Das Leben der Anderen

Diese Akademie wurde von der mächtigen Feuerhexe Cassandra gegründet. Hier werden hauptsächlich Feuermagier ausgebildet und geschult, Cassandra jedoch ist hier selten aufzufinden.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Samstag 10. April 2021, 06:19

Die Prüfung, welche ihr bevorstand, sollte offenbaren, ob Madiha tatsächlich ein Talent für die Feuermagie - oder überhaupt irgendeine Magie-Richtung - besaß. Es ging hier nicht um Lesen oder Schreiben. Beides hatte sie mit Schwester Dunia in lauen Nächten bis spät in die Nacht gelernt. Nur die vielen Wüstenfalter und Mücken waren Zeuge jener Lehrstunden geworden. Nicht eine Unterrichtseinheit mit der strikten Lehrerin würden ihr hier und jetzt helfen. Das wusste Madiha. Trotzdem ließ sie sich nicht unterkriegen und letztendlich schöpfte sie reichlich Mut aus den Erfolgen, die sie in den letzten Wochen erzielt hatte. Sie konnte nämlich das Schild zum Hörsaal 21 lesen! Das schenkte ihr so viel Motivation, dass sie mit euphorischem Herzschlag in den ansonsten so beklemmenden Saal hinein trat. Sie mochte die Blicke der Prüfer auf sich spüren. Sie roch die von den Wänden über Dekaden eingefangenen Aromen von Angstschweiß und Verzweiflung. Sie glaubte, selbst das Muffige als kleine Staubpartikel in der Luft ausmachen zu können. Nichts davon jagte ihr Furcht ein.
Natürlich war Madiha nervös. Das gehörte bei einer Prüfung immer dazu. Nur jene stellten sich solchen Aufgaben arglos, die entweder ihr eigenes Können völlig überschätzten oder so unvorbereitet waren, dass sie ihr Versagen schon Tage im voraus bestens einkalkulieren konnten. Wer derart mental auf sein Scheitern eingestellt war, den schockte die Realität dann nicht mehr. Madiha war im Grunde auch nicht vorbereitet. Gewiss hatte sie Ilmy regelmäßig bei ihren Übungen am Strand beobachten können, doch das half ihr persönlich am Ende nicht weiter. Wie viele sahen bei Kamelrennen zu, die selbst niemals zuvor auf einem gesessen hatten. Sie alle würden nach ihrem ersten Ritt über Rückenschmerzen und zitternde Schenkel klagen. So könnte Madiha hier und heute vielleicht die Bewegungen beschreiben, die Ilmy jedes Mal durchführte, bevor in ihrer Hand ein Feuerball entstand, aber das hieß nicht, dass sie selbst einen würde formen können. Wie sollte sie das bewerkstelligen? Vielleicht hätte sie ihre Freundin in spe mal darauf ansprechen und mit ihr zusammen Trockenübungen machen sollen. Nun war es dafür zu spät.
Langsam schlich sich das Unbehagen in Madihas Geist. Der Raum nahm sie ein, verschlang sie mit all den panischen Gedanken, die in der Holzmaserung selbst vorhanden schienen und nun auf sie übergingen. Sie atmete die Ängste vergangener Studenten, schmeckte ihre Verzweiflung in der Luft und der Mangel von Tageslicht verstärkte die Nervosität. Hier war so schlimm wie seiner Zeit in den Kerkern, nur sauberer. Wo Blut und der Gestank von Fäkalien in den Ecken fehlte, da setzte Hörsaal 21 sie plötzlich mit seinem eigenen Charakter unter Druck. Hinzu kamen die Prüfer. In deren Mitte saß Aziz ben Ahib, der Madiha mit diesem reservierten Blick eines Mannes betrachtete, der sich über die verschwendete Zeit ärgerte. Was machte dieses Mädchen überhaupt hier? Weshalb bin ich hergekommen? Man erkennt doch deutlich die nicht vorhandene Begabung.
Nein, eigentlich blickte der Prüfer recht neutral drein. Es war der Hörsaal, der ihm diese Düsternis verpasste!
Madiha versuchte, sich zu fokussieren. Sie hangelte sich an den gestellten Fragen entlang und begann zunächst damit, ihren Namen zu bestätigen. Nur Madiha. Schon kratzte die Feder eines von Aziz' Assistenten über Pergament. Das Geräusch erinnerte an Schluchten, die von der gewaltigen Pranke eines Drachen aufgerissen wurden. Hinzu gesellte sich ein fast tonloses Schnaufen, welches verächtlicher nicht hätte sein können. Somit verpassten die Prüfer Madiha direkt ein Stigma. Sie würde unmöglich erfolgreich hier herausgehen. Der Hörsaal schien mit einem Mal noch dunkler und beklemmender zu werden. Bevor ihre Gänsehaut bis zum Nacken empor kriechen konnte, setzte Madiha ihre Vorstellung rasch fort. Sie erzählte aus ihrer Vergangenheit und wie es überhaupt dazu kam, dass man ihr eine magische Begabung andichten könnte. Dabei stolperte sie gelegentlich über ihre eigenen Worte, was die Prüfer mit einem Zusammenziehen der Brauen, einem Räuspern oder blankem Starren kommentierten. Die ganze Situation drohte, sie zu überwältigen. Das beste wäre, sie würde sich einfach erneut entschuldigen, abdrehen und auf Schusters Rappen eine galoppierende Flucht anstreben. Nicht nur hinaus aus dem Hörsaal, sondern am besten gleich auch aus der Akademie selbst - zurück auf die Straße oder in ein herrschaftliches Haus, um für irgendeinen mäßig bestückten, aber gewichtigen Sarmaer die Beine breit zu machen. Es schien doch das einzige, wozu sie fähig war.
Nein! Das war die Macht des Saales, die Einzug in ihren Geist hielt! Er musste magischer sein als sie. Oh, wie schwer war es, die düsteren Gedanken hier abzuschütteln. Madiha focht ihren wohl größten Kampf auf mentaler Ebene aus und musste erkennen, dass auch fein gekleidete, gut gebildete Eleven mit magischer Begabung es so schwer haben konnten wie ein Straßenmädchen mit Sklavenvergangenheit.
"Du bist auf Empfehlung hier", wiederholte Aziz ben Ahib ihre Worte. Dann neigte er seinen Kopf nach rechts, als wolle er einen Blick auf die Unterlagen seines Assistenten werfen. "Wessen Empfehlung?"
Der namenlose Prüfer warf ebenfalls einen Blick in seine Papiere. Er räusperte sich und ging sie seitenweise durch. Beide starrten lange auf das Niedergeschriebene, suchten, aber wurden schließlich fündig. Der Assistent tippte auf eine von vielen Zeilen, die Madiha nicht entziffern konnte. Die Schrift stand für sie schließlich Kopf und die vielen geschwungenen Buchstaben des Verfassers waren noch einmal eine Prüfung für sich. Sie sahen ganz anders aus als die harte Blockschrift aus ihren Lehrbüchern oder der klare Stil Schwester Dunias. Trotzdem glaubte Madiha, zumindest die Silbe "Cal" erkennen zu können.
Sie wurde abgelenkt, weil Aziz beide Brauen so weit anhob, dass sie drohten, zu einem ergänzenden Teil seines Haaransatzes zu werden. "Diese Empfehlung?", gab er mit aufrichtigem Staunen zurück und schaute Madiha erneut entgegen. Da öffnete sich sein Mund. Sie erkannte es an dem Rascheln seines Bartes. Er wollte etwas sagen, ihr vermutlich weitere Fragen stellen. Die Prüfung nahm hier jedoch eine Wendung, denn Aziz ben Ahib wurde jäh unterbrochen.
Ein gewaltiger Schlag vom Ausmaß einer Explosion brach über Sarma herein und ließ kurz den Boden erzittern. Dann waren Schreie zu hören, eine Menge davon. Vielen waren Schrecken und blankes Entsetzen zu entnehmen, darunter mischten sich aber auch gebellte Befehle auf Sendli und harsches Gebrüll in einer Sprache, die Madiha alles andere als geläufig war. Sie klang hart und finster, dass sie perfekt zu Hörsaal 21 passte. Dennoch gehörte sie nicht hierher, ebenso wenig wie die übrige Geräuschkulisse, welche auch in der Akademie lauter wurde.
Plötzlich riss jemand die Tür auf. Marek!
"Die Stadt brennt! Sarma brennt! Und am Himmel habe ich fliegende Gesteinsbrocken geseh-" Auch er wurde unterbrochen, als eine erneuter Erschütterung des Bodens ihn zu Fall brachte. Aziz erhob sich zeitgleich mit seinen Assistenten. Im Gegensatz zu ihnen bewahrte er genug Ruhe, um das Kommando zu übernehmen: "Geratet nicht in Panik. Sucht die Akademie ab. Findet jeden Schüler und bringt so viele wie möglich sicher ins Freie. In die Gärten! Von dort aus werden wir erschließen, ob die Gefahr von Seeseite oder aus der Wüste selbst kommt."
Marek rappelte sich hastig auf, nickte und stob davon. Die Assistenzen folgten ihm auf den Fersen. Aziz warf Madiha einen knappen Blick zu und wollte dann selbst nach dem Rechten sehen gehen. Das war wohl das Ende ihrer Prüfung...
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 10. April 2021, 22:57

Mit jeder Sekunde in diesem Raum, dämmerte Madiha, dass sie Ilmy besser nach einigen praktischen Übungen hätte fragen sollen. Das Hochgefühl, von vor wenigen Sekunden, durch das Lesen des Türschildes, ebbte immer weiter ab und ließ sie schlussendlich alleine im Raum zurück. Die Blicke der Männer vor ihr, bohrten sich in ihr Herz und suchten darin nach jeglichem Mut den sie finden konnten. Madiha fühlte sich in diesem Moment nicht nur nervös, sie fühlte sich regelrecht hilflos und unbedeutend. Was dachte sie sich dabei, dieses Wagnis einzugehen? Wieso setzte sie sich dem aus, sie konnte doch selber entscheiden, wohin ihr Weg nun ging? Doch so einfach war das für jemanden wie Madiha nicht. Sie hatte den wahren freien Willen nie kennengelernt. Schon immer war sie gezwungen, das zu tun, was andere für sie im Sinn hatten und so stand sie hier, gezwungen von denen, die sie nicht enttäuscht sehen wollte. Die einstige Sklavin spielte mit dem Gedanken, dennoch einfach das Weite zu suchen. Ihr würde sicher nichts fehlen, denn die potentielle magische Begabung, zeigte sich seit damals nicht. Sie konnte nichts verlieren, was sie nie hatte. Aber war es so einfach? Madiha hatte zwar keine Bindung zu etwaiger Magie, doch sie hatte etwas anderes: Eine Art Zuhause gewonnen. Auch wenn sie nie richtig dazugehörte, wenn man sie ausschloss aus gewissen Unterrichten oder sie nicht in der Praxis unterrichtete, sie nicht mit den anderen Essen durfte, so hatte sich dennoch in den letzten Wochen eine Art „Angekommen-Sein" eingependelt. Die Sarmaerin besaß in den letzten Tagen mehr, als in ihrem bisherigen Leben und das war auch der Grund, warum sie heute hier stand. Für eben jenes Gefühl, welches sie nicht vorschnell abgeben wollte. Sie musste es zumindest versuchen und das wollte sie auf jeden Fall.

Als sie davon berichtete, dass sie auf Empfehlung hier war, horchte der alte, bärtige Magier mit den quietschenden Handgelenken, auf. Und auch in Madiha regte sich eine Spannung, da sie nicht erwartet hätte, das irgendetwas, was sie sagte, eine Reaktion hervorrufen könnte, die abwich von Desinteresse und Vorurteilen. Dann dauerte es gedehnte Sekunden, bis die beiden Männer endlich den Namen desjenigen herausfanden, der die Empfehlung aussprach. Madiha konnte nicht lesen, was dort geschrieben stand, aber 3 Buchstaben genügten, um sie sicher sein zu lassen, dass dort Caleb stand. Sie hätte es den Männern auch erzählen können, doch kam ihr nicht in den Sinn, dass der Name wichtig wäre. Die Reaktion Aziz' jedoch war es, die die Dunkelhaarige aufhorchen ließ. Er wirkte überrascht und schien den Namen zu kennen. Er sah sie direkt an und sein Mund öffnete sich, um ihr weitere Fragen zu stellen. Madiha gierte danach zu erfahren, was es mit Caleb auf sich hatte. Dunia hatte ihr nicht weiterhelfen können und so griff sie nach dem Strohhalm. Wenn er doch nur nicht so langsam wäre, indem was er tat. Zumindest kam es dem Mädchen so vor, denn plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Knall und Madiha erschrak zu Tode. Sie wirbelte mit entsetzter Miene zu den Fenstern, nur um festzustellen, dass dieser Raum ja keine besaß. Als nächstes erklangen Schreie gedämpft durch das Mauerwerk und jagten dem Mädchen einen eisigen Schauer über den Rücken. Es war eines jener Ereignisse, das dazu führte, dass man augenblicklich wusste, dass etwas sehr schlimmes passiert war. Wenn man in eine Schockstarre geriet die einem buchstäblich das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Madiha's Herz galoppierte in ihrer Brust und sie starrte noch einige Sekunden lang auf die Vorhänge, die keine Fenster bedeckten. Die Schreie, der Tumult krochen über sie hinweg und ließen sie nicht mehr los.

