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von Maruka » Freitag 16. Dezember 2022, 12:13
Maruka war gerade voll auf das Waschen ihrer Wunde konzentriert, da maulte der Junge plötzlich:
„He! Ich trinke hier!“
, maulte er und stampfte mit dem Fuß auf. Dabei sah er richtig niedlich aus. Eine Erinnerung erfasste sie kurz:
**Jenna, die Wirtstochter in Mantron und ihre beste Freundin, hatte die Geschichte am Lagerfeuer den kleinen Kindern erzählt:
„Es waren einmal zwei Orkse. Der eine war grün, der andere grau und ihre Hauer waren so lang, dass sie sie in die Nase stachen beim sprechen!“
Dabei schob Jenna sich zwei Finger in die Nasenlöcher und erzählte arg 'verschnupft' weiter, was allein schon einige der Jungs zum kichern brachte.
„Der eine hieß 'Dumm' und der andere hieß 'Dümmer'.“
, näselte sie weiter und machte dann noch ein paar grunzende Geräusche.
„Sie waren Brüder und schon den ganzen Tag gereist. Hungrig und durstig liefen sie durch den Wald und kamen an einen sprudelnden Bach. 'Dumm' hockte sich hin und schöpfte mit seinen gewaltigen Pranken das Wasser zu seinem Maul. Er frohlockte und grunzte vor Vergnügen, denn das Wasser war gar nicht so kalt, schmeckte ihm würzig auf der Zunge und er sagte:
„OOOHHH ist das guuut!“
Er sah zu seinem Bruder, der weiter oben an der Quelle stand und seine Hose herunter gelassen hatte sagte:
„OOOH ist das gut!“
„IIIIIHHHHHH...“
, quiekten die Kinder und lachten.**
Maruka musste schmunzeln.
„Tschuldigung.“
, murmelte sie. Der Junge hatte nur einen kurzen Moment eine zornige Schnute, ehe er die Schultern zuckte, seine Lampe griff und sich einfach auf ihre andere Seite setzte. Kinder waren herrlich einfach.
„Und wer bist du?“
, fragte Maruka ihn.
„Ich bin Petroju. Du darfst aber auch Petro sagen, Maruka!“
, stellte er sich vor und es klang beinahe so, als wäre das ein wichtiger Name. Doch das lag wohl an dem kindlichen Glauben, alles drehte sich um einen selbst! Maruka fiel noch eine Volksgruppe ein, bei der das so war... Rentner. Die Alten und weisen konnten zwar schöne Geschichten erzählen und oft gut gemeinte, aber selten erbetene Ratschläge geben, aber um so älter sie wurden um so mehr sank auch ihr Einfühlungsvermögen. Da schloss sich der Kreislauf der Zeit einfach wieder. Was man als Kind erst erlernte, vergaß man im Alter wieder.
„Ich bin schon 8 und ich kann Steine übers Wasser hüpfen lassen!“
, erzählte er munter weiter und schlürfte erneut. Maruka nickte und schaute beeindruckt.
Was hab ich eigentlich mit Acht gemacht?...
Abermals huschten ihre Gedanken in die Vergangenheit:
**Ihr Vater stand neben ihr und hielt ihr ein Messer hin.
„Du bist jetzt schon Acht und groß genug, das zu lernen, was für unser Überleben wichtig ist. Willst du es tun, oder soll ich?“
Maruka sah ihre Hand die Klinge nehmen und drehte sich zu dem Wildschwein um, dass ihr Vater erlegt hatte, aber noch nicht tot war.
„Mach schnell und danke dem Tier für sein Fleisch, so wie ich es dir gezeigt habe.“
Sie nickte und kniete sich neben das flach atmende Tier, ein prüfender Blick, ob sie das Messer richtig hielt, ein Nicken, ein kurzer Druck und dann war es getan. Das Blut des Tiers wärmte ihre Hände.
„Danke liebes Wildschwein, dass du meine Familie ernährst. Dein Fleisch schenkt uns Kraft den Winter zu überstehen, dein Fell schützt uns vor der Kälte.“**
Maruka sah den Jungen an und wusste, dass es auf dieser Welt schon immer Jäger und Beute gegeben hatte. Sie war schon immer den Weg der Jagd gegangen, aber als sie diesen Ziegenjungen so ansah...
...was wenn ich von einem Beutetier verwandelt worden wäre?
Der Gedanke war merkwürdig und fühlte sich irgendwie 'quer' in ihrem Kopf an. Ihre innere, wenn auch gerade schlafende Katze war nun mal eine Jägerin und da gab es nicht viel romantisches dran. Das Töten war aber schon vorher ein Teil von Maruka gewesen. Sie beobachtete wie er kurz seine Laterne umkippte aber noch auffing.
„Vorsicht.“
, stieß er aus, als ob sie etwas damit zu tun gehabt hätte.
„Ohne sie, finden wir den Weg nicht.“
, meinte er und stellte sie wieder gerade hin.
„Bist du allein? ...Wie kannst du dich in diesem Nebel orientieren?“
, fragte Maruka weiter und Petro blickte zu ihr hoch.
