Wölfe im Schafspelz

Das Grenzdorf, geschützt durch seinen Wall und die Spähtürme, steht an der Grenze zu Grandessa. Die Soldaten nächtigen in Gaststätten oder bei freundlichen Familien, die einen Platz frei haben.
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Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 9. Januar 2014, 01:22

Caleb kommt von: Das Königreich Grandessa > Das Grenzdorf Troman >Unter Soldaten

Sie waren nun schon bestimmt einen ganzen Tag geritten. Langsam dämmerte es im Westen und bald würde man nichts mehr erkennen können, wenn erst die Dunkelheit hereingebrochen war. Theben hatte sich von der Gruppe abgesetzt gehabt. Nur zu einer von zwei Rasten war er zurück geritten und hatte sich an dem kargen Mahl beteiligt, das Rist für sie zubereitet hatte. Die Mahlzeit bestand aus Broten, von denen alle restlos verputzt worden waren. "Zum Abend hin gibt es etwas Warmes, denn dann machen wir auch ein Feuer", hatte der Hüne versprochen und nun war es soweit.
Theben erwartete die Gruppe bereits in einer kleinen Mulde nahe eines Tümpels. Sie saßen ab und wie eine eingespielte Gemeinschaft begann die Hand der Prinzenkrone sofort damit, ein Lager aufzubauen. Zelte waren keine mitgenommen worden, aber jedes Pferd hatte man vor der Abreise mit einem Schlafsack ausgerüstet. Die Nacht unter Sternen verbringen, in Manthalas Antlitz.

Vincent und Hector gingen sich gemeinsam zur Hand. Der Soldat arbeitete gehorsam, sowie schweigend. Er hatte die bisherige Reise überhaupt nur dann ein Wort gesprochen, wenn der Prinz ihn nach der Route oder anderen kulturellen Informationen zu Jorsan gefragt hatte. Manchmal hatte Hector seinem Knappen einen Befehl erteilt. So wie jetzt: "Dein Freund Aleksander sollte sich schonen. Sieh zu, dass du ein paar Zweige mit ihm von den nahe gelegenen Sträuchern dort sammelst, damit wir Feuerholz haben."
Rist kümmerte sich derweil darum, im fahlen Dämmerlich nach Kräutern zu suchen. Einen kleinen Kupferkessel hatte er bereits an die geplante Feuerstelle gelegt. Es würde einen fleischigen Eintopf geben, denn Theben war es unterwegs gelungen, einige Wildgänse zu schießen. Auch sie ruhten schon bei der Feuerstelle. Theben hockte dort, rupfte ihr Gefieder. Die Pferde grasten in der Nähe, glücklich darüber, die Sättel abgenommen bekommen zu haben.

Während alle beschäftigt schienen, trat Aleksander an Caleb heran. "Wir kennen uns auch noch nicht sonderlich gut. Es ist erstaunlich, wie ähnlich du Marlin siehst. Wenn du nur halb so gut in der Heilkunde bewandert bist wie er, dann macht es dir sicherlich nichts aus, mir nachher den Verband zu wechseln, oder? Die Seite schmerzt ziemlich nach dem Ritt, als wäre der Arm noch vorhanden." Nach einer Pause fügte er an: "Kann ich mit dir eigentlich auch Garmisch sprechen?"
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Donnerstag 9. Januar 2014, 19:20

Die Aufforderung Hectors, ihn Meister statt Hauptmann zu nennen, kam für den Katzenjungen recht unerwartet. Vor allem, da er den Gedankengang dahinter nicht nachvollziehen konnte. Für ihn war Hector auch jetzt noch ein Mann, der sich den Titel des Hauptmanns verdient hatte. Nur, weil er von Grandessanern nicht als solcher angesehen wurde, änderte das nichts an jener Tatsache. Caleb hätte Hector weiter Hauptmann genannt, ohne sich das geringste dabei zu denken, was vielleicht auch seine Naivität gegenüber dem Krieg zeigte - oder, wie vorurteilslos er allem gegenüber stand. Bisher hatte Hector ihm keinen Grund gegeben, ihm den Titel Hauptmann abzuerkennen. Aber dem Wunsch seines Mentors konnte er natürlich nicht widersprechen.
"Wie ihr wünscht, Meister.", antwortete er dienerhaft mit einem Kopfnicken und konzentrierte sich wieder auf den Weg nach vorn.

Von Rist bekam er Madleens Medizin überreicht, ebenfalls eine unerwartete Tatsache. Wozu hatte Rist noch einmal beim Lazarett vorbei geschaut, wenn er nicht mit Aleksander zum Tor gegangen war? Anstatt sich weiter darüber Gedanken zu machen, öffnete Caleb lieber den Zettel und schloss ihn gleich danach wieder. Die wenigen Zeilen hatte er in einem Augenaufschlag überflogen und sich gemerkt, weshalb die Frage Rists, ob er denn lesen konnte, nicht überraschend hätte kommen sollen.
"Oh, nein. Ich hab's schon gelesen. Wundsalbe für Aleks. Aus Beinwell und Johanniskraut. Und ich soll keine Heilungen ausprobieren, die ich nicht kann!", fasste Caleb grob zusammen, was er gelesen hatte, um Rist zu überzeugen, dass er auch wirklich lesen konnte. Hätte er so tun sollen, als würde er genauso lange wie die meisten brauchen, um so einen Abschnitt zu lesen? Normalerweise war es ihm unangenehm, wenn andere etwas merkwürdiges an ihm erkannten - oder wenn er jemandem erklären musste, wieso er so schnell lesen konnte. Er kam sich dabei immer angeberisch vor.
Vorsichtig hob Caleb das Tongefäß an seine Nase und schnupperte daran. Selbst mit Deckel konnte man das Johanniskraut darunter riechen. Er wollte sich den Geruch einprägen, um im Notfall Nachschub zu finden und zweifelsfrei identifizieren zu können. Dann verstaute er den Behälter in einer der Satteltaschen, zusammen mit dem Zettel. Er würde nicht vergessen, was darin stand, aber behalten wollte er ihn trotzdem.

"Alle Mann auf die Pferde!", schallte der Ruf zu ihm herüber, und sofort konnte Caleb spüren, wie Bewegung nicht nur in den Trupp, sondern auch in Felix fuhr. Er hatte den Ruf anscheinend richtig gedeutet. Aufmunternd tätschelte Caleb ihm den Hals, bevor er sich daran erinnerte, was ihm der Stallwart in Grandea für Tipps beim Aufsteigen gegeben hatte. Beim ersten Mal hatte er noch einen Schemel gehabt, auf den er sich stellen konnte, der ihm nun fehlte. Der Katzenjunge war jedoch nicht unsportlich und so traute er sich dieses Mal den Sprung zu. Es sah nicht halb so elegant wie bei Theben aus, aber wenigstens kam er heil auf dem Rücken an. Selbst Aleks, der auf Rists Hilfe verzichtete und sich nur mit einer Hand am Sattel festhielt und hinaufschwang, machte mit seiner Verletzung eine bessere Figur.
Zögerlich die Zügel in Händen halten, wartete Caleb darauf, dass es losging. Zwar hatte er keine Angst davor, dass ihm Felix durchgehen würde, aber das Gefühl alleine und ohne Verbindung zu jemand anderem auf einem Pferd zu sitzen, dem er im Notfall keine wirklichen Befehle erteilen konnte, machte ihn mehr als nervös. Zum Glück konnte er sich jetzt noch hinter Hector einreihen und so musste er sich nicht groß um das Lenken kümmern. Stattdessen beäugte ihn sein Meister kritisch und gab ihm Ratschläge, wie er sich zu halten hatte, dass er die Zügel weiter gefasst halten musste, und vor allem erinnerte er ihn weiter daran, sich dem Rhythmus des Pferdes anzugleichen, weil es sonst nur eine Tortur für beide wurde. Die restliche Zeit hatte Caleb also damit zu tun, diese Reise für sich und Felix so angenehm wie möglich zu gestalten.

Egal wie sich Caleb das überqueren der Grenze vorgestellt hatte, so 'normal' war es in seinem Kopf nie von Statten gegangen. Genauso verhielt es sich mit seiner Erwartung von Jorsan. Wenn er nicht gewusst hätte, dass sie sich nun in Feindesland bewegten, hätte er geglaubt sie wären immer noch in Grandessa. Aber was hatte er sich auch gedacht? Das die Grenze Tag und Nacht gleich wie eine Narbe durchs Land zog und irgendwo ein großes Schild stand auf dem freundlich darauf hingewiesen wurde, dass man von hier an getötet werden konnte?
So war es ihm natürlich lieber, auch wenn der Hintergedanke blieb. Mehr Probleme bereitete ihm im Augenblick sein Gesäß und seine Schenkel, von denen er nun merkte, dass es nicht gut war sie konstant anzuspannen. Die Zeit verrann viel langsamer, obwohl Caleb keine Möglichkeit hatte, auf eine Uhr oder ähnliches zu schauen. Alles was er sah war wie sich die Sonne langsam nach unter bewegte und als sie nur eine Daumenlänge von den fernen Hügeln entfernt war, flehte er sie praktisch an sich zu beeilen.
Das Absteigen, als sie endlich ihre Raststätte erreicht hatten, erinnerte ihn sehr an den Ritt von Grandea nach Troman. Seine Beine fühlten sich so wabbelig an, dass er sich erst einmal kurz an Felix anlehnen musste. Wenigstens bekam er von der neuen Umgebung keine Kopfschmerzen, da alles was er in seinem nicht verschwommenen Blickfeld gehabt hatte nur Gras gewesen war. Nun allerdings sah er sich um und erkannte, dass er keine Ahnung hatte, was gerade geschah.
Die ausgebildeten Soldaten stiegen ab und widmeten sich sofort der nächsten Aufgabe, während Caleb einfach nur dastand, und sich nicht sicher war, was er nun tun sollte. Das einzig nützliche was er tat war, wie die anderen seine Schlafmatte von Felix abzunehmen und gerade als er sich ratlos umsah und sein Kopf beginnen wollte sich Gedanken darüber zu machen wo er sich hinlegen sollte und wie weit entfernt von den anderen wohl angemessen war, rief ihm Hector einen Befehl zu und Caleb war mehr als erleichtert darüber, eine richtige Aufgabe zu bekommen. Seine Matte legte er einfach in der Nähe der ausgewählten Feuerstelle ab und machte sich auf den Weg.
Es war ein gutes Gefühl, sich wieder mit Boden unter den eigenen Füßen zu bewegen und die Taubheit in seinen Beinen verschwand langsam. Mit einem leichten Trab holte er Aleks ein, der sich schon auf den Weg zum Gestrüpp gemacht hatte.
"Ich helf dir.", war seine schlichte Erklärung. Die Katzenohren zuckten nervös, als Aleks sofort antwortete und eine Unterhaltung begann, um ihn besser kennen zu lernen. Langsam sollte sich Caleb an so etwas gewöhnen. Es war allerdings wirklich neu für ihn, dass man sich für seine Person interessierte.
"Niemand kennt mich sonderlich gut, bin auch erst seit ein, zwei Tagen hier.", war seine erste Antwort, bei Caleb sich verhalten am Hinterkopf kratzte. Eigentlich hatte er sagen wollen, dass er die Mitglieder der Hand der Prinzenkrone noch nicht so gut kannte. Sein Unterbewusstsein formte dies jedoch in eine etwas ehrlichere Antwort, die er gar nicht vorgesehen hatte.
Er war ein Diener gewesen. Niemand hatte ihn gefragt, was er gerne tat. Wer er eigentlich war. Bedauerlicherweise war dies auch genau der Grund, warum es darauf keine wirkliche Antwort gab. Der stete Vergleich mit Marlin tat dadurch nur umso mehr weh.
"Bei unserer ersten Begegnung hast du mich ja auch für Marlin gehalten.", versuchte er ein wenig zu scherzen, während er kleine Stöcke aus dem Gebüsch brach. Wenn man es genau nahm, war dies nicht ihre erste Begegnung gewesen, sondern in der Nacht davor, als Caleb durch den Vorhang gesehen und Aleksander mitten während seiner Operation erlebt hatte. Keine guten Erinnerungen für beide. Am Tag darauf, nachdem Caleb Hector hatte verhören müssen, war Aleks an ihn herangetreten und die beiden hatte sich zum ersten Mal unterhalten.
Wenn Caleb sich recht erinnerte - und das tat er immer - war Aleksander der erste Mensch gewesen, dem er freiwillig erzählt hatte, dass er nie etwas vergaß. Nicht einmal der Prinz wusste davon und Aleks hatte daraufhin vorgehabt dem Prinzen vorzuschlagen, ihn als Botschafter mit der Prinzessin zurück nach Jorsan zu schicken und als Spion agieren zu lassen.
Zum Glück war dies nicht geschehen. Alleine unter Feinden. Calebs zweitgrößter Alptraum.
"Natürlich verbinde ich ihn dir. Erneut. Aber als Lehrling von einem Tag wird es wohl noch vier, fünf Jährchen dauern, bis ich auch nur halb so gut wie Marlin bin."
Immerhin hatte er bereits damit gerechnet, dass ihm diese Aufgabe zugewiesen wurde. Das Wappen der Feldärzte auf seiner Brust weckte zwar etwas falsche Hoffnungen, vielleicht hätte er um einen 'Anfänger' Flicken oder so etwas bitten sollen, aber einen neuen Verband anlegen konnte er bereits. Es war ihm allerdings äußerst unangenehm, wenn Leute höhere Erwartungen an ihn stellten, die er nicht erfüllen konnte. Deshalb versuchte er auch stets nie den Eindruck zu erwecken, etwas gut zu können.
"Und ja, Garmisch kannst du mit mir auch reden.", fügte Caleb noch an, wenn auch etwas zögerlich. Am Hof hatte er die eigentliche Muttersprache eher zweitrangig gelernt und er musste sich immer wieder anhören, dass ihm der Akzent eines wahren Grandessaners fehlte, es sich zu 'rein' anhörte.
"Wirklich gewöhnt bin ich es allerdings nicht.", warnte er gleich, um sich im Vorraus zu entschuldigen.
Eine kühle Abendbrise wehte über sie beiden hinweg, wiegte die Büsche sanft im Wind und Calebs Katzenohren stellten sich auf. Der Schrei eines Raubvogels war über ihnen Erklungen und er hatte für einen Moment das Gefühl gehabt, er könnte das Rascheln der Schwingen hören. Mit dem kleine Haufen Zweige in den Armen, richtete sich der kleine Diener auf und sah gen Himmel. Alles, was er sehen konnte, war ein kleiner, dunkler und sehr verschwommener Fleck, aber das musste der Vogel sein. Unweigerlich trat er einige Schritt von den Büschen weg und an eine kleine Anhöhe, von der aus man die Landschaft überblicken konnte.
Bis auf die wenigen Schritte vor ihm breite sich ein Bild von verwischten Farben vor ihm aus, zusammen mit der untergehenden Sonne. Es erinnert an ein Gemälde von Wasserfarben, dass er im Schloss in einem der Flure gesehen hatte. Sein Katzenschweif begann aufgeregt zu schwingen, nur so knapp über dem Boden, dass die längsten Härchen die Grashalme streifen konnten.
Er hatte nur selten das Schloss Grandea verlassen und selbst dann war er nie in der Lage gewesen, sich von seinem Herrn zu trennen, oder den freien Willen besessen, einmal selbst loszugehen und die verschwommene Umgebung zu erforschen. Ein beinahe animalischer Drang, den er nun umso mehr verspürte.
Eine weitere Brise fuhr ihm ins Gesicht, seine Augen verengten sich, die Katzenpupillen formten sich zu Schlitzen, was die Ähnlichkeit mit einem Dämon noch verstärkte und für einen Moment legte er die Ohren an und war drauf und dran, einfach loszurennen. Die Stöcke zur Seite zu schmeißen und einfach nur zu laufen, zu springen. Den Hügel hinter dem nächsten Hügel zu sehen.
Aber er tat es nicht. Drehte sich wieder um, ignorierte das seltsame Stechen in seiner Brust und machte sich wieder an die Arbeit, wobei er kurz angebunden ein "Wie viel brauchen wir eigentlich?", murmelte.

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 16. Januar 2014, 10:01

Die Landschaft änderte sich nicht groß. Natur besaß keine Grenzen und so konnte man es höchstens an Bauten oder Hinterlassenschaften menschlicher Zivilisation erkennen, dass die Gruppe Grandessa verlassen hatte und sich nun in Jorsan befand. Hier und da wuchs Heidekraut, ansonsten wirkte der Boden unter den Hufen der Pferde etwas uneben, überwuchert von Moos-Inseln, auf denen sich verteilt sogar Pilze breit machten. Dazwischen kämpfen Gräser und Blumengewächse um die Vorherrschaft. Es existierte kein wirklicher Pfad und so konnte sich die Natur uneingeschränkt ausbreiten. Sträucher - Haselnuss und Holunder, aber auch einfache grüne Heckengewächse - türmten sich zu einem undurchdringlichen Geflecht. Sie bildeten Pflanzenballen, die man als Wäldchen hätte bezeichnen können, wenn Sträucher Bäume gewesen wären. Aber die stolzen Rindenrecken der Pflanzenwelt gab es auch. Ahorn wuchs hier und Rotbuche. Ihre Blätter zeigten sich in den schönsten Farben, mit der die Welt verkündete: ich lebe! Schau hin und genieße meine Schönheit!
Beides konnte sich Caleb wenn, dann nur eingeschränkt erlauben. Er war noch kein perfekter Reiter und da spürte er, kaum dass er von Felix' Rücken absaß. Ein Ziehen in den Waden, ein Brennen in den Oberschenkeln und das Kribbeln im Gesäß zeugten davon, dass er noch sehr viel würde reiten müssen, bis sich sein Körper an die Haltung und das stete Schaukeln auf einem Pferderücken gewöhnt haben würde. Aber auch Aleksander, der ja eigentlich Soldat war, ächzte beim Abstieg. Es fiel ihm immer noch schwer. Jeder Außenstehende konnte erkennen, dass ihm sein Schwertarm noch nicht lang fehlte und er ihn wohl immer noch benutzen wollte, wenn er sich bewegte. Es musste eine seltsame und bedrückende Erkenntnis sein, wenn man etwas benutzen wollte, was gar nicht mehr vorhanden war, und sich vollkommen umstellen musste. Wie würde es eigentlich im Kampf aussehen? Konnte Aleks mit der linken Hand ein Schwert führen?

Der Soldat ließ sich nichts anmerken, sah man mal davon ab, dass er während des Ritts und auch jetzt ein wenig in sich gekehrt wirkte. Die Stirn hatte er nachdenklich gerunzelt, darüber das leicht gewellte, braune Haar, das ein wenig zu frech unter dem Helm hervor lugte. Gerade neigte er sich etwas, weil er fast über einen Hügel gestolpert wäre und da merkte man, dass ein rechter Arm durchaus fehlen konnte. Fast hätte Aleks das Gleichgewicht verloren. Im letzten Moment fing er sich ab, weil er auf sein linkes Knie herab sank. Balancegefühl besaß er also immer noch und kam trotz seines Unglücks damit zurecht.
"Helfen", echote er Calebs Angebot mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Spott. Dann ergab er sich in sein Schicksal, nickte und ließ sich aufhelfen. "Ich schätze, fortan wird es so sein."
Die beiden schlenderten weiter, Aleksander nun auch bedachter, damit ihm ein solches Missgeschick wie eben nicht nochmal passierte. Er betrachtete sich den Boden, welcher im schwindenden Licht immer mehr Nuancen an Grau gewann. "Wie lange bist du schon Soldat in Vinces Dien... nein, Moment! Du bist Sanitäter, wie Marlin. Sein Bruder?" Er musterte den Hybriden noch einmal. "Ihr seht euch ähnlich, nur hatte Marlin nicht diese Ohren. Was hat es damit auf sich?" Neugier sprach aus seinen Worten, aber es klang fern jeglichen Spotts oder der Verachtung, die Caleb schon genossen haben mochte in seinem Leben. Hier zeigte sich allgemein ein gewaltiger Unterschied. Man verglich ihn eher mit einem verstorbenen Fremden, dem er in Aussehen und Handeln ähnlich war, als mit einer Katze. Man verurteilte ihn nicht wegen Ohren und Schwanz, schien lediglich fasziniert von beiden. Und gerade Rist hatte doch sein Herz für den kleinen Katzenjungen in ihren Reihen schon sehr weit geöffnet: und Vincent erst oder nicht?
"Willst du eigentlich wie er werden? Du wirst Marlin nicht ersetzen können, das kann niemand." Aleksander unterbrach das Einsammeln. Es fiel ihm deutlich schwerer, die Zweige mit nur einem Arm - mit dem linken! - abzubrechen. Außerdem konnte er sie dann nicht tragen, das musste zwangsläufig Caleb für sie beide übernehmen. Ihn schien das etwas zu frustrieren, so dass er sich lieber auf das Gespräch konzentrierte als sich mit seiner Nutzlosigkeit zu konfrontieren. "Jeder ist einzigartig. Du kannst nur das tun, was du tun möchtest. Das dafür sicher am besten! Ich wollte immer Soldat sein. Ich wollte dem adligen, betuchten Leben entgehen und jetzt ... werde ich selbst in der hohen Gesellschaft vermutlich schief angeschaut. Ein adliger Krüppel. Nett." Ein Schmunzeln. Aleksander schien stets zwischen Trübsinn und Optimismus hin und her zu treiben wie ein Blatt auf dem Wasser, dass ansonsten nur noch die Alternative hatte unterzugehen oder die Hoffnung, der Wind würde es einfangen, tragen, weit weg tragen an einen besseren Ort. "Das hört man. Bei dir klingt das Garmische irgendwie nicht kernig genug, aber auch nicht so weich wie wenn Elfen es zu sprechen versuchen. Ich muss gestehen, dass ich ein gelegentliches Schnurren erwartet habe." Er summte amüsiert.
Sie sammelten noch geraume Zeit Zweige und Stöcke ein und erst als Caleb sich abwandte, um dem Raubvogel nachzusehen und dann einen Blick über die im Dunkel schwindende Landschaft zu werfen, war es genug. Er hätte nicht mehr fragen brauchen, aber Aleksander gab ihm auch keine Antwort. Keine, die man hören konnte. Er zeigte lediglich mit seiner verbliebenen Hand und den darin befindlichen, wenigen Zweigen zum Lager zurück. Dort hob sich Rists breite Gestalt wie ein kantiger Hügel vor dem Horizont ab. Er winkte und seine tiefe Stimme hallte über die Ebene. "Zurück, ihr beiden! Uns ist kalt!"
"Sind unterwegs!", erhielt er Antwort von Aleks, der ungeniert Caleb neben sich herschieben wollte.

