Wieland erwachte in vollkommener Finsternis. Es war die Art von Finsternis, bei der es keinen Unterschied machte, ob man die Augen geöffnet oder geschlossen hatte, da sie sich wie ein nasses Tuch über das Gesicht legte und alle Sinne erstickte. Eine Finsternis, die zugleich eine Leinwand für wilde imaginäre Trugbilder bot, wie sie nur ein benebelter Geist zustande bringen konnte. Hässliche Fratzen und Schemen, absurde Körper und Gestalten, die sich aus verzerrten Bildern der Vergangenheit nährten. Noch einen langen Moment hangen sie drohend über ihn, bis sie allmählich ihre Form verloren und im Nichts verflossen. Sie waren bereits zur Gänze verschwunden, als sich Wieland auf seinem Nachtlager aufrichtete und müde den verbliebenen Schlaf aus den Augen rieb. Der junge Mann streckte sich, stieß dabei in der Dunkelheit mit den Fingern an die rauen Wände seiner kleinen Kammer. Behutsam dehnte er den Nacken und die Schultern, verschränkte seine Hände und bog sie durch, sodass bald eine Kaskade von Knackgeräuschen den Raum erfüllte. Währendessen tastete er mit den nackten Füßen über die kalten Dielenbretter, bis er an seine Stiefel stieß. Er erhob sich, kleidete sich an und trat dann, die Hände wie ein Blinder nach vorne gestreckt, auf den schmalen Korridor vor seiner Schlafstätte.
Dort hielt er Inne und lauschte einen Moment in die Schwärze hinein, bis er zu seiner Linken gleichmäßig schnaufende Atemgeräusche vernehmen konnte. Beruhigt ging er weiter, mit dem Handrücken über das Mauerwerk fahrend, bis er an einen schweren Torrahmen ankam. Der Schlüssel steckte bereits im Schloss und war schnell gedreht, die Tür schwang auf und sofort strich ein kalter Lufthauch um seine Beine. Das Zirpen der Grillen begrüßte ihn, die fernen Geräusche des Waldes sowie das Plätschern eines kleinen Baches, der sich nur unweit entfernt durch die Erde schlängelte. Wieland fröstelte. Die vergangenen Nächte waren allesamt ungewöhnlich kalt gewesen und am frühen Morgen, wenn die Sonne noch schlief, war die Luft bar jeder Wärme. In einem Moment der Schwäche sehnte sich sein Körper unter die dicke Decke seines Bettes zurück, wurde jedoch sofort von einem pflichtbewussten Geist in seine Schranken gewiesen. Arbeit stand an, und zwar nicht wenig davon. Der dumpfe Klang seiner Stiefel auf dem gestampften Lehmboden hallte durch den Raum, der sich nach hinten in die undurchdringliche Nacht öffnete. Weder Mondschein noch Sternenlicht durchbrach die Finsternis und ließen Wieland zur Gänze im Stich, als er sich Stück für Stück an sein Ziel herantastete. Bald fand er wonach er gesucht hatte. Für einige Minuten raschelte und knisterte es nur, etwas wurde vorbereitet. Dann schlug Stein auf Eisen, einmal, zweimal, bis die Funken stoben. Wielands Atem war zu hören, als er sachte die Luft ausstieß. Und dann war es so weit.
Es begann wie immer ganz langsam. Gerade noch hatte die Dunkelheit die Welt in ihrem undurchdringlichen Schleier gefangen gehalten, sie der Wärme und Farbe beraubt. Doch schon musste sie einem schwachen Schimmern weichen, das schleichend, doch mit unaufhaltbarer Kraft zu einem satten Glühen heranwuchs. Es breitete sich aus, erkundete seine Umgebung und Rang der fliehenden Finsternis immer mehr und mehr Land ab. Von seinem Ursprung aus, einem Bett strahlenden Kohlen auf einer gemauerten Feuerstelle, erhellte ein nunmehr gleißender Lichtfleck den sich in die tiefschwarze Nacht öffnenden Raum. An den verrußten Wänden hang eine breite Auswahl an Zangen, Hämmer, Meißel, Zwingen, Klemmen und sonstiger Eisenwerkzeuge in den verschiedensten Größen und Formen, die im Schein des Feuers matt glänzten. Auf massiven Holzklötzen ruhten an zentraler Stelle zwei eherne Ambosse, die lange imposante Schatten warfen. Etwas abseits davon stand ein kniehoher Schemel vor einem Schleifrad, über dessen leuchtend hellem runden Kalkstein leicht wippend ein kleines Töpfchen mit Wasser angebracht war. In den Ecken drängelten sich schwere Kisten mit aufeinander geschichteten Barren, Fässer mit dicken Metallstäben und mehrere schmutzige Leinensäcke, die bis zum Rand mit Holzkohle gefüllt waren. Es war wahrlich eine besondere Art von Raum. Ein Raum, der vor Schaffenskraft förmlich brummte. Ein Raum, in dem Dinge ihren Anfang nahmen – eine Schmiede.