Erst als die Tür aufgerissen wurde, wandte Madiha ihren frisch frisierten Kopf, der nun völlig überflüssig schien, in die Richtung und sie erkannte Marek hinter der lauten Stimme die die unheilvolle Botschaft überbrachte. Ein Feuer?, dachte sie noch und hätte fast gelacht, aufgrund der Situationskomik, dass sie hier etwas Feuer demonstrieren sollte- oder…. War sie das etwa?! Madiha wurde blass, sie wusste ja nicht wie das alles funktionierte mit Magie und Begabung und überhaupt. Und sie hatte schließlich schon mal einfach so ein Feuer gelegt, ohne dass sie wusste, das sie das konnte. Hatte die Angst, die sie in diesem Raum übermannte, dazu geführt, dass sie nun eine Stadt in Brand gesetzt hatte? Es lag viel weniger an Überheblichkeit, ob des Ausmaßes dieser Vorstellung, als an Unwissenheit. Madiha wusste es einfach nicht besser. Erst die nächsten Worte Marek's verwässerten ihre Ideen etwas. Gesteinsbrocken waren dann doch eher unüblich. Madiha kam jedoch nicht dazu, sich diesen Gedanken zu eigen zu machen, denn eine erneute Erschütterung durchzog den Hörsaal 21. Sie hatte große Mühe, auf den Beinen zu bleiben und schaffte es nur, indem sie etwas in die Knie ging. Panik kroch ihr die Kehle hoch und sie sah Marek am Boden liegen. Sie wollte helfen, doch da rappelte er sich auf, rutschte seine Brille gerade und hört die Anweisungen seines Vorgesetzten. Madiha wusste gar nicht, was sie tun sollte, während Aziz in aller Ruhe, die solch eine Situation erforderte, mit seinem Sekretär sprach. Dann kam Bewegung in alle Anwesenden und der Blick, den Madiha auffing, vertrieb ihre Hoffnung, sie würde an die Hand genommen, und sicher aus der Akademie gebracht werden. Das Mädchen hatte für eine weitere Sekunde keine Kontrolle über ihren Körper, doch dann setzte endlich der Überlebensinstinkt ein. Endlich kehrte die Gewalt über ihre Gliedmaßen zurück und sie schaffte es, einen Schritt nach dem Anderen zu gehen, bis sie sogar ein schnelles Tempo hervorbrachte, und aus dem Hörsaal 21 rannte, nachdem die anderen die Lage sondierten. Wie war noch der Weg zurück? Sie hatte ihn sich merken wollen und hatte nun in ihrer Panik, das Gefühl, sie würde ihn nicht mehr erkennen. Ihr erster Gedanke, galt der Flucht. In die Gärten, wie Aziz gesagt hatte. Doch sie hatte auch das dringende Bedürfnis, nach Dunia und Ilmy zu sehen. Sie wollte wissen, dass es den beiden gut ging, obwohl sie sich auch vorstellen konnte, dass zumindest Dunia zusah, ob sie helfen konnte mit ihrem Beruf. Madiha war einen Moment unentschlossen, was durch ein weiteres Grollen beendet wurde. Erneut wurde der Boden erschüttert, sodass sie das Gleichgewicht verlor und fiel. Das war der Moment, den sie brauchte, um endlich die Beine in die Hand zu nehmen. Sie rappelte sich stolpernd auf und lief dann in Richtung der Gärten. Im Grunde musste sie den Weg nicht aus ihrem Geist abrufen, denn sie hörte einige Stimmen der anderen Bewohner der Akademie und folgte ihnen in der Hoffnung, sie würden sie zu den Gärten führen.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 14. April 2021, 15:58

Es musste Schicksal sein. Anders konnte man nicht begründen, weshalb Madiha schon wieder von einem Leben in ein anderes gerissen wurde. Beim letzten Mal hatte sie noch geglaubt, es endete. Da steckte sie bis zum Hals im Sand vergraben fest, hatte die Hitze der Wüstensonne auf ihrem Kopf gespürt, während unterhalb alles im viel zu kühlen Erdgrab langsam taub wurde. Selbst das Atmen war ihr damals schwer gefallen, weil die unzähligen Körnchen der Wüste gegen ihren Brustkorb gedrückt hatten. Mit dem Wissen, nicht zu überleben, weil zu all den Strapazen das Abschlagen des eigenen Kopfes gehören sollte, hatte Madiha insgeheim schon mit ihrem Leben abgeschlossen. Dann war sie gerettet worden, urplötzlich und offenbar von Caleb. Er hatte sie nicht nur aus ihrem alten Schicksal herausgeholt, sondern auch in ein neues verfrachtet, indem er ihr Leben an Cassandras Feuerakademie übergeben hatte. Zunächst, damit sie geheilt würde. Nun erfuhr sie, dass es seine Empfehlung war, die sie zusätzlich auf eine magische Begabung hin prüfen sollte. Er schien Teil ihres Schicksals zu sein, denn er tauchte immer wieder darin auf, meistens wenn die Situationen brenzlig wurden. Dann rettete er sie, irgendwie. Doch dass er nun für den neuen Wechsel in ihrem Leben Verantwortung trug, konnte sie sich angesichts der tosenden Geräuschkulisse von draußen nur schwer vorstellen. Er galt doch als Teil der Wüstendiebe, oder nicht? Wenn diese nicht gerade halb Sarma in die Luft sprengten, konnte er unmöglich an dem Chaos beteiligt sein! Außerdem war eine Prüfung keine Gefahr, die ihr das Leben kosten könnte. Im schlimmsten Fall wäre sie vom Schicksal erneut in eine andere Situation befördert worden, hätte aber das verloren, was sich langsam nach etwas Gutem angefühlt hatte. Das Schicksal meinte es doch sonst nur schlecht mit ihr, wenn sie wirklich in Lebensgefahr schwebte. Jemand musste da etwas verwechselt haben und beförderte sie nun in diesen Zustand hinein, wenngleich noch indirekt. Denn nach wie vor ahnte Madiha nicht, was wirklich geschah. Selbst mit Mareks Ausruf, als er die Tür zu Hörsaal 21 öffnete, wusste sie lediglich, dass es brannte. Sarma brannte. Der erste Schreckmoment bildete eine Verknüpfung zwischen lodernden Flammen über der Stadt und ihr selbst. Das war zu absurd! Sie konnte unmöglich Grund für die schrecklichen Schreie und das Krachen von draußen sein.
Der Schock legte sich etwas, als nun auch die Information in ihren Kopf sickerte, dass Gesteinsbrocken über Sarma hinweg flogen. Das wäre Erdmagie! Daran könnte sie unmöglich schuld sein, immerhin hatte sie - wenn überhaupt - höchstens einmal ein Feuerchen verursacht. Zwei Magie-Arten zu beherrschen gelang nur sehr, sehr, sehr großen Ausnahmen in Celcia und eine einstige, unbedeutende Sklavin wie Madiha bildete mit Sicherheit keine solche. Ehe sie derlei Schlüsse jedoch mit vollem Bewusstsein ziehen konnte, handelten die Personen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Madiha musste sich ebenfalls sputen, wenn sie nicht allein zurückbleiben wollte.
Ihrem fleischgewordenen Überlebenswillen war es zu verdanken, dass auch sie endlich handelte. Selbst mit der unerfüllten Hoffnungen, jemand würde sie an die Hand nehmen, gab sie nicht auf. Es war schließlich nie so gewesen. Niemals hatte ihr jemand direkt geholfen, um ihr Überleben zu sichern - abgesehen vo Caleb. Doch er war nicht hier. Der Letzte, der gerade seine Schritte aus dem Hörsaal lenkte, war Aziz ben Ahib. Ein alter Mann mit so langem Rauschebart, dass er hinten unter seiner Robe hervorlugte, während seine schlurfenden Schritte ihn davon trugen. Ein Greis, der aktuell näher daran war, sein Leben zu retten als sie selbst!
Endlich kam Bewegung in Madiha. Sie preschte davon, überholte den Magierprüfer, kaum dass dieser den Türrahmen passiert hatte und dann trugen ihre Beine sie einfach geradeaus, den Gang entlang. Ihr Kopf machte sich noch Gedanken, welchen Weg sie nehmen sollte, aber ihre Füße entschieden das bereits. Sie bekam nur noch mit, dass sie rannte. Steinerne Wände mit schön gestalteten, metallenen Halterungen für noch schönere Laternen, sowie Reihen von Türen zu diversen Klassenzimmern huschten an ihrem Sichtfeld vorbei. Gelegentlich schickten ihre Beine sie um eine Kurve, eine Treppe hinab oder wieder empor, nur um bei der nächsten Gabelung mehrerer Korridore den zu wählen, bei dem sie den größten Haken schlagen konnten. Die Schritte ihrer in den weichen Schuhen befindlichen Füße hallten hart und viel zu laut in ihren Ohren wider ... oder war es ihr heftiger Herzschlag? Die Brust schmerzte ihr bereits, weil die Lungen ihr bestes gaben, mit den wahnwitzigen Füßen mitzuhalten. Irgendwann schaltete sich endlich wieder ihr Kopf ein.
Mit gezielten Blick fing sie einige Eleven ein, angeführt von ihrem schwarzbärtigen Lehrmeister, dessen Turban ordentlich verrutscht war. Trotzdem führte er die kleine Gruppe voran, ohne dabei selbst in Panik zu verfallen. Die Schülerinnen und Schüler hingegen zeigten sich ängstlich ob der Situation. Madiha konnte durch die halbmondförmigen Fenster gen Sarmas Innenstadt schauen. Der Himmel darüber hatte sich dunkel verfärbt, obwohl es noch immer Tag war. Er hatte einen blutroten Schimmer angenommen, welcher nicht mit den schönen Sonnenuntergängen zu vergleichen war. Vielmehr verhieß er irgendein wirklich ernstes Unheil. Dutzende Rauchsäulen stiegen gen Himmel und dann konnte Madiha einen der genannten Steinbrocken erkennen. Ihm folgten zwei weitere. Sie flogen in hohem Bogen über Sarmas Stadtmauer, nur um direkt in eine Traube aus bürgerlichen Häusern einzuschlagen, ein Türmchen mitzureißen und für noch lautere Entsetzensschreie zu sorgen.
So hastig sie konnte schloss sie zu der Gruppe an Schülern auf, verfolgte sie und fand schließlich wie viele andere den Weg in die Gärten. Lehrer und Schüler versammelten sich dort. Alle sahen alarmiert oder sehr verängstigt aus, blickten zum Himmel oder brauchten die Hilfe ihrer Mitstudenten, um sich beruhigen zu lassen. Madiha konnte Jungen wie Mädchen sehen, die weinten. Einer von ihnen besaß einen verräterisch dunklen Fleck auf seiner Robe in Schritthöhe, es kümmerte den Burschen jedoch nicht. Er klammerte sie an den Arm eines Mitschülers, welcher beruhigend auf ihn einsprach. Über allem versuchten die Lehrmeister, ihre Klassen zu koordinieren und für Ruhe zu sorgen. Sie sahen jedoch nicht minder entsetzt aus.
Und dann konnte Madiha eine vertraute Stimme ausmachen, gefolgt von einem pausbäckigen Gesicht voller Schrecken: "Madiha! Ilmy legte die wenigen Schritte zu ihr unter Stolpern und Straucheln zurück. Auf den letzten Metern raffte sie ihre Roben, um nicht auch noch zu stürzen. "Oh, zum Glück geht es dir gut! Ich habe schon unter den Mitschülern nach dir gesucht. Weiß du, was hier vorgeht?" Sie brauchte nicht extra zum Himmel zu deuten, um zu verdeutlichen, dass sie die Gefahrenlage meinte. "Ich habe Angst", gestand sie und suchte sofort Madihas Hand, um sich daran festzuhalten. Ihre Finger waren schwitzig. "Jemand sagte, die Stadt wird angegriffen ... und ich habe einen Turm gesehen, der sich bewegt. Schau, da hinten!" Sie zeigte über die Mauern der Akademie hinaus. In der Ferne ließ sich ein Schatten erkennen. Geradlinig und gänzlich aus Holz bewegte sich dort wirklich eine Art Turm. Er besaß kein Dach, war eher rechteckig, aber er ragte hoch empor und auf seinen Zinnen standen offenbar dunkle Gestalten. Einige davon rissen ihre Arme hoch. Dann wurde eine Fahne geschwenkt und plötzlich färbte sich der gesamte Himmel schwarz von einer Salve aus Pfeilen, die Sarmas Stadtmauer überwanden, um auf die Schutz suchenden Bewohner dahinter niederzugehen.
Ilmengards Vermutungen bestätigten sich: Sarma wurde attackiert. Die Frage blieb: von wem?
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 16. April 2021, 09:59

