Es war erstaunlich, wie schnell Caleb doch auf Azuras Schluchzen hin reagierte und bei ihr war. Ausgerechnet er, ausgerechnet bei ihr. Die zwei hatten sich in letzter Zeit eher entfremdet denn angenähert, aber das mochte vielleicht der einzig positive Aspekt sein, den Serpentis ihnen allen hinterlassen hatte: Ihr gemeinsamer Kampf gegen diese Hexe schweißte sie zusammen. Es ließ sie alle Zwistigkeiten untereinander vergessen, verzeihen und erinnerte sie stattdessen daran, dass sie zusammen, Seite an Seite versucht hatten, einander zu retten.
Das ließ Caleb handeln. Dies und die Tatsache, dass er eben immer noch er selbst war. Er konnte nicht aus seiner Haut heraus und so hätte er Azura wohl auch in den Arm genommen, um sie zu trösten, wenn sie ihn erneut mit Flüchen beworfen, angeschrien oder sogar gekratzt hätte. Es war nun nicht wichtig, wer sie hielt, sondern dass es jemand tat. Sie brauchte Halt, denn ihre Seele hatte vieles zu verarbeiten. Ihre und die Seele von jeweils allen. Jeder focht auf seine Weise mit den Nachwehen dieses Erlebnisses, aber niemand von ihnen blieb verschont. Wie sie mit ihrer Situation umgingen, fiel unterschiedlich aus.
Caleb schien nach außen hin nichts zu belasten. Er wirkte wie immer: besorgt um sein Umfeld und jene, die ihm am Herzen lagen. So stellte er eigene Gedanken und Probleme in den Hintergrund, um sich jenen seiner Mitmenschen zu widmen. Auch das war eine Form der Auseinandersetzung dieser Ereignisse. Er verdrängte offensichtlich, bis es keinen Vorwand mehr gab, die eigene Lage zu ignorieren. Aber es konnte auch helfen, wenn man für den Moment einfach zu schwach war, um sich allem zu stellen.
Auch Azura holte diese Schwäche ein, aber sie war nicht beherrscht genug, um sie in ihrem Inneren zu behalten. Sie hatte es allerdings auch schwerer getroffen als den Dieb, denn zu ihrer mentalen kam zusätzlich noch die körperliche Verfassung hinzu. Der Kampf gegen Serpentis hatte sie einen Teil ihrer hand gekostet. Dort klaffte nun einfach ein Loch, jedenfalls lag die Handinnenfläche offen, so dass man bis zum Knochen schauen, aber nicht komplett hindurch greifen konnte. Das Fleisch blutete nicht. Es war nicht einmal rosig, sondern grau. Wenigstens schmerzte nichts daran, abgesehen vom Anblick. Was stimmte nur nicht mit ihr? War sie wirklich lebendig oder hatte ihre Rückkehr den Haken, dass sie nun als Untote würde auf Celcia wandeln müssen?
Damit konnte Azura sich längst noch nicht befassen. Zu viel brach über sie herein, zu viele Bilder und Erinnerungen. Sie konnte ihnen nicht entkommen, jedenfalls nicht allein. Caleb spendete ihr Halt und überraschenderweise nahm sie ihn an. Sie klammerte sich an sein Hemd, das bis dato sauber gewesen war, ja, sogar angenehm gerochen hatte. Jetzt durchnässte sie es mit allem, was ihr Körper noch hergab. Dass sie neben reichlich Schnodder und Speichel auch wieder Tränen vergießen konnte, ließ darauf schließen, dass sie nicht nur einige Stunden in dem weichen Bett verbracht haben musste. Sobald sie sich etwas beruhigt hatte, würde sie zum einen spüren, dass ihr Körper sich hatte erholen können. Zum anderen dürfte sich in den nächsten Stunden aber auch der Hunger melden.
