Stille Wunden

Sie steht direkt am Strand. Hier wird die Wassermagie gelehrt, aber das ist offensichtlich. Das Wasser fließt nämlich aus Fenstern und über Zinnen, wie kleine Wasserfälle, bildet einen Graben um sie und strömt schließlich ins Meer hinein.
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Stille Wunden

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 15. März 2023, 11:59

Azura und Madiha kommen von Rettungsmission

Sanftes Meeresrauschen mischte sich mit dem Knistern und Knacken von Holz, das von Feuer zerfressen wurde. Beide Elemente konnten zerstören, doch im Moment waren sie friedlich. Urgewalten ruhten. Madiha und Azura schliefen. Doch langsam, ganz langsam kehrte Leben in beide Frauen zurück. Dies war zum einen dem Umstand zu verdanken, dass auch Wassermagier handeln konnten, um arkan ausgelaugte und ungeübte Zaubernde zu heilen, als auch der Tatsache, dass man sie beide wohl umsorgt hatte.
Jede von ihnen lag in einem Einzelbett, wie es sie zu Dutzenden in der Akademie der Wassermagie zu Andunie gab. Dass sie sich noch immer dort befanden, verrieten die Holz vertäfelten Wände, die hohen, bogenartigen Fenster mit den schönen Buntglas, das zahlreiche Wassertiere zeigte und den Raum in Regenbogenfarben schillern ließ, sobald sich Licht durch diese Bilder einen Weg ins Innere suchte. Auch die Farbwahl des gesamten Raumes ließ mit seinen vielen Blau- und Grautönen auf die Wasserakademie schließen. Die Laken, in die beide Mädchen eingepackt waren, besaßen die Farbe des Himmels, wenn sich ein Regenguss anbahnte. Oberhalb der Vertäfelungen waren die Wände mit Bahnen aus gefärbten Pergament beklebt worden, damit sie dem Raum einen weniger steinernen Charme schenkten. Man hatte sich auch hier für ein eher gedecktes Gemisch aus Regengrau und Blau entschieden. Der Teppich auf dem eher kalten Steinboden, der die Form einer riesigen Krake besaß und somit viele Arme in alle Richtungen des Raumes und unter die Möbel ausstreckte, war ebenfalls in einem dunkleren Blau gehalten. Die Möbel selbst bestanden aus dunklem Holz, vermutlich Kirsche oder Ebenholz, das fast schwarz zu sein schien. Neben den beiden Betten existierten zwei Schreibtische, zwei Schränke, zwei kleine Truhen an den Bettenden, sowie zwei Sessel vor einem offenen Kamin. Hätten die Mädchen hier studiert, sie hätten gewusst, dass es ein Doppelzimmer der höheren Semester war, in dem sie lagen. Dort besaßen die Eleven die nötige Ruhe und Möglichkeiten, auch nach dem Unterricht noch zu lernen, ohne sich mit den Neulingen in der Bibliothek der Akademie herum plagen zu müssen, wo es bisweilen auch lauter zugehen konnte als es den meisten lieb war. Bilder mit Seefahrer- oder Unterwasserweltmotiven zierten die Wände und an Pflanzen hatte man Korallen in gläsernen Wasserbecken aufgestellt, um dem Raum etwas Farbe zu verleihen. Von der Decke hing ein achtarmiger Kraken-Kerzenleuchter, doch weil im Kamin ein Feuer brannte, waren diese Lichtquellen nicht entzündet worden.
Im Grunde gab es zu dem Raum nichts Weiteres zu sagen, außer dass er nebst den beiden Buntglasfenstern über den beiden Schreibtischen mittig noch ein raumhohes Fenster besaß, das gleichzeitig auch als Tür auf einen schmalen, steinernen Balkon diente. Es stand offen, so dass sich die halb durchsichtigen Vorhänge aus weißer und blauer Seide sanft im Wind wiegten, welcher seinerseits den Salzgeruch von draußen herein trug.
Caleb befand sich dort. Er lehnte mit verschränkten Armen und den Rücken beiden der Balkontür gegenüberliegenden Betten zugewandt im Türrahmen. Sein Blick war auf das Meer gerichtet. Er trug nicht länger die Kleidung eines Seemannes, die ihn zu einem Kapitän hätte ausschreiben lassen. Schlichte, braune Hosen zierten seine Beine und endeten über flachen Schuhen. Ein schwarzer Gürtel hielt die Beinkleider auf Hüfthöhe, während oberhalb das adrette Leinenhemd ein wenig in die Hose gestopft worden war. Locker hüllte es seine Gestalt ein und nur die dunkelblaue Weste raffte es am Rumpf etwas zusammen. Caleb trug sein Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Es sollte ihn wohl ordentlicher erschienen lassen, aber selbst jetzt hatten sich einzelne Strähnen noch immer nicht bändigen lassen und hingen lose heraus, dass auch sie in der sanften Brise vom Meer ein wenig tänzelten. Links am Gürtel war das Einhornmesser befestigt. Die Klinge ruhte in einer Lederscheide, damit Caleb sich nicht versehentlich selbst verletzte. Daneben baumelten zwei kleine Leiderbeutel, von denen einer etwas schwerer wirkte.
Spätestens jetzt dürfte, sofern Madiha schon wach war und ihren Dieb bewundert hatte, auffallen, dass sie nicht länger das Perlensäcklein in Händen trug. Aber es war ihr nahe. Schwer und mit jeder bewegen liese klickernd, dass sie erneut meinte, sanftes Kichern zu hören, hing es um ihren Hals. Jemand hatte es vom Blut befreit, ansonsten aber unangetastet gelassen. Sie selbst trug, wie auch Azura im anderen Bett, ein weißes Leinen-Nachthemd. Neben dem Bett standen Hausschuhe bereit und über den Pfosten hingen dicke, graue Morgenmäntel aus flauschigem Material. Beiden jungen Frauen waren die Wunden behandelt worden, soweit es möglich gewesen war. Das bedeutete, dass man sie gewaschen und desinfiziert hatte. Teilweise wirkte es bei Azura, dass die offenen Hautstellen einige Versuche überlebt hatten, vernäht zu werden. Sie alle schienen missglückt zu sein. Sie sah noch immer wie eine Untote aus, mit dem offenen Knochen in ihrer Hand mehr denn je. Aber ihr Haar war gewaschen, gekämmt und mit blauen Bändern versehen worden, damit es ihr in zwei langen Zöpfen zu beiden Seiten ihres Kopfes herab fiel. Madihas kürzere Haare hatte man nud gewaschen und gekämmt. Dafür war sie an mehreren Stellen ihres Körpers verbunden worden. Sie roch Kräuter, die von Salben unterhalb der Verbände stammen mussten. Dort fühlte sich ihre Haut kühl an. Es war nicht alles taub wie damals, als sie ihre Handflächen verkohlt hatte. Selbst jene sahen etwas besser aus als sonst.
Was war geschehen? Und wo steckten die anderen? Wo waren Jakub, Kjetell'o und ... Corax?
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Azura » Mittwoch 15. März 2023, 14:05

Während es der Sarmaerin an Selbstvertrauen mangelte, besaß Azura ausreichend davon, um nach dem verheerenden Unglück von explodierenden Personen nicht zu erstarren. Auch sie war nahe dran, doch hatte sie gelernt, dass die Dinge nach ihrem Kopf zu laufen hatten, ohne die Verantwortung dafür wirklich übernehmen zu müssen. Dass sie dadurch nicht noch viel egoistischer und rücksichtsloser geworden war, war keine Selbstverständlichkeit, sondern verdankte sie der Aufmerksamkeit ihrer Eltern, die trotz allem versucht hatten, ihr ein bisschen etwas von dem beizubringen, was man gemeinhin Gewissen nannte. Und dieses war auch genährt worden in jener Zeit, in der sie im Palast der Stille ausgeharrt und nach einem Ausweg gesucht hatte.
Dies alles führte dazu, dass sie ihre eigenen Taten vorerst ignorieren und handlungsfähig bleiben konnte, jedoch nicht einfach weglief, solange sie es noch gekonnt hätte, sondern an der Seite der anderen blieb. Für den Rest... sorgten andere, zuerst der kapuzierte Elf und danach... Ventha höchstpersönlich. Durch ihr Einschreiten allerdings fehlten ihr einige Momente in der Erinnerung und so ganz schlüssig war ihr alles danach auch nicht.
Doch sie hatten überlebt, irgendwie, und waren noch allesamt bei Sinnen. Zumindest noch für ein paar entscheidende Minuten... Denn als die Gefahr endgültig gebannt schien,... da wich auch der letzte Funken an Kraft aus der jungen Frau. Ohne ihre eigene Position noch entscheidend verändern zu können, sank sie einfach nach vorne und schaffte es lediglich, ihren Kopf ein wenig zu drehen, um nicht Gefahr zu laufen, ersticken zu müssen. Ja, sogar noch ein paar gehauchte Silben, die tatsächlich einen Sinn ergaben, gelangten ihr über die Lippen.
Dann aber war es wirklich vorbei mit ihrem Bewusstsein für die nächste Zeit. Alles um sie herum hüllte sich in eine wohlige, viel zu vertraute Dunkelheit, die sie mit scheinbar offenen Armen empfing.

Wie lange sie in ihrer Ohnmacht verblieb, wusste sie später nicht ohne Hilfe zu sagen. Geschweige denn, dass sie mitbekam, wie man sie umsorgte und wer das bewerkstelligte. Sie bemerkte nur irgendwann, dass die Schwärze blasser und durchlässiger wurde, denn allmählich erreichte das sanfte Rauschen des Meeres ihre Ohren. Ein vertrautes Geräusch, ein liebgewonnenes Geräusch, das sie beinahe ihr gesamtes Leben jeden Morgen beim Aufwachen hatte vernehmen dürfen. Eines, das ihr ein Zuhause bot, selbst, wenn alles andere um sie herum in Flammen unterging. So sehr, dass sich ihr ein leises, kaum hörbares Seufzen entrang, noch lange, bevor sie tatsächlich aufwachte.
Dennoch hatte dieser Prozess begonnen und allmählich befreite sich ihr Bewusstsein von der Dunkelheit. Ihre Augen fingen an, sich hinter ihren geschlossenen Lidern zu bewegen und auch ihre Fingerspitzen zuckten hie und da. Ihre Atmung blieb regelmäßig, verlor allerdings an entspannter, langgezogener Tiefe.
Das bedeutete allerdings auch, dass die Erinnerungen in ihren Geist zurückkehrten. Sie sah sich wieder in dem Hof stehen, wie sie den totgeglaubten Corax im Arm hielt und seine letzten Sekunden miterleben musste, ehe der Blick der fremden Augen brach. Daraufhin wiederum sprang sie in der Zeit voran und hatte den Raben im Arm, während ein Feuersturm zu ihr heranbrauste, um alles an ihr zu einem kleinen Häuflein Asche zu verbrennen. Ihr Körper wurde unruhig und sie begann sogar ein klein wenig zu schwitzen, während ihre Atmung sich allmählich in ein leises, gehetztes Keuchen wandelte.
In Gedanken versuchte sie instinktiv, davon zu laufen, aber das war ihr nicht möglich. Sie klebte an der Schulter der Sarmaerin fest und konnte zugleich sehen, wie ihre Hand verbrannte bis zu ihren bloßen Knochen. Im nächsten Moment hörte sie das schreckliche Geräusch, das entstanden war, als sie und ihre Begleiterin Blut zum Kochen und schlussendlich Gefäße zum Explodieren gebracht hatte. Übelkeit stieg in ihr auf und ihr leerer Magen begann zu krampfen.
Dann war es erneut Corax, der in ihr Blickfeld trat, voller Überzeugung davon, nichts weiter zu sein als der Leidbringer, der Mann, der sie geschändet hatte und nicht begreifen wollte, dass er für sie mehr wert wäre als das. Der ihr nicht vertraut hatte und lieber seinen Arm gegeben hatte, anstatt auf sie zu bauen und auf ihre Rückkehr zu warten. Auf sie, die aussah, wie eine wandelnde Leiche und hässlich und verdorrt war, weil sie einen einzigen, falschen Sprung gewagt hatte, während der Kapitän unversehrt ins Leben hatte zurück kommen dürfen.
Und plötzlich war da dieses neue, dieses verboten anziehende Antlitz, kitzelte ein zarter Hauch von Zitrone und Vanille ihre Nase und ließen weiche, warme Lippen zärtlich auf ihren Fingerspitzen sie erschauern. Wenn es dort schon diese intensive Wirkung hätte, wie würde es sich dann erst anfühlen, wenn diese Küsse an anderer Stelle...
In diesem Moment schlug Azura abrupt die Augen auf und starrte in die Höhe über sich. Dort war kein freier Himmel, um sie herum gab es weder Feuerwalzen, noch panische Schreie oder stinkende, rauchende Aschehäufchen. Niemand verhöhnte sie und kein direkter Angriff auf ihr Leben drohte.
Diese Erkenntnis löste einen Knoten tief in ihrem Inneren und obwohl sie sich eigentlich viel zu schwach für die geringste Bewegung fühlte, hoben sich ihre Hände wie von selbst. Unter einem herzerweichenden, gequälten Schluchzer schlug sie sich vors Gesicht, als könne sie so sämtliche Bilder und Erinnerungen aussperren, und wurde heftig durchgeschüttelt, als all die durchlittene und größtenteils durch ihren Sturkopf verdrängte Panik sich endlich Bahn brechen konnte.
Mit einer Mischung aus trockenem Schluchzen und unterdrückten Schreien warf sie sich hin und her und es käme einem Wunder gleich, wenn sie dabei nicht aus dem Bett fallen würde. Was sonst um sie herum geschah und wer noch anwesend wäre, um diese tiefste Verzweiflung mitzuerleben, scherte sie nicht. Sie konnte gerade keinen Blick für irgendetwas anderes erübrigen und wünschte sich vielmehr die beschützende Dunkelheit zurück, die sie zuvor vor diesem Ausbruch bewahrt hatte... und dadurch die Heftigkeit um ein Vielfaches genährt hatte.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 15. März 2023, 21:03

Madiha kniete vor der Feuerhexe und betrachtete mit großen Augen, wie das Blut sich seinen Weg aus ihrem Körper suchte, um sich auf ewig mit der Akademie zu Andunie zu verbinden. Die Wunde brannte sich tief in ihre Seele ein, zusammen mit dem Wissen, dass Caleb es war, der das vollbringen musste. Der seine Grenzen überschreiten musste, weil sie sie alle in Gefahr gebracht hatte. Sie ließ die Schultern einen Moment hängen und merkte sehr wohl, dass der Dieb dieses Mal nicht für sie da sein konnte. Er stand in ihrem Rücken, aber er war nicht fähig sie in den Arm zu nehmen. So sehr sie sich das gewünscht hätte. Sie wusste warum. Sie war schuld, dass es so weit gekommen war. Sie gab sich einen Ruck, um wenigstens das erfüllen zu können, was ein Mädchen ihrer Herkunft zu tun hatte. Jemanden einen Wunsch zu erfüllen. So griff sich Madiha das besudelte Säckchen und kämpfte sich wieder auf die Beine. Unsicher war ihr Stand, gebeugt von der Last ihres Gewissens. Sie wollte wenigstens das tun können. Wollte diese wertvolle Gabe ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgeben. Und sie kämpfte mit jedem Schritt, denn ihr Körper schrie nach einer Pause. Doch wovon? Nein… sie hatte die Pause nicht verdient! Also ging sie weiter. Sie musste wenigstens das schaffen. Vielleicht würde das dabei helfen, dass man ihr verzieh… Doch Madiha wusste, dass das nicht so einfach möglich war. Und noch bevor sie ihre kleine aber gerade so wichtige Aufgabe erfüllen konnte, spürte sie die Dunkelheit, die ihr auch den letzten Funken Hoffnung raubte, dass sie zu etwas taugen würde…
Bilder fluteten ihre Bewusstlosigkeit. Da waren Corax und Azura, engumschlungen und starrten sie entsetzt an. Da war Caleb, der sie verachtete. Kjetell’o stand am Rand und starrte zu ihr empor. Und Jakub, der ungläubig dastand und die Klinge gegen sie erhob. „Ich bin euer Leid!“, hörte sie sich sagen und lachte als wäre sie wahnsinnig. Eiskalte Schauer durchfluteten ihren Verstand, bis sich eine immense Hitze ausbreitete und sie alle drohte zu verglühen, bis sie nur noch Häufchen aus Asche wären. Die Macht war unermesslich und kaum zu ertragen. Sie wollte zerstören, zerfressen und töten. Und dann sah sie ihre eigenen Hände, die eine Macht entfesselten, derer sie nicht Herrin werden konnte. Doch bevor sie ihr Inferno auf die bekannten Gesichter feuern konnte, spürte sie einen tiefen Schmerz und warmes Blut rann ihr über die Kehle. Sie presste ihre Hände gegen die Wunde, doch es war zu spät. Sie gurgelte und starrte mit entsetztem Blick auf das Gesicht, das sich vor ihr erhob, während sie in die Knie sank, um zu sterben. Caleb sah kalt auf sie herab und in seiner Hand hielt er die Klinge, die ihr das Leben nahm. „Caleb…“, doch sein Blick blieb leer. Sie erinnerte sich daran, dass sie einander mal etwas bedeutet hatten. Doch nun wurde er zu ihrem Mörder und schützte damit einen jeden, der ihn begleitete.

Madiha öffnete die Augen und starrte an die Zimmerdecke. Sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Die Erinnerungen waren unbarmherzig und ließen das Mädchen verwirrt zurück. Sie schaffte es nicht, alles in eine gerade Linie zu bringen und so griff sie instinktiv nach ihrer Kehle, wo sie den langen, lebensraubenden Schnitt vermutete. Keine Narbe… dort nicht. Sie ließ ihre Augen wandern und wurde sich dem Raum mehr und mehr bewusst. Die schillernden Farben hatten etwas Schönes, doch sie konnten nicht über das Gefühl in ihr hinwegtäuschen. Es schmerzte zu atmen. Es schmerzte zu sehen und zu denken. Langsam krochen ihre Gedanken wieder durch geordnete Bahnen und ließen sie sich erinnern, was geschehen war. Madiha schluckte, doch ihre Kehle fühlte sich kloßig an. Dann drehte sie den Kopf ganz leicht. Ihr Blick fiel auf den Balkon und die sich sanft wiegenden Vorhänge. Die Brise war wohltuend und das Licht spendete Hoffnung. Eigentlich. Sie sah Caleb dort stehen und sofort wurde ihr Herz schwer. Wie ging es ihm? Wie ging es ihm nach seiner Tat? Seine Tat… Madiha ließ ihren Blick über seine Gestalt wandern und entdeckte den Dolch in der Lederhülle. Ihre Finger krallten sich in die saubere Decke und sie spürte erneut diese erdrückende Last auf ihrer Seele. Sie hatte ihn zum Mörder gemacht. Ihn dazu gezwungen, weil alles aus den Fugen geraten war. Weil sie geglaubt hatte, sie könnte etwas tun. Etwas erreichen und bewirken. Nein… sie konnte nichts. Das Mädchen schloss gequält die Augen, da erwachte auch Azura aus ihrer Bewusstlosigkeit. Sie wandte den Kopf ein wenig und sah die Andunierin an. Anders als bei ihr aber schien die Realität die Schrecken um ein Vielfaches auf sie niederprasseln zu lassen. Madiha hörte das unendliche Leid. Das Klagen und Schluchzen von Azura und schloss leidend die Augen. Stumm harrte sie in ihrem Bett aus und versuchte keinen Mucks von sich zu geben. Sie ertrug die Trauer der Andunierin kaum. Es zeigte ihr die bittere Wahrheit. Ihre Wahrheit, die sie noch nach dem Ende des Kampfes hatte erkennen müssen. Sie war… nichts. Und sie würde dieses Stigma ihrer Vergangenheit nicht ablegen können. Für einen kurzen Moment hatte Madiha geglaubt, sie könne ihr Schicksal fest in die Hand nehmen und jene schützen, die sie zu lieben lernte. Aber weitgefehlt. Azura’s Tränen machten deutlich, wie knapp das alles gewesen war. Wie knapp sie dem Tod von der Schippe gesprungen waren. Madiha hatte es nur schlimmer gemacht. Das Mädchen aus Sarma presste die Augen so fest zusammen, dass ihr stumme Tränen über das Gesicht liefen. Sie wollte das nicht hören. Sie wollte nichts fühlen. Wie hatte sie je Sarma verlassen können? Sie hätte als Sklavin weiterleben sollen. Dann hätte sie wenigstens niemandem wehgetan oder ihm gar das Leben geraubt. Oh ja, auch Madiha sah die platzenden Köpfe. Auch sie holten die Bilder ein und quälten ihre Seele. Erneut verlor ihr Haus einen Balken. Eine Scheibe sprang in zwei und wies einen unschönen Riss auf.

Die Sarmaerin presste sich den Handrücken auf die Lippen und drehte Azura den Rücken zu. Sie zog sich ganz klein zusammen und die Decke über den Kopf. Sie wollte nicht wach sein. Sie wollte nicht hören, was sie falsch gemacht hatte. Sie wollte nicht wissen, dass es nur ihre Schuld gewesen war, dass Azura verletzt wurde. Und das Caleb zum Mörder geworden war…Sie bemühte sich, keine Geräusche zu machen und schluckte das Schluchzen hinunter. Es half nicht. Madiha öffnete nach einem Moment die Augen, weil sie die Last der Schuld nicht aussperren konnte. Sie kam nicht von außen, sie trug sie in sich. Sie starrte auf das Kaminfeuer, das Wärme spenden sollte. Sie starrte hinein und wurde auf einmal ruhiger. Ihre Tränen versiegten und sie schloss ihre Gefühle in sich ein. So etwas durfte nie wieder passieren. Das Feuer in ihr durfte nie wieder brennen. Das Sklavenmädchen spürte mit einem Mal das Gewicht um ihren Hals. Es war nicht so schwer, wie die Schuldgefühle, doch gerade schwer genug, dass sie es trotzdem wahrnahm. Sie öffnete ihre Hand und spürte dieses seltsame Gefühl von Missempfindung. Schon ihr erster feuermagischer Ausbruch ging gehörig schief und hätte das Schiff versenkt und sie alle beinahe getötet. Auch damals musste Azura alles geben, um den Brand zu verhindern. Sie durfte nicht mehr vergessen, dass sie eine Gefahr darstellte. Doch damals hatte sie nur sich selbst erheblich verletzt. Jetzt war das anders. Madiha spürte das kleine Säckchen und erinnerte sich wieder an Azura und Corax, die mit ihrer letzten Kraft um eben jenes Kleinod gebeten hatten. Das Mädchen wischte die nassen Stellen aus ihrem Gesicht. Sie kroch unter ihrer Decke hervor und betrachtete den Stoff. Sie fuhr mit ihren immer noch vor Unfähigkeit kündenden Fingern über den Sack. Ein helles Kichern erklang… Dann runzelte sie die Stirn, schloss ihre Faust darum und erinnerte sich, dass sie es ihr bringen wollte. Und dass sie nicht mal dazu fähig gewesen war. Mit undeutbarer Miene, schlug Madiha die Decke zurück und drehte sich wieder Azura zu.
Sie setzte sich auf und spürte die Nachwehen ihres Zustandes. Ihr Blick fiel auf die kleineren Verbände überall und sie roch die Kräuter. Ihr Haar fiel ihr, nachdem sie sich an die Bettkante gesetzt hatte, leicht nach vorn und sie fuhr sich kurz mit den Fingern dadurch. Sie war gewaschen worden… man hatte sie versorgt. Madiha nahm das Säckchen von ihrem Hals. Sie presste die Lippen aufeinander und mühte sich dann in den Stand. Sie hatte keinen Blick für den Dieb, denn ihre Augen waren auf die andere Frau gerichtet. Madiha hatte versucht eigene Entscheidungen zu treffen. Sie hatte versucht sich ein Leben abseits der Sklaverei aufzubauen. Aber sie war gescheitert. Das Leben, nach dem sie so hungrig gewesen war, hatte keinen Platz für sie. Sie war nicht in der Lage allein zu leben. Madiha bereute nach diesem Erlebnis, dass sie Sarma verlassen hatte. Sie war und blieb eine Sklavin, die auf die Entscheidungen und Befehle anderer hören musste. Ansonsten würde sie nur falsche Wege gehen. Und andere damit in Lebensgefahr bringen. Das Mädchen stand vor Azura’s Bett und hielt das Säckchen über die Adelige. „Azura…“, krächzte sie leise und räusperte sich mühevoll. „Azura!“, wurde sie etwas lauter und ließ die Perlen klingen. Sie überreichte ihr das Säckchen und blickte auf die Rothaarige hinunter, die unter dem Vergangenen litt. „Was kann ich für dich tun, dass es dir besser geht?“, wollte sie monoton wissen und schloss ihre eigenen Gefühle tief in sich ein. Sklaven zeigten nicht ihre Gefühle. Und sie trafen keine Entscheidungen. Sie konnten es nicht, deshalb übernahmen andere es für sie. Sklaven halfen dabei, anderen das Leben leichter zu machen. Und sie war eine Sklavin. Und würde es besser bleiben.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 16. März 2023, 19:36

Der Verstand war eine interessante Sache. Es gab ganze Gruppen aus Heilkundigen und Lichtmagiern, die sich ein halbes Leben lang seiner Erforschung widmeten. Dann gab es Kreaturen, bei denen man sich fragte, ob sie überhaupt einen besaßen. Doch alle hatten gemein, dass sie viel zu wenig über das wussten, was im Kopf eines Lebewesens so vor sich ging. Umso spannender blieb dieses Feld, vor allem in Bezug auf Beispiele aus der Realität. So konnte der Verstand jegliche Punkte, die einen immens berührten, gänzlich in einer Amnesie verschwinden lassen, um sich nicht selbst zu schaden. Er konnte sie in den Hintergrund rücken, damit er bei sich - bei Verstand - blieb, um das eigene Individuum noch handlungsfähig zu lassen. Wenn zusätzlich Adrenalin eine Rolle spielte, prägten phänomenale Ereignisse die Geschichte und blieben so manchem Zeugen als Wunder im Gedächtnis. So gab es schon Mütter, die ganze Trolle mit einer Hand hochgehalten haben, um zu verhindern, dass sie auf das eigene Kind stürzen und es unter sich begraben. Es kam Kinder, wohlbehütet aufgewachsen, die sich angesichts einer lebensgefährlichen Bedrohung im Stande sahen, den Angreifer mit einer Waffe niederzustrecken, obwohl sie niemals zuvor eine in Händen gehalten hatten. Es gab Momente der Barmherzigkeit von Wesen, denen man keine andere emotionale Geste als die des faldorgefälligen Blutvergießens zutraute. Es gab Männer, die weinten und Frauen, die in einem Teil Celcias mutig ihre Stimme erhoben, wie sie keine besitzen durften. All dieses Handeln ließ der Verstand zu, weil er zeitweise Denken und Erkenntnisse so weit in den Hintergrund rückte, dass sie nicht mehr von Belang waren. Helden wurden geboren, weil sie erst handelten und später über die möglichen Konsequenzen nachdachten.
Caleb war in jenen Momenten im Hof der Akademie der Wassermagie zu Andunie ein solcher Held geworden ... und ein Mörder. Ob sein Verstand bereits begriff, was dies nun für ihn bedeutete? Er schlief nicht mehr, als die beiden Frauen in ihren Betten langsam aus Manthalas Reich der Ruhe in ihren jeweiligen Verstand zurückkehrten. Dies waren Momente nach einem von Adrenalin gepeitschten Ereignis, in dem der Verstand seine andere, interessante und zugleich unverständliche Seite zeigte. Warum ließ er zu, dass man die Einzelheiten von Erlebtem noch einmal im Traum verarbeitete? Warum wirbelte er die Bilder dort zusammen, um sie nur noch intensiver auf den Geist wirken zu lassen und warum bediente er sich dabei gerade jener schrecklichen Momente, die seiner eigenen Seele im Grunde nur schaden konnten? Dieses Geheimnis würde nie gelöst, vielleicht auch, weil der Verstand selbst erst noch lernen musste, derlei Probleme zu lösen und zwar, indem er sie in Zeiten des Durchatmens noch einmal abrief und durchging.
Azura wurde zuerst von ihrem Verstand heimgesucht. Was hatte sie nicht alles erlebt! Und was hatte sie nicht alles miterlebt? Einige Dinge waren angesichts vieler erschreckender Erlebnisse fast schon so banal, dass ihre Erinnerung daran gekappt wurde. Sie fielen in Schwärze, wurden zu Schwärze und niemand wusste, ob sie jemals wieder an die Oberfläche treten würden. Dafür musste sich ihr Geist mit den größeren Dingen beschäftigen. Es waren derart viele und sie alle verlangten nach ihrer Aufmerksamkeit, dass sie sich übereinander türmten, gleichzeitig auf sie zu liefen und sich gegenseitig so stark beiseite schupsten, dass der Zusammenprall mit einer anderen Erinnerung sich mit ihnen zu einem Mischgebilde vereinte. Auch Madiha erging es so. Beide Frauen lagen ruhig in den Betten, während in ihrem Inneren erneut das Erlebte ausgefochten wurde. Beide erinnerten sich an unterschiedliche Einzelheiten, verarbeiteten Dinge, die unterschiedlich im Fokus standen, weil sie verschiedene Personen waren. Das machte die Erlebnisse der einen nicht unbedeutender und auch nicht weniger entsetzlich als die der anderen.
Für Azura war die erste Erinnerung Corax. Natürlich. Er hatte sich in ihr Herz geschlichen und war ihr Antrieb geworden, den eigenen Tod so lange nicht zu akzeptieren, bis selbst der Gevatter einwilligte und ihr eine zweite Chance gab. Sie konnte wirklich eine unsägliche Zicke sein, wenn es darum ging, ihren Willen zu erhalten. Aber sie war auch eine Kämpferin. Sie hatte sich zurück ins Leben geschlagen, um auf diesem, weitaus weniger friedvollen Schlachtfeld zurück an die Seite ihres Raben zu gelangen. Die Erinnerung noch einmal durchzumachen, wie er - oder ein Abbild von ihm - in ihren Armen gestorben war, wog schwer. Das Brechen seines Blickes, das Erschlaffen seines aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit selbst verstümmelten Körpers, das Schwinden seiner Seele ... vor dem Aufwachen fühlte sich alles um so vieles intensiver an. In ihrem Kopf durchlebte Azura die Schrecken der Auseinandersetzung mit Serpentis Mortis ein zweites Mal, aber wesentlich schlimmer wohl als in der Reatlität. Bereits dort war sie an ihre Grenzen gelang, über ihren Schatten gesprungen und hatte mehr als nur ihre Hand gegeben, um durchzuhalten. Im Traum nun aber wurde sie dafür nicht belohnt. Denn Bilder von all diesen Ereignissen noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, noch einmal die Emotionen zu fühlen, die einen ganz eigenen Sturm aus Chaos in ihr herausbeschworen hatten und noch einmal nicht zu wissen, was seit ihrem Fall in die Bewusstlosigkeit nun denn geschehen war, stießen tiefe Messer in ihre Seele. Kein Mensch blieb davor gefeit. Ohja, sie hatte sehr viel mitgemacht und so riss es sie in traumatischen Schrecken aus dem Schlaf, anstatt sie mit dem geliebten Meeresrauschen zu wecken. Ihr Verstand hatte im Schlaf endlich verarbeitet, aber die Empfindungen nahm sie in die Welt der Wachen mit. Unter einem Aufschluchzen aus Leid und Hilflosigkeit schlug sie ihre Hände vor das Gesicht, weil sie noch immer von all diesen Erinnerungen umworben wurde wie früher in den noblen Sälen des Adels von den schönen Galanen. Kein Gedanke in ihrem Kopf war schön, abgesehen vielleicht von der süßen Versuchung in Form eines ihr im Grunde fremden Elfen, der aber vollkommen unbehaftet war. Sie kannte Kjetell'o nicht. Er war geheimnisvoll, schön und hatte ihr hilfsbereit zur Seite gestanden. Er besaß keine düstere Vergangenheit wie ihr Rabe, mit der sie sich auseinandersetzen musste, weil er sich ein Nest in ihrem Herzen gebaut hatte. Allein das konnte eine Seele dazu bewegen, sich von allem lösen und sich in diese fremden, diese offenbar von Dunkelheit unbefleckten Arme retten zu wollen.
Im Moment aber waren da keine Arme. Sie war allein in diesem Bett, allein mit ihren Gedanken und all den Emotionen, die sie aufwühlten. Sie riss sich herum, wollte weg, wollte fliehen. Sie keuchte und schluchzte, sie wollte schreien. Und sie wäre gefallen, hätte es nicht jemanden gegeben, der sowohl über sie als auch Madiha wachte.
Die Sarmaerin entdeckte ihn nicht sofort. Auch sie löste sich aus der Stille des Schlafes, indem sie Bekanntschaft mit den Bildern machte, die ihr Verstand zu begreifen und verarbeiten suchte. Ihr Antrieb waren Selbstzweifel und Unsicherheit. Natürlich war auch Madiha nicht von den Ereignissen verschont geblieben, die zusammen mit Venthas göttlichem Unwetter auf sie niedergeprasselt waren. Aber genau damit war auch die Erkenntnis in gekeimt, dass sie nichts zum Kampf gegen Serpentis beigetragen hatte. Vielmehr hatte Ventha den Samen mit ihrem Wasser keimen lassen. Ohne ihren Regen hätte Madiha sich nicht abgekühlt. Azura hätte sie nicht aufhalten können und das Feuer der Dunkelelfe wäre aus ihr herausgebrochen, um alles und jeden zu vernichten. Sie war an diesem Tag mehr Gefahr als Rettung gewesen. Es hätte sie nicht gebraucht, um Serpentis zu besiegen oder Corax zu retten. War er denn gerettet? In ihren Traumbildern aus Angst und Selbsthass schon und er schaute mit seiner Azura zusammen so unsagbar verachtend auf Madiha herab. Jakub erhob gar die Klinge gegen sie und selbst der unbekannte Kjetell'o konnte ihrem Handeln - ihrer Unfähigkeit - nichts mehr abgewinnen. Zuletzt aber musste ihr Geist auf grüne Wiesen mit Fjorden als tiefblauen Flecken darin und einem wirbelnden Himmel über allem schauen. Das Bild befand sich hinter Eis, welches den Blick noch kälter in ihr Herz stieß. Sie hat ihn, ihren Caleb, zum Mörder gemacht, weil sie selbst nichts hatte tun können. Schuld legte sich um sie wie einst Corax' Hände um ihren Hals und drohte, sie zu ersticken.
Dem Selbsterhaltungstrieb des eigenen Körpers war es geschuldet, dass ein hastiges Einatmen Madiha aus ihren Albträumen riss. Sie starrte über sich an eine blau gestrichene Decke. Der Künstler hatte Kreise und kleine Wirbel hinein gearbeitet, dass es an die wogende See während eines Sturms erinnerte. So ruhig Madiha in ihrem Bett lag, so heftig zerrte ein innerer Sturm an ihrer Seele. Ja, sie war äußerlich vollkommen ruhig. Nicht einmal ihr kurzes, aber heftiges Einatmen war bemerkt worden. Sie blieb unbemerkt ... wie immer ... wie es sein sollte, denn wertlose Sklavenmädchen hatten nicht mehr als Schatten zu sein ... oder zur Verfügung stehende Körper für lüsterne Männer.
Der Mann, der mit ihr im Zimmer war, hatte sich dessen allerdings nie bedient. Er hatte sie immer anders behandelt, anders gesehen. Wie würde Caleb sie ansehen, sobald er sich zu ihr umdrehte? Angst kroch in Madihas Glieder und am liebsten hätte sie sich noch tiefer in die Decken verkrochen als ohnehin schon. Er stand am offenen Balkon, ihr und dem gesamten Zimmer den Rücken zugewand. Er hielt die Arme verschränkt und schaute auf die Welt außerhalb. Er wirkte ruhig, allerdings nicht vollends entspannt. Madiha konnte es sofort lesen. Sie konnte ihn lesen ... und sie fürchtete sich davor, die nächste Seite in seinem Buch umzublättern. Sie hatte Angst, dass mit ihr das letzte Kapitel endete, das Caleb und Madiha teilten. Sie wollte es nicht sehen. Sie wollte es vor allem nicht in seinen Augen sehen und so schloss sie die ihren.
Endlich hörte sie den Grund, warum ihr Aufkeuchen wohl unbemerkt geblieben war. Azura. Sie war hier und sie schluchzte, keuchte, wimmerte. Dann eilige Schritte. Caleb. Er drehte sich um, aber er würde nicht sie ansehen. Er eilte den Geräuschen nach zu urteilen an ihr vorbei, etwas weiter rechts in den Raum. Dann knarrte der hölzerne Rahmen eines Bettes, als Caleb sich darauf niederließ.