Am Lager hatte sich bereits der Rest der Gruppe versammelt. Es fehlte nur noch das Feuer. Die Pferde hatte man an einem einzelnen, gelangweilten Holunderstrauch angebunden. Er würde sie nicht halten können, wenn Felix und die anderen wirklich laufen wollten. Aber im Windschatten des Gewächses würden die Tiere sicherer stehen.
Um die Lagerstelle herum, an der Rist bereits neben dem Kessel einige Zutaten und Geschirr bereit gelegt hatte, fanden sich nun die ausgebreiteten Decken aller. Den Sattel des Reittieres würde man als hartes Kopfkissen verwenden, doch niemand machte den Eindruck, sich darüber beklagen zu wollen. Überraschenderweise auch nicht Vincent, der mit verwegen strahlenden Augen zwischen seinen Männern saß. Er pflegte seine Klinge, während Hector leise mit ihm sprach. Was genau die beiden zu bereden hatten, ging unter, als Theben die Zurückgekehrten grüßte. "Na, da ist ja mein Kätzchen! Hast du eigentlich bessere Augen als wir? Kannst du im Dunkeln mehr sehen?", erkundigte er sich aufmerksam.
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Freitag 17. Januar 2014, 02:39

Der Soldat ging in die Knie und Caleb erstarrte für mehr als nur eine Schrecksekunde, bevor er sich wieder im Griff hatte und zu Aleksander eilte. Es lag nicht wirklich daran, dass er befürchtet hatte, Aleks könnte auf seine Verletzung fallen und weiteren Schaden anrichten, den er selbst nicht hätte reparieren können - wenn das auch eine Rolle gespielt hatte - sondern eher hatte der Moment der Schwäche, den er unfreiwillig beobachtet hatte, ihn auf eine gewisse Art und Weise erschüttert. Das letzte Mitglied der Hand der Prinzenkrone hatte der Katzenjunge zwar nach dem Verlust seinen Armes und dem Bruch in seinem Selbstwertgefühl kennen gelernt, aber dennoch war Aleksander Caleb als starke Persönlichkeit in Erinnerung geblieben. Eine Respektsperson wie jeder andere der Gruppe auch. Jemand, vor dem man das Haupt senkte, wenn er vorbei ging; aus reiner Höflichkeit diesem Menschen gegenüber.
Ihn vor sich beinahe zusammenbrechen zu sehen hinterließ einen bitteren Geschmack von Realität auf Calebs Zunge.
Etwas zögerlich packte er Aleksanders gesunden Arm, nachdem er ihn erreicht hatte und half ihm auf. Ihm wurde unweigerlich klar, dass er dies wohl noch öfter würde tun müssen. Dass Aleks auf die Gruppe, und damit auch auf ihn, angewiesen war. Der Soldat dagegen schien dieser Gedanke auch jetzt noch alles andere als recht zu sein.
"Und wenn schon.", versuchte der kleine Diener den Recken wenigstens etwas Gutes zuzusprechen, während sie sich wieder in Bewegung setzen. Aleksander war nun wesentlich aufmerksamer. Caleb bemerkte, wie er den Kopf gesenkt hielt und seine Augen den Weg vor ihnen nach weiteren Stolperfallen absuchten. Ohne es selbst zu realisieren reihte er sich auf Aleks' rechter Seite ein, welcher kurz darauf den Blick des Hybriden entdeckte, sich räusperte und das Thema wechselte.
Was Aleksander jedoch ansprach, drängte wiederum Caleb in eine Situation, die er gerne vermieden hätte. Zu erklären, dass es keinen logischen Grund gab, warum er sich dieser Unternehmung angeschlossen hatte; dass er keine Fertigkeiten besaß, die ihnen weiterhelfen konnten oder er über keinerlei militärische Ausbildung verfügte, war nicht sehr erheitern, aber er musste es Wohl oder Übel zugeben.
"Soldat? Sanitäter? Keines von Beiden. Ich war seit meiner Geburt Diener im Schloss und seit vier Jahren bin ich einer der Leibdiener des Prinzen.", erklärte Caleb recht kurz angebunden. Sein Leben war nicht gerade etwas, dass er selbst als spannend bezeichnen würde.
"Wenn du also ein weiches Bett, saubere Wäsche und eine Mahlzeit brauchst, kann ich dir dienlich sein.", versuchte er zu scherzen und grinste sein gebrochenes Lächeln. Er konnte sich nur ausmalen, was Aleksander nach so einer Offenbarung dachte. Caleb selbst sah sich als größtes Risiko für die Gruppe, als Last. Wenn er ehrlich mit sich war, hätte er nicht mitkommen sollen. So gesehen war die Entscheidung nicht in Troman zu bleiben eine Selbstsüchtige gewesen.
Aber was dachte dann wohl Aleksander von sich selbst? Eine deprimierende Gemeinsamkeit hatte sie da.
"Das Ding hier.", brabbelte Caleb weiter und zupfte sich am Wappenrock, "Hab ich erst gestern bekommen. Der Prinz meinte, ich würde einen guten Feldarzt abgeben, weil ich mich bereits gut mit Kräuter auskenne, wie Rist heraus gefunden hat. Theben meinte, er hielt mich mehr für einen Kundschafter wegen meiner wieselflinken oder eher katzenflinken Art und du selbst meintest, ich würde einen guten Spion mit meinem Gedächtnis abgeben."
Während er so darüber nachdachte und Zweige aus den Büschen brach, wurde ihm erst klar, wie viele Möglichkeiten er in Troman gehabt hatte. Stolz war er nicht darauf, viele dieser Berufe waren nicht für ihn geeignet und zeigten nur, was auf den ersten Blick passend für Caleb gewesen wäre. Niemand hier kannte ihn gut genug, um eine wirkliche Entscheidung über ihn fällen zu können, daher wohl die verschiedenen Meinungen.
"Nur sind meine Augen zu schlecht für einen Kundschafter und ich bin nicht verwegen oder trügerisch genug, um einen Spion abzugeben, also blieb der Feldarzt übrig. Der Gedanke Menschen am Leben zu erhalten gefiel mir mehr, als sie zu beschatten oder umzubringen.", erklärte er weiter. Dies war wirklich die einzige Rolle gewesen, in der er sich während eines Krieges hatte vorstellen können. Kundschafter hätte er nur werden können, wenn er ein paar Katzen dazu hätte überreden können, ihm ihre Augen und Ohren zu leihen, was vielleicht auch als Spion nützlich gewesen wäre.
Jetzt war es eh zu spät. Zeit zu lernen hatte er nicht mehr.
"Und nein, ich bin nicht mit Marlin verwandt. Aber wir sehen uns wirklich sehr ähnlich...", murmelte er in sich hinein. Das Thema war und blieb ein Unangenehmes. Caleb war deshalb immer wieder erfreut, wenn man Unterschiede zwischen dem verstorbenen Mitglied der Prinzenkrone und seiner selbst aufzeigte, wie Aleksander es gerade tat.
"Die?", er zuckte demonstrativ mit den Ohren, um zu zeigen, dass sie echt waren, "Ein Katzenjunges mit dem Virus hat mich gebissen. Die Anderen nannten es einen Fluch; oder Feylins schlimmsten Streich. Für mich war es ein Segen. Bevor ich zum Hybriden wurde, war ich praktisch blind. Je schlimmer die rote Farbe in den Augen eines Albinos ist, umso weniger können sie für gewöhnlich sehen. Es hat geholfen."
Im Stillen dankte er dem kindsköpfigen Gott zum wiederholten Male für seine Gabe, nur um kurz darauf zu erstarren. Du wirst Marlin nicht ersetzen können, das kann niemand. Dieser Satz schien ihn zu verfolgen. Überall hin. Er hatte doch niemals versucht, ihn zu ersetzen. Warum erinnerte ihn nur jeder immer wieder daran, dass er nicht gut genug war. Vielleicht war es nicht ihre Absicht, aber genau das kam bei Caleb an. Egal was er versuchte, was er tat. Er würde nicht Marlin sein. Was hatte er jemals getan, um es so aussehen zu lassen, als würde er es überhaupt probieren? Er konnte für sein Aussehen doch nichts! Und die Ausbildung zum Feldarzt hatte er Prinz ihm gemacht und er hatte sie gerne angenommen, aber nicht aus diesem Grund! Sie sollten aufhören!
Sich seiner Hand bewusst, die auf halben Weg durch das Blätterwerk eines Holunders inne gehalten hatte und nun in der Luft schwebte und auf weitere Befehle seiner selbst wartete, griff Caleb hastig nach dem Geäst und brach es. Unwirsch überspielte er es, in dem er die bisher einseitige Unterhaltung auf Aleksander zurückspringen ließ.
"Was ist mit Euch? Wo kommt ihr her, und wie seid ihr in der Hand der Prinzenkrone gelandet?"
So erfuhr Caleb, dass Aleksander aus besseren Verhältnissen stammte. Bestimmt waren seine Eltern nicht einverstanden gewesen, dass ihr Sohn nur Arme ging. So wie es sich anhörte, war Aleksander ein Einzelkind und trug somit eine gewisse Bürde. Das Militär war für gewöhnlich dem Zweitgeborenen vorbehalten. Nur das die meisten Adligen nach einer kurzen Ausbildung direkt in höhere Ämter aufstiegen und so der steten Lebensgefahr auf die ein oder andere Weise entgingen.
"Ich wollte dem adligen, betuchten Leben entgehen und jetzt ... werde ich selbst in der hohen Gesellschaft vermutlich schief angeschaut. Ein adliger Krüppel. Nett."
Bei diesem Satz brach etwas aus Caleb heraus, dass selbst ihn überraschte.
"Ha, schief angeschaut. Besser als von der hohen Gesellschaft getreten, geschlagen, verspottet und bespuckt zu werden.", fauchte er, bevor er realisierte was er da sagte, seine Augen sich weiteten und sein Kopf nach unten zuckte, als würde er erwarten wirklich geschlagen zu werden. Erschrocken sah der ehemalige Diener sogar über seine Schulter, um sich zu vergewissern, dass dort niemand stand. Der erschrockene Ausdruck auf seinem Gesicht blieb noch eine Weile.
"T-tut mir leid.", stotterte Caleb nur und nahm eine Art Kauerhaltung ein, während er weiter unten nach passenden Ästen Ausschau hielt. Es dauerte seine Zeit, bis Aleksander die unangenehme Stille mit der Frage brach, ob er mit Caleb auch Garmisch sprechen konnte. Der Katzenjunge schenkte ihm darauf ein entschuldigendes Lächeln und antwortete. Die Entgegnung, dass der Soldat erwartet hatte, Caleb würde öfter schnurren, brachte wieder einen Schatten auf sein Gesicht.
Früher hatte er oft geschnurrt, denn er lachte für gewöhnlich nicht wie normale Menschen. Wenn er etwas besonders amüsant fand schnurrte er oder auch wenn er einer Meinung zustimmte. Ja früher. Nur hatten man ihm das ausgetrieben. Es war nicht menschlich. Es war merkwürdig. Auch dafür war er geschlagen worden. Dann hatte er gelernt, die menschliche Lache zu imitieren.
"Das Schnurren hat man mir abgewöhnt.", war seine schroffe Antwort. Aleksander konnte sich seinen Teil denken und Caleb konnte ihm keinen Vorwurf machen, dass er daraufhin nicht noch einmal versuchte eine Unterhaltung zu beginnen bis Rist sie zu sich rief.
Mit dem größten Teil des Feuerholzes im Arm, kehrten sie den Weg über schweigsam zur Raststätte zurück. Der Rest der Gruppe schien sich bereits häuslich einzurichten und Theben, die Beine von sich gestreckt und mit dem Ellenbogen gelassen auf dem Boden abgestützt, hatte einen langen Grashalm im Mund und schenkte ihnen sein bestes Lächeln.
"Bei Tag bin ich nach 'nem Dutzend Schritt blind, aber bei Nacht seh' ich so gut wie du bei Tageslicht.", beantwortete Caleb seine Frage. Vielleicht kam durch, dass er nicht sonderlich in der Stimmung war nun ein weiteres Gespräch anzufangen, nachdem das Letzte in bizarrem Schweigen geendet hatte, aber so sicher war sich der kleine Katzenjunge nicht.
Rist dagegen hatte sich bereits darauf vorbereitet für die Mahlzeit heute zu sorgen, weshalb Caleb, der sowieso das Holz bei sich hatte, sich darauf beschränkte das Feuer zu machen. So etwas tat er im Schloss schließlich täglich. Er tastete das Gras um sich herum ab, befand es für trocken und riss etwas davon heraus, um es als Anzünder zu benutzen. Von Rist erhielt er ohne Worte die Feuersteine.
Nach kurzer Zeit loderte ein kleines Feuerchen in ihrer Mitte. Bis sie eine stabile Glut hatten würde es zwar noch dauern, aber so genau wusste Caleb auch nicht, ob sie eine benötigten. Würde Rist versuchen aus ihren gesammelten Stücken eine Halterung für den Kessel zu basteln? Dafür sahen die Ästchen recht dünn aus. Was kochen für unterwegs an ging war Caleb nicht sonderlich erfahren, weshalb er sich nun neben Rist niederließ und entschloss ihm zuzuschauen.

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Erzähler » Samstag 25. Januar 2014, 06:33

Aleksander mochte im Lazarett in Troman wie ein gebrochener Mann gewirkt haben, doch ganz unverständlich waren seine Emotionen wie sein Verhalten dort nicht gewesen. Immerhin hatte man ihm den Arm frisch amputiert und die Nachricht erst mitgeteilt. Wer machte da schon Freudensprünge oder zeigte sich unbeeindruckt und tapfer? Selbst einem Optimisten hätte es die Sprache verschlagen.
Nun aber durfte Caleb erkennen, was er längst vermutet hatte: Aleksander war eine starke Persönlichkeit. Er ließ sich durch den Beinahesturz nicht unterkriegen. Immerhin war er nicht gestürzt! Das war doch auch schon einmal etwas! Ein wenig Sarkasmus durfte er dann ruhig zeigen, wenn er dieses Ventil benötigte, um seine Situation zu verarbeiten. Caleb würde es ihm hoffentlich nachsehen und für ihn stellte der Einarmige durchaus eine Form der Übung auf seinem noch jungfräulichen Weg des Feldarztes dar. Er würde Aleks sicher nicht das letzte Mal geholfen haben, aber er konnte an ihm auch studieren und lernen - nicht nur das Verbandswechseln, sondern auch ein angemessenes Verhalten einem Patienten gegenüber. Ja, das traf wohl ganz gut zu: Aleksander galt als Calebs persönlicher und erster Patient. Der Bursche konnte stolz auf sich sein.

Umso unsicherer fühlte er sich, als Aleksander ihn ausfragte. Der Soldat hatte nur ein Gespräch beginnen wollen. Natürlich lernte er gern jene kennen, die mit ihm reisen, an seiner Seite im Feld schlafen oder sterben würden. Dass er Caleb mit seinen gut gemeinten Fragen derart innerlich bedrängte, war ihm in keinster Weise bewusst. So hob er auch überrascht beide Brauen, als der Hybrid berichtete. "Ein Diener also", summte er. Und das war vorerst alles. Man schwieg sich an. Der Grund hierfür war aber nicht, dass Aleksander sich nicht mehr dazu herablassen wollte mit einem jungen Mann zu sprechen, der plötzlich vom Diener zum Knappen eines Kriegsgefangenen aufgestiegen war. Aleks dachte nach. Er verarbeitete die Information, wälzte sie in seinem Kopf und überlegte sich, wie er damit umgehen würde. Es dauerte daher seine Zeit, bis er die Stimme erneut erhob: "Gemachte Betten und frische Kleidung sind tatsächlich Dinge, die das Herz eines Soldaten lauter schlagen lassen, auch wenn du es nicht glauben magst. Monate auf kaltem Boden zu liegen oder in einer verschwitzten Rüstung zu marschieren ist eine Bürde, die man angesichts des Krieges schnell auf sich nimmt und umso lieber ablegt, wenn man es kann." Und nach einer weiteren Pause fügte er leicht feixend an: "Nur das Kochen überlass Rist. Der sieht es gar nicht gern, wenn man ihm da reinpfuscht."
Er neigte sich zu einigen Zweigen nieder, die ihm vom Arm gerutscht waren. Ein freudloses Auflachen folgte und ein freundlicher Blick von unten zu Caleb herauf. Aleksander besaß entwaffnende, braune Augen. "Ich würde dir im Gegenzug ja meinen Schwertarm anbieten ... oh, sieh mich an! Nicht mal abwinken kann ich diesen makabren Scherz!" Er klang nicht mitleidig, versuchte wohl Thebens lockere Art zu sehen und es mit gekünsteltem Lachen hinzunehmen. Aleksander fiel es nur sichtlich schwer, denn nach jedem dieser Scherze und einem noch so herzlichen Lächeln folgte das tonlose Seufzen - das Körnchen Wahrheit über seine Gefühle.
"Was möchtest du denn werden, Caleb?", fragte der Mann an seiner Seite dann unverblümt, wieder mit diesem leichten Summen in der so nachdenklichen Stimme. "Nein, antworte nicht. Mach das, was du für richtig hältst und womit du glücklich bist - trotz aller Hindernisse." Er sah auf seine rechte Seite, wo etwas fehlte. Anschließend wanderte der Blick an der Rüstung entlang - zum Schwert, das er nun ebenfalls rechts trug, um es in der Notsituation mit der Linken zu ziehen. Er würde den linkshändigen Kampf erst lernen müssen, stand trotz seiner Soldatenausbildung wieder am Anfang, was das betraf. Er war nicht viel weiter als Caleb, doch er würde diesen Weg weiter gehen. "Mich macht es glücklich."
So wie es dich glücklich macht, dass du trotz des Ausbruchs einer seltsamen Wandlungskrankheit bei dir besser sehen kannst. Die Worte fielen nicht, aber wenn Caleb dem Soldaten nur lange genug in die Augen und bis ins Herz hinein sehen würde, fände er sie dort vielleicht, denn sein Blick war warmherzig.

Es wurde dann Zeit, zurück zu gehen. Die anderen warteten und Zweige hatten sie genug gesammelt. Ausnahmsweise und obwohl Aleks Soldat war, setzte er nicht zum Marsch an. Dafür war es zu dunkel und unwegsam. Der eigentliche Grund jedoch lautete, weil er sich so noch etwas mit Caleb unterhalten konnte. "Ich stamme aus Grandea. Kennst du das altehrwürdige Adelsgeschlecht derer zu Nordmark? Tja, ich bin meines Vaters Sohn ... Lysanthor mag mich segnen, nur der Zweitgeborene. Somit war es mir erlaubt, den Weg des Soldaten einzuschlagen. Anfangs. Mein Bruder Gregor starb an den Pocken, das ist jetzt vier Jahre her und noch immer zürnt mir mein alter Herr, während meine Frau Mutter sich die Augen ausweint, ich möge nach Hause kommen. Dank Vincent können sie beide mich nicht dazu zwingen. Wir sind alte Freunde, kennen uns von all den langweiligen Festlichkeiten des Hochadels." Aleksander begann zu lächeln, ein ehrliches Lächeln nun. "Was soll ich sagen? Er hat mich gerettet, indem er mich in die Hand der Prinzenkrone aufnahm. Ich bin dankbar - das solltest du auch sein, falls du es leid warst, den Diener zu geben."
Dann stockte der Mann in seinem Redeschwall. Er blinzelte Caleb für einen Moment an, ob dessen Ausfall über den Adel. Dann gluckste er, behielt weitere Worte jedoch für sich. Er wirkte zufriedener, als sie endlich das gemachte Lager erreichten.

