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von Mya » Samstag 25. Februar 2017, 09:43
Mit gerunzelter Stirn sah Mya Nyack fest in die tiefblauen Augen, während er sprach. Ihr gefiel seine Art nicht. So beeindruckend und fesselnd seine Präsenz und er als Person auch schienen, so sehr war das Mädchen auch von der kühlen, distanzierten Art des Jungen irritiert.
Er schien es nicht für notwendig zu halten, ihr ihre Fragen zu beantworten. Stattdessen wich er ihnen immer weiter aus und versuchte sie mit halben, wagen Antworten abzuspeisen. Sie hatte ihn nun bereits zum zweiten Mal gefragt,wo er herkam und mit einem einfachen „Meine Heimat ist eine andere“ würde sie sich nicht zufrieden geben.
Warum konnte er ihr nicht einfach antworten? Und warum wirkte er so unendlich distanziert?
Es wirkte fast schon so, als hätte er keinerlei Interesse an ihrem Gespräch, trotz der mehr als ungewöhnlichen Umstände, unter denen es zustande gekommen war.
Selbst für jemanden wie ihn, der von weit her kam und sich metallene Reifen um den Hals legte, was, einmal in Worte gefasst sogar noch befremdlicher klang, als es ohnehin schon war; selbst für jemanden wie ihn war es sicher nicht alltäglich, Fremden nachzustellen und anschließend hoch oben in den Kronen der Urwaldbäume Gespräche mit ihnen zu führen.
Die ganze Situation, in der sie sich befanden, war so überaus seltsam und ungewöhnlich, dass es Mya mehr als nur befremdlich erschien, wie Nyack sich gab. War er wirklich nicht an dem interessiert, was sie zu sagen hatte, oder gab er sich lediglich distanziert und desinteressiert, um eine Fassade zu wahren?
Die beiden waren in etwa im Gleichen Alter, doch trotzdem schien es einen gewaltigen Unterschied zwischen ihnen zu geben. Während Nyack zwar nicht offensichtlich von oben herab zu Mya sprach, so begegneten sie sich doch nicht auf Augenhöhe. Er war der Fremde, der Eindringling in Myas Welt- ihrer Heimat. Sie kannte jeden Pfad, jeden Vogel, jede Blume des Waldes. Sie war vertraut mit den Geräuschen und Gerüchen des Urwalds und bewegte sich sicher und bestimmt in dieser Umgebung.
Nyack hingegen hatte zugegeben, den Wald nicht zu kennen. Für ihn war hier alles fremd, genauso wie er hier selbst ein Fremder war.
Und trotzdem hatte Mya das Gefühl, sie wäre diejenige, die von nichts eine Ahnung hatte. Seine Art, zu antworten, oder eher, nicht zu antworten, ließ sie sich nur noch unwissender und fast schon dumm vorkommen. Der Mangel an Emotion in seinem Ausdruck und die abweisende, komplett gelassene Körpersprache suggerierten mangelndes Interesse, fast schon Langeweile. Dabei musste er ja ebenfalls einige Fragen haben. Warum wäre er ihr denn wohl sonst gefolgt, wenn nicht, um etwas über sie zu erfahren?
Mya fühlte sich unwohl. Die Panik von vor ein paar Minuten war vergangen und auch die überwältigende Faszination für seine Person wich langsam einem Gefühl der Ungeduld und Frustration. Es schien komplett einerlei, welche Fragen sie ihm stellte und wie oft, das Gespräch gestaltete sich weiterhin als zäh und einseitig.
Die junge Tabiki kam sich wieder wie ein Kind vor. Sie war ein Kind mit zu vielen Fragen und Nyack ein Erwachsener, der es leid war diese zu beantworten.
