Auf dem Heimweg

Der Urwald oder, wie viele ihn nennen, der Dschungel erstreckt sich sehr weit. Hier verbergen sich verschiedene Rassen wie die Affenmenschen. Doch es gibt auch das sogenannte Paradies Shyána Nelle, welches sich in der großen Senke befindet.
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Kali
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Auf dem Heimweg

Beitrag von Kali » Sonntag 29. Mai 2022, 17:02

Fernes Gewittergrollen kitzelte Kali im Nacken. Selbst das ständige Surren von Insektenflügeln, Zwitschern von Vögeln und laute Bellen von Kletteraffen war nicht in der Lage, ihn von den drohenden Naturgewalten abzulenken. Die Tropfen eines feinen Nieselregens verfingen sich über ihm im Blätterdach des Urwalds. Nur Wenige perlten an zahlreichen Hindernissen vorbei hinab bis zur untersten Farnschicht, um dort von seinem Umhang aus Bananenblättern abgefangen zu werden. Die Wenigstens erreichten seine Haut, aber ein jeder dieser unheilsamen Vorboten erweckte in ihm ein Flüstern von Erinnerungen. Brannte auf seiner Haut.
Kali schauderte.
Unfreiwillig wandte er sich nach links und erhaschte durch die Bäume einen Blick auf die kleine Gruppe Sammlerinnen, zu denen er sich stets in leichtem Abstand aufhielt. Sie alle trugen wie er volle, geflochtene Körbe auf ihren Rücken und eilten einen kaum erkennbaren Trampelpfad entlang.
Keine sah sich zu ihm um.
Ihr Weg führte sie zu einem kleinen Teich. Die Blätterdecke konnte den Himmel hier nicht ganz verdecken und ein Rest von Sonnenstrahlen beleuchtete den kleinen Wasserfall auf der gegenüberliegenden Seite, wo eine dicht bewachsene Klippe emporragte. Das plätschernde Wasser wirbelte weißen Schaum auf, während die Regentropfen den Rest der Oberfläche tanzen ließen. Eine leichte Brise versetzte hier selbst die kleinsten Pflanzen in Wallungen. Dem Ganzen wohnte eine gewisse Unruhe inne.
Die Sammlerinnen erreichten die Stelle zuerst und viele setzten ihre Körbe ab, streckten kurz ihre Glieder von sich. Die Anführerin ihrer Gruppe bellte ein paar Befehle, die Kali aus der Ferne nicht verstehen konnte. Er brach etwas weiter rechts von ihnen aus dem Dickicht des Dschungels und kniete sich nieder, um sich hastig einige Schluck Wasser einzuverleiben. Aus den Augenwinkeln nahm er einige nervöse Seitenblicke war, aber viele der Sammlerinnen hatten es ihm bereits gleichgetan. Dass ihre Blicke ihm und nicht den dunklen Wolken über ihnen galten, sprach Bände.
Erneut erhob die Anführerin die Stimme, aber ein Donnergrollen verschluckte sie fast vollständig. Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Zu gern hätte auch er sich kurz seines Korbes entledigt. Die Riemen rieben unangenehm über seine Narben. Ein Gefühl, dass ebenso unliebsame Erinnerungen hervorrief. Von einem immer schwerer werdenden Speer, von Tekas Stimme, von Nadeln aus purem Feuer. Sie zu verscheuchen kostete ihn einige wertvolle Sekunden, in denen sich die Sammlerinnen bereits von der Wasserstelle entfernt hatten.
Sein Kopf begann kurz zu schwirren.
Nicht jetzt!”, fluchte Kali und rannte um den Teich. Er durfte den Anschluss nicht verlieren. Keine Last sein. Die großen Statuen waren nur noch eine kurze Strecke entfernt. Die Fußspuren der Tabiki-Frauen führten auf einen bekannten Pfad und Kali begann zu rennen, aber das ansteigende Gelände gebot ihm bald Einhalt. Auf der Kuppe angekommen, sah er sich rasch um.
Von den Sammlerinnen war nichts zu sehen. Kali wusste, dass sich links von ihm der schnellste Weg zum Dorf befand, aber auf der rechten Seite schwangen einige herabhängende Lianen auffällig stark und zwei abgeknickte Zweige deuteten darauf hin, dass die Gruppe dort entlang gegangen war.
Unsicher sah Kali zwischen den beiden Möglichkeiten hin und her. Er konnte sich nicht zusammenreimen, wieso sie einen anderen Weg hätten einschlagen sollen, aber über ihm brodelte sich bereits ein heftiger Schauer zusammen und er hatte keine Zeit nachzudenken.
Kali raffte seinen Korb wieder in eine gerade Position und hastete nach rechts durch die Büsche.