Ähnlich würde es Madiha ergehen, die sich gerade dem Bett näherte, ohne Caleb dabei einen Blick zuzuwerfen. Sie konnte nicht. Genauso wenig konnte sie nun die Bedürfnisse ihres Körpers wahrnehmen. Sie und Azura mussten erst wieder mental aufgebaut werden, bevor das funktionierte und beide schienen ganz auf ihre Weise meilenweit davon entfernt zu sein. Wo die Andunierin ihren Gefühlen aber ein Ventil in Form eines Ausbruchs gab, da sperrte das Sarmaer Mädchen sie alle tief in sich ein. Das Vorhängeschloss bildeten ihre Schuldgefühle ihnen allen gegenüber und sie konnte nur hoffen, dass ihre kleine Geste, Azura die Perlen zu reichen, auf eine Spur Vergebung traf. Wie schmerzhaft musste dann doch ihre Reaktion ausfallen, als die Rothaarige vor dem Mädchen zurückwich? Nein, nicht vor ihr. Das Säcklein aus einem Teil ihres eigenen Kleides von vor viel zu langer Zeit wies noch immer Blutspuren auf. Man hatte den Stoff gewaschen udn getrocknet, aber die rotbraune Färbung hatte nicht weichen wollen. Darüber hinaus schien es samt Inhalt aber unversehrt. Das Verschlussband aus verflochtenen Haarsträhnen von Azura und dem roten Faden, den sie ihrem Raben aus dem Herzen gezogen hatte, hielt den Stoff noch immer zusammen. Im Innern ruhten ihre Seelenperlen, die bei jeder Bewegung mit einem sanften Kichern aneinander schlugen. Sie waren rein und heil, somit das Gegenteil von dem, was von Azura selbst übrig zu sein schien. Aus Angst, diese Reinheit zu beschmutzen, wand sie sich nicht nur aus Calebs Arm, sondern wich auch vor Madihas Angebot zurück.
Das Mädchen der Wüste sollte keine Vergebung erhalten. Niemand würde ihr verzeihen und das war auch richtig so. Sie hatte sie alle in Gefahr gebracht.
Umso unglaublicher drangen Calebs Worte zu ihr hindurch. Erst seine Erleichterung, dass sie noch lebte und dann Worte, die sich in ihren Gehörgang schmiegten wie ein voller Löffel süßen Honigs auf ihre Zunge. Sie sickerten hinein, schlängelten sich gleichmäßig über jede Knospe, die ihre Bedeutung erfassen konnte und hinterließen etwas, das nicht nur die Sinne berührte. Madiha wurde berührt, tief in ihrem Herzen. Noch in der Spelunke, in der Corax all diese Dunkelelfen und die beiden Orks wie wehrlose Fliegen zerschlagen hatte, waren Caleb und Madiha sich näher gekommen. Aber dort hatte er ihr nicht sagen können, was er fühlte. Er hatte sie nicht belügen und somit in falscher Hoffnung wiegen wollen. Er hatte warten wollen, bis er sich sicher war und nun?
Wie ungemein schön ihre Muttersprache doch klingen konnte, wenn man die richtigen Worte in sie hinein packte! Worte, die aufrichtig ausgesprochen wurden. Caleb sagte derlei Wichtiges nicht einfach so daher. Er plapperte vieles und noch mehr, ohne gründlich darüber nachzudenken, aber sie kannte ihn. Madihas Gefühle verspottete er nicht. Er erlaubte sich keinen schlechten Scherz, wenn er wusste, wie kostbar ihr diese Geste war. Er meinte es ernst. Ein Blick in seine Augen verriet es. Und so suchte sie den Trost, den seine Worte zu geben vermochte, auch an seinen Lippen. Sie fand Wärme daran, seinen eigenen Geschmack. Es war wie beim ersten Mal, nur noch schöner, weil die ausgesprochenen Worte noch daran hafteten, so wie Madihas Lippen nun an den seinen. Nichts hätte sie gerade dermaßen beruhigen können wie er. Trotzdem ware ihre Seele noch immer aufgewühlt. Schuld lastete schwer darauf und Caleb allein konnte ihr keine Asbolution erteilen. Er konnte mildern, aber es nicht ungeschehen machen, was ihr Innerstes zerfraß. Dabei war es doch vorbei. Es war ...
