Trotz Calebs Erklärung verstand Madiha noch immer nicht so ganz, was hinter einem Dampfbad steckte. Der Dieb aber zeigte sich weiterhin nicht nur geduldig, er versuchte sogar, es ihr immer noch zu veranschaulichen.
"Du kennst die Sarmaer Badehäuser? Hm ... ja, so ähnlich könnte man sie wohl bezeichnen." Er schob eine Hand in den Nacken. Madiha kannte ihn lange genug, um die Zeichen zu deuten. Sie brauchte im Grunde nur die hauchzarte Rötung seiner Wangenknochen zu sehen, um zu wissen, dass Caleb im Gegensatz zu ihr niemals eines der Badehäuser von innen gesehen hatte. Er überspielte diesen Umstand auch schnell, indem er lieber von dem sprach, was er inzwischen kannte.
"Ein Dampfbad ist einfach ein großer Raum, in dem du in ... nun ... Dampf sitzt. Stell es dir wie die Nebelbänke vor, durch die wir auf See gefahren sind. Es ist nur weitaus weniger ungemütlich und auch überhaupt nicht kalt. Im Gegenteil! In Dampfbädern soll man ja schwitzen. Und atmen! Es gibt so viele verschiedene Kräuteressenzen, Madi, du wirst staunen, wenn wir zwei da erst einmal drin hocken. Es duftet so herrlich!" Vor lauter Begeisterung achtete Caleb weder darauf, dass er seine Begleiterin nun zu einem gemeinsamen Dampfbad eingeladen hatte, noch darauf, dass sie beide darin nur mit Handtüchern bekleidet säßen und Madiha immer noch eine junge Frau war. Sie und Caleb mochten sich inzwischen in einer Beziehung sehen, aber rein körperlich waren sie noch nicht weit gekommen. Wieviel der Dieb wohl schon von Dunia gesehen haben mochte und ob er deshalb unbedingt mit Corax sprechen wollte?
Ehe düstere Gedanken aufkommen könnten, die die sarmaer Heilkundige überhaupt nicht verdient hatte, eilte Madiha sich mit dem Umziehen. Nur als der Dieb dabei war, da ließ sie sich Zeit, immer wieder zu ihm hinzuschauen. Dass sie dabei offensichtlich von Kjetell'o beobachtet worden war, war ihr durchaus unangenehm. Dass der Elf selbst in Serpentis' Aufmachung so lautlos hatte den Raum betreten können, fiel dabei vollkommen unter den Tisch. Kein Wunder, er hatte einiges zu erzählen, wenngleich er sich in manchen Dingen nach wie vor bedeckt hielt. Bei einigen Themengebieten musste aber selbst Kjetell'o kapitulieren. Als Madiha nämlich bezüglich der Seelenopfer nachhakte, konnte er nur mit den Schultern zucken. "Ich wünschte, mein Mentor wäre hier", seufzte er. "Der Gute hat die celcianischen Götter wesentlich mehr Jahrzehnte studiert als ich." Ein Schmunzeln huschte über die Züge der Feuerhexe, was sie bisweilen tatsächlich auf ihre exotische Art und Weise attraktiv erscheinen ließ. Wäre Serpentis Mortis im Herzen nicht so abgrundtief schlecht gewesen, man hätte zumindest nachvollziehen können, warum Corax sich ihr zugewandt hatte. Es ließ sich nicht abstreiten, dass sie eine eigene Form von Schönheit besaß - streng, dominant, dadurch aber auch anziehend für jene, die sich leiten lassen wollten. Genau das strahlte Kjetell'o in ihrer Aufmachung ebenfalls aus. Als Serpentis zeigte er mehr Präsenz denn in seiner eigenen Gestalt. Da wirkte er eher wie eine Randerscheinung, die nur durch Zufall an den großen Ereignissen der Geschichte teilnahm. In Gestalt der Dunkelelfe aber erhob er sich aus diesem Schattendasein und trat für Madiha ins Rampenlicht des Geschehens.
