha. Was für eine Metaphorik!“
Tod klatsche hölzern klingend in die knochigen Hände.
„...und dann die Offenbarung! Schaut euch ihre Augen an! Haha. Wie bei euch. Er der große schwarze Rabe, der ihr seine Macht enthüllt, und hier ihr. Enthüllungen über Einhüllungen. Doch für meinen Geschmack ein bisschen einseitig...“
Tod stützte den kahlen Schädel auf die geschlossene Faust und dachte nach, während das Schauspiel weiter ging.
„Eigentlich ein bisschen unfair... Hm... Er entbößt seine Seele und sie verschweigt ihm so viel.“
Tod sah zu den beiden.
„...gewisse Paralelen...“
Dabei wirkte er nicht besonders amüsiert. Er stand kurz auf, näherte sich der Wasserwand und berührte seinen Schatten der auf die spiegelnde Oberfläche fiel. Sein Schatten verformte sich zu einem schönen jungen Mann, mit blonden Haaren und einem Gesicht, in dass sich so manche Frau spontan verlieben könnte. Sie grinsten einander synchron an und dann drehte sich Tods Schatten um und gesellte sich unter die anderen Jünglinge des Ballabends. Tod setze sich wieder und neigte sich leicht zu Kazel als er flüsterte:
„Das ist **John Blackthorn**. Hübsch nicht war? Ich benutze dieses Abbild manchmal um Streuner einzufangen. Wie findest du ihn? Meinst du die Kleine würde sich auf ein Rendezvous mit ihm einlassen?“
(Inspiration)
Da Kazel aber grade nur Augen für seine Liebste hatte, blieben die Fragen unbeantwortete und der Tod hatte auch nicht ernsthaft seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen, sonst wäre es ihm sicher gelungen. Er machte seine Späßchen und lachte hohl, als der Riesenrabe plötzlich mit dem Mädchen davon flog. Das Bild veränderte sich und sein Schatten **John Blackthorn** blieb allein auf dem Ball zurück.
„...da wurde ich doch wieder ausgetrickst...“
Der Tod nahm es jedoch gelassen, wirkte sogar amüsiert als er grinsend zur Wasserwand flüsterte:
„Deine Zeit kommt noch. Spiel noch ein bisschen mit mir. Doch eins ist sicher. Nicht ist so gewiss wie der Tod... der Tod und die Steuer.“
Abermals erklang hohles Lachen und das Skelett schlug seine Beine übereinander und genoss den Rest der Vorstellung sichtlich. Da jedoch das Ziel seiner Aufmerksamkeit den Ort gewechselt hatte und nun sich in einem Nest verlustierte und der Ballsaal ungenutzt zurück blieb, drehte der Schatten des Todes dort einige Runden und kehrte dann zu seinem Besitzer zurück. Was blieb war jedoch das Bild auf der Wasserwand, dass sich abermals für die Darstellung geteilt hatte und nun an manchen Stellen überlappte. Sicherlich unbemerkt von Kazel und Janay ließ Tod nun sein eigenes Programm laufen und tanzte auf dem fremden Ball. Er amüsierte sich. Mit **halben Ohr** hörte er jedoch zunehmend den Offenbarungen seiner Gäste zu und neigte sich ein wenig näher, wenn gleich er weiterhin die Wasserwand betrachtete. Tatsächlich hatte sich auch der Stuhl auf dem Kazel zuerst allein und dann mit Janay gesessen hatte verändert. Er war etwas in die Breite gegangen und hatte mehr Poster entwickelt, so dass das Pärchen genug Platz für ihre Umarmung hatte. Tot lauschte dem Geschehen hier und drüben und zu sich selbst murmelnd gab er leise von sich:
„...etwas unfair... aber das kann man ändern. Geben wir doch mal der Wahrheit die Ehre...“
Dann wischte er durch die Luft und die Wasserwand teilte sich abermals auf. Ohne einen weiteren Kommentar des Gevatters zeigte die Wand nun zwei weitere Szenerien. Im Unterschied zu der Linken, die sich bewegte, standen Mitte und Rechts still.
Auf der Mitte war Kazel zu sehen, wie er seitlich neben einer Wachwanne entkräftet zusammen gebrochen war. Eine in der Bewegung eingefrorene uralte Goblinfrau stand unweit neben ihm und hatte gerade den Blick abgewandt – war die hässlich!
Auf der Rechten lag Janay in einem von Seide umhüllten Bett und zwei Köpfe drängten sich in ihrem Schoß zusammen. Janay hatte sich sicherlich noch nie bei einem Orgasmus selbst beobachtet, aber das dies einer war, war mehr als offensichtlich.