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Re: Auf dem Heimweg

Beitrag von Erzähler » Montag 30. Mai 2022, 12:55

Immer wieder war es erstaunlich, wie die Geräusche sich prompt veränderten, sobald man das Dorf Hajikya verließ und in den Dschungel eintauchte. Waren da eben noch Stimmenwirrwarr und geschäftiges Treiben, umfing einen die dumpfe Umarmung des Urwaldes. Wer sich hierher auf der Durchreise verirrte, dem würde die erdrückende Ruhe, durchbrochen von schaurigen Geräuschen, sicherlich das Nackenhaar aufstellen. Beklemmung war wohl das richtige Wort, um die Atmosphäre des Kapayu zu beschreiben. Nicht nur dass es an Licht fehlte und alles in diffuse Schatten getaucht wurde, das Blätterdach schien auch einige Geräusche zu verschlucken oder zu dämpfen. Alles hörte sich wattiert und dumpf an. Nach ein paar Tagen hätte man sich dann an den zweifelhaften Charme des Waldes gewöhnt und die Lage besser sondiert. Dennoch blieb dieses leichte Nagen eines Zweifels, ob der Urwald so freundlich gesinnt war. Trotz der teilweise bunten Blütenpracht und den hohen Bäumen mit ihren dicken Blättern, hatte man stets das Gefühl, dass man beobachtet würde. Aus dem Zwielicht starrten einen die Augen verschiedener Affenarten entgegen, Schlangen suchten sich ihren Weg und immer mal wieder knackten Äste aus unerfindlichen Gründen. Da war es auch nicht hilfreich, wenn sich vereinzelte Tropfen ihren Weg zur Erde bahnten und hier und dort Geräusche hinterließen. Das entfernte Prasseln deutete daraufhin, dass sich außerhalb des Urwaldes ein Regenschauer ergoss und plötzlich konnte man ein entferntes Grollen vernehmen. Zumindest Kali war im Umgang mit dem Kapayu geübt genug, um zu erkennen, dass es sich bei diesem Grollen keineswegs um ein Tier, als viel mehr um das unheilvolle Verkünden eines Gewitters handelte. Immer wieder wurde die feuchtigkeitsschwangere Luft davon erfasst, baute sich doch über dem Blätterdach die Luft zäh, wie die Suppe der Köchin im Dorf der Tabiki, auf und entlud sich alsbald, sobald sie auf Kältere traf.

Kali gemahnte das entfernte Grummeln zur Eile. Er hatte wie beinahe jeden Tag den Weg mit einigen Sammlerinnen aus dem Dorf in den Urwald gewagt, um die großen Weidenkörbe auf ihren Rücken mit allerhand Beeren, Samen und genießbaren Wurzeln zu füllen. Sie waren bereits einige Zeit unterwegs und die Last der Körbe wurde spürbar unbequemer. Trotzdem konnten sie alle zufrieden mit ihrer Ausbeute sein. Während allerdings die Sammlerinnen zu viert waren, musste Kali wie eh und je allein dafür sorgen, dass sich der Korb füllte. Er hatte niemanden, der ihm dabei half oder sich für ihn die Mühe machte zum Beispiel auf einen Baum zu klettern um die sogenannten „Plopp-Beeren“, hoch oben in den Kronen, zu sammeln. Während sich die vier Anderen aufteilen konnten, musste er zusehen nicht noch eine Belastung zu sein. Er wurde ohnehin nur gebilligt, statt akzeptiert und strengte sich stets immer ein Bisschen mehr als alle anderen an. Damit er nicht doch irgendwann fortgejagt wurde, eilte er zum kleinen See und schöpfte sich etwas von dem erfrischenden Wasser, bevor die Gruppe weiterzog. Niemand wartete auf ihn, keiner achtete auf ihn. Außer hier und dort verstohlenen Blicken, hatte der Tabiki nichts von seiner Gemeinschaft zu erwarten. Das Leben war einsam in Hajikya wenn man so war wie er: Stigmatisiert. Nicht nur aufgrund seiner weißen Flecken, die ihn sichtbar für jeden brandmarkten, sondern auch aufgrund seines Fehlers vor so langer Zeit. Dumm waren sie gewesen… Er, Teka und Sarr. Jedes Kind bekommt von Anfang an mit der Muttermilch eingebläut, dass sie vor Einbruch der Dunkelheit aus dem Urwald zurückkehren sollten. Nur die aller besten und erfahrensten Krieger wagten sich auch nach der Dämmerung hinein, um die wertvollsten Exemplare zu erlegen. Dieser Übermut zahlten die drei Jungen jeder auf ihre Weise mit ihren Leben. Sarr versauerte im verhassten Tempel. Teka lebte mit seiner Feigheit und Kali… Kali traf es wohl am härtesten. Er verlor nicht nur fast sein Leben, er verlor vor allem das Recht ein vollwertiges Mitglied der Tabiki zu sein. Er verlor einen Teil seines Äußeren. Er verlor die Gnade der Ältesten und hatte gerade noch Glück, dass sie ihn nicht verstießen. Es war ein zähes Dasein und jeden Tag wurde er daran erinnert, dass der Übermut einfach alles gekostet hatte.