"Wieso nimmt sie diese denn erst, wenn sie ihr die doch wiedergeben will?" fragte Madiha erneut nach Venthas Motiven. Kjetell'o lächelte mit den vollen Lippen der Feuerhexe. "Du bist so unglaublich neugierig", säuselte sie, dass es einem eine Gänsehaut verursachen konnte. "Ich wünschte wirklich, ich könnte deinen Hunger stillen, aber vielleicht gelingt es mir ja in Bezug auf deine eigenen Fähigkeiten."
Sofort kroch Unsicherheit zurück in die Glieder des Mädchens, nicht zuletzt ob des Scherzes des Elfen, den auch Caleb mehr als geschmacklos empfand. So schnell konnta Madiha gar nicht schauen, wie er sich schützend vor sie schob. Er zögerte nicht, sie zu verteidigen, so wie er nicht gezögert hatte, Azura in den Tod nachzuspringen oder Corax eine Ohrfeige zu verpassen ... oder Serpentis die Kehle aufzuschlitzen.
Kjetell'o beschwichtigte sofort und entschuldigte sich sogar. Wie schon bei Corax, der Madiha offenbart hatte, sich selbst zu verlieren, wenn er eine Illusion zu lang trug, schien auch Kjetell'o damit Probleme zu bekommen. Madiha und Caleb waren selbst eine Weile in Gestalt anderer umher gelaufen, aber das hatte insgesamt nur kurz angehalten. Der Elf wanderte schon mehrere Tage als Serpentis umher, hielt die Illusion aufrecht, dass die Feuerhexe immer noch lebte. Wie viele Stunden am Tag trug er ihre Haut?
"Schon gut", murmelte Madiha, als er sich bei ihr entschuldigte. Caleb war es jedoch, der auf ihre Worte reagierte und zwar deutlich aufgebracht. "Es ist nicht gut! Damit macht man keine Witze. Mord ist ein schweres Vergehen." Er funkelte Kjetell'o an, der seinen grünblauen Blick ernst erwiderte. Schließlich nickte er. "Das wissen wir beide nur zu gut, Caleb." Damit hatte er ihn. Der Dieb zuckte und seine Augen, sowie die Hand fuhren hinunter, um sich auf den Einhorndolch zu legen. Kjetell'o beobachtete die Reaktion genau. Anschließend wandte er sich an Madiha. "Verzeih mir", wiederholte er. "Und begleite mich, bitte. Es wird Zeit ... für so vieles."
Gemeinsam verließen sie den Schlafraum, den Sarmaerin und Andunierin sich eine Woche lang geteilt hatten. Caleb kam ebenfalls mit, denn ihr Weg war gleich. Sie alle wollten zu Corax und Azura. Unterwegs kam der Elf erneut auf Madihas feuermagische Kräfte zu sprechen. Er sah deutlich mehr in dem Mädchen als sie selbst, sprach von Potenzial und seinem Wunsch, es fördern zu wollen. Madiha hingegen hielt das alles erneut für einen Scherz und er war nicht besser als sein Schalk, sie umbringen zu wollen.
"Ihr ... Ihr macht Euch lustig über mich!"
"Mitnichten! Ich meine sehr ernst, was ich sage. Jedenfalls jetzt." Golde Sprenkel in tiefgrünen Wäldern flackerten zu Caleb hinüber, der von den dreien das Schlusslicht bildete. Beide Männer tauschten knappe Blicke aus. Dann kehrte Kjetell'os Fokus auf Madiha zurück. Er zeigte ihr, dass Feuermagie nicht nur verheerend war und auch ihren Anwender nicht verletzen konnte, wenn man wusste mit ihr umzugehen. Die tanzende Flamme und die Verheißung, ein magisches Feuerwerk sehen zu können, lockten die Sarmaerin wieder ein wenig aus ihrem Schneckenhaus.