Arme. Zwei starke Arme legten sich um Arzua und zogen sie an eine nicht minder starke Brust. Dennoch gingen diese Arme umsichtig mit ihr um, denn sie erdrückten ihre traumatisierte Seele nicht. Sie schlangen sich nicht fest wie Schuldgefühle, Angst oder Verzweiflung. Sie gaben Halt, wem auch immer sie gehörten. Dem Kapitän ... dem Dieb ... dem Mörder ... Caleb van Tjenn.
"Ruhig, ruhig ... es ist alles gut. Es ist vorbei. Du hast es geschafft, Azura. Wir haben es geschafft. Beruhige dich." Wie er schon bei Madiha bemerkt hatte, dass die Nutzung ihrer Muttersprache einen zusätzlichen Effekt auf sie hatte, sprach Caleb nun in seiner eigenen Muttersprache Garmisch. Er wusste, dass Azura sie beherrschte und dass sie damit besser fluchen konnte als er es je würde. Doch jetzt war keine Zeit für Kraftausdrücke. Es war Zeit für Kraft spendende Worte, für Umarmungen und Beistand. "Es ist gut ausgegangen. Wir sind alle noch da. Es ist gut."
Schritte. Sie waren leise, aber sie kamen näher und zusammen damit auch der Schatten. Der Schatten eines Schattens. Madiha hatte im Hof nicht viel tun können. Sie hatte vielmehr alle durch ihre ungeübte Feuermagie in Gefahr gebracht. Sie hatte Caleb zum Mörder gemacht. Alles, was sie jetzt noch tun konnte, war, in die Rolle der Sklavin zurückzukehren und so die wenigen, kleinen Aufgaben zu erledigen, für die sie sich einen Hauch an Wertschätzung erhoffte - selbst von Menschen, die sie hassen würden. Trotzdem fürchtete sie nach wie vor Calebs Blick. So wich sie diesem auch mit gesenktem Kopf auf, sah nicht, dass er sie sah. Sie wandte sich an...
"Azura ... Azura!"
Calebs rechter Arm löste sich von der Angesprochenen. Er zog ihn sacht zurück, damit Madiha ihr das Säcklein mit den Perlen überreichen konnte, an dem sie doch so sehr hing. So sehr, dass sogar Corax es in seinen letzten Atemzügen vor der Ohnmacht erwähnt hatte. "Was kann ich für dich tun, dass es dir besser geht?"
Caleb hielt inne. Er musterte Madiha. Ein mildes Lächeln kräuselte seine Mundwinkel. Selbst jetzt war sie immer noch erst einmal für andere da, für andere stark. Es beruhigte den Dieb, dass sie diese Eigenschaft nicht verloren hatte, aber er sah auch, dass sie etwas an ihr verändert hatte. Er konnte sie lesen, wie umgekehrt. "Es ist gut", wiederholte er für sie, auch um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und natürlich sollte auch ihr das Balsam von Vertrautheit zuteil werden. "Madi..." Der rechte Arm des Diebes legte sich um sie. Wahrscheinlich hätte er auch den anderen um das Mädchen geschlungen, aber er konnte Azura noch nicht loslassen. Auch sie brauchte nach wie vor Halt. So spielte Caleb erneut den Helden, indem er beide Frauen hielt, an seiner Brust hielt und ihnen Ruhe durch einen ruhigen Herzschlag und ebenso friedliches Atmen bot. Den Kopf aber drehte er in Richtung der Sarmaerin. Seine Augen lagen auf ihr. Sie waren warm, warm wie seine Worte.
"Ich bin so unendlich froh, dass du noch lebst. Ich wüsste nicht ... ohne dich ..." Sein Atem stockte kurz. Nur einen Moment. "Ich liebe dich, Madi."
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Azura » Freitag 17. März 2023, 21:28

Während der Gefahr selbst hatte sie alles ausgeblendet instinktiv, was sie hätte lähmen können. Umso heftiger fiel dies nun auf sie zurück, nachdem sich die schützende, wohltuende Schwärze zu lichten begonnen hatte. Zeitlich durcheinander und gefühlt noch dramatischer als in der Realität erlebte sie einige Momente der Auseinandersetzung im Hof der Akademie noch einmal, diesmal jedoch ohne etwas tun zu können. Sie fühlte sich wie ferngesteuert und zugleich als Zuseher verdammt, unfähig, Einfluss auf das Geschehen nehmen zu können.
Solange, bis eine der wenigen positiven Begebenheiten zu viel für ihren Geist war und sie regelrecht in die Wirklichkeit zurück warf. Um sie dort erst einmal all ihrem Schmerz und ihrer Qual auszuliefern, die sie laut und verzweifelt, knapp vor der Hysterie, aufschluchzen ließ. Es schüttelte ihren Körper durch und totz ihrer Ausgelaugtheit hatte ihr Körper Zeit genug gehabt, ein paar wenige Tränen ansammeln zu können, die nun ihre Wangen hinablaufen wollten. All ihr Leid, ihre Angst, ihre Enttäuschung, jedoch auch ihr Frust und ihre Wut ballten sich gerade zu einem explosiven Gemisch zusammen, das sie gar nicht mehr loslassen zu wollen schien. Ganz gleich, was in ihrer unmittelbaren Umgebung geschah, sie war unfähig dazu, es wahrzunehmen.
Dieser Zustand dauerte, bis das Geräusch rascher Schritte an ihr Ohr drang, gefolgt von einem Ächzen des Holzgestells ihres Bettes und eine Bewegung, als die Matratze ein weiteres Gewicht tragen musste. Dies alles hätte zu keiner Reaktion ihrerseits geführt, wenn ihnen nicht eine Umarmung mit Kraft und Sanftheit zugleich gefolgt wäre. Mit einem Mal wurde sie gehalten, während es ihren Körper weiterhin durchschüttelte, und Wärme umgab sie in einem Ausmaß, das sie unter anderen Bedingungen nicht zugelassen hätte.
Als wisse ihr Instinkt dies haargenau, versteifte sie sich anfangs soweit ihr Schluchzen das zuließ. Erst die Stimme... oder vielmehr der vertraute Klang ihrer Muttersprache halfen ihr dabei, weicher zu werden und sich ein wenig fallen zu lassen, um dem Schock, der sich gerade seine Bahn brach, die Freiheit zu lassen, vollkommen auszubrechen und anschließend allmählich abzuklingen. Sofern nicht noch etwas geschah, dass sie endgültig in die Hysterie werfen würde.
Sie war knapp dran, denn als ihre Hände von ihrem Gesicht herab sanken, kniff sie die Augen fest zusammen und sah... platzende Gefäße, hervor schießendes Blut und leblos zusammen sackende Körper vor ihrem Geist. Mit einem Aufheulen, das nicht nur ihr, sondern gewiss auch den Zuhörenden in der Seele schmerzte, krallte sie sich an den Stoff direkt vor sich und durchtränkte diesen mit mehreren Formen von Flüssigkeiten, wenngleich lediglich tröpfenweise. Tränen, Rotz und Speichel, alles zusammen entkam ihr und zeugte davon, dass selbst eine Adelige wie Azura am Ende ein ganz gewöhnlicher Mensch war. Oder zumindest dieselben Dinge tat wie niedriger Gestellte.
Sie zitterte noch immer am gesamten Körper wie Espenlaub und zwischen ihren Schluchzern ertönten gequälte Schreie und Wimmern. Das übertönte auch die Schritte einer weiteren Person, die sich ihnen näherte.
Erst, als diese ihren Namen aussprach, hielt die junge Frau erschrocken inne. Wie, als würde sie aus einer anderen Welt zurückkehren müssen, stellte sie sämtliche Gefühlsregung ein und begann, langsam blinzelnd ihre Augen zu öffnen. Man konnte ihr regelrecht dabei zusehen, wie ihr Geist sich aus ihrem Leid zurück kämpfte und zu verarbeiten anfing, was die dünne Stimme zu ihr gesagt hatte.
Zeitversetzt senkte sich schlussendlich auch ihr Blick auf das Säckchen, das ihr hingehalten wurde. Deutlich erkennbar war der Umstand, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete, wie sie allmählich erkannte, was es war... und wie sie darauf reagierte. Ihre Augen weiteten sich und sie stieß einen kleinen, erschrockenen Schrei aus, mit dem sie sich aus der Umarmung wegdrückte. Krabbelnd wich sie auf dem Bett soweit wie möglich zurück und schüttelte wild den Kopf.
"Nein... nein, nicht... ich kann nicht...", wimmerte sie und hielt ihre Hände beinahe schon anklagend den Beiden entgegen. "Da, da seht! Seht das Blut! Es klebt da dran... Ich habe Blut dran, ich, die eigentlich tot sein sollte! Ich... ich..." Schluchzend brach sie ab und schlug sich erneut eben jene Hände, von denen sie gerade gesprochen hatte und denen man nichts von dem wichtigen, roten Lebenssaft ansah, vor ihr Gesicht. Ein weiteres Mal quälte sie das Schluchzen, von dem sich ihre noch zu trockene Kehle schon wund anfühlte.
Das Säckchen... oder vielmehr der Inhalt, den sie darin vermutete, waren ihr enorm wichtig, das stand unzweifelhaft fest. Aber es war viel zu wertvoll, als dass sie, die Besudelte, es wagen durfte, auch nur mit dem kleinen Finger zu berühren. Nie wieder würde sie das tun wollen und womöglich auch noch verderben, was sie voller Herzen geopfert hatte.
Während die anderen Beiden einen Moment zu zweit hatten, zog sie sich in sich zurück, wollte sich ihrem Leid hingeben, bis... bis ihr Verstand ein weiteres Mal zeigte, dass er noch nicht bereit war, alles so zu begreifen, wie es zeitlich tatsächlich ablief. Jetzt erst nämlich sickerte langsam, ganz, ganz langsam, wie ein steter Tropfen den Stein aushöhlte, eine Aussage in ihren Geist, die es schaffte, sie zum wiederholten Innehalten zu bewegen. Zuerst ließ das Zittern nach, dann verklang ihr Schluchzen und schließlich sanken ihre Hände herab.
Kaum fähig, wirklich scharf sehen zu können mit ihren brennenden Augen, suchte sie nach dem Kapitän, der diese Worte vorhin getätigt hatte. "Ge... geschafft...? I... ich habe..." Sie brach ihre gehauchten Worte ab und wie in Zeitlupe begannen ihre Augen zu wandern, solange, bis sie das Gesicht der Sarmaerin fanden. "Wir... haben es... geschafft...?", wisperte sie.
Warum sie dabei diesen einen einzelnen Ausdruck auf Sendli gebrauchte? Azura wusste es nicht, ja, sie war sich dessen nicht einmal richtig bewusst. Doch es fühlte sich... richtig an. Beinahe so, als hätte der gemeinsam erlebte Schrecken, aber auch die zusammen angewandte Magie dafür gesorgt, dass in ihrem Inneren ein Keim für eine Art der Verbundenheit gelegt worden wäre, die sie weder fassen, noch benennen... noch so leicht wieder auslöschen konnte. Vielleicht war es auch lediglich ein Nachhall all des Schreckens und ihrer Verwirrung. Nur... wer vermochte ihr das zu erklären, wenn nicht einmal sie den rechten Ausdruck dafür finden könnte...?
Es erlaubte ihr allerdings noch einen weiteren Gedanken, einen, der dafür sorgte, dass ihr Blick nun suchend durch den Raum glitt. Und als er jenes Ziel nicht fand, wonach er Ausschau hielt, begann er zu flackern wie ein Irrlicht. "Wo... wo ist... er?", gab sie kaum hörbar von sich und ein Zittern lief durch ihren Körper, den sie mit ihren eigenen Armen fest umschlang, ohne es dadurch minimieren zu können. Sie hatte Angst vor der Antwort... und zugleich Angst davor, ihn wieder zu sehen. Und dennoch...
"Wo ist Corax?!", hauchte sie drängender, verzweifelter.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 18. März 2023, 00:20

Wertlos zu sein, war wohl das Schlimmste, was einer Seele geschehen konnte. Erkennen zu müssen, dass niemand sich dafür interessierte, was man dachte oder empfand. Dass man unsichtbar war und gemieden wurde von anderen. Madiha hatte ihr ganzes Leben mit diesem Umstand leben müssen und kannte es zur Genüge. Es hätte sie gar nicht so sehr treffen dürfen, dass sie zurückkehrte in ein Leben, das sie bereits gelebt hatte. Sie war wie ein kleiner, wilder Vogel gewesen, der sich unbedingt die Welt anschauen musste, von der er bereits so viel gehört hatte, obwohl ihm alle rieten in seinem Käfig zu bleiben. Sie hatte es besser gewusst und sie hatte alles dafür gegeben, ja sogar den Sand überlebt, nur um die Freiheit auf ihrer Haut zu fühlen… Sie war geflogen und gefallen und kehrte nun reumütig in ihren Käfig zurück. Die Welt hatte ihr ins Gesicht geschlagen und ihr klargemacht, das es keinen Platz für sie gab. Madiha… unsichtbar und unwichtig. Die Rolle ihres Lebens.
Das Mädchen verkroch sich vor der bitteren Erkenntnis und wollte noch ein wenig länger glauben dürfen, dass das alles nur ein schlimmer Traum gewesen war. Dass nichts von alledem echt war und sie nicht beinahe dafür gesorgt hätte, sich und alle um sich herum zu vernichten. Mit nur einer kläglichen Dummheit. Entscheidungen zu treffen hieß auch, die Konsequenzen zu tragen. Und diese… diese hätte sie niemals tragen können. Wenn Azura’s Glaube nicht die Rettung gewesen wäre, hätte sie vielleicht damit leben müssen, dass alle auf einen Schlag ausgelöscht gewesen wären. Diese Konsequenz hätte Madiha nicht ertragen. Und auch jetzt… jetzt, wo das Unheil -sie- abgewandt war, wie sollte sie je einem von ihnen wieder unter die Augen treten? Wie sollte sie jenen begegnen, die sie so sehr in Gefahr gebracht hatte? Und denen sie so vieles abverlangt hatte?

Caleb verlor seine Rechtschaffenheit und Azura beinahe eine Hand. Madiha ertrug es nicht und so kehrte sie in eine Haltung zurück, die es ihr ermöglichte, sich besser mit den Umständen zu arrangieren. Sie hatte es von Kindesbeinen an gelernt und somit fiel es ihr nicht schwer. Es ging sogar trotz des Umstandes, dass sie stets rebellisch geblieben war, sehr leicht. Doch rebellisch durfte sie nicht mehr sein und das Feuer in ihr durfte nicht mehr brennen. Sie hörte mit einem Mal Azura, die heftig zu schluchzen begann. Und die Schritte, die sich zügig bewegten und an ihrem eigenen Bett vorbeitraten. Madiha lauschte mit angehaltenem Atem..sie wagte nicht, sich zu rühren. Dann hörte sie die fremden Worte und schloss abermals die Augen. Auch wenn sie nichts verstand, die Stimme Caleb’s kroch ihr durch Mark und Bein. Er tröstete Azura. Nicht sie…, sondern Azura. Das Mädchen festigte seinen Griff um das kleine Säckchen und presste die Lippen aufeinander. Sie musste sich von dem Gedanken verabschieden, dass sie die Freiheit je wieder würde kosten dürfen. Dass sie seine Lippen… Madiha schluckte den Kloß hinunter. Nein. Diese Welt war für andere gemacht und nicht für Mädchen wie… sie. Dumme, gefährliche Mädchen. Sie war eine Gefahr und je früher sie das erkannte, desto besser für sie alle. Madiha fasste einen Entschluss und vergrub alles was schmerzte in sich.
Sie kroch aus dem Bett und sah zu Caleb und Azura, die sich umarmten. Auch die Adelige ließ es zu und suchte Halt. Oh, wie gern wäre sie an ihrer Stelle. Madiha maßregelte sich selbst. Sie konnte Caleb nicht mal ansehen, während sie mit deutlich hakeligen Bewegungen an das andere Bett herantrat. Ihr Fokus lag auf Azura. Sie musste sich zwingen, den Dieb nicht anzusehen. Es hätte das ganze nur unnötig erschwert. Und so überreichte sie das Säckchen Azura – oder wollte es zumindest.

Jene aber erschrak und Madiha zuckte gleichwohl. Sie starrte der Rothaarigen hinterher, während sie sich entsetzt auf Abstand brachte. Madiha zog das Säckchen wieder zurück und schützte es mit ihrer Hand. "Da, da seht! Seht das Blut! Es klebt da dran… Ich habe Blut dran, ich, die eigentlich tot sein sollte! Ich… ich…“ Madiha senkte den Blick bei dem Anblick. Der Knochen lag blank, auch wenn sie behandelt worden war. Das Mädchen starrte zu Boden und wusste nicht recht wohin mit sich. Den Blick, den sie seitens Calebs erhielt, den konnte sie nicht wahrnehmen. Viel zu sehr haderte sie mit sich und viel zu viel Angst hatte sie, in seinen Blick aus kalter Verachtung zu schauen. Oder schlimmer noch: Jenen Hass aus ihrem Traum. “Es ist gut…“Sie zögerte. “Madi…“ Sie erschauderte beim Klang ihres Namens aus seinem Mund.. ihr Blick flackerte, doch sie hielt ihn am Boden. Bis sie seinen Arm um ihre Hüften spürte und er sie ein wenig dichter zog. Das Mädchen runzelte die Stirn. Sie war völlig verwirrt und konnte überhaupt nicht gut mit allem umgehen. Da waren so viele Gefühle der Schuld in ihr, so viel Schmerz und Unsicherheit. Und eine Sehnsucht, die sie in der Nähe Caleb’s empfand. Sie spürte, dass sie schwach zu werden drohte. Aber das durfte sie nicht. Madiha sank neben Caleb auf das Bett, weil sein Zug sie dorthin dirigierte. Steif saß sie neben ihm und er konnte durchaus fühlen, dass sie nicht aus ihrer Haut konnte. "Ich bin so unendlich froh, dass du noch lebst.“
Madiha hielt inne und starrte für einen Moment auf den Boden zu ihren Füßen. Wirklich?! Noch immer hatte sie es nicht gewagt, Caleb anzusehen. Aber seine Worte waren nicht das, was Madiha erwartet hatte. Sie hatte geglaubt, er würde sie verachten für das, was sie getan hatte…Doch jetzt…? “Ich wüsste nicht ... ohne dich ..." Sie schluckte und langsam wandte sie den Kopf in seine Richtung, damit sie ihn ansehen konnte. Zögerlich, ängstlich und bereuend. Ihr Gesicht trug die Maske der Unterdrückung zur Schau. Auch in ihr lebte das grauenhafte Finale dieser Suche, doch sie verbot es sich, ihr Empfinden darüber zu zeigen. Bis die nächsten Worte über die Lippen des Diebes kamen… “Ich liebe dich, Madi“ Sie starrte ihn ungläubig an. Aus großen, glänzenden, graublauen Augen, starrte das Kind der Wüste Caleb an. Ihre Wangen wurden augenblicklich rot. Eine Sekunde verstrich… eine zweite.. dann lehnte Madiha sich nach vorne und legte liebevoll, ja fast schon sehnsüchtig, ihre Lippen auf die des Diebes.

Sie schloss ihre Augen und ließ ihn spüren, wie sehr es sie bewegte, dass er ihr das sagte. Dass sie ihr Glück nicht glauben konnte. Und dass es für sie nichts schöneres geben konnte… Dass es etwas mit ihr machte und sich hier und dort die Tapeten zurück an die Wände rollten, sich angesengte Bereiche erneuerten… und sie hoffte inständig, er möge sich keinen Scherz mit ihr erlauben, denn sie sehnte sich so sehr danach… doch dann unterbrach ein Schluchzen ihren Kuss als sie von ihren Gefühlen beinahe überrollt wurde und Madiha wandte sich ab. Ihre Gefühle wollten herausbrechen und sich der Welt zeigen, in der Hoffnung, sie würde Halt finden. Aber Madiha verbot es sich erneut, dieses Gefühl von Scham und Schuld, welches nach wie vor da war, preiszugeben. Sie presste abermals ihre Hand auf ihren Mund und schloss die Augen für einen Moment. Sie kämpfte mit sich. Zum einen war da die Hoffnung, die sie in seiner Gegenwart hatte. Die Liebe und die Wärme, die nur er ihr geben konnte. Zum anderen aber ihre Last auf der Seele, von der sie felsenfest glaubte, dass sie stimmte. Und die ihr Seelenhaus zum Einsturz bringen wollte. So standen sich zwei Extreme gegenüber und wollten beide die Vorherrschaft.
Das Mädchen löste sich aus der Nähe von Caleb und erhob sich. Pflichtschuldig stand sie wieder vor dem Bett und warf Caleb einen kurzen Blick zu. Sie klappte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch da erhielt Azura eine wichtige Erkenntnis. “Ge… geschafft…? I… ich habe…“, Madihas Blick rutschte zu Azura. “Wir… haben es… geschafft…? Das war zu viel. Madiha blinzelte und sofort rollten ihr die Tränen über die Wangen und sie sank vor Caleb und Azura auf die Knie. Madiha senkte den Kopf, wie echte Sklaven es taten, wenn sie um Vergebung baten: „Ich hätte euch alle getötet… ich habe gar nichts getan, ich bin schuld an eurem Leid und ihr… ihr… nein..“, sie schüttelte den Kopf und sank noch tiefer. „Ihr habt das geschafft. Und ich will es wieder gut machen. Lasst es mich wieder gut machen…“, flehte sie und hatte die Hände auf die Bettkante gelegt als würde sie ihnen huldigen wollen. Ihr Körper wurde vom Tränenfluss geschüttelt. „Wo... wo ist... er?", Madiha hob leicht den Kopf und blickte Azura mit nassen Augen an. "Wo ist Corax?!“. Madiha kämpfte sich auf die Beine und wischte sich hastig das Gesicht. Ein wenig übereifrig nickte sie. „Ich hole ihn! Ich finde ihn ganz bestimmt!“, antwortete sie fast schon gehetzt. Sie litt unter ihrem eigenen Gefühl, vollkommen unzulänglich zu sein und gleichzeitig die Liebe eines Mannes gewonnen zu haben, dem sie wohl das Schlimmste angetan hatte. Oh, und wie sie Caleb liebte… und wie sehr sie ihn nicht verlieren wollte. Und die Angst, dass er irgendwann einen Fehler in ihr sah… nein, sie musste sich anstrengen. Sie musste zeigen, dass sie ein wichtiger Teil dieser Gruppe war... sein konnte. Dass sie helfen konnte und wollte.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Erzähler » Samstag 18. März 2023, 02:33

Es war erstaunlich, wie schnell Caleb doch auf Azuras Schluchzen hin reagierte und bei ihr war. Ausgerechnet er, ausgerechnet bei ihr. Die zwei hatten sich in letzter Zeit eher entfremdet denn angenähert, aber das mochte vielleicht der einzig positive Aspekt sein, den Serpentis ihnen allen hinterlassen hatte: Ihr gemeinsamer Kampf gegen diese Hexe schweißte sie zusammen. Es ließ sie alle Zwistigkeiten untereinander vergessen, verzeihen und erinnerte sie stattdessen daran, dass sie zusammen, Seite an Seite versucht hatten, einander zu retten.
Das ließ Caleb handeln. Dies und die Tatsache, dass er eben immer noch er selbst war. Er konnte nicht aus seiner Haut heraus und so hätte er Azura wohl auch in den Arm genommen, um sie zu trösten, wenn sie ihn erneut mit Flüchen beworfen, angeschrien oder sogar gekratzt hätte. Es war nun nicht wichtig, wer sie hielt, sondern dass es jemand tat. Sie brauchte Halt, denn ihre Seele hatte vieles zu verarbeiten. Ihre und die Seele von jeweils allen. Jeder focht auf seine Weise mit den Nachwehen dieses Erlebnisses, aber niemand von ihnen blieb verschont. Wie sie mit ihrer Situation umgingen, fiel unterschiedlich aus.
Caleb schien nach außen hin nichts zu belasten. Er wirkte wie immer: besorgt um sein Umfeld und jene, die ihm am Herzen lagen. So stellte er eigene Gedanken und Probleme in den Hintergrund, um sich jenen seiner Mitmenschen zu widmen. Auch das war eine Form der Auseinandersetzung dieser Ereignisse. Er verdrängte offensichtlich, bis es keinen Vorwand mehr gab, die eigene Lage zu ignorieren. Aber es konnte auch helfen, wenn man für den Moment einfach zu schwach war, um sich allem zu stellen.
Auch Azura holte diese Schwäche ein, aber sie war nicht beherrscht genug, um sie in ihrem Inneren zu behalten. Sie hatte es allerdings auch schwerer getroffen als den Dieb, denn zu ihrer mentalen kam zusätzlich noch die körperliche Verfassung hinzu. Der Kampf gegen Serpentis hatte sie einen Teil ihrer hand gekostet. Dort klaffte nun einfach ein Loch, jedenfalls lag die Handinnenfläche offen, so dass man bis zum Knochen schauen, aber nicht komplett hindurch greifen konnte. Das Fleisch blutete nicht. Es war nicht einmal rosig, sondern grau. Wenigstens schmerzte nichts daran, abgesehen vom Anblick. Was stimmte nur nicht mit ihr? War sie wirklich lebendig oder hatte ihre Rückkehr den Haken, dass sie nun als Untote würde auf Celcia wandeln müssen?
Damit konnte Azura sich längst noch nicht befassen. Zu viel brach über sie herein, zu viele Bilder und Erinnerungen. Sie konnte ihnen nicht entkommen, jedenfalls nicht allein. Caleb spendete ihr Halt und überraschenderweise nahm sie ihn an. Sie klammerte sich an sein Hemd, das bis dato sauber gewesen war, ja, sogar angenehm gerochen hatte. Jetzt durchnässte sie es mit allem, was ihr Körper noch hergab. Dass sie neben reichlich Schnodder und Speichel auch wieder Tränen vergießen konnte, ließ darauf schließen, dass sie nicht nur einige Stunden in dem weichen Bett verbracht haben musste. Sobald sie sich etwas beruhigt hatte, würde sie zum einen spüren, dass ihr Körper sich hatte erholen können. Zum anderen dürfte sich in den nächsten Stunden aber auch der Hunger melden.
Ähnlich würde es Madiha ergehen, die sich gerade dem Bett näherte, ohne Caleb dabei einen Blick zuzuwerfen. Sie konnte nicht. Genauso wenig konnte sie nun die Bedürfnisse ihres Körpers wahrnehmen. Sie und Azura mussten erst wieder mental aufgebaut werden, bevor das funktionierte und beide schienen ganz auf ihre Weise meilenweit davon entfernt zu sein. Wo die Andunierin ihren Gefühlen aber ein Ventil in Form eines Ausbruchs gab, da sperrte das Sarmaer Mädchen sie alle tief in sich ein. Das Vorhängeschloss bildeten ihre Schuldgefühle ihnen allen gegenüber und sie konnte nur hoffen, dass ihre kleine Geste, Azura die Perlen zu reichen, auf eine Spur Vergebung traf. Wie schmerzhaft musste dann doch ihre Reaktion ausfallen, als die Rothaarige vor dem Mädchen zurückwich? Nein, nicht vor ihr. Das Säcklein aus einem Teil ihres eigenen Kleides von vor viel zu langer Zeit wies noch immer Blutspuren auf. Man hatte den Stoff gewaschen udn getrocknet, aber die rotbraune Färbung hatte nicht weichen wollen. Darüber hinaus schien es samt Inhalt aber unversehrt. Das Verschlussband aus verflochtenen Haarsträhnen von Azura und dem roten Faden, den sie ihrem Raben aus dem Herzen gezogen hatte, hielt den Stoff noch immer zusammen. Im Innern ruhten ihre Seelenperlen, die bei jeder Bewegung mit einem sanften Kichern aneinander schlugen. Sie waren rein und heil, somit das Gegenteil von dem, was von Azura selbst übrig zu sein schien. Aus Angst, diese Reinheit zu beschmutzen, wand sie sich nicht nur aus Calebs Arm, sondern wich auch vor Madihas Angebot zurück.
Das Mädchen der Wüste sollte keine Vergebung erhalten. Niemand würde ihr verzeihen und das war auch richtig so. Sie hatte sie alle in Gefahr gebracht.
Umso unglaublicher drangen Calebs Worte zu ihr hindurch. Erst seine Erleichterung, dass sie noch lebte und dann Worte, die sich in ihren Gehörgang schmiegten wie ein voller Löffel süßen Honigs auf ihre Zunge. Sie sickerten hinein, schlängelten sich gleichmäßig über jede Knospe, die ihre Bedeutung erfassen konnte und hinterließen etwas, das nicht nur die Sinne berührte. Madiha wurde berührt, tief in ihrem Herzen. Noch in der Spelunke, in der Corax all diese Dunkelelfen und die beiden Orks wie wehrlose Fliegen zerschlagen hatte, waren Caleb und Madiha sich näher gekommen. Aber dort hatte er ihr nicht sagen können, was er fühlte. Er hatte sie nicht belügen und somit in falscher Hoffnung wiegen wollen. Er hatte warten wollen, bis er sich sicher war und nun?
Wie ungemein schön ihre Muttersprache doch klingen konnte, wenn man die richtigen Worte in sie hinein packte! Worte, die aufrichtig ausgesprochen wurden. Caleb sagte derlei Wichtiges nicht einfach so daher. Er plapperte vieles und noch mehr, ohne gründlich darüber nachzudenken, aber sie kannte ihn. Madihas Gefühle verspottete er nicht. Er erlaubte sich keinen schlechten Scherz, wenn er wusste, wie kostbar ihr diese Geste war. Er meinte es ernst. Ein Blick in seine Augen verriet es. Und so suchte sie den Trost, den seine Worte zu geben vermochte, auch an seinen Lippen. Sie fand Wärme daran, seinen eigenen Geschmack. Es war wie beim ersten Mal, nur noch schöner, weil die ausgesprochenen Worte noch daran hafteten, so wie Madihas Lippen nun an den seinen. Nichts hätte sie gerade dermaßen beruhigen können wie er. Trotzdem ware ihre Seele noch immer aufgewühlt. Schuld lastete schwer darauf und Caleb allein konnte ihr keine Asbolution erteilen. Er konnte mildern, aber es nicht ungeschehen machen, was ihr Innerstes zerfraß. Dabei war es doch vorbei. Es war ...
"Ge ... geschafft...?! I ... ich habe ... Wir... haben es ... geschafft...?"
"Ja", erwiderte Caleb knapp und nickte in Azuras Richtung, die ungläubig seinen Blick suchte. Er lächelte sie an und hob den Arm in einer einladenden Geste, damit sie noch einmal Trost bei ihm suchen konnte, wenn sie es brauchte. Und weil er sich in jenem Moment auf die Adlige konzentrierte, gelang es Madiha, sich seinem Arm zu entwinden. Die Nachricht legte sich nämlich nicht mit Erleichterung auf ihr Gemüt, sondern mit Bitterkeit und die Schuld schwappte in ihr hoch wie saure Galle. Tränen brachen sich Bahn, ehe sie vor dem Bett auf die Knie sank wie eine Bittstellerin, die um ihr Leben flehte - wie eine Sklavin, die um das Recht flehte, ihr wertloses Schicksal fortführen zu dürfen.
"Ich hätte euch alle getötet..."
"Madi..." Caleb seufzte ihren Namen, nicht aus Vorwurf, sondern aus Empathie. Er ahnte, was sie sich da auflud, konnte aber nichts sagen, um ihr diese Last abzunehmen. Im Moment nicht, denn er litt mit ihr und wünschte nur, sie würde ihr eigenes Herz nicht so erschweren. "Ich hätte euch alle getötet ... ich habe gar nichts getan, ich bin schuld an eurem Leid und ihr ... ihr ... nein..." Sie bat um eine Chance. Wie wollte Wiedergutmachung leisten, dass es dem Wüstendieb fast das Herz zerriss. Er kannte dieses Verhalten von so vielen Sklaven aus Sarma, vordergründig Frauen der Hurenhäuser, die noch um Vergebung flehten, weil sie in ihrer Angst den Männern nicht so hatten gefällig sein können wie jene es erwarteten. Er schauderte und musste den Blick kurz abwenden. Madiha nach ähnlichem Schema handeln zu sehen ertrug er nicht. Doch noch ehe er zu einer Handlung fähig war, fand Azura wieder genug Worte, um nach Corax zu fragen. Richtig. Der Rabe, der Grauschelm - Leid - er war nicht hier.
"Wo ist Corax?!"
"Ich hole ihn! ich finde ihnd ganz bestimmt!"
Schon sprang Madiha auf die Füße. Ohne das Ziel zu kennen wollte sie los, ihn einfach nur suchen. Irgendetwas tun, damit sie in den Augen der anderen an Wert gewann. Caleb griff nach ihrem Arm und hielt sie zurück. Er sprach zu beiden Frauen und versuchte auch, beide an sich heranzuziehen. "Du musst ihn nicht suchen, Madi. Er ist ganz in der Nähe, nur einen Raum weit entfernt. Kjetell'o hatte sich bereit erklärt, bei ihm zu bleiben, bis er erwacht." Caleb ließ langsam Madihas Arm los. In der altbekannten Geste ruhf er sich mit der Hand in den Nacken. "Jakub meinte sogar schon, er sei längst wieder wohlauf, aber ..." Caleb seufzte aus. Nicht nur seine Wüstenblume kämpfte mit einem schlechten Gewissen. "Niemand von uns hat ihn bislang aufgesucht. Wir ... ich ... kann mich ihm nicht allein stellen." Angst. Caleb fürchtete das Aufeinandertreffen mehr als sie alle zusammen. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, dass er den ordentlich gebundenen Zopf beinahe auflöste und das Band nur noch an wenigen Strähnen hing, um diese zu halten. "Ich möchte nicht allein zu ihm. Wenn ihr beiden euch gut genug fühlt, können wir zusammen gehen. Jakub ist allerdings unterwegs, auf ihn zu warten, könnte ... ich weiß nicht wie lange dauern. Er wollte einige Dinge regeln."
Es klang nicht danach, als würde der Erste Maat in den nächsten Stunden zurück sein und Azura könnte wohl auch nicht länger warten. Selbst wenn ihr Körper sie nun nicht trug, wollte ihr Herz zu ihrem Raben. Und auch Madiha drängte es, Corax aufzusuchen. Wiedergutmachung ... auch bei ihm. Gerade bei ihm und damit war sie nicht allein, wie sie nun erkannte.

Caleb gab beiden jungen Frauen die nötige Zeit, sich etwas frisch zu machen. Er wartete außerhalb des Raumes, von dem sie nun auch erfuhren, dass es ein Doppelzimmer für Studierende höherer Lehrsemester war. Entsprechend lagen wassermagische Kleidungsstücke der Akademie für beide bereit. Ihre ursprünglichen Sachen hatte man unglücklicherweise entsorgen müssen. Madihas feuermagischer Hitzeausbruch hatte selbst Azuras Kleidung so weit angesengt, dass nichts mehr zu retten gewesen war.
Nun mussten beide also Farben und Schnitte der Akademie der Wassermagie auftragen. Wenigstens stellte man ihnen keine allzu altbackene Mode zur Verfügung. Es existierten genug Magier, die klassische, aber auch langweilige Roben bevorzugten. Gerade die älteren Semester erwarteten diese bornierte Darstellung, allein schon um Traditionen zu wahren. Im Laufe der Zeit kam man glücklicherweise in nahezu jeder Magie-Richtung davon weg und nur zu besonderen Anlässen und in gewissen Kreisen hatten Magier einheitlich und in Roben aufzutreten. Die Farben der andunischen Akademie aber - blau und grau - blieben Kern des Ganzen.
Sie konnten sich sogar zwischen mehreren Kleidungssets entscheiden, die für beide in den Schränken des Zimmers bereit hingen. In allen Fällen bestanden sie aber stets aus eng anliegenden Beinkleidern und entweder einer Tunika oder einem Hemd mit Überwurf oder Mantel. Die einzigen Zierden neben muschel- oder wellenförmigen Gürtelschnallen bildeten ähnliche Muster, die als silbergraue Stickereien auf die Trachten aufgearbeitet worden waren. Es handelte sich folglich um Roben der Eleven oder höher Studierenden und nicht etwa um optisch kenntlich gemachte, ausgebildete Magier. Jene trugen viel und mit Stolz elegante Gewänder, die zumindest hier an der Akademie stets einen zauberhaften Bezug zum Wasser besaßen. Aber auch nur ihnen war eine solche Zurschaustellung gestattet, um einen ungeübten Eleven nicht etwa mit einem gelernten Magier zu verwechseln.