"Na, Aleks, hat dir unser Schmusekater das Lächeln zurück auf die Züge gezaubert?" Theben war wohl auch zu Scherzen aufgelegt, wenn er bis zum Hals in irgendeinem Loch steckte, das man großzügig mit giftigen Skorpionen füllte. Der Schalk saß ihm im Nacken, während er auf dem Grashalm herum kaute. Mit der freien Hand deutete er einen Kreis an und legte so eine unsichtbare Grenze um das Lager. "Wenn du im Finst'ren so gut siehst, kannst du die Nachtwache übernehmen. Ich hasse es, wenn ich nicht durchschlafen kann." Erneutes Lachen, zu dem sich auch Rists tiefe Stimme gesellte. "Habt ihr etwas für das Lagerfeuer gefunden?"
"Nur kleinere Zweige, mein Freund." Aleksander legte seinen kümmerlichen Anteil an die Feuerstelle. Caleb trug ja bedeutend mehr mit sich herum. Der Hüne brummte dennoch zufrieden. "Wird ausreichen - es muss! Ohne was Gutes im Magen legt sich niemand hier schlafen." Er wartete ab, bis sich Caleb nützlich gemacht und das Feuer entzündet hatte. Schon stellte er den Kessel an den Rand, auf drei erhöht gestellte Steine. Mit seiner Klinge schob er einen der brennenden Zweigklumpen darunter. Der würde ausreichen, um den Eintopf zu erhitzen, welchen er nun zubereitete.
"Was ist nun, Katerchen? Übernimmst du meine Wache?", fragte Theben dann plötzlich, als Vincent bereits Schalen verteilte. "Und wer erzählt uns allen eine Geschichte vor dem Einschlafen?"
"Das könnt Ihr übernehmen, Hector", mischte sich der Prinz ein und schaute den Jorsaner direkt an. "Erzählt uns etwas über Jersa, über den Mann, den Eure Prinzessin sucht. Wir wissen noch so wenig." Am Feuer wurde es plötzlich sehr still.
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Sonntag 26. Januar 2014, 00:18

Wenn es eines gab, dass Caleb aus der Unterhaltung mit Aleksander mitgenommen hatte, dann war es eine aus verschiedenen Gründen verstörende Einsicht: Er hatte mehrere Möglichkeiten. Es gab nicht nur den Weg nach vorn und den Weg zurück. Da waren Seitenstraßen, versteckte Winkel und Abkürzungen. Ein wahres Gewirr von Gassen und Wegen, welches zu beschreiten eine Herausforderung war, die niemand je an Caleb gestellt hatte; erst recht nicht er selbst. Ein normales Leben, in dem er entschied, was mit ihm geschah und wohin sein Weg führte. Jener Moment nur kurz zuvor, in dem er davor zurück geschreckt war, hinaus in die Welt zu laufen, brachte einen deutlichen Kontrast hervor zwischen dem, was gewesen war und dem hier und jetzt.
Diener, nein, Sklave sein hatte immer bedeutet sein Leben bereits zu kennen. Die nächste Kurve vor sich ausgebreitet zu sehen und den Weg dahinter und die Abzweigung danach. Er wusste, wem er dienen würde, wo er zu sein hatte und wie es ihm im Alter ergehen würde, wenn er nicht mehr in der Lage war die schweren Arbeiten zu vollrichten. Es war seit seiner Geburt ein einzelner Pfad gewesen, den er hatte bestreiten müssen. Dem er mit größter Sorgfalt und auch einem Stück Hingabe gefolgt war. Damals hatte es eben nur den einen Weg gegeben. Wenn er auf diesem gestolpert, oder gar gefallen wäre. Ja, was wäre dann gewesen? Sein Leben - verwirkt.
Davor hatte er nie einen Ausweg gesehen. Kein Adeliger hätte je einen seiner Diener aus reinem guten Willen frei gelassen, oder gar noch mit einem kleinen Geldbeutel auf den Weg hinaus in die Welt geschickt. So etwas gab es nicht. Caleb hätte niemals den Prinzen um so etwas bitten können. Hätte nie auch nur daran gedacht. Nun wurde es ihm beinahe angeboten. Der Prinz war zu ihm gekommen, hatte ihn auserwählt, seinen Namen kennen gelernt und war bereit, ihm eine Chance zu geben; und eine Wahl. Es war Caleb's Erziehung, seine angelehrte Loyalität, die ihn nicht hatte zögern lassen, sich dem Prinzen anzuschließen; und die Tatsache, dass der Prinz ein freundlicher Mensch war. Mit Zielen, die sich zu unterstützen lohnten.
Caleb, so unsicher er auch war in seiner Entscheidung dem Prinzen in den Krieg zu folgen, wurde eines langsam klar. Sollte er überleben, wie unwahrscheinlich dies auch sein mochte, würde er nicht nach Grandea zurückkehren. Nicht so, wie er es verlassen hatte. Nicht als Slave des Königshauses. Vielleicht nicht einmal als Diener des Prinzen. Was aus ihm werden würde, stand wohl noch in den Sternen, aber Caleb mochte eines ganz besonders an dieser Reise. Er wusste nicht was geschehen würde. Vielleicht würde er sterben, in einer Pfütze aus Blut enden, weil er nicht in der Lage war, sich selbst zu verteidigen, oder aber er hatte Glück, konnte wirklich hilfreich sein, etwas tun. Es war ungewiss, wohin der Weg sie führte, aber es gab diese Möglichkeit. Ein wenig Hoffnung, dass die drückende Gewissheit, hier fehl am Platz zu sein, sich nicht bewahrheitete und etwas Gutes aus all dem hier hervor kam. Dies war seine Mission, der eine Test, der entscheiden würde, ob sein Leben es wert war, fortgeführt zu werden.
Die Entscheidung, ob sein schmaler, eintöniger Lebensweg sich in ein Gewirr aus Gassen verwandelte, durch die der kleine Katzenjunge würde streunern durfte.
Mit einem etwas zu lautem Seufzen durchbrach Caleb den Vorhang zur Realität. Aleksander lief neben ihm, etwas langsamer wie zuvor und führte ohne es selbst zu wissen den vorher in die Leere starrenden Caleb zurück zum Lager. Der Soldat erzählte gerade von seiner Familie und wie er ohne den Prinzen wohl gezwungen worden wäre, das Erbe seines Vaters anzutreten. Etwas, dass er anscheinend seit je her gefürchtet und abgelehnt hatte. Nach Calebs Ausbruch über den Umgang des Adels mit der Dienerschaft schien er zu glauben, dass es dem Katzenjungen ähnlich ging.
"Ich habe es nie bereut, Diener des Prinzen zu sein. Aber es gab andere.", erklärte Caleb ihm recht knapp, bevor sie in Hörweite der Gruppe kamen. Bevor er zum Leibdiener ernannt wurde, waren seine Pflichten unter anderem gewesen, die Gäste des Schlosses zu bedienen. Als einer derer, die im zu jeder Zeit im Schloss verweilten hatte er somit rund um die Uhr mit diesen zu tun gehabt und dabei hatte es nicht nur den ein oder anderen unangenehmen Zwischenfall gegeben. Es war einen Diener nur einmal nicht gestattet, 'nein' zu sagen.
Caleb schüttelte es. Wie oft er sich wünschte, vergessen zu können.

Beim Lager angekommen, war Caleb überrascht von Thebens Angebot. Als beim ersten Mal noch alle zu lachen begonnen hatte, war es ihm ebenso wie ein Scherz vorgekommen. Sicher, seine Augen gut in der Nacht leuchteten sogar wie die von Katzen, wenn sie ihm Dunkeln von einer Lichtquelle getroffen wurden, wodurch er schon den ein oder anderen nachts im Schloss erschreckt hatte, aber ihm wäre nie in den Sinn gekommen für die gesamte Gruppe alleine Wache zu stehen. Das war eine gewaltige Verantwortung, der er sich aus freien Stücken noch nicht gewachsen fühlte. Dennoch: Caleb sah am besten in der Dunkelheit und er war sowieso daran gewöhnt lange Zeit ohne Schlaf oder nur wenig davon auskommen, als würde es kein Problem sein. Außerdem war es ihr erster Tag, was sollte also schon passieren?
"Meinet wegen.", zuckte er deshalb mit den Schultern, wollte eigentlich noch etwas hinzufügen, aber befand dann, dass es eine schlechte Idee war jeden hier erneut daran zu erinnern, wie wenig Erfahrung er hatte, und dass ihr blinden Vertrauen in ihn vielleicht ein wenig naiv war. Immerhin wollte er, dass alle einen ruhigen Schlaf hatte und sich nicht darüber sorgten, was der kleine Frischling Caleb wohl während seiner ersten Nachtwache trieb.
Damit wollte er sich eigentlich wieder Rist zuwenden und zusehen, welche Zutaten er in den Kessel tat, da wurde Hector aufgefordert, eine Geschichte zu erzählen. Von seiner Heimat, von Jorsan und dem Mann, den sie alle zu suchen hier waren. Die Katzenöhrchen stellten sich auf und Calebs aufmerksam wechselte die Richtung. Alles, was er vom Feindesland wusste, kannte er nur aus Büchern und aus den abschätzenden Beschimpfungen der Soldaten und Adeligen. Wohl kaum eine wirklich unparteiische Auffassung. Er war gespannt darauf zu hören, wie Hector es beschrieb.

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 30. Januar 2014, 11:14

Rist gab etwas Trockenfleisch in den Topf, in dem er bereits eine Soße anrührte. Es roch schon nach Zwiebeln und allerlei Kräutern, die von gewisser Schräfe sprachen. Der Eintopf würde den Magen füllen und Gewürze wie Pfeffer und eine Prise von einer feurig roten Schote würden den Verstand bei Laune halten. Gerade gab der Hüne etwas Dill zum Ausgleich in den Topf hinein, als sich seine übrigen Begleiter um das Feuer versammelten. Man richtete die Aufmerksamkeit allgemein auf den wahren Jorsaner unter ihnen. Hector war aufgefordert worden, von seiner Heimat zu erzählen.
Die blauen Augen des Mannes ruhten für mehrere Herzschläge auf dem Gesicht des Prinzen. Skepsis lag nicht in Hectors Blick, eher Nachdenklichkeit. Offenbar ging er hinter seiner Stirn genau durch, was und wieviel er einem Grandessaner anvertrauen würde, obgleich man ihn bisher für einen Kriegsgefangenen alles andere als schlecht behandelt hatte. Dennoch war der Hauptmann der Jorsaner Truppe nicht dumm. Er glaubte nicht daran, dass Prinz Vincent allein aus Interesse an seinem Volk oder der Kultur des befeindeten Königreichs nachfragte. Er wollte sicherlich eigene Erkenntnisse daraus ziehen, aus jedem Wort, das Hector über die Lippen kommen würde. So entschied sich der Mann, eine ganz besondere Art Geschichte zum Besten zu bringen.

"Seit je her interessieren sich die Götter für das Tun ihrer Kinder. Sie alle haben ein Auge auf uns geworfen, aber vor allem der Neugierige, der Naseweis, verfolgt das Treiben der Menschen mit großer Faszination. Man sagt ihm nach, dass er sich unter sie begibt, wie ein Kätzchen durch die Gassen ihrer Städte streunt und große Augen auf ihre Handlungen und Taten richtet." Bei den Worten des Soldaten lenkte er den Blick auf Caleb. Kätzchen traf es gut. Er verweilte für Sekunden auf den roten Seelenspiegeln des Albinos, ehe er die Ohren streifte und wieder zurück in die Runde schaute. Es war ruhig um ihn herum geworden. Sie alle lauschten aufmerksam. So fuhr Hector fort mit seiner Erzählung. "Und weil die Neugierde im Herzen des kleinen Gottes stets Fragen auf seine Lippen zauberte, suchte er den Gerechten auf. Sein Licht sollte doch einen jeden Menschen im Herzen treffen, daher würde auch er sicherlich das meiste über das aufstrebende Volk Celcias wissen. 'Die Menschen haben vergessen, was Gerechtigkeit und Nächstenliebe sind', erklärte der lichtreiche Gott und es brachte den Naseweis in Erstaunen. 'Aber großer Befürworter der Wahreit! Das aus deinem Munde? Hast du jegliche Hoffnung in den Menschen aufgegeben?' Der Gerechte vermochte, den Kopf zu schütteln. 'Zweifel ist keine Eigenschaft für einen Gott, doch siehe da: schau dir die Königreiche an. Schau dir Grandessa an. Habgier, Geiz und Machthunger zerfressen dieses Land und härten ihre Männer und Frauen ab. Sie stumpfen ab, so dass ihnen ein Leben nichts mehr wert ist. Sie verschließen die Augen vor Gerechtigkeit, vor Wahrheit.'
'Und die Herzen vor Barmherzigkeit und Gürte', ergänzte der Neugierige. Doch er ließ sich nicht von den mangelnden Tugenden eines Volkes in seinem Geist erschüttern. 'Schau, Gerechter, es gibt noch andere ... wirf einen Blick auf das benachbarte Reich. Schau dir Jorsan an. Sie mögen zahlenmäßig geringer sein, doch sind sie trotz der Fehde zwischen beiden Landen stark. Sie halten an den Tugenden fest, die deine Aspekte prägen. Und sie zeigen Nächstenliebe, wo es den Grandessanern mangelt."

Theben gab ein abfälliges Schnauben von sich, doch im gleichen Moment hob Vincent die Hand unter einem eigenen deutbaren Laut. Er ließ sich nicht durch die indirekten Vorurteile der Geschichte beeindrucken. Es war ein Märchen der Jorsaner und diese sahen sein Volk mit ebensolcher Abscheu an, wie es von Seiten Grandessas auf Gegenseitigkeit beruhte. Er versuchte für den Moment der Erzählung darüber hinweg zu blicken. Er lauschte, was die Moral von Hectors Worten zeigen sollte. Er wollte wissen, was sich daraus über Jorsas Kultur erfahren ließ. "Fahrt fort, Soldat", bat der Prinz. Daraufhin erhob sich Theben, spannte seine Armbrust und verließ die Runde unter einem gemurmelten Grund, dass wenigstens einer im Feindesland aufmerksam die Umgebung im Auge behalten sollte.
Hector ließ sich davon nicht beeindrucken. Mit einem dürren Zweig im Feuer stochernd sprach er einfach weiter: "Der Gerechte gab dem jungen Gott die Möglichkeit, seine gutgläubigen Worte unter Beweis zu stellen. Er wollte wissen, was der Neugierige meinte und er wollte sehen, ob die Wahrheit aus den Worten eines Kindesgottes sprach. Der Naseweis war bereit, ihn von der Hoffnung in seinem Herzen zu überzeugen und so stieg er zu den Menschen auf Celcia herab. Er hüllte sich in die Gestalt eines betuchten Jorsaners und suchte das Grenzdorf Jersa auf, bekannt für deren militärische Lage als letzter Stützpunkt vor der Feindesgrenze. Man hieß den jorsanischen Adligen Willkommen, gewährte ihm Speis und Trank wie es den Bewohnern des Dorfes möglich war. Man erläuterte ihm die gefährliche Lage zu Grandessa und riet ihm, das Dorf nicht zu lange als Gast aufzusuchen. Dennoch verjagte man ihn nicht. Er durfte sich an den Feuern der Soldaten niederlassen, die Wehrtürme betreten um das Land zu überschauen und man ließ ihn mit den Frauen allein am Brunnen zurück, wo er sie mit zahlreichen Worten überschüttete, während sie die Wäsche der Militäreinheiten wuschen. Nach seinem Aufenthalt entließ man ihn und er konnte Jorsan aufsuchen.
Der Hütergott der Wahrheit verfolgte das Geschehen mit gerunzelter Stirn. Was wollte der kleine Naseweis ihm dadurch zeigen, so fragte er sich. Aber der Neugierige war mit seiner Tat noch nicht am Ende angelangt. Wieder verwandelte er sich, wieder stieg er zu den Menschen herab. Als grandessanischer Soldat, angeschlagen vom Kriege lenkte er seine Schritte direkt in das Grenzdorf hinein. Sogleich wurde er von dessen Militär umrundet.
'Sie werden dich richten, denn du bist der Feind', meinte der Lichtgott ... und er irrte. Ob der mangelnden Tugenden der Grandessaner hatte er die warmen Herzen des anderen Königreiches vergessen. Mit Verblüffung und wachsender Herzlichkeit durfte er sehen, welche Gastfreundschaft Jersa an den Tag legte. Man wusch den Soldaten, kleidete ihn neu ein. Man pflegte seine Wunden und brachte ihn in einem der Bauernhäuser unter. Man gewährte ihm Speis und Trank wie es den Bewohnern des Dorfes möglich war. Man erläuterte ihm die gefährliche Lage zu Grandessa und riet ihm, als Feind das Dorf nicht zu lange aufzusuchen. Dennoch verjagte man ihn nicht. Er durfte sich an den Feuern der Soldaten niederlassen und erkennen, dass sie den Krieg für eine gute Sache führten. Krieg um des Friedens Willen. Er durfte die Wehrtürme betreten um das Land zu überschauen bis nach Jorsan hin, wo Familien einander schätzten und jeden Tag ihr Bestes gaben, die Tugenden dieses Reiches nicht zu vergessen. Man ließ ihn mit den Frauen allein am Brunnen zurück, wo er sie mit zahlreichen Worten überschüttete, während sie die Wäsche der Militäreinheiten wuschen ... und auch seine, denn als Gast des Dorfes war auch seine Wäsche von Bedeutung. Nachdem seine Wunden genesen waren, entließ man ihn und er konnte freien Geleits zurück über die Grenze gehen.'
'Und, neugieriger Naseweis? Kehrte er zurück?' Der Neugierige lachte herzlich auf. 'Aber nein, Lichtpreisender. Wenn er wieder zu den Menschen hinab tritt, was sollte er in Grandessa, nachdem er Jorsan erlebt hatte? Ein Königreich, in dem man selbst dem Feind Gastfreundschaft gewährt, wenn er hilfsbedürftig ist. Nein, oh Wahrheitsbringer, du kennst doch die Antwort.'
'Ja, kleiner Naseweis, die kenne ich. Hätte es den verletzten Soldaten wirklich gegeben, so wäre er nun Jorsaner. Denn mit der Haltung des anderen Königreiches, mit dem Mangel an Glaube und Tugend stärken sie die feindlichen Linien mit ihren eigenen Männern. Jenen, die sie auf dem Felde zum Sterben zurücklassen und die ein neues - ein besseres - Leben unter der Barmherzigkeit Jorsans finden werden.'"
Hector endete. Stille brach über ihn herein. Er schaute keinen der Umsitzenden an. Die Geschichte mochte provokant, geradezu herausfordernd gewesen sein, aber sein Blick war es nicht. Der richtete sich ins Feuer und auf den Kessel, in dem der Eintopf sich erhitzt hatte, blubberte. Lange Zeit sagte niemand etwas. Rists Augen ruhten auf dem Essen. Er hielt sich mit Worten zurück. Aleksander blickte nachdenklich drein. Er wiegte leicht den Kopf hin und her, versank in eine Überlegungen. Und der Prinz. Er erhob sich. "Ich danke Euch für die Geschichte, Soldat", sagte er, spähte in die Dunkelheit hinaus, den Kopf zuversichtlich zu den Sternen erhoben. "Sie hat auch mir neue Hoffnung ins Herz gepflanzt."
"Hoffnung worauf, grandessanischer Prinz?", fragte Hector.
"Hoffnung, dass ich meine Vorhaben und Ziele umsetzen kann, weil mir Jorsan zuhören wird."
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Dienstag 4. Februar 2014, 14:16

