Nachdem er erst einmal den Schutzkreis hatte überschreiten können, der von den Ritualmagiern gezogen worden war, war vieles gleich einfacher. Oh ja, es war so einfach! Asmodeus befand sich wieder in Celcia. Er hatte Mallahall den Fängen dieser Sukkubus-Meisterin entrissen, ihr noch ein böses Schnippchen geschlagen und zu allem Übermaß sollte er jetzt auch noch mit einem König über die Eroberung von Zyranus sprechen. Besser könnte es für den Dämon aktuell nicht laufen - aus Sicht eines Haraxwesens, verstand sich. Denn dass sein menschlicher Teil in ihm rebellierte und dass auch Mallahall sich dagegen aussprechen würde, stand fest. Aurelius schimpfte ja bereits, nannte Asmodi wahnsinnig. Er war rückfällig geworden, alle Arbeit umsonst. Er bewies es aufs Neue: es gab kein Miteinander, wenn Dämonen im Spiel waren. Und wie stand es um Castus? Was war überhaupt mit Cinnamin, Zanraia und seinem Söhnchen? Wo steckten sie? Ging es ihnen gut? Wenn Etelin noch bei ihnen war, sicherlich nicht. Nicht aus Asmodis Sichtweise. Ja, sie waren bei den Elfen in deren Urwaldheimat gut geschützt, vor allem. Aber Etelin hatte mit seinem Zauber wieder einmal versagt und nun waren Vater und Sohn aufs Neue getrennt. Vielleicht gab es aber eine Möglichkeit, Castus unterwegs einzusacken oder nachkommen zu lassen. Vielleicht konnte das dämonische Kind mitansehen, wie der große, böse Papa die Stadt der Magier in einen Pfuhl der Sünde und Schänderei wandelte.
Zunächst waren da aber erst einmal die Absprachen mit dem grandessanischen König. An denen kam Asmodeus nicht herum. In gewisser Weise würde er das Spiel mitmachen müssen. Er war einen Pakt eingegangen und wenn Dämonen eine Regel kannten, dann war es, dass es bittere Konsequenzen haben konnte, einen Pakt vorzeitig zu brechen. Zumal ihm Zyranus gehören würde, wollte er das aufgeben?
Die Ritualmagier waren klug genug, Distanz zu dem Dämon zu wahren. Lediglich Rasputin Sturmwasser, der sich vor nichts und niemandem zu fürchten schien, blieb ganz dicht vor Asmodi. Er führte ihn aus dem Ritualraum und lange Kellergänge entlang. Ritualmagier lebten in ihrem Zirkel nicht allzu schlecht. Sie bewohnten ein gewaltiges Anwesen, konnte man meinen. Es war gut instand gehalten und besaß dicke Mauern, hinter denen man Schreie nicht hören konnte. Sicherlich bargen diese meterdicken Felswände auch den ein oder anderen Raum, der selbst für Asmodeus interessant geworden wäre. Aber Rasputin zog es vor, den Zirkel rasch zu verlassen.
"Da Ihr nicht Eure wahre Gestalt an den Tag legt, müssen wir Euch auch nicht tarnen. Ich rate Euch, es vorerst so zu halten. Demonstriert Eure Macht an niederen Lebensformen, um jenen, von denen Ihr etwas wünscht, zu zeigen, welche Macht in Euch wohnt." Rasputin besaß etwas Düsteres. Wenn schon keine Seelenängste, dann konnte sich Asmodi am finsteren Wesen des Mannes laben. Er strahlte allerdings kaum etwas davon ab. Dieser Magier war ein Buch mit sieben Siegeln für den Haraxianer und offenbar hatte jemand auch noch einige dicke Schlösser davor angebracht, die er zuallererst würde knacken müssen. Vorausgesetzt natürlich, er wollte dem Geheimnis auf die Spur kommen.
Vor einer der mit schwarzem Metall - es handelte sich nicht um Eisen! - verstärkten Holztüren blieb Rasputin stehen und bat seinen Begleiter, zu warten. Er wollte sich für das Treffen mit dem König entsprechend herausputzen. Menschen. Andererseits hatte auch Asmodi bei seinem Auftritt auf viel Posieren Wert gelegt. Während er wartete, meldete sich endlich auch einmal Geisbart wieder zu Wort. Der Kater hatte die ganze Zeit über geschwiegen und war Asmodeus ein pelziger, aber aufmerksamer Halskragen gewesen. "Der Mann ist gefährlich. Ich rate dir, hüte dich, mein Freund. Er besitzt Mächte, die wir uns eingestehen müssen. Warte den richtigen Moment ab, um zuzuschlagen - wie eine Katze auf der Lauer." Schnurrend lachte das Dämonentier über die selbstgewählte Metapher. Er wetzte ein wenig seine Krallen am Stoff des Medicus, rollte sich noch enger an ihn. Wärme strahlte dieser Flohball ja nicht unbedingt aus. Auch er war auf seine eigene Art und Weise eine Gefahr.