Inspirationen: Andunische Eleven-Mäntel | Andunisches Wassermagierinnen-Kleid | Andunische Magier-Tuniken (männlich)

Sobald Madiha und Azura angezogen waren, erhielten sie auf Wunsch auch noch die Gelegenheit, wenigstens eine Kleinigkeit zu essen. Wo auch immer Caleb die Teller mit den Meeresfrüchten herbekommen hatte, sie standen beiden Mädchen zur Verfügung. Dazu gab es andunischen Apfelsaft oder Wasser. Der Wüstendieb und Kapitän wartete geduldig. Dass er dabei jedoch größtenteils schwieg und sich immer wieder den Nacken rieb, machte seine eigene Nervosität deutlich.
Schließlich waren sie alle soweit und Caleb führte Madiha und Azura aus dem Zimmer. Es ging tatsächlich nicht weit durch die Akademie. Calebs Worte waren nicht untertrieben. Sie mussten nur wenige Schritte den Gang hinunter und blieben dann schon vor der einzigen Tür der gegenüberliegenden Seite stehen. Ein Schild daneben verkündete jenen, die auch Garmisch lesen konnten, dass sich hier ebenfalls ein Doppelzimmer für Studiosi (drittes Semester, Männer) befand. Man teilte also strikt nach Geschlechtern, zumindest in diesem Bereich der Akademie. Von der anderen Seite der dunklen Holztür aus waren dumpfe Stimmen zu vernehmen. Zwei Personen unterhielten sich gedämpft. Interessant war auch, dass sich auf dem Gang nicht ein Dunkelelf befand.
"Also dann...", machte Caleb sich selbst Mut und klopfte mehrmals an. Um sich sofort erkenntlich zu machen, hob er seine Stimme an: "Ich bin es, Caleb van Tjenn." Die Stimme, die ihm antwortete, ging wohl jedem der drei sofort durch Mark und Bein.
"Herein!", rief das herrische Timbre eben jener Dunkelelfe, die sie vor Madiha und Azura unbekannter Zeit noch im Hof bekämpft und der Caleb ein zweites Lächeln verpasst hatte. Er riss allerdings nicht erschreckt die Tür auf, um gemeinsam mit seinen Begleiterinnen den Raum zu stürmen. Ruhig, wenn auch etwas steif trat er hinter beiden Frauen ein. Die Kammer unterschied sich nicht groß von jenem Raum, in dem Azura und Madiha untergebracht worden waren. Zwei Betten, Lagertruhen, Schränke, Schreibtische. Nur besaß dieser Raum keine Fenster, sondern eine bogenförmige doppelflügelige Tür, die auf einen deutlich breiteren Balkon hinausführte. Auch diese stand offen und die beiden Personen, welche bis eben noch den Blick auf das Meer gerichtet hielten, wandten sich nun um. Dabei nahm die Frauengestalt ihre elegante Hand aus dem Nacken ihres Nebenmannes. Sie drehte sich mit einem eleganten Hüftschwung, dass die Falten ihres schwarzroten Kleides wie Flammen züngelten, als sie sich in der Drehnung neu verteilten. Sie sah gut aus, makellos geradezu. Vor allem aber fiel auf, dass ihren Hals keine klaffende Wunde aufteilte, so dass man bis auf Speise- und Luftröhre sehen konnte. Zwar zog sich eine Linie von einem Schnitt dort entlang, aber bei weitem nichts Lebensgefährliches. Das ohnehin nicht, denn Serpentis Mortis stand aufrecht vor ihnen und blickte Azura, Caleb und Madiha aus schwarz funkelnden Augen an.
"Schau, wir haben endlich Besuch." Sie lächelte und neigte den Kopf, dass einige Strähnen ihres rot gefärbten und hochgesteckten Haares dabei auf ihre Schulter fielen. Schon berührte sie erneut den Nacken des Mannes neben sich und der Dunkelelf wandte sich um. Corax. Er stand aufrecht, trug im Gegensatz zu den Mädchen keine andunischen Roben, sondern eine schlichte dunkelgraue Tunika über schwarzen Hosen. Ein Überwurf, der ihm knapp bis zum Ellenbogen fiel, verdeckt den Stumpf seines linken Armes mit schwarzem Filzstoff. Man hatte ihm das Haar ein wenig geschnitten, aber jeder Versuch es zu frisieren, schien gescheitert. Es hing ihm wie wirre Rabenfedern von ähnlicher Farbe über die spitzen Ohren und in die Stirn. Darunter glommen seine Rubine - ungebrochen, aber vor Schreck geweitet, ehe er in ähnlich schuldbewusster Manier wie zuvor Madiha den Blick senkte. Serpentnis stricht mit spitzen Fingern von Corax' Nacken empor in sein Haar und dann hinunter bis zwischen seine Schulterblätter. "Sie sind wegen dir hier, wie ich es dir gesagt habe. Nur Mut!"
Dann gab sie ihm einen sanften Schubs und der Rabe setzte sich in Bewegung. Auf einer halben Armeslänge Abstand hielt er vor den drei Besuchern an. Endlich hob er den Blick, suchte jenen von Madiha und Azura. Caleb konnte er nicht anschauen. Er holte Luft und schon sank Corax hinunter zu Boden und auf die Knie. Er beugte sich vor, musste sich mit seiner verbliebenen Hand auf dem Steinboden abstützen, um nicht vornüber zu kippen, dabei hätte ihn seine fast bis zum Boden gesenkte Stirn schon aufgehalten. Er bebte und seine Stimme war mehr ein ersticktes Kratzen, was durchaus den Verbrennungen an seinem Hals geschuldet sein konnte. Trotzdem rang er sich einige Worte ab: "Es tut mir leid. Es ist meine Schuld ... ich mach es wieder gut. Irgendwie! Bitte, vergebt mir. Ich werde es richten, ich werde jede Strafe annehmen, um es wiedergutzumachen."
Hinter Madiha und Azura seufzte Caleb auf und rieb sich den Nacken. "Oh, bitte! Können wir damit aufhören von Schuld und Vergebung zu sprechen. Keiner von euch dreien sollte sich das eine aufladen und um das andere bitten!" Dann hob er den Blick, um ihn auf Serpentis zu richten. "Und du solltest die Scharade nicht die ganze Zeit aufführen. Das kostet ihn nur Kraft!"
Serpentis erwiderte den Blick. Ihre Augen blitzten kurz auf, ehe sie wieder lächelte. Mit ausgestrecktem Finger zeigte sie hinter Caleb. "Dann solltest du die Türe schließen, bevor der Schwindel noch auffliegt." Caleb gehorchte und sobald das schwere Holz mit einem Klicken verkündete, dass sie unter sich waren, trat die Feuerhexe bis an Corax heran. Sie ging neben ihm in die Hocke, berührte nun schon zum dritten Mal seinen Nacken. "Du kannst es für den Moment aufheben ... und steh auf. Sie sind deinetwegen hier, weil sie dich retten wollten und nicht, um dir eine Strafe aufzuerlegen."
Corax richtete sich auf, bis er kniete und das Gewicht auf seinen Beinen, sowie Füßen lag. So konnte er seine Hand nutzen, um einmal durch die Luft zu wischen und die Illusion aufzulösen. Nicht länger hockte Serpentis neben ihm, sondern Kjetell'o, der noch immer so aussah wie die Mädchen ihn beim Kampf gegen die Feuerhexe und ohne Kapuze erblickt hatten. Er kraulte Corax im Nacken. "Du kannst aufstehen", sagte er mild und warf dann einen Blick zu Azura und Madiha empor. In seinen Wäldern von Augen funkelten goldene Sonnenflecken wie eh und je. Corax aber schüttelte den Kopf mit verkrampfter Haltung. Er schien den Tränen nahe und konnte doch keine vergießen. Auch er hielt alles zurück, was einem Sklaven ohne Wert nicht gebührte. Vertraute Muster, die eben noch in einem anderen Raum erlebt worden waren. Keine Seele war verschont geblieben. Aber...
"Ihr habt der Akademie einen noblen Dienst erwiesen und schau doch endlich. Sie sind unverletzt, deine Freunde. Ihr habt einander gerettet."
Corax zuckte, als Kjetell'o den Begriff von Freunden verwendete. Allein dieses Wort drückte seinen Körper empor, bis er stand. Endlich konnte der andere Elf die Finger aus dem Nacken des Raben sinken lassen, weil Corax den Blick anhob. Unsicher war er dennoch, aber es flackerte auch eine Spur Hoffnung in dem Rubinrot, welches sich sowohl auf Madiha als auch Azura richtete. Hoffnung auf Vergebung, die keiner der Anwesenden vom anderen erbitten musste.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Azura » Samstag 18. März 2023, 14:01

So wie in der Sarmaerin schlummerte auch in ihr die Gefahr der ungebändigten Magie. Auch sie hatte ihr eigenes Können, ihre Beherrschung ihres Elements um ein Vielfaches überschätzt und bei ihrer ungeübten Nutzung für großen Schaden gesorgt. Doch im Gegensatz zu der anderen zog sie sich nun, mit einem gewissen zeitlichen Abstand und einer langen Ohnmacht nicht in ihr altes Verhaltensmuster zurück, um mit der daraus resultierenden Konsequenz weiter leben und dennoch nicht an sich heranlassen zu müssen.
Stattdessen brach sich ihr Gefühlschaos anderweitig Bahn, machte sie kopf- wie hilflos und auf Schutz angewiesen. Mehr noch, auf Trost und Wärme, die ihr helfen würden, irgendwann darüber hinweg zu kommen, was sie getan hatte. Ohne in ständiger Furcht vor sich selbst leben zu müssen... Ob, wie und wann ihr das gelänge, stand dabei noch nicht einmal zur Debatte.
Jetzt brauchte sie lediglich Hilfe, um sich zumindest ein bisschen beruhigen zu können und nicht in die drohende Hysterie zu verfallen. Denn diese wäre kein Ausweg, sondern könnte womöglich noch alles schlimmer machen, sobald sie auch ihre schlummernden, noch vorhandenen magischen Kräfte erreichen würde.
Diesen Halt bekam sie auch, gleich zwei Personen versuchten, ihn ihr zu bieten. Oh, wie gerne sie dieses Angebot angenommen und sich wie früher auch hätte umsorgen lassen wollen! Aber... auch in ihrem Inneren hatte sich etwas verändert und im Gegensatz zu früher reagierte sie dieses Mal nicht, indem sie sich schonungslos nahm, was ihr gegeben wurde.
Ja, sie klammerte sich anfangs an den Kapitän und wäre das Säckchen nicht in ihr Blickfeld geraten... hätte sie womöglich auch irgendwann auf die Frage der anderen reagiert. So hingegen... wich sie zurück und näherte sich erneut der Panik. Nicht, weil sie Blut zu sehen bekam, Blut, das den Stoff des Säckchens getränkt und verfärbt hatte. Das war ihr in diesen Momenten nicht mal bewusst.
Nein, sie wusste um den Inhalt, um dessen Reinheit... und darum, dass sie selbst getötet hatte. Zwar nicht mit jenen Händen, an denen sie imaginäres Blut zu kleben fühlen glaubte, sondern mit der Macht von Feuer und Wasser. Sie war es gewesen, ohne ihr würden diese Personen noch leben... sie war besudelt bis auf alle Zeit und solange niemand sie eines Besseren belehrte, würde sie sich weigern, mit dieser Unreinheit ihrem eigenen Opfer zu nahe zu kommen. Dazu war es viel zu kostbar, noch kostbarer, als sie es jemals wieder werden könnte...
Aber auch eine andere Nachricht war von großer Bedeutung und jene schaffte es endlich, durch all ihre emotionalen Stürme hindurch bis zu ihrem Geist. Langsam konnte sie ein wenig zurück finden und schließlich sogar direkt nachfragen, weil sie es noch nicht recht glauben konnte. Dass sie dabei auch die Sarmaerin miteinbezog, inhaltlich und sprachlich... das war neu und ein Keim, der sich zu pflegen vermutlich lohnen könnte. Sofern Interesse daran bestünde...
Dadurch jedoch brach auch ein Damm und plötzlich war sie nicht mehr die Einzige, die Tränen vergoss. Allerdings war ihr Verstand trotz allem noch recht träge, sodass sie ihre Zeit brauchte, um dem Gestammel der anderen einen Sinn geben zu können. Zeit, in der man ihrer Mimik ansehen konnte, wie es in ihrem Kopf arbeitete und weswegen sie gerade nicht in der Lage war, auch die Einladung zu einer weiteren, Halt gebenden Umarmung zu erkennen.
Azura blieb hocken, wo sie war, für sich und so, dass sie nichts außerhalb ihres direkten Umfeldes beschmutzen konnte, während sie mehrfach blinzelte, weil ihr die Augen brannten, und irgendwann anfing, ihre Stirn leicht zu runzeln vor lauter Konzentration. "Nichts... getan...?", murmelte sie verständnislos und deutete langsam ein Kopfschütteln an. Diese Wendung der Situation überforderte sie im Moment derart, dass ihr Geist lieber einem anderen, weniger komplexen Faden folgen wollte.
Was dazu führte, dass sie es auch kurzerhand aussprach. Vor ihr sprang die andere wieder auf die Füße, dass die junge Frau blinzelte und erst jetzt allmählich begriff, dass diese auf die Knie gesunken war. Es ging ihr gerade viel zu schnell, weswegen es der Kapitän sein musste, der sein Herzblatt aufhielt und den Faden weitersponn, während Azura nur da saß und... glotzte.
Solange, bis ein weiterer Name fiel, der einen Hauch von Rosé in ihre Wangen zauberte, ohne, dass sie etwas dagegen tun konnte. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung und in ihrem Nacken stellten sich die feinen Härchen auf bei der Erinnerung an das Gefühl, das sie aus ihrem Schlaf geholt hatte. Beschämt darüber, dass sie solches gesehen und zugelassen hatte und ausgerechnet dieser Mann nun bei dem anderen war, dem ihr Herz eigentlich gehörte, schlug sie die Augen nieder.
"Er wird mich verachten...", hauchte sie tonlos und wusste selbst nicht, wen von den Beiden sie damit meinte und warum genau. Stattdessen schlug sie wieder die Hände vors Gesicht, wenngleich vorerst keine weiteren Tränen folgten. Dabei rauschten die Worte an ihren Ohren vorbei.
Lediglich die Möglichkeit, bald Corax gegenüber zu stehen, ohne dem drohenden Tod im Hintergrund, blieb bei ihr hängen und beschleunigte ihren Puls. Ja, sie wollte zu ihm, ihrem Raben, unbedingt, so schnell wie möglich! Doch gleichzeitig fühlte sie sich ebenfalls nicht in der Lage dazu, ihm unter die Augen zu treten. Wie denn auch, wenn die Lippen eines anderen ihre Finger zärtlich berührt hatte... wenn er damit ihr Blut zum Rauschen gebracht und sie sogar davon geträumt hatte. Er musste ihr diesen Verrat an der Nasenspitze ansehen! Wie könnte sie je wieder in seine Arme... nein, in seinen Arm sinken und ihm einfach nur nahe sein, wenn es da noch jemanden gab, der... sie zu verwirren wusste?
Irgendwann, als sie längst nur noch zu zweit waren, was sie gar nicht mitbekommen hatte, schüttelte sie den Kopf. Verweint, mit klebrigen, fleckigen Wangen und geröteten Augen ließ sie allmählich ihre Hände sinken und suchte den Blick der Sarmaerin. "I... ich... ich kann das nicht... Ich kann nicht zu ihm! Sieh mich an, ich... ich... Ich kann es einfach nicht!", jammerte sie voll ehrlichen Leid, auch wenn sie sich instinktiv aus Selbstschutz nur in diese Begründung flüchtete.
Sie hatte bislang noch kein Spiegelbild von sich gesehen, doch es reichte ihr Wissen um ihre Erscheinung nach ihrem Erwachen und der Umstand ihrer verletzten Hand, dass sie erst recht nicht zu ihrem Raben gehen könnte. Viel zu groß war die Angst davor, wie hässlich und abstoßend er sie nun finden müsste, weil sie noch immer wie eine vertrocknete Pflaume aussah. Lediglich ihr Gestank war besser geworden... oder der Seifenduft schlichtweg stark genug, um ihn zu überdecken.
Es bedurfte eindeutig der Geduld und einer sanften Entschlossenheit, ihren Willen nicht zu beachten, um sie dazu zu bewegen, das Bett zu verlassen und sich umzuziehen. Wie auch immer die andere es schaffte, am Ende schmiegte sich über dem Beinkleid ein Hemd mit Überwurf um ihre verblasste Schönheit und kaschierte ein wenig die schlaff gewordenen Gliedmaßen. Die Füße schob sie in Stiefel mit einem niedrigen Absatz, die ihr bis knapp unters Knie reichten. Ihr Haar flocht sie sogar selbst zu einem losen Zopf, aus dem sich einige der kürzeren Strähnen lösten und das Ganze auflockerten. Und ihre versehrte Hand... die umwickelte sie mit einem Verband, den sie gefunden hatte, um allen diesen Anblick zu ersparen. So hergerichtet wirkte sie beinahe schon wieder wie die Alte... wenn ihr Blick nicht so unglücklich und zugleich mutlos gewesen wäre.
Sollte die Sarmaerin etwas essen wollen, würde sie nichts dagegen sagen. Sie selbst jedoch verzichtete, trotz eines leisen Grummelns in ihrem Magen, denn der Appetit war ihr vergangen. Nicht nur wegen all der Gefühle, die in ihrem Inneren tobten, sondern auch wegen der Angst vor dieser, eigentlich so wichtigen Begegnung, die ihr bald bevorstand.
Als es schließlich soweit war, war es dieses Mal Azura, die als letzte ging. Ihre Knie fühlten sich weich wie zerlaufende Butter an und ihr Herz schlug hart in ihrer Brust, dass es schmerzte. Sie kaute an ihrer Unterlippe herum vor Nervosität und wäre sie alleine gewesen, sie hätte spätestens nach jedem zweiten oder dritten Schritt kehrt gemacht.
Tatsächlich war sie drauf und dran zu flüchten, als er auch schon klopfte und eine Stimme ertönte, die ihr sämtliche Restfarbe aus dem Gesicht weichen ließ. Sie erstarrte und keuchte voller Leid auf bei diesem Klang. Nein... nein, das war nicht möglich! Wie konnte das nur sein?!
Ihre Augen brannten und ihr Blick wurde beinahe panisch, als er einfach so, als wäre da drinnen nicht ihrer aller größte Feindin, die Tür öffnete. Mehr noch, als wäre diese eine Stimme nicht erklungen, schob er die Andunierin kurzerhand vor sich hinein in den Raum. Hätte sie der Schrecken nicht dermaßen gelähmt, sie wäre herumgewirbelt und dieses Mal weggelaufen.
So starrte sie auf jene Person, die mal wieder mit einer Geste ihre Macht über den Einarmigen demonstrierte, und keuchte voller Entsetzen auf. Ihr Kopf bewegte sich wie von selbst von einer zur anderen Seite. "Nein... nein, das kann nicht... kann nicht... Oh Corax...", wimmerte sie und wich soweit zurück, bis sie gegen jemanden... oder die Wand stieß. Ihre Hände tasteten nach Halt, um nicht gleich zu Boden zu gehen. Sogar eine Ohnmacht wäre ihr jetzt allemal lieber als dieser Anblick! Nun schaffte es ihr Körper tatsächlich, erneut Tränen zu produzieren, die ihre Wangen erneut herabliefen.
Während die beiden Gestalten am Balkon sich ihnen zuwandten und die Hexe schon wieder demonstrierte, welche Macht sie über Corax besaß, schluchzte Azura auf. "Warum...? Warum tust du das...?", klagte sie wie ein Hauch. Die Worte galten Van Tjenn, der sie an diesen Ort zwang und der sich scheinbar mit der Feindin verbündet hatte, um sie... zu quälen.
Warum? Weil sie getötet hatte? Weil sie ihm Vorwürfe gemacht hatte, wegen seiner Verantwortungslosigkeit damals?! Oder... oder hatte er Gefallen daran gefunden zu... zu foltern? Verzweiflung umklammerte ihr Herz und Panik flackerte in ihrem Blick auf, breitete sich äußerlich und innerlich in ihr aus, bis sie alles einzunehmen schien.
Sie sah, was vor ihr passierte, sie vernahm die Worte und dennoch... sie konnte keinen Sinn dahinter ausmachen und es fiel ihr zunehmend schwerer, überhaupt zu atmen und nicht hysterisch zu werden. Sie verstand nichts, sie spürte nur noch Angst und Schmerz. Das Geräusch, als die Tür geschlossen wurde, ließ sie wie unter einem Peitschenhieb zusammen fahren.
Entsetzt starrte sie zu dem Kapitän, als erwarte sie, dass er sich nun ihr widmen würde... und das nicht auf die positive Art und Weise. Er zog keine Waffe und griff sie nicht an... was das Ganze für sie noch schlimmer machte, denn sie war davon überzeugt, dass dies nur noch eine Frage der Zeit wäre.
Und die Sarmaerin? Was würde die tun? Auf wessen Seite würde sie stehen?!
Gehetzt flackerte ihr Blick von einem zum anderen und als dann auch noch die Luft kurz flimmerte nach einer Armbewegung, da wähnte sie sich schon einer Ohnmacht nahe. Stattdessen löste sich das Bild vor ihren Augen auf und neben Corax stand... Kjetell'o!
Das war zu viel für Azura. Die Angst vor dieser Begegnung, davor zu sehen, wie ihr Rabe sie nun wirklich wahrnehmen müsste, nach allem, was sie getan und empfunden hatte, und dann solch ein Schauspiel ohne Vorbereitung... Nein, das ertrug sie nicht!
Gequält aufschluchzend wirbelte sie herum, ruckte heftig an der Tür und sofern diese nicht abgeschlossen worden wäre, würde sie hinauslaufen, kaum, dass das Blatt aufschwingen würde. Sie würde laufen und laufen, ohne einen Blick dafür, wohin ihre Beine sie tragen würden. Solange sie nur weg käme, weg, an einen Ort... in eine Ecke, in die sie sich verkriechen könnte vor allem und jedem, in der sie ihre letzten Tränen vergießen würde, bis sie so leer wäre, wie sie sich nur noch fühlen wollte, um endlich all diesem Chaos zu entrinnen.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 18. März 2023, 22:34

Wer hätte ihr Absolution erteilen sollen? Nicht sie warfen ihr, ihr Versagen vor. Das schaffte Madiha ganz allein. Sie hatte ja nicht geahnt, wie wichtig es ihr geworden war, dass sie Teil von etwas wurde. Dieser schleichende Prozess war ihr nicht mal besonders bewusst geworden und doch passierte er. Nun aber drohte sie alles zu verlieren. Sie selbst hatte dafür gesorgt, dass es soweit kam. Sie selbst war die Wurzel und nun brauchte sie so dringend etwas woran sie sich klammern konnte. Caleb reichte ihr so viel mehr als nur einen Arm. Er verstand sie und er las in ihr, wie sie es niemals in einem Buch könnte. Aber auch er hatte seine Last zu tragen. Auch in ihm erkannte sie das Erlebte und sie verlangte von ihm nicht, dass er nun für sie da wäre. Madiha verlangte nie etwas für sich oder beanspruchte es. Einzig ihre Freiheit war etwas, was das Mädchen für sich haben wollte. Und es hatte Unglück gebracht und hätte beinahe nicht ‚nur‘ das Leben ihr Unbekannter gekostet. Jetzt würde sie diese Freiheit hundertmal lieber aufgeben, wenn sie dadurch bleiben durfte. Wenn sie sie nicht fortschickten. Eine Erkenntnis bildete sich aus, schlummerte aber noch unentdeckt in ihrem Kopf. Das Mädchen flehte bitterlich um Gnade. Sie würde sich Mühe geben. Sie konnte das ganz bestimmt! Sie konnte nützlich und wertvoll sein. Wenn sie ihr nur ein wenig mehr Zeit gaben. Sie war so viel länger eine Sklavin gewesen als in Freiheit zu sein und es fehlte ihr an Übung. Natürlich gab es einfach Maßstäbe, nach denen sie ihre Chance verwirkt hatte. Doch wenn sie willens war und zeigte, dass sie alles sein konnte, was man verlangte… wären sie dann bereit, dass sie sie behielten?

Caleb sagte, dass er sie lieben würde. Er war es, der es meisterlich verstand, für andere zu sorgen. Aber er vergaß auch sich selbst dabei. Wenn er wahrlich über diesen Kampf nachdenken würde und wenn er es wieder und wieder in seinem Kopf abgespielt hätte… dann würde er es auch sehen können. Und dann musste sie bereit sein und Wiedergutmachung geleistet haben. Damit er blieb. Er und seine Liebe für sie. Wie sehr sie davor Angst hatte, dass er sie erkannte. Sie als Scharlatanin entlarvte und bemerkte, dass sie nichts zu bieten hatte. Dass sie nicht das sein konnte, was er suchte… Er hatte Dunia. Und blieb bei ihr? Zweifel wollten sich regen. Madiha befand sich an einem kritischen Punkt. Sie konnte mit ihrer Tatenlosigkeit nicht umgehen und wollte daher unbedingt Azura ihren Wunsch erfüllen. Somit wäre sie wohl blindlings losgestürmt, um Corax zu finden, wenn Caleb sie nicht aufgehalten hätte. Sie zuckte und blieben an Ort und Stelle. Sie musterte ihn unsicher.
Dann löste er das Rätsel auf und Madiha seufzte tonlos. Das wäre offenbar keine Möglichkeit, dass sie helfen konnte. Ihr Blick glitt zu Azura. Sie sah nicht so aus als wäre sie überhaupt in der Lage etwas vernünftig wahrzunehmen. "Niemand von uns hat ihn bislang aufgesucht. Wir ... ich ... kann mich ihm nicht allein stellen.", sie blinzelte zu Caleb. Ihr Blick ruhte auf ihm. Er hatte angst. Ein Stich quälte ihr Herz. Auch jetzt noch quälte er sich wegen dem, was er aus dem Affekt heraus in der Taverne getan hatte. Ihr Blick glitt wieder zu Azura, dann zurück zu Caleb. Sie mussten Corax sehen. Und sie beide brauchten Beistand dabei. Sie reckte das Kinn und straffte die Schultern ein wenig. Sie würde ihnen helfen. Das konnte sie tun! Dass Madiha selbst Grund genug hatte, den Raben aufzusuchen, verbannte sie in die hinterste Ecke ihres Denkens. Sie kehrte zurück zu ihrem Leben, das sie kannte und beherrschte. Ein Leben in Linien, bei dem man keine Grenzen überschreiten durfte oder wollte. Azura, Caleb und Corax mussten einander wiedersehen. Und sie würde ihnen dabei helfen!

Caleb aber ließ sie nun allein, sodass sie Zeit hatten, sich frischzumachen und anzukleiden. Madiha blieb regungslos stehen, sobald sie mit Azura allein war. Sie blieb an Azura’s Bett stehen und …. wartete. Bis die Adelige das Wort an sie richtete: "I... ich... ich kann das nicht... Ich kann nicht zu ihm! Sieh mich an, ich... ich... Ich kann es einfach nicht!" Madiha aber war da. „Nein, sag das nicht.“, sprach sie beruhigend, während sie sich auf das Bett setzte und Azura tatsächlich in ihre Arme schloss. Sie strich ihr sanft über den Oberarm und wiegte sie ein wenig hin und her. „Er findet dich wunderschön, das hat er gesagt. Corax wird es kaum erwarten können, dich zu sehen…“, versicherte Madiha und meinte es, trotz der seltsamen Art und Weise, wirklich ernst. Ihre Worte waren ehrlich gesprochen, auch wenn ihre Handlungen befremdlich sein mochten. Sie erhob daraufhin und holte die Kleidung. Vorsichtig und behutsam half sie Azura dabei, sich anzuziehen. Madiha kniete sogar vor dem Bett, um ihr in die Hosen zu helfen, ehe sie mit einer Tubika das Äußere komplettierte. Ihr standen die Farben hervorragend. Madiha öffnete sogar die beiden Zöpfe und reichte ihr eine Bürste. Und was auch immer es genau war…Azura schien es für einen Moment zu helfen, denn sie krabbelte aus dem Bett. Und während Azura sich selbst die Haare flocht, nutzte Madiha die Zeit, um sich selbst zu waschen und anzuziehen. Sie wählte das Wassermagierinnen-Kleid und strich nur eine Sekunde etwas gedehnter über den Stoff. Er war wundervoll, doch viel Zeit ließ sie sich dieses Mal nicht.
Madiha kehrte zu Azura zurück und wartete stumm, ob sie noch Hilfe bräuchte, bevor sie beide, ohne zu essen, mit Caleb mitgingen. Dabei fiel ihr Blick immer wieder auf den breiten Rücken des Diebes. Er wirkte ungewöhnlich still und Madiha glaubte den Grund dafür zu kennen. Auch ihm würde sie helfen. Auch er brauchte das. Dabei vergaß Madiha aber sich selbst. Und was sie bräuchte, denn ihr Denkmuster gaukelte ihr vor, dass sich nichts geändert hatte. Wobei sich alles veränderte.

Während des kurzen Weges, warf sie aber auch Azura immer mal einen Blick über die Schulter zu. Sie achtete auch auf sie und als sie vor dem Zimmer stehenblieben wartete Madiha still und insichgekehrt, bis sich eine Stimme aus dem Raum schälte, die sie erstarren ließ. Madiha starrte auf die Holztür und ihr Puls beschleunigte sich heftig. Wie war das bloß möglich?... sie jatte dich gesehen, wie Caleb zum Mörder geworden war… wie er dagestanden hatte, mit der Klinge…, rot von ihrem dunklen Blut! Mit Rauschen in den Ohren wurde auch sie durch die Tür geschoben und starrte augenblicklich auf die Feuerhexe. Azura war nicht minder entsetzt und taumelte schon zurück. Sie prallte gegen Madiha, die augenblicklich nach der unversehrten Hand der Adeligen griff und sie drückte. Azura wisperte für ihre Ohren unverständliche Worte und drängte weiter in Richtung Ausweg. Madiha aber war wie versteinert. Ihr Verstand versuchte logische Schlüsse zu ziehen und dennoch glitt ihr Blick unsicher zu Caleb. „Was hat das…?“ keuchte sie ahnungslos, dann traten Serpentis und Corax vor und der Rabe sank auf die Knie.
Madiha blinzelte. "Es tut mir leid. Es ist meine Schuld ... ich mach es wieder gut. Irgendwie! Bitte, vergebt mir. Ich werde es richten, ich werde jede Strafe annehmen, um es wiedergutzumachen.", flehte er und sie ließ Azura’s Hand wieder los. Und die Erkenntnis, die sich bereits eingenistet hatte, zeigte endlich ihr ganzes Gesicht. Corax… auch er wollte alles aufgeben, wenn er nur bleiben durfte. Einmal mehr war er es, der Madiha daran erinnerte, wer sie in Wahrheit war und wer sie niemals sein würde. Er warf sich vor ihre Füße und bettelte, ebenso wie sie es nur Augenblicke zuvor getan hatte. Madiha senkte den Blick und versuchte mühsam ihre Tränen zurückzuhalten. Sie fühlte sich just in dem Moment als wäre ihre Seele mit der des Raben verschmolzen. Sie war Sklavin. Und könnte nie etwas anderes sein. Ihre Ohren rauschten und ihr Blick blieb tränenverhangen. Sie presste die Lippen aufeinander, rührte sich aber nicht, denn… Serpentis stand neben ihm und starrte sie mit diesen dunklen Augen an. Irrte sie sich oder wurde es schon wieder unerträglich heiß? Angst kroch ihr ihre Kehle hoch, doch war es erneut Caleb, der sich einen Weg durch ihren Tunnel suchte und sie erreichte, wo es sonst niemand konnte.
Madiha blinzelte und atmete wieder. Dann konnte sie auch sehen, wie sich der grauenhafte Schleier von der Gestalt des Elfen Kjetell’o entfernte. Sie keuchte und machte ihrer Erleichterung Platz. Es war ein Trick….ein Trick und sie spürte, wie ihre Knie kurz einknicken wollten, während die Anspannung wich. Doch Madiha gab nicht nach. Sie senkte den Blick wieder von dem ebenmäßigen Gesicht des geheimnisvollen Elfen und starrte auf den dunklen Schopf, der noch am Boden saß. Sie machte einen minimalen Schritt auf ihn zu, doch schon erhob er sich und sie hielt sich zurück. Und während Kjetell’o von noblen Diensten und Freunden sprach, schluchzte Azura neben ihr auf und suchte ihr Heil in einer Flucht. Madiha blinzelte überrascht und drehte sich mit der Andunierin herum. „Azura warte!“, stieß sie aus und eilte ihr tatsächlich nach, dass sie die Tür gemeinsam erreichten. Madiha lehnte sich mit dem Rücken dagegen und hinderte sie daran, das Zimmer augenblicklich wieder zu verlassen.

Stattdessen aber kehrte eine seltsame Ruhe in das Mädchen ein und sie hob die Hände beschwichtigend, bevor sie erneut die Hand der anderen ergriff und ebenso drückte, wie zuvor. „Ruhig, Azura. Ich habe versprochen, dass ich dich zu ihm bringe. Hier sind wir… hab keine Angst. Wir sind alle hier und… niemand wird dir etwas tun.“, sprach sie tatsächlich auf sie ein. Madiha zeigte, dass sie als Sklavin aufgewachsen war. Sie stellte all ihre eigenen Emotionen, ihre Gedanken und Ängste weit hintenan. Und sie diente. Madiha vergewisserte sich, dass Azura nicht den Raum verließ und bedeutete ihr behutsam, dass sie sich herumdrehen sollte. Ob Azura folgte oder nicht, überließ Madiha allerdings ihr. Wichtig war nur, dass sie blieb. Das Kind der Wüste aber trat von der Tür und ging einige Schritte in den Raum. Sie richtete ihren Blick auf Corax, während sie Kjetell’o nur kurz streifte. Sie wusste, sie hatte Caleb schräg in ihrem Rücken und auch Azura blieb hoffentlich. Doch nun richtete sich alle Aufmerksamkeit auf den Raben. Sie schaute ihn an, Sekunden vergingen… dann sank Madiha vor Corax auf die Knie und legte die Handflächen auf den Boden. Sie beherrschte diese Position mühelos und kopierte Corax, der das gleiche Schicksal teilte. Madiha aber tat es nicht aus Solidarität… sondern weil sie eben genau das war. Eine Dienerin. Und sie diente in diesem Moment dem Raben, der Andunierin, dem Dieb und dem Elfen. Selbst Jakub. „Ich habe versprochen, dass ich dich zu ihr bringe…“, kam es gedämpft, da sie gen Boden sprach. „Und… ich“, ihre Stimme brach ein wenig. Madiha fühlte diese unendliche Schuld noch immer. Und sie zwang sie in dieses Leben zurück, damit sie überhaupt wusste, wie sie nun handlungsfähig bleiben sollte. „Corax… ich flehe dich um Entschuldigung an. Dass du glaubtest, nicht zurückzukönnen. Glaubtest, ich würde … schreckliches von dir verlangen… und dass du deswegen zurückkehrtest an die Seite von... und unaussprechliches erleben musstest…“, noch immer kniete sie tief am Boden. „Und ich will jedem einzelnen von euch dienen.“, sie erhob sich auf die Knie und hatte den Blick gesenkt. „Es tut mir unendlich leid… ich… Du musst gar nichts wiedergutmachen. Aber ich… und ich werde es… irgendwann…“, schloss sie die Augen und konnte nicht verhindern dass ihr die Stimme abermals brach. „Ich verspreche es….“.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Erzähler » Sonntag 19. März 2023, 09:11

Wie war das nur möglich? Sie beide hatten gesehen, dass Serpentis Mortis zu Boden gegangen war, die Kehle aufgeschnitten von einem Ohr bis zum anderen. So viel Blut war gespritzt, dass die Frau unmöglich noch hatte am Leben sein können. Und doch stand sie hier. Schlimmer noch: sie berührte Corax im Nacken, fast wie einen Geliebten. Sie wies ihn an und lenkte ihn mit süßer Zunge, säuselte ihm Ratschläge zu und erschlich sich so Sympathien. Nein, am schlimmsten war, dieses Bild mit dem Wissen zu sehen, dass Caleb Azura und Madiha einfach hier hereingeführt hatte. Er hatte sie verraten. Er lieferte sie der Hexe aus!
Azura wurde es zu viel. Sie konnte nicht einmal darauf reagieren, was ihr Rabe tat, sah ihn nicht einmal an, wie er da auf Knien vor ihr und der Sarmaerin herum rutschte und wohl noch bereit gewesen wäre, sich weitere Gliedmaßen für ein wenig Absolution zu entfernen! Schockiert durch die alleinige Anwesenheit der eigentlich getöteten Feuerhexe suchte sie ihr Heil in der Flucht. Jedenfalls versuchte sie es. Sowohl Caleb als auch Madiha reagierten. Letztere war allerdings schneller an der Tür, dass es bei Caleb nur bei einem Aufzucken blieb. Anschließend wischte er sich durch die bereits erneut zu Chaos verdammter Frisur und warf Kjetell'o einen eindringlichen Blick zu. Der Elf hatte längst die Illusion durch Corax aufheben lassen und stand nun zwischen ihm und Caleb, den Blick auf beide Frauen gerichtet. Er beobachtete, griff weder bei den Mädchen ein, noch schickte er ihnen Corax hinterher, auch wenn dieser sich seinerseits endlich erhoben hatte.
Madiha redete derweil noch beschwichtigend auf Azura ein. Das Bild war im Grunde ein Schönes, wenn man die Geschichte beider kannte. Wie hatten sie nur bislang einfach nebeneinander hergelebt. Azura hatte Madiha immer gänzlich ignoriert oder sie maximal auf die Ebene einer Bediensteten gehoben. Und Madiha hatte das zunächst auch zugelassen, um an das gemeinsame Ziel zu denken. Je weiter die Zickereien zwischen der Adligen und Caleb jedoch voranschritten, desto schwerer war es auch dem Kind der Wüste gefallen, noch Toleranz aufzubringen. Die Fronten hatten sich so sehr verhärtet, dass damit zu rechnen war, dass sie früher oder später getrennte Wege gehen würden. Corax zu retten, Serpentis von ihrem selbst errichteten Thron zu stoßen und nicht zuletzt der Kampf im Hof mit göttlichem Eingreifen hatte sie endlich etwas zusammengeschweißt. Caleb und Kjetell'o musterten die Szenerie sehr aufmerksam, während Corax nur da stand, unfähig etwas zu tun. Seine Augen schrien danach, denn in seinem Blick stand das Mitleid für seine geliebte Azura, ihr zur Seite stehen zu wollen. Doch es kleidete sich in Furcht und Erinnerungen an seine unaufgeforderte Hilfe, als er ein halbes Dutzend Leben genommen und anschließend von Caleb mit einer saftigen Ohrfeige aus ihrer aller Leben verstoßen worden war. Er wagte es nicht, konnte es nicht. Er konnte nichts tun, das ihm nicht aufgetragen wurde. Er wollte die einzige Chance auf Vergebung nicht verspielen.
Glücklicherweise war es nicht an ihm, das Zünglein an der Waage zu spielen. Madihas Worte schienen etwas zu bewirken, jedenfalls hofften und vermuteten sie es alle. Kjetell'o war es, der sie ablöste. Ihn brauchte man nun nicht mehr, um ein Gespräch mit Corax fortzusetzen. Der Einarmige war hier, hatte sich in den Staub geworfen und nun wurde es Zeit für eine Reaktion. Eine, die Kjetell'o nicht beeinflussen konnte. Was er aber tun konnte, war, seinerseits ein wenig Ruhe in Azuras aufgewühlte See zu bringen. Fast fließend tauschten Madiha und er den Platz. Der Elf blieb trotzdem ein bisschen auf Abstand, damit Azura sich nicht erneut erschreckte. Er betrachtete sie und lächelte mild. Aber auch Caleb wandte kurz den Kopf zu ihr herum.
"Ich habe nicht dran gedacht, dass ihr in den Plan noch nicht eingeweiht seid." Hätte er mit Madiha gesprochen, hätte sie dafür sicher schnell Verständnis gezeigt. Wenn Caleb so kleine, aber feine Details gänzlich vergaß, musste ihn etwas Anderes schwer beschäftigen. Er war mit den Gedanken bei Corax gewesen wie sie alle. "Ich hätte dich und Madi vorwarnen sollen."
"Wir beide", nahm Kjetell'o dem Kapitän einen Teil der Schuld ab. Er nickte ihm zu und winkte denn mit einem kreisenden Finger in den Raum. Ein Signal an den anderen, sich lieber zu Madiha zu begeben. Er würde sich schon der Andunierin annehmen. So richtete Caleb seine Aufmerksamkeit auf jene junge Frau, der er die Liebe gestanden hatte. Der Elf aber fokussierte sich vollkommen auf Azura. Seine Augen blickten ihr mit jedem goldenen Stern tief in die Seele.
"Nicht Saphira ... Azura...", sprach er sie an und formte ihren Namen mit den Lippen wie ein Künstler Lehm in seiner Hand. Er wirkte nachdenklich, während er die Angesprochene nicht aus den Augen lassen konnte. Er betrachtete ihre Züge, die Konturen ihres Gesichtes und die fein geschwungenen Brauen. Dann hob er seine schlanken Finger, ergriff eine der locker sitzenden Strähnen, die sich auf ihrem Zopf gestohlen hatten und strich sie mit einem sanften "Darf ich?" hinter ihr Ohr. Genau dort verharrte die Hand kurz, ehe sie die Ohrmuschel entlang fuhr. Seine Augen huschten von seinen Fingern zurück in Azuras Blick, dass die Goldsprenkel in seinen tiefen, moosigen Wäldern wie Geisterlichter umher flatterten. "Hm ... wirklich zauberhaft", murmelte er vor sich hin. "Was für eine Augenweide, wenn nur.." Er unterbrach sein Selbstgespräch und senkte die Finger endlich von Azuras Ohr. Stattdessen suchte er nach ihrer Hand, ergriff jene, die sie sich verbunden hatte. "Ist es eine Illusion von Corax?", fragte er frei heraus. "Oder bist du eine Untote? Azura ... van Ikari?" Die Sprache der Waldelfen, aus welcher Ecke Celcias sie auch stammten, galt als eine der schönsten, die sich entwickeln konnte. Und so klang ihr Name in Lyrintha wie eine magische Formel, die Heilung und Frieden versprach oder aber auch romantische Nächte auf ruhigen Wiesen und unter einem strahlenden Vollmond, während Glühwürmchen mit goldenem Schweif durch die Nacht tanzten.

