Für einen Moment starrte Caleb entgeistert zum Prinzen hinauf, als dieser sich weigerte ihm den Weg zu weisen. Auch wenn ein Prinz seinem Diener keine Antworten auf irgendeine Frage schuldig war, überraschte es den kleinen Katzenjungen dennoch. Die Auflösung des Ganzen, das der Prinz immer noch darauf beharrte, dass Caleb ihm beim Vornamen nannte, ohne Titel, ließ den Jungen leicht lächelnd den Kopf senken.
"Es ist schwer für mich...", flüsterte er mehr zu sich. Dann hob sein Prinz doch den Arm und beschrieb ihm den Weg. Die Bemerkung, dass er ihn ein einer Stunde zurück erwartete, kam stattdessen unerwartet. Caleb hatte nicht damit gerechnet, dass der Prinz auf seinen Rapport verzichten und dem Wunsch, ein Pferd zu besuchen, Vorrang lassen würde. Für einen Moment überlegte Caleb noch, ob er sich dagegen entscheiden, und dem Prinzen vorerst in die Wachstube folgen sollte, dann aber spürte er ein merkwürdiges Zerren an seiner Hand.
Kinderfinger. Sein junges Ich sah ihn mit großen Augen an und wollte ihn zu den Stallungen ziehen.
Da klopfte ihm der Prinz auf die Schulter, gerade so als würde er den Wunsch bestätigen. Der Ruf von Theben ließ seine Aufmerksamkeit daraufhin abschweifen. Auch Caleb hob vorsichtig die Hand zum Gruß, aber der Schütze war vorerst so auf Vincent fokussiert, dass er es nicht zu sehen schien und der Junge senkte die Hand wieder ruckartig und teilweise peinlich berührt, drehte sich um und ging in die ihm gewiesene Richtung.
Mit seinen Katzenohren hörte er Theben den Prinzen noch fragen, wo sein Diener hinwollte, aber schon die Antwort seines Herrn bekam er nicht mehr mit, da verschwand er in dem schmalen Pfad zwischen den Baracken und tauchte in Dunkelheit.
Es machte ihm nichts aus, seine Augen schienen sich nach diesem langen Tag beinahe zu erfrischen, als sie durch die dämmrige Nacht spähten, wo kein Fackellicht den Umgebung erhellte. Er verlangsamte seinen Schritt sogar ein wenig. Blieb vor der nächsten Ecke stehen, wo es wieder heller wurde und spähte in den Quergang hinein. Niemand zu sehen, dann ging er weiter. Wo man auf der Hauptstraße Tromans noch so einiges Volk zu sehen bekam, war es hier stiller. Mal sah man ein Grüppchen Soldaten vor einer Baracke stehen und reden, lachen, aber selbst dies hielt sich in Grenzen. Tage her waren anstrengend. Wenn man hier eine Seele traf, dann war sie entweder auf dem Weg in ihr Bett, oder kam gerade von diesem und war auf dem Weg zum Dienst.
Caleb war dem nicht unvertraut. Das Dienerleben hatte so seine Parallelen mit dem der hiesigen Soldaten, auch wenn seine Waffe bis vor kurzem noch ein Besen gewesen war.
Die Stallung erwiesen sich wirklich als leicht zu finden. Die weitläufige Koppel daneben war nun einmal kaum zu übersehen. Der Stall war ein längliches Gebäude, dass eine gesamte Längsseite der eben genannten Koppel einnahm. In der Mitte befand sich ein großes Tor, und auch die viel kürzeren Stirnseiten besaßen große Flügeltüren, durch die sicher fünf Reiter nebeneinander gepasst hätten. Daneben gab dazu noch eine einfache Holztür, durch die auch einzelne Personen gehen konnte, ohne dabei die großen Flügel öffnen zu müssen.
Es war auch hier ruhig. Späher konnten zwar zu jeder Zeit eintreffen, genauso wie Boten, weshalb es sicher Personal in den Stallungen gab, aber ansonsten schien hier niemand zu sein.
Caleb betrat den Stall durch den Nebeleingang. Die Tür war nicht verriegelt, warum auch. Innen gab es nur eine Laterne, die an einer Halterung an der Wand hing. Unter ihr saß ein Stalljunge auf einem Stuhl und döste. Caleb hatte keineswegs vor ihn zu wecken, er würde Felix auch ohne ihn finden, doch als er an ihm vorbeilief, sprang der Junge erschrocken auf, starrte ihn an, verbeugte sich hastig und begann auf garmisch zu reden: "Oh, tut mir Leid, tut mir Leid, ich hab' nich geschlaf'n, was kann ich für Sie tun?"
Sie starrten sich einen Moment an. Der Stalljunge versuchte eine ernste Miene zu machen, während Caleb ihn nur verwirrt anstarrte. Der 'Junge' war mindestens genauso alt wie er, sogar ein Stück größer und bestimmt hätte man Caleb nicht mal gesehen, wenn er sich hinter ihn gestellt hätte.