Es hätte besser laufen können, für Madiha. Sie hätte die Prüfung vielleicht sogar bestehen können, wäre eine waschechte Elevin an der Feuerakademie geworden, hätte vielleicht viele Freunde gehabt wäre respektiert worden und hätte dann, irgendwann erfolgreich die Lehre abgeschlossen und vielleicht wäre sie, wie Ilmy, als Hofmagierin, oder doch als Kampfmagier, in ein völlig neues Leben eingezogen. Doch die Götter, welche auch immer, sahen dies offenbar nicht für die ehemalige Sklavin vor. Irgendetwas muss im Sternenbild Madiha's zerrüttet sein, dass sie, gefühlt im Sekundentakt, in ein neues Leben katapultiert wurde. Vielleicht hatten die Götter aber auch gemerkt, dass die Magie nichts für sie ist und lieber gleich die Reißleine gezogen, damit sie ihren Weg findet. Alles wäre möglich und wäre Madiha ein bisschen mehr gottesfürchtig, sie hätte bestimmt daran geglaubt. Jetzt jedoch, hinterfragte sie nicht die Gründe, weshalb ihr das passierte. Weshalb ihre Prüfung nicht stattfand , denn die Umstände die dazu geführt hatten, verängstigten sie bis aufs Mark. Im Gang stehend, suchte sie fieberhaft nach dem richtigen Weg, hatte sogar voller Panik, den Prüfer Aziz überholt und rannte einfach los. Sie hatte keinen Sinn für die Verzierungen an den Wänden, erkannte die Handwerkskunst der Laternen nicht, die an langen Tagen, Lysanthors Licht spendeten, wenn er schon längst nicht mehr am Himmel stand. Ihr Herz pochte so heftig, dass sie das Gefühl hatte, jeder könnte sie hören. Immer wieder rumorte es gedämpft durch die dicken Steinmauern. Immer wieder folgten kleinere Erschütterungen, die sie zwar nicht mehr von den Beinen rissen, doch ihr Innerstes in Schwingungen versetzt. Nachdem sie Treppauf und Treppab gerannt war, blieb sie, nach Atem ringend, stehen. Sie musste sich etwas beruhigen, denn das was sie tat war ganz und gar nicht zielführend, das erkannte sie. Also gönnte sie ihrem Körper einen Moment des Innehaltens, stützte sich, tief atmend, an der kalten Steinmauer ab und sah sich dann um. Sie hatte die Orientierung völlig verloren und wollte schon erneut losrennen, doch dann hörte sie Stimmen. Sofort spitzte sie die Ohren, hielt sogar ihren Atem an, damit sie besser sondieren konnte, woher dieses Gemurmel kam. Langsam stieß sie sich ab und ging auf die Stimmen zu, die um eine weitere Ecke gehend, endlich deutlicher wurden. Madiha schickte ein Stoßgebet zu irgendwem, der es hören wollte, und eilte auf die Gruppe zu. Sie erkannte ihren Lehrmeister, den sie grundsätzlich in ihren Gedanken nur „Schwarzbart" nannte , weil sie sich seinen Namen einfach nicht merken konnte und reihte sich dann in die erschreckten Schüler mit ein.

Sie folgte ihnen, bis sie endlich Fenster erreichte und ihr Blick die Innenstadt erhaschte. Madiha verlangsamte ihren Schritt und die Gruppe zog etwas an ihr vorbei. Langsam kam das Mädchen den Fenstern näher und wie gebannt ruhten ihre Augen auf das unheimliche Schauspiel, welches sich ihr bot. Der Himmel hatte sich unnatürlich verfärbt und prangte wie ein immenses Mahnmal über ihrer Heimatstadt. Ihr Mund wurde trocken, als sie weiter ans Fenster trat und die grau-blauen Augen langsam über das Szenario wandern ließ. Überall konnte sie dunkle Rauchschwaden ausmachen die wie bösartige Geister über Sarma fegten. Marek hatte nicht übertrieben, als er verkündete, dass Sarma brannte. Er hatte eher untertrieben. Ein Schrei riss Madiha aus ihrer Starre und sie folgte eilig den anderen, bevor sie wieder alleine war. Dann endlich trat sie hinaus in die Gärten und sah sich einer Vielzahl von Mitschülern und Dozenten gegenüber. Die Atmosphäre griff sofort nach ihr und zog sie hinein und die Mischung aus Schockstarre, Angst und Verzweiflung. Das Mädchen hatte das Gefühl, dass man ihr Watte in die Ohren gesteckt hatte und sie nicht gut hören konnte. Alles war dumpf und diffus, während sie sich wie in Zeitlupe um die eigene Achse drehte und auszumachen versuchte, was vor sich ging. Sie entdeckte einen Jungen der die Angst nicht mehr halten konnte und bei dem sich ein dunkler Fleck gebildet hatte. Es wäre, unter anderen Umständen, sozialer Selbstmord gewesen, doch jetzt nahm niemand Notiz davon. Ilmy's Stimme riss Madiha aus ihrem gedämpften Zustand und die Geräuschkulisse wurde ohrenbetäubend. „Ilmy!“, rief sie aus und griff gleichzeitig mit ihr, nach den Händen, als könnten sie sich so mehr Halt geben. Ihre Freundin kam ihr zuvor, um ihre Erleichterung auszudrücken doch Madiha nickte immer wieder zur Bestätigung.„Nein, ich kann mir das nicht erklären, ich..“, es grollte und Madiha duckte sich instinktiv, bevor sie weiter sprach:„Ich war gerade bei meiner Prüfung…“, sie zischte, das war ja nun so gar nicht wichtig. Sie versuchte sich zu konzentrieren, als Ilmy sie auf den Turm aufmerksam machte. Madiha folgte ihrem Fingerzeig und ihr Herz setzte aus, so unheilvoll bewegte er sich. Sie kniff die Sugen zusammen, als sie die Fahne ausmachte. „Ilmy, welche Fahne ist das ?“. Sie selber kannte das Erkennungszeichen nicht, da sie nie damit konfrontiert war. Doch noch bevor sie darüber weiter grübeln konnte, verdunkelte sich der Himmel. Madiha blinzelte gen Himmel, immer noch an Ilmy geklammert, und versuchte zu erkennen, was sich da so unnatürlich schnell bewegte. Als ihr die Erkenntnis kam, riss sie die Augen auf, drehte sich plötzlich als wäre sie nicht das unbedeutende Mädchen, sondern jemand, der etwas zu sagen hatte, um und rief, so laut sie konnte„Pfeile!“, damit jeder rechtzeitig Deckung suchen konnte. Sie mussten weg aus den Gärten, sie mussten sich Schutz suchen, hier standen sie wie auf einem Präsentierteller.„Ilmy! Wir müssen hier weg, wir… wir sind hier nicht sicher!“, versuchte sie ihre Freundin zu überzeugen. Es war nicht so, dass Madiha Ahnung hatte, ihre Instinkte hatten sie jedoch stets überleben lassen und auch wenn sie einmal Hilfe erhalten hatte, in Form von Caleb, war es doch immer sie, die das Leben an sich riss
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Sonntag 18. April 2021, 03:34

Tief in ihrem Inneren war Madiha von Anfang an bewusst gewesen, dass es enden würde. Sie hatte geahnt, dass sie niemals die Prüfung erfolgreich hinter sich brächte. Sie war keine Feuermagierin. Dass dieses neue Leben mit all seinen interessanten Facetten jedoch durch den Angriff von ... wem auch immer so drastisch vorbei sein sollte, hätte sie sich wohl nicht im Traum ausgemalt. Niemand hatte das.
In den Gärten der Feuerakademie wurde es eng. Immer mehr Schüler und Lehrmeister drängten sich nach draußen, verteilten sich nur bedingt zu Gruppen bekannter Gesichter oder Vertrauter, bei denen man im Zuge der Gefahr einfach die Nähe suchte. Sollte etwas Tragischeres als der Angriff selbst passieren, wollte niemand allein ein Unglück erleben. Madiha ging es ähnlich und so machte ihr Herz einen erleichterten Ausnahmehüpfer, als sie Ilmy in der Meng entdeckte. Die beiden Mädchen fanden schnell zueinander, doch ihre Erleichterung um die Unversehrtheit der jeweils anderen währte nicht lange. Denn der Schrecken war noch nicht vorbei, im Gegenteil. Nun konnten auch die Versammelten die fliegenden Gesteinsbrocken sehen, welche über die Wehrmauern der Stadt direkt in Sarmas Wohngebäude fraßen. Das Krachen gefror jedem Sarmaer das Blut in den Adern.
Madihas natürliche Instinkte waren es, die ihr eine Spur Rationalität schenkten, wo andere wie Ilmy nur mit Schrecken auf die Wendung in ihrer aller Leben starren konnten. Sie fragte nach der Symbolik, welche sich nicht nur auf der geschwenkten Fahne oben auf den wandelnen Türmen zeigte, sondern auch als gigantische Banner von eben jenem Konstrukt herab hingen. Schwarzer Stoff, auf dem das Bildnis einer Fledermaus prangte, die ihr Reißzahnmaul weit aufgerissen hatte.
Ilmy schüttelte den Kopf. "So eine Fahne hab ich nicht einmal zu Hause im Hafen je gesehen. Das ... können keine Freunde sein."
"Natürlich sind das keine"
, gab ein den beiden fremder Student in ihrer Nähe von sich. Er gehörte zum älteren Semester der Schülerschaft und schien ein Gastlehrling zu sein. Gewiss mochte er schon die zweite Dekade seines Lebens erreicht haben, doch selbst ihm stand die Blässe ins Gesicht geschrieben ob des Schreckensbildes, das sich ihnen bot. Oder aber, weil er die Fahne zuzuordnen wusste. Mit entsetztem Blick schaute er zu den beiden Mädchen und klammerte sich so fest an seine geretteten Lehrbücher, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. "Das ist die faldorische Fledermaus - heraldisches Zeichen der dunklen Stadt Morgeria", verkündete er. "Die dunklen Völker greifen Sarma an."
Die dunklen Völker ... das waren Orks, Dunkelelfen und Goblins. Das wusste man jedoch nur, wenn man zum Militärstrang der Stadt Sarma gehörte oder sich viel am Hafen herum trieb, wo Handelsschiffe Halt machten, deren Mannschaften von ihren Abenteuern erzählen konnten. Hinzu kam, dass alle drei Völkergruppen eine derartige Seltenheit in Sarma darstellten, dass ein mittelloses Mädchen wie Madiha im Grunde niemals einen der ihren erblickt haben mochte. Gewiss existierten Lustsklavinnen der Dunkelelfen, die von berühmten Sklavenhändlern wie beispielsweise Darak Luthrokar sogar bis in diesen Teil Celcias verschleppt worden waren. Aber sie stellten eine derart seltene und somit exotische Ware dar, dass nur die allerreichsten das Privileg besaßen, sie ihrem Harem hinzufügen zu können. Madihas ehemalige Herren hatten nie eine Dunkelelfe besessen. Goblins und Orks waren für erotische Dienste nicht sehr beliebt. So konnte Madiha wohl nur schwer nachvollziehen, dass Ilmy bei den Worten des Mitschülers ein erschrecktes Japsen entwich. Sie klammerte sich mit groberem Griff an die Hand ihrer Freundin und rückte gar etwas zu ihr auf. Wie viel Wärme dieses Mädchen zusätzlich zur Hitze der Region noch ausstrahlen konnte!
"Die dunklen Völker? Madiha, das ... ist schrecklich. Meine Eltern haben mich immer gewarnt. Traue keinem Dunkelelfen, haben sie gesagt. Aber gesehen hab ich niemals einen. Die leben jenseits des Drachengebirges. Das ist selbst von meiner Heimat aus ein ganzes Stück weit weg. Wie ... wie kommen sie hierher?"
"Und wie so zahlreich, dass sie es wagen eine ganze Stadt anzugreifen?"
, fügte der fremde Student nachdenklich hinzu. Ihre Absicht war allerdings klar: Das hier war ein Eroberungsversuch. Sarma wurde belagert und ihr aller Leben stand auf dem Spiel. Als das einigen Umstehenden langsam auch bewusst wurde, gerieten die ersten Grüppchen in Panik. In der Akademie wurden nun Schreie laut. Madihas Ohren klingelten schlagartig und sie konnte die Worte kaum auseinanderhalten. Dunkelelfen, schrien ein paar. Andere verkündeten bereits den Untergang der zivilisierten Welt. Die Lehrmeister gaben sich alle Mühe, die Hysterie einzudämmen, doch an irgendeiner Stelle brach sie immer wieder los und so schlug die Panik Wellen über die Köpfe der Studierenden hinweg wie das Meer über ein einzelnes Fischerboot mitten auf dem Ozean, wenn Ventha eine ihrer Launen hatte.
Dann verdunkelte sich der Himmel und erste der in Panik geratenen Schüler verstummten schlagartig. Ein Pfeilhagel ging über die Stadt nieder. Viele der Geschosse trafen ihr Ziel - tödlich. Die scharfen Pfeilspitzen machten keinen Unterschied zwischen Schülern und Lehrmeistern. Den Mann, den Madiha bisher nur als Schwarzbart bezeichnet hatte, streckten gleich ein halbes Dutzend der Geschosse nieder. Eine hohe Palme im Garten war plötzlich gespickt von den schwarzen Pfeilen, dass sie eher einem Wüstenkaktus glich. Manche Schreie von Mitschülern erstickten und endeten zusammen mit ihrem Leben, kaum dass sie hatten losbrechen können.
Madiha handelte schnell. Sie riss Ilmy um und zog ihre Freundin mit sich, um Deckung zu suchen. Sie fanden diese zunächst hinter einer Mauer, aber dort suchten auch andere Schutz und quetschten beide Mädchen fort. Sie konnten von Glück sprechen, noch niedergetrampelt zu werden. Andere erlagen nämlich diesem Schicksal. Der Sand färbte sich blutrot und die Schreie der Akademiebewohner mischten sich in die dumpfe Symphonie, die Sarmas Hintergrund erfüllte.
Tapfere Schüler wie Lehrer, die mit ihren magischen Fähigkeiten bewanderter waren als andere, entzündeten weitere Salven noch im Flug, so dass die Pfeile zu Asche verbrannten, ehe sie den Boden berührten oder den Leib eines Menschen durchbohrten. Man rief gleichzeitig Befehle an die Jüngeren aus, diese Verteidigungsmaßnahmen nicht nachzuahmen. Natürlich hielt sich nicht jeder daran und so wandelten sich einige Pfeile im Versuch, sie mit Feuer zu zerstören stattdessen in gefährliche Brandgeschosse. Sie fingen nämlich Feuer, landeten auf brennbarem Material und Sekundenbruchteile später stand schon ein Teil der Akademie in Flammen.
Erneut schrien viele auf. Andere forderten Wasser. Wieder andere suchten Eimer und verfluchten sich, nicht Wassermagie erlernt zu haben. Ilmengard durchzuckte ein Geistesblitz. Sie riss an Madihas Hand. "Unten am Strand sind wir sicherer. Wenn wir am Ufer entlang laufen, können wir die Stadt umrunden." Die Frage war, was die beiden Mädchen dann tun sollten, sofern Madiha auf Ilmys Vorschlag überhaupt einging. Sich verstecken? Hilfe suchen? Beobachten und warten, bis es vorbei war? Aber erst einmal hieß es, sich in Sicherheit zu bringen. Das war zumindest der Plan der pummeligen Magierschülerin. Mit Schreck geweiteten Augen starrte sie ihre Freundin an: "Du wirst doch noch kämpfen wollen?!"
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 18. April 2021, 13:10