„Ich bin allein, aber meine Familie ist nicht weit weg.“
, er deutete vage in eine Richtung, die man weiterhin nicht wirklich ausmachen kann.
...ein junges Zicklein im allein im Nebel...
„Ich habe doch meine Laterne?“
, sagte er auf ihre zweite Frage und grinste ganz stolz. Dann schöpfte er wieder Wasser.
„Sie ist wichtig, wenn man hier unterwegs sein will.“
, meinte er zwischen zwei Schlürfern. Dann aber wischte er sich den nassen Ziegenbart ab mit dem Ärmel und zog die Nase hoch.
„Soll ich dich jetzt zu meiner Familie bringen, damit du dich ausruhen kannst?“
, fragte er und stand bereits neben ihr, die Laterne in der Hand. Maruka nickte und stand auch auf. Sie nahm sich ihre Sachen mit dem gesunden Hand und hängte sie über die Schulter mit dem verletzten Arm. So hatte sie im Angriffsfall ein bisschen Schutz auf dieser Seite und den anderen frei zum kämpfen. Allein, dass sie das ganz selbstverständlich machte und nicht bewusst darüber nachdachte, zeigte ihr aber in diesem Moment, wie sehr ihr Leben sie geprägt hatte und wie weit sie sich doch von dieser Art 'Unschuld' entfernt hatte. Etwas melancholisch schritt sie dem Kind hinterher. Er ging zügig! Offenbar war der kleine Kerl ganz erpicht darauf, ihr helfen zu können. Wann hatte ein Kind schon mal die Gelegenheit, einer Erwachsenen zu helfen! Und bald versuchte der Junge damit, den Abstand zu ihr zu vergrößern. Die Servali blieb dran.
...Thore.
Ihr Innerstes zog sich zusammen, denn sie wusste, dass sie sich sehr wahrscheinlich gerade von ihm entfernte. Aber sie hatte keine Wahl. Einfach im Nebel sitzen zu bleiben und auf dem Morgen zu warten wäre schierer Wahnsinn. Sie war verletzt und das kalte Wasser hatte die Blutung zwar zwischenzeitlich gestoppt, aber ohne richtige Versorgung würde sie bald erneut aufbrechen. Hierbleiben stand nicht zur Diskussion, denn entweder würde einfach gar nichts passieren und sie würde verbluten oder fiebern und sich so schwächen, oder das 'Keckern' würde kommen und auch sie fressen, so wie das Pferd. Da war es alle mal besser dem 'Licht' zu folgen und zu sehen, wer hier im Nebel noch so unterwegs war und sich entweder seinem Feind mutig zu stellen, oder einem neuen Freund freundlich zu begegnen. Beides war möglich und viele Grauzonen dazwischen.
Die Tatsache, dass Thore weg war, brannte ihr trotzdem auf der Seele. Vielleicht hätte es nicht so weh getan, wenn die Katze wach wäre und sich ihr Herz nicht ganz so menschlich angefühlt hätte. Maruka wusste aber mit oder ohne ihre tierischen Instinkte, dass sie den Mantroner suchen wollte, sobald es eine Möglichkeit dazu gab. Aber ein bisschen Hilfe wäre nicht schlecht, wenn sie ihren Lieblings-Mantroner finden wollte. Vielleicht konnte ja die Familie des Jungen tatsächlich das Zünglein an der Waage sein. Petro führte Maruka also durch den Nebel und dabei musste sie dicht bei ihm gehen, um ihn nicht zu verlieren.
„Du kannst dich auch an meiner Schulter festhalten!“
, bot er ihr an, damit sie sich nicht verlören. Maruka zog ihre Krallen ein so gut es ging, damit er sich nicht erschreckte und nahm sein Angebot an. Er wirkte tatsächlich geübt darin, denn er strauchelte nicht ein Mal oder blieb stehen, um sich zu orientieren. Vermutlich folgte er einfach seinen eigenen Hufspuren. Maruka suchte den Boden danach ab, denn so ganz hatte sie das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmte noch nicht verlassen. Der Schein der Lampe reichte nicht weit und das Licht blendete sie eher, als dass es ihren Katzenaugen half. Aber sie hatte sich entschieden diesem merkwürdigen Strang des Schicksals zu folgen. Ihr waren schließlich schon weit merkwürdigere Dinge passiert. Also warum nicht einem mysteriösen kleinen Jungen ins Ungewisse folgen. Maruka grinste ein ganz klein wenig 'wahnsinnig' in sich hinein, denn manch einer könnte sie für genau das halten. Das alles konnte durchaus eine Falle sein, ein ...großer roter Knopf mit dem Hinweisschild **NICHT DRÜCKEN!**. Aber was würde sie dann tun? DRAUF RUM SPRINGEN! So war sie nun mal. Und da passierte es auch schon:
Plötzlich war der Junge weg. Rufen brachte nichts, er antwortete nicht. Was dafür aber antwortete, war das Keckern.
Na toll!