"Ge ... geschafft...?! I ... ich habe ... Wir... haben es ... geschafft...?"
"Ja", erwiderte Caleb knapp und nickte in Azuras Richtung, die ungläubig seinen Blick suchte. Er lächelte sie an und hob den Arm in einer einladenden Geste, damit sie noch einmal Trost bei ihm suchen konnte, wenn sie es brauchte. Und weil er sich in jenem Moment auf die Adlige konzentrierte, gelang es Madiha, sich seinem Arm zu entwinden. Die Nachricht legte sich nämlich nicht mit Erleichterung auf ihr Gemüt, sondern mit Bitterkeit und die Schuld schwappte in ihr hoch wie saure Galle. Tränen brachen sich Bahn, ehe sie vor dem Bett auf die Knie sank wie eine Bittstellerin, die um ihr Leben flehte - wie eine Sklavin, die um das Recht flehte, ihr wertloses Schicksal fortführen zu dürfen.
"Ich hätte euch alle getötet..."
"Madi..." Caleb seufzte ihren Namen, nicht aus Vorwurf, sondern aus Empathie. Er ahnte, was sie sich da auflud, konnte aber nichts sagen, um ihr diese Last abzunehmen. Im Moment nicht, denn er litt mit ihr und wünschte nur, sie würde ihr eigenes Herz nicht so erschweren.
"Ich hätte euch alle getötet ... ich habe gar nichts getan, ich bin schuld an eurem Leid und ihr ... ihr ... nein..." Sie bat um eine Chance. Wie wollte Wiedergutmachung leisten, dass es dem Wüstendieb fast das Herz zerriss. Er kannte dieses Verhalten von so vielen Sklaven aus Sarma, vordergründig Frauen der Hurenhäuser, die noch um Vergebung flehten, weil sie in ihrer Angst den Männern nicht so hatten gefällig sein können wie jene es erwarteten. Er schauderte und musste den Blick kurz abwenden. Madiha nach ähnlichem Schema handeln zu sehen ertrug er nicht. Doch noch ehe er zu einer Handlung fähig war, fand Azura wieder genug Worte, um nach Corax zu fragen. Richtig. Der Rabe, der Grauschelm - Leid - er war nicht hier.
"Wo ist Corax?!"
"Ich hole ihn! ich finde ihnd ganz bestimmt!" Schon sprang Madiha auf die Füße. Ohne das Ziel zu kennen wollte sie los, ihn einfach nur suchen. Irgendetwas tun, damit sie in den Augen der anderen an Wert gewann. Caleb griff nach ihrem Arm und hielt sie zurück. Er sprach zu beiden Frauen und versuchte auch, beide an sich heranzuziehen. "Du musst ihn nicht suchen, Madi. Er ist ganz in der Nähe, nur einen Raum weit entfernt. Kjetell'o hatte sich bereit erklärt, bei ihm zu bleiben, bis er erwacht." Caleb ließ langsam Madihas Arm los. In der altbekannten Geste ruhf er sich mit der Hand in den Nacken. "Jakub meinte sogar schon, er sei längst wieder wohlauf, aber ..." Caleb seufzte aus. Nicht nur seine Wüstenblume kämpfte mit einem schlechten Gewissen. "Niemand von uns hat ihn bislang aufgesucht. Wir ... ich ... kann mich ihm nicht allein stellen." Angst. Caleb fürchtete das Aufeinandertreffen mehr als sie alle zusammen. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, dass er den ordentlich gebundenen Zopf beinahe auflöste und das Band nur noch an wenigen Strähnen hing, um diese zu halten. "Ich möchte nicht allein zu ihm. Wenn ihr beiden euch gut genug fühlt, können wir zusammen gehen. Jakub ist allerdings unterwegs, auf ihn zu warten, könnte ... ich weiß nicht wie lange dauern. Er wollte einige Dinge regeln."