Leicht fröstelnd rutschte Caleb etwas näher ans Feuer heran. Zwar störte ihn die aufkeimende Dunkelheit um sie herum nicht, aber der damit einher gehende Temperatursturz machte sich umso mehr bemerkbar. Deshalb beäugte der Katzenjunge den Topf immer öfter mit größer werdenden Verlangen. An den Zutaten, die Rist hinein gegeben hatte, konnte er vermuten wie es wohl schmecken würde; und Caleb war sich ziemlich sicher, dass ihm danach nicht mehr kalt sein würde.
Rists Arm rutschte in sein Blickfeld, als er sich über den Topf beugte und ein letzten Mal den Geschmack testete, da viel Caleb zum ersten Mal wirklich auf, wie eng die jorsanische Kleidung um den Körper des Hünen gespannt war. So wie er sich nach vorne gelehnt hatte erkannte man ganz deutlich, wie die Nähte zu reißen drohten. Noch ging es, aber Caleb bezweifelte, dass diese Verkleidung einen Kampf überleben würde. Dafür komplementierte sie seiner Statur, was jedoch kaum der Sinn bei der Auswahl gewesen war.
"Vie-...", gerade wollte Caleb Rist etwas vorschlagen, doch der Anfang von Hectors Geschichte hinderte ihn daran. Der Hybride wandte sich um und seine Augen trafen direkt die seines Meisters. Es waren ein paar unangenehme, befremdende und vielleicht auch ein wenig einschüchternde Moment, in denen der Kontakt nicht brach, bevor Hectors Blick weiter streifte und sich schließlich zu Boden senkte, als er den provokanten Teil seiner Geschichte erreichte.
Eine merkwürdige Erfahrung, die andere Seite zu hören. Jorsans Sicht der Dinge. Ihre Einstellung zum Krieg, all dies war in der Metapher von Lysanthor und Feylin gebündet. Caleb war ein wenig enttäuscht und es machte ihn traurig zu hören, dass auch die Jorsaner Teil daran hatten, dass der Hass zwischen den Königreichen weiter geschürt wurde. In Hector dachte er, ein Sinnbild für die Jorsaner zu sehen, in dem sie schlicht und ergreifend zum Krieg gezwungen wurden, in dem Grandessa zwar die Schuld trug, aber Jorsan den Krieg verdammt und ihn liebend gern beendet sehen würde. Doch diese Geschichte stellte eher eine Form der Propaganda dar.
Caleb nahm es Theben nicht übel, dass er die Runde verließ. Er selbst fand zwar keinen großen Anstoß an der unterschwelligen Nachricht, aber die Art und Weise, wie sein Gott benutzt wurde um Jorsan zu verherrlichen und Grandessa zu verdammen, gefiel ihm auch nicht. Ohne Jorsan je besucht zu haben, war sich Caleb sicher, dass es auch böse Jorsaner gab. Ebenso heißblütige Soldaten, die einen Grandessaner ohne zu zögern umbringen würde. Genauso wie es Grandessander gab, die das selbe tun würden, wie es in der Geschichte von Seiten der Jorsaner beschrieben worden war.
Hatte er nicht selbst Bodvica, eine Jorsanerin, nach Troman geschleppt um sie zu versorgen?
"Es ist beinahe witzig, wie ähnlich die Geschichten sind, die man in Grandea hört.", sagte er schließlich und starrte nachdenklich ins Feuer. Er war oft im großen Tempel gewesen um in einer kleinen Ecke Feylin seine Aufwartung zu machen. Dabei hatte er genug Lysanthorpredigten gehört, um mit Fug und Recht zu behaupten, dass Grandessaner eben solche Geschichte, und eigentlich noch viel schlimmere über die Jorsaner erzählten.
"Aber eigentlich ist es eher traurig.", murmelte er hinterher. Da fiel ihm eine Strophe ein. Es war ein Mann gewesen, ein junger Adeliger, der auf einem Ball in Grandea ein Gedicht vorgetragen hatte. Der Hof hatte es erstarrt bis zum Ende gehört; und danach eine Enthauptung gefördert. Caleb hatte die Worte damals nicht verstanden. Sie waren ihm immer noch nicht ganz begreiflich, aber er hatte das Gefühl, sie nun ein wenig besser zu verstehen.
"Ein Unmensch tief von Haß zerrüttet, erfüllt dem Selbstwahn eine Bitte und schickt vom Himmel Mord und Tod. Weil es der Unmensch denn so wollte, der Mensch dafür ihm Rache zollte. Schickt seinerseits als Mensch zurück, die Antwort hierauf Stück für Stück.
Es wird, so ist nun mal das Leben, stets tief verwirrte Geister geben. Der Mensch mal mit und mal von Sinnen, ist tief verstrickt in seinem Innern im Kampf des Guten mit dem Bösen. Doch der Konflikt ist nicht zu lösen.
Der Mensch wird stets sich selbst beschwören, den Unmensch in sich abzuwehren, wenn dieser in ihm lockt und wirbt. Der Wunsch, wenn bald die Glocken klingen, dem Menschen möge es gelingen.
"
Die ganze Zeit über hatte Caleb unruhig mit einem der biegsamen Äste gespielt. Auch er war nicht in der Lage, den Blick zu heben und so starrte er in die Flammen. Der Stock brach kurz nachdem er geendet hatte, und der Katzenjunge warf die Stücke ins Feuer. Mit einem tiefen Seufzer stand er auf.
Ohne die Prinzen anzusehen, verließ er die Runde und folgte den Weg, den Theben eingeschlagen hatte. Der Soldat war nicht allzu weit gegangen. Caleb meinte an seiner Haltung ablesen zu können, dass er immer noch verärgert war und lieber alleine gelassen werden wollte, aber der kleine Diener fühlte sich auf merkwürdige Weise dazu bewegt, ihm Gesellschaft zu leisen. Vielleicht, weil er ihn von allen noch am wenigstens verstand.
Eigentlich wollte Caleb ihn fragen, woher bloß sein unbändiger Hass kam. Rist und Aleks, der Prinz und selbst Hector schienen die Abneigung gegen das feindliche Land nicht zu teilen. Nicht auf die selbe Weise wie Theben. Aber er wagte es nicht, ihm diese Frage zu stellen. Stattdessen stellte er sich neben ihn, sah ihn nicht, sondern blickte hinauf zum violetten Himmel.
"Meinst du wir könnten nachdem Essen, und nachdem ich Aleks Verband erneuert hab, noch einmal etwas üben? Ich weiß es ist inzwischen etwas spät dafür, aber ein oder zwei Haltungen zur Verteidigung sollte ich vielleicht noch können, bevor wirklich noch etwas passiert. Im Moment habe ich mehr das Gefühl, ich bringe mich selbst und alle um mich herum in Gefahr, wenn ich die Dinger heraus ziehe.", offenbarte er ihm mit einem sanften Lächeln.

[Das Gedicht ist eine Teil aus "Eine traurige Erkenntnis" von Wolfgang Kownatka.]

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Erzähler » Montag 17. Februar 2014, 11:28

Das kleine Lagerfeuer vermochte die Umsitzenden mehr zu wärmen als angenommen. Die Flammen heizten den Körper vorn herum wohlig ein, so dass lediglich die Rückseite der eintretenden Kälte der Nacht ausgesetzt war. Vincent und Aleksander machten es richtig. Sie drehten sich zwischendurch auf ihren Plätzen, ließen die erwärmte Luft an ihren Körpern vorbei strömen, dass sie nicht froren. Derweil sorgte Rist für das Abendessen und Hector Chivall bot ihnen eine Erzählung. Eine, bei der Theben nicht länger auf seinem Platz bleiben konnte. Er erhob und entfernte sich. Solche Geschichten vermochten es, sein sonst so keckes, wenn nicht gar neckisches Gemüt mit einem schattenhaften Schleier zu überziehen. Viel zu rasch war er fort, als dass man ihn hätte aufhalten können, aber keiner seiner Freunde griff auch aktiv ein. Sie ließen ihn ziehen, sahen ihm lediglich für unterschiedlich lange Momente nach.
Nur Hectors Blick suchte ein anderes Ziel. Wieder heftete sich das aufmerksame Augenpaar auf Caleb. Wieder musterte er den Katzenjungen mit nachdenklicher Miene, lauschte seinen Worten. Die anderen der Runde gesellten sich hinzu und es wurde ruhig um das Feuer, bis nur noch Caleb es war, der sprach. Er trug den Vers vor. Vincent nickte sacht, wissend. Schließlich murmelte er: "Ich erinnere mich an das Gedicht. Es hat für viel Aufruhr unter dem Adel gesorgt ... und führte für seinen Verfasser zu bitteren Konsequenzen." Er musste nicht aussprechen, was mit dem armen Mann geschehen war. Sie alle konnten es sich denken.
Jeder blieb nach dem Vortrag der Strophe in seine Gedanken versunken. Selbst Rist hörte für eine Weile auf, im Topf zu rühren. Der dicke Eintopf blubberte träge vor sich hin, verteilte seine Aromen in unmittelbarer Nähe. Er würde gleich einige Mägen füllen, zuvor aber wandte sich nun auch Caleb ab. Er suchte Thebens Nähe.

Der Soldat war nur ein Stück weit gegangen. Jetzt stand er in der hereingebrochenen Finsternis, den Blick nach vorn - gen Jorsan - gerichtet und schwieg. Er drehte nicht einmal den Kopf, als sich Caleb neben ihn gesellte. Wenigstens blieb auch eine charmant neckische Begrüßung aus. Zu verärgert schien der Mann noch immer von dem Vortrag des Jorsaners.
Umso interessanter war es, wie ruhig seine Stimme klang, als er Caleb antwortete. Teilnahmslos und irgendwie müde, wo doch schon die Knappheit der Entgegnung genügte, um zu bemerken, dass er eigentlich nicht hatte sprechen und nicht über Calebs Frage nachdenken wollen: "Sicher."
Und dann legte Theben plötzlich seinen Arm um Caleb. Er drückte den Jüngeren leicht an sich, ohne ihn anzusehen, spähte weiter in die Ferne und die Nacht hinaus. Augenblicke verstrichen, in denen nur Schweigen die beiden einhüllte. Schweigen und die Kälte der Nacht. Schließlich durchbrach der Soldat Ersteres, wenngleich er mit den Worten zögerte: "Jorsan verdanke ich, dass ich bin, was ich bin. Sie haben mich zum Soldaten gemacht, zu einem der Hand der Prinzenkrone. Den Jorsanern verdanke ich, Rist, Vince, Aleks und Marlin zu kennen. Und ich verdanke ihnen all meine Verluste ... nicht einen würde ich freiwillig auf mein Lager betten, ihn versorgen. Nicht, wenn ich es entscheiden kann. Mit Blut werden sie zahlen. Deshalb bin ich hier. Sie haben ihren eigenen Tod geschaffen, geformt durch mich."
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Samstag 22. Februar 2014, 18:23

Wenn Caleb eines überraschte, dann wie offen Theben war. Bis jetzt war es dem Jungen immer so vor gekommen, als würde der Soldat all seinen Hass hinter seinen Scherzen und seinem schelmischen Grinsen verstecken. Wie Tag und Nacht war es immer gewesen. Man konnte einen Schatten auf seinem Gesicht sehen, sobald das Horn zum Angriff röhrte. Der Schimmer in seinen Augen kehrte erst nach den Kämpfen zurück. Das Blut an dem einen Arm und den Anderen um einen Kameraden geschlungen. So im Zwielicht kurz vor der Nacht, welches sie umgab, schien es nun auch um Thebens Gefühle zu stehen.
Für einen Moment kam es Caleb so surreal vor. Die Worten, die dem Soldaten über die Lippen liefen wie ein Schwur den er schon tausend mal rezitiert hatte, rangen in seinen Ohren. Es war nicht einmal der Inhalt des Gesagten. Wie oft er schon Hasspredikten auf die Jorsaner gehört hatte. Doch sie alle waren mit Rage gesprochen worden. Mit Wut und Verdruss. Theben dagegen war ruhig. Zu ruhig. Beängstigend ruhig. Entsetzt sah der Hybride hinauf in die versteinerte Miene des Mörders. Einem Impuls folgend hob er die Hand, hinauf zu diesem fremden Gesicht und berührte es. Es war eine merkwürdige Geste, aber Caleb war sich nicht einmal sicher, ob dieser Moment wirklich war. Konnte so viel Hass denn in einem Menschen stecken; und wie viel davon war wahre Bosheit, und wie viel Schmerz, der ihm zugefügt worden war. Unterbewusst glaube Caleb vielleicht die Berührung konnte ihm die Antwort geben. Es half nichts.
Würde Theben seinerseits in Calebs Gesicht sehen, könnte er etwas erkennen, was selbst ihn überraschen mochte: Eine Spur von Furcht.
Der Diener hatte erkannt wie fern jeder Realität Theben lebte. Nicht jeder Jorsaner konnte für sein Leid verantwortlich sein. Ein Land war nicht eine Person. So vieles traf bei Caleb auf Widerstand. Gleichzeitig verlor er jedoch den Glauben daran, die Meinung des hasserfüllten Soldaten ändern zu können, falls es je Hoffnung dafür gegeben hatte. Trotz seinem Schrecken lief Caleb nicht weg. Es war traurig. Der Krieg war es nicht wert, dass Menschen wie Theben darunter zu leiden hatten. Es kostete ihn jedoch einiges an Überwindung das Folgende zu tun. Der Katzenjunge umarmte Theben. All das, was ihn davon abhielt sich dem Soldaten zu nähern, kehrte er um und drückte sich an die Brust seines gegenüber. Mehr konnte er nicht tun. Es war schlicht zu Unfähigkeit etwas zu ändern, die dem Katzenjungen beinahe die Tränen in die Augen trieb. Für einen Moment hatte er sogar gespürt, dass er kurz davor gestanden hatte Theben stattdessen zu schlagen. Als ob das geholfen hatte.
So plötzlich, wie er sich gegen ihn geschmissen hatte, trat Caleb auch wieder einen Schritt zurück. Seine Wangen waren etwas rosa, aber das lag wohl an der Kälte.
"Das nächste Mal, wenn ich dich umarme, hat der Prinz den Krieg beendet und du wirst dich gefälligst darüber freuen. Oder ich...hau dich!", verkündete Caleb, mehr dem Boden zugewandt als Theben, und floh beinahe zurück zum Lagerfeuer, wo er sich zwischen Aleks und Rist nieder ließ.

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 5. März 2014, 08:33

In Theben musste einiges vorgehen, dass er sich Caleb - wenigstens ansatzweise - anvertraute, denn obgleich er von sich erzählte, wusste der Hybrid noch immer nicht viel, was hinter dem Hass des Soldaten steckte. Er konnte nur mutmaßen, aber es musste etwas Tiefsitzendes sein, wenn es die Gefühle so sehr schürte. Schließlich war Theben bereit, an der Seite des Prinzen in eine Schlacht zu ziehen und wenn man seinen Worten Glauben schenken konnte, wäre er wohl auch bereit, für seine erfüllte Rache sein Leben zu geben. Doch wozu? Was zehrte an ihm, was bot seinem lodernden Hass Nahrung wie einem Feuer?
Er zuckte kaum merklich zusammen, als Caleb ihn an der Wange berührte. In der Dunkelheit ließ sich gerade noch so ausmachen, dass er seine Lider über den Blick senkte und somit seine Sicht verschloss. Was man jedoch nicht sah, aber was Caleb nun deutlich ertasten konnte, war die Feuchtigkeit auf Thebens Wange. Ein schmaler Streifen nur und bereits am Trocknen, aber eine so feine Berührung wie die des Katzenburschen genügte, um zu erfühlen, was der Soldat vorhin noch ungesehen getan haben musste.
Der Arm, den er um Caleb gelegt hatte, schlang sich noch etwas enger und man hörte ihn einatmen, als die Luft zischend von seinen Lippen aufgenommen wurde. Er schaute nicht hin, schaute Caleb nicht an, sondern verschloss sich für Momente von der Außenwelt, als wollte er sie nicht mehr betreten. Es war Calebs nächste Geste, die Umarmung, die etwas ausöste. Und zwar mehr als das erneute Zucken, das Theben durchlief wie einen Schauer. Dann stand er ganz steif da, unfähig, etwas zu sagen oder zu reagieren. Wo ein Mann wie er mit einem Grinsen auf den Lippen und schier problemlos seine Feinde mit Schwert und Armbrust ins Jenseits beförderte, da überforderte ihn eine einfache Umarmung eines anderen. Die Unsicherheit lag deutlich hörbar in seiner Stimme, als er murmelte: "Fang jetzt bloß nicht an zu schnurren, Katerchen." Unbeholfen tätschelte er Calebs Kopf, bis dieser sich löste. Theben räusperte sich, aber dann - nach Calebs fast rührend kindlicher Drohung - nickte er. "Versprochen."

Das war alles, was noch an die Katzenohren drang. Zu schnell flüchtete der Hybrid aus der Situation, zurück ans Feuer, zurück zu den übrigen Freunden. Wärme, sowie der angenehme Duft einer zubereiteten Mahlzeit empfingen ihn. Und Vincent, der ihm eine volle Schale des dicken Eintopfs entgegen hielt. "Wird das letzte Mal vor Jersa, dass wir so gut essen können."
"Rist ist schon ganz unglücklich", frotzelte Aleksander und winkte mit dem Löffel. Seine Schale hatte man ihm auf die Schenkel gestellt, so dass das Essen mit einem Arm kein Problem darstellte. Rist, der neben ihm hockte wie ein aufrecht sitzender Bär in zu enger Rüstung, gab ein Brummen von sich. Offenbar missfiel es ihm wirklich, dass er seiner liebsten Beschäftigung neben dem Kampf nicht mit voller Leidenschaft nachgehen konnte.
Hector saß ihnen allen gegenüber auf seiner Schlafstatt. Er hatte sich einen Teil der Rüstung ausgezogen und aß bereits - schweigend.
"Hast du ihn gefunden?", fragte der Prinz unvermittelt und es sollte klar sein, dass er von Theben sprach. Die anderen wollten sich ihre Neugier nicht anmerken lassen, aber plötzlich wurde es ruhiger am Lagerfeuer und flüchtige Blicke huschten zu Caleb herüber.
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Donnerstag 6. März 2014, 19:40

Es war auch für Caleb nicht leicht. Er war noch jung, unerfahren. Nie hatte er jemandem Trost spenden müssen. Nicht jemandem der so von Schmerz verrissen war. Er fühlte sich so hilflos, wenn er Theben ansah. Sein Drang zu helfen zwang ihn dazu einfach irgendetwas zu tun, aber der Junge wusste nicht was. Seine zittrige Hand hatte über die Spur der Tränen gewischt und sie verschwinden lassen, doch damit hatte er nur an der Oberfläche gekratzt. Seine Arme hatte er um ihm geschlungen, doch Theben war wieder in seine Scherzhaftigkeit zurück gefallen. Oder war das ein gutes Zeichen gewesen? Hatte es ihm geholfen? Caleb konnte es nicht sagen. Die pure Hilflosigkeit war es auch gewesen, die ihn dazu gebracht hatte, Theben so anzufahren. Die ihn dazu getrieben hatte, davonzueilen. So verunsichert hatte sich der Katzenjunge selten gefühlt. Und er war nun wirklich nicht der Beständigste. Gerade jetzt fragte er sich bereits, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn jemand anderes Theben gefolgt wäre. So vieles war ihm selbst noch nicht klar, wie konnte er da glauben jemand anderem helfen zu können.
Aber er wollte es so sehr. Er wollte nicht mehr in Thebens lächelndes Gesicht sehen und daran denken, wie viel Hass sich dahinter versteckte. Er wollte nicht mehr an Aleksanders zu Boden gesenkten Blick denken und wissen, wie sehr er sich selbst weh tat. Er wollte...

Sich am Feuer niederzulassen hatte etwas erleichterndes. Das plötzliche Prickeln der Wärme auf seinem Gesicht, der Geruch der Mahlzeit. Die Reize lenkten ihn ab, erlaubten seinen aufgewühlten Gedanken einen Moment der Ruhe. Wieder einmal tief ausatmend kam es Caleb so vor als wäre sein Leben seit er Grandea verlassen hatte zu einer wilden Fahrt der Gefühle geworden. Ein auf und ab.
Er bedankte sich bei dem Prinzen, als er seine Schüssel entgegen nahm.
Ein paar Mal pustete er vorsichtig. Selbst in der Nähe des Feuer konnte man den heißen Dampf sehen, der sich aus dem Topf, den Schalen und selbst von einem einzigen Löffel erhob. Sie Soße hatte einen leichten orangefarbenen Stich, etwa von dem Pulver, dass Rist hinein gestreut hatte? Es roch köstlich und als Caleb probierte, stellten sich seine Ohren überrascht auf. Es war scharf. Nicht übertrieben, aber spürbar. Er schmeckte Ingwer, Koriander, Nelke und Kümmel meinte er ebenfalls zu erkennen. "Sehr gut.", flüsterte er und nahm einen zweiten Löffel voll.
Nicht, dass er geglaubt hatte, Rist würde etwas weniger Gutes zubereiten, nur weil sie sich auf einer Reise befanden, aber wenn man es gewohnt war in der besten Küche des Landes zu kochen, konnte es schon überraschen aus was man alles eine wohlschmeckende Mahlzeit zaubern konnte. Die Wildgänse, die Theben geschossen hatte, trugen zu der Herzhaftigkeit bei und Caleb konnte sich sowieso nie über eine gute Portion Fleisch beschweren.
"Dann sollten wir nichts davon verkommen lassen!", antwortete er dann lauter, um Rist aufzumuntern und schenkte ihm ein Lächeln. Es war wohl auch die letzte Nacht, in der sie so ruhig zusammen hocken konnten. Gerade bei einem fünften Löffel, da spuckte der Prinz die Frage auf, die anscheinend allen auf der Zunge gelegen hatte und es wurde unangenehm still um das Feuer. Caleb hielt inne und ließ die Schüssel in seinen Schoß sinken.
"Nein, nicht wirklich.", murmelte er und seine Ohren senkten sich ein wenig, ohne wirklich die Frage zu beantworten. Er hatte etwas anderes gemeint, "Ich meine, ja, ich hab ihn gefunden."
Plötzlich peinlich berührt lief Caleb ein weniger röter an. Er konnte ihnen doch nicht erzählen, dass er Theben geweint hatte. Und erst recht nicht, dass er ihn umarmt hatte um ihn zu trösten! Beinahe etwas zu hektisch blickte er sich um sah, wie jeder ihn anstarrte.
"Ä-ähm...ich glaube T-Theben hat sich wieder beruhigt.", stammelte er hervor und umklammerte seine Schüssel, bevor er sich einen Haufen in den Mund schob und hinunter schlang. Mit im Hals blieb es ihm stecken und es brauchte ein paar kräftige Huster und einen mächtigen Klaps von Rist auf seinem Rücken, um den Knoten zu lösen. Verunsichert blickte er wieder auf und wandte sich an den Prinzen.
"Ihr- oh uhm, du solltest ihn vielleicht trotzdem rufen, bevor das Essen noch kalt wird..."