Wieland trat aus dem Schatten abseits der leuchtenden Esse und zurrte den Gurt seiner rindsledernen Schürze zurecht. Prüfend warf er einen Blick auf die glühenden Kohlen, eine Hand immer noch auf den Blasebalg gelegt, der dem Feuer gleich der Lunge eines Drachen seinen brennenden Lebensatem zuführte. Die züngelnden Flammen spiegelten sich in seinen Augen und erhellten sein Gesicht, auf dem ein Ausdruck der stillen Zufriedenheit ruhte. Für ihn war dies stets ein magischer Moment. Ein Ritual, das nicht nur den Beginn seines Tages einläutete, sondern ihn auch immer wieder aufs neue mit Ehrfurcht erfüllte. Auch heute noch war auf dieses Gefühl jedes Mal Verlass.
Während das Feuer herunterbrannte und die Kohlen die benötigte Temperatur erreichten, griff Wieland in eines der Fässer und beförderte einen etwa armlangen Schwertrohling hervor, den er noch einmal ausgiebig überprüfte, bevor er ihn auf die Esse legte. Er hatte ihn gestern hergestellt und als heutiges Schmiedestück auserkoren. Das Schwert – eine einfache Ausfertigung des jorsanischen Heeres, eine schmucklose Klinge mit kurzer Parierstange – war das letzte Stück eines längst ausständigen Auftrages, den er noch heute zu beenden gedachte. Das würde jedoch nicht leicht werden. War das Schwert einmal geformt, würde alleine das Polieren und Fegen der Klinge mehrere Stunden beanspruchen, dazu musste er auch noch den Griff fertigen und ansetzen. Die passende Scheide lag bereits auf der Werkbank, doch hatte sich das Holz über Nacht leicht verzogen, sodass sich das Leder an der Spitze unschön wölbte. Es war nichts, dass er nicht mit einigen Handgriffen korrigieren konnte, aber dafür benötigt er Zeit und die schien in diesen Tagen immer knapper bemessen zu sein. Es fiel ihm schwer es zuzugeben, doch er hatte sich in den vergangenen Wochen eindeutig mehr aufgehalst, als gut für ihn war. Die Lieferung Hellebardenköpfe mit überzogener Stückzahl. Die Offiziersdolche mit individuellen Gravuren. Selbst der Schärfung mehrerer Holzfälleräxte, die ein gewöhnlicher Zeugschmied problemlos hätte übernehmen können, hatte er großmütig zugestimmt. Ganz so, wie es früher gang und gäbe gewesen war, denn niemand sollte auf falsche Gedanken kommen. So hatte er sich das zumindest ausgemalt...
Als der Stahl bereit war zog ihn Wieland behände aus dem Feuer und legte ihn auf einen der zwei Ambosse zurecht. Mit der Linken fasste er ihn mit einer Zange, die Rechte ergriff locker den Hammer der auf der matten Eisenoberfläche ruhte. Dann begann er sein Werk. Schrill klirrte der Ambos in der Nacht, nur unterbrochen von Momenten der Stille, in denen der Rohling zurück auf die Esse ging. Die Stunden vergingen und der Schmied hatte nur Augen für seine Arbeit. Sämtliche Sorgen verschwanden aus seinem Kopf, wichen emsiger Produktivität. Die Feinheit der Kanten, die Ausgewogenheit des Gewichts – nur das zählte jetzt. Das Stück Metall vor ihm rückten in den Vordergrund seines Seins und blendeten alles andere aus. Bis es durch seinen Willen geformt genau so vor ihm lag, wie er es haben wollte.