Es klang nicht danach, als würde der Erste Maat in den nächsten Stunden zurück sein und Azura könnte wohl auch nicht länger warten. Selbst wenn ihr Körper sie nun nicht trug, wollte ihr Herz zu ihrem Raben. Und auch Madiha drängte es, Corax aufzusuchen. Wiedergutmachung ... auch bei ihm. Gerade bei ihm und damit war sie nicht allein, wie sie nun erkannte.
Caleb gab beiden jungen Frauen die nötige Zeit, sich etwas frisch zu machen. Er wartete außerhalb des Raumes, von dem sie nun auch erfuhren, dass es ein Doppelzimmer für Studierende höherer Lehrsemester war. Entsprechend lagen wassermagische Kleidungsstücke der Akademie für beide bereit. Ihre ursprünglichen Sachen hatte man unglücklicherweise entsorgen müssen. Madihas feuermagischer Hitzeausbruch hatte selbst Azuras Kleidung so weit angesengt, dass nichts mehr zu retten gewesen war.
Nun mussten beide also Farben und Schnitte der Akademie der Wassermagie auftragen. Wenigstens stellte man ihnen keine allzu altbackene Mode zur Verfügung. Es existierten genug Magier, die klassische, aber auch langweilige Roben bevorzugten. Gerade die älteren Semester erwarteten diese bornierte Darstellung, allein schon um Traditionen zu wahren. Im Laufe der Zeit kam man glücklicherweise in nahezu jeder Magie-Richtung davon weg und nur zu besonderen Anlässen und in gewissen Kreisen hatten Magier einheitlich und in Roben aufzutreten. Die Farben der andunischen Akademie aber - blau und grau - blieben Kern des Ganzen.
Sie konnten sich sogar zwischen mehreren Kleidungssets entscheiden, die für beide in den Schränken des Zimmers bereit hingen. In allen Fällen bestanden sie aber stets aus eng anliegenden Beinkleidern und entweder einer Tunika oder einem Hemd mit Überwurf oder Mantel. Die einzigen Zierden neben muschel- oder wellenförmigen Gürtelschnallen bildeten ähnliche Muster, die als silbergraue Stickereien auf die Trachten aufgearbeitet worden waren. Es handelte sich folglich um Roben der Eleven oder höher Studierenden und nicht etwa um optisch kenntlich gemachte, ausgebildete Magier. Jene trugen viel und mit Stolz elegante Gewänder, die zumindest hier an der Akademie stets einen zauberhaften Bezug zum Wasser besaßen. Aber auch nur ihnen war eine solche Zurschaustellung gestattet, um einen ungeübten Eleven nicht etwa mit einem gelernten Magier zu verwechseln.
Inspirationen:
Andunische Eleven-Mäntel |
Andunisches Wassermagierinnen-Kleid |
Andunische Magier-Tuniken (männlich)
Sobald Madiha und Azura angezogen waren, erhielten sie auf Wunsch auch noch die Gelegenheit, wenigstens eine Kleinigkeit zu essen. Wo auch immer Caleb die Teller mit den Meeresfrüchten herbekommen hatte, sie standen beiden Mädchen zur Verfügung. Dazu gab es andunischen Apfelsaft oder Wasser. Der Wüstendieb und Kapitän wartete geduldig. Dass er dabei jedoch größtenteils schwieg und sich immer wieder den Nacken rieb, machte seine eigene Nervosität deutlich.