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Erzähler » Freitag 21. März 2014, 01:54

Theben erinnerte an eine Medaille. Er besaß zwei Seiten. Eine davon war klar und glänzend, glich dem steten Lächeln und seiner heiteren, übertrieben amüsierten Art. Die andere jedoch hatte sich mit einer Schicht Patina überzogen, war dunkel und getrübt von den Erinnerungen, die diesem Mann Schmerzen bereiteten. Offensichtlich zeigte er diese düstere Kehrseite ungern, weshalb er sich auch von der Gruppe entfernt hatte. Dass ausgerechnet Caleb ihn gefunden hatte, schien den Soldaten aber nicht zu stören. Selbst den Trost des jungen Hybriden hatte er zu einem gewissen Teil angenommen. Trotz allem kehrte Caleb allein zu den anderen zurück und dort bekam er erst einmal von Rists köstlichem Eintopf. Der wärmte den Bauch und vertrieb auch die düstere Stimmung der Hilflosigkeit, die den Jungen befallen hatte. Wenigstens zu kleinen Teilen, denn dann stellte ihm der Prinz eine Frage, was sogleich für aufmerksame Augenpaare sorgte, die sich auf Caleb richteten.
Vincent runzelte die Stirn bei den ersten Worten seines ehemaligen Dieners. Er musterte ihn kritischer, nickte allerdings im Anschluss und reichte seine Schale an Rist zurück. Schon richtete er sich in eine gerade Haltung auf, winkte Aleksander. Dieser nickte nun ebenfalls, erhob sich selbst. Auch seine Schale wanderte zu Rist.
"Wir sehen nach ihm."
"Mhrm", brummte Rist auf Vincents Worte. Er ließ die Schalen erst einmal an die Lagerstelle fallen. Eine weitere, deutlich größere befüllte er mit Wasser aus seinem Trinkschlauch. Es gab keinen Fluss in der Nähe, nicht einmal einen geeigneten Tümpel. "Das Spülen bleibt also an mir hängen." Er klang nicht verärgert, ganz so, als sei er es gewohnt, diese Aufgabe zu übernehmen. Außerdem schenkte Vince ihm ein entwaffnendes Lächeln. Dann winkte er leicht und er und Aleksander schritten aus dem Feuerschein heraus in die Nacht - dorthin, wo Theben vorhin verschwunden und von wo aus Caleb zurückgekehrt war.
Nun hockte der Hybrid allein mit dem Hünen und dem josanischen Soldaten am Feuer. Letzterer schob seine geleerte Schale zu den anderen. Dann legte er sich einfach auf seine Schlafstatt, stützte den Kopf in die Hand und winkelte dabei den Ellbogen an, so dass er seitlich liegend zu Caleb schauen konnte. Er betrachtete den Burschen lange und schweigend. In dieser Zeit reinigte Rist die Schalen. Den Topf mit dem übrigen Inhalt ließ er dicht an der Feuerstelle stehen. So würde die Mahlzeit warm bleiben für denjenigen, der alsbald die erste Wache übernehmen sollte. Das wäre dann wohl Caleb.
"Wir könnten uns die Wachstunden teilen", schlug Rist vor, während er mit einem kleinen Schwamm die Schalen ausschrubbte. Er hatte wirklich an alles gedacht, um selbst auf Reisen einen Haushalt zu führen. Was für ein seltsamer, aber sanftmütiger Riese. "Der Rest soll uns dann ablösen, bis die Hundswache vorbei ist. Dann schlafen wir alle noch ein paar Stunden bis zum Sonnenaufgang."
"Da das geklärt ist", begann Hector zu sprechen, ließ den Satz aber offen und rollte sich nun unter seiner Decke zusammen. Man hatte ihm nicht die Aufgabe zugedacht, die erste Wache zu übernehmen. So nutzte er die Zeit für Schlaf. Er kannte die Prozedur, schien sie sich von dem Feldleben eines jorsanischen Reichsdieners doch nicht zu unterscheiden. Rist zeigte auch keinerlei Einwände, im Gegenteil. Er wartete eine ganze Weile, bis er das Gefühl hatte, Hector war eingeschlafen. "Wir sollten uns nachher mal unterhalten", raunte er leise, aber wissend, dass Calebs Katzenohren die Worte vernehmen würden.

Nach einiger Zeit kehrten schließlich auch Vincent und Aleksander zurück. Sie hatten Theben im Schlepptau. Genauer gesagt, er den armen Aleks. Einen Arm um den Soldaten geschlungen schlenderten beide ans Feuer, offenbar bester Laune. Sehr gut, Theben hatte sich wieder etwas gefangen. Nun aß auch er noch rasch seine Portion auf, dann legten sie sich alle schlafen. Alle?
"Wie findest du ihn?" Rist stocherte mit einem gekrümmten Zweig im Feuer herum, um die Glut ein wenig zu schüren. "Ich frage dich, weil du vorhin bei unserem Grinser ein gutes Gespür für dessen Gemütszustand besessen hast. Du besitzt ein gehöriges Maß Empathie, Caleb. Also ... kann man dem Kerl trauen?" Sein Blick richtete sich aufg die schlafende Gestalt Hectors, ehe er die gewaltigen Schultern kreisen ließ. "Diese Rüstung ist einfach viel zu eng! Sind alle Jorsaner Winzlinge?"
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Donnerstag 3. April 2014, 17:19

Inzwischen war die Nacht vollständig über sie hereingebrochen. Ihre Umgebung hatte sich in ein Gemisch aus Schattierungen verwandelt und nur der kleine Kreis aus orange gefärbten, flackernden Schein schien wirklich zu sein. Es war mehr als surreal gewesen, Theben zurück kommen zu sehen. Sein altes Lächeln hatte gestrahlt wie eh und je. Herumgealbert hatte er. Es war tatsächlich wie die Seite einer Münze; oder war es eine Maske? Dieser Gedanke war wesentlich beängstigender. Wenn die fröhliche Art nur ein Kostüm war, um die bittere Wahrheit zu verbergen. Caleb hoffte inständig, dass er mit dieser Überlegung falsch lag.
Nun, da alle sich hinlegten, viel es dem Katzenjungen noch viel schwerer, seine Gedanken im Zaum zu halten. So war es ihm immer ergangen, wenn er alleine und für sich des nachts die Gänge gesäubert hatte. Zu diesen Stunde hatte er immer über alles Mögliche nachgedacht, und meist war er wieder und wieder in düsteren Winkeln seines Geistes gelandet, aus denen er dann versuchte mit Märchen und Geschichten von großen Taten zu entfliehen. Ohne großen Erfolg, denn sobald eine Reise zu Ende ging, einer seiner Helden sein Ziel erreicht hatte und verschwand, stand Caleb wieder am Anfang. Am Rand diesen schwarzen Lochs in seinem Innern, das er nicht mit reiner Fantasie füllen konnte.
Erst mit Rists Worten bemerkte Caleb, dass nicht jeder zu Bett gegangen war. Ihm war die Routine nicht bekannt, die zur Wacheinteilung gehörte. Dass 'die Wache teilen' bedeutet hatte, dass Rist ihm Gesellschaft leistete, und nicht dass Caleb ihn nach seiner Hälfte wecken sollte und so früher fertig war, oder wie viele Möglichkeiten es sonst noch gab, hatte der Kleine nicht gewusst. Aber nun war er dankbar für die Gegenwart des Hünen, dessen sanfter Bass ihn beinahe schnurren ließ.
"Es mag vielleicht...ungeheuerlich klingen, aber ich mag ihn. Jorsaner oder nicht.", antwortete Caleb langsam, nachdenklich. Hector hatte nicht aufgehört ihn zu beobachten seit sie das Lager aufgeschlagen hatten. Der Katzenjunge war sich nicht sicher, was dies zu bedeuteten hatte und Hector war von allen hier einer der Undurchsichtigsten, dennoch vertraute ihm Caleb. Zu einem gewissen Grad. "Solange wir alle dasselbe Ziel verfolgen und er sich sicher sein kann, dass er nicht seiner Prinzessin oder Jorsan schadet indem er uns hilft, glaube ich kann man ihm trauen. Das... ist allerdings nur meine Meinung."
Legte Rist wirklich wert auf seine Einschätzung? Noch nie hatte jemand Caleb gesagt er würde ein gutes Maß an Empathie besitzen. Allgemein hatte ihm wenig Komplimente gemacht. Selbst Boran war immer sparsam damit gewesen und nie zufrieden bevor nicht ein Grad an Perfektion erreicht war; und Irella in ihrer strengen, beinahe steifen Art war sowieso nicht der Typ dafür. Ein paar freundliche Worten waren genug, um Caleb ein ehrliches Lächeln aufzusetzen, welches er dem Hünen entgegen richtete als der sich über seine Kleidung beschwerte.
"Ehrlich gesagt habe ich gelesen, dass Jorsaner im Durchschnitt größer werden als Grandessaner. damit bist du also eine übergroße Ausnahme.", feixte der Katzenjunge und stupste Rist gegen den Arm, wo es schon so aussah als würden bald einige Nähte brechen. Was er getroffen hatte, war hart wie Stein gewesen. Der Koch bestand wirklich nur aus Muskeln. Spielerisch tat Caleb so, als hätte es ihm wirklich weh getan, wackelte mit der Hand wie mit einer schmerzenden Pfote und nahm den Finger in den Mund um den nicht vorhandene Schmerz zu lindern.
"Wie wird man überhaupt so riesig!? In ganz Grandea hab' ich niemand vergleichbaren gesehen!"

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Soldat/in » Sonntag 13. April 2014, 03:17

Nacht herrschte, jene Domäne der Göttin Manthala - von vielen verachtet, von anderen geliebt. Derzeit verhüllte sie ihr Anlitz, wie man sagte, wenn sich der Vollmond sonst zeigte. Heute Nacht nicht. Nur der Feuerschein bildete einen Funken Licht in der Düsternis. Es war ein kleiner Ring aus Hoffnung und Wärme für alle, die sich an seinem Rande niederließen. Calebs Gefährten schliefen. Sie hatten sich zur Ruhe gebettet. Das gleichmäßige, tiefe Atmen zeugte von ihrem Schlaf. Es wurde begleitet vom Knistern und Knacken des Feuers, wenn Zweige unter den hungrigen Flammen brachen. Hinzu gesellte sich der Wind, der den Rauch des Lagers verwehte. er tanzte mit ihm, spielte den haschmich oder scheuchte die graue Säule durch die Nacht. In der Ferne zirpten Nachtwesen. Die winzigsten Bewohner Celcias, die Insekten, waren noch wach. Ebenso der Größte, den Caleb in seiner Gruppe kannte. Rist blieb an seiner Seite. Gemeinsam hielten sie Wacht.
Dies galt auch für den Jorsaner, der unter ihnen schlief. Ja, Hector schlief wie alle anderen. Er ergab sich in sein Schicksal und nutzte die Gelegenheit, Ruhe zu finden. Was wäre es auch töricht gewesen von ihm, zwanghaft wach zu bleiben aus Misstrauen, man könnte ihn hinterrücks töten und dann nicht einmal verscharrt inmitten der Ebenen liegen lassen? Nein, darauf spekulierte der Soldat nicht. Sie hätten ihn längst umbringen können. So hatte auch er sich niedergelassen und war den Grandessanern irgendwann ins Reich der Träume gefolgt.
Manthalas Domäne, sie war für alle gleich. Ein jeder träumte, sagte man. Und somit wurde die Göttin im Schlaf wohl die Mächtigste unter ihresgleichen. Sie hatte sich eine Welt erobert, an die kein Herr des Lichts, kein Meister der Blutrünstigkeit oder ein Paar heran kam, das Wald und Wiese regierte. Nicht einmal der kleine Gott Feylin konnte sich solch eines weiten Raums an Einfluss erhoffen, obwohl er selbst für Hoffnung stand. Im Schlaf herrschte Manthala und sie schickte die Träume oder tauchte eine Seele in kalte Schwärze.

Rists Brummen durchströmte die Luft. Es mischte sich in das Gefüge nächtlicher Geräusche, ohne sie zu zerstören. Obwohl der Soldat als wahrer Hüne galt, fügte der kleinste Laut von ihm sich nahtlos in die Umgebung als gehörte er genau dort hin. "Du traust ihm, obwohl er sich verhält wie jeder getreue Soldat es tun sollte." Rist klang nicht vorwurfsvoll. Er legte nur die Fakten offen. Sein ruhiger, warmer Blick suchte Calebs und er hob eine der mächtigen Pranken, um dem Jungen über die Haare zu streichen. Bei Rist kam die Geste lange nicht so spöttisch triezend herüber wie bei Theben. "Ein Soldat, der seinem König oder dessen Familie Treue geschworen hat, würde für jedes Mitglied bis in den Tod gehen und immer um dessen Wohlergehen besorgt sein. Vincent mag uns ein Freund sein. Wir sind die Hand der Prinzenkrone, in der wir einander uns alle auf eine Ebene stellen und doch weiß ein jeder von uns - auch der Prinz - wer er ist. Frag dein Herz, Caleb. Auch du würdest eher für ihn in den Tod gehen als für einen von uns, wenn es darauf ankäme. Und diese Tatsache macht einen feindlichen Soldaten, der gleichermaßen über seine Prinzessin denken dürfte, nicht minder zum Feind." So ruhig wie Rist sprach und erklärte, so stark stand das Gewicht seiner Worte doch dagegen. Er brachte Hector eine besonnene Feindschaft entgegen, ein Misstrauen, das noch nicht abgeebbt war. Er sah in ihm nach wie vor einen Jorsaner. Im Gegensatz zu den anderen, vor allem wenn man hierbei an Theben dachte, brachte er dem Mann jedoch das Verständnis mit, dass auch er nur das Beste für seine Herrin wünschte. Er gestand Hector Menschlichkeit zu.
Ein gedehntes Seufzen wie das eines alten Mannes, der sich streckt, glitt über die Lippen des Hünen. "Ach, Caleb, hör nicht auf einen Soldaten, der zu viel Schlimmes in seinem Leben gesehen hat und nur Frieden im Kochen findet. Gehe deinen eigenen Weg und traue ihm, wenn du glaubst, dass er es wert ist. Vielleicht überrascht er uns ja." Dann lachte der Klotz, rückte seine Rüstung wieder etwas mehr zurecht. Dabei lauschte er dem Wissen des Hybriden, das er preisgab und musste wieder lachen. "Himmel und die Götter, ich werde doch wohl kein verkappter Jorsaner sein? Meine Mutter lebte an der Grenze. Ha, sie hat sich übrigens oft genug dieselbe Frage gestellt. Meine liebe Frau Mama war nämlich eine äußerst kleine und runzlige Person. So richtig zum Gernhaben und sie hat mit großer Leidenschaft gekocht. Rist, hat sie immer gesagt, Junge, deine Größe spiegelt die Liebe wider, die du für mich empfindest. Vielleicht hab ich mich deshalb bemüht, noch größer zu werden. Ich hab sie wirklich sehr geliebt." Er lächelte in die Nacht hinein, verrührte die Glut des Feuers mit einem Stecken.
"Was ist mir, hm? Wie bist du zu ... dieser Katzengestalt gekommen oder war dein Vater ein schrüzenjagender Maunzer?"
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Sonntag 13. April 2014, 21:33

Beinahe vergaß Caleb welch wichtige Aufgabe sie eigentlich bestritten. Ihr Trupp befand sich in Feindesland, in völliger Schwärze bei einem Feuer dessen Schein man in dieser klaren Nacht wohl über Meilen hätte sehen können, wenn sie nicht ein Mulde wie diese für ihr Lager ausgesucht hätten. Es lag an ihnen beiden, ihre schlafenden Kameraden in Sicherheit zu wiegen. So versuchte Caleb, auch wenn seine Ohren meist zu Rist gerichtet waren, die Umgebung im Auge zu behalten. Immerhin war es seine überlegen Nachtsicht die ihn für diese Arbeit überhaupt erst geeignet machte. Es war von aller größter Wichtigkeit, dass er diese Aufgabe gewissenhaft ausführte. Doch immer wieder fand er sich abgelenkt in die warmen Augen des Hünen schauen. Es war etwas an der Besonnenheit mit der Rist sprach, die ihn faszinierte, aber auch verärgerte.
"Natürlich würde ich mein Leben eher für den Prinzen geben als für-", Caleb stockte.
-dich? Euch?
Irgendwie kam ihm dieser Gedanke, jetzt wo er ihn aussprach, falsch vor. War es so einfach zu sagen, dass Rists Leben weniger wert war als das des Prinzen? Hatte Rist nicht selbst genau das gemeint? Dass sie alle für den Prinzen sterben würden, weil dieser am Leben bleiben musste. Weil es um mehr ging!? Es war richtig. Caleb würde für den Prinzen sterben. Seit er mit elf zu dessen Leibdiener ernannt wurde, hatte er das gewusst. Die Finger des Jungen verkrampften sich ineinander.
"Es stimmt, Hector ist genauso. Er sorgt sich sehr um seine Prinzessin. Der Unterschied liegt eher woanders. Wahrscheinlich hat er beinahe so viele Grandessaner getötet wie du Jorsaner, aber er bejubelt ihre Tode nicht. Er bedauert sie. Quält sich vielleicht sogar mit der Tatsache, dass es seine Pflicht war diese Leben zu nehmen. Nicht wie...", ein flüchtiger Blick wanderte zu Thebens schlafender Gestalt. Caleb hatte an diesem Tag oft über ihn nachgedacht und seine Überlegungen waren immer düsterer geworden. Wenn Theben an Hectors Stelle gewesen wäre. Caleb war sich sicher, er hätte ihm nicht vertrauen können. Nicht so leichtsinnig in der Runde begrüßen können. Hätte den Gedanken von ihm gelehrt zu werden gefürchtet. Theben wäre ein wahrer Feind gewesen, so wie er es jetzt für die Jorsaner war.
"Ich vertraue ihm nicht blind. Unsere Ziele sind generell zu unterschiedlich. Nur im Moment.", endete der Katzenjunge. Wenn alles so lief wie geplant, konnte Caleb ihm vielleicht für länger als nur in diesen Tagen vertrauen. Doch wenn es schief ging, war es wieder wie zuvor. Dann war Hector ein Feind, und Caleb ein Hindernis für ihn, das es zu überwinden galt. Dennoch musste Caleb sich fragen: Würde Hector, jetzt wo er ihn besser kennen gelernt hatte, ihn wirklich für jemanden halten, den es zu töten galt um ihn daran zu hindern seinem Land schlechtes anzutun?
Verwirrt sah Caleb hinüber zu Rist, als dieser sich etwas entspannte und dem Kleinen die Freiheit gewährte, seine eigene Meinung zu behalten. Es kam nicht oft vor, dass jemand Caleb seine eigenen Vorstellungen behalten ließ, anstatt zu versuchen ihn von den Eigenen zu überzeugen. Im Stillen dankte Caleb dem Riesen dafür und lauschte dessen Erzählungen von früheren Zeiten. Es machte ihn ein wenig traurig, dass Rist in der Vergangenheitsform von seiner Mutter redete, würde jedoch nicht fragen wie sie gestorben war.
"Sie hört sich sehr nett an.", murmelte der Kleine und sah den Funken nach, die durch Rists Stochern aufgewirbelt wurden. Solche Erinnerungen hatte Caleb nicht. Es war eine stechende Erkenntnis, in die Rist unbewusst auch gleich weiter eintauchte.
"Ich hab' keine Eltern. Hm, das stimmt nicht ganz. Irgendwo in Brenar habe ich welche, doch ich wurde als Säugling an den König abgegeben um ihnen die Zahlung des Zehnten zu erlassen.", erzählte er die Geschichte, die man ihm selbst auch nur nachträglich mitgeteilt hatte. Er wusste nicht, was er hätte erwarten sollen. Briefe? Besuche? Irgendein Zeichen, dass sich seine Familie um ihn sorgte? So etwas hatte es nie gegeben.
"Wurde praktisch von der Dienerschaft in der Küchenstube aufgezogen. An der Hintertür kam da immer eine Meute Katzen zum Betteln vorbei. Ich hab immer mit ihnen gespielt und ihnen heimlich Milch geben.", Caleb musste grinsen, allerdings nur für einen Moment, da er sich ebenso an die Schläge erinnerte, die er dafür eingesteckt hatte. "Ich war noch sehr klein, da hat mich eine von ihnen gebissen. Die Kleine war wohl kaum älter als ein, zwei Monate. Sie hatte den Virus. Man hat mich auf vor der Tür gefunden. Kann mich kaum daran erinnern, aber es muss wohl so ausgesehen haben, als hätte ich einen Anfall." In Calebs Kopf, der sich sonst an alles erinnern konnte, war dieser Moment nur ein knallroter Fleck. "Die Katzen haben sie umgebracht und verbrannt. Sie wussten nicht welche es war, und ich wollte es nicht sagen. Da haben sie einfach..." Hier stoppte er.