Weniger zauberhaft ging es zwischen Madiha und Corax zu. Das Mädchen hatte Azura beruhigen können, so dass sie sich erneut an den Raben wandte. Er stand einfach nur da, harrte aus und erwartete sein Urteil. Er war bereit, neben seinem Körper nun auch seine Seele zerschlagen zu bekommen. Wie viele Male hatte er das wohl schon durchgemacht?
Bei Madiha war es nun das erst Mal, dass sie sich in Angst und Verzweiflung, verstoßen zu werden, in die Sklavenrolle begeben hatte und bereit gewesen war, sich selbst aufzugeben, nur um weiterhin ... geduldet zu werden. Sie verlangte nicht einmal Freundschaft. Sie erhoffte sich nicht einmal Akzeptanz, sondern wollte nur nicht gehen müssen, bis sie ihren Wert erneut bewiesen hätte. Ob sie sich auf einen Arm entfernt hätte, wenn Caleb dies als Bedingung stellte?
Wie viele Male hatte Corax sich schon zu Boden geworfen, vor Füße, die ihn auch zuvor schon lieber zertreten hätten? Elfen alterten anders als Menschen und sie lebten um so vieles länger. Madiha und Azura hatten einen Blick in die Vergangenheit des Raben erhalten. Sie hatten Ausschnitte seiner Erinnerungen gesehen und erlebt, durch was er sich alles gekämpft hatte - vom Säuglingsalter bis jetzt. Wie viele Jahre waren dort wirklich vergangen und wie viele Male hatte er sich selbst erniedrigt, wertlos gemacht und aufgegeben? Und noch immer hielt er durch. Die Hoffnung starb zuletzt. Corax klammerte sich an diesen letzten Atemzug seiner Seele, weil er hoffte, irgendwann und bei irgendeinem Herren oder einer Herrin die Spur von Wert zu erhalten, die andere sich von den Schultern fegten, weil sie bedeutungslos war.
Dabei hatte er in Madihas Augen aufrechter zu stehen als sie selbst! Und so war sie es, die sich plötzlich vor ihm auf die Knie begab, den Rücken krumm machte und den Kopf senkte.
Der Rabe zuckte, denn das erwartete er nicht. Er wich einen halben Schritt zurück und konnte die Augen doch nicht von Madiha nehmen. "Aber ... Herrin...", keuchte er, ehe er Hilfe suchend einen Blick zu Caleb warf. Der Dieb versuchte, dem Blick zunächst auszuweichen. Wahrscheinlich hätte auch er sich am liebsten neben Madiha gekniet. Sein Körper zuckte. Er warf drauf und dran, es ihr gleich zu tun, als seine Liebste sprach und ihn an seinem Vorhaben hinderte.
"Corax ... ich flehe dich um Entschuldigung an. Dass du glaubtest, nicht zurückzukönnen. Glaubtest, ich würde ... Schreckliches von dir verlangen ... und dass du deswegen zurückkehrtest an die Seite von ... und Unaussprechliches erleben musstest..."
Er schaute auf Madiha herab, wieder zur Seite, wieder zu Caleb und zurück zu Madiha. "Es ist...", begann er, seine Stimme nur ein Kratzen. Somit war es für den Dieb ein Leichtes, sich einzumischen. Er trat vor, ging auf ein Knie herunter. Nein, er warf sich nicht vor Corax in den Staub. Er berührte Madiha am Rücken und griff ihr unter einen Arm, um auch sie in den Stand zurückzuziehen. Erst als sie sich alle mehr oder weniger auf einer Augenhöhe begegneten - die Männer waren etwas größer als das Wüstenmädchen - sagte Caleb: "Nein. Wir haben uns geirrt. Du hast nie geglaubt, dass sie Derartiges von dir verlangen könnte. Und du hast nicht gehandelt, weil du glaubtest, Madiha erwartete genau dies von dir ... dass du tötest." Corax behielt den Blick auf seiner einstigen und nun offenbar wieder Herrin, wenn sie ihn denn noch wollte. Er hatte sie zumindest schon so genannt. Caleb fuhr fort: "Du hast es ihr angesehen, in ihrem Schweigen, ihren Bewegungen. Du hast gesehen, dass es ihr schlecht ging und du wolltest etwas unternehmen. Sie beschützen, um jeden Preis. Du hast dich der falschen Mittel bedient, aber nur, weil du keine anderen kanntest. Aber du warst bereit, alles zu tun, damit deine Herrin wieder lächelt. Du hättest sogar Unschuldige vernichtet."
Corax sah nun Caleb an. Die Rubine schwammen bereits. Der Dieb sprach die Wahrheit und er offenbarte ihrer aller Irrtum, die falsche Annahme, der Sklave hätte aus Motiven eines Sklavenlebens gehandelt und an jenem Tag keine eigene - keine freie - Entscheidung getroffen. Er hatte sich entwickelt, er hatte selbst entschieden und es war so falsch gewesen.
"Du hast all das getan und wärst noch weiter gegangen, ohne einen Funken Reue im Herzen, hätten wir es dankbar aufgenommen. Du hast es getan, weil du sie liebst."
"J...ja..." Jetzt brachen die Dämme. Corax bebte und blinzelte schwere Tränen aus den Augen. Er riss seinen Blick von Caleb los und starrte Madiha an. Erneut bat er stumm um Verzeihung, Vergebung für seine Fehler. "Es ist ... so schwer, dir zu dienen, Herrin."
"Weil sie so anders ist. Anders als alle Herrschaften, denen du dein Leben lang unterstellt warst", erklärte Caleb. "Weil sie nett zu dir ist und in dir mehr sieht als nur einen Sklaven."
"Ja!"
Caleb trat an Corax heran. Auch in seinen Augenwinkeln sammelte sich Flüssigkeit. Er hob eine Hand und legte sie dem Raben auf sein haariges Gefieder. Dann wuschelte er es durch und zog ihn an sich heran, in eine Umarmung. "Du dummer, kleiner Elf ... verzeih mir, dass ich das jetzt erst erkenne."
"Ja..." Corax schlang seinen einzigen Arm um Calebs Körper. Er presste sein Gesicht an dessen Schulter und bebte mit jedem Schluchzen, das ihn verließ. Caleb strich ihm das Haar und den Rücken. Er bebte nicht, aber auch ihn verließ die eine oder andere Träne. Hier verziehen sich weder zwei Sklaven, noch Herr und Untergebener. Hier fanden Freunde wieder zusammen.
Es kostete mehrere Herzschläge, bis Corax sich etwas beruhigt hatte und genug Fassung aufbrachte, um erneut zu sprechen. Es fiel ihm noch immer schwer. Madiha, die von ihm einst gewürgt worden war, konnte es nachvollziehen. Verbrennungen am Hals mussten schrecklich sein. Erst jetzt erkannte sie wohl, dass man ihn dort verbunden hatte und auch Corax duftete nach dieser Kräutermischung, die ihr selbst anhaftete. Der Rabe suchte ihren Blick, wenngleich ein wenig beschämt. "Ja ...", krächzte er. "Ich li... aber nicht so ... nicht so wie sie." Da kam es ihm in den Sinn, dass Madiha und Caleb nicht allein gekommen waren. Azura war doch noch hier! Seine Azura. Corax löste sich aus Calebs Armen und trat an ihn vorbei Richtung Tür. Kjetell'o, der sich nicht nach ihm umgesehen hatte, bemerkte den Blick wohl aber wie ein Kitzeln im Nacken. Er wandte sich um, erwiderte Corax' Rubinrot mit goldgesprenkelten Wäldern und machte einen Schritt beiseite. Der Weg zu Azura war frei. Corax ging ihn nicht. Er zuckte und riss die Augen auf. Er starrte die Frau an, die sich zurück ins Leben gekämpft hatte.
"Ich ... sehe es. Ich kann es sehen ... Oh nein ... oh nein, Azura, so solltest du nicht ..." Mit wenigen, aber eiligen Schritten taumelte Corax auf sie zu. Ohne zu zögern berührte er ihre Wange, streichelte sie und doch starrte er sie weiterhin an. "So viel Leid ... ich kann es sehen. Und ich kann es nehmen. Lass mich das tun." Seine Hand legte sich wie eine gesunde, zweite Haut über Azuras Wange. Er hielt ihr Gesicht und suchte ihre Lippen mit den seinen. Warm spendete er Balsam für ihre Seele, obgleich er ihr nicht nur seine Liebe mit diesem Kuss gab, sondern auch umsetzte, was er angekündigt hatte. Er nahm ihr etwas. Er nahm ihr Leid. Natürlich würde Azura weiterhin die Erinnerungen an das Erlebte haben. Sie würde wissen, dass ihre und Madihas Magie unkontrolliert ausgeschritten waren und Menschen im Hof das Leben entrissen hatten. Aber sie konnte sich selbst plötzlich verzeihen. Sie wusste, aus welchen Motiven sie gehandelt hatten und dass nichts davon Boshaftigkeit innewohnte. Sie hatten sicht voll bewaffnet in einen Kampf gestürzt, ohne jemals ein Training absolviert zu haben. Ja, es war nicht nach Plan verlaufen, aber sie hatten nicht aufgegeben und ihr Ziel erreicht. Der Preis mochte hoch sein, aber der Lohn war es auch. Serpentis Mortis würde nicht eine Seele mehr quälen können, vor allem nicht den Raben, der sich nun von Azuras Lippen zurückzog. Er löste auch seine Hand und in ihr glänzte weiß und rein eine neue Perle. Sie kugelte in die Mitte seiner Handfläche, wo sie kurz in allen Farben des Regenbogens schillerte, ehe sich ihre Oberfläche verdunkelte. Sie verlor immer mehr ihre Reinheit, bis sie tiefschwarz war. Corax schloss die Finger darum und als er sie erneut öffnete, war die kleine Perle verschwunden. Stattdessen lag eine schlanke, schwarze Rabenfeder an ihrem Platz.
"Interessant...", kommentierte Kjetell'o. Er schob sich hinzu und löste eines von vielen Lederbändchen aus seinen geflochtenen Haaren. Blau gefärbte Strähnen hinten nun lose herab. Kjetell'o aber bot sich an, die Feder zu nehmen und mit flinken Handgriffen an seinem Lederbändchen zu befestigen. Dieses legte er Corax widerum an, dass die Feder nun von seinem Handgelenk baumelte. Er betrachtete zufrieden sein Werk. Corax aber betrachtete Azura. "Ich liebe dich", sagte er.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Azura » Sonntag 19. März 2023, 14:15

Wie viel Zeit war eigentlich seit ihrer Entführung aus ihrem Elternhaus vergangen? Es war seitdem so unendlich viel geschehen, viel zu viel für ihr bislang so harmloses, im Prinzip langweiliges Leben in adeligen Kreisen, als dass sie noch ein Zeitgefühl dafür besessen hätte. Ja, sie hatte keine Ahnung, wie lange sie Corax, den Kapitän und auch die Sarmaerin inzwischen kannte... oder wie lange sie bewusstlos gewesen war.
Doch trotz allem hatte sie niemals wirklich eine Pause erhalten, eine Unterbrechung gehabt, um zur Ruhe zu kommen und wieder zu sich selbst zu finden. Am ehestens mochte es ihr so im Palast der Stille ergangen sein, aber auch dort nicht wirklich, denn sie hatte mit ihren Gedanken ständig den Weg zurück gesucht. Zurück in ein Leben, das für sie derart viel Ungemach, Ungewissheit und vor allem... Leid beinhaltete.
Am Ende hatte sie es zwar geschafft, jedoch... zu welchem Preis? Ihr Aussehen war... gelinde gesagt, erschreckend und anstatt rechtzeitig zur Rettung zu kommen, war auch sie zur Mörderin geworden. Das alles war für sie schon furchtbar schlimm, allerdings hätte sie das vielleicht irgendwann soweit verwunden... oder verdrängt, um wieder entspannt im Arm ihres Raben liegen zu können.
Dass sie bei ihrem schweren Gang allerdings auf jemanden stoßen sollte, der sie auf seine ganz eigene Art und Weise verwirrte, das... das war am Ende zu viel für sie. Sie schämte sich für ihre empfundene Untreue und versuchte, alles rund um diesen anderen Mann zu verdrängen. Mit dem Ergebnis, dass die erlebten Empfindungen umso deutlicher in ihr nachhallten.
Derart stark, dass sie, nachdem sie erfahren hatte, dass es Corax gut ginge, ihn nicht sehen wollte. Sie hatte eine zu große Angst davor, ihm unter die Augen zu treten, weil sie befürchtete, er könne es ihr sofort an der Nasenspitze ansehen, was mit ihr los war. Am Morgen nach dem erlebten Alptraum war sie fest davon überzeugt gewesen, dass sie ihn aus ganzem Herzen liebte, dass sie nie wieder an einen anderen Mann auch nur im Entferntesten denken könnte!
Doch... jetzt? Oh, was war sie nur für eine untreue Seele! Da wollte sie ihn vor dem sicheren Tod bewahren und würde ihm ja doch nur wieder den Dolch ins Herz stoßen! Nein, sie konnte das nicht, sie wollte ihn nicht leiden sehen und das würde bedeuten, dass sie sich von ihm fernhalten sollte. Aber das konnte sie nicht aussprechen, wüsste gar nicht, wie sie das beginnen und mit wem überhaupt bereden sollte.
Also flüchtete sie in einen viel offensichtlicheren Grund für ihre Angst und versuchte auf diese Weise, ein Treffen mit ihrem Raben, dem sie so viel geopfert hatte, zu vermeiden. Die Sarmaerin hingegen wusste es in diesem Moment besser und nur ihrem beharrlichen, sanften Verhalten war es zu verdanken, dass Azura nicht wie ein Stein mitten in der Brandung auf dem Bett sitzen blieb, trotzig und scheinbar unverrückbar.
Zuerst wurde sie erneut in die Arme genommen, auch wenn sie anfangs starr blieb und ihren Augenblick brauchte, bis sie mit einem geseufzten Schluchzen in sich zusammen zu sacken. "Wie kann er mich... wie kann er so was... nur schön finden...", murmelte sie erstickt und kämpfte schon wieder mit den Tränen. Diese flossen zwar derzeit nicht, jedoch glänzten ihre Augen verräterisch, während sie es zuließ, dass ihr beim Umziehen geholfen wurde.
Das war beinahe schon etwas... Vertrautes, etwas, das sie in ihrem Leben gut kannte und womit sie besser zurecht kam als mit all dem Neuen, dem sie sich so unvermittelt und scheinbar unendlich stellen musste. Auch wenn sie dieses Mal still blieb dabei, in sich gekehrt und damit kämpfte, nicht einfach wegzulaufen. Sobald hingegen ihre Mithilfe erforderlich wurde, indem sie mit ihren Armen in die Ärmel schlüpfte oder mal ein Bein anhob, da reagierte sie rein automatisch. Erst, als es vollbracht war und es an ihre Haare ging, bewegte sie sich mehr als nötig, bürstete ihre einstmalige Pracht und flocht sie zu einem schlichten Zopf. Trotzdem war es gut, dass es in diesem Raum keinen Spiegel gab, der ihr vor Augen geführt hätte, zu welch schauderhaften Erscheinung sie verkommen war.
Schließlich entschieden sie beide, unabhängig voneinander, dass sie keinen Bissen hinunter bekamen und folgten letztlich dem Kapitän. Wobei Azura mit jedem Schritt mehr Kraft aufbringen musste... Doch das Schlimmste stand ihr noch bevor, ein wahrgewordener Alptraum! Unfassbares Grauen wollte sich ihrer bemächtigen, sodass sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen oder die Situation vor ihr tatsächlich begreifen konnte, in die sie gegen ihren Willen geschoben wurde, als man sie zwang, den Raum mit der Hexe darin zu betreten.
Das hielt sie nicht aus, das war ihr endgültig zu viel, sodass sie nun wirklich ihr Heil in der Flucht suchen wollte. Aber sie kam nicht weit, denn es gab noch mehr Personen in diesem Raum, auch solche, die ihr nicht ans Leder wollten. Zumindest hatte sie das bis dahin gedacht...
Während ihre Finger den Türgriff zu fassen bekamen, war da plötzlich die Sarmaerin, die sich gegen das Blatt lehnte und verhinderte, dass sie dieses öffnen könnte. "Nein... nein... lass mich raus... lass mich...", stieß sie in einer Mischung aus Wimmern und Hysterie aus und ruckelte so heftig an dem Griff, dass er bei minderwertigerer Verarbeitung vermutlich in ihrer Hand verblieben wäre.
Stattdessen schlossen sich warme, vertraut gewordene Finger um sie und die Erinnerung an das gemeinsame Gefühl verbundener, sich gegenseitig stützender Magie schoss durch ihre Adern. So deutlich, dass sie schluchzend erstarrte und den Kopf hängen ließ. Der Großteil der Panik jedoch verblasste und machte sie fähig dazu, den Tunnel vor ihr ein wenig zu erweitern.
Sie ließ sich herum drehen und konnte nicht anders, als für einen kurzen Atemzug lang ihren Blick soweit zu heben, dass sie denjenigen des Raben suchte. Instinktiv und geleitet von all jenen Gefühlen, die sie für ihn hegte. Sobald sie ihn allerdings traf und auch bei ihm viel zu viel Leid zu erkennen glaubte, senkte sie ihren eigenen Blick wieder, niedergedrückt von Angst und Schuldgefühlen.
Die andere ließ sie los und konnte sicher sein, dass kein weiteres Weglaufen so schnell folgen würde. Dazu fühlte sich die junge Frau zu... schwach, schwach und allein und dazu verdammt, von allen verachtet zu werden für das, was sie getan und empfunden hatte. Sie hatte nur noch sich selbst... Ihre Arme hoben sich wie von allein und sie schlang sie um sich selbst, um wenigstens die Illusion zu haben, dass sie nicht vollkommen allein und haltlos wäre.
Wie von weiter Ferne drangen Worte an ihr Ohr, die sie nur zu gerne ignoriert hätte. Dass sie es nicht tat, lag daran, dass sie in ihrer Muttersprache geformt wurden. Trotzdem... wäre es nur Van Tjenn gewesen, der mit ihr gesprochen hätte, sie hätte wieder die Gelegenheit gehabt, sich in sich selbst und in ihr Gefühlschaos zu verkriechen, um sich darin zu suhlen und es auf diese Weise noch schlimmer erscheinen zu lassen.
Doch dann erklang neben ihr ein anderes Timbre, eines, das Ruhe und Geborgenheit versprach, das... das sie allein durch den Klang schon daran erinnerte, wie wohlig sie in dieser Gegenwart erschauern mochte, ganz gleich, ob mit oder ohne dem Empfinden jener Lippen auf ihren Fingerspitzen. Mit einem leisen, erschrockenen Keuchen sah sie auf und blickte mit leicht geweiteten Augen zu dem Mann hin, der sich an sie gewandt hatte.
Unbewusst wich sie einen halben Schritt zurück und drückte sich die Finger fester in die Oberarme, während ihr das Herz schneller pochte und ihre verweinten, rot gefleckten Wangen wirkten prompt noch besser durchblutet. Schwer schluckte sie, als ihrer beider Blicke sich trafen, und als er sie dann auch noch auf ihre kleine Flunkerei mit dem Namen ansprach... da sah sie zu Boden und begann damit, auf ihrer Unterlippe zu kauen.
Was sollte sie auch dazu sagen? Corax... hätte Corax sie danach gefragt, sie hätte es ihm erklärt, hätte ihm gesagt, dass sie das aus Vorsicht getan hatte, falls die Hexe sich ihren Namen gemerkt hätte. Und dennoch hatte sie einen Edelstein als Vorlage genommen, in der Hoffnung, dass er diese Ungewöhnlichkeit, sollte sie ihm zu Ohren kommen, bemerken und richtig begreifen würde. Doch er fragte nicht und er sprach jetzt auch nichts zu ihr.
Stattdessen war da der andere, der sich ihr näherte und sie allein durch seine Anwesenheit in seinen Bann zu schlagen wusste. Unwillkürlich hielt sie ihren Atem an und erstarrte, als seine Finger näher kamen und ihr eine Haarsträhne zurück strich. Mehr noch, er berührte daraufhin ihr Ohr und streichelte es auf eine Art und Weise, die ihr ein kaum wahrnehmbares Keuchen entlockte. Das Herz schlug ihr noch wilder in der Brust und obwohl sie es nicht wollte, fühlte es sich an, als würde sich das Leben in ihrem Schoß regen wollen. Nein... nein, das durfte einfach nicht sein!
Ein weiteres Mal stiegen ihr Tränen in die Augen, als sie zu ihm hochsah und sich am liebsten in seinen Augen verloren hätte, wenn da nicht seine folgenden Worte gewesen wäre. Worte, die sie wie Messer trafen und sie quälten. "Warum...?", hauchte sie erstickt. "Warum verspottet Ihr mich...?" Denn nichts anderes konnte es sein, Hohn und Spott für sie, die Hässliche, die... Untote, so, wie er es bezeichnete.
Aufschluchzend schüttelte sie den Kopf und verbarg ihr verunstaltetes Gesicht in ihren Händen, um so die Welt auszusperren, auch wenn sie wusste, dass das eigentlich nicht möglich war. "Ich weiß es nicht...", wimmerte sie dabei. "Ich weiß nicht mehr, was ich bin..."
Warum nur klang ihr Name in dieser fremden Sprache so süß von seinen Lippen? Wieso konnte sie sich dem Zauber, den er um sie wob, nicht entziehen, nicht einmal dann, wenn ihr Rabe im selben Raum war?! Corax! Er könnte es sehen... nein, er musste es einfach sehen, was hier mit ihr geschah, was sie ihm antat. Oh nein, sie würde ihm ein weiteres Mal unsägliches Leid zufügen, obwohl sie ihn doch nichts weiter als retten wollte! Was war sie doch für eine verkommene, verdorbene Person geworden...
Leise schluchzend und mit dem Gefühl, als würde ihr das Herz bluten, stand sie da, für sich allein und trotzdem in einer Situation, in der sie nicht alleine war. Wäre sie in Ruhe gelassen worden... sie hätte sich wirklich zurück gezogen, vielleicht irgendwann sogar den Raum verlassen, um endlich eine einsame Ecke zu finden und sich dort hinein zu verkriechen, um am liebsten nie wieder heraus zu treten. So allerdings...
Die Stimme ihres Raben, so nah bei ihr, ließ sie erschrocken in ihrem Schmerz innehalten. Als er dann auch noch ihren Namen aussprach, auf jene gänzlich eigene Weise, wie nur er es konnte, da sanken ihre Hände ganz langsam herab und sie hob in demselben Tempo den Kopf an. Verheult und voller gequälter Emotionen sah sie ihm entgegen, wie er auf sie zutaumelte, und wollte sich gegen ihn werfen, um ihm schluchzend und wimmern alles zu gestehen und ihn darum zu bitten, ihr zu verzeihen für den Verrat, den sie an ihm beging. Zugleich wollte sie ihn wegstoßen, ihm sagen, dass er sie so nicht sehen solle, dass er sie lieber in Erinnerung behalten sollte, wie sie gewesen war, bevor... bevor... alles so furchtbar aus dem Ruder gelaufen war...
Doch nichts kam ihr über die zittrigen Lippen, kein einzelner Laut bis auf ein Hauch von Wimmern, als er sie erreicht hatte und ihr sanft über die hässliche gewordene, fleckige, spröde Haut strich. Unstet flackerte ihr Blick zu ihm hoch und sie hörte, was er ihr anbot. Schon wollte sie den Kopf schütteln und dagegen protestieren, weil sie meinte, seine Hilfe nicht verdient zu haben, da senkte er sich zu ihr herab und... und küsste sie.
Noch einmal schossen ihr die Tränen in die Augen und sie wollte weg, aber am Ende konnte sie es nicht. Stattdessen schlossen sich ihre Lider allmählich, während das Herz ihr schneller schlug und sie gegen seinen vertrauten Körper sank, um sich an ihn zu schmiegen. Fast schon schüchtern und so ungeübt, als hätte sie es wieder verlernt, begann sie damit, seinen Kuss zu erwidern, öffnete ihre Lippen für ihn und versuchte, wirklich nur an ihn dabei zu denken. Ihre Hände hoben sich langsam und legten sich schließlich auf seinen Oberkörper, die Finger zuckten ein wenig, als wolle sie ihn kraulen und ihm auf diese Weise ein bisschen etwas von dem Wohlbefinden zurück geben, das er ihr bescherte.
Wie lange sie beide so dastanden, wusste sie nicht zu sagen, oder gar, ob und wer sie dabei beobachtete. Als Corax sich jedoch von ihr löste, da war ihr tatsächlich etwas leichter ums Herz. Nicht in Bezug auf ihn und darauf, dass ihre eigenen Empfindungen gehörig durcheinander geraten waren. Aber in Hinblick auf das, was sie im Hof der Akademie getan hatte.
Während sie noch dem Gefühl seiner Lippen nachhing, wandelte sich in seiner Hand eine Perle zu einer Feder. Doch erst, als sich der andere einmischte, hob sie langsam ihre Lider und kehrte in die Gegenwart zurück. Ihr Blick suchte erneut den seinen und hätte dem neuen Opfer kaum Beachtung geschenkt, wenn sich nicht ausgerechnet dieser andere Elf darum gekümmert hätte.
Kurz sah sie hin, wie seine schlanken, feingliedrigen Finger die Feder an sich nahmen und mit einem Bändchen verband und ein Gedanke wollte ihr kommen, als ein erneute Geständnis an ihre Ohren drang. Schlagartig hatte sie nur noch Augen für ihren Raben und schluchzte ein weiteres Mal auf.
"Oh Corax!", hauchte sie und sank diesmal wirklich gegen seine Brust, nur dass sie dabei auch ihr Gesicht an seinem Oberteil verbarg und daran dasselbe vollführte wie vorhin bei dem Kapitän. Sie versaute es grundlegend! "Ich bin so dumm... so dumm... bitte, verzeih mir!", wimmerte sie und klammerte sich an ihn, aus Angst, er könne sie gleich von sich stoßen, weil er sowieso längst alles wusste.
Dabei wusste sie selbst nicht, was genau er ihr verzeihen sollte. Sie hatte so viel, so unendlich viel falsch gemacht, ihm gegenüber, der Samaerin... ja, vielleicht sogar bei Van Tjenn. Im Moment aber war sie nur gegenüber ihrem Raben fähig dazu, es über ihre Lippen zu bringen und endlich auch ihm einmal zu zeigen, dass sie mehr war als ein verwöhntes, adeliges Püppchen und eine hübsche Zierde, mit dem man sich in heißen Quellen vergnügen konnte. Sie war tatsächlich... ein fühlendes... ein mitfühlendes Wesen hinter all den anderen Schichten.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 19. März 2023, 17:45

Bisher hatte Madiha sich stets gegen das erzwungene Leben aufgelehnt. Sie hatte sich gegen grobe, körperliche Gewalt nicht wehren können aber in ihrem Innern herrschte stets dieser Funken Trotz, der sie davor bewahrte, gänzlich zu brechen. Eben jenen, den Corax erst wieder finden musste, um sich gegen Serpentis zu stellen und auf der Seite seiner Freunde zu kämpfen. Sie alle verband nur er. Er war der Kleber, der Caleb und Madiha mit Azura und Jakub verband. Und sie alle waren zusammengekommen, weil er Hilfe brauchte. Nun war diese Hilfe erfolgt und auch wenn Madiha selbst nichts hatte leisten können, war sie noch hier. Allerdings wog die Erkenntnis unglaublich schwer auf ihrer Seele. So schwer, dass der Funken Trotz gänzlich verschüttet wurde. Madiha kehrte zu einem Leben zurück, das sie nicht mehr hatte leben wollen. Einfach aus Hilflosigkeit, weil sie es nicht aushielt nichts wert zu sein. Weil sie glaubte, ihr Wert bemesse sich an ihren Taten. So wie sie es stets gelernt hatte. Nicht nur Corax handelte nach erlernten Mustern. Auch sie tat das. Denn wenn man gute Dienste leistete, hatte man ein paar wenige Annehmlichkeiten. Madiha hatte noch vor einiger Zeit ehrlich daran geglaubt, dass sie die Freiheit ganz gut meistern würde. Während sie mit Caleb im Krähennest saß und sich endlich traute, ihm ihre Gefühle zu zeigen. Als sie sich traute, diesen unsicheren Schritt zu gehen und gehalten wurde. Und als sie sich für Corax einsetzte, weil sie ihm diesen Halt ebenfalls geben wollte. Weil ein jeder es wert war, in Freiheit zu sein.
Doch Madiha musste erkennen, dass das nicht so einfach war. Und so kniete sie im Staub vor dem Raben und bat um Vergebung. Im Grunde sie alle, aber ihn insbesondere. Seine Unsicherheit ließ sie ruhig über sich ergehen. Sie selbst war peinlich berührt gewesen als er sie anflehte, seine neue Herrin zu sein. Er hatte sie damit in erhebliche Gewissenbisse gestürzt, doch sie erkannte, dass er es brauchte. Und sie wollte helfen, selbst wenn sie sich damit selbst zur Heuchlerin machte. Während sie auf sein Urteil wartete, war es Caleb, der sie wieder in den Stand lenkte. Trotzdem stand sie nur in sich zusammengesunken da.

Sie sah Corax zwar an aber ihre Schultern hingen und sie wirkte weder trotzig noch selbstbewusst. Calebs Worte ließen ihren Blick unruhig werden. Das was er sagte…. stimmte. Jetzt konnte auch sie es erkennen. Allerdings verstand Madiha nicht recht, wieso Corax so handelte. Warum er diese Taten vollführte nur um sie vor etwas zu bewahren, wenn er es nicht aus Pflichtbewusstsein heraus tat. Er hatte dich lediglich einen Ort gebraucht, nachdem Azura ihn verstoßen und Jakub ihn geschändet hatte. Sie war die naheliegende Wahl gewesen. Doch auch dafür lieferte Caleb eine Antwort als hätte er ihre Gedanken erkannt. Madiha runzelte die Stirn. Ausgerechnet Corax sollte für sie etwas empfinden und deswegen handeln wollen? Das Mädchen hob den Blick und musterte zweifelnd Corax. "Es ist ... so schwer, dir zu dienen, Herrin."
„Weil sie so anders ist. Anders als alle Herrschaften, denen du dein Leben lang unterstellt warst. Weil sie nett zu dir ist und in dir mehr sieht als nur einen Sklaven."
"Ja!"

Madiha schlug die Augen wieder nieder und spürte den Kloß in ihrem Hals. Auch sie wurde von den Emotionen ergriffen, die Caleb und Corax wieder zusammenbrachten. Verstohlen schaute sie auf die beiden Männer, die sich versöhnlich in den Armen lagen und einander verziehen. Und Madiha lächelte leicht, während ihre Augen schwammen. Es war rührend. Und innerlich war sie froh, dass die beiden wieder zueinander gefunden hatten. Sie waren Freunde, auch wenn sie die Definition dessen wohl erst soeben erkannte, denn Freunde besaß das Wüstenmädchen selbst nicht. Aber er und Caleb. Das Wüstenkind aber blieb wo sie war und störte den Moment nicht. Es ging nicht um sie, auch nicht um ihre Verbindung zu Corax. Sie war zwar entsetzt gewesen in der Taverne, doch schon damals hatte sie eingelenkt, versucht Caleb’s Zorn zu mildern. Nein… es ging um den Dieb und den Raben. Und Corax musste nicht von ihr hören, das alles gut war. Er musste es von Caleb hören. Erst als Corax sich krächzend an sie wandte, hob sie den weiterhin gesenkten Blick. “Ich li… aber nicht so … nicht so wie sie.“ Madiha blickte zu Azura. Sie lächelte Corax verstehend an, nickte ihm zu und trat beiseite, damit er endlich zu eben jener Person konnte, die er so sehr vermisst hatte. Sie hatte sein Leid gesehen. Sie hatte ihr Leid gesehen. Es war gut, dass sie nun einander wiederhatten. S

ie hatte versprochen, dass sie einander wiederhaben würden. Hatte sie das gut gemacht? Nun, im Grunde war das gar nicht ihr Verdienst. Wieder mal nicht. Aber sie hatte Azura zumindest daran gehindert, kopflos aus dem Raum zu stürmen. Es war ein kleiner Anfang. Das Mädchen begab sich unauffällig in den Hintergrund. Sie sah zu, wie sich Corax und Azura begrüßten, wie sehr ihre Zuneigung sich auch nach außen zeigte. Sie beobachtete leicht verstohlen die Szenerie und spürte, wie sie davon ergriffen wurde. Azura schien ein wenig erleichterter zu sein, denn sie wirkte auf das Mädchen ruhiger. Wurde jetzt alles gut? Madiha hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und eine wohl einstudierte Haltung angenommen. Am Rand. Stillschweigend. Sie beobachtete nur und sie mischte sich nicht mehr ein. Ja, sie trat nicht mal auf Caleb zu, denn noch immer war sie der Meinung, dass sie etwas leisten müsste, bevor sie überhaupt wieder dazugehörte. Und es war so leicht. Es fiel ihr so erschreckend leicht, wieder zurückzukehren. Madiha aber spürte keine Reue. Nicht deshalb. Und sie konnte zufrieden sehen, wie Caleb, Corax und Azura heilten. Sie hatte geschworen, dass sie ihnen nun dienen wollte und das war doch ein guter Anfang. Das Mädchen aber verdrängte dabei den eigenen Schmerz über das Erlebte. Wo Azura beinahe der Hysterie anheim gefallen wäre, wurde sie nur still und verbarg sich vor den Blicken hinter ihre Narben. Madiha lächelte leicht. Bis sie Kjetell’os Einmischung nutzte und auf den Balkon trat, den die falsche Serpentis mit Corax zuvor aufgesucht hatten. Mit Hindurchtreten der feinen Vorhänge und der Brise, die sie erfasste, öffnete Madiha ihre Lippen und holte tief Luft. Sie spürte förmlich, wie Anspannung aus ihrem Körper wich. Sie trat an die Brüstung des Balkons heran und schaute auf das Meer. Ihre Magie blieb dieses Mal ruhig, warum auch immer. Aber sie spürte, dass sie ohnehin noch ausgelaugt war. Und dass sie die Entscheidung, dass ihre Magie besser verborgen blieb, ernst meinte. Aber Madiha fühlte nicht mehr diese unerträgliche Angst, dass man sie verstoßen würde. Keiner von ihnen hatte es bisher getan. Sie hatten sie bleiben lassen und sie hatte sogar ein wenig unterstützen können, dass die Wunden der anderen heilten. Mehr wollte sie gar nicht. Wie sich doch die Perspektiven verändern konnten und Rollen sich vertauschten.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Erzähler » Dienstag 21. März 2023, 22:41