Irgendwo, tief zwischen Angst, Unwissenheit und Zweifel, formte sich in Madiha die Wahrheit, dass sie niemals die Prüfung bestanden hätte. Im Grunde wusste sie es, seit es zur Debatte stand, ob sie eine Feuermagierin sein könnte. Nie hatte sich der kleinste Hauch gezeigt und auch jetzt, wo sie von Angst durchtränkt war, zeigte sich keinerlei Hinweis auf magisches Potential. Was das wohl gewesen war? Madiha kam nicht dazu, sich darüber jetzt oder in naher Zukunft Gedanken zu machen, es brachte auch nichts und so verloren sich die losen Enden der Gedankenstränge wieder in den Tiefen, aua denen sie empor kriechen wollten. Der Platz, den die Gärten boten, war schnell ausgeschöpft, jetzt wo alle Schüler und Lehrer hinausdrängten. Wäre es nicht klüger, innerhalb der steinernen Wände Schutz zu suchen? Doch der Blick über Sarmas Innenstadt genügte, um das zu verneinen. Die fliegenden Gesteinsbrocken begruben, wenn sie Hausmauern trafen, alles Leben darin unter Schutt und Asche, ohne Möglichkeit zur Flucht. Madiha erschauderte bei der Vorstellung, sie könnte lebendig begraben werden, um qualvoll zu ersticken. Das Gedränge in den Gärten führte allerdings dazu, dass sich Ilmy und Madiha glücklicherweise fanden. Letztere war froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen und jemanden zu haben, der ihr beistand. Ilmy’s Anwesenheit, nah dem Sklavenmädchen etwas die Angst und so schaffte Madiha es, sich auf die ein oder andere Information zu konzentrieren. Ilmy verneinte ihre Frage, ob sie die Flagge bereits gesehen hatte, doch bevor Madiha dazu kam, sich deswegen missmutig zu fühlen, erhob jemand anderes die Stimme. Sie wandte den schwarzen Kopf und blinzelte gegen die Sonne, die sich noch mal kurz durch die Rauchschwaden kämpfte. Ihr Blick fiel auf die Bücher in seiner Hand und wie sehr er sie umklammerte. Er musste bereits Anfang oder Mitte zwanzig sein und trotzdem stieg er in das Gespräch der Mädchen ein. Madiha runzelte unwissend die Stirn, denn sie hatte noch nie etwas von einem dunklen Volk gehört. Verwirrt schaute sie zu Ilmy und bemerkte nur am Rande, dass ihre Finger unangenehm gequetscht wurden, als die Information in das Hirn der Magierin sickerten. „Wer..?“, setzte Madiha ein, doch Ilmy schnatterte schon los und das Grauen , stand ihr ins Gesicht geschrieben. Mit angehaltenem Atem, lauschte die Siebzehnjährige den Erklärungen und konnte sich dann zumindest ein gewisses Bild zusammenreimen, auch wenn sie kaum die selbe Angst verspüren konnte, wie Ilmy. Sie hatte die Vorsicht , gegenüber diesem Volk, nie eingebläut bekommen. Bevor sich Madiha an die Informationen gewöhnen konnte und die Gelegenheit hatte, sich damit auseinanderzusetzen, gellten Schreie der Panik auf. Sofort erfasste die Anspannung wieder ihr Herz und hinterließ eiskalte Abdrücke. Was war los? War noch etwas passiert? Waren die Angreifer schon näher, als sie ahnten? Doch im Grunde war es die Erkenntnis einzelner, in welcher wirklichen Gefahr sie schwebten, die bei allen anderen immer wieder Panik auslösten. Madiha war ruhig geworden und hatte Mühe, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Erst als sich der Himmel verdunkelte, und die Pfeilsalve auf sie niederregnete, setzte ihr Instinkt ein. Sie versuchte noch zu warnen, schaffte es aber nur, eilig Ilmy zu Boden zu bringen, um sich dann schnell wegzuducken. Sie verdeutlichte der Magierin, dass sie hier nicht bleiben konnten, als neben ihnen einige Schreie auf grausame und endgültige Weise erstickt wurden. Madiha's Herz pochte wild, doch trieb das lediglich das Adrenalin durch ihren Körper und führte dazu, dass sie sich hektisch umsah und eine Wand auserkoren hatte, die ihnen vorerst Schutz bieten sollte. Hier dauerte es aber nicht lange, bis andere sie verdrängten und Madiha ihre Freundin weiter führte. Während sie fieberhaft nach einem Versteck suchte, fing plötzlich der Schuppen, aus dem sie vor Wochen einige Utensilien zusammentrug, Feuer. Madiha starrte, nur ein Blinzeln später, gegen eine Feuerwalze, die sich einige Teile der Akademie einverleibte. „Dunia", kam es aus ihrem Mund, doch das Chaos um sie herum war gnadenlos und ließ keine Zeit, sich lange an einem Ort aufzuhalten. Die in Panik Geratenen, versuchten nun nur noch eines: Ihr Leben zu retten. Sie achteten nicht auf zwei am Boden kauernde Mädchen und Madiha zog Ilmy wieder auf die Füße, damit sie nicht niedergetrampelt werden konnten. Da hatte ihre Freundin eine Idee und Madiha nickte rasch. Sie hatte keinen besseren Einfall und die Zeit wurde knapp. Die Gärten wurden mehr und mehr zu einem Massengrab, wenn die Akademie mehr in Flammen stand und die Möglichkeit nahm, durch sie hindurch und zum Haupteingang hinaus zu eilen. „Und ob, Ilmy! Wir sterben heute nicht!“, gab sie entschlossen ihrer Freundin zur Antwort, als sie nach ihrem Kampfgeist fragte. Doch bevor Madiha endlich die Beine in die Hand nahm, sah sie erneut zur Akademie. „Ilmy… ich.. ich muss nach Dunia sehen, sie..was wenn sie verletzt ist?“. Madiha’s Herz krampfte sich etwas zusammen. Dunia war, neben Ilmy, die wichtigste Person in ihrem Leben. Sie hatte niemanden sonst und sie musste sich vergewissern, dass es der Schwester gut ging. Die einstige Sklavin duckte sich kurz, als ein Pfeil gefährlich nahe ihres Körpers im Boden versenkt wurde, doch konnte sie die Augen nicht von der Akademie lassen. Ob es einen Weg gab, hinein zu gelangen? Den Weg zum Krankenflügel kannte sie blind… ob sie es schaffen könnte? Doch bevor sie losstürmte und vielleicht in ihr endgültiges Ende lief, nahm sie sich noch mal die Zeit, um die Köpfe mit ihren Augen abzutasten und vielleicht war Dunia ja hier. Sie hoffte inständig etwas von ihr zu sehen, oder zu hören, denn Ilmy hatte Recht: Am Strand würden sie sicherer sein, vorerst. Oder?
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 21. April 2021, 10:05

So viel Angst wie damals konnte sie doch gar nicht haben! Damals, als plötzlich Stoff Feuer gefangen und sich durch die Gewebefasern gefressen hatte, woraufhin man diese Entzündung ihr zuschrieb. Da war die Angst größer gewesen als jetzt, da ihre Heimat von einem so genannten dunklen Volk angegriffen wurde? Denn hier regte sich nicht einmal ein Funke in Madihas Nähe. Das war vielleicht auch besser so. Ilmy wirkte so schon furchtbar eingeschüchtert. Würde ihre Freundin nun Feuer fangen, wäre dieses noch sehr dünne Verhältnis zwischen ihnen sicherlich sofort wieder zerstört. In Schutt und Asche, um es mit einer Spur Sarkasmus zu schmücken, der manchmal half, um schreckliche Dinge zu überstehen. Gegen die Pfeilsalve aber konnte er nichts ausrichten. Sie war jedoch anscheinend der letzte Tropfen, der bei Madiha das Fass des Entsetzens zum Überlaufen brachte. Mit einem Mal fing etwas Feuer in ihrer unmittelbaren Umgebung. Der Schuppen brannte und das sogar lichterloh. Die Schreie im direkten Umfeld des Mädchens boten sich einen Wettkampf mit den Flammen. Wer oder was würde schneller wachsen?
Das Feuer siegte, denn auch wenn das Gekreisch groß war, so wandelte es sich schnell in einen dumpfen Brei, den Madiha als solchen kaum noch wahrnahm. Die Flammen aber würden sie und Ilmy zu einem solchen Brei verarbeiten, wenn sie nicht sofort zurückwichen. Die einstige Sklavin aber dachte im Moment weder an die aufsteigende Hitze, noch an die Ursache dafür. Ihr kam lediglich der Name der Krankenpflegerin in den Sinn. Sie fehlte. Sie fehlte wirklich! Madiha ließ den Blick über die teils Versammelten, teils inzwischen weiter Fliehenden schweifen. Erste Schüler waren nicht mehr in der Lage, halbwegs ruhig zu bleiben.
"Wir müssen weg hier, weg!"
"Ich hab Angst!"
"Hier draußen werden wir von Pfeilen durchbohrt!"