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Soldat/in » Sonntag 20. April 2014, 14:30

Wo Caleb deuchtlich mehr Vorsicht in die Nachtwache legte, da gab sich Rist überraschend gelassen. Er war zwar ohnehin ein eher ruhiger Brocken, erinnerte so an einen sanften Riesen, aber für die Nachtwache hatte er sich bislang kein einziges Mal umgeschaut. Es lag wohl an der Erfahrung. Selbst Jorsaner, die an der Grenze lebten, durchstreiften nachts das Land nicht so häufig, als dass sie sich Sorgen machen müssten. Gleichermaßen hielten es auch die Grandessaner. Das musste man beiden Königreichen zusprechen. Sie ließen sich lieber auf direkte Scharmützel ein. Was nicht hieß, dass Rist nicht aufmerksam wäre, aber er hatte ein Gleichgewicht hierbei gefunden. Er konnte mehr tun, als hochkonzentriert und auf alles zu achten, was ihm nur Sorgenfalten bereitet hätte. So reagierte der Soldat nicht einmal, als es in der Nähe raschelte. Denn gleich darauf folgte ein seltsam keckerndes Geräusch, dann ein Flattern. Irgendein Nachtvogel war aufgeschreckt worden und suchte das Weite. Was ihn aufgeschreckt hatte, schien Rist auch keine großen Sorgen zu bereiten. Er hielt zwar kurz inne und lauschte, drehte den Kopf aber dabei nicht einmal. Offenbar vermutete er keinen feindlichen Soldaten, der irgendwo im niedrigen Gras, dem Heidekraut und zwischen den zu schwarzen Schatten gewordenen Haselsträuchern lauerte.
Vielmehr hörte er jetzt wieder dem jungen Begleiter an seiner Seite zu. Erneut drehte er dabei den Stock in der Glut. Sie wurde ein wenig geschürt, aber ohne groß aufzuflammen. Rist hielt das Feuer niedrig. Sie brauchten dessen Wärme und Licht, aber es musste wirklich nicht zum Signalfeuer hochlodern. Er streckte sein linkes Bein aus, stützte sich mit der gepanzerten Hand auf dem Knie ab. Endlich fand der Stecken einen Platz zwischen zwei Steinen, wo der Hüne ihn klemmen ließ. Seine Aufmerksamkeit galt er dem schlafenden Jorsaner, dann Caleb und schließlich zu Theben. Er brummte. Es klang zustimmend. So schien es, dass auch Rist etwas mehr über seinen Kameraden wusste. Vielleicht hatte auch er bereits hinter die Fassade des ewig Albernden geblickt.

Die Nacht schritt voran und mit ihr die Wacht, aber auch das Gespräch zwischen dem großen Klotz und dem kleinen Fellballsanitäter setzte sich fort. Sie kamen auf ganz andere Dinge zu sprechen als man angesichts ihrer Lage meinen sollte. Der Krieg war jedoch ein ewig währendes Thema beider Königreiche. Er galt als so präsent, dass es im Adel teilweise schon zum unhöflichen Ton gehörte, wenn man schon wieder damit anfing ... und keinen Sieg zu verzeichnen wusste. Jammern und Klagen konnte man andernorts. Auch solche Adligen gab es, vor allem die Frauen, die um den Verlust ihrer Söhne trauerrten. Doch die eher dem Felde veranlagten hohen Herrschaften sprachen dann lieber von Taktiken und Plänen, die in naher Zukunft das Ruder herumreißen sollten. Meist aber wurde geprahlt, sogar wenn die eigene Einheit auf dem Felde verblutete, während sich ihre Herren im geheizten Anwesen Sahnekuchen in den Schlund schoben. Man belobigte dann die Tapferen, die für König und Reich gestorben waren, aber wenigstens ein paar Jorsaner mitgenommen hatten.
Kaum jemand sprach über seine Mutter, so wie Rist es nun tat. Er lächelte und nickte schließlich. "Ja, sie war eine Frau mit großem Herzen." Der tiefe Bass seiner Stimme flaute ab. Nun wurde es doch ernster. Sein Augenpaar suchte erneut den Katzenjungen und für Sekunden zogen sich die Brauen zusammen, dass sich dazwischen eine nachtschwarze Furche bildete. Rist fragte sich, wie Calebs Eltern ausgesehen haben mochten. Ihm selbst waren Katzenhybriden fremd. Er kannte rote Augen nur durch Marlin, fragte sich jetzt, wer von seinen Rabeneltern welchen Anteil an dem Jungen geschaffen hatte. Ob seine rotäugige Mutter von einem Katzendämon des Harax verführt worden war? Aber nein, er sagte, er sei Hybrid ... da lief das anders!
Rist blieb stumm. Er wollte Calebs Redefluss nicht durch eine Einmischung stören. Wo Theben und vielleicht sogar Vincent ihn unterbrochen hätten, um reihenweise Fragen zu stellen, entschied sich der Hüne dafür, abzuwarten und zu lauschen. Manchmal half es, den Redner erst einmal zum Ende kommen zu lassen. So auch jetzt.
Rist streckte seine rechte Pranke aus, um sie Caleb schwer lastend, aber warm auf die Schulter zu legen. Das Wesentliche hatte er erfahren und weiter nachbohren wollte er nicht. Jeder Blinde mit Krückstock sah doch, wie tief diese Erinnerungen in dem Jungen rührten. Lediglich einen leise gemurmelten Kommentar konnte auch er sich nicht verkneifen: "Ist nicht leicht, all seine Geschwister zu verlieren, hrm?" Erneut flog der Blick zum schlafenden Theben. "Es ist wirklich nicht leicht. Schwerer noch, wenn man ihnen verbunden war." Er räusperte sich. "Du musst müde sein. Leg dich hin, ich übernehme die restliche Wachschicht. Wir brauchen morgen einen aufgeweckten Feldsanitäter an unserer Seite ... nach dem Morgengrauen wird es aufregend." Er klang dabei nicht, als ginge es in ein Abenteuer. Der Ernst seines Tonfalls zeugte davon, dass man Aufregung auch als etwas Unangenehmes empfinden konnte. Einer Sache, der man sich dennoch würde stellen müssen. Die Hand der Prinzenkrone würde morgen das Lager abbrechen und weiterziehen. Sie würde Jersa erreichen und versuchen, sich mitten unter den Feind zu mischen. Und sie würden versuchen, herauszufinden, was mit dem Hauptmann geschehen war, den die feindliche Prinzessin so impulsiv gesucht hatte. Was war mit diesem Mann?
Prinzessin Bodvika von Jorsan hatte ihre Männer gen Troman geschickt. Sie war verletzt worden, also hatte sie mit dem Bewusstsein des Risikos angegriffen, ihr Leben zu lassen. Für einen einfachen Hauptmann? Diese unausgesprochenen Fragen und Gedankengänge hingen wie der Qualm des Lagerfeuers in der Luft. Niemand musste sie extra heraufbeschwören, sie waberten in der Schwebe, so wie man sich in einem Traum zwischen Wachsein und Schlaf befand.
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Sonntag 27. April 2014, 17:23

Es war auf eine gewisse Weise angenehm über etwas anderes als den Krieg und die Zukunft zu sprechen. Beides rief in Caleb ein Gefühl der Beklemmung hervor, dass ihn jedes Mal eisig umklammerte. Den Hünen lächeln zu sehen, während er über seine warmherzige Mutter sprach und in seinen Augen zu erkennen wie er die Sicht auf die Umgebung für eine Weile verlor und zu schöneren Orten zurückkehrte, hatte etwas beruhigendes an sich. Es war gut so. Caleb konnte gar nicht anders als sich anstecken zu lassen; bis ihn sein eigener Verstand in neue, kalte Untiefen zurückzog. Ja, selbst die Vergangenheit war eine frostige Klaue. Trug eine Kapuze, hatte spitze Fingernägel und einen starken Griff, den Caleb oft auf seinen Schultern gespürt hatte.
Dass sie nun durch Rists wärmende Hand ersetzt wurde, war ein Symbolismus den keiner von beiden in diesem Moment begreifen konnte. "Man hat mir oft gesagt, ich wüsste ja gar nicht was Verlust bedeutet, weil mir als Diener auch nichts gehört. Hab es nie geleugnet, aber sie hatten unrecht. Man hat auch mir vieles genommen.", gestand der Kleine.
Je länger sie einfach nur dasaßen, umso mehr konnte Caleb spüren wie sein Körper herunterfuhr und sich das Verlangen nach Schlaf weiter in den Vordergrund drängte. Der taglange Ritt saß ihm in den Knochen. Stunde um Stunde am ganzen Körper durchgeschüttelt zu werden ohne sich selbst wirklich zu bewegen war eine neue Art von Anstrengung womit der ohnehin schon eher schwächliche Katzenjunge nicht umzugehen wusste. Da konnte Felix einen noch so geschmeidigen Gang haben. Die Aussicht darauf die selbe Tortur morgen ein weiteres Mal durchleben zu müssen war keine sonderlich Erfreuliche. Zwar hatte man ihm versichert, dass es mit der Zeit einfacher werden würde - immerhin war er noch ein völliger Anfänger was das Reiten betraf - nur konnte es dem Kleinen in diesen Fall nun wirklich nicht schnell genug gehen. Wenn ihn schon allein der Ritt ins Feindesland erschöpfte, wie sollte da überhaupt nützlich sein! Das Angebot von Rist, doch lieber schlafen zu gehen, kam daher äußerst gelegen.
"Keine schlechte Idee, aber ist das in Ordnung? Eigentlich hättest du keine Wachschicht.", murmelte der Katzenjunge verlegen. Es war sein Auftrag gewesen und nun kam er sich vor, als hätte Rist es ihm abgenommen. Hoffentlich dachte er nicht, Caleb wäre der Aufgabe alleine nicht gewachsen, wenn sich der Katzenjunge auch so oft genug bezweifelte. Rist war sicher nicht so und nach seiner Antwort flüsterte Caleb ein "Dankeschön." zwischen den Lippen hervor und stand auf. Rists Hand glitt von seiner Schulter und schon vermisste der Diener das Gefühl. Doch er musste es abschütteln. Schlürfend ging er die zwei Schritte zu seiner Schlafstatt und versuchte es sich auf dem provisorischen Lager mit Sattel als Kissen bequem zu machen. Gelingen tat es ihm kaum, trotzdem war er nach wenigen Moment eingeschlafen.
In der Nacht träumte er wieder. Vom Krieg. Von einer Schacht, und ihm mittendrin. Er hatte keine Ahnung was passiert war, wie er inmitten der Leiber von Pferden und Männern und Frauen gelandet war. Nicht, zu welcher Seite er gehörte. Oder was er tun sollte. Was sein Ziel war. Um ihn herum schlugen sie aufeinander ein. Pferd und Mensch gingen zu Boden, manche blutend, viele schreiend. Sie tanzten um ihn herum, und er lief, verstört, verirrt. Suchte ein bekanntes Gesicht, eine Farbe, eine Fahne. Doc h hier konnte er nichts finden.
Leicht schwitzend und mit einem unbestimmten, aber unangenehmen Gefühl, wacht er schließlich in sachten halbdunkel des Morgens auf.

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Erzähler » Dienstag 6. Mai 2014, 02:07

Rist schickte den Burschen ohne weitere große Worte zu seinem Lager. Er hatte die Müdigkeit bemerkt. Nicht nur in den Augen des Hybriden, sondern auch in seinen Worten. Verlust. Im Gegensatz zu den meisten konnte Rist verstehen, was Caleb meinte. Er selbst war zwar kein Diener, nie einer gewesen, aber er glaubte, dass jedes noch so winzige Wesen Celcias das Sinnbild von Verlust früher oder später in seinem Leben erfahren würde. Es kam auf die Perspektive an, aber er begann nicht, mit dem Jüngeren zu philosophieren. So gern er es getan hätte, Caleb war müde. Er würde niemandem am Folgetag nützen, wenn er nicht ausgeruht wäre. So sah der Hüne für seine Wachschicht eine Portion Schlaf vor, die Calebs Körper dankend annahm. Er erhielt sogar mehr Schlaf als alle anderen.
Es war Hectors sanftes, aber bestimmtes Rütteln seiner Schulter, das ihn aus den unangenehmen Traumwelten riss. Manthala hatte es in der Nacht nicht gut mit ihm gemeint und noch immer hing sie wie eine düstere Nachwirkung über ihm als grauer Morgen, der kaum einen Lichtstrahl des Bruders durchbrechen lassen wollte. "Wach auf, Junge", grüßte ihn der Soldat. "Du musst die Riemen meiner Rüstung nachziehen." Mehr Worte hatte er nicht für Caleb übrig. Mehr Worte waren auch nicht nötig. Als Knappe war man gewissermaßen noch immer auf einer Dienerebene und auf der kannte sich der Katzenhybrid bestens aus. Aber nicht nur er begab sich in die Rolle.
Die übrige Hand der Prinzenkrone war bereits wach. Vincent ließ sich ebenfalls gerade die Riemen seiner Rüstung zurechtziehen. Danach werkete Rist an Aleksanders Rüstteilen herum. Der gute Aleks blickte ruhig, aber etwas ernst drein. Er beobachtete Theben in der Nähe und erhielt nur ein schelmisches Grinsen, als jener winkte. Er war mit morgendlichen Schießübungen beschäftigt. Im Grunde zielte er nur, feuerte aber keine unnötige Munition ab. Doch selbst das weckte müde Glieder und half dabei, ein Auge für Entfernungen zu bekommen ... oder weiter zu schulen. Theben wirkte erfahren in seiner Kampfweise mit der Armbrust.
Nachdem alle zur Genüge gerüstet waren, beseitigte man die letzten Spuren des Lagers, so gut es möglich war. Die Asche wurde über dem Boden verstrichen. Die Steine, welche die Lagerstelle in der Nacht zuvor eingerahmt hatten, warf man in alle Richtungen, um sie möglichst zufällig zu verteilen. Anschließend belud man die Pferde und saß auf.
Die Gruppe reiste weiter und zwar relativ schweigend. Zwischendurch verteilte Rist einige Rationen. Es gab jetzt nur etwas Trockenfleisch und für jeden eine Scheibe Brot. Das musste reichen, denn sie waren gezwungen hoch zu Ross zu speisen. Vincent lenkte sie ehrgeizig, Hector an seiner Seite, der die besten Routen vorgab. Der Prinz wollte noch vor dem Mittag das Grenzdorf erreichen. Sie schafften es nicht ganz. Die Sonne stand bereits über dem Zenit, als in der Ferne der Wall des Grenzdorfes Jersa sichtbar wurde. Darüber hinaus ragten die hölzernen und steinernen Türme. Das Dorf war wesentlich besser ausgestattet als Troman und Caleb konnte auch schnell den Grund sehen: abgetragene Windmühlen. Etwas entfernter vom eigentlichen Dorf konnte man ihre Ruinen wie die Gerippe gefallener zeitloser Bestien ausmachen. Die Jorsaner hatten sich teilweise nicht einmal die Mühe gemacht, die großen, schwingenartigen Windräder zu demontieren. Schlaff wie gebrochene Drachenflügel lagen sie an den restlichen Stein einiger dieser Arbeitergebäude gelehnt da. Es war ein wahrlich trauriges Bild, aber nicht jede Mühle teilte dieses Schicksal. Es gab noch genug im Landesinneren. In der Ferne konnte man ihre verschwommenen Konturen erkennen und auch die Bewegungen ihrer - noch "lebenden" - Windräder.
"Jersa", gab Hector zur Kenntnis. Es war eigentlich nicht nötig, aber so machte er klar, dass sie ihr Ziel gleich erreicht hatten. Vincent nickte. "Jetzt muss jeder von uns seine Rolle erfüllen. Denkt daran, Freunde. Wir sind jetzt jorsanische Soldaten. Grandessa ist der Feind."
"Tot allen Grandessanern und nieder mit deinem Vater, dem König", feixte Theben, ohne dabei einen humorvollen Ton aufzulegen. Vincent schenkte ihm ein schiefes Lächeln. "Etwas mehr Ernst, Theben."
"Ich bin so ernst wie ich sein kann, aber appelliere lieber an meine Beherrschung, den Jorsanern keine Bolzen in ihre Hintern zu pfeffern." Er lachte auf und auch Aleksander gab ein Glucksen von sich. Der gute Soldat schwitzte schon wieder. Für ihn war das Reiten anstrengend und ungewohnt. Der fehlende Arm machte es ihm nicht leicht und so hatte man Caleb neben ihn geschickt, damit er gelegentlich nach dem Pferdezügel greifen konnte. Auf der anderen Seite ritt Rist wie eine Mauer, die man einem armen Tier auf den Rücken gesetzt hatte. Er zupfte schon wieder an seiner engen Rüstung.
"Ich fasse zusammen", fuhr der Prinz fort. "Hector Chivall wird seine Geschichte der jorsanischen Prinzessin erzählen - zunächst mit dem Unterschied, als Bote nach Jersa zurückgesandt worden zu sein, um dort Meldung von der Gefangennahme zu machen. Unterwegs hat er uns aufgelesen. Wir sind ein paar Überlebende eines jorsanischen Trupps, die es aus Grandessa geschafft haben."
"Was machen wir mit unserer Mieze?", fragte Theben und seine Frage zeigte, dass Vincent sich darüber bereits Gedanken gemacht, aber noch zu keiner Lösung gekommen war. "Caleb? Lass dir was einfallen, wenn jemand fragt. Hoffen wir einfach, dass erstmal niemand Fragen stellt, auch angesichts der Tatsache, dass sie ihre Prinzessin verloren glauben. Wir versuchen, jeder für sich, mehr Informationen über diesen Hauptmann Sterlyn herauszufinden. Ich gebe das Zeichen, wenn wir uns als die Hand der Prinzenkrone zu erkennen geben."
"Willst du das wirklich tun, Vince?" Rists tiefe Stimme durchzogen Zweifel an dem Plan. Die Freundschaft beider Männer verdeutlichte, dass er offen zu seinem Prinzen sprechen konnte, ohne dafür gerügt zu werden. Vince aber nickte. "Sie werden mich nicht gefangennehmen und wenn doch, dann nur, um ihre Prinzessin zurückzubekommen. Ein gerechter Tausch."
"Ein Tausch, der mir nicht gefällt", schnaubte Theben. Er legte vorsichtshalber bereits einen Bolzen in seine Armbrust. Dann näherten sie sich den Palisaden.

"An meine Seite, Junge", forderte Hector auf, der nun als kommandierende Hauptmann die Truppe anführte. Vincent und Theben ritten hinter ihm her, danach kamen Aleksander und Rist als Nachhut. "Ein Knappe ist immer schräg an der Seite seines Herrn." Das erkannten auch die beiden Wachen, die vor dem Tor der Palisade postiert waren. Das Tor stand offen, denn hier gingen einfache Bauersfrauen ein und aus. Vor dem Dorf fand sich Ackerland, das bestellt werden wollte. Ein Acker, der in schlechten Zeiten mit Blut getränkt wurde. Im Moment schient er sich recht gut zu halten. Hier und da wuchsen sogar Pflanzen.
"Hauptmann", grüßten beide Wächter und salutierten. Sofort fielen ihre Blicke auf Caleb, aber Fragen stellten sie wirklich nicht. Vielleicht auch, weil Hector sein Tier leicht vor Felix lenkte. "Ich habe schlechte Nachrichten", gab er bekannt. "Ist der stationierte Hauptmann Sterlyn inzwischen eingetroffen."
"Nein, Herr. Er wird noch immer vermisst. Ihr ... hattet keinen Erfolg?"
"Nein", brummte Hector. "Wie gesagt, schlechte Nachrichten. Wo ist Sterlyns Stellvertreter?" Die Wachen zeigten ins Innere des Dorfes und ließen passieren. Rist wurde ebenfalls beäugt, aber er knurrte nur leise, rückte die Rüstung wiederholt zurecht. Hector ließ sein Pferd zum Dorfzentrum schreiten. Dort, nahe eines Brunnens, existierte ein Unterstand. Ein Mann beugte sich über einen Tisch. Ihn umrundeten Soldaten. Er selbst trug Teile einer Rüstung, aber Schulterpanzer und Helm, sowie die Panzerhandschuhe fehlten. Der Mann wirkte älter, zu alt um noch selbst im Felde zu kämpfen. Ein grauer Bart baumelte schwebend über eine ausgerollten Karte. Er blickte auf, als er das Hufgetrappel wahrnahm und sogleich erhellte sich seine gerunzelte Miene. "Chivall! Ich wusste, Ihr kehrt zurück ... wo ist ... wo ist Ihre königliche Hoheit?"
"Gefangen genommen. Dafür habe ich andere mitgebracht." Er zeigte auf Caleb, dann die anderen Begleiter.
"Soldaten?", erkundigte sich der reservierte Soldat, verließ den Tisch und ... ja, er hinkte auf die Pferde zu. "Hauptmann Arlbert Klavin. Weist euch aus, Soldaten."
Die Mitglieder der Hand der Prinzenkrone blickten zu Vincent. Dieser schwieg zunächst, machte einen zerknirschten Eindruck. Sie hatten nicht in Erfahrung gebracht, wie ein Jorsaner sich innerhalb seiner Reihen vorstellte.
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Mittwoch 14. Mai 2014, 18:45