"Meint Ihr denn wirklich, dass ich dazu in der Lage bin? Bisher ... war das alles wenig erfolgreich." Mit einem Gefühl von Scham brachte sie die Geschichte auf der
Blauen Möwe an, als auf dem Dielenholz der Kajüte einen Halbkreis verbrannten Holzes geschaffen und ihre eigenen Handflächen schwer verkohlt hatte. Kjetell'o schien von ihren Erzählungen nicht überrascht. Er klärte den Grund dafür schnell auf, als er sagte: "Der Leidträger sieht das anders. Du hast ihm das Leben gerettet und dich später seiner Seele angenommen. Er wäre nicht zu dem geworden, was er jetzt ist, ohne dich. Das würde ich durchaus einen Erfolg nennen."
"Du nennst ihn Leidträger", warf Caleb von hinten ein und erneut huschte ein Lächeln über das illusionäre Gesicht der Dunkelelfe.
"Er ist noch nicht im Gleichgewicht, aber er lernt", erwiderte Kjetell'o, ging aber nicht weiter darauf ein, was Caleb mürrisch aufbrummen ließ. Da er sich mit Magie aber ohnehin nicht auskannte, blieb er still. Vielmehr war er interessiert, was der andere noch zu Madihas Kräften zu sagen hatte. Sie zweifelte nach wie vor an sich selbst, wenngleich sie ihre Faszination für das Feuer wohl niemals würde aufgeben können. Das hatte sie erkannt. Es gehörte zu ihr, es war ein Teil von ihr.
"Was, wenn Ihr Euch irrt? Was, wenn ich es nicht lernen kann?"
Sie erreichten die Tür zur Schlafkammer, in der Corax untergebracht worden war. Kjetell'o blieb allerdings einige Meter davor stehen und wandte sich zu Madiha um. Er ging vor ihr in die Knie, was ein komisches Bild abgab, bedachte meine seine aktuelle Optik. Serpentis Mortis, die große Feuerhexe und Leiterin der Wasserakademie zu Andunie, kniete sich vor ein bedeutungsloses Mädchen mit Narben auf dem Körper als Fettreserven. Aber es war nicht die blutrünstige Dunkelelfe, die zu ihr sprach und sie war es auch nicht, die nach jener Hand griff, welche Madiha sich bei der Verteidigung ihrer Freunde so verletzt hatte. Die Haut ihrer Handflächen musste immer noch abheilen, aber sie hatte einei rosige, frische Farbe angenommen. Viel heller als ihre übrige Haut war sie, jung und noch leicht empfindlich, aber sie regenerierte sich.
"Es stimmt, dass ihr Menschen wesentlich weniger Zeit habt, eure arkanen Fähigkeiten zu perfektionieren als wir Elfen. Zudem kommt noch dazu, dass abgesehen von den Zyranern nur wenige Menschenvölker so viel natürliches Potenzial aufweisen, diese Stufe überhaupt vor ihrem Ableben zu erreichen. Aber..." Kjetell'o schaute erst an Madiha vorbei zu Caleb und dann wieder zurück zu ihr. Durch die illusionären, schwarzen Perlen trat erneut der beruhigend grüne Wald seiner Iriden auf, durch dessen Laubdach goldene Sonnenflecken tanzten. Wenn die Emotionen stark genug waren, konnten sie offenbar in kleinen Teilen Corax' Magie durchbrechen, ohne den Zauber ganz aufzulösen. In Kjetell'o musste ein Sturm der Gefühle toben, doch er kanalisierte ihn und schaffte sich durch tiefes Ausatmen ein Ventil. "Ich irre mich nicht", sagte er und seine Stimme wurde nur noch fester, gleichermaßen wie der Druck seiner Hände um die Finger des Mädchens. "Ich habe es gesehen. Serpentis' Feuer, das dein Haus bedrohte. Kannst du die Erinnerungen in deinem Geist abrufen, Madiha? Siehst du das Haus? Siehst du es, wie ich es gesehen habe?" Er gab Madiha etwas Zeit, sich das Bild zurück in die Gedanken zu holen. Währenddessen strichen seine Daumen über ihre Handrücken. Die Bewegungen waren weich und sanft, fast so wie seine Worte, die sich einen Weg in ihr Gehör suchten. "Einige der Balken standen in Flammen, Teile waren angesengt und verkohlt worden, aber es steht doch noch, nicht wahr? Im richtigen Leben besäße es nun einige kleine Schäden, die man mit ein wenig Mühe wieder aufbauen kann. Vielleicht setzt man hier und da sogar noch einen Stützbalken mehr ein, verwendete brennsicheres Material und trifft einige Vorsichtsmaßnahmen. Was ich im Grunde sagen will: Feuermagie mit der Macht, wie sie Serpentis auf dich losgehetzt hat, reißt nicht nur ein Haus nieder. Es hätte deine gesamte Existenz gerodet und das binnen Sekunden! Nichts als Asche wäre übrig geblieben." Seine Hände packten nur noch fester zu und sein Blick war eindringlich. "Madiha, verstehst du es? Du konntest ihre Magie vielleicht nicht in dir aufnehmen, geschweige denn, sie allein auf Serpentis zurückschleudern, aber sie konnte dich auch nicht auslöschen. Du hast das Feuer angenommen - ihr Feuer! Du hast es aufgenommen und bewahrt, ohne großen Schaden zu nehmen ... und das als ungebübte Magierin. Stell dir vor, was du erreichen könntest, wenn du die volle Kontrolle besitzt! Ich soll mich irren? Glaubst du das immer noch?"