Wieland trat einen Schritt zurück und wischte sich mit dem rußgeschwärzten Unterarm den Schweiß von der Stirn. Erst jetzt bemerkte er, dass der Tag hereingebrochen war und das Grenzdorf mittlerweile zum Leben erwacht war. Ein Trupp Soldaten lief die Palisaden entlang, geführt von ihrem Ausbildner, der sie wüst beschimpfte. Zwei Jungen mit Stöcken trieben eine schnatternde Gänsemeute den Hügel hinauf und machten sich einen Spaß daraus einander ein Bein zu stellen. Eine Gruppe junger Waschfrauen auf dem Weg zum Bach kam heiter plaudernd an der Schmiede vorbei. Eine von ihnen warf ihm einen neugierigen Blick zu, der sogleich von den anderen Mädchen bemerkt und mit lautem Kichern quittiert wurde. Wieland sah ihnen nach bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden waren und dann noch ein wenig länger. Obwohl sie alle etwa in seinem Alter waren, kannte er keine von ihnen beim Namen.
Er strich sich die Haare aus dem Gesicht und richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf das unfertige Klinge. Schon wollte er zum nächsten Arbeitsschritt übergehen, als er ein gedämpftes Geräusch aus dem Haus hörte. Ein keuchendes Husten, ein Würgelaut, dann ein dumpfer Aufprahl. Wieland legte rasch das Schwert aus den Händen, welches vom Amboss rutschte und polternd zu Boden fiel. Schnell war er an der Tür und hastete durch den Flur, vorbei an seiner Kammer, zum Zimmer am Ende des Korridors, aus dem erneut ein rasselnder Hustlaut ertönte. Alberichs Zimmer. Ohne zu Klopfen trat er ein und erfasste binnen Sekundenbruchteile die Lage als er das leere Bett mit der verrutschen Decke erblickte. Wortlos eilte er durch den Raum und bückte sich zu seinem Meister herab, der keuchend vor einer übelriechenden Pfütze am Boden kniete. Während er dem alten Mann stützte und vorsichtig wieder auf das Bett half, musterte er die Pfütze und stellte mit finsterem Blick fest, dass sie mit dunklen Blutsfäden durchzogen war. Schon wieder. Der angeschlagene Körper neben ihm erbebte ein letztes Mal im Hustanfall. Teile von Erbrochenem flogen in Wielands Richtung und trafen ihn an der Wange. Dann schien sich der Reiz langsam einzustellen und der Alte sackte an ihn gelehnt erschöpft in sich zusammen. Der junge Schmied verweilte für einen kurzen Moment so, dann beugte er sich behutsam nach vorne zum Nachttisch, griff nach dem Becher mit der Kräuterlösung seiner Mutter und reichte ihn an seinen Meister weiter. „Trink. Dann gehts dir besser.“ Der schnaubte nur, wie um seine Worte zu bezweifeln, nahm jedoch den Becher dankbar entgegen und trank ihn in wenigen Zügen aus. Wieland wartete bis Alberich sich wieder einigermaßen erholt hatte, dann zog er ein schmutziges Tuch aus seiner Schürzentasche und machte sich an den Boden trocken zu wischen. Doch sein Meister hielt ihn auf, bevor er damit anfangen konnte. „Nein. Lass mich das machen.“ Wieland wollte protestieren, doch da hatte der Alte ihm schon den Fetzen abgenommen. „Es geht schon wieder.“ Sein Lächeln war ein willkommener Anblick, doch konnte es nicht über seinen Zustand hinwegtäuschen. „Geh du schon einmal raus und wirf die Schmiede an. Ich mach hier sauber und komme dann nach.“ Wieland gab sich Mühe das Lächeln seines Meisters zu erwidern. Es wollte ihm nicht ganz gelingen. „Ich bin schon vor Morgengrauen aufgestanden. Wenn du willst, kannst du noch liegen bleiben.“ Alberichs Blick verfinsterte sich als er dies hörte. „Schon wieder so früh?“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll. Doch er verkniff sich ein weiteres Kommentar und winkte stattdessen ab. „Gut, dann bin ich gleich bei dir.“ Wieland nickte, erhob sich und verließ zögernd den Raum. Bevor er die Tür hinter sich schloss warf er noch einen Blick über die Schulter und sah wie sich Alberich verstohlen an die Brust fasste. Er hatte wie so oft Schmerzen. Und wie so oft tat er in Wielands Anwesenheit so, als wäre alles in Ordnung.
