Als sie ausser Sichtweite des Dorfes waren, brachte Tarra ihr Pferd mit einem Satz zum Stehen. Kurz wurde etwas Frost aufgewirbelt und die Rothaarige hatte für Sekunden Mühe das Tier ruhig zu halten. Dann tänzelte das schwarze Pferd unruhig unter kurzer Leine. Erst nachdem Tarra ihren Hengst beruhigt hatte, widmete sie sich Starold’s Ausführungen. Sie hörte schweigend, aber nachdenklich zu, während sie hin und wieder den Kopf wog. “Was du sagst klingt im ersten Moment doch recht eigenartig, wenn ich nicht selber dabei gewesen wäre, aber mal ehrlich..“ Sie seufzte und glitt gekonnt von ihrem Tier. Von unten, blickte sie zu Starold hinauf: “Ich kenne dich überhaupt nicht, wir haben uns ‚zufällig‘ auf dem Weg in zwei völlig unterschiedliche Richtungen kennengelernt und plötzlich scheint es, dass unser beider Schicksal miteinander verwoben ist. Findest du das nicht eigenartig?“ sie machte ein genervtes Gesicht und zuckte die schmalen Schultern. “Weißt du, ich habe keine Ahnung, warum du dieses Pech anziehst und das mit deiner Familie tut mir ja auch echt leid, das ist schon schlimm, aber um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht was ich hier mache?!“ Ihre Worte waren nicht aufgebracht, nicht zornig oder verwirrt; Tarra sprach sachlich und klar aus, was sich jeder wohl in dieser Situation gedacht hätte. Das Problem dabei war nur, dass Starold, wenn sich Tarra nun tatsächlich dazu entschließen sollte, von jetzt an getrennte Wege zu gehen, auf sich alleine gestellt war.
Wäre das denn ein solch großes Problem? Vermutlich im ersten Moment, denn immerhin gab sie ihm eine Anlaufstelle, einen Punkt in seinem Leben, der noch Bestand hatte. Doch hatte er Tarra vielleicht einfach, ohne groß darüber nachzudenken, in sein Leben mit einbezogen? Er wusste gar nicht, was die Rothaarige vorgehabt hatte, bevor sie sich begegneten. Offenbar war sie auf dem Weg nach ‚irgendwohin‘ und er hatte ihre Pläne womöglich gründlich durchkreuzt.
“Jedenfalls finde ich, dass das hier alles in eine ganz üble Richtung geht. Wie gesagt, ich kenne dich gar nicht aber wenn du mich fragst, ob du jemanden töten könntest dann.. „ sie musste kurz prusten, als sie sich ein Lachen verkniff “…ist die Antwort nein. Das kannst du nicht. Erstens bist du absolut nicht der Typ dazu, zweitens warst du in schlechter Verfassung und drittens … Sagen wir, du besitzt nicht die Voraussetzungen, um soetwas zu tun. Glaub mir.“ Ihr Gesicht wurde bei dem letzten Satz düster und Schatten stahlen sich auf das feingezeichnete Gesicht. Sie blickte kurz in die Ferne, der Wind erfasste ihren Schopf, der nun, da er nicht mehr unter einer Mütze versteckt war, unbändig auf ihren Rücken fiel und dachte für eine Sekunde im Stillen nach. “Deine Sachen habe ich nicht, selbst meinen Wagen musste ich zurücklassen. Wir haben lediglich das, was wir am Leib tragen und mein Pferd. Gib dich damit zufrieden.“ Offenbar missfiel ihr die Tatsache, dass auch sie ihre Habe verloren hatte. Doch davon mal ganz abgesehen, hatte sie Starold bisher nicht zum Teufel gejagt. Waren ihre Schicksale doch miteinander verbunden? Gab es etwas, was sie verband, was dazu führte, dass sie immer wieder in die Situation gerieten, den anderen nicht ziehen zu lassen? Seltsam war es schon und Starold hatte keine Ahnung, wer Tarra nun eigentlich war. Lediglich ihre Art und ihre Herkunft und selbst das war doch ungewiss! Ihre seltsame Anspielung auf einen Mord, lag den Verdacht nahe, dass sich das Mädchen damit auskannte. Ihre reife und zugleich abgebrühte Art ließen sie in einem unbestimmten Licht erscheinen und doch war ihre pure Anwesenheit dennoch ein kleiner Halt, nicht wahr?