Endlich gab er ihre Hände frei, nur um mit seinen Fingern sanft an ihrer Wange entlang zu streicheln, wobei seine Fingerspitzen bewusst die vernarbte Haut entlang fuhren. "Auch das hier hat dir etwas oder jemand angetan, aber zerstört bist du nicht. Du bist immer noch hier und wie ich hörte, sogar inzwischen vollkommen frei ... du bist selbst zu einer Herrin geworden. Ich werde dich dich diese Freiheit auf der magischen Ebene lehren. Ich will erfahren, wieviel ein Mensch mit diesem Potenzial erreichen kann in der Zeit, die er hat." Er erhob sich wieder. "Also sollten wir nichts davon verschwenden. Caleb, wärst du so freundlich?"
Der Dieb warf die Hände über den Kopf und nickte. "Sicher, sicher, von deinem Gerede verstehe ich ohnehin nichts." Er grinste schief und Kjetell'o erwiderte es sogar. Dann marschierte Caleb an ihm und Madiha vorbei Richtung Tür. Er lauschte kurz und klopfte dann an. Trotzdem wartete er keine Aufforderung ab, hereinzutreten. Stattdessen schob er die Tür auf, steckte seinen Kopf hindurch und rief hinein: "He, ihr beiden! Kjetell'o möchte mit magischem Unterricht für dich und Madi beginnen, Azura."
"Der Unterrichtsraum ist am Ende des Ganges rechts und zweit Etagen höher in einem der Türme", ließ Kjetell'o sie wissen. "Ach und mein lieber Leidträger, könntest du es für heute beenden?" Corax schien stumm zuzustimmen, denn nur zwei Herzschläge später fiel die Illusion von Kjetell'o ab und die Gestalt der Feuerhexe hatte sich aufgelöst. Neben Madiha stand nun wieder der sonnengebräunte Elf mit dem beinahe blonden Haaren, den gefärbten Strähnen, vielen Holzperlen und geschnitzten Blättern darin. Der Elf mit den tiefgrünen Augen mit goldenen Tupfen um die Pupillen. Jener, der sich nicht irrte. "Vielen Dank!", rief er in den Raum. "Du kannst jederzeit nachkommen, werte Azura. Sobald du soweit bist." Erneut ergriff Kjetell'o Madihas Hand. "Lass uns einfach schon einmal anfangen. Dann kann ich ein wenig mit dir experimentieren." Er gluckste und zog sie mit sich.
Caleb winkte ihnen nach. Er blieb zurück, lehnte sich neben der Tür an die Wand. Auch er würde Azura und Corax nun erst einmal nicht weiter stören. Die beiden konnten besprechen, was sie zu sagen hatten. Er würde warten und dann...? Dann würde er wohl mit dem Raben sprechen über ... Dunia? Madiha sollte es nicht mehr mitbekommen. Ihr Weg führte den Gang hinunter, bis zu dessen Ende. Dann nach rechts und zwei Treppen hinauf.
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