Beinahe wäre Caleb aufgeschreckt. Aus diesen beunruhigenden Traum aufzuwachen und einen Jorsaner über sich gebeugt zu entdecken gehörte nicht zu den erfreulichsten Mischungen. Hoffentlich war seine Furcht ihm nicht bis in die Augen gekrochen. Es dauerte immerhin eine oder zwei Schrecksekunden bis sich Caleb im Griff hatte, sich erinnerte wo er war. Der Befehl seines Mentor sickerte nur langsam durch. Lahm kam er auf die Füße, musste sich einmal Strecken, eine Biegung vom Kopf bis zur Schwanzspitze. Dann war er bereit.
Hectors Rüstung festzuziehen war keine Schwierigkeit. So etwas hatte er bereits für den Prinzen erledigt, dem er schon seit Jahren beim Ankleiden behilflich war. Seine Hangriffe waren routiniert, erkannten alte Bewegungsabläufe wieder und spielten sie herunter. Bei solchen Arbeiten fühlte sich Caleb am wohlsten. Besonders, da er sich dabei kaum konzentrieren musste und sein Kopf abschweifen durfte. Vielleicht war das der Grund, warum er sich an etwas anderes erinnerte.
Gestern hatte er dank dem Durcheinander mit Theben ganz vergessen Aleksanders Verband zu wechseln! Nachdem er die Riemen wie verlangt festgezogen hatte, erkundigte sich Caleb ob es noch etwas zu erledigen gäbe, bevor er sich bei Hauptmann Chivall entschuldigte und zu den Pferden eilte. Auf dem Weg viel ihm außerdem auf wie sehr seine Blase drückte. Es war die beste Gelegenheit sich ein Stück vom Lager zu entfernen und ungesehen zu erleichtern. Erst dann holte der Katzenjunge den Salbentopf aus Felix' Brusttasche, streichelte dem Ross dabei über den Hals und machte sich mit einem neuen Verband auf zu Aleks. Rist war gerade dabei sich um dessen Rüstung zu kümmern.
"Entschuldige, aber bevor wir weiter nach Jersa reiten muss ich dir unbedingt noch den Verband wechseln!" Bestimmt juckte der Stoff bereits unangenehm von dem langen Ritt und der Nacht, die der Soldat damit verbracht hatte. Rist half ihm dabei, die Schulter freizulegen und der junge Feldarzt ging an die Arbeit. Wenigstens hatte er auch hier Erfahrung. Vermutlich wäre es unheimlich kompliziert gewesen eine solche Stelle zu verbinden, und Caleb wäre sich nicht sicher gewesen ob er es bei jemand anderem durchführen könnten, aber bei Aleks hatte er es bereits getan und so gingen seine Hände ans Werk, ohne dass er groß darüber nachdenken musste.
Erst, als der alte Verband entfernt war, setzte sein Gehirn wieder ein. Die Wunde sah nicht wirklich besser aus. Vielleicht weil er sich nicht die nötige Ruhe gönnte. Schlimmer schien es glücklicherweise nicht geworden zu sein. Vorsichtig trug Caleb die Salbe auf. In dem einen Buch hatte er gelesen, dass man es nicht zu dick auftragen sollte. Man verschwendete seine Medizin nur ohne größeren Erfolg zu erzielen. Nachdem die Salbe verteilt und der Topf geschlossen war, ging es ans verbinden. Erneut kopierte er schlicht die Bewegungen, die er bereits durchgeführt hatte. Nach getaner Arbeit sah der Verband genauso aus wie vorher. Abgesehen davon, dass er nur etwas heller war und weniger gebraucht wirkte.
"Gut so. Eigentlich solltest du dich noch schonen.", bemerkte Caleb an, auch wenn er wusste, dass es dafür schon zu spät war, "Aber es ist nicht schlimmer geworden bisher. Bleib vorsichtig, okay?"
Aleksander würde nichts Unbedachtes tun, das wusste Caleb. Er hatte eher Angst, sie würden bei Jorsan in einen Kampf geraten. Dem Katzenjungen wurde es mulmig bei dem Gedanken, was dabei alles schief laufen könnte für den einarmigen Soldaten.
Während er seinen Teil getan hatte, waren die anderen damit beschäftigt gewesen das Lager anzubrechen. Jemand hatte seine Schlafstatt für ihn aufgerollt und an Felix geschnallt, was er überhaupt nicht mitbekommen hatte. Sogar sein Sattel war wieder an Ort und Stelle. Es wurde aufgesetzt und ihre Reise ging weiter. Auf dem Weg nahm Caleb dankend die Ration von Rist entgegen und reihte sich wie gewünscht neben Aleksander ein, um ihm den schweren Ritt zu erleichtern.
Als man auf ihn zu sprechen kam, wurde Caleb mulmig. Er konnte sich die Kapuze überziehen, was er auch tat, aber die Ohren sah man immer noch als Beulen heraus, genauso wie sein Schweif den er ebenfalls schlecht verstecken konnte. Was würde er sagen, wenn man ihn danach fragte? Er konnte immer behaupten, in Grandessa von einer Katze gebissen worden zu sein. Einige könnte er sogar mit Namen nennen, was wohl keine gute Idee war. Im fiel vielleicht gerade etwas ein...nur ob ihm jemand glauben würde, war die unvorhersehbare Kehrseite jedes Einfalls.

Nun lag Jersa vor ihnen. Caleb war es nicht möglich, von weitem mehr als die verschwommenen Umrisse der Stadt zu erkennen. Die Windmühlen blieben seinem Blick verborgen, genauso wie viele andere Details. Selbst als sie näher kamen konnte er kaum etwas sehen, dass mehr als ein oder zwei Dutzend Schritt entfernt war. Und um ehrlich zu sein war er dankbar dafür. Wenn ihm hier das selbe passierte wie bei seiner Ankunft in Troman, wäre das nicht gut. Gar nicht gut.
"An meine Seite, Junge", schallte Hectors Ruf nach hinter. Es dauerte eine Weile, bis sich Caleb mit seinen beschränken Reitkenntnissen nach vorne gearbeitet hatte. Felix gehorchte seinen Befehlen ohne zu murren, wenn es denn die richtigen waren. Dem Katzenjungen viel es immer noch schwer klare Anweisungen zu geben, stets mit der Furcht sein Reittier ausversehen in Galopp verfallen zu lassen, oder in andere Mitglieder der Gruppe zu stoßen.
Bis er es geschafft hatte, waren sie bereits in Rufreichweite des Tores von Jersa. Nervosität begann sich in Caleb breit zu machen. Nah man es ihm an? Er senkte den Blick, als die Torwächter zu ihm sahen. Hatten sie seine weißen Haare bemerkt? Seine roten Augen? Er hoffte, dass sein Gesicht im Schatten der Kapuze verschwand.
Soweit so gut. Man überließ Hector das reden und wurde durchgelassen. In die Höhle des Löwen, wie es so schön beschrieben wurde. Ihr Ziel war die Dorfmitte. Caleb hielt weiterhin den Blick gesenkt. Bloß nichts ansehen, nicht anfangen sich Gesichter, Stimmen, Kleider, Straßen und Häuser einzuprägen. Gegen die Stimme des Stellvertreters konnte sich Caleb dagegen nicht wehren und er lugte unter der Kapuze hervor um sich zumindest ihn ins Gedächtnis zu brennen. Der Mann war alt. Dem geheimen Diener des Prinzen lief es kalt den Rücken herunter. Wie lange war dieser Mann schon in Jersa? Sein Leben lang? Kannte er jeden Soldaten, der hier durchgekommen war?
Da war es. Der Ruf. Soldaten! Sie sollten sich ausweisen. Panik ergriff Caleb. Sie hatte darüber nicht gesprochen! Nicht, welche falschen Namen sie benutzen würde. In welcher Einheit sie sein würde. ein Blick schoss hinüber zu Hector, auf seinen starren Rücken. Hatte er es erwartet? Und ihnen nichts davon gesagt? Sicher musste er gewusst habe, dass sich jeder eintreffende Soldat in Jersa ausweisen musste.
Hector...
Caleb schoss es durch den Kopf wie ein Blitz. "Ich bin Hector Chivall, Hauptmann der 4. Kompanie des leichten Fußvolks von Jorsan.", so hatte er sich dem Prinzen gegenüber vorgestellt. War dies die offizielle Variante? Sicher war es für einen Hauptmann wie Hector nur Reflex, seine Standard Vorstellung zu zitieren. War dies die Lösung?
Der Prinz zögerte. Hatte er keine Ahnung? Caleb wusste nicht, ob die anderen es wussten. Sie waren seit Jahren Soldaten, doch durch welchen Zufall sollten sie die Antwort wissen? Erinnerte sich vielleicht der Prinz an Hectors Worte?
Aber was sollten sie sagen? Der 4. Kompanie konnte sie nicht angehören. Wie viele Kompanien gab es überhaupt? Bestimmt wurden sie weniger wichtig je höher die Zahl stieg. Sollte sich Caleb als Mitglied der 7. vorstellen? Der 10.? Wie weit konnte er runter gehen. Waren überhaupt alle in Scharmützel verwickelt gewesen, bei dem es Gefangene gab? Grandessaner waren nicht wirklich bekannt dafür, gefangene zu machen...
Der Prinz hatte immer noch nichts gesagt.
Caleb holte tief Luft. Jetzt bloß nicht stottern. Eine ernste Stimme aufsetzen. Routiniert.
"Amon Schneider, 8. Kompanie des leichten Fußvolks von Jorsan.", ratterte Caleb herunter. Es musste echt sein. Vielleicht sogar...Caleb hob den Kopf ein wenig und sah verhalten hinüber zu Hector. "Und...ähm.", er streckte den Rücken durch, als würde er eine stolze Pose einnehmen, "Seit neusten Knappe von Hector Chivall, Hauptmann der 4. Kompanie des leichten Fußvolks von Jorsan."
Den letzten Teil hatte er etwas schneller gesagt. Nicht dass er vorgeben musste aufgeregt zu sein, aber er versuchte es authentisch herüber kommen zu lassen. Der Alte musste ihm ansehen, wie jung er war. Wie klein. Es war nur logisch so zu tun als wäre er unglaublich aufgeregt und auch stolz der Knappe eines Hauptmannes zu sein.
Doch der eigentliche Grund war es, die Nachricht an den Rest der Gruppe weiter zu leiten. Die richtige Formel zwei Mal zu sagen, damit sie es auch mitbekamen. Was machte es schon ob es falsch war. Wenn sie nichts sagten, würde er es sowieso merken. Es war ihre beste Chance.

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Erzähler » Dienstag 3. Juni 2014, 16:20

Ob seine Sehschwäche nur eine Form des Selbstschutzes war? Hatte sich Caleb jemals die Frage danach gestellt? Denn möglich wäre es, wenn man daran dachte, dass er so viele neue Informationen nahezu binnen kürzester Zeit aufnehmen und sich permanent einprägen konnte. Irgendwie musste man ihn auch vor einer Reizüberflutung bewahren. Das taten seine Augen, indem sie ihm Informationen verwehrten. Sie machten die Mühlen im Hintergrund zu verschwommenen Klecksen, blendeten zu weit entfernte Fixpunkte aus, so dass er sich immer noch auf genug konzentrieren konnte, was unmittelbar vor ihm lag. Und das war bei weitem immer noch nicht wenig. Allem voran zog der verwaltende Offizier den Fokus auf sich. Er mochte alt sein, aber das bedeutete nur, dass er neben mangelnder Wendigkeit überaus erfahren war ... und Caleb befürchtete, dass dieser Mann längst wissen könnte, dass sich hier Feinde in ihre Reihen gewagt hatten. Schließlich war ein Moment gekommen, der die gesamte Hand der Prinzenkrone innerlich durchzuckte wie ein gleißender Blitz. Sie hatten so sehr an der Durchführung ihres Plans gewerkelt, dass ihnen Details entgangen waren. Wichtige Einzelheiten, von denen nun ihr Leben abhängen konnte, denn Hauptmann Klavin erkundigte sich nach ihrer Identität.
Sie alle waren wie gelähmt, abgesehen von Hector, der neugierig einen Blick nach hinten und dann zu Caleb warf. Wer von ihnen würde antworten? Er erwartete ja, dass es der grandessanische Prinz tun würde, andererseits könnte ihn der Umstand dann bereits mehr als verraten. Hier war er nur ein Soldat wie jeder andere und niemand hatte das Wort direkt an ihn gerichtet. Hingegen gab sich der kleine Hybrid als direkter neuer Knappe Chivalls aus und hätte somit das Privileg. Höher zu stehen als sein Prinz, das allein dürfte schon eine eneu Erfahrung für Caleb sein.
Hauptmann Klavin musterte den jungen Mann. Kein Zweifel, er hatte bereits dessen Augen gesehen, die in faltige Runzeln gelegte Stirn verriet es. Und dann sprach Caleb, stellte sich als Amon Schneider aus der achten Kompanie vor. Es blitzte in den Augen des Hauptmannes, der zu ihm aufsah. Er lauschte jedem einzelnen Wort, bis seine Aufmerksamkeit nach hinten gelenkt wurde. Prinz Vincent schob sein Pferd ein Stück vor und erhob nun seinerseits die Stimme. "Vince Grande, ebenfalls Soldat der 8. Kompanie, leichtes Fußvolk."
"Nebeth! Soldat Nebeth, achte Kompanie, leichtes Fußvolk", folgte Thebens Stimme und ihm darauf stellte sich Aleksander als Soldat Sander auf die gleiche Weise vor. Dem folgte ein Knarren von Rists Rüstungsteilen, die er sich hatte zurechtschieben müssen. Daraufhin hob der gealterte Hauptmann auch beide Brauen und noch ehe Rist etwas sagen konnte, stellte er fest: "Ihr seid keiner von uns."
"Nun ... nein, Herr. Söldner Rost. Richard Rost, keine Kompanie. Man hatte mich angeheuert und ich bin eher zufällig aufgesammelt worden."
"Verstehe", entgegnete Klavin. Er wandte sich um. Caleb konnte den Atem seiner Kameraden beinahe fühlen, wie sie alle vor Erleichterung tonlos aufseufzten. Doch noch war es nicht ausgestanden. Es konnte jederzeit noch etwas passieren. Sie alle mussten sich vorsehen!

"Soldaten der achten Kompanie!", rief der Hauptmann den Prinzen und seine Leute sogleich auf. Seine Hand ging einen Wink weit nach oben und er wandte sich auf dem Absatz um. Träge für einen Soldaten, aber seines Alters entsprechend angemessen. Man besaß als Veteran nun einmal nicht mehr die Wendigkeit eines frisch eingezogenen Grünschnabels, der sich erst noch die Hörner auf dem Schlachtfeld abstoßen musste. "Lasst euch in eine der Unterkünfte bringen. Die Bauern des Dorfes werden euch versorgen, eure Pferde kommen auf einer der Koppeln unter. Hauptmann Chivall! Ihr und Euer neuer Knappe begleitet mich zu meinem Tisch. Ich möchte hören, was Ihr zu sagen habt."
"Gewiss, Herr." Hector unterstellte sich dem Befehl des Älteren und sein erneuter Blick nach hinten zu Vincent zeugte davon, dass die Grandessaner es besser ebenfalls tun sollten. Er stieg von seinem Pferd, deutete Caleb an, es ihm gleich zu tun. Dann marschierte er auch schon Albert Klavin hinterher, der erneut den Unterstand ansteuert. Seine von Altersflecken gezeichneten Händen stützten sich flach auf das Holz, so dass sein Blick wiederholt der darauf ausgebreiteten Karte gelten konnte.
Zwei weitere Jorsaner, die am Tisch standen, wurden ihnen vorgestellt. Es waren Offiziere unter Klavins Befehl. Beide kannten die Prinzessin und waren an Hectors Bericht ebenso interessiert wie der Hauptmann. Mit betont distanzierter Ruhe, als wüsste er um den Sturm, den er heraufbeschwor, erteilte Hector Rapport. Er erzählte von dem Plan seiner Prinzessin, nach Troman zu ziehen und den vermissten Hauptmann Sterlyn einzufordern. Er erzählte vom Kampf zwischen Jorsanern und Grandessanern und vom Scheitern ihres Plans. Als er an der Stelle ankam, bei der Bodvika von Jorsan verletzt und gefangen genommen worden war, unterbrach er sich das erste Mal.
"Und?", setzte somit Albert Klavin nach. "Wie ging es weiter? Wurde sie hingerichtet?"
"Nein, Hauptmann", seufzte Hector. Sein Blick suchte Caleb, ehe er die Hand nach dem Burschen ausstreckte, um ihm über den Kopf zu streichen, so er es zuließ. "Dieser Junge hier war ebenfalls Gefangener der Grandessaner. Er hatte sich davonstehlen können und verhalf mir bei der Flucht. Als Dank erhielt er den Knappenrang. Auf unserem Weg zurück nach Jersa traf ich auf die anderen Soldaten. Wir erhielten Pferde und konnten einander etwas helfen."
Eine glatte Lüge, aber Albert schien sie zunächst abzukaufen. Trotzdem haftete sein erfahren alter Blick für Momente auf Caleb. Er drohte, ihn allein mit diesen strengen Augen in den Boden zu rammen. Schließlich ließ er von ihm ab, widmete sich wieder der Karte. "Wann ist diese ... Verwandlung geschehen, Soldat?" Er sprach Caleb direkt an. Hectors Finger zuckten. "Antworte dem Hauptmann, Junge", forderte er.
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Mittwoch 4. Juni 2014, 21:26

Mit zittrigen Händen, die Caleb um das Leder der Zügel gekrampft hatte um sie still zu halten, erwartet er die Reaktion des Hauptmannes. Es verlangte ihm größte Kontrolle ab, nicht den Speichel hinunter zu schlucken, der sich in seinem Mund angesammelt hatte, da er glaubte es würde als verräterische Geste aufgefasst werden. Erst als sein Prinz den von Caleb gesäten Hinweis aufnahm und wässerte und Theben und der Rest der Hand ihn zum blühen brachten vergönnten sie dem Jungen sich zu entspannen.
Dennoch. Vince Grande? Der Prinz konnte sich selbst in so einer Situation nicht vollständig von seiner Treue zum Land Grandessa trennen und Caleb musste darüber lächeln. Er selbst hatte seine Namen der Nostalgie halber gewählt; und weil es einfacher war zu lügen wenn man wenigstens die halbe Wahrheit preisgab.
Lügen war etwas mit den Caleb Schläge und Tritte verband. Ja sogar Tod, sollte es ein Schlimme sein. Dass er es fertig brachte ohne den Kopf ruckartig einzuziehen in der plötzlichen Angst geschlagen zu werden, wunderte ihn nur am Rande seines Bewusstsein.
Rist hatte eine gute Ausrede gefunden, an seine Größe hätte sich jeder erinnert. Ebenso verhielt es sich mit Calebs Katzenhaftigkeit. Er hatte den Ritt über Zeit gehabt sich Gedanken darüber zu machen wie er seine Verwandlung erklären sollte, wenn ihn jemand fragte. Ob man ihm die Lösung, die er dafür meinte gefunden zu haben, abkaufen würde stand auf einem anderen Papier.
Der Hauptmann erhob erneut seine Stimme. Routine lag darin. Erfahrung. Er war es gewöhnt Befehle zu erteilen und dachte nicht lange darüber nach, was der nächste Schritt sein würde. Caleb beunruhigte diese Reife. Menschen wie er würden ihnen ihre Aufgabe, verdeckt zu bleiben, nur weiter erschweren. Er würde Fragen stellen. So viel war sicher.
Auf den Wink von Hektor hin stieg Caleb ebenfalls von Felix' Rücken. Gewöhnt war er darin immer noch nicht, aber der Katzenjunge war flexibel genug, es wie einen Vorgang aussehen zu lassen, den er beherrschte. Vielleicht hätte er sich über so etwas kleines keine Gedanken machen sollen, aber sein ganzer Kopf versuchte sich auf jede Geste zu konzentrieren, die ihn möglicherweise verraten könnte. Ein schlampiger Abstieg könnte den Hauptmann auf seine mickrige Ausbildung aufmerksam machen.
Leicht hinter Hektor gehend folgte er den beiden Hauptmännern zum Tisch, an dem Albert bis zu ihrer Ankunft noch gesessen und gegrübelt hatte. Zwei weitere Männer wurden ihnen vorgestellt. Caleb würde ihre Gesichter und Namen nie vergessen. Was ihn jedoch umso mehr interessierte, war die Karte. Es fühlte sich an, als würde ein mittelschweres Gewicht auf seiner Stirn lasten, während er sie ansah. Namen von Städten, Grenzlinien, Postierungen von Einheiten brannten sich in seinen Verstand ein. Sterlyn. War die Route oder Position des Generals irgendwo eingezeichnet? Welche nützlichen Information gab es hier zu sehen!?
Unweigerlich wandte Caleb den Blick wieder ab. Es sollte nicht so wirken als hätte er gestarrt. Seine Augen hatte sich höchstens einige Sekunden an das Pergament geheftet. Caleb erinnerte sich an Aleksanders Worte: "Du würdest dich in dem Fall ideal als Spion eignen. Wir könnten dich bei den Jorsanern einschleusen, jetzt da die Prinzessin in unserem Lager ist."
Wahrscheinlich nicht ganz was Aleksander im Sinn hatte, und doch stand Caleb nun hier und lauschte dem Rapport eine feindlichen Offiziers, den er seinen Mentor nannte.
Die Reaktion Hauptmann Klavins ließ Caleb ein wenig schaudern. Wie er sofort vermutete, dass die Prinzessin hingerichtet worden war. Wie er kaum die Miene verzog. Der Krieg dauerte schon zu lange.
Hektor antwortete, indem er der Frage großzügig auswich. Er konnte schlecht enthüllen, dass sich der Prinz in Troman befunden hatte und auf seinen Befehl hin die Prinzessin verschont worden war. Stattdessen erzählte von Calebs angeblicher Heldentat. Der Katzenjunge ließ sich über den Kopf wuscheln, schaute sogar auf und lächelte Hektor zu. Merkwürdig, wie er sich in dieser Situation kaum sicher war, wie viel gespielt und wie viel ehrlich war.
Albert war jedoch nicht zufrieden. Er fasste Caleb ins Visier und stellte dir Frage, welche der ehemalige Diener schon erwartet hatte. Überraschender Weise verkrampfte sich sein Körper nicht wie zuvor bei der Vorstellung. Er hatte diese Geschichte schon oft in seinem Kopf widerholt und versucht Wege zu finden sie glaubwürdiger wirken zu lassen.
Caleb verlor sein Lächeln. Seine Miene verzog sich etwas, der Diener stellte sich insgeheim den Geruch von verbranntem oder verdorbenem Essen vor, um eine halbwegs ehrliche Reaktion hervorzurufen. "Ich will nicht darüber-", er stockte. Seine Augen trafen Alberts starren Blick und Hektors Befehl ließ ihn dann doch zusammenzucken.
"Jawohl, Hauptmann."
Er atmete demonstrativ durch.
"Nachdem ich gefangen genommen wurde hat man begonnen an mir zu...experimentieren.", erklärte er zögernd, seine Hände ballten sich zu Fäusten. Die Geschichte, die er sich ausgedacht hatte, war ungeheuerlich.
"Sie haben eine Katze dazu gebracht, mich zu beißen. Anscheinend wussten sie bereits, dass sie einen Virus in sich trug, der mich verwandeln würde. Es hat schrecklich weh getan."
Während des letzten Satzes zitterte seine Stimme wirklich etwas. Dieser Teil war nicht gelogen. Danach hob er den Kopf und sah dem Hauptmann wieder in die Augen. Flüsterte:
"Und ich war nicht allein. Es gab mehrere. Ich glaube sie versuchen die perfekte Dosis zu finden. Bei mir hat es nicht wirklich geklappt. Außerdem..."
Dieses Mal nahm er sich mehr Zeit. Tat so, als müsste er sich überwinden.
"Da war ein Dunkelelf. Er schien die ganze Sache zu leiten. So hab ich erfahren, dass der König sich mit ihnen verbündet hat.", und wieder war es einfacher zu lügen wenn es wenigstens die halbe Wahrheit war.
"Ich war vielleicht nicht das beste Ergebnis, aber es hat mir geholfen, mich zu befreien.", endete er seine Geschichte, "Mit der Kleidung eines Feldarztes, die ich mir in Troman besorgt habe, bin ich durch fast jede Wache gekommen. Den Rest wisst ihr bereits."
Am Ende seiner Ausführung senkte er wieder den Blick. Seine Hände immer noch geballt. Nun konnte er nur noch hoffen, dass man ihm glaubte.