Etwas war mit Madiha geschehen. Etwas, das sie sich selbst nicht erklären konnte. Nein, sie wollte es nicht. Zu schrecklich waren die Ereignisse gewesen und die Gefahr, welche sie in ihrer unkontrollierten Magie sah. Ihr Feuer durfte nie wieder ausbrechen, damit es niemanden verletzen könnte. Damit sie niemanden verletzte und wieder nützlich wäre. Im Hof der Akademie war sie das Gegenteil gewesen, ging es nach ihr. Sie hatte dort niemandem genutzt, sondern nur geschadet, behindert. Sie hatte es allen unnötig schwer gemacht. Was jedoch ebenfalls tief ins Herz stach: Caleb war zum Mörder geworden.
Zu viel ging ihr im Kopf herum und zu viel davon war negativ. Serpentis' Feuermacht hatte sie nicht verbrannt. Das hatte sie selbst getan und nun scheute sie, was in ihrem Inneren wohnte. Sie hielt es klein, schloss es ein und warf den Schlüssel weit von sich. Ein verschlossener Raum, zu dem man nie wieder Zugang hätte, war nutzlos - so wie sie selbst. Außerdem war es einfacher, alten Mustern zu folgen. Wenn sie bekannte Pfade erneut beschritt, wusste sie, was auf sie zukäme. Es hieß nicht, dass es ihr gefiel, aber sie könnte damit umgehen.
Und dann war da Corax, der sich vor ihr zu Boden warf und ihr genau jenes Muster demonstrierte, in das sie sich selbst flüchtete. Er hasste es, als Sklave Dinge tun zu müssen, gegen die sein Herz sich auflehnte. Er war kein schlechter Elf, er hatte nur keine Wahl. Dafür war das Leben einfach. Er musste keine Entscheidungen treffen und hatte immer jemanden um sich. Er war nicht allein und solang er tötete, folterte oder sich selbst verstümmelte, sah jemand einen Nutzen in ihm. Es war leicht, dieses schwere Sklavenleben. Madiha hatte zu viel zu verarbeiten. Sie musste durchatmen und wo Calebs Liebesgeständnis ihr einen dieser kostbaren Atemzüge geschenkt hatte, erdrückte er sie zugleich. Wie sollte sie seine Liebe bestehen lassen können, wenn sie so wertlos war? Alte Muster ... sie waren leicht. Madiha verfiel zurück in sie und so war sie es, die vor Corax im Staub rutschte. Sie bat ihn um Verzeihung, drückte ihn aus seiner Rolle heraus und in eine Situation, mit der er nun umgehen musste. Sie nahm ihm seinen Zufluchtsort, weil sie selbst einen brauchte.
Wie gut, dass Caleb da war. Ihr Caleb ... oftmals mit dem Herzen schneller als mit dem Verstand, geriet er immer wieder in Situationen, die man nicht einmal mehr als Fettnäpfchen bezeichnen konnte, sondern als Badebecken voller Fettmasse. Er warf sich kopfüber dort hinein, aber wenn es nicht um seine eigenen Entscheidungen ging, behielt er einen klaren Verstand. Dann war er ruhig und ihr Fels in der Brandung. Dann erklärte er besonnen, legte die scheinbar unlösbaren Aufgaben und Rätsel offen dar. Dann teilte er Madiha aus dem Nichts heraus mit, dass auch Corax für sie eine Form von Liebe empfand. Und der Rabe stimmte dem sogar zu.
Beide Männer fanden durch Madiha zueinander, versöhnten sich wieder und lagen sich in den Armen. Es bedeutete dem Dunkelelfensklaven so unendlich viel, dass Caleb ihn um Verzeihung bat. Sein gesamter Körper bebte und das verdankte er Madiha, aber sie sah es nicht. Sie sah ihn und Caleb. Sie sah aufkeimende Freundschaft zwischen beiden Männern. Und sie schwieg, ein stummer Schatten, eine Sklavin, die ihre Aufgaben erfüllte und dann das Ergebnis beobachtete. Mit Glück erhielt sie einen dankbaren Blick. Mit mehr Glück erhielt sie keine Strafe. So war es. So kannte sie es. So war es einfach.
Als Randfigur ihrer eigenen Geschichte beobachtete sie das Glück anderer und stellte ihr eigenes in den Schatten. Da ihr Feuer eingesperrt war, erleuchtete auch kein Funken Trotz mehr ihre Umgebung, der sie auf dieses Quäntchen Glück hätte aufmerksam machen können. Ein wenig Glück und das Recht dazu, es zu haben. Nein, sie stand still und folgte mit graublauen Augen den Schritten, die Corax schließlich zu seiner Azura führten. Selbst Kjetell'o machte dem anderen Elfen Platz, so dass er seine verloren Geglaubte für den Moment für sich hatte. Corax blendete alles und jeden um sich herum aus. Seine Augen ruhten auf Azura. Er kniff sie nicht zusammen. Er rümpfte nicht angewidert die Nase über ihr Erscheinungsbild. Er sah sie so verliebt an wie an Deck, als er ihr endlich seine Gefühle hatte gestehen können ... bevor er gestorben war.
Die Erinnerung schimmerte zusammen mit allem erlebten Leid in Azuras Augen. Corax erkannte es und entzog ihr diese Schrecken. Er nahm ihr nicht, was sie gesehen hatte. Er entriss ihr nicht die Erfahrung, den Kampf gegen Serpentis ausgefochten und dabei sogar Menschenleben genommen zu haben. Aber er nahm ihr die Schuld, den Selbsthass und das Entsetzen ihrer Tat. Er schenkte ihr die Fähigkeit, sich all das verzeihen zu dürfen. So trat die Erkenntnis an die Oberfläche, dass schlimme Dinge passiert waren, aber zum Wohl so vieler. Es hätte besser laufen können, aber Elfen - und Menschen! - machten Fehler. Niemand, auch nicht sie selbst, könnte ihr zum Vorwurf machen, nicht ihr Bestes versucht zu haben. Sie hatte alles gegeben und das war mehr als genug. Eine frühere Version ihrer selbst hätte sich keinen Deut um das Schicksal anderer geschert, sondern nur um ihre materiellen Verluste. Azura hatte sich entwickelt und es war gut. Man verzieh ihr. Man liebte sie. Corax liebte sie.
Azura aber plagten Gewissensbisse. Sie konnte sich nicht erklären, was sie so sehr an Kjetell'o faszinierte. Sie fühlte sich ihm von Anfang an zugewandt und je länger er um sie kreiste wie ein kleiner Falter um eine entzündete Laterne, desto mehr fühlte sie sich auch von ihm angezogen. Ihr Herz pochte, wenn er ihr nahe kam und irgendetwas war in seinem Blick, dem sie sich nicht entziehen konnte. Dass auch Caleb sich schon so hatte in den Bann schlagen lassen, wusste sie natürlich nicht. Es lag gewiss nicht an ihrer Untreue. Kjetell'o besaß einfach einen eigenen Charme. Aber da war noch mehr. Irgendein ... gemeinsamer Funke. Trotzdem fühlte sie sich auch unwohl dabei und das lag an Corax. Ihr Rabe sah sie an und in ihrem Inneren piekste etwas. Furcht stieg auf, er könnte in ihren Augen ablesen, dass sie Kjetell'o mehr als neutrale Blicke zuwarf. Was sollte sie nur tun? Würde es so weitergehen, bräche sie ihrem Raben das Herz und sie hatte gesehen, wie es ihm ging, wenn er sie verlor. Sie hatte ihn bei ihrer eigenen Leiche in der Kajüte des Kapitäns gesehen. Sie hatte Tränenperlen für ihn geweint, sein Herz im Traum vernäht und sich ihm hingegeben. Nichts hatte seinen Kummer in der Realität vertreiben können, im Gegenteil. Er hatte sich zu Serpentis zurück gerettet, um seinen Herzschmerz mit einem anderen zu kaschieren; einem, mit dem er hatte umgehen können. Wie konnte sie ihm dies erneut antun? Andererseits wäre es auch keine bessere Idee, sich von ihm zu trennen. Er würde sie niemals vergessen können. Ein einziger Blick in seine Seelenrubine verriet es. Er liebte sie, dass es wehtat. Er litt vor Liebe. Azura litt um ihn.
Und dann war es so einfach, als er sprach. "Ich liebe dich." Da brachen auch bei Azura die Dämme. Sie warf sich ihrem Raben an die Brust und schaffte es auch ohne den Einsatz ihrer Magie, Wasser jeglicher Form in Bewegung zu bringen. Wie schon bei Caleb zuvor, besudelte sie nun noch ein zweites Hemd mit Tränen, Speichel und mehr. Und wieder ließ der Mann es geschehen, der ihr gegenüber stand. Corax legte gar seinen verbliebenen Arm um ihre Traille, strich ihr den unteren Rücken, dass die frisch angebundene Feder leicht ihre fahle Haut kitzelte.
"Ich bin so dumm ... so dumm ... bitte, verzeih mir!"
"Azura ... es gibt nichts zu verzeihen. Sei ruhig so dumm, wie du sein möchtest. Es ist mir egal." Er senkte die Stimme und auch seinen Kopf, bis er sanft mit dem Kinn auf ihrer Schulter aufkam. Eine seichte Schmerzwelle durchzuckte den Körper der Andunierin, aber nur kurz und bei weitem nicht so schlimm wie beim letzten Mal. Sie und Madiha mussten einige Zeit in der Bewusstlosigkeit verbracht haben, dass ihre Verletzung bereits hatte etwas abheilen können. "Welche Dummheit du auch immer begehst, bleib ... bleib einfach am Leben. Und ... verstoß mich nicht." Da war es wieder. Seine größte Angst, seine tiefste Sehnsucht. Er wollte nur in ihrer Nähe sein, aber Corax war noch nicht fertig. Er brauchte lediglich kleinere Pausen beim Sprechen. Sein Hals hatte ebenfalls Verletzungen erlitten durch das Sklavenhalsband. Aber darüber hinaus musste er sich für seine nächsten Worte auch noch einmal mental wappnen.
"Erinnerst du dich an Méllyn Kicherklang? Die verdammte Schelmin? Sie ... hatte Recht, Azura." Er löst sich ein wenig und schob sie soweit von sich, dass sie zu ihm aufsehen musste. "Ich bringe Leid, sagte sie. Sie hatte Recht. Ich ... bin Leid." Neben Azura seufzte Kjetell'o, aber mit einem seichten Schmunzeln und halb den Kopf schüttelnd. Corax ignorierte es. "Ich bin Leid", wiederholte er, "aber ich lerne, damit umzugehen. Ich werde jegliches Leid von dir fernhalten. Ich will dir nie wieder etwas antun. Und ich werde dir jede Form von Leid nehmen, hörst du? Ich kann das. Ich übe es! Kjetell'o hilft mir dabei, so wie er uns allen helfen wird." Corax behielt den Blick eine Weile auf ihr, ehe er ihn suchend durch den Raum schickte, doch er konnte Madiha zunächst nicht ausmachen. Sie stand draußen, auf dem breiten Balkon. Ihre Silhouette wurden von den sanft wehenden Vorhängen umspielt.
Jetzt bemerkte auch Caleb, dass sie sich heimlich zurückgezogen hatte. Er hob einen Finger und schritt zum Balkon hinaus. "Madi?" Der Dieb stellte sich neben sie. Auch er richtete den Blick auf die Aussicht. Der Balkon zeigte nicht gen Andunie, sondern Richtung Meer. Man sah Teile der Akademie, die geradezu idyllisch wirkten, wären nicht die morgerianischen Banner an den Zinnen. Sie verpassten dem Graublau des Institutes etwas Bedrohliches. Dennoch lud das Panorama zum Träumen ein. Kleine Außentürmchen der Akademie mit weiteren Balkonen gaben den Blick auf die felsige Halbinsel frei, an der Wellen brachen und weiße Gischt auf den Stein spritzten. Möwen hatten in sicheren Nischen ihre Nester gebaut. Sie hockten auf kleinen Klipphängen oder saßen wie gefiederte Wächter auf erhöhten Felsen, den Blick auf das Wasser gerichtet. Einige flogen vor einem fast klaren Himmel auf. Sonnenlicht ließ die Oberfläche der See glitzern, die sich in der Ferne mit dem Blau des Himmels verband. Alles wirkte friedlich, fern jeglicher Probleme.
Caleb legte Madiha einen Arm um. "Mit dir stimmt etwas nicht. Willst du später darüber reden?" Später, nicht jetzt. Es war der falsche Zeitpunkt. Den Grund aber kannte sie noch nicht, doch Caleb offenbarte ihr es, als er versuchte, sie zum Reingehen zu bewegen. Nein, er ließ ihr keine Wahl. Er schob sie mit einem seichten Lächeln zurück in den Raum, wo er auch wieder das Sendli aufgab, damit die anderen seine Worte hören konnten. "Na komm wieder rein. Hier gibt es wohl etwas Wichtiges zu sagen. Corax meinte, Kjetell'o will euch allen helfen? Mit ... eurer Magie?" Der Dieb blickte auf und zu besagtem Elfen herüber.
Kjetell'o, der sich bisweilen zurückgehalten hatte, stämmte eine Hand locker in die Hüfte. Er erwiderte Calebs schiefes Grinsen mit einem Schmunzeln, doch seine Worte waren ernster Natur. "Das werde ich, auf Bitten eures ... Raben hier." Er und Corax tauschten einen knappen Blick. Dann trat Kjetell'o dichter an ihn und legte ihm erneut eine Hand in den Nacken, wo er Haut und Verband sanft kraulte. "Ich habe zugestimmt und wir beide halten uns an die Abmachung, nicht wahr?"
Corax nickte. "Kjetell'o wird uns allen helfen, mit unseren Kräften umzugehen. Euch beiden besonders, damit ..."
"... damit ihr keine Gefahr, sondern eine Hilfe darstellt", beendete der braunhaarige Elf mit nüchterner Wahrheit den Satz. Seine von Sonnenflecken gesprenkelten Wälder ruhten lange auf Madiha. So lange, bis er einen Blick von ihr erhaschte und erst, als es geschah, fuhr er fort. "Auch ich muss mich entschuldigen. Ich habe zu viel verlangt, ohne euch gut genug zu kennen. Euch und eure Fähigkeiten. Dass es schief ging, hätte ich ahnen müssen. Stattdessen habe ich euch in eine Situation gebracht, aus der wir alle mit Mühe und Not heil herausgekommen sind. Auch deshalb erkläre ich mich bereit, zu helfen. Es bringt meine eigenen Pläne nicht durcheinander, da ich im Gegenzug auch auf Corax' Hilfe hoffen kann. Übrigens!" Er wandte sich in einer eleganten Halbdrehung herum und strich an Corax' Wange entlang, dass dieser der Handbewegung folgt und ihn anschaute. "Ich müsste los", sagte Kjetell'o. "Wärst du so freundlich?"
Corax nickte zum zweiten Mal. Dann nahm er seine Hand von Azuras Hüfte und wischte damit einmal vor Kjetell'os Gestalt auf und ab. Schon nahm der Waldelf eine andere Form an. Die Illusion von Serpentis Mortis legte sich über ihn und sie war erschreckend perfekt. Corax' Illusionen gelangen umso glaubwürdiger, je vertrauter ihm das Bild zu sein schien. Selbst ihre Stimme hatte Kjetell'o wieder angenommen. "Ich danke dir, Leidbringer. Wobei ... den Namen halte ich für ungeeignet. Leidträger trifft es besser. Für den Rest überlegen wir beide uns noch etwas." Serpentis berührte Corax im Nacken. "Ich möchte später noch einmal mit dir sprechen ... und bring die Perlen mit, ja?" Die Dunkelelfe ließ den Blick über Azura und Madiha wandern. "Ich möchte mit euch allen sprechen. Außer mit dir, Kapitän van Tjenn. Du bist aber eingeladen, dabei zu sein. Bis dahin ... schenke ich den Paaren ein wenig Zeit für sich. Corax, Azura? Vielleicht wollte ihr in das andere Zimmer. Nur ein Vorschlag." Sie hob die Schultern, winkte ihnen so gar nicht nach Serpentis' Art und verließ dann den Raum.
Die Gruppe blieb zurück. Caleb schob eine Hand in seinen eigenen Nacken. Er räusperte sich: "Äh ... ihr wollt allein sein, um zu ... ihr wisst schon?", fragte er Corax und Azura. Der Rabe behielt die Augen auf seiner Liebsten, aber darin schimmerte eine Spur von Unsicherheit, doch er konnte es jetzt nicht aussprechen. Ja, er wollte allein mit ihr sein, aber vielleicht aus anderen Gründen. Und Caleb? Der spähte zu Madiha herüber. Hier hatte wohl keiner der beiden Mänenr vor, was man ihrem Geschlecht im Allgemeinen in Bezug auf Frauen ständig unterstellte. Jedenfalls noch nicht. Erst mussten einige Dinge geklärt werden.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Azura » Mittwoch 22. März 2023, 14:10

Oh ja, auch Azura hätte mitunter gerne ihre eigene, alte, bekannte Welt zurück. Jene Welt, in der sie der Mittelpunkt des Interesses gewesen war, in der sie gedacht hatte, alles sollte so sein und wäre die Erfüllung ihrer Wünsche, eben weil es die ihren waren! Eine Welt, die ihr heil und vollständig vorgekommen war. In der sie sich nicht für oder gegen jemanden entscheiden und damit leben musste, denn all ihre Galane und ihre sogenannten Freundinnen hatten stets darum gebuhlt, als nächste dran zu kommen, ganz gleich, wie oft sie über diese hinweggesehen hatte. Und sie hatte es genossen, hatte sich bewusst dafür entschieden, ihr Herz niemandem zu schenken und sich an niemanden zu binden, solange diese Person es nicht wert wäre und sie ohnehin lediglich enttäuschen würde, nachdem sie sich nach der geplatzten Beinah-Verlobung ihren Ruf erst wieder hatte erarbeiten müssen.
Und jetzt... jetzt war sie ein Nichts, eine wandelnde Tote, wie es Kjetell'o bereits angemerkt hatte, und noch dazu eine Mörderin. Schlimmer noch, sie war verwirrt und ihr Herz war untreu in einem Ausmaß, das ihr jegliche Freude darüber, dass ihr Rabe zu gesunden begonnen hatte, vergällte.
Wie konnte er sie nur so ansehen, ihr diese drei Worte sagen und sie auch noch trösten wollen? Sah er es denn nicht? Stand nicht mit leuchtender Farbe auf ihrer Stirn Verräterin?! Wie sollte sie damit nur umgehen, dass ein anderer Mann ihren Puls beschleunigte und sie erschauern ließ, obwohl sie bis vor kurzem noch dachte, Corax aus vollem Herzen zu lieben? Wie war das nur möglich? War sie viel verdorbener, als sie bisher gedacht hatte?
Was sollte sie denn jetzt nur tun? So weiter machen, wie bisher? Nein, das empfände sie als noch viel schlimmeren Verrat an ihm, das hatte er gewiss nicht verdient! Aber wollte sie es denn... ändern?
Sie beide hatten so darum gekämpft, um nun beisammen sein zu können und sie... sie war so unsagbar dumm! Wäre sie bloß nicht ins Leben zurück gekehrt... Doch was dann? Wer hätte ihn dann aus den Klauen der Hexe gerettet, wenn sie nicht mitgeholfen hätte? Nein, das wäre nicht die Lösung gewesen...
Dabei wollte sie ihm doch nur Glück bereiten, wollte, dass er eine bessere Zukunft hätte und nicht länger leiden müsste! Aber was tat sie...? Sie würde ihn ein weiteres Mal zerstören innerlich...
Schluchzend vor Verzweiflung sank sie gegen ihn und nahm all das Vertraute in sich auf, um nur noch mehr zu weinen und sich an ihn zu klammern. Sie hörte seine Worte, der Klang seiner vertrauten, liebgewonnen Stimme kitzelte sie beinahe im Ohr und war trotzdem nicht dazu angetan, ihr dabei zu helfen, sich zu beruhigen. Ab und zu schüttelte sie den Kopf, als könne sie nicht glauben, was er ihr sagte... oder wäre nicht damit einverstanden.
Solange, bis er wieder von seiner Rolle als Leidbringer anfing. Schniefend bemühte sie sich, sich endlich zusammen zu reißen und als es ihr möglich war, sah sie langsam und mit verheultem Gesicht zu ihm hoch. "Aber du bist nicht nur Leid!", protestierte sie schwach und wahrscheinlich auch unnötig. Trotzdem... sie wusste es, sie hatte es erlebt, denn er hatte ihr auch Gutes getan, noch bevor alles in den heißen Quellen zum wahren Höhepunkt zusammen gekommen war.
Kurz suchte sie seinen Blick, die Scham über ihren emotionalen Verrat war allerdings zu groß, als dass sie ihm hätte lange in die Augen sehen können. Erneut verbarg sie ihr Gesicht an seinem Körper. "Ich will nicht, dass du leidest... schon gar nicht wegen mir...", schluchzte sie murmelnd, doch die Tränen versiegten allmählich.
Nicht, weil sie nicht noch immer aufgewühlt wäre, im Gegenteil. Das Chaos schien in ihr weiterhin toben zu wollen! Langsam, aber sicher schwand ihre Kraft vorerst dazu und machte einer traurigen Ruhe Platz, die sich ähnlich wie eine gewisse Leere anfühlte.
Ihre Lider senkten sich wie von allein und einen Moment lang versuchte sie nur, den Duft und die Wärme ihres Raben wahrzunehmen, denn sie bezweifelte, dass er ihr beides noch lange würde geben wollen. Nicht, sobald er wüsste... Lautlos seufzend schmiegte sie sich instinktv noch enger an ihn und hoffte, sein Herz wäre stark genug für das, was sie ihm antat. Auch wenn sie zu ahnen glaubte, dass diese Hoffnung eine trügerische wäre.
Am liebsten hätte sie dabei ihre Umwelt vollkommen ausgeblendet. Zu ihrem Leidwesen jedoch waren sie beide nicht alleine und während sie noch so viel wie möglich von ihrem Liebsten für ihre Erinnerung aufsog, meldete sich auch Van Tjenn wieder zu Wort. Ihn hätte sie noch ignorieren können, aber dann mischte sich auch der andere Elf ein.
Blinzelnd öffnete sie langsam die Augen, rührte sich ansonsten vorerst lieber nicht. Zu groß war ihre Angst davor, dass ein Blick zu ihm erst recht alles verraten würde, wovor sie Corax schützen wollte. Dennoch zuckte sie leicht zusammen bei der Erwähnung dessen, wie wenig sinnvoll es gewesen war, ihre und die Magie der Sarmaerin zu verwenden. Mehr noch, wie gefährlich sie gewesen waren, insbesondere, als sie ihre Kräfte miteinander verbunden hatten. Sie brach nicht erneut in Tränen aus, dafür hatte ihr Rabe gesorgt. Doch trotzdem war es ihr unangenehm, damit konfrontiert zu werden... erst recht von diesem einen Mann.
Dessen Stimme näher kam, sodass sie letzten Endes trotz ihres Vorsatzes aufsah. Gerade in dem Moment, in dem er beinahe schon zärtlich über die Wange des Dunklen strich. Ein wenig verwirrt blinzelte sie über diese Art der Berührung und spürte, wie es ihrem Herzen einen Stich versetzte. Warum jedoch genau... das wusste sie nicht zu sagen. Und wenn sie ehrlich war, wollte sie es lieber auch gar nicht so genau wissen, dazu war ihr ihr Gefühlsleben im Moment schlichtweg zu sehr ein Rätsel.
Indes fuhr der Waldelf, nun in der Gestalt der Hexe, fort und als sein Blick zu ihr glitt, presste sie unwillkürlich die Lippen aufeinander und suchte instinktiv Deckung bei ihrem Raben. So blieb sie auch, bis sie vier unter sich waren und sie leise aufseufzte.
Langsam lockerte sie ein wenig den Griff von seinem Oberteil und wischte sich über ihre brennenden Augen, als sie die Stimme des Kapitäns hörte. Ein genervtes Schnauben kam ihr über die Lippen und sie warf ihm einen schiefen, wenngleich nicht ganz so erbosten Blick wie früher zu. Dabei verbiss sie sich auch jegliche Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag. Nicht so sehr wegen ihm an sich, sondern weil es viel zu viele andere Dinge nach sich ziehen könnte.
Als ob sie sich jetzt, so einfach, ihren Raben hingeben wollen würde! Ja, er hatte ihr gefehlt und auch seine Berührungen hatte sie schon viel zu lange missen müssen. Doch abgesehen von ihren empfunden Irrungen war sie alles andere als in der Lage, sich wohl genug zu fühlen, sich von ihm zu entblößen. Oh nein, diesen Anblick würde sie ihm nicht auch noch antun! Es war schon schlimm genug, was sie nicht vor ihm verbergen konnte, ganz gleich, wie sehr er betonte, sie wäre immer noch schön...
Außerdem gab es auch für sie anderes, das sie mit ihm unter vier Augen bereden könnte. Wenngleich ihr im Moment eigentlich der Mut fehlte, mit ihm allein sein zu wollen, aus Angst, ihm wieder weh zu tun oder sich endgültig zu verraten.
Also versuchte sie, das Thema in eine andere Richtung zu lenken, indem sie zu Corax sah und leise fragte:"Was will er von den Perlen?" Jene Perlen, die noch immer die Sarmaerin hatte, weil sie selbst sich nicht in der Lage fühlte, sie anzugreifen. Die ein Opfer, ein Geschenk für ihren Raben gewesen waren und die irgendetwas aus ihrer Seele gelöst hatten, das sie bislang nicht zu benennen wusste.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 22. März 2023, 20:08

Auch wenn das Licht Lysanthors sich wieder hinter seichten Wolken versteckt hatte, wurde Madiha ein wenig von der Sonne geblendet als sie auf den Balkon hinaustrat. Die sanfte Brise verriet einem nichts mehr von dem göttlichen Unwetter, das einzig deshalb heraufbeschworen wurde, weil die Magie der ungleichen Mädchen sich zu etwas Schrecklichem verbunden hatte. Trotzdem hatte es etwas Beruhigendes, während der Wind mit ihrem gekürzten Haar spielte und das Wellenrauschen sich unter ihren Füßen zu einem fulminanten Konzert aufbaute. Auch wenn Madiha unter der Wassermagie zu leiden hatte, spürte sie jetzt, umgeben vom Meer, kein Unbehagen. Ganz im Gegenteil. Nachdem sie den Raum verlassen und auf den Balkon getreten war, spürte sie eine leichte Anspannung von sich fallen. Es gelang ihr deutlich besser durchzuatmen und so schloss sie für Sekunden die Augen, um einzig dem Wind und dem Meer zuzuhören. Schon nachdem Caleb scheinbar für immer leblos in der Koje auf der ‚blauen Möwe‘ liegen würde, hatte sie an Deck die frische Seeluft und die Geräusche der Wellen genießen können. Es klärte die Gedanken und brachte Frieden ins Herz. Jetzt trug es ihre Seele davon, damit sie sich nicht damit auseinandersetzen musste, was sie gerade tat. Dass sie sich flüchtete vor etwas, was ihr Angst machte und sie in ein Denkmuster katapultierte, das ungesund und dennoch für Sklaven so typisch war. Madiha trat an die Brüstung und legte ihre Hände auf den kühlen Stein. Er fühlte sich rau an und ihre Finger, die noch immer nicht vollständig geheilt waren, kribbelten leicht. Nachdenklich betrachtete sie ihre eigenen Fingerspitzen und versank in ihren Gedanken. Was drinnen gesprochen wurde, bekam Madiha zurzeit nicht mit. Sie hörte die liebevollen Worte von Corax an Azura nicht und sie bekam auch nicht mit, dass Azura noch immer mit ihren Emotionen zu kämpfen hatte. Rückblickend betrachtet, hatte die Andunierin aber auch wirklich viel erlebt und Madiha war ehrlich froh darüber, dass sie nun endlich Corax wieder in ihre Arme schließen konnte. Der Kampf gegen Serpentnis hat Madiha all die Gemeinheiten und die Anwandlungen der anderen vergessen lassen. Es war nicht mehr wichtig. Nichts war mehr wichtig, denn das Seelenhaus, das sich Stück um Stück in Freiheit erbaut hatte, hatte erheblichen Schaden genommen. Zu erkennen, dass Azura Recht behalten sollte mit ihrer anfänglichen Haltung, Madiha sei nicht gleich viel wert, wie sie, wog schwer. Das Mädchen hatte sich eingebildet, dass sie ebenso Wert besaß, wie es ein jeder in diesem Raum tat. Aber sie hatte sich geirrt. Madiha senkte den Kopf und schloss die Augen abermals. Es tat weh, diese Gedanken zuzulassen. Im Grunde wünschte sie sich nichts anderes als in Freiheit jemand zu sein. Mehr als nur Madiha. Denn bis auf ihren Namen, hatte sie nichts was ihr gehörte. Nicht mal ihren Trotz hatte sie behalten können, denn er hatte dazu geführt, dass sie überheblich wurde und scheiterte. Auf Kosten unschuldiger Leben. Es war nicht die Feuerhexe, die ihr Leben aufgrund ihrer Magie aushauchte. Ja, sie hatte ja nicht mal die Magie halten können. Kjetell’o hatte sie angewiesen, sie zurückzusenden, weil sie nicht stark genug war. Und sie hatte die mickrige Flamme, ihre eigene mickrige Flamme, erkannt, die unter dem Inferno der Hexe beinahe erloschen wäre. Madiha presste die Lippen aufeinander und schob diese Gedanken wieder von sich. Dienen. Nicht entscheiden, nicht verlangen, nicht wollen. Sie diente. “Madi?“, sie zuckte zusammen und wandte den Kopf. Eilig wischte sie sich das feuchte Auge und setzte dann ein leichtes Lächeln auf, als sie Caleb ansah. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit allerdings zügig wieder auf das Meer, während er nähertrat und einen Arm um sie legte.

Madiha verlagerte ihr Gewicht und lehnte sich ein wenig gegen den Dieb. Einen Moment schauten sie beide nur auf das Wasser und die Seemöwen, die in der Brandung nisteten. Sie trotzten dem Sturm. "Mit dir stimmt etwas nicht. Willst du später darüber reden?", bemerkte er und sie stellte sich wieder gerade hin. Sie schüttelte den Kopf und lächelte wieder. “Lächle! Keiner will dein trauriges Gesicht sehen!“, hörte sie Khasib schnauzen und folgte dem Geist aus der Vergangenheit. „Ich bin nur…“-, "Na komm wieder rein. Hier gibt es wohl etwas Wichtiges zu sagen. Corax meinte, Kjetell'o will euch allen helfen? Mit ... eurer Magie?" unterbrach er sie, und führte sie mit sanfter Bestimmtheit in den Raum zurück. Sie verstummte gleich wieder und sah aufmerksam auf Corax und Azura, dann auf Kjetell’o. Letzterer lächelte. "Das werde ich, auf Bitten eures ... Raben hier." Ihre Augen glitten zu Corax. Was hatte das zu bedeuten? Sie selbst wollte ihre Magie gewiss nicht mehr anwenden. Sie würde nicht zur Mörderin werden, weil sie in der Lage wäre eine mickrige Flamme zu entzünden. Madiha schlug den Blick wieder nieder und betrachtete den Boden. "Kjetell'o wird uns allen helfen, mit unseren Kräften umzugehen. Euch beiden besonders, damit ..."
"... damit ihr keine Gefahr, sondern eine Hilfe darstellt"
Das saß. Madiha keuchte leise und zog die Augenbrauen zusammen. Eine Gänsehaut erfasste sie und sie spürte, wie ihr kleines, eigenes Reich abermals bröckelte. Das Mädchen verschränkte die Arme als könne sie sich vor dem Schmerz damit schützen, bis sie anhand der eintretenden Stille merkte, dass Kjetell’os Blick auf ihr ruhte. Sie erwiderte die goldenen Sprenkel mit trüben Graublau. Schmerz schwamm in ihnen und breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie hielt nicht lange stand, sondern senkte beschämt den Blick zurück auf den Boden. Es war der sicherste Ort für Sklavenaugen, denn so sahen sie nichts, was sie nicht sollten, und blieben dennoch aufmerksam, wenn sie gerufen wurden. "Auch ich muss mich entschuldigen. Ich habe zu viel verlangt, ohne euch gut genug zu kennen. Euch und eure Fähigkeiten. Dass es schief ging, hätte ich ahnen müssen. Stattdessen habe ich euch in eine Situation gebracht, aus der wir alle mit Mühe und Not heil herausgekommen sind. Auch deshalb erkläre ich mich bereit, zu helfen. Nun aber horchte Madiha verwundert auf. Sie hob sogar den Blick zurück zu dem schillernden Elfen mit den braunen Haaren und betrachtete sein Gesicht genau. Sie suchte einen Anflug von Häme, Witz oder Spott, doch sie fand ihn nicht. Ihr Blick glitt unsicher zu Azura, die ebenfalls betroffen dreinschaute. Erneut blickte sie zu Kjetell’o, der sich nun an Corax heranschob. Die ungewöhnliche Geste registrierte Madiha, doch ihr Geist war noch damit beschäftigt, die Worte des Elfen zu begreifen. Hatte sie sich gar nicht selbst überschätzt? Lag es daran, dass Kjetell’o geglaubt hatte, sie könnten mehr? Aber welchen Unterschied machte es schon? Nutzlos – es war alles nutzlos und sie insbesondere. Denn im Gegensatz zu Azura hatte Madiha nicht mal den Glauben an einen Gott gehabt, der sie in letzter Sekunde vor dem sicheren Verbrennen bewahrt hatte. Nein. Ihr Blick sank wieder herab. Es war besser so zu erkennen, dass sie nicht bereit für das Leben in Freiheit war. Und dass sie besser den Entscheidungen anderer Folge leistete. Kjetell’o ließ sich von Corax wieder in Serpentis verwandeln und die Erscheinung war so täuschend echt, dass ein Schauer das Mädchen erfasste.

"Ich möchte später noch einmal mit dir sprechen ... und bring die Perlen mit, ja?" Das Mädchen der Wüste fasste instinktiv nach dem Säckchen um ihren Hals. Sie hatte die Perlen behalten, da Azura sie nicht annehmen wollte. Was aber wollte Kjetell’o mit ihnen? Dann aber sprach der Elf sie noch mal an und versicherte, dass er mit ihnen sprechen wollte. Madiha nickte folgsam, dass sie verstanden hatte. Natürlich wollte er mit ihr sprechen. Er würde ihr nahelegen, was sie doch schon selbst erkannt hatte: Nie wieder ihre Magie einzusetzen, damit sie keine Gefahr darstellte. Sie sah der falschen Serpentis nach, selbst als die Tür bereits wieder ins Schloss gefallen war und die Sicht versperrte. Sie sah gar nicht richtig hin und fragte sich, was so wichtig sein sollte. Vielleicht, aber wollte er sie auch bestrafen für ihren Übermut? Er sagte zwar, er trüge selbst etwas Schuld daran… doch glaubte er das wirklich? Jetzt war es Azura, die Madiha ablenkte. Ihre Frage nach den Perlen erinnerte die Sarmaerin daran, dass sie diese noch hatte. Sofort zog sie diese vom Hals und trat auf Corax zu. Sie wusste, dass Azura sie nicht nehmen würde. „Co...rax?", machte sie leise auf sich aufmerksam. Sie warf Azura einen entschuldigenden, kleinlauten Blick zu. Sie wollte nicht stören und blieb sogar in einem erlernten Abstand zu den beiden stehen. Sklaven wurden nicht übergriffig. Sie warteten, bis sie die Aufmerksamkeit erhielten. Und so wartete auch Madiha, bis sich der Rabe ihr zuwandte. Sie hielt nun ihm das Säckchen hin und wollte es überreichen. Dabei aber blickte sie ihm kaum ins Gesicht. Auch das war typisch. Madiha konnte einfach nicht leugnen oder verbergen was sie in Wahrheit war. Sobald Corax sie genommen hätte, würde Madiha wieder zurücktreten und den beiden den Platz lassen, den sie benötigten. Sie warf Caleb kurz einen Blick zu. Würde er jetzt mit ihr reden wollen? Er glaubte, dass etwas mit ihr nicht stimmen würde. Aber im Grunde war doch alles wie immer… Aber sie wollte mit ihm reden… Sie wollte ihn fragen, wie es ihm ging. Wie er es aufnahm, dass sie ihn zum Mörder gemacht hatte. Und da war die Tatsache, dass er ihr seine Liebe gestanden hatte… Der Gedanke daran flutete ihre Seele tatsächlich mit Wärme. Es war die kleine Flamme unter all der Asche, die fortbestehen wollte. Aber ohne Sauerstoff, würde auch sie irgendwann vergehen. Und Madiha war weit davon entfernt, sich zu nehmen, was sie brauchte.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 23. März 2023, 15:00