Der Schmied lehnte die Stirn an die kühle Oberfläche der Tür und horchte in sich hinein. Fort waren Ruhe und innere Gefasstheit, die ihn während seiner Arbeit am Amboss erfüllt hatte. Sie wurden verdrängt von den Sorgen um die Schmiede, ihre Zukunft und um den Mann hinter der Tür, der ihm von all den Männern, die diesen Titel für sich beanspruchen konnten, der einzige wahre Vater war. Es schmerzte ihn, ihn vor seinen Augen so dahinsiechen zu sehen, ein ohnmächtiger Zeuge seiner schwindenden Kräfte zu werden. Er konnte nichts tun. Nichts, außer zu versuchen, die anfallende Last auf seine eigenen Schultern zu laden und zu hoffen, dass die Medizin seiner Mutter wirkte. Er seufzte, rappelte sich hoch. Dann ging er zurück in die Schmiede um sich in der Regentonne die Reste des Erbrochenen vom Gesicht zu waschen.
Dort hielt er Inne und lauschte einen Moment in die Schwärze hinein, bis er zu seiner Linken gleichmäßig schnaufende Atemgeräusche vernehmen konnte. Beruhigt ging er weiter, mit dem Handrücken über das Mauerwerk fahrend, bis er an einen schweren Torrahmen ankam. Der Schlüssel steckte bereits im Schloss und war schnell gedreht, die Tür schwang auf und sofort strich ein kalter Lufthauch um seine Beine. Das Zirpen der Grillen begrüßte ihn, die fernen Geräusche des Waldes sowie das Plätschern eines kleinen Baches, der sich nur unweit entfernt durch die Erde schlängelte. Wieland fröstelte. Die vergangenen Nächte waren allesamt ungewöhnlich kalt gewesen und am frühen Morgen, wenn die Sonne noch schlief, war die Luft bar jeder Wärme. In einem Moment der Schwäche sehnte sich sein Körper unter die dicke Decke seines Bettes zurück, wurde jedoch sofort von einem pflichtbewussten Geist in seine Schranken gewiesen. Arbeit stand an, und zwar nicht wenig davon. Der dumpfe Klang seiner Stiefel auf dem gestampften Lehmboden hallte durch den Raum, der sich nach hinten in die undurchdringliche Nacht öffnete. Weder Mondschein noch Sternenlicht durchbrach die Finsternis und ließen Wieland zur Gänze im Stich, als er sich Stück für Stück an sein Ziel herantastete. Bald fand er wonach er gesucht hatte. Für einige Minuten raschelte und knisterte es nur, etwas wurde vorbereitet. Dann schlug Stein auf Eisen, einmal, zweimal, bis die Funken stoben. Wielands Atem war zu hören, als er sachte die Luft ausstieß. Und dann war es so weit.
Es begann wie immer ganz langsam. Gerade noch hatte die Dunkelheit die Welt in ihrem undurchdringlichen Schleier gefangen gehalten, sie der Wärme und Farbe beraubt. Doch schon musste sie einem schwachen Schimmern weichen, das schleichend, doch mit unaufhaltbarer Kraft zu einem satten Glühen heranwuchs. Es breitete sich aus, erkundete seine Umgebung und Rang der fliehenden Finsternis immer mehr und mehr Land ab. Von seinem Ursprung aus, einem Bett strahlenden Kohlen auf einer gemauerten Feuerstelle, erhellte ein nunmehr gleißender Lichtfleck den sich in die tiefschwarze Nacht öffnenden Raum. An den verrußten Wänden hang eine breite Auswahl an Zangen, Hämmer, Meißel, Zwingen, Klemmen und sonstiger Eisenwerkzeuge in den verschiedensten Größen und Formen, die im Schein des Feuers matt glänzten. Auf massiven Holzklötzen ruhten an zentraler Stelle zwei eherne Ambosse, die lange imposante Schatten warfen. Etwas abseits davon stand ein kniehoher Schemel vor einem Schleifrad, über dessen leuchtend hellem runden Kalkstein leicht wippend ein kleines Töpfchen mit Wasser angebracht war. In den Ecken drängelten sich schwere Kisten mit aufeinander geschichteten Barren, Fässer mit dicken Metallstäben und mehrere schmutzige Leinensäcke, die bis zum Rand mit Holzkohle gefüllt waren. Es war wahrlich eine besondere Art von Raum. Ein Raum, der vor Schaffenskraft förmlich brummte. Ein Raum, in dem Dinge ihren Anfang nahmen – eine Schmiede.