Es wirkte ganz nah und schien aus mehreren Richtungen zu kommen, oder bildete sie sich das nur ein, weil ihr Verstand plötzlich verrückt spielte?
Jetzt werd ich also doch wahnsinnig... hat ja ne Weile gedauert...
Um sie herum gab es nur weißlichen Dunst.
„Marukaaa…“
, zischte es nahe ihren Ohren, klang geisterhaft und wenig einladend. Was andere mit Furcht und Angst erfüllt hätte, löste etwas anders in Maruka aus. Ihre Krallen traten hervor und sie ließ sich in die Hocke nieder. Einerseits war sie so zum Sprung bereit und gleichzeitig ein kleineres Ziel für einen Angreifer. Adrenalin kitzelte in ihren Adern und dämpfte jeden Schmerz.
Das Keckern tauchte erneut hinter ihr auf, dann spürte sie eine Grabeskälte in ihrem Nacken. Wie eine Hand, die sie dort packen wollte und durch sie hindurch griff. Es war schauderhaft! Sie wirbelte herum - war da nichts, aber gleich noch mal griff diese Todeskälte nach ihr.
**Die warme Stimme klang nicht belehrend, sie erzählte tolle Geschichten und das Gesicht dazu war geprägt von Liebe, wenn Elin Meersegen sprach:
„Es gibt Geister, da will ich dir nicht widersprechen, Maruka. Aber du brauchst keine Angst vor ihnen zu haben, denn sie können dir körperlich nicht schaden. Was sie aber tun können, ist deinen Verstand zu verwirren.“
„Das versteh ich nicht. Einen Verstand verwirren? So wie beim alten Björn? Der spricht immer mit seiner Frau, wenn keiner hinsieht. Aber Sonja ist doch schon seit der letzten Zeit des Erwachens tot.“**
...noch ein Blitzlicht aus Marukas Vergangenheit. Zu mehr reichte es nicht, denn dieses Mal umklammerte die ihr Herz, als hätte dieses Phänomen durch sie hindurch gegriffen und ihr Herz eingeschlossen. Augenblicklich fehlte ihr der Halt, sodass sie auf den Boden sank. Ihre Augen versagten ihr mit Schwindel und Sehstörungen den Dienst.
Hab ich zu viel Blut verloren?...
Es war so bitterkalt! Sie würde hier sterben – eine Erkenntnis, die sich hämmernd in ihren Kopf brannte! Während ihre Sinne sich nach und nach verabschiedeten und sich nur noch auf dieses Gefühl konzentrieren konnten, drang mit einem Mal ein nervtötendes Geräusch an ihre überempfindlichen Ohren: Ein Scheppern und Krachen, dann ein Reiben und Knirschen.
Auauauauaua...
Aber es zeigte, dass sie noch am Leben war. Die Kälte zuckte zurück. Gab ihr Herz wieder frei und verließ ihren Körper. Ihre Sinne konnten sich wieder besser fokussieren. Dann wurde der Lärm noch bedeutend lauter und mit einem Mal standen vor ihrer Nase auf dem Boden, an dem sie kniete, zwei Hufe.
Was...???
Sie folgte dem Blick hinauf und erkannte Ziegenbeine, dann eine Lederhose die üppige Hüften bedeckten. Weiter kam sie mit ihrem Blick nicht, denn derjenige beugte sich hinunter und reichte eine Hand. Diese war ebenso befellt, wie die von Petroju, doch deutlich größer.
„Steh auf Schätzchen, sonst holt es dich doch noch!“
, hörte sie eine weibliche Stimme sagen und blickte in das freundliche Gesicht einer Minotaurin.
**Thure Sturmschreiers Stimme hallte lachend durch das Langhaus:
„Was soll das heißen, mein Horn sei dafür nicht lang genug?“
Einer seiner Männer lachte sogar noch lauter als der Anführer der Tapferen.
„HAHAHA! Thure, du willst dich noch nicht wirklich mit einem Minotauren vergleichen?!“
Elin war aufgestanden und legte jeweils ihrem Mann und dem Gast ihres Hauses eine Hand auf die Schulter:
„Glaub mir, das Horn meines Mannes ist genau ausreichend lang, das es seinen Zweck erfüllt. Du siehst meine vielen Kinder? Mach deiner Frau erst mal so viel Liebe zum Geschenk, dann reden wir weiter über... Minotauren!“
„...Mama, was ist ein Minotaur?“
Und das erste Mal fehlte Eilin eine Antwort für ihren noch viel zu kleinen Jungen, der die Frage gestellt hatte. Das Gelächter klang noch lange nach in diesen heimeligen Abendstunden, in denen die Jäger, Fischer und Krieger der Tapferen zusammen kamen. Erst sehr viel später sollte der Junge, sowie auch Maruka dazu eine Erklärung bekommen.**
Mino...äh...doch keine Ziegenbeine... Minotauren sind doch Stiere...also eine Kuh? Eine Kuh-Hybridin?
Sie stemmte sich hoch. Die Grabeskälte ließ sie immernoch zittern.
„Was ...ist passiert?“
, fragte sie und schaute sich die Umgebung an.