Als Rasputin Sturmwasser zurückkehrte, wurde er von zwei Novizen begleitet. Man erkannte sofort, dass es sich um Schüler handelte, denn ihnen fehlte das Pompöse, das Mysteriöse. Außerdem duckten sie sich mit aufgerissenen Augen und voller Ehrfurcht unter Asmodis Blicken weg. Es handelte sich um zwei Knaben, kaum älter als sechzehn Jahresläufe. Sie besaßen kurz geschorenes Haar, so dass ihre blauen Augen - ja, beide blau - hell hervorstachen wie ihre Haut. Im Allgemeinen wirkten die beiden recht blass, was wohl auch an den hellgrauen Roben liegen konnte, in die sie sich hüllten. Rasputin hingegen erhob sich nicht nur der Größe wegen über die beiden hinweg. Er hatte sich weites Gewand aus blutroter Farbe angelegt, das bis knapp über seine schwarzen Stiefel reichte, deren Spitzen unter dem in Zacken endenden Robensaum hervor lugten. Auch die Ärmel endeten in solchen ausladenden trompetenförmigen Stoffzacken. Seine Finger waren vollkommen frei, abgesehen von jeweils einem dicken Goldring. Jener an der rechten Hand besaß eine lachende Dämonenfratze als Verzierung. Ein goldener Gürtel hielt die Robe zusammen. Die Schnalle zeigte eine weitere Dämonenfratze, welche dem Interessierten schalkhaft die Zunge herausstreckte. Auch an der Robe entlang fand sich Gold vor, als feiner Nahtfaden, der jedoch unter all dem blutrot hell leuchtete. Die Kleidung endete am Hals in einem steifen Kragen aus sechs Zacken, welche selbst Rasputins kahlen Schädel überragten wie mahnende Reißzähne. Das Gold verlief sich dort in eine Art Flammenmuster, so dass es aussah, als badete das unheimliche Antlitz des Magiers in einem Meer aus rotgoldenem Beschwörerblut. In seiner Rechten hielt Rasputin einen schwarzen Stab, der Asmodeus vielleicht kurzzeitig an Etelin erinnern mochte, auch wenn es optisch keinen Vergleich gab. Der Stab endete nämlich in einer goldenen Schnörkelfassung, in welcher einer durchsichtige Kugel, groß wie ein Kinderkopf, prangte. Darin waberte etwas Milchiges. Es ließ sich schwer sagen, ob es sich dabei um Nebel oder eine Flüssigkeit handelte. Vielleicht stimmte beides. So ausgestattet begegnete Rasputin Sturmwasser seinem Gast, nickte Asmodeus auffordernd zu, ihm weiter zu folgen.
Die beiden verließen in Begleitung der Novizen, welche links und rechts zu Rasputin voran schritten, den Zirkel der Ritualmagier. Draußen war es noch recht frisch, der Morgen nahte erst und es lag der Geruch von Regen in der Luft. Nebel wanderte zusammen mit einigen menschlichen Patrouillen durch die Straßen des Innenrings, aber überraschend viele Dunkelelfen waren hier ebenso zu sehen. Auch sie schlenderten über das Pflaster, wirkten allerdings gelassen und wenig aggressiv. Das Bündnis schuf zwar keinen Frieden zwischen beiden Völkern, aber eine Art Waffenstillstand, so dass man miteinander auskam, wenn man sich nur gut genug mied.
Rasputin führte Asmodeus über den weiten, von schönen umzäunten Bäumen gesäumten Platz, wo Brunnen noch kein Wasser in den neuen Tag spuckten, aber reingehalten wurden. Es ging hinauf zum Königspalast. Das Schloss prangte noch einmal prunkvoll über die hübschen Häuser und adligen Anwesen des Innenrings hinweg. Es war gut bewacht - sowohl von Mensch als auch Dunkelelf. Man fand beide vor und jene beäugten nicht nur die Bittsteller, welche an den König heran treten wollten.