Sofort drängelten sich erste Gruppen zurück ins Gebäude. Sie würden bei einem Steinschlag auf die Akademie dort nicht nur von Trümmern begraben werden, schon ihr aktuelles Verhalten könnte das Ende bedeuten. In ihrer Panik war sie jeder einzelne nämlich selbst der nächste und die meisten dieser von Überlebensinstinkt getriebenen Eogisten wollten hinein. Einzelne Schreie hoben sich aus dem gequirlten Brei dumpfer Masse hervor, als Menschen unter Füßen zertrampelt oder so eng gegen Mauerwände gequetscht wurden, dass sie keine Chance mehr erhielten, Luft zurück in ihre Lungen zu lassen. Reglos sanken sie zu Boden, sobald eine Lücke für ihren atemlosen Körper entstand. Einige Lehrmeister versuchten noch, die panische Horde aufzuhalten, aber Madiha konnte unter ihnen sogar Individuen erkennen, die es ihren Schülern gleich taten. Ein ihr fremder, kräftiger Sarmaer in den Roben eines Lehrmeisters riss mit beherzten Pranken sogar Schüler fort, um sich einen Weg zu bahnen. Einen der Jüngeren schlug er damit mutwillig mit dem Kopf gegen den Stein, dass Madiha meinte, das Knacken des Schädels bis zu ihr hören zu können. Zivilisation starb, wenn ein Krieg drohte und zurück blieb das, was das Mädchen so lange auf Celcia verweilen ließ: Purer Überlebenswille oder der Trotz, sich nicht dem Schicksal zu fügen.
"Madiha...", drängte Ilmy voller Furcht zur Eile. Ihre Idee erschien beiden Mädchen sinnvoller als der Versuch, sich in den Strom aus panischen Menschen zu stürzen und vielleicht in den Wellen aus Armen und Fäusten unterzugehen. Doch Madiha konnte noch nicht gehen. Neben Furcht war es auch ein kleiner Funkekn Sorge, der in ihrem Inneren glomm. Schwester Dunia, sie war nicht hier. Das Mädchen konnte sie nirgends entdecken. Sie war nicht gewillt, diese Frau einfach aufzugeben und hinter sich zu lassen. Diese Frau, die ihr neben all ihren eigenen Pflichten so viel gegeben hatte. Nicht nur Pflege, sondern auch Fürsorge und Unterricht, aufgebaut aus so viel Mühe. Madihas Herz hing bereits mehr an ihr als an der ganzen übrigen Akademie. Schwester Dunia war zusammen mit Ilmy etwas geworden, das sie mit mehr Zeit durchaus ein echtes Heim hätte nennen können. Als die ersten Steinbrocken flogen, als Feuer den Himmel rot färbte und Pfeile schwarze Streifenbahnen aus fliegendem Tod darin bildeten, da wurde dieses Heim attackiert. Madiha konnte nichts davon zurücklassen. Sie musste Dunia finden, wenigstens wissen, dass sie wohlauf war.
Mit einem Knoten im Magen, der schon schmerzhaft drückte, erklärte Madiha ihrer Freundin rasch, dass sie noch nicht gehen konnte. Ilmy starrte nicht, weder vor Entsetzen noch Enttäuschung. Diese Elevin mit den runden Pausbacken, den freundlichen Augen und wieder schweißnasser Stirn vor Furcht verurteilte ihre Entscheidung nicht einen Moment lang. Stattdessen nickte sie und ließ dann langsam Madihas Hand los.
"Du bist so mutig", sprach sie mit reiner Bewunderung aus. Hier zeigte sich, warum Ilmengard Wollweber keine Hofmagierin sein wollte. Sie hatte viel zu viel Angst. Ein Leben, bei dem solche Angriffe jederzeit stattfinden könnten und sie als Hofmagierin vielleicht einen Adligen oder gar einen König würde verteidigen müssen, wäre kein Leben, das Ilmy lange durchhielte. Sie riss sich gerade sehr zusammen, nicht in Tränen auszubrechen, weil sie ihre Freundin würde ins Chaos springen lassen. Aber auch sie war stark, denn sie entschied sich dazu, Madiha wenigstens mental zu unterstützen und nicht zu einer Flucht zu zwingen, die ihre Freundschaft hätte spalten können.
Noch bevor Ilmy sprach, wusste das ehemalige Sklavenkind, dass lediglich ihre Worte im Herzen sie begleiten würden. Ilmy kam nicht mit. "Oh, bitte, pass auf dich auf. Und komm so schnell wie möglich zum Strand - mit Schwester Dunia. Ich warte dort. An den Klippen gibt es Höhlen. Einige davon werden nicht einmal bei Flut überspült. Da verstecke ich mich und warte auf euch." Sie zitterte. Diese Worte kosteten Ilmy Kraft. Es würde sie noch mehr Kraft kosten, einsam und allein in einer dunklen Felsenhöhle nur auszuharren, ungewiss ob überhaupt jemand auftauchen sollte. Aber sie konnte sich nicht dazu durchringen, zurück in die Akademie zu gehen. "Ich schätze, hier sieht man, wer wirklich eine furchtlose Kriegerin und Heldin ist", murmelte sie, rang sich ein halbherziges Lächeln ab und trat dann einen Schritt zurück. Nun war keine Zeit für sentimental lange Abschiede. Die nächste Pfeilsalve wartete nicht, ebenso wenig wie die Massen panischer Flüchtender. Gerade rammte jemand Madiha, schubste sie beiseite und stürmte über die Gartenmauer hinaus gen Stadt. Andere folgten. Dann hörte man ein Bellen unter all dem Geschrei von draußen und der Himmel verdunkelte sich erneut unter einem Schwarm sausender Pfeilspitzen.
Nun hieß es nicht nur auszuweichen, sondern sich zum einen von Ilmy zu trennen, zum anderen irgendwie zurück in die Akademie zu gelangen, ohne zerquetscht zu werden. Ob Madiha den Krankenflügel überhaupt erreichen sollte und ob sie Schwester Dunia finden würde, blieb ungewiss wie das Schicksal Sarmas.


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Du darfst in deinem nächsten Posting bis zum Krankenflügel gelangen und ihn mit beliebigen Schreckensszenarien unterwegs schmücken. :)
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Donnerstag 22. April 2021, 17:02

Überall schrien, weinten und klagten Menschen. Madiha hatte so etwas noch nie miterlebt und hatte keinen Einfluss darauf, wie sie handelte. Das junge Mädchen wusste lediglich, was sie antrieb und wieso sie ausgerechnet jetzt nicht zur Flucht neigte. War das so etwas wie Freundschaft? War das etwas, was man Zuneigung nannte? Madiha, würde man sie fragen, würde diesen Zustand nicht in Worte formulieren können, hatte sie doch keinen Präzedenzfall dafür in ihren Erinnerungen. Doch schlicht gesagt, hatte das Mädchen, mit den grau-blauen Augen, keineswegs so etwas wie Familie oder Freundschaft im Sinn, wenn sie an Ilmy oder Dunia dachte. Sie waren das einzig beständige in ihrer kurzen Verschnaufpause vom Leben gewesen und sie klammerte sich mit aller Macht an diesen Zustand, um nicht erneut den Halt zu verlieren. Was machte es mit einem Kind, das keine elterliche Liebe kannte, keine Fürsorge und keine Sicherheit, wenn ihm eben jemand genau das, auch aus anderen Gründen, bot? Es nahm diesen Zustand an. Und Sklaventum wurde zu einem sicheren Hafen, einem abgesteckten Bereich, indem man sich zu bewegen wusste. Auch hier hatte Madiha das gefunden: Der Krankenflügel, war ihr Bereich indem sie sich zu bewegen wusste und Dunia, als ‚Herrscherin', über diesen, war ihre Herrin auf eine andere Weise. Die Schwester gab Madiha milde Strenge, gab ihr Regeln, Struktur. Es war die Sicherheit dessen, was Madiha dazu trieb, die Frau unversehrt sehen zu wollen. Und dieser Wunsch war es, den sie verdrängen ließ, wie viel Angst sie zwischen all den anderen hatte und der es ihr möglich machte, sich zur Wehr zu setzen. Als sie Ilmy's Augen sah, wusste die Sklavin genau, dass ihre Freundin sie nicht begleiten konnte. Ilmy war behütet aufgewachsen, zumindest ganz anders, als Madiha und das führte dazu, dass sie dieser trügerischen Sicherheit eines Raumes, nicht anheim fiel. Madiha schüttelte verneinend den Kopf, als Ilmengard ihre Ehrfurcht, ob ihrer Entscheidung, kundtat. „Nein, ich.. ich bin nicht mutig, ich habe nur schreckliche Angst, um Dunia", gab sie preis und verkannte, dass aus Angst sehr wohl Mut geboren werden konnte. Für Madiha stellte sich so eine Frage gar nicht, da sie nicht darüber nachdachte, was alles geschehen konnte, sondern nach ihrem Gefühl handelte. Und war das nun mutig oder in Anbetracht der Lage töricht? War es nicht klüger, Sicherheit weit ab von allem zu suchen? War das nicht der ureigene Instinkt eines Menschen? Madiha richtete sich hier eher nach einem selbstzerstörerischen Weg, doch ändern würde diese Erkenntnis auch nichts bei ihr. Dass Ilmy sie nicht begleiten würde, hatte Madiha auch nicht erwartet. Sie hätte die angehende Magierin nicht einer Gefahr aussetzen wollen, wenn diese es nicht selber kalkuliert hätte. Trotzdem mischte sich nun auch Sorge, um Ilmy in ihr Herz. Sie sah sie für einige Sekunden an, versuchte etwas zu sagen, doch wusste sie nicht recht, was es hätte werden sollen. Also zog sie Ilmy kurz zu sich, drückte sie für den Bruchteil einer Sekunde und stieß sie dann von sich. Es war fast so, als ob Madiha vor diesem Impuls floh, als sie zu der steinernen Treppe nickte. „Pass auf dich auf, Ilmy! Ich komme, so schnell ich kann.“. Dann wurde sie zur Seite gerempelt und hatte Mühe, nicht zu fallen. Einen kurzen Blick zurück zu Ilmy und sie nickte ihr, mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck zu. „Lauf!“, schien ihr Blick zu sagen, während ihre Lippen geschlossen blieben. Dann konzentrierte sie sich auf das brennende Ungetüm, das einst die Außenwand der Akademie war.

Madiha starrte einen Moment die Flammen an und nahm die Hitze wahr, die sie ausstrahlten. Bedrohlich trat das Lodern in den Vordergrund, während Schreie, Rufe und Todeskämpfe in den Hintergrund rückten. Madiha nahm die Anderen um sie herum nicht mehr wahr. Sie konzentrierte sich lediglich auf den Eingang, der einst in die Gärten einlud. Das Feuer erinnerte sie an die Nacht, in der sie Khasib in Brand steckte. Oder das zumindest geglaubt hatte und dafür sollte sie schließlich hingerichtet werden, nicht wahr? Madiha scheuchte diese Gedanken mit einem Zischen beiseite, um sich auf das zu konzentrieren, was jetzt wichtig war: In den Krankenflügel zu gelangen. Sie nahm sich, mitten im Tulmult, einige Sekunden Zeit, um sie den Eingang genau anzugucken. Die Feuerzungen schlugen immer wieder wild aus, es wirkte fast rhythmisch, was Madiha vermuten ließ, dass sie durch einen Durchzug befeuert wurden. Woher sie das wusste? Sie hatte genug Kamine entzündet, genug Feuerstellen gesäubert, um sich zumindest grundsätzlich mit dem Verhalten von Feuer und Luft auszukennen. Es gab also ein kleines Zeitfenster, in dem sie weniger den Flammen ausgesetzt war und vielleicht unverletzt hindurchschlüpfen konnte. Die einstige Sklavin zog ihre Aufmerksamkeit von dem Feuer ab und schaute sich nun um. Das Chaos war perfekt und sie konnte gerade so zur Seite treten, bevor ein anderer sie beinahe zu Boden gerissen hätte. Madiha fackelte nicht lange, sie sprang beherzt auf die halbhohe Gartenmauer, die einmal im Halbrund zum Eingang der Akademie führte und keiner sich derzeit darauf aufhielt. Sie rannte und balancierte, als hätte sie nicht zu ihrer Linke, den Abgrund und fand sich schnell an den panischen Massen vorbei kommend im brennenden Eingangsbereich wieder. Madiha suchte zügig mit den Augen eine geeignete Nische, damit sie nicht niedergetrampelt wurde und sprang dann von der Mauer. Leider machte einer der Schüler einen Ausfallschritt, sodass sie gegen ihn rempelte und beide fielen. Madiha rollte sich ab und kam schnell wieder auf die Beine, was dem Jungen nicht so gut gelang. Entsetzt sah das Mädchen auf ihn, als sie noch die Hand ausstreckte, um ihm zu helfen, doch zu spät. Sie sah noch, wie er sich in Fötusstellung zusammenkauerte, um sich vor den Tritten zu schützen, doch die Panik der Menschen-Dozenten wie Schüler- war allgegenwärtig. Madiha wurde übel, sie war dafür verantwortlich, sie hatte ihm das Leben geraubt. Doch etwas in ihr, ließ sie nicht erstarren. Ungeahnt, dass sie so handeln konnte, wie sie es tat, wandte sie sich um, um sich auf die Feuerwalze zu konzentrieren. Nachdem sie dann einen brüchigen Rhythmus erkannte, wartete sie zwei Sekunden, nur um dann im rechten Moment durch weniger Flammen zu rennen, als kurz darauf, wenn der Wind durch das Gebäude fegte.