Mya war frustriert ob der Richtung, in der sich die Unterhaltung entwickelte. Seine Bemerkung über Hajikya mochte zwar der Wahrheit entsprechen, das Dorf war an seinen Maßstäben gemessen sicher nicht allzu groß, doch trotzdem traf sie sie stärker als erwartet. Er mochte es nicht negativ, oder gar verletzend gemeint haben, doch für Mya schienen seine Worte wie eine Degradierung ihrer Heimat. Sie hatte ihr gesamtes Leben dort verbracht, nie ein anderes Dorf, oder eine Stadt gekannt, und nun ließen seine Worte es so aussehen, als wäre das Dorf völlig unbedeutend; als wäre ein Ort nur an seiner Größe und der Zahl seiner Einwohner zu messen.
Auf seine letzten Worte entgegnete Mya lediglich ein knappes „Vielleicht. Wenn ich will.“
Es klang schnippischer als beabsichtigt, das wurde ihr selbst auch klar. Doch sie verlor langsam aber sicher die Geduld. An sich passierte ihr das nicht so schnell, doch diese Unterhaltung führte nur dazu, dass sie sich selbst schlecht fühlte. Es war ihr unangenehm, die ganze Zeit über Fragen zu stellen, doch gleichzeitig brauchte sie einfach Antworten.
Sie zog eine Augenbraue hoch, wie, um etwas kritisch zu betrachten. Ihre Augen ruhten auf Nyack. Sie zwang sich selbst, komplett ruhig zu bleiben, während sie innerlich von Neugierde, Frustration und Aufregung zerfressen wurde.
Wenn er dieses Spiel spielen wollte, dann würde sie sich ihm anschließen. Wenn er keine Antworten geben wollte, dann würde sie ihm auch keine weiteren Fragen stellen.
Mya zwang sich, ihren Atem ruhig zu halten, während sie Nyack ein weiteres Mal musterte. Er wirkte so fehl am Platz und schien hier doch irgendwie... Zuhause zu sein. Die Art, wie er sich in den Baumwipfeln bewegte, wie er sich mühelos auf dem Ast hielt...
Etwas anderes zog mit einem Mal Myas Aufmerksamkeit auf sich. Ein kleiner Vogel war neben ihr auf dem Ast gelandet, kaum größer als die geballte Faust des Mädchens. Verglichen mit den flirrenden, singenden Vögeln, die sie umschwirrten, schien er erstaunlich unauffällig. Sein Gefieder war von einem matten braun-beige, sein Schnabel blass gelb und die kleinen, schillernden Augen pechschwarz. Mya legte den Kopf schief und sah ihn freundlich an. Langsam streckte sie ihre Hand aus, darauf bedacht, ihn nicht zu verschrecken. Die Tiere des Waldes waren wild und nicht an die direkte Nähe von Menschen gewöhnt. Die Tabiki lebten mit und von ihnen, doch sie hielten sich keine Haustiere, wie die Menschen in den Städten außerhalb des Waldes. Die Idee, ein Tier einzusperren, war Mya noch nie in den Sinn gekommen.
Sie hatte schon immer einen besonderen Draht zu diesen gefiederten Tierchen gehabt. Sie kamen zu ihr, ganz ohne Käfig oder Köder und sangen ihr ihre Lieder vor oder erzählten ihr von den Dingen, die sie über den und jenseits der Baumwipfel gesehen hatten.
„Komm her“, lockte Mya den Vogel mit einer sanften und glockenklaren Stimme. Die Sprache der Vögel ließ es fast so erscheinen, als ob sie singe.
Für diesen Moment galt ihre gesamte Aufmerksamkeit dem kleinen Tier und ihr Ärger schien mit einem Mal nebensächlich. Sie hielt vollkommen still, während der Vogel langsam ein paar hopsende Schritte in ihre Richtung tat. Sie hoffte von ganzem Herzen, dass Nyack ihn nicht verschrecken würde. Sie wusste nicht, wie vertraut er mit den Tieren des Waldes war, doch sie fände es mehr als nur schade, ihrem kleinen neuen Freund Angst einzujagen.