Vielleicht hatten die beiden die Veränderung der Wasserwand noch nicht einmal bemerkt. Sie hatten ja auch viel zu bereden. Und da Janay gerade erst ihren **Decknamen Talimée** erwähnt hatte, kroch Kazel sicher ein eisiger Schauer über den Rücken. Er hatte Firlefitz los geschickt um nach seiner **Janay** zu suchen. Von Talimée war nicht die Rede gewesen und so war zu befürchten, dass diese kleine Lüge seitens Janay schon wieder neue Probleme bringen könnte. Dann war da auch noch ihre Schwangerschaft, die tunlichst geheim bleiben sollte. Die Situation spitze sich zunehmen zu und die Angst vor seiner Familie, vor seiner Tante Starla, die in seiner Erinnerung auch nicht gut weg kam, sie nahm stetig zu. Was hatte sie damals eigentlich für eine Rolle gespielt? Die Folterungen waren stets von seiner Mutter ausgegangen, aber Starle hatte ihm auch nie geholfen. Sie hatte zugesehen. War dies nicht genauso schlimm? Auch als das Geheimnis seiner Haut ans Licht kam und das damalige Familienoberhaut die Villa stürmte, da hatte sie sich nicht gewehrt. Plötzlich waren die Erinnerungen wieder so nah.
… Preia kniete noch immer zu den Füßen des Oberhaupts, nicht imstande, eine Lösung für ihr Problem zu finden. Da meldete sich Starle zu Wort und trat an ihre Seite.
„Es gäbe eine Möglichkeit, herauszufinden, ob Kazel der Bastard des Waldelfen-Sklaven ist oder ob es sich um einen Zufall handelt, dass sein Äußeres uns so fremd erscheint, er im Inneren aber ein wahrer Tenebrée ist.“
„So sprich und teile uns deinen Vorschlag mit, wie sonst sollen wir darüber urteilen?“
Starle genoss förmlich die ganze Aufmerksamkeit und auch den Schrecken in Kazels Augen, als sie zu ihm hinüberblickte und die Aufgabe verkündete:
„Er wird den Sklaven töten müssen.“
Ein Raunen ging durch den Saal, überall tuschelten die Dunkelelfen miteinander. Dies war wirklich ein hervorragender und sadistischer Auftrag.
„Ich verstehe“
, meinte das Oberhaupt.
„Wenn dieser Waldelf wirklich Kazels Vater ist, so wird der Junge nicht imstande sein, ihn zu töten, denn ein Teil von ihm wäre genauso weichlich wie diese schwächlichen Waldelfen. Ist er aber einer von uns, so wird es ihm ein wahres Vergnügen sein, diesen Abschaum auszulöschen, der sich schon viel zu lange unter uns befindet.“
Das Oberhaupt rief seine Wachen herbei.
„Gebt dem Jungen einen Dolch! Er soll zeigen, ob er der Aufgabe gewachsen ist.“ ...
Der Rest verschwamm in Kazels Erinnerung, doch der Blick seiner Tante blieb. Sie war so ruhig gewesen, so beherrscht...
Gevatter Tod hatte wirklich einen makaberen Humor, aber er stand auf Wahrheit. Aber vor allem, mochte er seinen Lehrling und seine Liebste. Sonst hätte er wohl den beiden nicht die Möglichkeit geschenkt sich außerhalb von Zeit und Raum zu begegnen und sich abzusprechen. Auch wenn Kazel gerade nicht sehr handlungsfähig war, so hatten sie durch seinen kumpelhaften Arbeitgeber Tod einen gewaltigen Vorteil.
Sie konnten Wissen teilen.
Kazel warnte Janay in diesem Haus niemanden zu vertrauen. Seine Tante Starle hatte er sogar namentlich erwähnt. Er kannte das Haus und seine Schleichwege. Das Wissen seiner Kindheit musste doch zu etwas nutze sein. Und das Bett...in dem Janay lag...die Schnitzereien... das war das Bett in dem er seine Mutter umgebracht hatte. Es hatte andere Wäsche, die Vorhänge waren erneuert worden, aber es war der Ort seines zweiten Mordes in dem sich nun seine Liebste rekelte.
Tod betrachtete seinen Schützling und dachte laut nach:
„Weist du eigentlich, dass Zeit alle Wunden heilt?“
Sein lipploses Grinsen und seine leeren Augenhöhlen sahen in an. War das der Hinweis, den Kazel brauchte? Bisher hatte er seine Zeit nur eingesetzt um eben jene zu verlangsamen. Aber der Gevatter hatte ihm auch schon bei Janay gezeigt, wie machtvoll Zeit sein konnte. Die Pfeilwunden waren verschwunden, als wären sie nie da gewesen. Konnte Kazel sich eigentlich selbst heilen?
Tod grinste, als hätte er den besten Scherz seines unendlichen Lebens gemacht.
„Was nützt mir ein Lehrling der immerzu krank und japsend am Boden liegt. Tu was für dein Geld... Hm... Ich bezahle dich ja nicht im eigentlichen Sinne... also tu was für deinen Sand! Los! Hopp, hopp.“
Janay und Kazel fühlte bei seinen letzten Worten einen gewissen Sog einsetzen. Ein paar Sekunden in dieser seltsamen Welt würden ihnen noch bleiben um sich auszutauschen, dann würde Tod sie aber wieder zurück schicken. Der Sand unter ihnen geriet schon langsam in Bewegung, aber noch war die schicke Couch auf der sie zusammengekuschelt saßen nicht darin versunken.