Hier drinnen, grollte das Feuer, um ein Vielfaches lauter. Madiha duckte sich, als ein Flammenregen immer wieder von der Decke tropfte, wo das Feuer sich an allem was brennbar war, gütlich tat. Hitze stieg ihr ins Gesicht, umfing ihren Körper und erschwerte ihr das Atmen augenblicklich. Sie hon einen Arm, während sie hustete, und presste sich den teuren Stoff der Tunika, die ihr Glück bringen sollte, vor den Mund. Madiha musste die Augen zusammenkneifen, denn der Ruß brannte darin. Madiha musste sich nicht lange orientieren und wusste, dass sie sich nicht zu viel Zeit lassen durfte. Das Feuer würde sich über sämtliche, brennbare, Materialen ausbreiten und draußen tobte ein Krieg, der keine Rücksicht darauf nehmen würde, dass sie noch im Gebäude war. Sie schlug sofort, im Laufschritt, da sie Sicht schlechter wurde, den richtigen Weg ein. Immer wieder kamen ihr Schüler entgegen oder überholten sie. Madiha hatte Mühe, sich nicht von ihnen umrennen zu lassen, da viele völlig kopflos in Anbetracht der Situation waren. Sie passierte ein Mädchen, etwas älter als sie vielleicht, die, mit weiten Augen, an der Wand kauerte, die Arme um ihre Knie gelegt und sich nicht weiter rührte. Erst lief Madiha an ihr vorbei, doch dann wandte sie sich noch mal um und blickte auf sie hinab. „Du musst aufstehen, du musst raus!“, sagte sie und ihre Stimme kam ihr seltsam resolut vor, in Anbetracht dessen, dass sie selber gehörig Angst hatte. Das Mädchen rührte sich nicht. Madiha runzelte die Stirn, trat einen Schritt vor, packte sie an den Armen und zog sie auf die Beine. „Los! Lauf!“, schnauzte sie sie an und auch wenn es nicht das war, was sie sich erhofft hatte, so kam Bewegung in die Erstarrte und sie ging zumindest in die Richtung, in der sie einen Ausgang finden würde. Madiha hoffte, dass sie es schaffen würde. Dann lief sie selber weiter. Weiter hinten in der Akademie, wütete das Feuer noch nicht so schlimm, wie bei den Gärten. Hier schnaufte die Sklavin durch und schaute sich um. Die Gänge waren fast leer, nur einzelne Schüler liefen hier umher, auf der Suche nach Freunden oder der Fluchtmöglichkeit. Plötzlich erzitterten die massiven Wände und Madiha erschrak, ebenso wie die anderen, die sich mit ihr in dem Gang befanden. Alle starrten augenblicklich nach oben, als sie Mauerstein, um Mauerstein löste und dann krachend den Gang verschüttete. Madiha konnte sich gerade noch mit einem beherzten Sprung vor dem Geröll retten, zwei andere Schüler schafften es nicht und wurden unter den Massen begraben. Staub wirbelte auf und erst als sich jener legte und die Geräusche sich massiv veränderten, blickte Madiha auf, traute sich die Hände, die sie schützend über ihren Kopf gelegt hatte, wegzunehmen. In der Außenwand klaffte ein Loch und die Siebzehnjährige sah die Innenstadt in all den schrecklichen Farben, die sie als Kriegsschauplatz zeichnete. Madiha wurde geschüttelt von der Angst und sie hielt nur mit Mühe die panische Angst fern, die ihr die Tränen in die Augen treiben wollte. Sie zwang sich aufzustehen, als ihr dabei eine erschlaffte Hand auffiel, die unter dem Geröll hervorguckte. Ihr wurde erneut schlecht und sie wandte sich ab, eine Hand an den Mund gelegt. Sie bekam keine Chance, das Grauen zu verarbeiten, als sie das verräterische Sirren von Pfeilen hörte. Jetzt, wo in den Mauern ein großes Loch klaffte, war sie hier in dem Gang nicht mehr sicher vor ihnen und so kletterte sie zügig und ohne weitere Gedanken an das, was sich unter ihr befand, über die Gesteinsbrocken und ließ sich, auf der anderen Seite hinunter gleiten. Dann rannte Madiha. Sie rannte vor den Pfeilen davon, vor den Toten und vor dem Feuer, das irgendwann auch hierher finden würde. Sie wusste, dass sie nur noch einige Meter hatte, bis sie endlich den Ort ihres Begehrs finden würde. Sie lief um die nächste Ecke, knallte unsanft mit jemanden zusammen und fiel erneut zu Boden. Sie keuchte, Schmerz drang durch ihren Körper, doch sie stützte sich auf ihre Arme und kam langsam wieder hoch. Sie streckte die Hand aus, um dem anderen zu helfen, doch dieser Schlug nach ihr und kam selber hoch. Bevor er seine Flucht fortsetzte, kam ihm aber doch noch das schlechte Gewissen in die Quere und er sah Madiha an. „Danke", meinte er schlicht und fast tonlos und war auf und davon. Madiha wollte nun keine Zeit mehr verlieren und fand endlich die Tür zum Krankenflügel. Diese sah unversehrt aus, sodass sie an der Tür kurz durchatmete und sich wappnete für das, was sie vielleicht vorfinden würde, bevor sie sie öffnete. „Dunia?!“, rief sie dann und trat ein.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Sonntag 25. April 2021, 11:26

Hätte Madiha bereits in früheren Jahren die Möglichkeit erhalten, lesen zu lernen, wäre ihr sicherlich das ein oder andere Abenteuerbuch in die Hände gefallen. Dort gab es tapfere Wüstenprinzen, die sich einen Weg durch feindliche Wächter und brennende Korridore bahnten, um ihre verschleierte Prinzessin zu retten. Es existierten Geschichten von verwegenen Dieben, die ganze Fassaden mit bloßer Hand empor kletterten oder sich von den höchsten Türmen wagemutig in die Tiefe stürzten - im guten Vertrauen, den Strohkarren ganz unten am Grund zu treffen, der sie sicher auffangen sollte. Hätte sie darüber gelesen, wäre ihr Herz vor Aufregung und Sehnsucht im Dreieck gesprungen. Jetzt erlebte sie Ähnliches, aber es fehlte diese Romantik für das Abenteuer. Was hier geschah, glich den tiefsten Schrecken von Faldors blutiger Domäne. So musste es im Harax sein: Schreie überall, so massiv, dass sie sich in eine dumpfe Symphonie am Rande der eigenen Wahrnehmung verwandelten. Feuer und Hitze, dass man allein beim Atmen Sehnsucht nach einem Schluck Wasser verspürte. Vorausgesetzt, man konnte überhaupt atmen, denn Rauch schwelte über den Köpfen und machte jeden Luftzug in die Lunge zu einer kratzigen Herausforderung. Außerdem brachte er neben Asche auch den Gestank des Endliches mit sich. Madiha würde den Geruch von verbranntem Fleisch so schnell nicht vergessen, falls sie nicht selbst zu einem Opfer der Flammen wurde.
Ihre Schritte führten sie zielstrebig über jedes Hindernis. Das Adrenalin in ihrem Blut gab ihr die nötige Wachsamkeit. Die Erfahrungen eines Lebens als Sklavin schenkte ihr den Willen, sich durchzubeißen. Vielleicht waren es gerade jene Eigenschaften, die ihr Überleben sicherten. Zumindest weit genug, dass sie bis zu einem Mauerspalt vordringen konnte. Dahinter und einen Gang weiter lag der Krankenflügel. Hier brannte es noch nicht. Zwar war die Fassade ebenfalls von einem Steingeschoss demoliert worden, doch hatten die Brocken die nahen Fackeln unter sich begraben, ehe sie sich in brennbares Material hätten fressen können. Dennoch mussten alle aus der Station heraus. Das Feuer löschte im Moment keiner und es würde seinen Weg finden. Auch Madiha musste dieses Wagnis nun gelingen. Sie lief weiter, machte nur einmal bei einem weiteren Loch in der Wand Halt. Sie sah Sarma. Trümmer, Feuer, fliehende Menschen und erste Gruppen finster gerüsteter Gestalten, die sie voran trieben wie ein Hirte seine Ziegenherde. Das mussten die dunklen Völker sein. Der Feind.
Ihr blieb keine Zeit, die Situation länger als ein paar Herzschläge in sich aufzunehmen. Sie musste weiter. Die Sorge um Dunia trieb sie weiter an. Langsam handelte aber auch sie kopflos. Ihre Aufmerksamkeit ließ nach. So passierte es, dass sie kurz vor der Tür zum Krankenflügel mit jemandem zusammenstieß. Das Gesicht kam ihr nur vage bekannt vor. Es blieb jedoch auch hier keine Zeit, länger über den Mann nachzudenken, der ihr wenigstens noch ein Danke zusprach, ehe er floh. Bei seinem Humpeln erinnerte sich das Mädchen. Ein Patient. Das bedeutete, sie hatte ihr Ziel erreicht.
Mit eiligen Schritten stieß sie die Türen zur Station auf und rief sofort nach Dunia. Ihre Augen huschten umher, auf der Suche nach der Pflegerin. Das bizarre Bild einer vom Schrecken unberührten Station erwartete sie. Abgesehen von den ungemachten Betten, hier und da einem Laken auf dem Boden und einem umgestürzten Hocker wies nichts darauf hin, dass die Panik sich bis in diesen Saal geschlichen hatte. In seiner Unversehrtheit wirkte er fast wie eine Zuflucht. Ein Unbeteiligter, den weder ein Angriff mit fliegenden Geschossen, noch eine Salve tödlicher Pfeile oder Feuer etwas anhaben konnten, denn er schaute von sicherer Position aus zu. Es wirkte befremdlich, zugleich schenkte ein solcher Anblick innere Ruhe. Das Wissen, dass noch nicht alles verloren war, verbarg sich hier hinter den dünnen Trennvorhängen zwischen den Patientenbetten oder in den kleinen Rollwagen, die neben Krankenschränken oder Medizinertischen standen. Es zeigte sich in den Blicken von Menschen, die nach wie vor in ihren Betten lagen und entweder mit großen, fiebrigen Augen zu Madiha herüber schauten oder noch unbeteiligter schienen als der Raum selbst. Und Madiha erkannte es an ihrem Schreibtisch. Da stand er, vor einem der großen halbrunden Fenster, durch die sie das kontrastreiche Bildnis ihrer attackierten Stadt sehen konnte. Auf dem Schreibtisch lächelte sie die Lampe der Bauchtänzerin an. Dort warteten Federkiel und Tintenfass zusammen mit einem Stapel Papier darauf, dass sie ihre Übungen fortsetzte. Ordentlich aneinander gereihte Kinderbücher erinnerten daran, die Abenteuer von Hiss-Pania, der neugierigen Schlange oder Pieks, dem einsamen Kaktus, zu beenden. Ein Stück Frieden, für das Madiha sich unbewusst die Zeit nahm, hinzusehen. Der altbewährte Anblick spendete Kraft, lenkte ab, lud dazu ein, sich einfach hinzusetzen und den üblichen Pflichten nachzugehen. Aufgaben, die niemand gern erledigte, an die man sich aber so sehr klammern wollte, wenn ringsum die Welt in sich zusammenbrach.
Nur langsam drang ihr eigener Name an ihr Ohr und noch länger brauchte sie, das Rütteln an ihrer Schulter zu bemerken.
"Madiha! Madiha, Kind, was machst du denn noch hier?" Schwester Dunia. Sie war noch da, stand leicht vorgebeut neben ihr, eine unbekannte Mitschülerin mit Kopfverband an der anderen Hand. Dunia wirkte so unsagbar gefasst und nach wie vor Herrin der Lage, dass es auf andere abfärbte. Selbst das Mädchen neben ihr strahlte eine gewisse Sicherheit aus, dem Schrecken entkommen zu können. Dass einige vorwitzige Strähnen sich unter Dunias Heilerinnen-Haube hervorstahlen, schmälerte nichts. Sie nahm erneut Haltung an, so wie Madiha es gewohnt war.
"Nun, da du schon einmal hier bist, kannst du mir auch helfen. Wir müssen die Verletzten in Sicherheit bringen."
Wie sollte das möglich sein? Einige von ihnen konnten nur bedingt gut laufen. Sie würden es niemals über die Trümmer nach draußen schaffen. Dunia schien genau diese Fragen von Madihas Gesicht ablesen zu können. Sie beantwortete diese nicht, sondern zeigte zu einer Ecke des Krankenflügels. Dort führte eine breite Treppe in einen Kellerraum hinunter, wo Medikamente lagerten, die gekühlt werden mussten. Nicht alle Arzneien hielten sonst der sengenden Hitze Sarmas Stand. Madiha war nur ein einziges Mal in diesem Raum gewesen. Auch damals hatte sie nach Dunia gesucht und die Schwester hatte sie mit einem strengen Bellen zurück nach oben verbannt.
Jetzt forderte sie das Mädchen geradezu auf, die Stufen zu nehmen: "Schnapp dir einen Patienten und bring ihn herunter. Dann hol den nächsten. Und auch wenn sie vor Schmerz schreien, wir können darauf nun keine Rücksicht nehmen. Das Überleben jedes einzelnen ist nun wichtiger."
Und dann durchbrach eine Stimme die Situation im Krankenflügel, dass es Madiha einen heißkalten Schauer über den Rücken jagte. Warum hörte sie diese vertraute Klangfarbe immer dann, wenn die Lage aussichtslos schien? War Träger dieser Stimme ein Todesbote oder ein Abgesandter Retter irgendeiner Gottheit, die ihr Auge auf das Mädchen geworfen hatte? Warum war er hier? Warum jetzt und wie hatte er sie finden können? Seine Worten zerschmetterten diese Fragen, als klar wurde, dass er nicht gezielt nach ihr gesucht hatte.
"Dunia, wo bleibst du? Brauchst du Hilfe beim Transpo... Madiha, was machst du denn noch hier?!" Calebs Oberkörper folgte dem Kopf, als er die Stufen zum Kellerraum empor kam, ganz in schwarz und grau gekleidet mit Krummsäbeln, Messern und Wurfsternen bewaffnet und ... Blut an der Lederrüstung, die Lysanthors Licht zu schlucken drohte.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Montag 26. April 2021, 09:03

