"Natürlich kann ich dir nicht die nötige Finsternis bieten. Aber ich kann dir welche beschaffen. Warte es ab, Asmodi." Mehr hatte der Lich nicht zu ihm gesagt und Mallahall ließ er noch weiter im Dunkeln tappen. Sie verließen die Elfenstadt durch eines der gigantischen Tore, die gar nicht als solche zu erkennen waren. Am Rand eines Wäldchens lag es und man konnte meinen, sich schon außerhalb der Stadt selbst zu befinden, aber dem war nicht so. Sie wanderten ein Stück weit über Wiesen. Blumen blühten, Insekten schwirrten umher, die Luft war geschwängert vom Duft all der schönen Pflanzen, die fernab jeglicher Jahreszeitenzyklen zu wachsen schienen. Sie gediehen hier prächtig, zusammen mit Gräsern und Kräutern. Nicht gerade förderlich für den ohnehin angeschlagenen Dämon.
"Vielleicht solltest du noch einmal mit Aurelius tauschen", schlug Mallahall vor, die das Elend ihres Haraxwesens deutlich erkannte. "Wenigstens bis wir die Stelle erreichen, die Etelin für was-auch-immer passend findet."
"Wir brauchen einen Hain. Möglichst fern von der Elfenstadt und dicht. Ein geschützter Hain wie ... oh, dieser dort sieht gut aus." Er zeigte auf ein Wäldchen aus großen Weiden. Sie ließen ihre peitschenartigen Zweige hängen, dass ein undurchdringlicher Vorhang grünen Blattwerks entstand. Er reichte fast bis zum Boden. Im Hain selbst würde es wohl schattig und trüb sein, aber selbst das reichte dem Dämon doch nicht mehr. Was hatte Etelin nur vor?
"Es wird gefährlich, nicht wahr?"
Der kleine Mann nickte auf Mallahalls Frage hin. "Es kann nicht harmlos sein, wenn wir mit einem Dämon unterwegs sind." Da hatte er gewissermaßen Recht. Man betrat den Weidenhain. Etelin schob die Zweige mit dem oberen Ende seines Knorrenstabes beiseite. Wie vorauszuahnen barg das Wäldchen Zwielich und jede Menge Schatten. Hier am Boden wuchsen keine Kräuter und Gräser. Nur einige wenige Moosteppiche hatten sich zusammen mit vielen kleinen Pilzfarmen gebildet. Ja, Pilze gediehen hier im Überfluss! Schwämme, die sich an den dicken Stämmen der Weiden festklammerten wie Parasiten. Lange, dünne Pilze mit spitzen Hüten in Purpur und Rot. Breite Pilze, die Kröten als Sitzfläche dienten, wenn ihre Schirme nicht gerade am Ende des Halsstiels abbrachen. Fliegenpilze, Pfifferlinge und einige andere Sorten, die nur von Kundigen dieses Pflanzengebiets benannt werden konnten. Und dazwischen schwirrten Mücken umher, um Besucher des Hains ein wenig zu ärgern. Mallahall schlug gerade nach einem der frechen Exemplare. "Autsch! Mich hat eine gestochen!"
"Das wird noch unser geringstes Problem sein", sagte Etelin. Er trat weiter in den Hain hinein, bis er eine Stelle erreichte, die etwas frei von all den Pilzen war. Hier musste vor Jahren ein Blitz in einen Weidenbaum eingeschlagen sein. Der Stamm lag quer auf der Lichtung, von Moos und weiteren Pilzen geradezu überwuchert. Kleine Tierchen wimmelten über der Rinde umher. Sicherlich gab es noch mehr von ihnen unter dem morschen Holz. Der geschwärzte Stumpf war geblieben. Die Wurzeln hielten ihn immer noch fest im Boden verankert. Etelin blieb davor stehen. Er nickte. Das war ein guter Platz. Er lehnte seinen Stab gegen den Stumpf, rollte die Ärmel seiner Robe zurück. Seine roten Augen suchten Mallahalls Blick. Sie würde nicht einverstanden sein, das wusste er. Aber der Zeitpunkt war gekommen, es ihr zu beichten.
"Ich mache das jetzt zum ersten Mal. Ich habe bereits erwähnt, dass ich kein Ritualmagier bin, aber ich glaube, ich entwickle mich gerade zu einem. Hoffentlich reichen meine nekromantischen Magiekenntnisse aus, auch dieses Ritual durchzuziehen."
"Ritual? Wovon sprichst du, Etelin? Was hast du vor?"
"Ich öffne jetzt ein Tor zum Harax."
Mallahall konnte nicht einmal aufkeuchen. Ihre Kinnlade klappte herunter. Ihre Augen weiteten sich. Was Etelin hier im Begriff war zu tun, widersprach allem, was sie als Lichtmagierin gelernt hatte. Der Harax war eine finstere Welt, voll von Dämonen. Sie alle strebten an, nach Celcia zu gelangen, um auch diese Welt zu unterjochen. Mehr Land bedeutete mehr Macht, das galt auch für Dämonen. In Zyranus waren solche Zauber verboten! Man duldete Ritualmagier dort nur, wenn sie sich darauf beschränkten, gerade solche Rituale zu verhindern! Magier, die versuchten, Dämonen zu bannen und nicht sie zu rufen oder ihnen Pforten zu öffnen."Etelin!"
"Nein!" Es kam schneidend. Der Lich hob die Hand. "Wir werden ihm helfen. Ich öffne nur ein ganz kleines Loch. Gerade genug, dass Asmodi einen tiefen Atemzug tun und sich stärken kann. Danach versiegle ich es wieder."
"Und wie, du .... du .... bei Lysanthor, das kann nicht gut ausgehen!"
Etelin blinzelte. "Ich fange jetzt an. Bist du bereit, Asmodeus?" Er hob die Hände für das Ritual, von dem er nur einmal vor einigen Jahren und auch nur beiläufig gelesen hatte.