Für den Diener des Prinzen dagegen war dies ein unglaublich merkwürdigen Augenblick. Noch nie war er von jemandem höflich angesprochen worden. Nie hatte jemand vor ihm Haltung angenommen oder sich auf eine niedrigere Stufe gestellt. Das war ein wirklich unangenehmes Gefühl und dieses riss ihn auch aus der Starre, die sie beide angenommen hatten.
"Keine Sorge, ich werd dich nicht verpetzen.", beschwichtigte Caleb den Anderen. Ein Außenstehender hielt das vielleicht für eine merkwürdige Antwort, aber der Katzenjunge hatte den Blick des Jungen nur zu gut verstanden. Angst vor einer Strafe war darin mitgeschwungen, eine unstete Aura war von dem Stalljungen ausgegangen und er selbst konnte ihn nur zu gut verstehen. Bei der Arbeit einzuschlafen, egal ob man nur für Stunden auf einem Stuhl sitzen musste, wurde mit Schlägen bestraft oder schlimmer. Je nachdem wer einen erwischte.
Die beiden Jungen hatten einen kurzen Moment des Verständnisses, als dem Anderen klar wurde, dass Caleb ihn verstanden hatte, ohne ein weiteres Wort mit ihm gewechselt zu haben. Die Haltung des Stalljungen veränderte sich und wurde entspannter.
"Du bist neu hier, wa!?"
"Woher weißt du das?"
"Dein Garmisch is'...n' bissl eigenartig. Außerdem wärst de mer sicher aufgefallen."
Seine Augen wanderten von seinen Augen zu den Katzenohren.
"Oh ja, die.", schnell zog Caleb die Kapuze über seinen Kopf. Betretenes Schweigen trat ein, als Caleb sich wieder in seine alte Rolle zurückversetzt fühlte.
"Un? Was willste nun hier?", fuhr der Stalljunge fort und stemmte die Fäuste in die Seiten. Seine Unterwürfigkeit war komplett verschwunden. Caleb wunderte der kaum, in seiner Gegenwart hatte sich noch nie jemand eingeschüchtert gefühlt.
"Ähm...ich suche nach dem Pferd, mit dem ich gestern hier eintraf. Ein Schimmel."
Der Junge machte plötzlich große Augen.
"Du bist aus der Hauptstadt? Hab gehört der Prinz ist mit nem Diener hier eingetroffen. Prächtige Pferde.", er ging voran, und Caleb folgte ihn in leichtem Abstand. Da ließ sich der Junge zurückfallen und ließ neben ihm weiter, "Du bist nicht zufällig jener Diener?"
"Eben jener.", antwortete Caleb schlecht hin. Was war daran schon etwas besonderes.
"Das is ja so beeindruckend. Du wohnst im Schloss. Muss toll sein in der Hauptstadt."
"Übertreib' mal nicht.", murmelte er verlegen. So was war ihm noch nie passiert.
"Warum hast du dich eben eigentlich verbeugt?", versuchte er stattdessen das Thema schnell zu wechseln.
"Du hat wirklich keine Ahnung, wa?", er deutete auf den Wappenrock, "Wenn de damit rumläufst, muss ein einfacher Stalljunge dir Respekt zollen."
Caleb zupfte kurz an dem schwarzen Stoff herum. Das war natürlich logisch, dennoch war ihm das nicht so offensichtlich vorgekommen. Alle, die er bisher getroffen hatte, waren ebenfalls Wappenträger gewesen, Soldaten und andere Feldärzte. Da war ihm das nicht aufgefallen.
Er feixte kurz, "Heißt das nicht du musst mich mit Mein Herr anreden?"
Der Junge stockte kurz in der Bewegung, dann kratzte er sich ertappt den Hinterkopf.
"Nunja, eigentlich schon. Du hast doch nichts-"
"Nein.", unterbrach ihn Caleb simple. Die Verbeugung von vorhin und das unterwürfige Gehabe waren ihm schon unangenehm genug gewesen. Ob der Prinz sich auch so fühlte, und deshalb wollte, dass man ihn mit nahmen ansprach? So wie Caleb sich gerade 'unter Dienern' befand und sich komisch vorkam, wenn es Rangunterschiede gab, so war es für den Prinzen sich auch unter den Soldaten. So klar wie jetzt war das Caleb bisher nicht gewesen. Er nahm sich vor, den Befehl des Prinzen, ihn beim Namen zu nennen, nun ernst zu nehmen.
Da fiel ihm auch gleich etwas anderes ein.
"Wie ist eigentlich dein Name?"
"Einfach Ben."
"Caleb."
