Ein Apfel mochte als vortrefflicher Einstieg in einen neuen Tag gelten, doch bis zum Mittag hin machte er nicht satt. So grummelte Nihils Magen unabkömmlich, kaum dass er die Essensgerüche seitens des Lagerplatzes aufnahm. Das Fleisch musste schon gut durch sein, denn es duftet einfach zu köstlich. Darunter mischten sich leichte Aromen von gebratenen Zwiebeln und Paprika. Jemand grillte eine ausgewogene Mahlzeit, die bis zum Abend den Hunger vertreiben würde.
Suki reckte den Kopf und schnupperte. Sie gab einen wehleidigen Laut von sich, der ihren Freund nicht nur aufforderte, sich zu beeilen, sondern ebenso verkündete, dass auch sie nun etwas zu Essen haben wollte. Lediglich Nihils Pferd zeigte keinen maßgeblichen Hunger. Es würde sich mit dem saftigen Gras und den wild wachsenden Kräutern zufrieden geben dürfen, während sein Reiter seine Mission erfüllte.
Gleich mehrere Gesichter wandten sich dem jungen Hymlianer zu, als dieser so offensichtlich auf die Gruppe zu kam. Die beiden Soldaten vor dem größten Zelt, legten zwar ihre Hände an die Griffe ihrer Waffen, doch zogen keine davon. Es war ein Signal für Nihil, nur keinen Fehlr zu begehen. Zugleich wollten sie verdeutlichen, dass sie ihn nicht sofort für einen Feind hielten. Trotzdem erkannte man an ihrer Haltung bereits die Vorsicht. Nihil sah keineswegs wie ein typischer Jorsaner aus. Die Kleidung seines Vaters war zu allgemein, zu wenig kulturell gehalten und noch dazu in dunklen Tönen. Das unterstrich seine friedlichen Absichten nicht gerade. Außerdem war er Hymlianer und kein Jorsaner. Sein Antlitz mochte von besonderer Schönheit sein, seinen eigenen Charme besitzen, aber er blieb optisch ein Fremder.
Nachdem er sich allerdings mit besonders höflichen Worten vorgestellt und seine Absichten erklärt hatte, trat einer der Magier aus den Reihen seiner Gefährten. Es handelte sich um den dicksten in der Runde. Der Mann hatte die Blütezeit seines Lebens hinter sich gelassen, denn erste weiße Strähnen zeigten sich an den Schläfen, als auch im fein gestutzten, blonden Bart. Das Haar war leicht gelockt, darüber sprangen jedem förmlich die vollen roten Wangen entgegen. Gleichermaßen darunter der Wanst, den er nur mit Mühe daran hindern konnte, ganz über den umgeschnallten Gürtel zu schwappen. Seine Gewänder betonten die Körperfülle nicht gerade vorteilhaft. Wie eine weißgoldene Sonne sah er aus, ein feister Lichtball an diesem sonst so düsteren Ort. Sein Gemüt schien von ähnlicher Heiterkeit gesegnet. Er lächelte als erster, die wulstigen Arme ausbreitend.
"Nun hört euch das an, werte Kollegen der Magie. Ein Lichtener! Da reisen wir seit Tagen und der erste Empfang kurz vor Ganda ist ein Kenner unserer Künste. Willkommen, willkommen, Herr De´val. Darf ich mich ebenso vorstellen?" Der rundliche Mann machte einer ausschweifende Handbewegung, bei deren Ende er sich zu verbeugen versuchte. Es misslang - zu seinem Glück, muss man sagen. Andernfalls wäre er wohl vornüber gekippt. "Nennt mich Philius Maximilian Trachtenberg, meines Zeichens Magister der hoch angesehenen und weithin als ruhmreich bekannten Akademie des Lichts zu Jorsa. Ich bin erster Magister unserer kleinen Reisegruppe und somit vorderster Sprecher, wenn Ihre Heiligkeit, die Gesandte des Lichts, nicht zugegen ist."
Die übrigen Magier, weitere fünf an der Zahl, winkten oder nickten Nihil grüßend zu. Einer von ihnen, vermutlich nicht viel älter als der Hymlianer selbst und mit rotblondem Lockenhaar, sowie einer Vielzahl an Sommersprossen im Gesicht, grinste ihm freundlich zu. Er erhob sogar die Stimme. Sie klang gebrochen, schwankte immer wieder zwischen einem dröhnenden Hoch und einem kratzigen Tief. "Mich dürft Ihr Felix Katzenbless nennen!"