"Ich werde Euch das freie Reden überlassen, nachdem ich Euch vorgestellt habe, hoher Asmodeus. Ihr könnt für Euch selbst sprechen, aber vergesst unsere Vereinbarung nicht." Mit diesen Worten passierte Rasputin zwei Wachen und betrat die gewaltige Eingangshalle des Schlosses. Grandessas König lebte in Saus und Braus, was er offensichtlich nur zu gern zur Schau stellte. Statuen aus Marmor zeigten die Monarchen vergangener Zeitalter, aber in der Mitte hockte ein steinernes Bildnis des aktuellen Königs auf einem Thron und blickte streng auf jeden herunter, der es wagte, das Schloss zu betreten.
Sogleich eilte ein Diener des noblen Palastes herbei. Er trug einen Pagenanzug mit purpurnem Frack und weißen Seidenhosen, die in schwarzen, kniehohen Stiefeln endeten. Er verneigte sich vor den Angekommenen, eine Hand lag dabei bequem im Kreuz, die andere vorn auf dem Bauch. Der Mann wirkte, als hätte er ein ganzes Besensortiment in den Hintern geschoben bekommen. Seine Stimme klang näselnd, als er sprach: "Magus Sturmwasser, Ihr wünscht?"
"König Hendrik den II. zu sprechen natürlich! Ich bringe ihm seinen Feldherrn, wie er es verlangte."
"Ich bedaure zutiefst, aber Seine Majestät hat ausdrücklich bekannt gegeben, nicht gestört zu werden."
"Es ist wichtig und in seinem Willen. Bringt uns zum König, Diener."
Der Mann verneigte sich erneut und nickte. "Wie Ihr wünscht, Magus. Bitte, folgt mir, die Herrschaften." So geleitete er sie durch einen Teil des Schlosses und viele Stufen hinauf bis zu einer gewaltigen Flügeltür. Ein Klopfer wurde angehoben, dass er laut pochend auf das Holz fiel. Sogleich öffnete ein weiterer Diener - ein junger, blonder Page - von innen die rechte Flügeltür. Er schaute etwas angesäuert, da man sich offensichtlich nicht an die Befehle des Königs hielt und sogleich donnerte auch eine gewaltige Bass-Stimme bis durch das Portal, die nur König Hendrik selbst gehören konnte: "Wer wagt es, sich über meinen Willen hinweg zu setzen?!"
"Ihr selbst, Euer Majestät", antwortete Rasputin ohne jegliche Gefühlsregung. Er schob den kleinen Pagen beiseite, winkte Asmodeus, ihm zu folgen und betrat den Thronsaal. Er besaß hohe, aber nur sehr schmale Fenster, die man eher als Schlitze hätte bezeichnen können und somit die Halle nicht wirklich erhellten. Zu beiden Seiten eines solchen Schlitzes hingen jeweils wandhohe Banner vor dem Mauergestein. Sie zeigten das Wappen Grandessas auf seinem purpurgoldenem Grund. Ein purpurner Läufer führte bis zur Empore heran, wo sich der Königsthron befand, ein stattlicher Sitz aus purem Eisen, mit purpurnen Polsterkissen und goldenen Armlehnen. Doch darauf saß kein König. Hendrik, ein massiger Mann über fünfzig und von erhabener Gestalt, schritt seine Bahnen vor dem Thron auf und ab. Er trug königliche Gewänder, natürlich ebenfalls in den grandessanischen Farben und mit einem Nerzbesatz. Die Krone glitzerte auf seinem Haupt, dessen goldenes Haar nur noch in Form des königlich gestutzten Bartes vorhanden war. Ihm zur Seite wanderte ein nervös wirkender Sekretär mit, der einen Brief in Händen hielt, welche so stark zitterten, dass man das Papier rascheln hören konnte. Eher gelangweilt stand da die Dunkelelfe in der Nähe. Sie lehnte schräg hinter dem Thron an der Wand, wo kein weitere königliches Banner die Mauer verdeckte. Ihre Haut schimmerte einen Hauch violett, was aber am Schein der Purpurkerzen liegen mochte. Der dunkle Blick hob sich zu Rasputin und Asmodeus. Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, demonstrativ die Hand vor den Mund zu heben, um das Gähnen zu verbergen. Sie trug wenig Rüstung, oben herum tatsächlich nur Leinen, das ihre Brüste verdeckte. An den Seiten ihrer Lederhose ruhten zwei Krummdolche in aufwändig verzierten Scheiden. Das schlohweiße Haar hatte sich die Elfe im Nacken zusammengebunden. Dennoch stand es wie weiße Flammen in alle Richtungen ab. Sie mochte eine gewisse, exotische Schönheit besitzen, aber Haltung und vor allem ihr kühler Blick nahmen all diesen Liebreiz von ihr.