Madiha öffnete die Flügeltüren zum Krankenflügel und erwartete das Schlimmste. Sie hatte sich bereits den ganzen Weg über ausmalen müssen, wie Dunia einfach nicht da wäre, wie sie, Madiha, in einem Trümmerhaufen stünde und nicht wüsste, was sie dann tun sollte. Oder, dass Dunia da war aber schwer verletzt und Madiha ihr nicht würde helfen können. Oder vielleicht war die Pflegerin auch tödlich verletzt worden. Alles fand den Weg, durch Madiha’s Verstand, während sie den Weg von den Gärten zum Krankenflügel zurück lief. Der Weg war gespickt von einer unheilvollen Symphonie aus Lachen, Weinen und Schreien, die sich tief in Madiha’s Seele einbrannte. Sie würde, sollte sie überhaupt überleben, das niemals vergessen. Doch, auch wenn man es in einem Mädchen, wie Madiha, nicht vermutete, schaffte sie es all das in den Hintergrund zu drängen und voranzugehen. Nachdem sie endlich den Krankenflügel erreicht hatte, atmete sie gepresst aus, bevor sie die Türen öffnete und dem Unheil entgegen sah. Vor Überraschung, blieb sie auf der Schwelle stehen, nachdem sie Dunia gerufen hatte und sich bewusst wurde, über die Unversehrtheit der Station. Das Sklavenmädchen starrte mit offenem Mund auf die Szenerie und konnte nicht fassen, was sie vorfand. Alles hatte sie sich ausgemalt, doch das? Fast mechanisch ging sie hinein und die Vertrautheit umfing sie wie eine alte Freundin. Sofort spürte Madiha, wie sie ruhiger wurde, wie ihr Herz, nach der Angst und Anstrengung, ein paar Schläge ausließ, um sich auf ein niedrigeres Niveau zu besinnen. Langsam ging sie, begleitet von Donnerschlag-ähnlichen Geräuschen, die dumpf aus Sarma zu ihnen herüberschwappten, tiefer in den Raum hinein und strich gedankenverloren hier und dort über vertraute Schränkchen und Rollwagen, bis sie vor ihrem Schreibtisch stand. Hier war alles genau so, wie sie es zurückgelassen hatte. Obwohl, sie erkannte einige neue Aufgaben, die Dunia ihr wohl hergelegt hatte. Madiha strich sanft mit den Kuppen ihrer Finger über die Seiten, bevor sie die Bauchtänzerin entdeckte. Ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht, während sie die Finger nach der Lampe ausstreckte, um sie besser betrachten zu können. Madiha vergaß die Normalität in diesem Raum für einen Moment. Sie vergaß die bekannten Gesichter, der Patienten, die hier immer noch lagen, als wäre eben nicht geschehen, was geschah und als hätte sie sich eben nicht vielleicht für immer von Ilmy verabschiedet. Als hätte sie nicht gesehen, wie Menschen in allen Altersgruppen ihr Leben neben ihr verloren und das, obwohl sie Magier waren und sie selber nur der Straßenköter. Was wohl aus Palm geworden war? Ob er noch lebte? Wieso stellte sie sich diese Frage ausgerechnet jetzt? Madiha war wie in Watte gepackt und wollte aus der Geborgenheit des Alltäglichen, seit sie hier an der Akademie war, nicht mehr aufwachen. Es dauerte, bis sie ihren Namen hörte und allmählich auftauchte, um sich wieder mit der Realität anzufreunden. Erst dann spürte sie auch das Rütteln an ihrer Schulter. Verwirrt blickte der dunkle Schopf zu der Frau, die sie ansah, als wäre sie völlig falsch hier. „Dunia…“, kam es tonlos über ihre Lippen und sie war augenblicklich wieder im Jetzt.„Was.. was ICH hier?“, sie wandte den Kopf und schaute sich um. „Nein, was machst du hier noch?“, konterte sie und blickte zu dem Mädchen mit dem Kopfverband. Madiha runzelte die Stirn. Natürlich… die Patienten, Dunia würde sie nicht ihrem Schicksal überlassen, das hätte sie wissen können. „Die Schule brennt…“, gab Madiha dann leise, zugegebenermaßen etwas einfältig, preis und zeigte damit, dass sie nicht ganz Herr über die Lage war, wie Dunia offenbar. Ihre Vertraute hatte scheinbar zu jeder Lebenslage, die passende Emotion: Keine. Nichts konnte die Schwester, offenbar, erschüttern und nicht nur das, sie übertrug ihre Abgeklärtheit auch auf ihre Mietmenschen. Madiha spürte, wie ihre Unumstößlichkeit dazu führte, dass sich auch sie selber besser fühlte. Auch sie würde mit der Situation umgehen können, wenn sie nur ein wenig mehr wie Dunia wäre. Doch das war sie nicht. Sie war gar nichts, also tat sie alles nach ihrem Instinkt, nach ihrem Bauchgefühl. Sie wäre der Schwester sicher in die Arme gefallen, wenn sie erstens, alleine gewesen wären und zweitens Madiha in der Lage wäre, ihre Zuneigung über Körperkontakt auszudrücken. Bei Ilmy war das etwas anderes. Sie war so ängstlich gewesen, dass Madiha das Bedürfnis hatte, sie aufzubauen, bevor sie die falschen Worte wählte. Bei Dunia wäre es insofern anders, als dass sie ihr damit einfach nur ihre Zuneigung zeigte und dazu war Madiha noch lange nicht in der Lage. Der Impuls wurde ohnehin unterbrochen, als Dunia sie mit Aufgaben betraute. Die einstige Sklavin ließ kurz den Blick zwischen den Patienten und dem Abgang zum Keller wandern und runzelte die Stirn. „Aber Dunia wir müssen rau…“. Weiter kam das Mädchen nicht, die gerade ihrer Mentorin widersprechen wollte. In ihrem Eifer, hatte sie nicht bedacht, dass die Verletzten die Trümmer nicht überwinden konnten und doch spielte es jetzt keine Rolle mehr. Das, was während ihrer Worte folgte, ließ ihr ein regelrechtes Wechselbad der Gefühle über den Rücken jagen. Heiß, kalt und zurück zu heiß. War das möglich? War das wahr? Ihr Blick glitt in die Richtung, aus der die Worte gekrochen kamen. Wie war das möglich? Madiha starrte regelrecht auf den braunen Haarschopf, der sich langsam die Treppe empor schob. War er hier, um sie erneut zu retten? Wieso? Was verband sie denn mit ihm? Doch seine Worte sickerten dann auch in ihren Verstand. Madiha fuhr unwillkürlich zusammen, ob ihrer dummen Gedanken. Er war hier, um zu helfen. War doch klar. Doch dann runzelte sie die Stirn. Wieso war er hier, um zu helfen? Dunia sagte doch, sie kenne ihn nicht? Doch Madiha’s Gedanken wurden je unterbrochen, als sie den Dieb näher betrachtete. Er sah so anders aus, als in ihrer Erinnerung an die dunkle Zelle bei Khasib. Das Schwarz stand ihm irgendwie gut, auch wenn leise etwas in ihrem Hinterkopf kratzte, ehe seine Worte sie ins Jetzt zurückholten. Madiha klappte sprachlos der Mund auf, dann deutete sie auf Dunia, zurück auf ihn und die Verwirrung stand ihr mit Sicherheit ins Gesicht geschrieben. Dann packte sie jedoch das Mädchen, welches den Kopfverband trug, beherzt unterm Arm, um Dunias Anweisung auszuführen. „Wieso fragen mich alle, wieso ich noch hier bin?“, gab sie, etwas patziger, als sie eigentlich wollte, als Antwort und fand endlich ihre Stimme wieder.„Ich bin hier, um zu helfen.“, log sie halb, denn im Grunde ging es ihr um die Schwester. Doch sie würde selbstverständlich tun, was sie konnte und, dass Caleb nun hier war, veränderte die Situation erheblich. Warum auch immer. Sie kannte ihn ja gar nicht und überhaupt hatten sie sich nur einmal gesehen. Zweimal. Dreimal, wenn man es genau nahm, auch wenn sie vom letzten Mal, erst später erfuhr. Als sie sich langsam in Richtung Keller schob, das Mädchen stützend, bedachte Madiha den Dieb, wie er da stand, in seiner schwarz-grauen Rüstung, um die Hüften mit Waffen behängt, mit einem langen Blick. Die Angreifer… die, die sie in Sarma sehen konnte durch den Mauerspalt… sie waren schwarz gekleidet, oder nicht? Die dunklen Völker… Madiha wurde schlecht und blass, bei seinem Anblick. Kurz bevor sie sich auf der Treppe zum Keller in die Quere kommen würden, hielt das Mädchen inne. Ihre Augen ruhten auf seiner Brust. „Ist das dein Blut?“, fragte sie leise und verstand ihre Sorge dahinter nicht. Zum Einen, wollte sie ihn unverletzt wissen, weshalb auch immer. Zum Anderen aber und das wog in diesem Moment sehr viel mehr, wollte sie herausfinden, ob Caleb einer der Angreifer war. Ob er mit dafür verantwortlich war, dass Sarma brannte. Aber das konnte unmöglich sein, oder? Madiha wusste nicht, was sie mit diesem Mann verband, verstand nichts von Schicksal oder göttlichen Gesandten, sie wusste nur, dass sein Erscheinen und sein Aussehen sie mehr verwirrten, als die Unversehrtheit des Flügels und beides ihr gewisse Erleichterung, aber auch Sorge, verschaffte. Oh wie kompliziert war es doch geworden, das Leben bis hier her? Madiha senkte den Blick, als sie das Kopfverband-Mädchen dann alleine die Stufen hinunter steigen ließ. Madiha wusste nicht so recht, was sie denken sollte, also wandte sie sich zurück in den Raum, um den nächsten Patienten auszusuchen, dem sie hinunterhelfen konnte. Dabei drehte sich alles in ihrem Kopf. Wieso sich ihre Gefühle nicht recht entscheiden konnten, ergründete sie nicht und es gab jetzt auch so viel Wichtigeres, als die Verwirrung eines Sklavenmädchens. Trotzdem ließ sie den Blick Hilfesuchend auf Dunia ruhen. Konnte sie Madiha die dunkle Ahnung nehmen, die in ihr aufkam? Wollte Madiha bloß nicht sehen, was offensichtlich war oder erlag sie einer vollkommen falschen Annahme und alles löste sich in Wohlgefallen auf? Sie hoffte es… wieso? Woher sollte ein Gossenmädchen das bloß wissen.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 29. April 2021, 11:53