Sofort ging ein Murmeln und Raunen durch die übrigen Mitglieder. Eine gestreng wirkende Magierin mit beinahe perlmuttweißer Haut, eisblauen Augen und Haaren, die zwar blond sein mochten, dennoch fast ins Weiße gingen, gab dem jungen Magier einen leichten Klaps auf den Hinterkopf - mit einem Fächer. Sogleich duckte Felix sich unter der Zurechtweisung und schwieg wieder.
"Wir hörten bereits, dass Graf Morcerf zu Ganda gleichnamiges Dorf verwaltet", fuhr der Magister Trachtenberg fort. "Eine Unterstützung ist nur sofern von Nöten, als dass wir eine Reisegelegenheit auf See benötigen. Unser Auftrag führt uns auf die beschauliche Insel Belfa und ..." Schon wurde der rundliche Magister unterbrochen.
Die Plane des bewachten Zeltes raschelte.
Dann trat ein Wesen heraus, schön wie Lysanthors Sonnenaufgang selbst. Zart war die junge Frau, beinahe noch ein Mädchen, die sich feengleich zwischen den Soldaten hindruch schlängelte. Jeder Schritt von ihr sprach von elfenhafter Eleganz, obgleich auch sie eine Jorsanerin zu sein schien. Sie wies keine spitzen Ohren auf und maß für eine Vertreterin ihres Volkes nicht einmal 1,70 Meter an Höhe. Das waren kleine Verhältnisse für Jorsan! Ein neugieriges Paar reinblauer Augen suchte die Umgebung ab. Wie klare Bergseen richtete es sich auf Nihil, wurde ebenso wie das übrige Gesicht vom Schimmer goldener Haare umflossen. Und das obwohl sie ihre Frisur bis auf wenige Strähnen kurz trägt, die ihr in die Stirn fallen. Ihr goldenes Gewand mochte Nihil an die feine Seide seiner Heimat erinnern. Sie musste frieren in dem dünnen Kleidchen. Da half auch der halb durchsichtige, weiße Seidenschal nichts, der nicht in der Lage war, das Lysanthoramulett um ihren Hals zu verbergen. Es schimmerte durch die seidene Pracht wie Sonnenstrahlen, die hinter den Wolken hervor lugten. Eine weitere winzige Sonne bildete der goldene Nasenstecker. Er passte zu ihrem Gesamtbild. Ansonsten trug die junge Frau nur noch einen einzelnen, aber prunkvoll ausschweifenden Ohrring mit goldenen Federn.
Mit fließenden Bewegungen trat sie näher. Die Magier verneigten sich vor ihr, auch der Magister Trachtenberg, der beinahe erneut nach vorn zu kippen drohte.
"Gesandte", grüßte er sie in klangvollem Garmisch und sie lächelte ihm scheu zu, erwiderte seine Verbeugung mit einem leichten Knicksen. Jenes erhielt auch Nihil, als sie sich an ihn wandte und ihn lange betrachtete. Dem hymlianischen Lichtmagier fiel somit noch eine Tätowierung auf ihrem linken Oberarm auf. Das Bildnis zeigte einen von Flammen umgebenen Magierstab. Außerdem trug die Gesandte ein lysanthorisches Gebetsbuch, sowie ein Siegel ihrer Heimat Jorsan am feinen Gürtel mit goldener Schnalle. Sie war ein zauberhaftes, ein erhabenes Wesen. Es fehlte nur noch ein Krönchen, um sie als Königin anzuerkennen, so wie sie vor Nihil stand. Ein Lächeln huschte über ihre Züge. Sie hatte Suki entdeckt.
"Nihil De´val, sagtet Ihr? Ich habe Euren Namen bereits im Zelt gehört. Es ist nett, Euch kennenzulernen. Wie ein Lichtmagier seht Ihr aber nicht aus", gluckste sie vergnügt. Dann wies sie zum Feuer und dem Grillrost. "Erweist uns die Ehre, uns Gesellschaft zu leisten. Und bitte, nennt mich K'iin Vaalea."
"Aber, aber!", mischte sich da Philius Maximilian Trachtenberg ein, den Zeigefinger erhoben. "Niemand sollte Euren heiligen Namen in den Mund nehmen. Ihr seid die Gesandte des Lichts, Kind. Vergesst das nicht."
K'iin entkam ein leises Seufzen. Sie schlug die blonden Wimpern nieder, errötete sacht und nickte. "Wie Ihr es wünscht, erster Magister. Ich werde es nicht mehr vergessen."