Während er sich noch am Wasser erfreute und ihn seine Gedanken und die Einschränkungen seiner körperlichen Verfassung zu schaffen machten, zog die Gruppe der Sammlerinnen weiter. Niemand wartete auf Kali, im Grunde sollte er ohnehin nicht bei ihnen sein. Als ihm das bewusst wurde, waren sie bereits im Dickicht verschwunden, sodass er sich beeilen musste, dem Weg zu folgen. Der Antrieb, für niemanden eine Last zu sein half ihm dabei, die kleine Anhöhe trotz Ermüdungserscheinungen zeitnah zu erreichen. Von der Gruppe fehlte allerdings weiterhin eine Spur, bis ihm die schwingenden Lianen und geknickten Äste auffielen. Kali stutzte. Wieso liefen sie dort entlang? Wieso nicht linksherum, da war der Weg doch einfacher und vor allem gelangten sie schneller zum Dorf? Kali ignorierte sein Wissen und folgte dem Weg, den auch die anderen gegangen waren. Er lief rechtsherum, knickte ebenfalls einige Zweige ab und ließ die schwingenden Lianen hinter sich. Der Weg wurde immer schmaler und dicht ragten einige Zweige und Blätter in ihn hinein, sodass Kali Mühe hatte das Tempo aufrechtzuerhalten. Er musste seinen Schritt verlangsamen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, dass sich Teile seines Umhanges aus Bananenblättern in dem Gestrüpp des Urwaldes verfingen und er womöglich noch Schaden nehmen würde. Der Weg wurde immer undurchdringlicher, bis er aktiv die Pflanzen beiseite reißen oder schieben musste, um weiterzukommen. Waren die Frauen wirklich hierentlang gegangen? Warum war der Weg dann nicht weiter geebnet, sodass er nur zu Folgen brauchte? Hatte er sich geirrt? Ein Blick zurück zeigte Kali, dass er die kleine Anhöhe längst nicht mehr sehen konnte. Es wurde dunkler um ihn herum und das Grollen des nahenden Unwetters wurde lauter. Oder bildete er sich das ein? Auch wenn er ein Kind des Urwaldes war, wirkte das dichtgewachsene Blattwerk, die fehlende Sonne und das Grollen in weiter Ferne beklemmend. Konnte er die Frauen vielleicht noch hören? Stille breitete sich wabernd aus und umfing den Tabiki gnadenlos. Plötzlich schrie in unmittelbarer Nähe ein Affe kleinerer Gattung und durchriss die erdrückende Stille. Irgendwo flatterten einige Vögel aufgescheucht auf. Kali konnte erkennen, dass der Weg vor ihm zwar uneben war aber dennoch weiterführte. Er könnte sich also die Mühe machen und folgen oder aber er verlor die investierte Zeit und ging zurück. Durch seine Kenntnisse des Urwaldes wusste er, dass das Dorf nicht weit sein konnte. Fremde würden die Orientierung hoffnungslos verlieren, Kali wusste es besser. Er musste sich nur entscheiden, ob er weiterging und vielleicht doch noch zur Gruppe aufschloss, oder sich doch lieber dafür entschied, den Weg zurück und allein zu gehen.
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Re: Auf dem Heimweg

