
Bitte im Profil aktualisieren!
Die Bande zerrte an den Fesseln. Sie ließen keinen Moment zu, in dem sich Isildur ihnen hätte widersetzen können. Es war besser zu folgen, denn er fühlte sich zunehmend benommener. Grund dafür war der fortwährende Blutverlust. Der zum Wolf gewordene Waldelf würde hier noch krepieren, wenn keine baldige Heilung in Sicht war. Doch die Piraten unter Blutzecke Aidens Befehl setzten ihren Weg unbarmherzig fort. Sie marschierten zügig. Es ging an seltsamen Fachwerken, düsteren Spelunken und noch düsteren Gassen vorbei. Schließlich erreichte man ein hölzernes Tor, das zu einer Barriere auf sonst offener Straße geworden war. Man hatte es zwischen zwei baufälligen Häusern errichtet, die kurzerhand zu Wachtürmen umfunktioniert worden waren. Aus jedem der beiden Häuser lugten Piraten durch die zerbrochenen Fensterscheiben. Sie hielten Armbrüste in den Händen und sicherlich wartete hinter der Hauswand eine Menge Munition darauf, abgeschossen zu werden. Grimmig blickten sie, als Blutzecke und seine Männer das Tor erreichten.
"Nun öffnet schon!", brummte er. Kurz darauf zog jemand von innen einen der Torflügel auf. Man ließ die Gruppe ein, doch aus dem Passieren wurde vorerst nichts. Ein von roten Pusteln bedeckter Pirat in zerschlissener Kleidung - den Rumkrug noch in der Hand haltend - stellte sich Aiden in den Weg. Er musste angetrunken sein, denn er schwankte leicht und seine Aussprache ließ ebenfalls zu wünschen übrig. "Halt im Nah--- im Naahaaaamen Rod'ricks des ... des ... bei Venthas Titten, isch hab sein'n Nahhhmen vergess'n!"
"Er heißt Roderick der Rote, du ausgekotzter Bastard einer dreckigen Hafendirne! Und jetzt geh mir aus dem Weg oder ich schneide dir die Kehle durch!" Mit Blutzecke war nicht zu spaßen. Dem traute man zu, dass er seine Warnung in die Tat umsetzte. Aber wenigstens ließ er dem Betrunkenen Zeit, über seine Worte zu sinnieren. Dieser kratzte sich über den Schädel, dann schwankte er in die andere Richtung, nahm einen weiteren Schluck aus seinem Humpen und endlich antwortete er: "Isch kann disch nischt geh'n lass'n. Du musst was tun ... hm ... zahlen, aye, zahlen! Wegzoll, jau!"
"Lass mich vorbei! Ich habe etwas für Roderick, da wird er mir die Zollgebühr für die nächsten zwanzig Jahre erlassen." Ohne weiteren Kommentar schob Aiden den Piraten einfach beiseite. Er ging dabei kräftig genug vor, dass dieser ins Straucheln geriet und schließlich über seine eigenen Beine stolperte. Pirat samt Krug landeten in einer matschigen Lache, die nicht nach Regenwasser aussah. "Verdammmmmmmt mein Rummmm!", klagte der Mann, doch Blutzeckes Gruppe schritt einfach an ihm vorüber. Der Anführer sog die Luft ein. "Endlich wieder unter Blutsäufern. Hier sind wird sicher." Er wandte sich um, sprach nun den Hageren an: "Such mir den fetten Gunner und bring ihn her. Oder schlitz ihn auf, denn nichts Anderes würde ich mit feigen Schweinen wie ihm tun."