Ben blieb stehen. Caleb auch und sein gegenüber streckte ihm die Hand aus. Er ergriff sie und die beiden lächelten einander an. Ein Pferd wieherte und Calebs Ohren zuckten herum. Er kannte dieses Wiehern und einige Boxen weiter entdeckte er Felix, der den Kopf über das Gatter hinauf auf den Gang gestreckt hatte und zu ihm schaute.
"Hab mir schon gedacht, dass das deiner ist.", bemerkte Ben, als sie die letzten Schritte gemeinsam gingen, "Das andere sah mehr nach'm Pferd für'n Prinzen aus."
Caleb legte die Hand auf Felix' Nüstern und der Hengst zog die Luft und den Geruch damit ein, dann strich der über den starken Hals des Tieres. "Er ist nicht meiner. Ich kann gar nicht mal richtig reiten. Man hat ihn mir gestern nur anvertraut, weil ich den Prinz hierher begleiten sollte."
"Hätt schwör'n könn'n ihr beiden kennt euch schon länger."
Auch Ben strich dem Pferd auf der anderen Seite über den Hals. Felix ließ es sich gefallen.
"Ich hoffe, dass ich ihn behalten darf, bis wir wieder in Grandea sind." Wann auch immer das sein wird., dachte Caleb.
"Wir der Prinz halb wieder aufbrechen?"
"Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.", antwortete Caleb wahrheitsgemäß, auch wenn er dabei so einiges verschwieg. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Prinz Troman als nächstes Richtung Grandea verlassen würde, standen sehr schlecht.
"Dann solltest du die Zeit nutzen und reiten lernen.", schlug Ben daraufhin grinsend vor.
Caleb sah ihn schräg von der Seite an, "Und du willst es mir beibringen, wa?"
Ben boxte ihm leicht in die Schulter, musste aber lachen. "Nein.", er fuhr Felix durch die Mähne und sah dabei dem Tier in die Augen. "Er wird es dir beibringen."
Darauf musste Caleb grinsen. "Wahrscheinlich."
Sie standen kurz schweigend beisammen. Das Schnauben von Felix war deutlich zu hören.
"Du kümmerst dich gut um ihn, oder?"
Ben schien beleidigt. "Natürlich! Ich bin der beste Stalljunge in ganz Troman."
"Sicherlich.", antwortete Caleb und bekam für seinen gemeinen Unterton wieder einen Boxschlag. Wieder auf die selbe Stelle. Er wollte eigentlich zurückboxen, aber Ben tat einfach einen Schritt nach hinten und wich aus.
"Wenn du vorhast mich zu schlagen, musste schon etwas mehr Schmackes dahinter legen.", spottete er gespielt, aber Caleb versuchte es nicht nochmal. Stattdessen wandte er sich an Felix. "Nächstes Mal bring ich dir was zu futtern mit."
"Gehst du schon?", Ben klang beinahe enttäuscht. Sicher hatte er noch ein paar einsame Stunden Dienst vor sich. Aber Calebs Tag war lang genug gewesen. Er wollte seinen Rapport abgeben und ins Bett.
"Der Prinz wartet auf mich."
"Oh, sicher."
Sie gingen gemeinsam nach vorn, wieder Seite an Seite. Es war eine überraschende Gleichberechtigung zwischen ihnen in dieser kurzen Zeit entstanden, ein starkes Gegenstück zu seinem Verhältnis mit dem Prinzen, bei dem er sich immer noch so fühlte, als würde eine breite Kluft zwischen ihnen liegen. Aber dafür hatte auch eine lebenslange Dienerschaft gesorgt. Ben dagegen hatte er gerade erst kennen gelernt.
"So zwischen Dienern. Oder Diener und Stalljunge. Ist der Prinz so wie alle sagen?"
"Was sagen denn alle?"
"Das er sich nicht wie ein Adliger verhält. Alle meinen, er wäre Teil der Soldaten." Ins Bens Augen glitzerte etwas. War es Bewunderung?
"Kann ich nicht widersprechen.", beschied Caleb, wenn ihm auch etwas auffiel. "Willst du auch Soldat werden?"
Ben wirkte ertappt. "Meh, das ist nicht zu einfach." Sie waren am Tor angekommen. "Das vielleicht für ein anderes Mal."
"Ok."
"Gute Nacht, mein Herr", Ben vollführte einen schlampigen Hofknicks.
"Schlaf nicht wieder bei der Arbeit ein.", ermahnte Caleb.
Dann trennten sich ihre Wege wieder. Der violette Streifen am Himmel war verschwunden und der Katzenjunge beeilte sich zurück zu kommen. Sicher war noch keine Stunde vergangen, aber er wollten den Prinzen auch nicht warten lassen. Dass er ihn überhaupt hatte gehen lassen, war schon ein echtes Zugeständnis gewesen.
In der Wachstube brannte Licht. Ob Rist kochte? Ob der Geruch von Eintopf bereits in der Luft lag. Caleb hoffte es. Dann trat er ein.