Beitrag von Kali » Montag 6. Juni 2022, 00:44

Ein von einzelnen Tropfen feuchtes Blatt, das Kali gerade versuchte hatte aus seinem Weg zu drücken, flutschte durch seine Finger und klatschte ihm nass und kalt ins Gesicht. Spätestens jetzt wurde dem jungen Tabiki klar, dass er wohl wieder einen Fehler begangen hatte. Mit einem genervten Stöhnen wischte er sich den Handrücken über die Wange. Sein Blick blieb kurz an den braunroten gefärbten Schlieren hängen, die diese abwesend durchgeführte Bewegung auf den weißen Flecken seiner Hand hinterließ.
Na toll. Auch das noch.“, raunte er. Das einfache Gemisch aus rötlicher Erde und Milchsaft, mit dem er heute versucht hatte die offensichtlichsten Flecken in seinem Gesicht zu übertünchen, löste sich in Wohlgefallen auf. Er hatte noch keine Möglichkeit gefunden, auf andere Art und Weise die empfindlichen Gebiete um Augen und Mund zu verstecken. Für gewöhnlich trockneten die Farbmischungen irgendwann aus und begannen abzublättern. Oder schlimmer, sie funktionierten wie gedacht, aber führten zu extremen Rötungen oder widerlichen Juckreizen, die ihn noch Tage danach zu schaffen machten.
Damit war also ein weiterer Versuch gescheitert, aber Kali ging der Verlust nicht sonderlich zu Herzen. Soweit er es in seinem Spiegelbild in der Wasserschale hatte beurteilen können, war die Deckkraft und der Farbton sowieso nicht seinen Ansprüchen gerecht geworden. Der Milchsaft hatte das Ganze zu sehr aufgehellt und beinahe durchsichtig erscheinen lassen. Dennoch verließ er die Hütte lieber schlecht verborgen als völlig entblößt. Nicht, dass er irgendjemanden damit hätte täuschen können. Seine Kleidung und seine Hände verrieten ihn stets schon von Weitem.
Aber mit etwas Farbe im Gesicht hatte Kali wenigstens das Gefühl, den Kopf heben zu dürfen.

Was just in diesem Moment dazu führte, dass er sich des kaum vorhandenen Weges vor sich gewahr wurde. Jegliche Art von Spuren, die ihn dazu verleitet hatten, diese Richtung überhaupt einzuschlagen, hatten sich ebenso in Luft aufgelöst wie seine nicht sonderlich wasserresistente Gesichtsbemalung. Von den Gewitterwolken konnte man leider nicht dasselbe behaupten.
Kali ließ seinen Blick erst zu dem dunkler werdenden Himmel, den er nur manchmal über sich erkennen konnte, und dann über seine Schulter nach hinten schweifen. Er war schon zu weit gelaufen, um umzukehren. Das Herz schlug ihm von der Geschwindigkeit, die er bisher angeschlagen hatte, bereits schnell und pochend in der Brust. Ständig wurde er sich seiner eigenen Atmung bewusst und selbst, wenn ihn das Dickicht nicht dazu gezwungen hätte, wäre ihm nichts anderes übriggeblieben, als seine Schritte zu verlangsamen. Die Hoffnung, die Sammlerinnen einzuholen, gab er hier und jetzt auf.
Kali setzte seinen Weg also unbeirrt, aber mit Bedacht fort. Zuvor hatte er angenommen, dass andere Tabiki den Dschungel vor ihm bereits durchquert und nach Gefahren Ausschau gehalten hatten. Nun würde er dies selbst übernehmen müssen. Unebener Waldboden, grüne, im Gebüsch fast unsichtbare Schlangen, riesige und giftige Spinnen, alles hätte hier auf ihn lauern können.
AH!“,
Mit dem Affen, der hinter dem nächsten Baum fast direkt auf Augenhöhe vor seinem Gesicht baumelte, hatte Kali allerdings nichts gerechnet. Beide schrien sich gegenseitig an. Die riesigen Glubschaugen, die beinahe das gesamte Gesicht des kleinen Fellknäuels einnahmen, weiteten sich noch einen Ticken mehr, bevor die kleinen, dürren Hände die Liane ergriffen, mit der er sich vom nächsten Ast hatte hängen lassen. Blitzschnell war er wieder den Baum emporgeklettert.
Iaszar kriegt dich schon noch!“, rief Kali ihm erbost hinterher und hätte am liebsten noch einen Speer hinterher geworfen, einfach nur um sich Luft zu machen. Zum Glück hatte niemand gesehen, wie heftig er gerade zusammengezuckt war. Dabei war Kali sich nicht einmal sicher, wer genau hier wen beinahe zu Tode erschreckt hatte.