Wieland trat aus dem Schatten abseits der leuchtenden Esse und zurrte den Gurt seiner rindsledernen Schürze zurecht. Prüfend warf er einen Blick auf die glühenden Kohlen, eine Hand immer noch auf den Blasebalg gelegt, der dem Feuer gleich der Lunge eines Drachen seinen brennenden Lebensatem zuführte. Die züngelnden Flammen spiegelten sich in seinen Augen und erhellten sein Gesicht, auf dem ein Ausdruck der stillen Zufriedenheit ruhte. Für ihn war dies stets ein magischer Moment. Ein Ritual, das nicht nur den Beginn seines Tages einläutete, sondern ihn auch immer wieder aufs neue mit Ehrfurcht erfüllte. Auch heute noch war auf dieses Gefühl jedes Mal Verlass.
Während das Feuer herunterbrannte und die Kohlen die benötigte Temperatur erreichten, griff Wieland in eines der Fässer und beförderte einen etwa armlangen Schwertrohling hervor, den er noch einmal ausgiebig überprüfte, bevor er ihn auf die Esse legte. Er hatte ihn gestern hergestellt und als heutiges Schmiedestück auserkoren. Das Schwert – eine einfache Ausfertigung des jorsanischen Heeres, eine schmucklose Klinge mit kurzer Parierstange – war das letzte Stück eines längst ausständigen Auftrages, den er noch heute zu beenden gedachte. Das würde jedoch nicht leicht werden. War das Schwert einmal geformt, würde alleine das Polieren und Fegen der Klinge mehrere Stunden beanspruchen, dazu musste er auch noch den Griff fertigen und ansetzen. Die passende Scheide lag bereits auf der Werkbank, doch hatte sich das Holz über Nacht leicht verzogen, sodass sich das Leder an der Spitze unschön wölbte. Es war nichts, dass er nicht mit einigen Handgriffen korrigieren konnte, aber dafür benötigt er Zeit und die schien in diesen Tagen immer knapper bemessen zu sein. Es fiel ihm schwer es zuzugeben, doch er hatte sich in den vergangenen Wochen eindeutig mehr aufgehalst, als gut für ihn war. Die Lieferung Hellebardenköpfe mit überzogener Stückzahl. Die Offiziersdolche mit individuellen Gravuren. Selbst der Schärfung mehrerer Holzfälleräxte, die ein gewöhnlicher Zeugschmied problemlos hätte übernehmen können, hatte er großmütig zugestimmt. Ganz so, wie es früher gang und gäbe gewesen war, denn niemand sollte auf falsche Gedanken kommen. So hatte er sich das zumindest ausgemalt...
Als der Stahl bereit war zog ihn Wieland behände aus dem Feuer und legte ihn auf einen der zwei Ambosse zurecht. Mit der Linken fasste er ihn mit einer Zange, die Rechte ergriff locker den Hammer der auf der matten Eisenoberfläche ruhte. Dann begann er sein Werk. Schrill klirrte der Ambos in der Nacht, nur unterbrochen von Momenten der Stille, in denen der Rohling zurück auf die Esse ging. Die Stunden vergingen und der Schmied hatte nur Augen für seine Arbeit. Sämtliche Sorgen verschwanden aus seinem Kopf, wichen emsiger Produktivität. Die Feinheit der Kanten, die Ausgewogenheit des Gewichts – nur das zählte jetzt. Das Stück Metall vor ihm rückten in den Vordergrund seines Seins und blendeten alles andere aus. Bis es durch seinen Willen geformt genau so vor ihm lag, wie er es haben wollte.
Wieland trat einen Schritt zurück und wischte sich mit dem rußgeschwärzten Unterarm den Schweiß von der Stirn. Erst jetzt bemerkte er, dass der Tag hereingebrochen war und das Grenzdorf mittlerweile zum Leben erwacht war. Ein Trupp Soldaten lief die Palisaden entlang, geführt von ihrem Ausbildner, der sie wüst beschimpfte. Zwei Jungen mit Stöcken trieben eine schnatternde Gänsemeute den Hügel hinauf und machten sich einen Spaß daraus einander ein Bein zu stellen. Eine Gruppe junger Waschfrauen auf dem Weg zum Bach kam heiter plaudernd an der Schmiede vorbei. Eine von ihnen warf ihm einen neugierigen Blick zu, der sogleich von den anderen Mädchen bemerkt und mit lautem Kichern quittiert wurde. Wieland sah ihnen nach bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden waren und dann noch ein wenig länger. Obwohl sie alle etwa in seinem Alter waren, kannte er keine von ihnen beim Namen.
