Prinz Vincent und sein Diener Caleb brauchten die Haupstadt des Königreiches Grandessa nicht durch den Außenring zu verlassen. Jedenfalls nicht so, dass ihnen die Eindrücke und Zustände dieses Stadtteils bewusst hätten werden können. Man hatte vom Innenring ausgehend speziell eine Art Gang bis zur Stadtmauer legen lassen. Die Grandessarer sprachen allgemein vom Königspfad. Dieser gepflasterte Weg führte schnurstraks duch den Außenring bis an den Rand der Stadtmauer, so dass der König nur an der Kaserne vorbei und zum Tor durch den wirklichen Außenring Grandeas musste. Links und rechts des Königspfads säumten nämlich meterhohe Mauern den Weg, so dass man gerade einmal die Dächer der einfachen Häuser ausmachen konnte. Obwohl Caleb also in Grandea aufgewachsen war, bekam er auf diese Weise nur wenig vom Außenring mit.
Am Tor angelangt erwarteten postierte Wächter bereits Prinz und sein Ein-Mann-Gefolge. Man hatte ihn von den Aussichtstürmen neben dem gewaltigen Stadttor aus bereits kommen sehen. Die Wache wünschte ihnen einen angenehmen Ausritt. Prinz Vincent würdigte ihn eines Blickes. Dann zückte er einen Brief und befahl, diesen seinem Vater zukommen zu lassen - nicht jedoch vor Sonnenuntergang. Er wollte demnach auf alle Fälle sicherstellen, bereits weit von der Heimat fort zu sein. Offenbar stand nichts Angenehmes in dem Brief, aber Caleb hatte sich ja schon eigene Gedanken zu den Plänen seines Herrn gemacht.
Felix ließ sich gut reiten. Das Tier war sehr friedlich und schien genau zu wissen, wer da auf seinem breiten Rücken saß. Es machte beinahe den Anschein, dass es bewusst Unebenheiten des Bodens umging, um Caleb nicht unnötig zu strapazieren. Im leichten Trab wurde es zwar schon etwas holprig, aber wenigstens entschied sich der Prinz nicht zu einem noch schnelleren und weitaus wilderen Galopp.
So war jedoch das Schloss Grandeas, umgeben von der Linie aus Stadtmauer, noch immer hinter ihnen zu erkennen, als sie bereits einige Zeit geritten waren. Sie folgten einem von Karren ausgerollten Weg zwischen Feldern und an Höfen vorbei. Wo auch immer ein Bauer die Reiter entdeckte, erkannte man den Prinzen sofort und verneigte sich.
"Lang lebe Grandeas ganzer Stolz!"
"Gelobt sei das Königshaus!"
So grüßte man ihn, aber Vincent hatte nur verächtliches Schnauben dafür übrig. Er wusste, dass keine dieser loyalen Bekundungen allzu ernst gemeint sein konnte. Dem Königreich erging es unter der Herrschaft seines Vaters nicht allzu gut. Natürlich hätte er das niemals offen zugegeben. Den eigenen König machte man nicht schlecht, nicht einmal als Sohn. Er war da anders gestrickt. "Ich werde auf meine Weise dafür Sorge tragen, dass Grandessa neu erblüht." Die Worte waren nicht speziell an Caleb gerichtet. Der Prinz hatte ihn nicht einmal angesehen, aber das musste er auch nicht. Ihn begleitete schließlich nur ein Diener, ein Bursche.
Irgendwann richtete Vincent den Blick gen Himmel. Die Richtung stimmte. "Wir kommen zu langsam voran. Du wirst noch einen Zahn zulegen müssen." Wieder benutzte er eine vertrautere Anrede, vermutlich weil außer Caleb und den Pferden niemand das Gespräch mitbekommen konnte. Plötzlich bremste der Prinz sein eigenes Tier ab. "Wir sollten dennoch eine Rast einlegen. Mir steht der Sinn danach zu prüfen, wie du mit dem Dolch umzugehen weißt. Du musst dich verteidigen können, je näher wir Troman kommen."