Kaltweißes Licht erhellte für den Bruchteil einer Sekunde den Waldboden. Kali erstarrte und begann zu zählen. Bevor sein dritter Finger nach oben geschnellt war, lief ihm ein tiefes Grollen wie kalte Regentropfen den Rücken hinunter. Denn es war laut, und nah. Zeit zu gehen. Kali setzte sich schneller in Bewegung, als er es sich hätte erlauben dürfen.
Der Weg führte weiter geradeaus, aber das Dorf müsste sich irgendwann zur Linken zeigen. Seine Augen begannen fast schon panisch zwischen dem Waldboden und den Bäumen hin und her zu huschen. Was würde ihm zuerst begegnen: ein weiteres Hindernis oder die Sicherheit verheißenden Statuen seiner Heimat?

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Re: Auf dem Heimweg

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 8. Juni 2022, 00:22

So sehr sich Kali auch bemühte, immer wieder stellte sich etwas in seinen Weg. Sei es Flora oder Fauna oder aber er selbst. Unsicherheit machte sich in dem Tabiki breit, als er erkennen musste, dass der Weg vor ihm unmöglich vorher begangen worden sein konnte. Hatte er sich denn geirrt? Die Spuren waren doch aber eindeutig gewesen. Die abgeknickten Äste, der leicht eingedrückte Boden? Spurenlesen konnte er doch, da bestand kein Zweifel. Dennoch stand er inmitten des Urwaldes, umringt von gierigen Blättern und Lianen die sich offenbar alle nach ihm reckten, um ihn am Weitergehen zu hindern. Und als wäre das nicht genug verlor er nun auch noch das Einzige, was ihn sich halbwegs dazugehörig fühlen ließ: Seine Mischung aus Farbpigmenten, die das verdecken sollten, was ihn überhaupt erst von allen anderen abschottete. Allerdings verschmerzte er den Verlust, denn nicht allein das Abdecken war es, was Kali brauchte – es musste auch der richtige Ton getroffen werden und das war ihm zum wiederholten Male nicht gelungen. Doch er gab nicht auf, würde weiter experimentieren und irgendwann genau den Ton und die Zusammensetzung finden, die er brauchte.
Allerdings war heute ein denkbar schlechter Tag dafür. Dunkle Wolken mit dicken Regentropfen gefüllt, zogen sich über seinem Kopf zusammen. Er hatte das Grollen hören können, sehen konnte er sie indes nur ab und zu mal. Die Entscheidung, ob er weiterging oder zurückkehrte, fiel erstaunlich schnell aus. Er würde dem Pfad folgen, sich nicht beirren lassen und bei seiner Entscheidung bleiben. Es war sicher klug sich dennoch etwas zurückzunehmen und nicht ganz so eilig durch den Urwald zu laufen. Immerhin war seine körperliche Verfassung nicht die eines Mannes seines Alters und gleichzeitig schlussfolgerte er richtig, dass er sich nicht darauf verlassen konnte, dass es hier keine Gefahren gab, die er zu umgehen oder zu bezwingen hatte. Trotzdem schritt er entschieden voran und folgte dem Pfad schwungvoll um die nächste kleinere Biegung. Nur um im nächsten Moment zurückzuprallen, als wäre dort eine unsichtbare Wand und in die Augen eines Affen zu blicken. Große, ovale Augen starrten den Tabiki an, wurden noch größer und noch ehe eine weitere Reaktion erfolgen konnte, hatte sich der braun-graue Urwaldbewohner in die schwindelerregenden Höhen des Affentopfbaumes verzigen und außer eines Raschelns, konnte Kali binnen Sekunden nichts mehr von dem Affen sehen. Hier im Urwald begegnete man einer Vielzahl an verschiedenster Affen-, Schlagen- oder Spinnenarten und nie konnte man sich sicher sein, ob man nicht gleich das Abendessen für eben jene Räuber darstellte. Hier hatte er Glück gehabt. Außer eines Schreckens, hatte er nichts weiter vor dem kleineren Vertreter seiner Spezies zu befürchten. Den Schreck noch verarbeitend, folgte Kali abermals dem Weg. Bis es plötzlich und unheilvoll über ihm aufblitzte. Der gesamte Urwald wurde in ein diffuses Licht getaucht, wie eine Momentaufnahme, die sich auf Kali‘s Netzhaut einbrannte. In diesem Licht sah alles gleich viel unwirklicher aus. Die knorrigen Urwaldbäume mit ihren hohen Stämmen und buschigen Baumkronen wirkten wie Stelzenartige Untiere, die nur auf ihr Opfer lauerten. Der Boden hatte eine sehr viel dunklere Farbe angenommen und das rötliche Braun wirkte fast wie getrocknetes Blut. Es war unheimlich. Als dann auch noch das Grollen nur kurze Sekunden später direkt über seinem Kopf aufbegehrte, wusste Kali sehr genau, dass er nun endlich nach Hause laufen sollte. Setzte erstmal der Platzregen ein, würde der Dschungel sehr schnell nicht nur aufgrund der Jäger zu einer tödlichen Gefahr werden können. Erdrutsche passierten nicht selten und wer würde nach ihm suchen, wenn er nicht wiederkehrte? Würde sich jemand überhaupt darüber Gedanken machen, wo er war?