Endlich waren sie alle wieder vereint, asl Gruppe und als Paare. Sogar Kjetell'o zog sich in Gestalt der getöteten Feuerhexe zurück, um ihnen ein wenig Zeit füreinander zu geben. Trotzdem schien niemand der vier darauf aus, sich nun zurückziehen zu wollen. Dies hatte unterschiedliche Grüne. Madiha haderte nach wie vor mit sich oder eher nicht. Denn sie dachte nicht darüber nach. Sie verdrängte alles, was es zu verarbeiten gäbe und flüchtete sich in eine simplere Rolle. Sklaven dachten nicht nach. Sie folgten, führten Befehle aus und führten ansonsten das stille Dasein eines Schattens. Caleb roch bereits den Braten. Etwas stimmte mit seiner Gefährtin nicht, doch konnte er noch nicht ganz ausmachen, was das Problem war. Er ahnte es, denn auch er hatte ihren unkontrollierten Ausbruch gesehen. Er hatte die Flammen emporschießen und um Madiha wirbeln sehen, bis Venthas göttlicher Regen Schlimmeres hatte verhindern können. Der Dieb mochte auf magischer Ebene weniger Potenzial haben als ein Stein, aber selbst er konnte Zusammenhänge feststellen. Ehe er Madiha jedoch in Ruhe darauf ansprechen konnte, ob seine Vermutung stimmte, wandte Kjetell'o sich bereits an sie. Auch er wollte mit ihr reden - sowohl mit ihr, als auch mit Azura und Corax. Der Elf hatte sich klammheimlich einen Platz in die Gruppe erschlichen. Er war nicht ganz Teil von ihnen und doch zog er irgendwo an Strippen und nur ihm war es verdanken, dass sie gegen Serpentis hatten bestehen, sowie ihren Raben retten können.
Jener erhielt von Kjetell'o gerade eine ... befremdliche Form der Berührung, zumindest aus Sicht aller anderen. Für den Waldelfen schien die Geste kein Grund zur Sorge und auch Corax zuckte nicht zusammen. Er schmiegte sich zwar ebenso wenig gegen die Finger, die seine Wange streichelten, aber mit einem flüchtigen Blick zum anderen nahm er es zur Kenntnis. Außerdem sprach er überraschend wohlwollend von Kjetell'o. Dieser bot schließlich nach wie vor seine Hilfe an, obwohl er es im Grunde gar nicht musste. Er hatte sich ja sogar heraushalten und die Gruppe nur zum Hof führen wollen. Jetzt steckte er irgendwie mittendrin und hatte zu nahezu jedem ein Band geknüpft. Diese Bande ließ er vorläufig lose baumeln, als er den Raum verließ.
Der Rabe schaute ihm nach, bis sich die Tür hinter Serpentis' eindrucksvoller Gestalt leise schloss. Corax atmete durch. Er hatte die Illusion geschaffen, aber nicht einmal ihn ließ sie unberührt. Dass nocht immer ein Abbild seiner alten Herrin durch die Korridore der Akademie strich, hinterließ auch auf ihm Spuren. Doch er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Ein Blick, ein Durchatmen, dann war der Moment vorüber und er widmete sich Wichtigerem. Azura wandte sich an ihn und fragte nach den Perlen. Dies sorgte nicht nur dafür, dass sie Corax' Aufmerksamkeit gewann. Er hob die Schultern an. "Ich weiß nicht, was er mit ihnen vor hat. Er fragte nur, warum mir an ihnen so viel liegt und ich sagte, weil sie von dir stammen. Dein ... Leichnam hat sie für mich geweint. Daraufhin deutete er an, etwas versuchen zu wollen, müsse aber noch nachforschen. Ich... oh ... Herrin!"
"Co...rax?" Der Angesprochene sah auf Madiha herab. Seine Herrin, die sich überhaupt nicht wie eine benahm. Er wusste von ihr, dass auch sie einst eine Sklavin gewesen war. Sie hatte ihn und sich verglichen. Sie waren gleich und das hatte sie weit genug verbunden, dass sie für ihn hatte da sein wollen. Dass die Sklavin zur Herrin aufgestiegen war und sich nicht nur dieser Aufgabe, sondern auch ihm angenommen hatte. Madiha nun zu sehen, wie sie es nicht einmal wagte, den Blick mit ihm zu kreuzen, hinterließ eine Schwere auf dem Herzen des Raben. Dann fiel sein Blick auf das Säcklein, das er so lange mit so viel Fürsorge bei sich geführt hatte. Jede einzelne von Azuras Tränenperlen bewahrte er in dem Stück Stoff ihres alten Kleides auf. Jede Perle ruhte darin, zusammengehalten von einem Band aus ihrem Haar und dem roten Faden, den sie im Traum aus seinem blutenden Herzen gezogen hatte, um es zu vernähen. Ein Kichern erklang, als Madiha ihm das Kleinod übergab. Corax legte seine Finger kurz darum, hob es zu seinem Gesicht und drückte es gegen die Wange. Er liebkoste es, schenkte ihm einen Kuss, reichte es dann aber an Azura weiter. "Sie gehören zu dir. Es wäre besser, wenn du sie nimmst. Ich weiß nämlich nicht, ob sie..." Und langsam wanderten seine roten Augen über die Rabenfeder am Handgelenk bis hinüber zu Madiha. "... ob sie ... schwarz ..." Er überließ Azura ihre Perlen und drehte sich der selbsternannten Sklavin zu. Madiha hatte sich schon wieder etwas zurückgezogen, ins Abseits, aber Corax ließ das nicht zu. Seine Finger glitten unter ihr Kinn, um es anzuheben. Er suchte ihren Blick. "Herrin..." Er hatte offenbart, dass auch er eine Form der Liebe für sie empfand. Sei berührte ihn. So sank er auf ein Knie herab, um ihren gesenkten Kopf eine Ebene höher zu setzen als den seinen. Seine Hand wanderte an ihrem Hals vorbei zu ihrer Brust.
Im Hintergrund zuckte Caleb kurz auf, aber Corax' Geste war ohne jeden zweideutigen Hintergedanken. DIe Hand lag flach auf Madihas Brust auf, über ihrem Herzen. Sein Blick haftete an ihr und für einen Wimpernschlag huschte ein bunter Farbschimmer über die roten Iriden. "Gib mir dein Leid", sagte er ruhig. "Damit du dir verzeihen kannst."
Und plötzlich spürte Madiha einen winzigen Sog von seiner Handinnenfläche aus. Vor ihrem geistigen Auge sah sie erneut ihr geschaffenes Häuschen. Zerstörte Balken, rissige Mauern, verbrannte Vorhänge und schwelende Fensterläden. Aus den Wolken darüber senkte sich ein Regenbogen auf das Gebäude herab und ein schwarzer Schatten huschte an dem Farbspektrum entlang, flatterte einmal durch die Stube und wieder hinaus. So schnell wie er kam, war er auch wieder fort. Mit ihm schwand das Bild des Häuschens. Er hatte etwas gestohlen, klein nur, aber schwer. So schwer, dass er nicht noch mehr davon hatte nehmen können, aber er hinterließ eine Spur Leichtigkeit auf Madihas Seele. Ihr Geist kehrte in die Realität zurück.
Corax kniete noch immer vor ihr, aber seine Hand hatte sich von ihrem Herzen gelöst. In der Handinnenfläche ruhte eine kleine Perle, weiß und schön wie jene von Azura in dem Beutel. Dann verlor sie ihren Glanz, wurde matt und schwarz. Wie schon zuvor schloss Corax die Finger darum und als er sie wieder öffnete, lag da eine schwarze Rabenfeder. Er wirkte zufrieden und erhob sich. Dann schob er sein Haar beiseite und stach sich die Spitze der Feder knapp unterhalb des Nackens in den Rücken. Es war etwas umständlich, dies mit nur einem Arm zu tun, aber es gelang ihm. Er keuchte unter dem kurzen Schmerz auf, als er sie neben eine noch viel kleinere Rabenfeder in Fleisch stieß. Man hatte sie ob seiner Haare bislang nicht bemerkt und weil sie so winzig war, nicht größer als sein kleiner Finger. Nachdem es erledigt war, schob er seinen Schopf wieder darüber, als wollte er die Federn verbergen. Er lächelte Madiha warm an. "Geht es dir schon besser, Herrin?"
Madiha würde feststellen dürfen, dass es wirklich der Fall war. Auch sie hatte keinerlei Erinnerungen an die Schrecken verloren und sicherlich noch nicht ganz die Schuld, die aufgrund ihrer Unfähigkeit auf der eigenen Seele lastete, aber ... es war nicht mehr alles so schwer. Irgendein Teil in ihrem Innern hatte sich verzeihen können. Welcher dies war, wusste nur sie selbst. Corax hatte ihn genommen, aber nur sie kannte das Leid, das er ihr geraubt hatte.
Seine Augen glitten zu Azura zurück. Oh, es steckte so viel Liebe in seinem Blick, so viel Zuneigung. Nicht einmal hatte er sich vor ihrem jetzigen Anblick gescheut oder angewidert gezeigt. Er mied ihn auch nicht. Er sah sie an und er lächelte schmal, aber voller Liebe für sie. "Sehe ich aus, als leide ich wegen dir?", fragte er sanft und griff ihre Worte von vorhin wie aus dem Nichts auf. Dann trat er dicht an sie heran. Er küsste den kleinen Stern, den Venthas Göttlichkeit auf ihrer Stirn hinterlassen hatte, als jene Azura verließ. Dieses Mal prickelte nichts mehr dahinter. Der Segen war fort.
"Ich leide nur noch mit euch. Mit dir ... aber wir stellen deinen Zustand schon wieder her. Du wirst wieder ganz die Alte sein. Und bis dahin..." Irgendein Eifer hatte den Raben gepackt. Er trat von Azura zurück. Dafür erreichte Caleb seine Madiha und legte ihr erneut einen Arm um. Sein Blick ruhte etwas fragend auf ihr. Schließlich konnte er sich am allerwenigsten begreiflich machen, was gerade geschehen war. Skepsis funkelte daher im blauen Anteil seiner Iriden wie Sonnenstrahlen auf dem Wasser. Was hatte Corax mit ihr angestellt?
Der Rabe achtete gerade nicht auf das andere Paar. Er war mit Azura beschäftigt. Erneut hob er seinen verbliebenen Arm, spreizte die Finger voneinander ab und ließ sie dann in einer sanft wischenden Bewegung neben Azura entlang nach unten gleiten. Noch eine Illusion, aber sie gäbe ihr sicherlich etwas Zuversicht zurück - wenn es denn funktionieren würde. Corax zog die Brauen zusammen. Erneut schwang er seine Hand an der Liebsten vorbei. Nichts geschah. Er berührte ihre Schulter, strich an ihrem Arm herab. Er wandte dieses Mal ein wenig Druck an, als wollte er eine Schmutzschicht von ihr herunter schaben. Nichts. Azuras Optik blieb unverändert.
Corax machte einen kleinen Schritt zurück. Er wischte vor ihrem Gesicht, gestikulierte einen Bogen über ihrem Haar und er griff am Ende wieder nach ihrer verbundenen Hand. Jetzt sah er leidend aus. Bekümmert und verwirrt. "Es ... funktioniert nicht. Ich weiß nicht, warum. Es bleibt einfach nicht haften."
"Du hältst Kjetell'os Illusion bereits aufrecht", warf Caleb ein. "Und auch du bist verletzt. Vielleicht brauchst du mehr Ruhe."
"Nein. Es hat immer funktioniert. Schau doch!" Er wirbelte halb herum und nahm dabei sofort eine andere Gestalt an. Elegant, schön und jede noch so kleine Bewegung erfolgte plötzlich in absoluter Perfektion. Das schwarze Haar, streng zusammengebunden, bei dem keine Strähne am falschen Platz hing. Die dunkle, exotische Haut, wie auch Madiha sie besaß und das eigene kulturelle Gewand der Wüstenvölker von Sarma. Caleb schluckte leer, als Dunia ihm gegenüber stand. Ihre schönen, dunklen Augen ruhten auf ihm und er starrte gebannt hinein, vollkommen paralysiert. Nur sein Griff um Madiha festigte sich etwas, bis er schließlich wieder die Kontrolle über sich fand. Seine Hand glitt von ihrer Schulter, um sich mit der ihren zu verflechten. Sein Blick wurde ernst.
"Verwandle dich zurück, das ist nicht lustig."
Corax gehorchte. Schon verschwamm seine Optik. Sie flimmerte kurz und dann stand wieder der einarmige Rabe vor ihnen. Dunia hatte beide Arme besessen... "Nein. Es ist ganz und gar nicht lustig", stimmte er zu, während sein Blick wieder zu Azura wanderte. "Warum funktioniert es nicht? Ist das ... eine stärkere Macht? Bist du verflucht oder so? Ich kann nicht einmal deine Augenfarbe ändern, gar nichts."
"Bleib ruhig und ruh dich aus, dummer kleiner Elf." Caleb wusste, wie er Corax' Aufmerksamkeit gewinnen konnte. "Wir finden das schon heraus. Wir alle gemeinsam. Bis dahin solltest du deine Kräfte sparen. Ich glaube, es wäre unklug, wenn die Illusion plötzlich von Kjetell'o abfällt, weil du dich zu sehr verausgabst." Nun hatte er ihn. Corax nickte einsichtig. "Ich würde jetzt gern ... ich muss etwas mit Madiha bereden. Treffen wir uns später mit Kjetell'o und diesem Perlenbeutelchen. Ach und überrede Azura mal dazu, etwas zu essen." Seine Augen huschten über die Andunierin. Die Worte galten allerdings auch Madiha als Mahnung. Beide Frauen hatten lange nichts mehr gegessen. Je nachdem, ob Azura und Corax nun im Raum bleiben wollten, würde Caleb das Kind der Wüste zurück in den anderen Schlaraum bringen oder gar woanders hin. Tatsächlich stand ihnen die Akdemie offen, wie sowohl er als auch Corax wussten. Auch der Rabe könnte mit seiner Gefährtin einen Ort seiner Wahl aufsuchen. Naja, fast, aber das fänden beide Paare auch noch heraus.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Azura » Freitag 24. März 2023, 13:01

Während die Sarmaerin ihren Platz wieder finden musste, hatte auch Azura einiges, das ihr zu denken gab. Nachdem ihr Rabe ihr einen Gutteil ihres Leids wegen ihrer Tötungen genommen hatte, drängte sich der andere große Punkt umso deutlich in den Vordergrund. Sie war verwirrt ob ihrer Gefühle und beschämt wegen ihrer Treulosigkeit ihm gegenüber, weil sie sich so leicht von einem anderen Mann becircen lassen konnte.
Das hatte Kjetell'o schließlich getan, oder etwa nicht? Seine Blicke, seine Berührungen, seine Worte... alles hatte sie umschmeichelt, hatte ihr Herz schneller schlagen lassen und sie bis in die Ohnmacht verfolgt.
Nachdem sie nun jedoch gesehen hatte, wie zärtlich er über die Wange des Dunklen gestrichen hatte und sich bewusst darüber wurde, wie diese Finger zuvor ein paar Mal in dessen Nacken gewesen waren, wurde ihr noch unwohler zumute. Hatte sie die Anzeichen falsch gedeutet? War sein Verhalten ihr gegenüber gar nicht so gemeint gewesen, wie sie es verstanden hatte?
Nein, natürlich nicht, wie konnte sie nur so dumm sein?! Bei ihrem derzeitigen Aussehen und bei dem Gestank, den sie bei ihrem Kennenlernen verströmt hatte, war es viel eher ein Wunder oder sehr viel Mitleid, dass er es in ihrer Nähe überhaupt ausgehalten hatte! Oh, sie war dumm, so unfassbar dumm, noch viel mehr, als sie es Corax eben erst gesagt hatte! Als ob sich jemand wie dieser Waldelf tatsächlich für eine wandelnde, stinkende, längst entehrte Leiche wie sie interessieren könnte...
Es war ja schon eine Gnade, dass ihr Rabe sie nicht ablehnte! Dabei müsste er es, wegen ihrem Äußeren und weil sie dermaßen treulos war... Wie kam es nur, dass er es ihr nicht ansah? Dass er nicht erkannte, wie verkommen ihr Herz eigentlich war?
Stattdessen hielt er sie mit seinem verbliebenen Arm, bot ihr die Möglichkeit, sich an ihn zu schmiegen und ihre Erinnerungen daran aufzufrischen, wie schön es sein konnte, bei ihm zu sein. Mehr noch, er versuchte sie zu trösten! Und sie? Sie war so egoistisch und verdorben, dass sie es annahm und bei ihm Halt suchte, ihm, den sie verraten hatte. Bittere Galle drohte ihr die Kehle hinauf zu steigen, sodass sie mehrfach schluckte und nach jedem gedanklichen Faden fischte, der sie weg von ihrer untreuen Seele brachte.
So fragte sie nach den Perlen und die Antwort ließ sie die Stirn runzeln. "Versuchen? Was will er...?", hakte sie nach, brach aber ab, als ihr Rabe sich der Sarmaerin zuwandte. Auch sie sah zu der anderen hin.
Früher, vor ihrem gemeinsamen Handeln im Hof der Akademie, hätte sie so einige, spitze Bemerkungen bezüglich dieser ungewollten Unterbrechung gemacht. Jetzt hingegen hielt sie sich zurück und wartete ab, was geschehen würde.
Allerdings nicht lange, denn es gefiel ihr auch weiterhin nicht, dass ihr Liebster die Dunkelhaarige als seine Herrin betrachtete. Für sie war es noch immer eine Art des Daseins, mit der sie sich nicht wirklich auseinander setzen wollte. So wandte sie den Blick ab, ohne sich aus der Umarmung zu lösen, und wollte stattdessen erneut ihren eigenen Gedanken nachhängen.
Dazu kam es vorerst nicht, denn nach einer kurzen Liebkosung wurde ihr das Säcklein entgegen gehalten. "Ich weiß nicht...", wollte sie abwehren, denn noch immer und trotz allem fühlte sie sich zu unrein nach ihren Taten, als dass sie dieses Geschenk wirklich in die Hände nehmen könnte. Doch als er seine Feder erwähnte... wanderten ihre Augen wie von selbst dorthin und sie sah erneut, wie die Perle von vorhin sich dazu gewandelt hatte.
Zögerlich griff sie schließlich nach dem Säckchen und wagte es nur mit spitzen Fingern anzugreifen. Ihr Blick ruhte darauf, wähend sie nun die Gelegenheit erhielt, sich ihren Gedanken zu widmen.
Die Perlen... Was wollte der Waldelf von ihnen? Wieso ließ Corax zu, dass der andere sie nehmen und damit was auch immer anstellen könnte? Es war doch ihr Opfer gewesen! Warum also fragte er nicht zuerst sie, was sie damit tun sollten, jetzt, da sie wenigstens wieder atmete? Und war da im Palast der Stille nicht etwas gewesen? Eine Gabe... eine Nadel... etwas, das sie genommen und dessen Zweck sie dennoch nicht ganz begriffen hatte. Vielleicht sollte sie diese holen und... Moment!
Die Augen der jungen Frau weiteten sich erschrocken und sie wurde ganz blass um die Nase. "Meine Tasche!", keuchte sie auf, unabhängig davon, was die übrigen Anwesenden gerade besprochen haben mochten. Sie hatte auch nicht bemerkt, dass der Dunkle sich von ihr gelöst und hingekniet hatte, um inzwischen wieder aufgestanden zu sein.
Ihr Kopf ruckte herum und ihr Blick glitt von der Sarmaerin zu Van Tjenn und wieder zurück. "Die Tasche mit den Schriftrollen! Wo ist sie? Ist sie zerstört oder haben wir sie gerettet?!", fragte sie hastig und musste sich direkt an Corax festhalten, um vor Schreck nicht den Halt zu verlieren. Dabei erwischte sie ihn unabsichtlich im Nacken und ertastete dort... Federn?!
Blinzelnd und von einem unangenehmen Gedanken zum nächsten verwirrenden wurde sie abgelenkt, um wieder zu Corax zu sehen. "Was...?", fragte sie und fühlte erneut nach, zupfte ganz leicht und behutsam, ehe sie sich streckte und einen Blick in seinen Nacken zu erhaschen versuchte. "Wieso hast du da Federn?", kam es nun noch direkter.
Er hingegen griff ein anderes Thema von vorhin wieder auf, das ihre Aufmerksamkeit erneut in eine andere Richtung lenkte. Kurz sah sie ihm direkt in die Augen, ehe sich ihre Wangen röteten und sie seufzend ihren Blick senkte. "Aber du hast es getan... du hast wegen mir gelitten und ich habe Angst, dass... dass du es wieder tun könntest...", gestand sie ihm leise, während ihre Augen wanderten.
Traurig sah sie zu seiner Schulter mit dem Armstumpf und langsam hob sich ihre Hand wie von selbst. Ihre Fingerspitzen berührten ihn, strichen ein wenig von seinem Schlüsselbein über die Schulter und wagten sich dennoch nicht weiter. "Und das ist im Endeffekt auch wegen mir...", murmelte sie betrübt. Nicht, weil er nun verstümmelt war, da hatte sie schon eine gänzlich andere Wunde bei ihm gesehen.
Es machte sie nur so traurig und verursachte ihr Schuldgefühle, weil er diese neue Verletzung auf sich genommen hatte, weil sie ihn nicht hatte überzeugen können, auf sie zu warten. Weil ihre Nachricht nicht angekommen war, sondern gestohlen und missbraucht worden war. Auf der Schriftrolle, dieser einen...
Sanfte Lippen auf ihrer Stirn, von dessen neuem Mal sie noch nichts mitbekommen hatten, lenkten sie ab und sorgten dafür, dass sie mit einem leisen Seufzen ihre Lider senkte. Ein kleiner, feiner Schauer sorgte dafür, dass sich die Härchen in ihrem Nacken aufstellten.
Indes sprach er weiter, sodass sie die Kraft fand, sich ablenken zu lassen und zu ihm zu sehen, wie er sich von ihr löste. Er vollführte ein paar Handbewegungen, die für sie keinen Sinn ergaben, sodass sich ihre Stirn ein wenig runzelte.
"Was machst du?", fragte sie zwischendurch und merkte, dass ihm irgendetwas nicht gefiel. Seine Bewegungen wurden unruhiger und auch seine Mimik verriet noch vor seinen Worten, dass sein Vorhaben nicht klappen wollte.
Während sie noch zu verstehen versuchte, was das sollte, war der Kapitän offensichtlich schon vertrauter mit solchen Gesten und sprach es auch offen an. Ein Teil ihres Verstandes begann zu begreifen, aber noch längst nicht ausreichend, als dass sie es wirklich verstanden hätte.
Da drehte sich Corax halb von ihr weg und war plötzlich... jemand gänzlich anderes! Irritiert blinzelte sie und konnte mit dieser Person nicht wirklich etwas anfangen, außer den Umstand, dass auch sie diesen Anblick nicht mochte. Gut, dass er nicht sonderlich lange anhielt.
Schließlich wandte ihr Rabe sich wieder direkt an sie und sorgte dafür, dass sie mit den Schultern zuckte, ehe sie sich mit leichtem Unbehagen selbst umarmte. "Ich... weiß nicht... Vielleicht hat Ventha damit etwas zu tun? Um mich nicht vergessen zu lassen, dass ich... na ja... noch etwas für sie erledigen soll...", murmelte sie und fühlte sich noch weniger wohl in ihrer Haut.
Dieser Gedanke, dass ihr Aussehen mit dem Handel zu tun haben mochte, den sie der Göttin vorgeschlagen hatte, war ihr erst jetzt, als sie ihn ausgesprochen hatte, bewusst geworden. Ob das stimmen könnte? Oder nahm sie sich mal wieder zu wichtig, wie sie es tagein tagaus während des Großteil ihres Lebens hatte tun können? Und... warum wollte Corax ihr Aussehen nun doch ändern? War es ihm zu viel, sie ständig in dieser Gestalt ansehen zu müssen? Vorhin hatte er überhaupt keine Berührungsängste gekannt und dennoch... sie könnte es verstehen...
Ehe sie sich jedoch in ihre aufsteigende Unsicherheit verstricken konnte, meldete sich auch der Kapitän wieder zu Wort... und schaffte es, wie eh und je, sich damit einen finsteren Blick ihrerseits einzufangen. Sogar in gewohnter Manier verschränkte sie die Arme vor der Brust. "Azura ist übrigens anwesend und hört gut.", sprach sie eine Spur schnippisch und betont in der dritten Person von sich, um noch mehr zu unterstreichen, dass er durchaus direkt hätte mit ihr reden können.
Auch wenn das nicht hieß, dass sie tatsächlich das Bedürfnis verspürte, etwas Essbares zu sich zu nehmen. Denn der Appetit war ihr weiterhin und zwar wirklich gründlich vergangen.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 25. März 2023, 12:53

Es war gewiss nicht gesund, sich soweit abzukapseln, dass man sich und seine Träume aufgab. Dass man sich in ein missbräuchliches Leben flüchtete, das einem keine Luft mehr zum Atmen ließ. Aber es war etwas Vertrautes, das Madiha in einer immens wichtigen Zeit gelernt hatte. Ihr Aufwachsen war bestimmt von seelischer Grausamkeit und körperlicher Schändung und hätte jetzt auch nur einer mit dem Finger geschnippt, sie hätte wohl nicht mal gezuckt, um zu folgen. Es war über die Jahre eine hässliche Normalität geworden, die ihr jetzt aber ein sicheres Netz bot. Dienen war etwas, was von einem selbst ablenkte. Die Schuld, die sie verspürte war Azura’s gewiss ebenbürtig und doch noch mal ganz anders. Madiha hatte in ihrem jungen Leben noch nichts wirklich beherrscht. Sie konnte weder lesen noch schreiben oder etwas erschaffen. Sie wusste nicht mal was ein Händler so tat und verglich es in ihrer naiven Sichtweise mit den Markständen in Sarma, sodass Caleb ins Lachen geriet. Madiha hatte nie eine echte Aufgabe . In Sarma sollte sie beweisen, dass sie an der Feuermagie-Akademie richtig war, doch bevor man ihr etwas bescheinigen konnte, wurde Sarma von den Dunklen angegriffen. Dann ließ Caleb sie bei Dunia, aber auch dort war Madiha nicht fähig zu helfen. Sie wollte etwas anderes. Sie wollte weg und sie wollte sich ein Leben aufbauen. Und dann heuerte sie auf einem Schiff an und erfuhr endlich so etwas wie Wertschätzung, da man sie mit einband. Um dann erneut in der grausamen Realität aufzuwachen und zu erkennen: Jeder nimmt sich, was er will. Sie hatte Jakub verziehen, denn die Geschichte ging viel länger und inzwischen hatten sich gewisse Dinge gelichtet. Auch wenn sie nicht wusste, was den Mann tatsächlich dazu bewog so zu handeln. Aber im Glauben, Caleb, Dunia, Ilmy und Sarma hinter sich gelassen zu haben, war Jakub derjenige, der sich ihr ein Wenig ins Herz gestohlen hatte. Sie hatte ihn gemocht, trotz seiner ruppigen Art. Bis sie Corax kennenlernte. Und seit dem war nichts mehr, wie sie es kannte. Sie wurde mit so vielen Dingen konfrontiert, dass sie kaum noch Luftholen konnte. Und das meiste verstand sie nicht mal und war zu unerfahren zu erkennen, was das alles bedeuten konnte. Bis sie verstand, was ihre Gefühle versuchten ihr zu sagen… nur um der Chance beraubt zu werden, es auch das erste Mal in ihrem Leben auszusprechen. Und dann… als sie endlich glaubte eine Aufgabe zu haben, machte sie alles schlimmer und nahm sogar Leben! Madiha wollte nicht töten. Sie wollte nur beschützen. Aber auch dazu war sie nicht in der Lage gewesen. So schloss sich der Kreis ihres kümmerlichen Daseins und brachte sie dorthin zurück, woher sie kam. Das Mädchen konnte Corax nicht ansehen. Er war nie wirklich ihr Sklave gewesen und sie nie wirklich seine Herrin. Nicht in ihrem Herzen. Sie tat es, übernahm die Rolle, ihm zuliebe. Aber sie füllte sie nicht mal ansatzweise aus. Erst als Corax sich zu ihr senkte und seine Finger unter ihr Kinn schob, öffnete sie den Blick für ihn wieder. Sie spürte seine Hand auf ihrer Haut und runzelte unsicher die Stirn. Als sich ein bunter Glanz durch sein Rot zog, öffnete sich ihre Mimik überrascht. Sie wollte fragen, was das war, doch Corax lenkte sie mit seinen eigenen Worten davon ab. Er wollte ihr Leid. Madiha sah ihm fragend in die Augen. „Da ist kein Le-…“-, wollte sie einwenden, das alles gut wäre, doch er wusste es besser. Und sie eigentlich auch.
Sie senkte den Blick wieder und mit einem Mal zuckte das Seelenhaus vor ihren Augen auf. Madiha’s Blick wurde glasig, während sie ihn nach innen richtete. Überall schwelte der Rauch verbrannter Erde. Es stand zwar noch, aber es war nicht mehr heil und vollständig. Teile fehlten und schienen unwiederbringlich zerstört zu sein. Schwere Wolken ließen vereinzelte Regentropfen fallen. Gerade so, dass sich nichts mehr entzünden würde. Plötzlich brach das trübe Grau ein wenig auf und ein Regenbogen zeigte sich. Madiha war ganz gebannt. Es dauerte nur Sekunden und der Sog an ihrem Herzen, ließ sie keuchen. Sie sah den kleinen Schatten und dann war es vorbei. Ihr Blick tauchte aus ihrem Innern wieder auf und sie starrte Corax ergriffen an. „Wie hast du das gemacht?“, keuchte sie ihm entgegen und runzelte die Stirn. Sie sah auf die Seelenperle und wie sie sich veränderte. Wie das Weiß zu Schwarz und schließlich zu einer Feder wurde. Sie verstand das nicht und folgte seinen Bewegungen. Als er keuchte, ob des Schmerzes des Federkiels in seiner Haut, zuckte ihre Hand nach vorn, um ihn zu berühren. Aber sie hielt inne, da er aufstand und den Blick auf die zwei kleinen Federn verdeckte. "Geht es dir schon besser, Herrin?" Madiha legte sich eine Hand auf das Herz und fühlte die kleine Veränderung in sich.

Es war, als hätte der kleine Schatten mit seinem Regenbogen die viel zu engen Fäden ihres Knotens gelöst. Als hätte er sie aufgedröselt und Platz zum Atmen geschaffen. Sie fühlte sich leichter, etwas befreiter und hatte den Eindruck, dass sie so wesentlich besser ertragen könnte, was sie getan hatte. Die Schuld war nicht weg. Die Last war nicht weg, aber das Gefühl, machtlos dagegen zu sein, das löste sich ein wenig auf. „Ja..“, antwortete sie ihm daher und sah immer noch verwundert aus. Corax aber genügte das und er kümmerte sich erneut um Azura. Während Madiha noch ergründen wollte, wo genau diese Veränderung begründet lag und zusah, dass die kleine Flamme wieder etwas mehr Platz zum Flackern hatte, stellte Corax fest, dass er dem Erscheinungsbild von Azura nicht so einfach bekommen konnte. Madiha sah zu Caleb, der sich neben sie gestellt und in den Arm genommen hatte. Seinen skeptischen Blick begegnete sie mit einem kurzen Lächeln. Madiha schmiegte sich ein wenig in seinen Arm und fühlte seine Wärme, die ihr stets Kraft zu spenden wusste. "Es ... funktioniert nicht. Ich weiß nicht, warum. Es bleibt einfach nicht haften."
"Du hältst Kjetell'os Illusion bereits aufrecht…"
, rissen sie beide Männer aus ihren Gedanken. Erst jetzt sah Madiha zu Corax und Azura und runzelte die Stirn. Auch sie wusste nicht, wieso das nicht klappte. Dafür kannte sie sich auch nicht aus. Doch Corax demonstrierte, dass er durchaus in der Lage war mehrere Illusionen zu erschaffen in dem er sich in… „Dunia..“, verwandelte. Madiha starrte die schöne Frau an und spürte dann Caleb’s Griff. Unsicher sah sie zum Dieb hoch und erkannte seinem starren Blick. Madiha schluckte. Natürlich schockierte ihn das. Natürlich machte diese unvermittelte Konfrontation etwas mit seinem Herzen. Er hatte sie verlassen, ohne je die Chance erhalten oder genutzt zu haben… Madiha wusste das. Corax aber nicht. So spürte sie, wie Caleb seine Finger in ihre verankerte und sie erwiderte den Griff. Auch wenn sie Corax stumm und fast schon flehend ansah, bis Caleb die Auflösung verlangte. Ihr Herz klopfte. Dunia zu sehen tat weh. In vielerlei Hinsicht. Und Zweifel waren lästige kleine Besucher, die meistens nicht so schnell wieder gehen wollten. Das Wüstenkind würde wohl damit leben müssen, dass es immer diese eine Frau gab, die sie nie ganz würde ersetzen können. Dass sie auch hier dem Kreislauf ihres Daseins folgte und in zweiter Reihe stand. Aber Madiha war trotzdem dankbar. Sie erwartete gar nicht mehr, denn das was Caleb ihr bisher schon gegeben hatte, hätte sie sich nicht mal ansatzweise vorgestellt. Diese Wärme in ihrem Herzen kannte sie bis dahin nicht und sie war ein Geschenk, das sie hüten wollte. Auch wenn es bedeutete, Platz zu lassen für die unerreichte Heilerin. Während Madiha noch diese erneute Kerbe in ihrer Seele zu kaschieren versuchte, waren Corax, Caleb und Azura bereits weiter. Madiha horchte auf, als Caleb mit ihr reden wollte und nickte bestätigend. Sie wollte das auch. Es gab so vieles zu besprechen, dass sie nicht mal wusste, wo sie anfangen sollte. Während Azura noch finstere Blicke verteilte, sah Madiha aber über ihre Schulter zum Balkon. Sie spürte das feine Bedürfnis, sich woanders aufzuhalten. Sie brauchte Abstand und Ruhe, um sich über alles klarzuwerden. Corax‘ Magie hatte ihr da ein wenig die Tür geöffnet und vielleicht würde ihr das helfen, sich aus ihrem verbrannten Schneckenhaus zurück zu kämpfen. Wer weiß. So griff Madiha erneut Calebs Hand, sollte er ihre bereits wieder losgelassen haben und zog ihn mit sich. Sie wollte hinaus, hinaus an die frische Luft und sie wollte ungestört sein. An der Tür, die freie Hand am Knauf, hielt sie noch mal inne und wandte sich an Corax und Azura. Ihr Blick ruhte kurz auf beiden, bevor er auf Corax lag. „Danke, für deine Hilfe… ich…“, sie sah zu Azura. „Ich bin froh, dass es so ausgegangen ist…“, murmelte sie nur, wenn auch ehrlich und es war klar, dass sie das Überleben aller meinte aber eben auch die Wiedervereinigung von Azura und Corax insbesondere. Madiha kannte zumindest dieses Leid von Corax und es hatte ihr unendlich Leid getan als die Andunierin nicht mehr erwachte. Das Mädchen spürte noch immer die selbst übertragene Verantwortung an dem Dilemma, aber Corax‘ Wirken hatte ihr Herz ein Wenig leichter werden lassen. Daraufhin hob sie den Blick und hielt ihn einen Moment in dem Seegrün des Diebes. Sie hob für einen Augenblick die Mundwinkel an, während sie seine Hand drückte. „Gibt es einen Platz an der Luft für uns, wo wir ungestört reden können?“, wollte sie von ihm wissen. Das Gespräch würde schwer werden, denn sie rechnete damit, dass er ihr Vorwürfe machte, dass sie ihn in seine neue Rolle gedrängt hatte. Doch sie wollte sich dem stellen. Musste es, damit es wieder gut werden konnte.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Erzähler » Sonntag 26. März 2023, 17:20

Im Grunde war es nichts Neues für Azura, dass Männer um sie buhlten und all deren Aufmerksamkeit auf ihr lag. Ein bewusst gesetzter Augenaufschlag, eine aufblitzende nackte Schulter ... sie kannte die Tricks, um sich von all den Galanen zu Hofe holen zu können, was sie wollte und das ohne ihren Körper als Pfand darzubieten. Doch Corax war es gewesen, der eben jenen Körper und vor allem ihr Herz erobert hatte. Seitdem fühlte es sich anders an. Seitdem waren die Männer ausgeblieben und nun, da Kjetell'o ihr offenbar Avancen machte, plagte die Andunierin das eigene Gewissen. Erst als sie mitansehen musste, dass der Waldelf ihrem Raben die Wange streichelte und ihr bewusst wurde, wie oft schon seine Hand im Nacken ihres Herzbuben gelegen hatte, überkam sie ein neues Gefühl. Es war nicht minder bedrückend, denn nun glaubte sie nicht mehr daran, Corax untreu zu sein. Wie sollte sie auch, wenn man sie ob ihres Äußeren nicht mehr begehrte. Warum ausgerechnet er kein Wort darüber verlauten ließ, ja, sie sogar noch schön nannte und küsste, verstand sie dann allerdings nicht.
Indessen erfuhr sie, dass Kjetell'o es anscheinend mehr auf ihre Perlen, denn auf sie abgesehen hatte. Er wollte, dass man das Beutelchen beim nächsten Treffen mitbrachte, denn er hatte etwas vor. Sogleich fragte sie Corax danach, doch er konnte nur mit den Schultern zucken.
"Ich weiß es nicht", entgegnete er. "Er hat mich einiges zu all dem gefragt ... was vorher geschehen ist. Was mit dir geschehen ist und warum ich bin, wer ich bin. Er ist interessiert unser Leid zu mildern, aber ich kann dir den Grund nicht sagen."
Und wo er das Leid an sich gerade ansprach, kam er natürlich auch auf Madiha zu. Er sah ihr Leid. Er sah, dass sie nicht mehr all den Mut ausstrahlte, den er an ihr so schätzte. Er sah ... sich selbst. Und dann bot er auch ihr an, das Leid zu nehmen. Es war viel, vor allem vielschichtig. Corax erhielt nur einen kleinen Einblick darauf, konnte nicht alles stibitzen, aber was er zu fassen bekam, riss er mit sich und formte es zu einer neuen, kleinen Perle.
"Wie hast du das gemacht?", keuchte Madiha auf, die die kleine Perle musterte. Sie verlor ihre Farbe, wurde schwarz. Corax schloss seine Finger darum. "Ich bin Leid", lächelte er. "Es gehört zu mir, auch wenn es nicht meins ist. Es hat mir zu gehorchen und jetzt ... ist es meins." Er öffnete die Hand und erneut hatte sich eine Perle in eine schwarze Rabenfeder gewandelt. Mit dem Kiel voran trieb er sie sich im Nacken unter die Haut, dass sie dort hing wie am Leib eines Vogels. Eine zweite, kleinere Feder wartete bereits, aber rasch verbarg er beide unter seinem Haar, dass sie nicht mehr auffielen.
Eine tiefere Erklärung erhielt das Wüstenmädchen nicht. Selbst wenn Corax noch etwas hätte sagen wollen, wurde er unterbrochen. "Meine Tasche!", rief Azura entsetzt auf und ihre ohnehin schon fahle Gesichtfarbe wurde noch bleicher. Sie sah aus wie ein Zombie, der sich langsam von seinem Körper lösen wollte, um zum Geist zu werden. "Die Tasche mit den Schriftrollen! Wo ist sie? Ist sie zerstört oder haben wir sie gerettet?!"
"Beruhige dich, Azura." Sie mochte so ihre Probleme mit van Tjenn haben, aber er hatte dafür bereits erkannt, dass es nicht nur bei Madiha Erfolg einbrachte, wenn er die jeweilige Muttersprache einsetzte. Er beließ es jetzt allerdings dabei, nur Azuras Namen auf Garmisch zu nennen, denn die übrigen Anwesenden sollten ihn weiterhin verstehen. Beschwichtigend hob er eine Hand an. Die andere lag um Madiha. Er würde sie nicht mehr loslassen. "Die Tasche ist sicher in eurem Schlafzimmer verwahrt. Ich hab sie in die Truhe an deinem Bettende gelegt und da ist sie immer noch."
"Was für Schriftrollen?", erkundigte sich Corax und seine Augen huschten sofort zu Azura. Er betrachtete sie eindringlich, dann erwartungsvoll. Und als sie nicht sofort etwas erwiderte, seufzte er leise. Sie hatte ihren Fokus nun ohnehin verlagert, denn ihre Hand glitt an den Federn in seinem Nacken entlang. Sie waren weich und kitzelten. Außerdem schienen sie wie mit seinem Körper verwachsen. Es schmerzte gewiss, würde man sie nun versuchen, herauszureißen. Ihre Berührung aber ließ Corax lächeln, während sich eine Gänsehaut über seinen gesamten Körper ausbreitete.
Madiha, die vielleicht als einzige nun seinen Blick einfangen könnte, würde in diesem Fall erneut ein Funkeln seiner Augen in allen Farben der Welt bemerken. Es währte nur kurz, aber es erinnerte sie an den Regenbogen aus ihrem Traumbild, von dem der schwarze Schatten niedergesaut war und einen Teil ihres Leids geholt hatte. Es hinterließ eine Spur Glückseligkeit, aber auch die Sehnsucht nach mehr.
"Wieso hast du da Federn?", lenkte Azura erneut die Aufmerksamkeit auf sich. Ihr Rabe genoss es, dass sie daran herum zupfte. "Ich bin der Leidträger", murmelte er nur.
"Dummer, kleiner Elf", brummte Caleb, der offenbar überhaupt nichts mit der Situation anfangen konnte. Aber er drängte Corax auch nicht zu Antworten. Noch nicht. Er schien ohnehin Ruhe zu benötigen, da sein Versuch misslang, Azura eine andere Gestalt zu schenken. Sie alle hatten Zeit und zunächst einmal sollten sie auf ihre Weise ihr Wiedersehen feiern ... und reden. Er zumindest wollte das, weshalb er vorschlug, sich später wieder zu treffen. Zunächst aber wurde er selbst mit etwas offenbar Unangenehmen konfrontiert, als der Rabe demonstrierte, dass er noch genug Kraft besaß, um mehr als eine Illusion zu schaffen. Es wäre sicherlich auch kein Problem gewesen, hätte er sich in ein Kaninchen oder irgendeinen nichts sagenden Dritten verwandelt. Corax aber nahm Dunias Gestalt an ... und Caleb erstarrte.
Madiha konnte lediglich spüren, dass er bei ihr fester zugriff und sich seine Miene verfinsterte. Sofort forderte er den Raben auf, die Illusion fallenzulassen und jener folgte gehorsam. Erst dann entspannte sich der Dieb etwas. Trotzdem war es nicht nur seine Wüstenblume, die jetzt nach frischer Luft verlangte. Er ließ sich nur allzu bereitwillig von ihr mitnehmen, während sie sich mit einem leisen Wort des Dankes von Azura und Corax verabschiedete. Man würde später wieder aufeinandertreffen. Für's erste erhielten beide Paare etwas Zeit für sich.