"Aye, Blutzecke." Der Hagere machte auf dem Absatz kehrt und rannte zurück durch das Tor. Offenbar würde sich Gunner - den Isildur als Koch bezeichnet hatte - nun verstecken müssen, wenn ihm sein Leben lieb war. Doch was würde man nun mit ihm selbst anstellen? Schrank und Anker zogen an den Seilen. "Vorwärts", knurrte Letzterer. Sie hatten den Auftrag von Blutzecke bereits bekommen, also trennten sich ihre Wege rasch. Aiden schlug einen Weg nach links ein, zwischen mehreren herabgefallen Bauten hindurch. Die beiden Schläger schleppten Isildur nach rechts. Die Gegend, die sie erreichten, schien ein wenig sauberer. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass hier Lampen an Haken der Hauswände angebracht waren und das Licht einem das Gefühl von Sicherheit gab. Man trat an ein Haus heran, dessen rot gestrichene Holztür auch schon bessere Tage gesehen hatte. Anker klopfte und wartete. Es dauerte eine Weile, dann öffnete sich die Tür einen Spalt. Ein mit allerlei Schminkutensilien verziertes, graues Auge, umrahmt von schwarzen Wimpern, lugte heraus. "Es ist spät und die meisten Mädchen sind besetzt. Such eine Freie, die sich auf der Straße anbietet."
"Ich brauch eine, die eine Wunde versorgen kann, Monique. Blutzecke wird euch gut dafür entlohnen."
Kurzes Warten. "Isabeau kann das machen. Ich wecke sie ungern, aber Geld können wir brauchen. Kommt rein." Die Tür schob sich auf und Anker packte Isildur an seinen Stricken. Er konnte sich nicht wehren und so betrat man das Gebäude. Es roch ... sinnlich. Jemand hatte Duftkerzen aufgestellt. Lichter waren durch rote Tücher abgedunkelt, so dass ein ganz besonderes Ambiente entstand. Ein Kaminfeuer brannte in der Nähe. Davor räkelten sich einige leicht bekleidete Frauen auf ausgebreiteten Fellen. Sie tranken oder spielten mit Karten und Würfeln. Eine Treppe führte in den ersten Stock hinauf. Stöhnen und das Quietschen und Knarren von Holz verdeutlichten, in welchem Etablissement Isildur gelandet war. Man führte ihn in eines der Hinterzimmer, nachdem die Frau namens Monique die beiden Klötze von Piraten dazu angewiesen hatte. Sie selbst machte sich die Stufen hinauf, kehrte aber alsbald mit einer Frau zurück, deren braunes Lockenhaar zerzaust in alle Richtungen abstand. Sie sah müde aus, doch Schlafmangel war es nicht, der ihr Gesicht verbraucht und ausgelaugt erscheinen ließ. Sie könnte selbst in ihrem Alter noch eine hübsche Menschenfrau sein, verschwänden nur die dunklen Ringe unter ihren Augen und würde sie weniger Schminke auftragen. Um den Mund herum bildeten sich kleine Fältchen, wenn sich ihre Mimik verzog und irgendwie war der Glanz aus ihren blauen Augen gewichen. Trotz allem besaß sie etwas Anziehendes, was vielleicht auch an ihrer Kleidung lag. Sie hatte sich das Oberteil sehr ... offenherzig geschnürt. Es gewährte Einblick in ihr Dekolletée, wo ein kleines Muttermal frech aufblitzte. Sie roch nach Duftwässerchen. Isildurs Nase filterte dieses Aroma sofort heraus. Melisse und ein Hauch von Zitrone. Die Frau band sich ihr Haar mit einem grünen Stoffstreifen zurück.
"Isabeau, wenn du hier fertig bist, könnten wir uns in eine dunkle Ecke verziehen." Der Anker zwinkerte ihr vielsagend zu.
"Halt die Klappe, Willbur!", schnarrte sie zurück und gab ihm einen Rippenstoß. "Dass ihr euch immer gegenseitig aufschlitzen müsst! Also, wen soll ich ... oha!" Sie starrte Isildur an. Ihre Augen wurden gewaltig. Schon trat sie einen Schritt zurück. Einen so riesigen Wolf hatte sie ihren Lebtag noch nicht gesehen. Willbur grinste. "Genau den. Er ist verletzt. Kümmere dich um ihm, sofort! Wir warten vor der Tür und passen auf."
"Und wenn er mich anfällt?"
"Dann lässt du dich nehmen. Wäre ja nicht das erste Mal, dass du unter einem Tier liegst, harhar!" Die Männer ließen Isildur stehen. Sie schoben die Hurenmutter Monique mit nach draußen und ließen ihn nur mit dieser anderen Frau - Isabeau - zurück. Sie wagte sich keinen Schritt an den Silberwolf heran, dem das Blut weiter aus der Schnittwunde tropfte.