Als würde das Gewitter den Rhythmus seines beschleunigten Schrittes zum Anlass nehmen, plätscherten vereinzelte Regentropfen mehr und mehr durch die kleinen Schlitze und Öffnungen im Blätterdach. Kali spürte sie auf sich niederprasseln und nur zwei weitere Blitze und Gewitterdonnern später, prasselte der Regen ohrenbetäubend auf den Tabiki nieder. Der Boden wurde schnell zu einer schlammigen Paste, rutschig und gefährlich. Nun war guter Rat teuer: Würde Kali zu schnell laufen, hätte er das Problem, dass er womöglich irgendwann der Länge nach hinschlagen würde. Und wenn er langsamer wurde, dann würde er ganz klar die nächsten Tage damit zubringen, seine Kleidung zu trocknen. Die Luft wurde feuchter, der Regen ließ die Bananenblätter an seinem Leib kleben. Kali folgte dem Pfad weiter und achtete nur noch ab und an auf die Blätter und Zweige, die hineinragten in seinen Weg. Jetzt musste er doch irgendwann das Dorf sehen können? Er konnte sich doch nicht so weit ab von der schützenden Grenze befinden. Ob die Sammlerinnen bereits dort waren? Ob sie bemerkten, dass er nicht mehr da war? Noch immer fehlte von den Statuen, die die Grenze zum Dorf markierten, jede Spur. Und während er sich noch fragen musste, wo er einen Fehler begangen hatte, endete abrupt sein Weg an einer kleinen Böschung. Hier ging es einige Meter tief hinunter und obwohl der Abhang mit Bäumen bewachsen war, würde sich der Abstieg als Kräftezehrend erweisen. Kali konnte erkennen, dass auf der gegenüberliegenden Seite ein weiterer Pfad führte. Unten im Bett der Böschung, gab es vermehrt Schlamm zu sehen.
Offenbar hat hier vor geraumer Zeit ein Erdrutsch stattgefunden. Denn diesen Teil hätte er sich sonst sicherlich gemerkt. Die Frage war nur, würde er es wagen und durch das schlammige ‚Tal‘ waten, um dem Weg weiter eisern zu folgen oder aber – was war das? Rechts von Kali gab es einen Weg, der ihn vielleicht um das Loch des Erdrutsches herumführte. Allerdings, nach seiner Orientierung zu urteilen, würde das bedeuten, dass er sich vorerst wieder vom Dorf entfernte. Ganz egal wie sich Kali entscheiden würde: Das Gewitter mahnte ihn weiterhin zur Eile, denn der Regen wurde stetig heftiger, rauschte ohrenbetäubend im Urwald durch die vielen Blätter und … verfolgte ihn das Grollen eigentlich? Noch immer ertönte es unheilvoll über ihm, sobald der Blitz eine Momentaufnahme des Waldes angefertigt hatte. Offenbar zog das Gewitter mit seinem Weg mit. Sollte er sich womöglich einen Unterschlupf suchen? Was riet ihm der Instinkt und vor allem: Was war das für ein Geräusch fernab des Grollens? Wie ein leises Schaben, nicht ganz klar und man könnte beinahe denken, es wäre eine Täuschung. Der Regen erschwerte das Hören, das Grollen verschlang ohnehin alles an weiteren Tönen. Wie also sollte er bei dem Lärm etwas hören und gewarnt sein, wenn es etwas gab, das ihm auf den Fersen war?
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