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Soldat/in » Samstag 28. Juni 2014, 16:13

Die Karte bot einen interessanten Einblick auf die Sicht aus jorsanischer Perspektive und auch, wenn Caleb nur kurz darauf schaute, würde sein Gedächtnis ihm einige eklatante Gegebenheiten für immer zugängig machen. So behielt er mich Sicherheit die kleine Reiterfigur in Erinnerung, die ein Krönchen trug und von einigen zu Fuß gehenden Soldatenfiguren umgeben war. Ebenso konnte er flache Marken auf der halben Karte verteilt sehen, vor allem an den Grenzen zum grandessanischen Reich. Sie zeigten Zahlen und waren entweder mit gekreuzten Schwertern oder Schilden markiert. Vermutlich waren es Markierungen für vor Ort befindliche Streitkräfte Jorsans. Die Zahlen mussten die Größe angeben und die Symbole ließen auf offensive und defensive Gruppen schließen. Viele mit gekreuzten Schwertern umringten Troman von jorsanischer Seite aus. Sie waren blau. Es gab aber auch rote Marken, die vor allem auf dem grandessarischen Kartenteil abgelegt worden waren. Es bestand kein Zweifel, dass sich Albert Klavin hier Informationen über die derzeitigen Kriegsverhältnisse abgebildet hatte. Vermutlich waren die beiden Offiziere in seiner Nähe für Rapporte an den Tisch heran getreten oder sie hatten bis zur Ankunft Hectors Kriegstaktiken besprochen. Jetzt schwiegen sie, musterten Hector und seinen neuen Knappen, dessen Schmulen zur Karte gerade noch reichte, um auch eine Linie aufgestellter Fähnchen im Gedächtnis zu behalten. Sie entsprangen bei Jersa und führten bis nach Troman, von wo aus mehrere Fähnchenfiguren in alle Richtungen abzweigten ... Sterlyns Route?

Calebs Aufmerksamkeit wurde auf Hauptmann Klavin gerichtet. Der Veteran stellte ihm die Frage nach seinem Katzendasein. Irgendwann musste ja einmal jemand ihn darauf ansprechen. Dass weder Prinz Vincent noch seine getreuen Gefährten es so direkt getan hatten, darüber konnte man schon staunen. Aber sie waren Marlin gewöhnt gewesen. Weiß, mit roten Augen. Nur Ohren und Schweif hatten gefehlt und war er für die Hand der Prinzenkrone nicht ein Ersatz für ihren verlorenen Sanitäter gewesen?
Hector legte Caleb seine Pranke auf die Schulter. Er drückte leichte zu, ermutigend zu sprechen. Er klopfte noch zweimal nach, als Caleb seiner Aufforderung endlich Folge leistete. Hauptmann Klavin war diese Reaktion nicht entgangen. Das sah man an den Brauen, die sich dicht zusammenschoben und dem kurzen Blick, der den Soldaten Chivall streifte. Dann aber lauschte der Ältere Calebs Ausführungen. Er selbst verzog keine Miene. Nur Hector musterte seinen Knappen nachdenklich. Wieviel von seiner Geschichte könnte einer Wahrheit entspringen? Die Augen ruhten auf den Katzenohren.
"Experimente mit verseuchten Katzen", fasste der alte Hauptmann schließlich zusammen. Sein harter Blick durchbohrte Caleb. Sicherlich führte er in seinem jetzigen Alter noch selbst Verhöre durch. Quälende Fragen bei Kriegsgefangenen, bis diese aufgaben. Allein sein Blick konnte dazu ermutigen, aufzugeben. Man wollte sich unter ihm nur ducken und in ein Mauseloch verkriechen. "Wozu sie laufende ... Katzen brauchen weißt du nicht, Knappe?" Er wartete einen Moment, seufzte dann und wandte sich ab. Die Hände verschränkten sich im Steiß, während Klavin einige Schritte schlenderte. Schließlich hob er die Schultern, dass seine Rüstung mehr knarrte als das alte Knochengerüst, das diesen Mann zusammenhielt. "Zumindest wissen wir, dass sich der Feind mit den Dunkelelfen verbündet hat. Die Ahnung war da, als einige dieser Geschöpfe an der Grenze gesichtet worden sind. Nun habe ich von drei Seiten die Bestätigung. Das macht die Lage nicht gerade einfacher." Er straffte die Haltung, als einer der Offiziere mit den Zähnen knirschte.
"Hauptmann, glaubt Ihr, sie überrennen uns?"
Klavin gab einen unschlüssigen Laut von sich. "Grandessaner und Dunkelelfen ... dieser geballten Masse einer Armee könnten wir nicht standhalten. Und wir werden es als erste erfahren, wenn sie sich dazu entschließen, in einen Eroberungszug gegen Jorsan zu ziehen." Nach diesen Worten folgte Schweigen. In der Zeit hatte sich der Griff auf Calebs Schulter nur noch mehr verstärkt. Hector Chivall legte eine bitterernste Miene auf. Offenbar wühlte er gerade ähnliche Gedanken wie Albert Klavin. Jorsan wäre dem Untergang geweiht ... als wäre die Nachricht der kriegsgefangenen Prinzessin für dieses Königreich noch nicht genug.
"Danke für Euren Rapport, Hauptmann Chivall. Ihr erhaltet Zeit, Euch zu schonen. Bildet Euren Knappen aus und legt Euch zeitig zu Bett. Wir werden jede Hand brauchen, ob sie nun ein Schwert schwingt oder dem Ruf der Sanitäter folgen wird."
"Jawohl, Hauptmann." Chivall löste seine Pranke, um ihm zu salutieren. Albert Klavin sah es nicht, doch es bestand kein Zweifel darin, dass er die Geste erwartet hatte. Hector nickte Caleb zu und wandte sich ab. "Komm mit, Junge." Er verließ das Zelt. So viel würde der Hybrid vorerst nicht von den jorsanischen Plänen mitbekommen. Vermutlich wurden diese nun aber ohnehin über den Haufen geworfen, angesichts der schlechten Nachrichten. Hector zog Caleb mit zu einigen Zelten. Er kannte sich hier aus, war wohl nicht das erste Mal in Jersa. Auf Vincent und die anderen trafen sie jedoch zunächst nicht. Stattdessen erreichten die beiden einen von einem niedrigen Zaun umgrenzten Übungsplatz. Dort kämpften einige Rekruten in wattierten Waffenröcken gegen Strohpuppen oder in voller Rüstung gegeneinander.
"Du kannst mit diesen Dolchen umgehen?", fragte Hector und deutete auf die Klingen an Calebs Gürtel. "Lass mal sehen, was du beherrschst. Die Strohpuppe dort ist dein Feind, sagen wir ... ein Gra... ein Dunkelelf." Offenbar wollte Hector ihm nicht einmal jetzt aufbürden, gegen seinesgleichen zu kämpfen, selbst wenn es nur fiktive Gegner waren.
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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Caleb » Donnerstag 3. Juli 2014, 23:29

Das neu erworbene Wissen um die Stellungen und Linien der jorsanischen Armee schob Caleb vorerst zur Seite. Es würde keinen Sinn machen zu versuchen die Symbole und Bezeichnungen zu verstehen, wo er doch selbst nur spekulieren konnte. Der Prinz und die Hand der Krone würden sich einen besseren Reim darauf machen können und bis er sie wieder traf, brauchte er sich damit nicht zu beschäftigen. Dennoch beunruhigte ihn das Bild eines umzingelten Tromans. Es war nur zu hoffen, dass der Plan des Prinzen einen Strich durch die eventuellen Angriffspläne der Jorsaner machen konnte.
Selbst General Sterlyn konnte er auf der Karte nicht ohne Zweifel identifizieren.
Als ob Caleb Zeit dazu gehabt hätte. Die eiskalten Augen Hauptmann Klavins schienen ihn ersticken zu wollen. Da war keine aufrichtige Neugierde, kein Funken Interesse. Sein Blick war berechnend, starr, prüfend. Dem Katzenjungen fiel erst kurz nachdem er einen Weile zurück gestarrt hatte auf, dass es ihn einschüchtern sollte, und er senkte den Kopf. Er war diesen Blick gewohnt. Von Aufsehern, von Wachen, von Adeligen, ja sogar vom König. Hier, in dieser Umgebung, dieser Situation, die ihm so neu und fremd vorkam hatte es einen Moment gedauert, bis er sich daran erinnerte. Wie er zu reagieren hatte. Den Kopf senken. Wie ein Diener.
Auf die nächste Frage des Hauptmanns antwortete er nicht, schüttelte lediglich den Kopf und kniff die Lippen zusammen. Ließ die Schultern zucken. Eigentlich hatte er sich überlegt ihm zu erzählen, dass die Dunkelelfen wohl übermenschliche Soldaten züchten wollten. Immerhin war er selbst auch schneller und wendiger als vorher, nebst anderen Vorteilen. Aber vielleicht war es gut so, dass er es nicht gleich vorgetragen hatte. Dann hätte es eventuell doch zu gespielt, zu auswendig gelernt geklungen. Bis jetzt schien man ihm seine Geschichte zu glauben.
Selbst Hector hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und Caleb schenkte ihm einen schnellen Seitenblick, lächelte leicht. War das echtes Mitleid, das Hector ihm entgegen brachte, oder spielten sie noch ihre Rollen? Es kam Caleb so merkwürdig vor, wie schmal der Grat zwischen Lüge und Wahrheit in seiner Geschichte gewesen war, und wie es die Realität auf so entfremdende Weise beeinflusst hatte. Es war...aufregend.
Sie wurden entlassen, nachdem die Luft mit düsteren Vorahnungen verunreinigt worden war. Man hatte es auf der Haut spüren können. In der Stille nach einer dunklen Prophezeiung war das Grollen deutlicher als je zuvor. Kriegstrommeln.
"Jawohl, Hauptmann.", stieß Hektor aus und salutierte, was ihm Caleb sofort gleich tat, wenn er auch stumm blieb. Er hatte genug gesagt. Jedes weitere Wort war gefährlich. Wäre nicht durchdacht. Jede Geste eine Verräterische. Der Junge war froh, Hauptmann Klavin hinter sich lassen zu können. Kurz nachdem sich Caleb sicher sein konnte, aus dem Sichtfeld des Mannes verschwunden zu sein, rutschte ihm die Luft aus der Lunge als hätte er seit einer Minute nicht mehr geatmet. Erst jetzt konnte er hören, sogar spüren, wie sein Herz gegen seinen Brustkorb hämmerte. Die Rechte fuhr zu der Stelle, auch wenn es keiner Hilfe benötigte um das Lebensorgan in seinem Körper zu halten. In seinem Kopf jedoch war es äußerst hilfreich.
"Geschafft...", hauchte der Katzenjunge aus und beruhigten sich wieder. Seine Schläfen begannen leicht zu drücken von den Abzweigungen und Häusern, die er sich zu merken hatte und schon war seine Aufmerksamkeit wieder im hier und jetzt.
Sie waren auf einem Übungsplatz. Hector gab ihm die ersten Anweisungen und Caleb musste schmunzeln. Nicht, weil sein Mentor sich nicht dazu durchringen konnte, die Strohpuppe als Grandessaner zu bezeichnen, den es zu töten galt. Es war Calebs Gedanken, der diesem Gestotter folgte. Er versuchte sich auszumalen, wen er sich vorstellen konnte. Wem er einen Dolch durch den Leib stoßen konnte. Einfach so.
Es gab niemanden. Kein Jorsaner, kein Dunkelelf. Kein Aufseher im Schloss, kein Adeliger.
Bei niemandem würde er sich über die Möglichkeit, sie zu töten, freuen. Keine Reue empfinden.
"Ich bin wirklich nicht gut darin. Theben hat mir genau eine Stunde geben können, bevor alles drunter und drüber ging. Zum Glück habe ich noch den Feldarzt Wappenrock...", murmelte Caleb leiser werden. Die alte Angewohnheit kehrte zurück, während er sich wieder selbst schlecht redete.
Mit wenig Selbstbewusstsein zog er die Dolche heraus und ging einige Schritte auf die Strohpuppe zu. Er konnte nur wenig Angriffsbewegungen, noch weniger Stellungen, in die er zurückfallen konnte.
Caleb nahm die Grundstellung ein, die Theben ihm gezeigt hatte. Schräg zum Ziel, leicht in der Hocke, Füße versetzt und die Dolche erhoben. Er sah Theben beinahe wie einen zweiten Körper um sich selbst herum schweben. Wie eine Form, in die er versuchte hinein zu passen. So gut hatte sich die Haltung in sein Gedächtnis eingeprägt. Es dauerte viel zu lange, bis er zufrieden mit sich war. Justierte an der Stellung seiner Beine und Hände noch ein wenig herum wobei der sandige Boden unter seinen Schuhen knirschte. Die echten Dolche waren schwerer als jene aus Holz und dies spürte er ebenso wie das ungewohnte Ziehen in den Oberschenkeln von der leichten Hocke.
Dann stieß er zu, von der Seite in die untere Magengegend. Zu seiner Überraschung tauchte die Spitze nur zu einem guten Drittel in den Strohmann ein.
"Hier müsste die Leber sein...", kommentierte er, während er sich zurückzog und wieder die Grundhaltung einnahm. Das war sein einziger Vorteil gewesen. Kenntnisse über die menschliche Anatomie. Wo er treffen musste, um lebenswichtige Organe zu beschädigen. Das nützte ihm wenig, wenn er nicht tief genug vordringen konnte.
Ein weiteres Mal stieß er zu, nun zwei Mal schnell hintereinander. Die Klingen seiner Dolche waren waagerecht ausgerichtet und er hatte auf den oberen Brustkorb gezielt. Einer hatte getroffen, der andere war wegen der zu schnell ausgeführten und ungewohnten Bewegung am Ziel vorbei gerutscht.
"So hätte ich eventuell eine Chance durch die Rippen an die Lunge zu kommen.", kommentierte er weiter. Nur leider hätte er hier bei so ziemlich jedem Soldaten mit der einfachsten Ausstattung wie einem Lederharnisch nur geringe Erfolgsaussichten.
"Alles was ich weiß ist theoretisch, um ehrlich zu sein..."

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Re: Wölfe im Schafspelz

Beitrag von Soldat/in » Samstag 19. Juli 2014, 13:08

Calebs gutes Gedächtnis würde sich noch als Segen für seinen Prinzen herausstellen. Denn jetzt, da er nicht mit einer Reizüberflutung an Informationen zu kämpfen hatte, konnte er sich die Linien, die Position der Figuren und die Flächen, welche die Landkarte preisgab, gut einprägen. Auch wenn er davon nichts verstand, es würde genügen, später ein Abbild davon wiederzugeben, um Vincent zu informieren. Welch vorteilhaften Spion Grandessa doch in die feindlichen Reihen geschleust hatte!
Wohlmöglich hätte Caleb noch weitaus mehr erfahren können, wenn Hauptmann Klavin ihn und Hector nun nicht entlassen hätte. Beide durften sich frei bewegen, dies hieß allerdings auch, dass sie sich außer Reichweite des alten Veteranen, seines Zeltes und der Pläne bezüglich des Feindes zu machen hatten. Hector gab Schritt und Ziel an und Caleb musste folgen. Er war der Knappe. Es war ihm wohl erlaubt, sich mit dem Soldaten zu unterhalten, doch er nahm wieder mehr und mehr eine passive Rolle ein. Ein Knappe hatte lediglich Bedürfnisse im Sinn seiner Ausbildung zu nennen, sich aber sonst nicht an den Entscheidungen des Mannes zu beteiligen, der ihn ausbildete. So musste er mit ihm zu den Übungspuppen aus Stroh im Kampfrund gehen. Dorthin, wo auch andere Soldaten trainierten. Jorsanische Soldaten.
"Ruhig", raunte Hector ihm zu, behielt die Hand auf der Schulter des Katzenjungen und drückte einmal etwas fester zu. Auch wenn sich beide nicht mehr in unmittelbarer Nähe des Hauptmanns von Jersa befanden, waren sie nicht außer Gefahr, in ihrem intriganten Versteckspiel aufzufliegen. Caleb durfte sich keinen Moment der Unachtsamkeit gönnen ... und hatte es eben doch getan. Noch könnte er herunterspielen, dass es die Aufregung war, überhaupt vor Klavin hatte stehen und Rapport erstatten zu dürfen, doch künftig würde er nur umso vorsichtiger agieren müssen. Hector hielt einige neugierige Blicke von dem Jungen ab. "Hybridvirus", brummte der Soldat seinen Kameraden zu, weil diese durchaus schon ihr Training unterbrachen und herüber glotzten. Auf die Antwort hin gafften ein paar noch länger, aber dann brüllte jemand den "Faulen" etwas zu und sofort machten sie mit ihren Übungen weiter.

"Du meinst Nebeth." Schon wieder eine Unachtsamkeit. Caleb durfte sich keine Blöße geben! Zum Glück sprach er immer leiser, dass vermutlich nur noch Hector ihn hören konnte, aber das allein genügte. Ein falscher Moment, ein falsches Wort zur falschen Zeit und der Plan könnte zunichte sein. Ob sich besagter Theben oder die übrigen aus der Hand der Prinzenkrone klüger anstellten? "Zeig mir, was du gelernt hast", setzte Hector nochmal nach. Er lehnte sich an den Zaun, der das Übungsrund vom übrigen Kasernenbereich des Dorfes abgrenzte, verschränkte die Arme und beobachtete Caleb aufmerksam. Der Dolch war sicherlich keine Waffe für einen Mann seines Formats, aber so wie Hector ihn musterte, wusste er, damit umzugehen.
Was er in jedem Fall kundig beherrschen musste, war die Grundhaltung. Er zog die Brauen zwar zusammen, nickte nach einer Weile aber auch. "Junge", rief er Caleb zu, nachdem dieser seinen Doppelstich hinter sich gebracht hatte. Hector lockerte die Armverschränkung. Mit dem rechten Zeigefinger tippte er sich an die Stirn. "Du musst weniger denken und mehr handeln. Die Grundstellung muss so in dich übergehen wie das Atmen. Du machst sie einfach, so dass du dich auf sein Überleben oder das Töten des Feindes konzentrieren kannst. Andernfalls hat man dir den Bauch aufgeschlitzt, bis du deine Füße geordnet hast." Nach einer Pause fragte der Soldat, aus reinem Interesse wie es schien. "Machen der Schwanz und die Ohren da eigentlich Probleme?"
Plötzlich pfiff er. Dann winkte Hector. Es galt einem Soldaten in wattiertem Waffenrock, der seinerseits bisher an einer Puppe trainiert hatte. Er war mit einem einfachen Kurzschwert ausgestattet, ohne Schild. Konzentriert beendete er den letzten erlernten und eher einseitigen Schlagabtausch, da die Strohpuppe nicht kontern konnte. Dann kehrte er in seine Grundhaltung zurück, senkte die Waffe und blickte schließlich fragend zu Chivall. Er brauchte nicht lange, um dessen Rang anhand der Rüstung sofort zu erkennen. "Hauptmann?"
"Üb ein wenig mit meinem Knappen, Soldat."
Jawohl, Hauptmann!"
Der Jorsaner trat an Caleb heran. Er musterte ihn. Sofort fielen Blicke auf die Katzenohren, die roten Augen udn natürlich den Schopf. Er blinzelte kurz, erinnerte sich seiner Pflicht und deutete Caleb einen eher lapidaren Salut an. Dann deutete er mit dem Schwert mehr ins Kampfrund, so dass Strohpuppen und andere Trainierende nicht stören würden. "Lass uns dorthin. Bin gespannt, ob du mit den Dolchen überhaupt triffst."
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