Für Madiha geht es weiter bei Eine salzige Brise der Zweisamkeit

Endlich hatte Azura ihren Raben für sich allein und dennoch gab es da so vieles zu besprechen und so viele Gefühle, die sie umfingen wie ihre eigenen Hände in einer unglückseligen Umarmung. Er konnte ihre Gestalt nicht verändern, warum auch immer er es plötzlich tun wollte. Vielleicht hatte er sich vor den anderen nur zusammengerissen und vorgegeben, sie trotz ihres Äußeren noch zu begehren. Aber die Fassade schien zu bröckeln und er sich immer mehr zu wünschen, sie sähe wieder wie die Alte aus. Warum es nicht funktionierte, ihr wenigstens mit einer Illusion ihre Schönheit zurück zu schenken, konnte er sich nicht begreiflich machen und auch Azura wusste es nicht.
Sie hatte jedoch eine Vermutung. "Vielleicht hat Ventha damit etwas zu tun? Um mich nicht vergessen zu lassen, dass ich ... naha ... noch etwas für sie erledigen soll..."
Ventha hatte tatsächlich noch eine Aufgabe für sie und diese stand noch offen. Im Grunde waren es zwei. Denn wenn Azura länger über ihre Zeit im Palast der Stille und die Worte ihrer Göttin nachdachte, so schuldete sie für ihre Wiederkehr dem Tod auch noch eine Seele, die ihrer statt zu ihm fahren würde. Ob sie es mit dem armen Tropf beglichen hätte, dessen Schädel in magisch erhitztem Blut geplatzt war, konnte sie nur erahnen. Ihre Göttin aber suchte von ihr noch immer die Schriftrolle der Wassermagie und Corax wusste angeblich, wo diese steckte. Der Rabe aber hatte keine Ahnung, was man Azura aufgetragten hatte. Er sinnierte über den Rat des Kapitäns nach und ergriff dann ihre Hand.
"Hast du heute schon etwas gegessen?", fragte er. "Oder in den letzten vier Tagen? Ich ... Kjetell'o sagte, dass ich vier Tage bewusstlos gewesen bin. Wie lange war es bei dir?" Er drückte ihre Hand und lehnte sich leicht gegen sich, bis sein Kinn auf ihrer Schulter zu liegen kam. Schmerz pochte dort als leiser Nachhall, aber es war erträglich. "Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren. Ich hab dich in meinen Träumen gesehen, aber sie waren düster und so wirr ... bis auf einer und der ... ich ..." Er keuchte, während es in seinem Nacken raschelte, als flatterte dort ein Vögelchen. "Dass du hier bist, obwohl ich deinen Körper ... du weißt es nicht, oder? Verzeih mir meine Tat, ich ... ich weiß selbst nicht ... ich würde nie ... und doch hab ich. Kjetell'o sagt, ich soll mir verzeihen, aber wie könnte ich, solange du mir nicht verzeihst?" Er löste sich von ihrer Schulter, machte einen halben Schritt zurück, ließ aber ihre Hand nicht los. Dann sank er erst auf ein Knie und schon nahm er wieder diese demütigende Haltung eines Sklaven ein, der um eine milde Strafe flehte. Seine Stirn berührte den Boden. "Ich hab dich nicht schänden wollen, Azura. Ich liebe dich. Verzeih mir das, bitte."
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Azura » Sonntag 26. März 2023, 20:46

Früher war es nichts weiter als ihr Zeitvertreib gewesen, ihre Galane um den Finger zu wickeln und ihnen Träume zu bescheren, deren Inhalt sie sich erst seit den heißen Quellen genauer ausmalen konnte. Seit dieser Dunkelelf allerdings in ihr Leben getreten war und sich Stück für Stück in ihr Herz geschlichen hatte, war alles viel... gewichtiger geworden, regte sich ihr Gewissen und konnte sie nicht zu jener Leichtigkeit zurück finden, die sie früher ausgezeichnet hatte.
Doch anscheinend wurde sie dadurch auch anfälliger dafür, die Seite zu wechseln, nicht in der Rolle der Verführerin zu sein, sondern im Gegenteil verführt zu werden. Um nun vor Augen geführt zu bekommen, dass sie es wohl grundlegend missverstanden, sich in einem Gedanken verfangen hatte, der ihr so viele weitere, negative Gefühle beschert hatte.
Denn, sie hatte vollkommen vergessen... verdrängt, wie sie aussah und welchen Eindruck sie hinterlassen musste. Und so jemand wie sie meinte ernsthaft, noch für irgendwen attraktiv sein zu können? Nein, ihre Dummheit schien keine Grenzen mehr zu kennen! Das schmerzte und trotzdem konnte es ihr schlechtes Gewissen Corax gegenüber nicht wirklich beruhigen, da ihre Besinnung auf den einen Mann in ihrem Herzen nur minimal von ihr selbst ausging.
Noch immer fühlte sie sich wie eine Verräterin und suchte deswegen nach jeder Möglichkeit, um sich davon ablenken zu können. Da kamen ihr die Perlen ganz recht. Bedauerlicherweise wusste er auch nicht mehr darüber, sodass sie es mit einem leichten Nicken gut sein ließ. Wenngleich das nicht bedeutete, dass es in ihrem Kopf nicht noch weiter arbeitete.
Sie fand es seltsam, wie sehr sich Kjetell'o dafür zu interessieren schien, weil es im Prinzip nichts mit seiner Überschätzung ihrer magischen Fähigkeiten zu tun hatte. Und dass er etwas damit versuchen wollte, mit ihrem Opfer, das behagte ihr auch nicht sonderlich. Aber noch waren ihre Überlegungen und ihre Gefühle viel zu durcheinander, als dass sie darüber sprechen wollte... und es auch wirklich in Worte fassen könnte.
Dafür gab es etwas anderes, das ihr in den Sinn kam und durchaus dazu angetan war, dass sie es nicht zurück halten konnte. Ein Gedanke, der ihr Herzklopfen bescherte und die Angst vor der Zerstörung. Tatsächlich drohte sie, kopflos ob dieses Einfalls zu werden, sodass ihr Blick zwischen der Sarmaerin und dem Kapitän unruhig hin und her glitt, während ihre Atmung schneller wurde.
Erst, als ihr Name in Garmisch an ihr Ohr drang, fand sie endlich einen Fokus, auf den sie sich konzentrieren konnte, indem sie zu Van Tjenn hinsah. Es dauerte ein wenig, bis die Erklärung, die daraufhin folgte, auch ihren Geist erreichen und sie wirklich beruhigen konnte. Doch als es soweit war, atmete sie unwillkürlich auf und bemerkte darüber hinaus auch, dass dem Ganzen eine weitere Frage gefolgt war.
Prompt gewannen ihre Wangen einen beinahe schon rosigen Teint zurück und sie warf einen verlegenen Blick zu ihrem Raben hin, um hastig zu Boden zu sehen. "Erzähle ich dir... später...", nuschelte sie und biss sich auf ihre Unterlippe, weil sie so unüberlegt gehandelt hatte. Andererseits... vielleicht war es auch besser so, denn dadurch wusste auch er von der Existenz der Rollen und sie könnte es ihm nicht verheimlichen, weil sie sich schämte, seine geheimsten Gedanken so ungeniert gelesen zu haben. Wobei sie ja noch bei weitem nicht alle Texte, die sie hatte mitnehmen können, begutachtet hatte.
Dafür geriet danach etwas anderes in ihren Blick und beinahe schon liebevoll tastete sie nach dem ungewohnten Federschmuck in seinem Nacken. Dabei ließ sie diese nicht aus den Augen, sodass sie zwar das Erschauern bemerkte und auch sein Seufzen wahrnahm, jedoch das Schillern seiner Augen nicht erkennen konnte. Stattdessen legte sie leicht den Kopf schief und stellte ihre Frage danach, deren Antwort sie die Stirn leicht runzeln ließ.
Diesmal aber war der Kapitän schneller mit seinem Gebrumme, sodass sie beschloss, ihre eigene Neugier, die langsam wieder erwachen konnte, zu zügeln, bis... bis sie beide womöglich allein wären. Wobei sie vor diesem Moment auch weiterhin irgendwie Angst hatte, weil sie sich nicht sicher war, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte, wenn er sich ihr näherte. Sofern er sich das tatsächlich bei ihr antun wollte...
Noch einmal strich sie sanft über das kleine Gefieder, ehe sie alle feststellen konnten, dass mit ihrem Aussehen eindeutig etwas nicht stimmte. Nur was, das war die Frage...
Während sie gedanklich naturgemäß noch bei diesem Thema war, sorgte Van Tjenn dafür, dass sie sich unvermittelt mit der Situation konfrontiert sah, allein mit Corax zu sein. Wenngleich sie das anfangs noch gar nicht so bewusst wahrnahm, obwohl sie der Sarmaerin zugenickt hatte, ehe diese hinaus geführt worden war. So konnte sie, vorerst noch so wenig befangen wie Momente zuvor, ihre Gedanken aussprechen, denen sie sich bis dahin nicht einmal wirklich bewusst gewesen war.
Wobei sie tatsächlich hauptsächlich an die Sache mit der Rolle der Wassermagie dachte und nicht daran, dass noch eine Seele als Ersatz für ihr Leben sterben sollte. Außerdem... hatte die Göttin nicht selbst erklärt, sie würde nicht wissen, welche das wäre und wann und wo das geschehen würde? Davon, dass sie selbst dafür verantwortlich wäre, abgesehen durch ihre Rückkehr, war nicht die Rede gewesen! Zumindest hatte sie es so verstanden, sodass sie gar keinen Grund im Moment hatte, daran zu denken.
Warme, starke und dennoch so feingliedrige Finger griffen nach ihrer Hand und ließen sie blinzelnd aufsehen. Um sich auf die Unterlippe zu beißen und leicht den Kopf zu schütteln. Während sie ihre Lider senkte, murmelte sie:"Ich habe keinen Hunger..." Was so ganz nicht stimmte, denn in ihrem Magen herrschte eine viel zu große Leere, die eigentlich gefüllt werden sollte. Allein, ihr war gerade definitiv nicht danach.
Dann aber ruckte ihr Kopf wieder hoch und sie sah ihn erschrocken an. "Vier... Tage?! Oh Götter, Corax! Das tut mir so leid, das wollte ich nicht!", nahm sie sofort die Schuld auf sich und legte ihre freie Hand auf seine Wange. "Hast du schon gegessen? Bist du gut versorgt worden? Geht es dir gut? Willst du dich nicht lieber setzen und wirklich etwas mehr ausruhen?", drehte sie den Spieß in ehrlicher Sorge um sein Wohlergehen um. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass sie versuchen würde, ihn wieder aufzupäppeln, obwohl er derzeit nicht so wirkte, als würde er gleich zusammen brechen. Trotzdem, die Sorge war da und sie war größer als um ihr eigenes Wohlergehen.
Da lehnte er sich schon nach vorne und stützte sich auf ihrer Schulter ab, dass sie leicht zusammen zuckte. Nicht so sehr wegen dem Echo des Schmerzes, das durch ihren Körper rieselte, sondern weil sie befürchtete, durch ihre Worte das Unheil herauf beschworen zu haben. Er war mit seinen Worten allerdings schneller und ließ sie innerlich ein wenig aufatmen, ehe sich ihre Wangen ein weiteres Mal färbten.
Auch sie erinnerte sich an einen Traum, diesen einen besonderen, in dem sie versucht hatte, mit ihm zu reden, ihm einiges zu erklären, doch er hatte nicht zugehört... und war viel zu schnell weggewesen. Die Erinnerung an das Gefühl, wie er sich mit Heftigkeit genommen hatte, was sie ihm nur zu gerne schenkte, ließ ihr Herz rascher pochen.
Blinzelnd versuchte sie, diesen Umstand zu verdrängen und sich vielmehr darauf zu konzentrieren, was er ihr zu ihr sagte. Und als er sich dann auch noch vor sie kniete und die Stirn Richtung Boden neigte... da sank auch sie vor ihm auf die Knie. "Corax...", sprach sie leise und sanft.
Es stimmte, irgendetwas war geschehen, das sie nicht wusste, vielleicht auch nicht wissen wollte. Aber dafür war ihr etwas ganz anderes klar und sie spürte, dass genau das es wäre, das sie ihm jetzt sagen müsste. "Corax, sieh mich an.", fuhr sie fort und versuchte, nach seinem Kinn zu greifen, um ihn mit sanfter Führung tatsächlich dazu zu bringen.
Sobald sie konnte, wollte sie ihm die Hände auf die Wangen legen und seine Haut mit ihren Daumen streicheln, während sie seinen Blick suchte. "Du hast mich nicht geschändet, weder in den heißen Quellen, noch in deinem Traum. Der Traum, in dem ich dir gezeigt habe, wie furchtbar schlecht ich nähen kann." Sie löste eine Hand und versuchte, sie ihm auf die Stelle zu legen, an der sie sich um seine Wunde bemüht hatte. Dabei lächelte sie leicht. "Das eine war ein Traum... und auch nicht. Ich glaube, ich bin Ventha ein wenig auf die Nerven gegangen, aber sie hat mir geholfen, zu dir zu kommen. Ich wollte mit dir reden, dir sagen, dass ich zu dir zurückkommen will. Und was wir da getan haben..."
Ihre Wangen begannen regelrecht zu brennen, derart stark fühlte sich die Röte darin an und sie biss sich auf die Unterlippe, um das mädchenhafte Kichern zu unterdrücken, das ihr entkommen wollte. Sie deutete ein Kopfschütteln an und grinste schief. "Ich kann nicht behaupten, dass das ein... Schänden gewesen war.", murmelte sie verlegen und irgendwie mit einem leisen, sehnsuchtsvollen Seufzen.
Es hatte sich damals so gut angefühlt, so richtig und intensiv und... und so, wie sie es gerne wieder erleben würde. Auch wenn sie es nicht könnte, weil es mit ihrem untoten Dasein einfach nicht vereinbar wäre. Außerdem wollte sie ihren nackten Anblick ihrem Raben nicht antun, definitiv nicht! Es reichte, was er sah, den Rest... sollte er in der besseren Erinnerung behalten.
Ein weiteres Seufzen entkam ihr, während sie sich vorbeugte und ihm einen, eigentlich unpassend keuschen, Kuss auf die Wange hauchte. Als sie ihm wieder in die Augen sah, hatte sie sich soweit im Griff, dass sie liebevoll lächeln und an anderes als diese Vereinigung denken konnte. "Es gibt nichts zu verzeihen, Corax. Ich weiß nichts, was du falsch gemacht hast bei mir.", fuhr sie fort.
Da blitzte ein Einfall in ihrem Denken auf und ihre Augen bekamen einen Moment lang einen herausfordernden Glanz. "Also... abgesehen von deiner unausstehlichen Art, mich herum zu kommandieren und wie einen Sack zu tragen.", stichelte sie daraufhin und hoffte, auf diese Weise den richtigen Zugang zu ihm gefunden zu haben.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Erzähler » Dienstag 28. März 2023, 00:09

Selbst ihr flüchtiger Blick zu Corax hinüber, kaum dass Caleb ausgesprochen hatte, wo sich ihre Tasche mit Schriftrollen befand, machte das Interesse des Raben deutlich. Seine Augen ruhten aufmerksam auf ihr, fast fragend. Aber sie besaßen diese Eindringlichkeit, ganz so, als sei ihm selbst etwas an den Schriftstücken gelegen. Natürlich, es waren seine Gedanken, seine Emotionen. Wusste er etwa bereits davon?
Azura verschob eine Aussprache auf später und verfrachtete das Thema damit in den Hintergrund. In jenen zogen sich nun auch der Kapitän und Madiha zurück. Sie verließen den Raum, damit die Paare eine Zeit lang unter sich sein konnten. Es gab vieles zu besprechen, nicht nur zwischen Caleb und seiner Wüstenblume. Vor allem aber erfuhr Azura, dass ihr Rabe vier Tage lang bewusstlos gewesen war. Ob sie selbst auch so lange, wenn nicht gar noch länger in Schlaf verbracht hatte, ließ sich daraus nicht erschließen. Die Dauer aber bereitete ihr Sorgen um ihn und obgleich er sie nach ihrem Hungergefühl gefragt hatte, war es nun die Andunierin, die wie eine Glucke um seine Bedürfnisse wackelte und jedes einzelne genau im Auge behalten wollte. Sie löcherte ihn mit Fragen. Corax hielt sie nicht auf. Er beobachtete sie, lauschte aufmerksam und wartete, bis sie ihm eine Pause zum Antworten schenkte.
"Es geht mir gut, Azura." Er lehnte sein Gesicht in ihre Hand, die sie ihm an die Wange geschoben hatte. Er genoss diesen Moment der Nähe sichtlich, ganz gleich, wie fahl Azura war. Er konnte es unmöglich spielen. Er war überglücklich, dass sie ihn berührte. "Das ist doch nun auch schon drei Tage her. Kjetell'o hat mich gut versorgt, während Caleb nach dir und der Herrin gesehen hat. Und Jakub springt ständig zwischen allen umher. Er ist sehr bemüht ..." Corax brach ab. Er blinzelte kurz und sein Blick flog an Azura vorbei in die Leere. Er flackerte, brach aber nicht. Erinnerungen wogen dennoch schwer. Letztendlich gewann jedoch ein Lächeln und er hatte erneut die Kraft zu antworten. "Er ist bemüht, Widergutmachung zu leisten. Ich habe auch ihm angeboten, das Leid zu nehmen, aber er will sich diese Absolution verdienen, sagt er." Corax' Lächeln nahm noch mehr Wärme an. "Es geht mir gut und ich wette, ich habe mehr im Magen als du. Und einiges gelernt." Vier Tage Bewusstlosigkeit, aber er war seit dreien wieder wohlauf. Azura und Madiha mussten also mindestens eine Woche außer Gefecht gewesen sein. Vielleicht erinnerte die Andunierin sich sogar flüchtig an Schemen, die zu ihr sprachen, ohne dass sie etwas verstanden hätte. An Flüssigkeit, die man ihr einflößte oder einen kühlen Lappen, der sie wusch. Sie musste sicher auch feststellen, dass es selbst ihr verhältnismäßig gut ging. Nicht einmal die Schulter schmerzte noch so arg, als Corax sein Kinn darauf absetzte. Er suchte so sehr ihre Nähe ... und ihr Verzeihen. Es lag ihm so viel daran, es lastete ihm so sehr auf der Seele, dass er seine Schandtat sogleich bekannt geben und um Verzeihung bitten musste. Wenig später begab er sich erneut in diese unterwürfigste aller Haltungen, die man einem Lebewesen zugestehen konnte. Er beherrschte sie in Perfektion und konnte sie selbst mit nur einem Arm ausführen, ohne dass man jenen vermisste. Es war beängstigend.
Auch bei Azura schnürte der Anblick das Herz zusammen, vor allem, weil sie sich nicht erklären konnte, wie und wann er sie geschändet haben mochte. Inzwischen war zumindest klar, dass er die heißen Quellen nicht meinte. Darüber hinaus hatten sie sich aber nicht mehr vereint, außer in seinen Träumen. Und Corax sprach diesen einen, diesen besonderen Traum auch sogleich an. Azura erinnerte sich gut. Ihr Körper reagierte bereits auf die wenigen Bilder ihres Geistes. Der schwarze Rabenrprinz auf seinem Thron und mit blutendem Herzen. Die silberne Nadel, mit dem sie ihn vernäht und nicht zuletzt ihre körperliche Vereinigung, mit der er sich bedankt hatte. Nichts hatte gegen ihren Willen stattgefunden, im Gegenteil. Corax mochte in Manthalas Welt vielleicht etwas stürmisch vorgegangen sein, aber die Erinnerung daran war gut. Zu gut. Sie weckte Sehnsüchte.
Der Anblick seine Sklavenhaltung, die um milde Strafe bettelte, weckte Unbehagen.
"Corax..." Azura kniete sich zu ihm, ergriff sein Kinn und bat darum, dass er sie ansah. Rubine hoben sich vom kalten Gestein zu ihr empor und sie funkelten sie schön. Sie hatte diesen Anblick viel zu lange nicht erleben dürfen. Sie umrahmte diesen Schatz mit beiden Händen und er senkte nur kurz die Lider bei der erneuten Berührung. Nein, er störte sich kein bisschen an ihrem Zustand. Als sich sein Blick wieder mit dem ihren kreuzte, erlöste sie ihn. Es hatte keine Schändung stattgefunden, niemals. Sie scherzte sogar über ihre Nähkünste, was ihn lächeln ließ. Er lächelte selten, umso wertvoller war der Anblick und er beschenkte sie aktuell reich damit ... nur weil sie da war. Weil sie bei ihm war. Endlich.
"Ich glaube, ich bin Ventha ein wenig auf die Nerven gegangen..."
"Ohja, das glaube ich gern. Das kannst du gut", murmelte er, ohne es böse zu meinen. Er fand schließlich Gefallen daran, wenn sie einander gelegentlich ein wenig ... reizten.
"Aber sie hat mir geholfen, zu dir zu kommen. Ich wollte mit dir reden, dir sagen, dass ich zu dir zurückkommen will. Und was wir da getan haben..." Es war keine Schändung gewesen. Die Röte ihrer Wangen verriet Corax schon, was sie darüber dachte, ehe Azura es aussprach. "Willst du den Traum Wirklichkeit werden lassen?", fragte er, als könnte er ihre Sehnsucht als sanftes Parfum in der Luft wahrnehmen. Doch da herrschte nur ein Geruch von Verwesung vor, wenngleich so seicht, dass man nur eine seltsame mischusartige Süße wahrnahm, wenn man Azuras Haut zu nahe kam. Es hatte sich gebessert, aber es war nicht fort und das ließ sie aufseufzen. Sie könnte es nicht tun, so wie sie jetzt aussah. Sie konnte ihrem Raben diesen Anblick nicht antun ... vielleicht, weil sie fürchtete, dass er sich doch noch abgewidert abwandte. Sie konnte ihn nicht einmal liebevoll und lang küssen. So blieb es bei einem sanften, unschuldigen Schmatzer auf seine Wange. Er nahm ihn dennoch voller Wohlwollen an, schloss die Augen für den Moment, um ihre Lippen auf seiner Haut nur intensiver wahrnehmen zu können.
"Es gibt nichts zu verzeihen, Corax. Ich weiß nichts, was du falsch gemacht hast bei mir."
Er blinzelte Tränen aus den Augenwinkeln, als er ihr erneut einen Blick auf ihre Rubinschätze gewährte. Für den Bruchteil von Sekunden zog sich ein Schleier aus allen Farben des Regenbogens darüber. Er glänzte auf und schwand wieder, als die salzige Feuchtigkeit seiner Tränen über Azuras Finger rann. Sie hielt seine Wangen noch immer. Er weinte, aber er lächelte voller Dankbarkeit und unter seinen Haaren, im Nacken, schillerten Farben. Alle Farben, die Azura kannte, als hütete er verborgen unter dem Nest seines Rabenschopfes Juwelen.
Es wärmte das Herz, regte zu Vertrautheit an und Azura fand diese in einer winzigen Stichelei. Irgendwie passte sie, fühlte sich gut an und war viel zu lange ausgeblieben, weil sie ihren Raben so lange nicht mehr für sich gehabt hatte. "Also .. abgesehen von deiner unausstehlichen Art, mich herum zu kommandieren und wie einen Sack zu tragen."
Sein Lächeln schwand nicht. "Hättest du immer gleich auf mich gehört und getan, was ich sagte, hätte ich dich nicht herumschleppen müssen", konterte er. Es fühlte sich gut an. Es war wie früher. Ihr widerlicher Schuft lebte noch, aber er besaß inzwischen mehr als seine unflätige Art. "Auf Händen werde ich dich tragen", raunte er und legte seine Finger an ihre Hüfte. Die Finger seiner rechten Hand, eine linke gab es nicht mehr. Bestürzt darüber, als hätte er es zeitweise vergessen, wandte Corax den Kopf zu seinem linken Schulterstumpf um. Er schluckte einmal. "Nein, das wird nicht mehr passieren..." Seine Augen kehrten zu Azura zurück. Sie fand darin kein Leid, aber unter seinen Haaren war der schillernde Farbenschatz verschwunden und noch noch Schwärze ruhte dort. Außerdem raschelte sie leise. "Du hast Glück, denn du verlierst deine Rolle als Sackfracht", neckte er weiter. Er ließ sich nicht unterkriegen. Nicht, wenn sie bei ihm war. Corax' Gesicht kam Azuras ganz nahe. "Ich liebe dich."
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Azura » Dienstag 28. März 2023, 22:23

Sie war noch nicht soweit, mit ihrem Raben über die Schriftrollen zu sprechen. Erst recht nicht vor anderen, eben weil diese Beiden genauso mitbekommen hatten, was bei den heißen Quellen geschehen war, wie sie und das musste sie nicht auffrischen. Auf der anderen Seite war sie sich noch nicht sicher, wie sie ihm davon erzählen sollte und konnte, ohne, dass er ihr vorwarf, in seinen intimsten Gedanken geschnüffelt zu haben, womöglich sogar, ihm nicht vertraut zu haben. Ja, sie war neugierig gewesen und ja, sie würde ihm seine Schriftrollen geben! Jedoch schämte sie sich auch ein wenig und wollte diesen Moment zumindest noch etwas hinauszögern.
Somit schob sie es hinaus und widmete sich lieber anderen Themen, vor allem, sobald sie unter sich waren. Als sie zu hören bekam, wie lange er bewusstlos gewesen war, war sofort die Sorge um sein Wohlergehen groß, denn diese Zeitspanne klang nach unendlich viel! Dass sie hingegen noch länger nicht aufgewacht war... das sollte sie erst erfahren.
Zuerst einmal versicherte er ihr, dass es ihm gut ginge. "Wirklich?", fragte sie und seufzte erleichtert auf, während er sich an ihre Hand schmiegte. Ein kleines Lächeln stahl sich dabei in ihren Mundwinkel, wenngleich dies rasch wieder verblasste, als er fortfuhr.
Anfangs nickte sie zwar, fragte sich insgeheim jedoch umso mehr, wie sie ernsthaft hatte glauben können, der andere Elf hätte tatsächlich ein Interesse an ihr haben können. Anscheinend entsprach es einfach seiner Art und sie mit ihrem Aussehen konnte nicht erwarten, auch nur bei irgendjemandem positiv anzukommen, mit Ausnahme von Corax, der sie offenbar mit anderen Augen sah. Noch zumindest... Dennoch... es hinterließ ein bitteres Gefühl in ihrem Inneren, sich dermaßen getäuscht und ihre Wirkung so offensichtlich verloren zu haben. Ganz zu schweigen von ihrem schlechten Gewissen ihrem Raben gegenüber!
Dann lauschte sie seinen Worten und wollte lieber nicht zu genau darüber nachdenken, was der Kapitän unter Versorgung verstanden hatte. Wobei... bei ihrer Erscheinung käme er ihr sicherlich nicht mehr zu nahe, davon konnte sie ausgehen und bei ihm war sie auch einverstanden damit. Und der Glatzkopf... zu dem hatte sie noch nicht wirklich eine Meinung.
Schließlich entlockte er ihr auch noch ein kurzes, schiefes Grinsen und ein Schulterzucken, denn dadurch weckte er erst recht nicht ihren Appetit. Dafür allerdings ihre Neugier. "Gelernt? Was hast du... Moment mal!" Ihre Augen weiteten sich ein wenig und ihr war deutlich anzusehen, wie ein paar Informationen an der richtigen Stelle in ihren Gedanken einrasteten. "Wenn du sagst, du warst vier Tage lang bewusstlos und das ist jetzt drei Tage her... Ich war sieben Tage weg?!", entkam es ihr und sie musste sich an seiner Schulter anhalten, um das Gleichgewicht behalten zu können.
Diese Erkenntnis saß und erschreckte sie zugleich. Sieben Tage... Noch nie hatte sie sich dermaßen magisch verausgabt! Aber... wie kam es dann, dass sie bislang nicht das Gefühl hatte, als müsste sie verdampfen so wie sonst, wenn sie zu viel mit dem Wasser gespielt hatte? Nicht einmal einen Nachhall nahm sie so recht wahr, als sie in sich hinein horchte.
Und, wenn es so lange gedauert hatte... wer hatte sich um ihre körperliche Bedürfnisse gekümmert? Etwa... Van Tjenn?! Bloß nicht!
Ihre Wangen röteten sich und sie fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, danach über ihre Haare und schüttelte schließlich seufzend den Kopf. "Bei Ventha...", keuchte sie noch etwas ungläubig.
Wenig später befanden sich beide am Boden und sie versuchte, ihm diese Last seinerseits zu nehmen, ihr ein Leid angetan zu haben, denn sie empfand nichts dergleichen. Doch im Gegensatz zu ihm konnte sie dabei nur Worte und Berührungen einsetzen und keine Magie. Trotzdem war es ihr wichtig, ihm zu verdeutlichen, dass er sie nicht geschändet hatte. Wenn sie von seinem Treiben an ihrer seelenlosen Leiche gewusst hätte... hätte es womöglich anders ausgesehen.
So hingegen konnte sie lediglich an den Traum denken und an ihrer dortigen Vereinigung, die ihr Herz schneller klopfen und ihren Schoß beinahe wieder lebendig werden ließ, während ihre Wangen sich röteten. Als sie weiter sprach, gab er ihr auch eine Bestätigung, zuerst eine schöne in Form eines Lächelns, das ihr warm ums Herz werden ließ.
Dann allerdings wurde er frech, ein Hauch von dem, was sie so lange hatte ertragen müssen... und was ihr irgendwie auch fehlte. Ihre Stirn runzelte sich missbilligend und sie schürzte einen Moment lang die Lippen. "Als ob ich dir jemals auf die Nerven gegangen wäre! Tz! Du hast mich noch nicht in der Perfektion erlebt, die ich errungen habe!", beschwerte sie sich, ganz so, als wäre diese Eigenschaft eine Zierde.
Doch sie fuhr fort und lenkte selbst das Gespräch in jene Gefilde zurück, nach denen sie sich sehnte, sich mit ihm sehnte... und ein bisschen vielleicht mit dem Waldelfen, um erneut zu erröten. Sein Vorschlag indes entlockte ihr ein gehauchtes "Was?!", ehe sie hastig den Kopf schüttelte und den Blick wieder senkte.
"N... nein... li... lieber nicht...", stammelte sie und musste mehrmals schlucken, um die aufsteigenden Tränen und die bittere Galle in ihrer Kehle hinunter zu würgen. "Ich... ich kann... nicht...", murmelte sie mit einem leisen Schluchzen in der Stimme und schloss kurz die Augen, um durchzuatmen. Nein, es ging jetzt nicht um sie, sondern um ihr Gegenüber und darum, ihm ein Leid zu nehmen.
Also riss sie sich zusammen, hob ihren Blick und vollendete, was sie begonnen hatte. Die Reaktion war... verblüffend. Zuerst erkannte sie die Rührung in Form von Tränen, die sie beinahe schon erschreckten, denn das hatte sie naturgemäß nicht erreichen wollen. Jedoch begannen daraufhin seine Augen zu leuchten und auch von seinem Nacken aus gingen alle möglichen Farben! Fasziniert betrachtete sie das, stellte mehrere verschiedene Farbtöne fest und konnte es sich dennoch nicht erklären, woher das auf einmal kam.
Dafür juckte es in ihren Fingern und ihre Hand löste sich von seiner Wange, um zu seinem Nacken zu wandern und dort über das von seinem Haar verborgene Gefieder zu streichen. "Was ist das...?", wisperte sie beinahe lautlos und blinzelte, als hätte sie das Gefühl, einer optischen Täuschung zu erliegen.
Zugleich fühlte sie sich wohl bei diesem Anblick und es gab ihr eine Idee zu einer kleinen Stichelei ein. Bei seiner Erwiderung schnaubte sie leise. "Wie bitte?", empörte sie sich. "Wieso sollte ich auf dich hören? Du hast meine Wünsche und Bedürfnisse doch mit Genuss ignoriert und mich mit Vergnügen so unverschämt behandelt!", beschwerte sie sich mit einem neckenden Unterton und einem herausfordernden Funkeln in den Augen.
Dann musste sie unwillkürlich kichern, als er ihr etwas zuraunte und sie enger an sich zog. Solange, bis der Moment schwand, weil er sich selbst an seinen neuen Zustand erinnerte. Sie folgte seinem Blick mit dem ihren und seufzte leise, ihre Mimik bekam einen traurigen Ausdruck. Trotzdem bemühte er sich um Haltung, wie er ihr mit seiner nächsten Bemerkung zu zeigen versuchte.
Sie wollte es ihm gleich tun, wenngleich ihre Replik den leichten Ton verloren hatte, als sie ihn wieder ansah und meinte:"Weil du glaubst, dass ich dir freiwillig überall hin nachlaufe? Träum weiter!"
Danach kam er ihr ganz nahe und ein weiteres Mal sprach er jene besonderen drei Worte, die beim ersten Mal eine wahre Katastrophe ausgelöst hatten. Dieses Mal passierte ihm nichts, während sie ihm in die Augen sah und einen Atemzug lang zögerte, wie sie darauf reagieren sollte.
Doch sie beschloss, dass es falsch wäre, diese Erklärung nicht zu erwidern. "Ich dich auch...", hauchte sie und meinte das in dieser Situation auch völlig ernst. Wenngleich sie gedanklich für sich einschränkte:'Glaube ich...'
Ihre Hand wanderte von seinem Nacken zu seiner Schulter, wagte sich allerdings nicht bis zu seinem Stumpf vor. Dafür sah sie hin und seufzte leise. "Es tut mir so leid. Ich hätte das gerne verhindert...", murmelte sie, da sie sich einen Gutteil der Schuld dafür gab. Denn sie war nicht schnell genug zurück gekommen und hatte ihre Botschaften nicht gut genug übermittelt, um ihn vor dieser Selbstverstümmelung zu bewahren.
Ihre Augen suchten wieder seinen Blick. "Warum, Corax...? Warum hast du dir das angetan?", flüsterte sie, weil sie es nicht verstehen konnte. Aber es lag kein Vorwurf in ihrer Stimme, sondern lediglich das Leid dessen, dass sie es nicht hatte verhindern können.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 30. März 2023, 02:57