Schließlich waren sie alle soweit und Caleb führte Madiha und Azura aus dem Zimmer. Es ging tatsächlich nicht weit durch die Akademie. Calebs Worte waren nicht untertrieben. Sie mussten nur wenige Schritte den Gang hinunter und blieben dann schon vor der einzigen Tür der gegenüberliegenden Seite stehen. Ein Schild daneben verkündete jenen, die auch Garmisch lesen konnten, dass sich hier ebenfalls ein Doppelzimmer für Studiosi (drittes Semester, Männer) befand. Man teilte also strikt nach Geschlechtern, zumindest in diesem Bereich der Akademie. Von der anderen Seite der dunklen Holztür aus waren dumpfe Stimmen zu vernehmen. Zwei Personen unterhielten sich gedämpft. Interessant war auch, dass sich auf dem Gang nicht ein Dunkelelf befand.
"Also dann...", machte Caleb sich selbst Mut und klopfte mehrmals an. Um sich sofort erkenntlich zu machen, hob er seine Stimme an: "Ich bin es, Caleb van Tjenn." Die Stimme, die ihm antwortete, ging wohl jedem der drei sofort durch Mark und Bein.
"Herein!", rief das herrische Timbre eben jener Dunkelelfe, die sie vor Madiha und Azura unbekannter Zeit noch im Hof bekämpft und der Caleb ein zweites Lächeln verpasst hatte. Er riss allerdings nicht erschreckt die Tür auf, um gemeinsam mit seinen Begleiterinnen den Raum zu stürmen. Ruhig, wenn auch etwas steif trat er hinter beiden Frauen ein. Die Kammer unterschied sich nicht groß von jenem Raum, in dem Azura und Madiha untergebracht worden waren. Zwei Betten, Lagertruhen, Schränke, Schreibtische. Nur besaß dieser Raum keine Fenster, sondern eine bogenförmige doppelflügelige Tür, die auf einen deutlich breiteren Balkon hinausführte. Auch diese stand offen und die beiden Personen, welche bis eben noch den Blick auf das Meer gerichtet hielten, wandten sich nun um. Dabei nahm die Frauengestalt ihre elegante Hand aus dem Nacken ihres Nebenmannes. Sie drehte sich mit einem eleganten Hüftschwung, dass die Falten ihres schwarzroten Kleides wie Flammen züngelten, als sie sich in der Drehnung neu verteilten. Sie sah gut aus, makellos geradezu. Vor allem aber fiel auf, dass ihren Hals keine klaffende Wunde aufteilte, so dass man bis auf Speise- und Luftröhre sehen konnte. Zwar zog sich eine Linie von einem Schnitt dort entlang, aber bei weitem nichts Lebensgefährliches. Das ohnehin nicht, denn Serpentis Mortis stand aufrecht vor ihnen und blickte Azura, Caleb und Madiha aus schwarz funkelnden Augen an.
"Schau, wir haben endlich Besuch." Sie lächelte und neigte den Kopf, dass einige Strähnen ihres rot gefärbten und hochgesteckten Haares dabei auf ihre Schulter fielen. Schon berührte sie erneut den Nacken des Mannes neben sich und der Dunkelelf wandte sich um. Corax. Er stand aufrecht, trug im Gegensatz zu den Mädchen keine andunischen Roben, sondern eine schlichte dunkelgraue Tunika über schwarzen Hosen. Ein Überwurf, der ihm knapp bis zum Ellenbogen fiel, verdeckt den Stumpf seines linken Armes mit schwarzem Filzstoff. Man hatte ihm das Haar ein wenig geschnitten, aber jeder Versuch es zu frisieren, schien gescheitert. Es hing ihm wie wirre Rabenfedern von ähnlicher Farbe über die spitzen Ohren und in die Stirn. Darunter glommen seine Rubine - ungebrochen, aber vor Schreck geweitet, ehe er in ähnlich schuldbewusster Manier wie zuvor Madiha den Blick senkte. Serpentnis stricht mit spitzen Fingern von Corax' Nacken empor in sein Haar und dann hinunter bis zwischen seine Schulterblätter. "Sie sind wegen dir hier, wie ich es dir gesagt habe. Nur Mut!"