Nachdem eine kleine Pause entstanden war, in der Tarra schweigend und mit düsterem Gesicht in die Ferne starrte und Starold weiterhin auf dem Pferd saß, wandte sich der rothaarige Schopf um und nickte kaum merklich. “Ich habe keine Ahnung wieso, aber gut. Ich helfe dir. Aber eines muss ich klarstellen: Erstens ist der Arzt einfach nur von mir geschmiert worden, aber er hat seinen Job nicht gemacht- von dem hol‘ ich mir als erstes mein Geld zurück, und zweitens ist das das letzte Mal, dass ich dir helfe, klar?! Ich kann nicht ewig wegbleiben.“ harsch und knapp wie schon bekannt, tat Tarra ihre Meinung kund und verriet gleichzeitig ein wichtiges Detail in Sachen „Wer ist Tarra?“: Wo konnte sie nicht ewig wegbleiben?
Das zweite war: Der Arzt fiel aus der Kategorie potentieller Helfer heraus und konnte zu suspekt eingeordnet werden, denn wenn er nur geschmiert war, dann lag auch hier der Verdacht nahe, dass er es sich einfach anders überlegt hatte und nicht versucht hatte, Arkadius zu überzeugen. Vielleicht haben sie sich auch vor der Tür einfach nur Witze erzählt, während Starold um sein Leben fürchtete.
“Ach und drittens:“ meldete sich Tarra wieder “Wir haben für die Nacht keine Bleibe, wir haben nichts zu essen, nichts zu trinken, keine Münzen und keinen Plan. Die Aussichten sich bescheiden und nein…. Ich habe nicht immer einen Plan in der Tasche. Überleg dir mal selber was, es ist schließlich dein Arsch, den wir hier retten, oder?!“ Offenbar hatte die Aufzählung ihrer miserablen Situation dazu geführt, dass Tarra in Rage geraten war. Jedenfalls machte sie dem Bild, welches Starold von ihr hatte, wiedermal alle Ehre. Missmutig starrte das Mädchen auf die endlose Weite Grandessas und schlang die Arme um den Körper. Es wurde langsam empfindlich kühl, denn Wolken zogen auf und verwehrten der Sonne den Zutritt zur Erde. Der Wind frischte auf und ließ das schwarze Band, welches Tarra sich ins Haar gebunden hatte, tanzen. “Bevor wir uns, um deinen entzückenden Hintern kümmern, müssen wir uns einen Plan schmieden und das geht nur, wenn wir nicht an Frostbeulen draufgehen.“ Bei allem, was Starold vielleicht nicht wusste über das rothaarige Mädchen aus Grandessa, welches er zufällig getroffen hatte, eines war doch sicher: Sie war erfrischend natürlich und ihre verbalen Ausrutscher teilweise auch amüsant. Und war ihr etwa etwas an seinem – wie sie es nannte – entzückenden Hintern aufgefallen, dass sie das erwähnte? Wer wusste schon, was in ihrem Oberstübchen vorging.
Tarra griff nach den Zügeln des Tieres und dabei fielen wieder mal die schwarzen Handschuhe auf. Schwarze Handschuhe… hatte der Mörder nicht auch solche getragen? Oder war das Einbildung?
Bevor Tarra das Tier führen konnte, bewegte sich plötzlich etwas in Starold’s Augenwinkel. Etwa die Scharen aus dem Dorf, die gekommen waren, sie zu lynchen? Betrachtete Starold das ganze genauer, konnte er erkennen, dass sich, nicht weit von ihnen bei einer lichten Baumreihe etwas raschelnd über den Boden bewegte. Es war klein und zog etwas langes, schweres hinter sich her. Und blitzte da nicht etwas Rotes auf? Wenn Starold dem nachging, würde er bei der Baumreihe eine mehr als ungewöhnliche Entdeckung machen: Etwas Kleines hüpfte zwischen den Bäumen umher, schien nach etwas zu suchen und schnüffelte mit der Nase. Im Zwielicht der Bäume, konnte der Andunier nicht richtig ausmachen, was es war, doch dass es nichts Alltägliches war, dessen konnte er sich sicher sein.
Als das kleine Ding Starold gewahr wurde, blieb es vor Schreck stehen, überlegte eine Sekunde, schlug einen Haken und war im hohen Gras an dieser Stelle verschwunden. Kurz war noch so etwas wie ein verschlagenes Lachen zu hören, als der ganze Zauber auch schon wieder vorbei war. Doch als das kleine Etwas verschwunden war, beschwerte ein neuerliches Gefühl die Füße des jungen Anduniers: Das kleine Kerlchen hatte einen teuren, pechschwarzen, Mantel dagelassen, der zudem eine Kapuze hatte du sicherlich in frostigen Nächten warm halten würde. Welch seltsame Begebenheit…
Tarra stand skeptisch bei ihrem Pferd und hob eine Augenbraue: “He! Wir sollten uns wirklich was überlegen, wo wir schlafen können! Hast du eine Idee, wo wir ein Lager aufschlagen können, wenn du da fertig bist?!“