Er strich sich die Haare aus dem Gesicht und richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf das unfertige Klinge. Schon wollte er zum nächsten Arbeitsschritt übergehen, als er ein gedämpftes Geräusch aus dem Haus hörte. Ein keuchendes Husten, ein Würgelaut, dann ein dumpfer Aufprahl. Wieland legte rasch das Schwert aus den Händen, welches vom Amboss rutschte und polternd zu Boden fiel. Schnell war er an der Tür und hastete durch den Flur, vorbei an seiner Kammer, zum Zimmer am Ende des Korridors, aus dem erneut ein rasselnder Hustlaut ertönte. Alberichs Zimmer. Ohne zu Klopfen trat er ein und erfasste binnen Sekundenbruchteile die Lage als er das leere Bett mit der verrutschen Decke erblickte. Wortlos eilte er durch den Raum und bückte sich zu seinem Meister herab, der keuchend vor einer übelriechenden Pfütze am Boden kniete. Während er dem alten Mann stützte und vorsichtig wieder auf das Bett half, musterte er die Pfütze und stellte mit finsterem Blick fest, dass sie mit dunklen Blutsfäden durchzogen war. Schon wieder. Der angeschlagene Körper neben ihm erbebte ein letztes Mal im Hustanfall. Teile von Erbrochenem flogen in Wielands Richtung und trafen ihn an der Wange. Dann schien sich der Reiz langsam einzustellen und der Alte sackte an ihn gelehnt erschöpft in sich zusammen. Der junge Schmied verweilte für einen kurzen Moment so, dann beugte er sich behutsam nach vorne zum Nachttisch, griff nach dem Becher mit der Kräuterlösung seiner Mutter und reichte ihn an seinen Meister weiter. „Trink. Dann gehts dir besser.“ Der schnaubte nur, wie um seine Worte zu bezweifeln, nahm jedoch den Becher dankbar entgegen und trank ihn in wenigen Zügen aus. Wieland wartete bis Alberich sich wieder einigermaßen erholt hatte, dann zog er ein schmutziges Tuch aus seiner Schürzentasche und machte sich an den Boden trocken zu wischen. Doch sein Meister hielt ihn auf, bevor er damit anfangen konnte. „Nein. Lass mich das machen.“ Wieland wollte protestieren, doch da hatte der Alte ihm schon den Fetzen abgenommen. „Es geht schon wieder.“ Sein Lächeln war ein willkommener Anblick, doch konnte es nicht über seinen Zustand hinwegtäuschen. „Geh du schon einmal raus und wirf die Schmiede an. Ich mach hier sauber und komme dann nach.“ Wieland gab sich Mühe das Lächeln seines Meisters zu erwidern. Es wollte ihm nicht ganz gelingen. „Ich bin schon vor Morgengrauen aufgestanden. Wenn du willst, kannst du noch liegen bleiben.“ Alberichs Blick verfinsterte sich als er dies hörte. „Schon wieder so früh?“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll. Doch er verkniff sich ein weiteres Kommentar und winkte stattdessen ab. „Gut, dann bin ich gleich bei dir.“ Wieland nickte, erhob sich und verließ zögernd den Raum. Bevor er die Tür hinter sich schloss warf er noch einen Blick über die Schulter und sah wie sich Alberich verstohlen an die Brust fasste. Er hatte wie so oft Schmerzen. Und wie so oft tat er in Wielands Anwesenheit so, als wäre alles in Ordnung.
Der Schmied lehnte die Stirn an die kühle Oberfläche der Tür und horchte in sich hinein. Fort waren Ruhe und innere Gefasstheit, die ihn während seiner Arbeit am Amboss erfüllt hatte. Sie wurden verdrängt von den Sorgen um die Schmiede, ihre Zukunft und um den Mann hinter der Tür, der ihm von all den Männern, die diesen Titel für sich beanspruchen konnten, der einzige wahre Vater war. Es schmerzte ihn, ihn vor seinen Augen so dahinsiechen zu sehen, ein ohnmächtiger Zeuge seiner schwindenden Kräfte zu werden. Er konnte nichts tun. Nichts, außer zu versuchen, die anfallende Last auf seine eigenen Schultern zu laden und zu hoffen, dass die Medizin seiner Mutter wirkte. Er seufzte, rappelte sich hoch. Dann ging er zurück in die Schmiede um sich in der Regentonne die Reste des Erbrochenen vom Gesicht zu waschen.