Eine Spur Bitterkeit begleitete die Erkenntnis, dass Kjetell'o Aschwurz Azura nicht aufgrund optischer Anziehungskräfte immer wieder angesehen und sogar sanft berührt hatte. Bei Corax war er auch mit den Fingern über dessen Wange gefahren und hatte ihn sogar im Nacken gekrault - da, wo sich die kleinen Rabenfedern gekonnt unter seinem Schopf verbargen. Offenbar irrtümlich hatte sie angenommen, der Elf könnte sie schön finden. Die Erkenntnis kam mit der Erinnerung, dass sie aktuell alles andere als anziehend wirken musste und noch immer fiel es ihr schwer zu akzeptieren, dass Corax daran überhaupt keinen Anstoß nahm. Nein, er stand vor ihr, schmiegte sich gegen ihre Wange und konnte nicht aufhören, sie mit dieser Nuance an Verliebtheit im Blick anzusehen. So hatte sie ihn das letzte Mal gesehen, als sie stumm neben ihm gekniet und ihren Kopf auf seinem Schenkel gebettet hatte, während er in dem Stuhl vor dem Kamin schlief. Er war erschöpft gewesen, weil seine Illusion ihres einstigen Zimmers Zuhause in Andunie so viel Kraft gekostet hatte und trotzdem hatte er es gewirkt. Nur, damit sie sich in ihrer Panik vor den seltsamen Stockmännchen und dem Glauben, ihn verloren zu haben, beruhigte. Und dann war er aufgewacht, hatte auf sie heruntergeschaut und gelächelt. Es war ihr letzter gemeinsamer, wacher Moment gewesen, ehe Azura sich von Bord und in den Tod gestürzt hatte.
So viel war seither geschehen. So viel hatte sie durch den Spiegel im Palast der Stille beobachten können. Vor allem seinen Kummer. Die Trauer um sie hatte ihn beinahe zerfressen und jetzt stand er hier und konnte immer noch so lächeln, immer noch verliebt in ihre Augen sehen, als wäre nie etwas passiert. Dabei hatte sich sehr viel verändert und es war nur Azura und Madiha zu verdanken, dass der Rabe zu sich hatte zurückfinden können. Ihnen und auch Kjetell'o, der ihn offensichtlich während seiner Bewusstlosigkeit und auch danach beaufsichtigt hatte. Sieben Tage war dies nun her, von denen er drei Tage lang gelernt hatte ... bis auch Madiha und Azura endlich erwacht waren.
Das erschreckte die Andunierin. "Wenn du sagst, du warst vier Tage lang bewusstlos und das ist jetzt drei Tage her ... Ich war sieben Tage weg?!"
Corax hob die Schultern an. "Das weiß ich nicht. Kjetell'o hat mich nicht aus dem Zimmer gelassen. Ich habe außer ihm nur Jakub ein einziges Mal gesehen. Du hast die ganze Woche lang in Bewusstlosigkeit verbracht?" Nun war es an ihm, sorgenvoll zu reagieren. Er lehnte sich gegen Azura und hielt sich mit seinem verbliebenen Arm umschlungen. "Du solltest etwas essen", griff er Calebs Worte auf. Zu dieser Gelegenheit kam es jedoch zunächst nicht. Es gab Dinge zu verzeihen und wiederum auch nicht. Dass Azura keinen Grund für Corax' Niedersinken zu Boden sah und ebenso wenig für seine Bitte um Absolution war genau jene, die er sich erhofft hatte. Wo er bereit gewesen wäre, jede Strafe in Kauf zu nehmen, nur damit sie ihn nicht mit Missachtung fortschickte, da waren ihre Worte mehr als er je zu träumen gewagt hätte. Entsprechend gerührt hielt er seine Tränen nicht zurück, aber es zeigten sich weitaus mehr Reaktionen darauf. Seine Augen schimmerten bunt und schön, aber auch unter seinem Haarschopf lugte das Farbspektrum eines ganzen Regenbogens hervor wie zahlreiche Juwelen in seinem Nacken.
Wie magisch davon angezogen schob Azura ihre Hand unter sein Haar. Sie fühlte die Federn, deren Fahnen an ihren Fingerkuppen vorbeistrichen. Glatt und weich waren sie. Sie sah aber auch, dass von ihnen all die Farbenpracht ausging. Mit Rabengefieder hatte das nicht mehr viel zu tun, denn nichts an den Federn war mehr schwarz. Weder Der schmale Schaft des Kiels, welcher mit seiner Spitze direkt mit Corax' Nacken verwachsen schien, erinnerte sie an eine der cremefarbenen, fast weißen Puderdosen, die sie einst besessen hatte. Das Gefieder hingegen schien mit jedem noch so kleinen Anteil eine eigene Farbe darstellen zu wollen und sobald ihr Blick darüber glitt, veränderten sich jene, je nach Winkel. Der Anblick war so zauberhaft, dass er alles ringsum vergessen ließ und der kleine Büschel aus Daunen, der Federflaum an untersten Kielende, kitzelte weich ihre Haut.
"Was ist das...?"
Corax konnte nur erahnen, was sie sah. Ohne Spiegel blieb ihm der Blick auf diese bunten, schönen Nackenfedern verwehrt. Trotzdem schien er zu wissen, was sie meinte. "Das ... ist meine Magie. Kjetell'o sagt, ich in ein Schelm. Ich bin Leid. Ich trage Leid. Es wäre nun an der Zeit, mehr zu werden, meinte er. Aber ich muss es erst lernen." Corax schob nun seinerseits die Hand in den Nacken. Er legte sie jedoch nicht auf die Federn, sondern über Azuras, so dass ihre Feder, die am Lederband um sein Handgelenk baumelte, sie kitzelte. Diese Feder war schwarz geblieben. "Er will mir dabei helfen - uns allen, Azura. Ich habe in den letzten drei Tagen viel mit ihm gesprochen und ihm vieles erzählt."
Dass Corax dem anderen Elfen so rasch Vertrauen schenkte, könnte die Adlige nachvollziehen. Auch sie war sehr schnell seinem Charme erlegen. So sehr, dass sie zumindest untreue Gedanken gewoben hatte, für die sie sich in Corax' Gegenwart nun schämte. Aber die beiden waren nicht die einzigen. Auch Madiha hatte sich von Kjetell'o bezaubern lassen, wenngleich auf einer anderen Ebene. Er hatte sie in ihrer Feuermagie geleitet und Azuras arkane Wasserkräfte hinzugezogen, um ihr Ausgleich zu schaffen. Selbst Caleb hatte er dazu gebracht, mit dem Einhorndolch auf Serpentis loszugehen und Jakub? Der war unterwegs, anscheinend ebenfalls in Kjetell'os Auftrag. Der Elf blieb ein Rätsel, wenngleich er sich als Verbündeter der Gruppe sah und nicht nur an Azura Interesse besaß.
Doch er geriet vorerst in den Hintergrund. Endlich waren sie und Corax wieder zusammen und es fühlte sich so schön an, ihn erneut für sich zu haben. Vor allem, weil er wirklich glücklich schien. Spätestens als er sogar auf ihre Neckereien einging wie er es früher getan hatte, musste ihr das Herz aufgehen. Ja, diesen kleinen Flecken Vertrautheit brauchte sie nun. Er half, über all das Geschehene hinwegzukommen. Er schenkte die Ruhe, die sie so sehr nötig hatte, auch wenn es angesichts ihrer kleinen Kabbeleien überhaupt nicht danach klang.
"Wieso sollte ich auf dich hören? Du hast meine Wünsche und Bedürfnisse doch mit Genuss ignoriert und mich mit Vergnügen so unverschämt behandelt!"
Corax neigte sich dicht zu ihr. Es fehlte nur ein Atemzug zu einem Kuss. Sein Blick umfing sie, blutrot, aber ohne dadurch bedrohlich zu sein. Es waren Rubine, mit denen er sie schmückte. "Auch wenn du es nicht zugibst, weiß ich doch genau, dass du es ebenso genossen hast, dass ich ... ich sein konnte. Du hast mir diese Freiheiten gegeben, weil du zugelassen hast, dass ich sie mir nehmen konnte." Aus einem frechen, kleinen Aufgrinsen wurde erneut ein verliebter Blick. "Ich danke dir", raunte er und gestand ihr auf's Neue seine tiefe Liebe.
Und endlich schien Azura bereit zu sein, es zu erwidern. Sie zögerte zwar kurz, doch spürte in ihrem Inneren dann, dass es keinen Grund mehr gab, ihm nicht zu antworten. Keinen nennenswerten Grund jedenfalls. Eine Spur Zweifel blieb immer, allein schon weil sie sich selbst ertappt hatte, auch an romantische, wenn nicht gar erotische Momente mit Kjetell'o zu denken. Außerdem war sie in Adelskreisen aufgewachsen, in denen Liebe meist nur Nebensächlichkeit war - ein luxuriöser Nebeneffekt, wenn man wirklich eine gute Partie gemacht hatte und sich keinen heimlichen Liebhaber suchen musste, weil der arrangierte Ehegatte ohnehin nie im gemeinschaftlichen Bett schlafen wollte. Die wichtigsten drei Worte des Herzens auszusprechen, waren in ihren Kreisen meistens ebenso Schein wie alles andere. Hier und jetzt jedoch...
"Ich liebe dich." Sie verursachten Herzklopfen, Schwindelgefühl und Wärme, weil sie aufrichtig waren wie die Seele, die sie ihr gegenüber aussprach.
"Ich dich auch..."
Corax musterte Azura. Er schaute ihr in die Augen, wanderte mit seinem Blick an ihrer Gestalt entlang und streichelte ihren Handrücken. Dann sah er von ihr fort, nach unten, als erwartete er etwas. Erwartete er mehr? Seine Augen fanden zu ihr zurück. Er drückte ihre Hand. "Dann ... sag es mir doch". machte er ihr Mut und küsste sie im Anschluss sanft auf die Lippen. Sie schmeckte die Vertrautheit ihres Raben, zusammen mit einer Erinnerung an seinen Anblick aus ihrem gemeinsamen Traum. Der schwarze Rabenprinz küsste sie, dass das Rascheln seines Gefieders einen eigenen Geschmack bildete. Sie schmeckte die dunkle Versuchung, die kleinen Neckereien und einen Flug durch die Nacht. Sie schmeckte das Geheimnisvolle, das Verwegene, sowie eine Freiheit, die es nur zwischen ihnen beiden gab. Aber da war mehr. Sehnsucht. Erwartung. Ein Flehen.
Corax löste den Kuss auf und schaute Azura noch eine ganze Weile an. Er öffnete seine Lippen, um erneut zu sprechen, aber da berührte sie seine Schulter oberhalb des Stumpfes und lenkte von ihrem gemeinsamen Moment ab. Er folgte ihren Worten mit Blick auf das, was er verloren hatte. Was er geopfert hatte.
"Warum, Corax...? Warum hast du dir das angetan?"
Er antwortete nicht gleich. Sein Blick klebte an der Leere unterhalb seiner Schulter. Er schluckte, weil ihm die Kehle eng wurde und ein sofortiges Sprechen fast unmöglich machte. Mit der verbliebenen Hand berührte er seinen Hals und den Verband, der darum lag, um zu heilen, was das Halsband der Züchtigung zuvor dort verbrannt hatte. "Ich...", begann er und brach im selben Augenblick wieder ab. Seufzend senkte er den Kopf. Er konnte Azura nicht ansehen, während er seine Erklärung abgab.
"Ich hab es getan, weil es nötig war. Weil es erwartet wurde von einem Sklaven, der zu seiner Herrin zurückkehrt und um Gnade bittet. Um Zuflucht und ... Strafe ... für sein unloyales Verhalten." Corax ließ seine Hand sinken, um sie auf dem Schoß zu betten, aber dort ballte sie sich nur zur Faust, also presste er die falchen Finger gegen seinen Bauch. Wenig später umklammerte er den Stoff seiner Kleidung, dass die Fingerknöchel heller hervortraten.
"Ich hab es getan, wie ... alles andere ... was nötig war. Wie ... die andere Forderung, meine Treue zu beweisen, indem ich ... nie wieder Freude hätte, wenn ich untreu würde. Niemals ... mein verdorbenes, unloyales Blut weitergebe." Er sank in sich zusammen, krümmte sich nach vorn und hatte Schwierigkeiten, die Worte laut auszusprechen. Jede Silbe stach ihm ins Herz. "Ich hab getan, was nötig war ... um nicht allein zu sein. Um ... wenigstens sie zu haben. Ich hab ... meine untreue Frucht aus der Frau, die ich liebte, und aus Celcias Geschichte ... heraus ... geschnitten. Ich hab ... ihr Leben beendet ... und das meines Sohnes."
Unter einem gequälten Schluchzen, das eher einem Rabenkrächzen gleichkam, beugte Corax sich erneut weit nach vorn und sank zu Boden, bis seine Stirn den Stein berührte und Tränen diesem Weg folgten. Er umschlang seinen bebenden Körper mit der einen Hand, die ihm verblieben war. Er hatte so viel geopfert, immer und immer wieder, um die Gunst einer Frau zu erlangen, die vermutlich niemals mehr in ihm gesehen hatte als einen Zeitvertreib oder ein gefügiges Werkzeug. Er hatte sich zurück zu ihr begeben, weil er in aller Verzweiflung hatte glauben müssen, die wenigen guten Seelen seiner Reise verloren zu haben. Caleb, Madiha und vor allem Azura. Und wer wusste schon, wie es weitergegangen wäre, hätte Serpentis die Auseinandersetzung überlebt, vielleicht gar beendet? Was hätte sie ihrem Sklaven noch abverlangt? Sie hatte ihn aufgefordert, seine Freunde - seine Liebe - zu töten. Er hatte bis dahin getan, was nötig gewesen war für sein Überleben. Und jetzt litt er unter seinem Handeln, dass keine Feder ausreichte, es zu tragen.
Azura konnte sehen, wie sie aus seinem Nacken wuchsen und sich ausbreiteten. Schwarzes Gefieder schob sich unter seinem Schopf hervor, wanderte über seine Schultern und verbarg den Stumpf, sein letztes Opfer. Sie raschelten, als mehr und mehr von ihnen aus ihm heraus sprossen. Corax schuf sich ein Gewand aus schwarzem Gefieder, einen Umhang aus Leid. Erst als er seine Gestalt fast vollends bedeckte und sich wie die Flügel eines gigantischen Raben über dem Boden ausbreiteten und dort zum Liegen kamen, endete das Wachstum. Der Grauschelm wimmerte leise, noch immer mit gesenktem Kopf. Darüber schwebte ein Kranz aus Rubintropfen wie blutrote Tränen, die Krone des Leidträgers. Er streckte seine Hand aus, bis er Azura berührte. "Bitte ... lass mich nicht allein..."
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Azura » Donnerstag 30. März 2023, 13:23

Am liebsten hätte sie den Waldelfen zur Rede gestellt, hätte ihm Vorwürfe gemacht und ihm so einiges an den Kopf geworfen, was ihr nun zu ihm einfiel. Ja, wäre sie noch die Alte, sie hätte ihren Raben vermutlich sogar einfach stehen gelassen und dem anderen diese Szene gemacht, ganz gleich, wer es sonst noch mitbekommen würde.
Doch... sie hatte sich verändert und das nicht nur optisch. Sie hatte sich von diesem Dunkelelf vor ihr, der aus der Not heraus einen Arm geopfert hatte, den Kopf verdrehen lassen und empfand ihm gegenüber deswegen Schuld, weil ihr Herz derart rasch treulos geworden war, während sie noch versucht hatte, ihm das Leben zu retten. Er sollte am besten niemals davon erfahren, wonach sie sich, für kurze Zeit, gesehnt hatte!
Aber dazu kam auch ihr Wissen um ihr Äußeres, diese untote Hülle, die sie zur Schau trug, und das nahm ihr gehörig den Mut. Nein, ihre Angst davor, von dem beinahe schon verboten attraktiven Elfen verlacht zu werden, sobald sie ihm ins Gesicht sagen würde, was er bei ihr verursacht hatte mit all seinen kleinen, vertraulichen Gesten, war einfach viel zu groß. Sähe sie wieder so aus wie früher, selbst wenn es nichts weiter als eine Illusion gewesen wäre, dann hätte sie ihm vielleicht noch gegenüber treten können. So jedoch... Nein, das kam nicht infrage, nein, nein und nochmals nein!
Was hätte sie ihm außerdem schon zu bieten, nachdem sie sich nicht einmal mehr ihrer Unberührtheit rühmen konnte? Nichts als ein Unheil nach dem anderen, das sie hinterließ, beinahe so, als wäre sie die Leidbringerin und nicht ihr Liebster.
Der sie seinerseits nicht verstieß, obwohl er jedes Recht dazu hätte, sodass sie diese kurze, unnütze Schwärmerei für Kjetell'o einfach nur verdrängen, am besten gänzlich vergessen wollte. Es gab ohnehin viel anderes und wichtiges zu besprechen, unter anderem den Umstand, dass sie scheinbar eine geschlagene Woche lang bewusstlos gewesen sein sollte.
Bei seiner Antwort blinzelte sie und hakte gleich nach, ehe sie den Gedanken wieder verlieren könnte:"Wieso durftest du nicht raus?" Sie schüttelte leicht den Kopf. "Sag nicht, du bist ein Gefangener, das lasse ich nicht zu!", begann sie sich zu echauffieren und würde sich definitiv wie eine Glucke aufplustern und für seine Rechte einstehen, sollte irgendjemand, ganz gleich wer, meinen, sie einschränken zu können.
Bei seiner erneuten Aufforderung winkte sie sofort ab. "Hab' keinen Hunger.", brummelte sie und hatte sich noch nicht ganz darüber beruhigt, dass man Corax einsperrte.
Allerdings sorgte ihr Rabe selbst dafür, dass sich dieses Gefühl dann trotzdem rasch legte und anderen Empfindungen Platz machte, indem er sie um Verzeihung für etwas bat, das sie niemals so gesehen hatte und ihm auch ehrlich sagte. Als er dann... oder eher ein Teil von ihm zu schillern begann, war sie fasziniert davon und konnte es zugleich kaum glauben, wenn sie es nicht mit eigenen Augen sehen würde. Mehr noch, sie wollte es auch begreifen, im wahrsten Sinne des Wortes, sodass sie ihre Hand hob und zärtlich über sein neues, buntes Gefieder strich, ehe sie ihn danach fragte.
Sie bekam auch eine Antwort, die sie wohlig seufzen ließ. "Sie ist wunderschön!", hauchte sie und strich noch einmal darüber, ehe er seine Hand hob und damit ihre Finger umschloss.
Langsam nickte sie, als er fortfuhr, und dennoch war sie sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Es fiel ihr schwer, den Blick von dem Regenbogen in seinem Nacken zu lösen und zu seinen Augen zurück zu kehren, doch für ihre Erwiderung war ihr das wichtig. "Warum will er das? Was hat er... davon?", fragte sie mit aufsteigender Skepsis, die vor allem durch ihre eigenen, enttäuschten Gefühle genährt wurde. Und vielleicht auch von einem Hauch Eifersucht...
Leise schnaubte sie und deutete ein weiteres Kopfschütteln an, wie, um ihr Innenleben zur Räson zu bringen. "Er ist... merkwürdig.", murmelte sie schließlich und zuckte leicht mit den Schultern, in dem Versuch, dieses Thema damit zu beenden. Es behagte ihr einfach nicht, nicht mehr und schon gar nicht bei Corax.
Da neckte sie ihn viel lieber und beschwor den Geist vergangener Zeiten zwischen ihnen herauf. Nach ihrem Vorwurf neigte er sich zu ihr und sie hielt unwillkürlich den Atem an, in Erwartung eines weiteren Kusses. Der nicht kam, obwohl ihr schon jetzt die Knie bei dieser Vorstellung weich geworden waren. Stattdessen verdrehte er schon wieder ihre Worte und entlockte ihr damit ein empörtes:"Tz! Gar nicht wahr!"
Und doch... es war wahr. Sie hatte es genossen, sich mit ihm verbal zu messen, und jeder errungene Sieg war ihr Genugtuung wie Ansporn für die nächste Runde gewesen. Dass er ihr dafür jetzt aber dankte und ihr dann auch noch jene drei Worte sagte... das ließ sie leicht erröten und sorgte dafür, dass sie sich auf die Unterlippe biss.
Nach diesem einen, kurzen Zögern jedoch... da gab sie sich einen inneren Ruck und erwiderte sein Geständnis. Woraufhin er sie ansah, schweigend, durchdringend und irgendwie... beunruhigend.
Was war los? Hatte er womöglich doch noch ihre Gedanken zu einem anderen erraten? Stand es ihr jetzt wider Erwarten endlich auf der Stirn und würde ihn nach diesem einen, letzten schönen Moment vertreiben? Ihr Herzschlag setzte kurzfristig aus und Unsicherheit stieg in ihren Blick, während er den seinen wandern ließ über ihre äußere Erscheinung. Was hatte er nur? Wurde er sich nun bewusst darüber, wie hässlich, wie wenig begehrenswert sie geworden war? Welchen Vorgeschmack sie auf das bot, was ihn in einigen Jahren erwarten könnte, wenn er bei ihr bliebe und im Gegensatz zu ihr nicht alterte? War es das, was ihn nun von ihr wegtrieb?
Die Kehle begann sich ihr zu zuschnüren bei dieser vermeintlichen Erkenntnis und sie versuchte, durch mehrmaliges Schlucken dagegen anzukämpfen, doch es wollte nicht recht gelingen. Und als er sie wieder ansah, war sie der Überzeugung, dass er ihr gleich die ganze, fürchterliche Wahrheit entgegen spucken und sie auslachen würde. Auslachen dafür, dass sie gedacht hatte, er könnte tatsächlich noch etwas von ihr wollen, weil er sie so leicht hatte täuschen können.
Schon drohten ihr die Tränen in die Augen zu steigen, während sie glaubte, der Boden müsse sich auftun und sie darin versinken lassen. Aber in der Wirklichkeit sprach er etwas ganz anderes aus, eine Bitte... oder eher eine Forderung, die für sie dermaßen aus dem Zusammenhang gerissen war, dass ihre sich immer mehr kreisenden Gedanken plötzlich still standen, als hätten sie den Anschluss an ihren weiteren Weg verloren. "Was...?", entkam es ihr, da legten sich schon weiche, warme Lippen auf die ihren.
Sie stutzte, dann jedoch senkten sich ihre Lider wie von allein und sie versuchte, all ihre Gefühle in diesen einen Kuss hinein zu legen, als erwartete sie, dass es der letzte dieser Art wäre. Als er sich wieder löste, wollte sie ihm nach, ohne die Augen zu öffnen, aber er war zu schnell weg. Ein leises Seufzen der Sehnsucht entrang sich ihr, ehe sie sich zurück kämpfen konnte und ihn ganz langsam wieder ansah.
"Ich... ich...", begann sie und wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Was er von ihr erwartete! Ja, sie wollte ihm sagen, was sie für ihn empfand, natürlich!
Aber sie hatte auch Angst davor, Angst vor etwas, das sie nicht benennen konnte. Vielleicht davor, dass er ihr das Herz noch leichter brechen könnte, sobald sie mehr als eine Erwiderung verlauten ließ. Vielleicht jedoch auch davor, dass sie sich irrte und ihn wiederum verletzte, wenn sie es zu deutlich machte. Es hielt sie im Moment zumindest davon ab, seinem Wunsch wirklich nachzukommen.
Stattdessen lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung und sah traurig auf seinen Armstumpf, für den sie sich mitverantwortlich fühlte. Seine Reaktion tat ihr tief in der Seele weh, hätte es auch getan, wenn er ihr bei weitem weniger bedeutet hätte. Sie öffnete bereits nach seinen ersten Worten den Mund, wollte ihm widersprechen und ihm seinen Irrtum aufzeigen, als sie seine Hand sah, wie sie herab sank und sich sogleich zur Faust ballte.
Nein, sie konnte jetzt nichts sagen, ihn nicht unterbrechen. Ganz so, als fühlte sie, dass es einmal aus ihm hervor brechen musste, um sich Luft zu verschaffen. So kniete sie ihm gegenüber und hörte ihm einfach zu, voller Mitgefühl und Kummer darüber, dass sie nicht schneller gewesen war, um dieses neuerliche Opfer zu verhindern. Dabei tat er ihr leid, so unendlich leid, dass sie ihn am liebsten an sich gezogen hätte. Sie ließ es bleiben, war da und wartete darauf, dass er bereit wäre, sich von ihr trösten zu lassen.
Nur einmal, da konnte sie nicht still bleiben, sondern hauchte nach einem leichten Zusammenzucken:"Die du geliebt hast...?" Wieso krampfte sich gerade ihr Herz zusammen bei diesem neuen Geständnis? Und wieso fühlte sie zugleich auch eine Spur von Erleichterung?
Es war verwirrend und es war gut, dass er sich nach vorne beugte und sein Gesicht verbarg, auch wenn er dabei schluchzte und sein Leid in Form von Tränen fließen ließ. Die junge Frau brauchte diesen unbeobachteten Moment, um sich wieder zu fassen und darauf zu besinnen, dass sie später bestimmt eine Gelegenheit bekäme, um allein und mit sich darüber nachzudenken, was das in ihrem Gefühlschaos gerade sollte. Jetzt hieß es erst einmal, sich auf ihren Raben zu konzentrieren, darauf, ihm zu helfen, damit er sich von seiner Vergangenheit lösen konnte, so, wie er sie dabei unterstützt hatte vorhin.
Dennoch erschrak sie und beobachtete zeitgleich mit einer stillen Faszination, wie ihm plötzlich mehr und mehr Federn wuchsen, immer größer wurden und ihn immer mehr einzuhüllen begannen. Mit großen Augen sah sie dieser Wandlung zu und entdeckte auch die roten Tropfen über ihm. Mit leicht geöffneten Mund betrachtete sie diese traurige Schönheit und hätte es vermutlich noch länger getan, hätte er sie nicht mit seinen Fingerspitzen berührt.
Blinzelnd senkte sie ihren Blick auf ihn herab und obwohl es gewiss nicht der rechte Zeitpunkt war... ein feines, sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen bei seinen Worten. Und sie traf eine Entscheidung, jetzt, nur für diesen Moment. Nicht für die Ewigkeit oder ihr restliches, kurzes Menschenleben, womöglich sogar nicht einmal für morgen. Nein, ausschließlich für jetzt.
Denn das Herz mochte sich irren, der Kopf mochte warnen und im Bauch mochte es kribbeln. Aber jetzt, in diesem einem Moment, da wollte sie auf nichts hören, wollte nichts weiter als ihm das sagen, was er sich so sehr wünschte. Was er sich verdient hatte zu hören und was sie empfand... glaubte zu empfinden. Und hatte sie es nicht schon einmal gesagt? Ja, niedergeschrieben sogar! Da war sie sich sicher gewesen und jetzt war es an der Zeit, daran festzuhalten, bis... bis sie es nicht mehr könnte. Sie fühlte sich bereit dazu.
Also atmete sie noch einmal tief durch, legte die Hände wieder auf seine Wangen, um ihn sanft zu führen, bis er sie ansah, öffnete den Mund und ließ ihn ihrer Stimme lauschen, als sie es endlich sagte. "Ich liebe dich, Corax!", sprach sie voller Zärtlichkeit, ganz so, wie sie es in diesem Augenblick fühlte.
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Re: Stille Wunden

Beitrag von Erzähler » Freitag 31. März 2023, 18:35

"Wieso durftest du nicht raus? Sag nicht, du bist ein Gefangener, das lasse ich nicht zu!"
Azura mochte sich verändert haben, aber trotz allem lebte in ihr ein kleiner Funken Impulsivität weiter, der wie eine Vulkaninsel aus dem weiten Meer ihrer wassermagischen Präsenz herausragte. Meistens schlief er, doch Vulkane konnten sich jederzeit dazu entscheiden, die gesammelte Hitze nach oben zu jagen, um auszubrechen. Zorn kochte in ihr hoch, als sie aus Corax' Worten interpretierte, dass er in diesem Raum eingesperrt worden sein könnte. Da Kjetell'o sich offenbar um ihn gekümmert hatte, schrieb sie dem Elfen auch sogleich die Rolle des Gefängniswärters zu. In ihrem Kopf bahnten sich Gedanken an, wie sie ihn zur Rede stellen würde. Einzig ihre persönliche Entwicklung führte dazu, dass sie nicht sofort aufsprang, um ihn aufzusuchen und ihm in aller Öffentlichkeit eine Szene zu machen - ob als Serpentis Mortis getarnt oder nicht!
Doch wo Vulkane ausbrachen, da wusste schwarzes Gefieder durch den Aschregen zu tanzen, das Brodeln im Inneren zu beruhigen und wieder verstummen zu lassen, und zwar mit einem einzigen warmen Lächeln. Corax schüttelte zudem dabei noch sanft den Kopf. "Ich bin kein Gefangener", dementierte er. "Nur wollte ich gleich zu dir und der Herrin, nach euch sehen und das hat Kjetell'o unterbunden. Zum einen, weil ihr beide selbst noch nicht erwacht wart und von Magierin der Akademie behandelt wurdet. Zum anderen konnte ich das Bett erst am zweiten Tag verlassen. Es hätte mich all meine Kraft gekostet, hätte ich meinem Trotz nachgegeben. Stattdessen haben Kjetell'o und ich geredet. Er hat Fragen gestellt und ich habe sie beantwortet. Ich habe viel von uns erzählt ... von meinen Fehlern ... und deinem ..." Er musterte Azura, seufzte erleichtert. "Ich bin so froh, dass du wieder lebst. Nur dieser Fluch ... du sagtest, deine Göttin hat dir eine Aufgabe erteilt?" Seine Augen wanderten über ihre Gestalt. Er maß ihr Äußeres sofort irgendeinm Ventha zugehörigen Fluch zu, was nur logisch erschien, wenn er dann keine Illusion über sie legen konnte. Ob er damit zurecht käme, wie sie nun aussah? Bisher hatte Corax keine Anzeichen gezeigt, dass sich seine Liebe zu ihr ob ihrer Optik geschmälert hätte. Er warf ihr die gleichen warmen Blicke zu. Er berührte und küsste sie. Er lächelte. Seine Gefühle für sie waren ungebrochen. Sie schienen sich sogar irgendwie in seiner Magie widerzuspiegeln und von grauer Schelmenmagie konnte man kaum mehr sprechen. Farbenfroh schillerte das wenige Gefieder in seinem Nacken und auch über seine Rubine hatte sich ein spektrumweiter Glanz gelegt.
Azura gefiel sie ungemein gut. "Sie ist wunderschön!" Corax legte seine Hand über die ihre, ohne den Blick von ihr zu nehmen. "Du bist wunderschön", erwiderte er. Ganz eindeutig musste er dabei nur durch die rosaroten Anteile seiner farbenfrohen Augen schauen, wie sonst hätte er sie in ihrem Zustand so nennen können? Oder aber Kjetell'o hatte ihn irgendwie verzaubert. Der Rabe teilte ihr nämlich mit, dass der andere Elf bereits mit ihm Zeit verbracht und auch über seine magischen Fähigkeiten gesprochen hatte. Kjetell'o schien nicht nur Corax helfen zu wollen, sondern ihnen allen. Azura wurde skeptisch. Sie konnte die Motive des neuesten Zugangs der Gruppe kein Stück weit mehr nachvollziehen und auch Corax blieb nur übrig, mit den Schultern zu zucken. "Er meint, ihr braucht Leitung, um für andere, aber am wenigsten für euch eine Gefahr darzustellen. Und mir will er helfen ... Gleichgewicht zu finden. Er sprach von einer Brücke, aber ich habe es nicht ganz verstanden."
Die einzige Brücke, die Azura zu finden suchte, war jene, welche sie und Corax verband. Das tat sie, indem sie auf alte Methoden zurück grief. Wie hatten ihr all die kleinen Neckereien gefehlt! Es tat gut, sich immer noch mit ihm ein wenig kabbeln zu können, ohne dass sie es einander übel nahmen. Sie reizten sich mit dem Wissen, dass danach immer liebevolle Versöhnung stattfände. Und Liebesbekundungen. Dieses Mal erwiderte Azura sie sogar, aber Corax' Reaktion beunruhigte sie. Er schaute sie nicht lange an, sondern ließ den Blick über ihre Gestalt wandern und erst als er mit einem leichten Seufzen zu ihr zurückkehrte, erkannte sie, dass die schönen Farben aus seinem Blick gewichen waren. Stattdessen wirkte seine Mimik traurig, mitleidig. Etwas stimmte nicht und sie bezog es auf sich. Er mochte sie lieben, er mochte sich bemühen, aber nicht einmal er würde auf lange Sicht gesehen ihre Erscheinung ertragen. Es war wie ein Stich ins Herz, an dem Azura kräftig zu schlucken hatte. Doch ehe Furcht und Selbstzweifel die Oberhand gewinnen konnten, schickte sie das Mitleid zurück. Eine Tat, die Folgen hatte. Corax' geopferter Arm weckte all die Erinnerungen an andere Taten, in denen er sich in der Not gesehen hatte, über Grenzen des Vernünftigen zu gehen für ein Bisschen an falscher Zuneigung. Azura erkannte nun wohl auch, wie sehr sich sein Herz danach sehnte, nicht vollkommen allein zu sein. Er war bereit, seinen Körper dafür zu verstümmeln, um eine Lüge von Zuneigung zu leben, weil es alles war, das er bislang überhaupt gekannt und gehabt hatte. Alles hatte er dafür gegeben und noch mehr getan. Ihr Herz wurde schwer, als er seinen durch eigene Hand getöteten Sohn erwähnte und ... eine Liebe, sicherlich die Mutter des ungeborenen Kindes. Es tat weh zu wissen, dass nur sein Opfer dazu führte, dass Azura ihre Eifersucht zurückhalten konnte. Aber seiner Seele hatte es schwer geschadet. Er bereute und er litt unendlich darunter. Was vorher farbenfroh wie ein verborgener Regenbogen geschillert hatte, wurde nun schwarz und breitete sich einer Krankheit gleich über seinem Körper aus. Corax wuchs ein ganzer Umhang an schwarzen Federn, der sich über seine Schultern und den gesamten Rücken legte, bis er wie zwei gewaltige Schwingen von ihm herab hing. In seinem Kummer krönte er sich selbst zum Prinzen des Leids, mit einer Krone aus blutroten Tränen, die wie auf magische Weise über seinem Kopf schwebten. Der ganze Raum schien seine Stimmung anzunehmen. Er wurde dunkler und unliebsamer. Selbst Azura spürte diese negative Stimmung, die an ihr nagte und sie mit in den Sog aus Unglück und Schmerz reißen wollte. Aber sie war alles, was der Rabe noch hatte, welcher Halt suchend die Fingerspitzen nach ihr ausstreckte.
Schon einmal hatte es eine ähliche Situation gegeben. Damals, bei den Zwergen und der Heilerin mit der gewaltigen Nase, war er in die tiefsten Abgründe seiner Seele gefallen. Seine Verletzung hatte ihn geschwächt und die Erkenntnis, nicht nur magisch begabt zu sein, sondern auch das goldene Kettchen geschaffen zu haben, hatte ihn erschreckt. Unter Tränen hatte er nach Azura gegriffen, ihren Halt gesucht ... und ihre Liebe. Ob wahr oder nicht, sie hatte ihm nur sagen müssen, dass sie ihn liebte. Es war sein Wunsch gewesen, weil er fürchtete, das Fieber nicht zu überstehen. Also hatte sie ihm diesen Wunsch erfüllt damals, schnell und im Affekt. Über ihre Gefühle war sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so klar. Darum war es auch nicht gegangen, sondern nur, Corax zu beruhigen. Er hatte es angenommen und akzeptiert. Hier und jetzt würde es nicht ausreichen, dass ahnte sie instinktiv. Aber hier und heute war es anders. Sie war anders und mit ihr die Gefühle, die sie für den Dunkelelfen empfand.
Zweifel gab es immer, aber sie waren schwindend gering, im Grunde bedeutungslos. Jetzt, für diesen einen Augenblick konnte Azura von sich behaupten, die Antwort auf sein Flehen zu wissen. So schob sie ihre Hände an sein Gesicht, umschloss seine Wangen und hob Corax' Kopf an. Seine Augen flackerten wie Feuerschein auf blutigen Edelsteinen. Er wagte kaum, ihren Blick zu erwidern, denn in seinem stand so viel Schuld, so viel Reue und Angst, wie sie ihn nun sehen könnte. Azura aber war bereit, ihm diese Angst zu nehmen. Sie würde sie wegfegen mit dem mächtigsten Zauber, der auf Celcia bekannt war. Ein Zauber, der keine magische Begabung voraussetzte, sondern nur aufrichtige Gefühle.
"Ich liebe dich, Corax!"
Seine Augen flackerten ein letztes Mal. Dann weiteten sie sich, wurden größer. Ihren Blick erwiderte er seltsamerweise nur kurz, dann sank seiner herab. Er wanderte erneut an ihrer Gestalt entlang, als lauerte er auf etwas. Irgendetwas. Dieses Mal ... wurde er nicht enttäuscht. Azura fühlte es als wachsende Wärme in ihrer Brust. Angenehm und leicht prickelnd wie sonst nur leidenschaftliche Küsse löste sich etwas direkt aus ihrem Herzen. Ein schmaler Tunnel aus Licht öffnete sich, ehe eine Welle regenbogenfarbenen Wassers direkt aus Azuras Rumpf sprudelte. Der Quell spülte eine Welle in ihren Schoß, nur um im nächsten Moment zu versiegen, aber auf ihren Schenkeln blieb ein aufgerolltes Pergament liegen. Blaues Band verschnürte es, an dessen Ende ein winziger Anker aus Messing und eine Muschel verknotet waren, um die Schnur zu beschweren. Die Ränder des Papieres zierte ein hauchfeiner Algen- und Muschelbewuchs.
Corax schaute auf die Schriftrolle herab. Dann hob er den Blick erneut, kehrte zu Azura zurück und seine Rubine schwammen in Wasser. "Ja", krächzte er heiser, nickte in ihren Händen. "Ja, tust du. Tust du wirklich!" Er kniff sich dicke Tränen aus den Augen, die im wachsenden Licht des Raumes sofort in allen Farben schillerten. Das Licht aber ging nicht von Kerzen oder Laternen aus, sondern von Corax selbst. Seine schwebende Krone leuchtete, jede Träne nun in einer anderen Farbe, so dass sie zusammen die Basisfarben eines Regenbogens bildeten. Das Licht fiel als Farbspektrum auf ihn nieder, hüllte seine ganze Gestalt ein. Es strich über sein Haar und seine Haut. Wo letztere ihre dunkle Farbe behielt, da verlor sein Schopf die Nebelkrähenschwärze. Nein, das stimmte so nicht. Er verlor nichts. Weiß bestand aus dem gebündelten Ganzen aller Farben und so veränderten sich nun auch seine Strähnen. Ein weißer Schopf aus weichem Haar wie Federflaum hing ihm über Stirn und Ohren. Bei jeder Bewegung schillerte ein Verlauf aller Farben darauf und wanderte zu den Haarspitzen, die in seinem Nacken endeten. Von dort aus fiel ihm noch immer der Umhang aus Federn die Schultern herab und in zwei großen Schwingen bis über die Füße. Nur hatte sich auch deren Farbe jetzt veränderte. Wie eine Brautschleppe, so cremeweiß trug er die Rabenfedern und auch sie wussten zu glitzern und bunt zu glänzen, wann immer er den Körper darunter bewegte. Der Paradiesvogel bunte Prinz blickte Azura aus Regenbogenjuwelen entgegen und nie war sein Lächeln glücklicher. "Endlich" brachte er unter einem erleichterten Keuchen hervor und zog sie in seinen Arm. "Endlich hast du's gesagt. Jetzt ist sie wieder da, die Schriftrolle der Wassermagie. Jetzt kannst du sie deiner Göttin geben oder was immer sie von dir möchte. Dann muss sie dir den Fluch nehmen. Azura ... es wird alles wieder gut." Der Umhang aus weißen Regenbogenfedern hob sich und legte sich wie ein Paar Flügel um sie herum. Corax hielt sie im Arm und in den Schwingen. Sie spendeten seine Körperwärme, als sie sich auf ihre Haut legten, aber der Zauber schenkte noch mehr. Azura konnte das Glück fühlen. Corax hatte die schwarzen Rabenfedern aus Leid gesammelt und sie getragen. Nun gab er sie als reinstes Glück an sie zurück. Nichts hätte ihr Gemüt jetzt betrüben können, wenigstens für den Moment. Glück hielt einfach nicht lange an. Es war flüchtig und verteilte sich nur zu schnell, aber sein Echo hallte noch warm in ihrem Herzen nach, als die Federn sich in allen Farben auflösten und nur noch als matter Schimmer im Raum zurückblieben, bis sie ganz verschwunden waren - zusammen mit Corax' verändertem Äußeren. Zurück waren die schwarzen Haare und die rubinroten Augen. Das Lächeln aber blieb. "Ich liebe dich so sehr", raunte er ihr zu.


Azura hat die Schriftrolle der Wassermagie gefunden. Diese gilt nun als wiederentdeckt für ganz Celcia und ihre Inhalte können als bekannt und in mehreren abschriften vorhanden überall in Celcia genutzt und gespielt werden - als wären die Rollen wie durch Zauberhand in Regalen, geheimen Verstecken oder dem Sammelsurium irgendeines Wandermagiers plötzlich aufgetaucht.
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