Dann gab sie ihm einen sanften Schubs und der Rabe setzte sich in Bewegung. Auf einer halben Armeslänge Abstand hielt er vor den drei Besuchern an. Endlich hob er den Blick, suchte jenen von Madiha und Azura. Caleb konnte er nicht anschauen. Er holte Luft und schon sank Corax hinunter zu Boden und auf die Knie. Er beugte sich vor, musste sich mit seiner verbliebenen Hand auf dem Steinboden abstützen, um nicht vornüber zu kippen, dabei hätte ihn seine fast bis zum Boden gesenkte Stirn schon aufgehalten. Er bebte und seine Stimme war mehr ein ersticktes Kratzen, was durchaus den Verbrennungen an seinem Hals geschuldet sein konnte. Trotzdem rang er sich einige Worte ab: "Es tut mir leid. Es ist meine Schuld ... ich mach es wieder gut. Irgendwie! Bitte, vergebt mir. Ich werde es richten, ich werde jede Strafe annehmen, um es wiedergutzumachen."
Hinter Madiha und Azura seufzte Caleb auf und rieb sich den Nacken. "Oh, bitte! Können wir damit aufhören von Schuld und Vergebung zu sprechen. Keiner von euch dreien sollte sich das eine aufladen und um das andere bitten!" Dann hob er den Blick, um ihn auf Serpentis zu richten. "Und du solltest die Scharade nicht die ganze Zeit aufführen. Das kostet ihn nur Kraft!"
Serpentis erwiderte den Blick. Ihre Augen blitzten kurz auf, ehe sie wieder lächelte. Mit ausgestrecktem Finger zeigte sie hinter Caleb. "Dann solltest du die Türe schließen, bevor der Schwindel noch auffliegt." Caleb gehorchte und sobald das schwere Holz mit einem Klicken verkündete, dass sie unter sich waren, trat die Feuerhexe bis an Corax heran. Sie ging neben ihm in die Hocke, berührte nun schon zum dritten Mal seinen Nacken. "Du kannst es für den Moment aufheben ... und steh auf. Sie sind deinetwegen hier, weil sie dich retten wollten und nicht, um dir eine Strafe aufzuerlegen."
Corax richtete sich auf, bis er kniete und das Gewicht auf seinen Beinen, sowie Füßen lag. So konnte er seine Hand nutzen, um einmal durch die Luft zu wischen und die Illusion aufzulösen. Nicht länger hockte Serpentis neben ihm, sondern Kjetell'o, der noch immer so aussah wie die Mädchen ihn beim Kampf gegen die Feuerhexe und ohne Kapuze erblickt hatten. Er kraulte Corax im Nacken. "Du kannst aufstehen", sagte er mild und warf dann einen Blick zu Azura und Madiha empor. In seinen Wäldern von Augen funkelten goldene Sonnenflecken wie eh und je. Corax aber schüttelte den Kopf mit verkrampfter Haltung. Er schien den Tränen nahe und konnte doch keine vergießen. Auch er hielt alles zurück, was einem Sklaven ohne Wert nicht gebührte. Vertraute Muster, die eben noch in einem anderen Raum erlebt worden waren. Keine Seele war verschont geblieben. Aber...
"Ihr habt der Akademie einen noblen Dienst erwiesen und schau doch endlich. Sie sind unverletzt, deine Freunde. Ihr habt einander gerettet."
Corax zuckte, als Kjetell'o den Begriff von Freunden verwendete. Allein dieses Wort drückte seinen Körper empor, bis er stand. Endlich konnte der andere Elf die Finger aus dem Nacken des Raben sinken lassen, weil Corax den Blick anhob. Unsicher war er dennoch, aber es flackerte auch eine Spur Hoffnung in dem Rubinrot, welches sich sowohl auf Madiha als auch Azura richtete. Hoffnung auf Vergebung, die keiner der Anwesenden vom anderen erbitten musste.