Es gab genug Menschen, die Dunias strengen Blick als unangenehm empfanden. Madiha zog daraus Sicherheit. Sie kannte die Schwester inzwischen gar nicht anders und sie wusste, dass hinter dieser kühlen Fassade einzig und allein nur eine geordnete Disziplin stand. Dass Dunia durchaus Emotionen besaß und sie auch zeigte - wenngleich sporadisch - hatte Madiha wie keine andere bereits erleben dürfen. Doch jetzt war die Pflegerin drauf und dran, ihr einige tadelnde Worte mitzuteilen, die allerdings in ihrer Kehle steckenblieben. Unausgesprochen und das war gut so. Das Mädchen war nicht einfältig, wie Dunia im ersten Moment stummen Entsetzens erkannte. Fast schon hatte sie gedacht, sich in dem Kind geirrt zu haben, als sie so schlicht mitteilte, dass die Akademie brannte und anschließend mit einer Spur von Impulsivität reagierte, weil man fragte, weshalb sie noch hier war. Jeder noch so vom Instinkt gesteuerte Tölpel hätte das Gebäude längst verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen! Es sei denn...
Ich bin hier, um zu helfen."
Etwas Neues trat in den Blick der Krankenschweste. Es schob die Strenge in den Hintergrund und breitete sich selbst gar auf die Stirn aus, die unter dem Runzeln einige Falten zog. Das war Überraschung, so offen und plötzlich erschienen, dass sie unmöglich gespielt sein konnte. Aber sie verweilte nicht lang. Auch diese Emotion wurde abgedrängt, fortgeschickt wie Strenge. Zurück blieb etwas, das Madiha vielleicht einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagte. Es sah an Dunia nämlich sehr befremdlich aus, wenn ihr Blick wärmer und ihre Züge weicher wurden.
Die Schwester schnaubte voll Hohn in Richtung des Mannes, den sie doch laut eigener Aussage überhaupt nicht kannte. "Magierin ... dass ich nicht lache."
Caleb neigte den Kopf, die Brauen fragend gehoben. Doch Dunia klärte ihn nicht auf. Stattdessen rief sie: "Sie will helfen!" Und dann wandte sie sich mit alter Strenge, mit vertrautem Ausdruck an Madiha, um ihr sofort einige Aufgaben mitzuteilen, was erledigt werden musste. "Sieh zu, dass du so viele Patienten wie möglich in den Keller bringst. Caleb wird sie dir abehmen. Arbeite schnell, aber nicht unachtsam. Einige der Verletzten hier dürfen nicht zu hastig bewegt werden." Sie selbst kehrte zu einem der Betten zurück, prüfte dann den Zustand des darin Liegenden und schlug die Decke beiseite, um ihn vorsichtig aufzurichten. Währenddessen traf ganz in der Nähe ein Gesteinsbrocken ein und erschütterte den Boden.
Madiha, die nun ihr Bestes gab, hatte dennoch alle Mühe, das Mädchen bis zu den Kellerstufen zu bringen. Sie pausierte, sobald sie dort angekommen war. Eine Erschütterung auf der Treppe könnte sie beide zu Fall bringen. Das war der unausgesprochene Vorwand. Tatsächlich aber nutzte sie die Gelegenheit, um Caleb ausgiebiger zu mustern. Sein Gesicht hatte sich nicht verändert. Weder der eigene Kerkeraufenthalt noch die jetzige Situation konnte dieses Glimmen in seinen Augen vertreiben. Eine Spur von Verwegenheit und vielleicht auch heroischer Selbstüberschätzung funkelte darin. Es brachte ihn zum Lächeln, ohne dass er auch nur einen Mundwinkel heben musste. Darum nämlich war die Mimik ernst, was deutlich zeigte, dass er dem Schrecken mit dem nötigen Respekt entgegen trat. Oder hatte er andere Pläne? Madiha fiel die grauschwarze Kleidung ebenso an ihm auf wie all die Waffen. Es weckte ein dumpfes Grummeln in ihrer Magengegend. Vor allem aber das Blut versetzte ihr ein flaues Gefühl, so dass sie nachfragen musste. Aber ganz gleich, wie die Antwort ausfiel, es sollte ihre Sorge nicht schmälern. Wäre Caleb verletzt, nahm es sie vermutlich ähnlich mit wie die Ungewissheit, ob er nicht einige Sarmaer auf dem Gewissen hatte.
Der Mann berührte seine Brust mit zwei Fingerspitzen, so dass sie sofort rötlich betupft waren. Er schaute nur flüchtig an sich herab. Dann lächelte er beschwichtigend. "Ich bin unverletzt. Und damit das so bleibt - nicht nur für mich - musst du dich jetzt beeilen. Schaffen wir die Verletzten und Schwachen nach unten. Vielleicht erkläre ich dir alles später." Vielleicht. Wenn genug Zeit war oder wenn er wirklich wollte? Auch das würde sich erst später zeigen können. Caleb und Dunia hatten Recht. Die Zeit war knapp bemessen. Niemand wusste, wann der nächste Steinschlag über sie niederfiel und ob er dann wirklich erneut den Krankenflügel verschonen würde. Dass er noch so unversehrt da stand, glich ohnehin einem Wunder! Oder hatte der Dieb da ebenfalls seine Finger im Spiel?
Madiha löste ihre Hände von dem fremden Mädchen. Caleb half ihr die breiten Stufen herab. Er folgte ihr sogar und platzierte sie unten auf einem von vielen Säcken. Dort saßen schon andere. Dann kehrte er zurück, um den nächsten Patienten in Empfang zu nehmen. So lief es, bis keines der Betten mehr belegt war. Die letzten beiden Personen hatten Dunia, Madiha und Caleb sogar tragen müssen, weil sie von allein nicht laufen konnten. Der eine war zu schwach und der andere lag wie Madiha einige Zeit selbst in einem tiefen Schmerzensschlaf.
Schwester Dunia bemerkte die Sorge ihres Schützlings kaum. Sie konnte sich nicht auf das Sklavenmädchen konzentrieren. Nicht jetzt. Es gab auch noch andere Menschen, deren Wohlbefinden sie sich verpflichtet hatte und diese kamen angesichts ihrer Hilfslosigkeit nun zuerst dran. Die Erschütterungen ließen langsam nach, dafür konnte man Rufe und Schreie immer gehäufter vernehmen und auch das metallische Hämmern von Klingen, die aufeinander trafen. Anscheinend waren die Angreifer nun in der Stadt. Sie hatten die Mauern überwunden. Es war nicht mehr nötig, sie mit Steingeschossen zu zerstören. Der Kampf fand jetzt in Sarma selbst statt.
Dunia atmete durch, als sie als letzte das kleine Kellergewölbe erreichte. Ihr Blick schweifte die Stufen empor.
"Hört sich an, als werden die Katapulte nicht mehr genutzt."
"Wir sollten trotzdem von hier verschwinden. Wir alle, Caleb."

Der Dieb rollte mit den Augen und nickte. "Ich nehme dich dazu, wenn ich mich für all die ungeladenen Gäste rechtfertigen muss."
"Tu das. Ich bin bereit, alles auf meine Kappe zu nehmen ... und jeden einzelnen daran zu erinnern, dass sie oder ihre Freunde es sein könnten."
"Dann befürchte ich nichts"
, erwiderte Caleb.
Das Gespräch war reichlich verwirrend. Sie wollten verschwinden? Mit allen? Aber sie saßen hier im Keller fest. Wenigstens musste niemand von ihnen jetzt befürchten, dass noch weitere Geschoss die Akademie treffen könnten. Es klang nicht mehr danach, als befände sich Sarma unter Beschuss. Das machte die Gesamtsituation aber nicht besser. Nach wie vor waren die Wüstenbewohner in Gefahr. Was hatten Caleb und Dunia nun vor? Sie saßen hier mit kampfunfähigen Personen in einem Kellerraum fest. Hier gab es nichts!
Dass das nicht stimmte, zeigte Caleb nun, als er ein Geheimnis offenbarte. Vorsichtig, aber mit kundigen Fingern tastete er eine halbwegs frei stehende Kellerwand ab. Er suchte nicht lange, drückte dann einen der Steine ein. Dieser gab nach. Zwei weitere folgten, einer knapp unter der Decke, der letzte halb verborgen von einem Holzeimer. Unter dem Schaben von Stein tat sich eine Fuge im Gemäuer auf. Sie erweiterte sich. Ein Teil der Wand schob sich beiseite und gab den Blick auf einen klaffenden Schlund in die Finsternis preis. Caleb zückte eine winzige Schachtel und im Nu war ein Zündholz entflammt, dass Madiha den sanften Geruch von Schwefel wahrnehmen konnte. Der Dieb betrat den Schlund. Wenige Momente später erhellte sich dort eine kleine Deckenlaterne. Dann erstrahlte eine weitere.
"Geh nicht zu weit voraus, Caleb. Wir dürfen uns nicht verirren und ich kenne den Weg nicht."
"Du nutzt ihn zu selten, Dunia. Aber ja, ich komme zurück. Wir müssen deine Patienten in den Gang schaffen. Dann schließe ich ihn und hole ein paar helfende Hände."
"Und Tragen, Caleb. Ohne eine oder zwei Baren wird es Stunden dauern, bis wir sie fortgebracht haben."
Der Dieb antwortete nur indirekt mit den wiederkehrenden Schritten. Gemeinsam mit Dunia trugen sie den Bewusstlosen über die Grenze der beiseite geschobenen Mauerwand. Dort legten sie ihn vorsichtig ab, ehe der nächste Patient in den schmalen Gang geführt wurde. Irgendwann wandte Dunia sich endlich an Madiha: "Du siehst noch munter aus. Mir wäre lieb, wenn du Caleb begleitest, während er einige Freunde holt. Bleib dich an ihm kleben, damit du dich im Gängesystem nicht verirrst. Ich warte hier mit den Patienten auf eure Rückkehr." Sie zögerte. "Deine Lesestunde verlagern wir auf später. Eil dich jetzt. Sei schnell wie ein Wüstenfuchs."
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Samstag 1. Mai 2021, 14:13

Madiha zog die Augenbrauen zusammen, als Dunia sie mit einem Ausdruck bedachte, der für das Mädchen unbekannt war. War das etwa Wärme da in ihren Augen? Und … diese entspannten Gesichtszüge – war das Milde? Madiha hatte kurz das Gefühl, dass Dunia jeden Augenblick umkippen könnte, weil sie ihre scharfe Miene nicht im Griff hatte. Sie verstand nicht, dass die Worte, die sie ausgesprochen hatte, dazu geführt haben und noch ehe sie die Gedanken dazu klarer fassen konnte, war es auch schon vorbei. Damit konnte sie jedenfalls leben, denn das kannte sie bereits. Schon in ihrem bisherigen Leben, konnte Madiha die Anfänge einer neuen Dienststelle nicht leiden, denn sie kannte sich nicht aus, wusste nicht was sie tun und lassen sollte und fühlte sich stets auf dem Prüfstand. Erst nach geraumer Zeit, stellte sich der Alltag ein und bettete das Mädchen in einen sicheren Hafen. Sie wusste dann, wo sie zu stehen hatte, was sie zu sagen hatte und hatte einen besseren Eindruck von ihren Herren erhalten, sodass sie das sehr wohl zu nutzen wusste, um ohne Bestrafung aus gewissen Situationen zu kommen. Madiha hatte gelernt, sich die Menschen anzuschauen, die sie nicht sahen, um sich im Falle des Falls auf ihre Einschätzungen und Beobachtungen berufen zu können. So fiel dem Mädchen auch auf, dass Dunia’s Stimme einen gewissen, höhnischen Unterton mit sich trug, als sie Caleb ansprach. Ihre Stirn zog sich in Falten bei ihren Worten. Hatte sie etwa nur vorgegeben, an Madiha zu glauben? Hatte sie sie vorgeführt, als sie sie zur Prüfung schickte, wie alle anderen? Das einstige Sklavenmädchen verstand nicht, was die Schwester damit sagen wollte und ihr blieb auch keine Zeit, es herauszufinden. Als sich Dunia erneut an Madiha wandte, war nichts von all den Erkenntnissen, die Madiha so eben erfahren hatte, zu sehen. Vor ihr stand die alte Dunia, ohne Hohn in der Stimme und Wärme in den Augen. Damit konnte die Dunkelhaarige umgehen und fühlte sich gleich wieder trittsicherer. Sie nickte schlicht, auf Dunia’s Anweisungen, wollte noch einwenden, dass sie verschwinden mussten, doch verstand Madiha auch, dass Dunia niemand war, der ihr anvertraute Menschen einfach so im Stich ließ. Also umfassten die schmalen Finger Madiha’s, den Arm des Mädchens und sie führte dieses in Richtung Caleb. Hier erschütterte erneut ein Steinschlag den Boden, sodass sie innehielt und den Mann musterte. Bei Tageslicht betrachtete, erkannte sie in seinen Augen ein seltsames Leuchten, das etwas in ihrem Nacken kitzelte, ohne dass sie wusste, woran das lag. Ihre Frage nach dem Blut, quittierte er mit einem flüchtigen Blick an sich hinunter und das braune Haar fiel ihm etwas ins Gesicht dabei. Als er den Blick erneut hob, heftete sich ihrer an seine Finger, bevor er das Wort an sie richtete. Madiha nickte auch hier, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte und biss sich auf die Zunge, um nicht noch mehr Fragen zu stellen. Sie überließ Caleb das Mädchen, sah ihnen für einen Moment nach, bis sie sich dann umdrehte und endlich die Arbeit in den Vordergrund stellte. Madiha suchte sich einen Patienten aus, der offenbar Verbrennungen an beiden Armen hatte, aber offenbar laufen konnte. Sie wies ihn an, sein Bett zu räumen, ließ ihn dann aber alleine zum Keller laufen, um sich bereits den nächsten Patienten zu widmen. Dunia und sie schafften es, einen nach dem anderen an Caleb zu übergeben, bis nur noch zwei übrig waren. Hier legten sie alle Hand an, denn sie waren nicht fähig alleine zu laufen. Während Dunia und Madiha jeweils ein Bein trugen, hatte Caleb den Oberkörper durch die Arme gegriffen und die Hände des Patienten vor der Brust verschränkt, um so einen sicheren Griff zu haben. Es gelang ihnen schnell und sicher, beide Bettlägerigen zu transportieren und kurz darauf stand Madiha am Treppenabsatz und sah sich noch mal um. Was nun? Was würde aus diesem Ort werden, wenn sie sich nun im Keller einschlossen? Würde er bestehen bleiben? Würde er eine Beständigkeit in ihrem Leben sein können? Madiha’s Gedanken wurden unterbrochen, als sie von draußen metallisches Klirren vernehmen konnte. Die Angreifer waren offenbar erfolgreicher, als geahnt und Dunia trieb Madiha mit strengem Blick die Treppe hinunter, um als Letzte ins Gewölbe einzutreten. Hier unten herrschte Zwielicht. Es gab nichts, außer Säcke und Fässer, hier und dort Leinen für die Verbände. Ansonsten war es reichlich eng, sodass Madiha etwas aufrutschte, als Dunia ebenfalls zu ihnen stieß. Der folgende Wortaustausch zwischen der Schwester und Caleb, verleitete Madiha dazu, zwischen den beiden hin und her zu blicken. Und wieder runzelte das Mädchen stumm die Stirn und konnte nicht recht erfassen, was die beiden miteinander zu schaffen hatten. Ihr war es ein Rätsel, wie vertraut die beiden miteinander wirkten, wenn Dunia ihr doch klar gesagt hatte, sie würde ihn nicht kennen. Hatte die Schwester sie bewusst belogen? Aber warum? Ihre Worte, die sie miteinander wechselten, zeugten davon, dass sie einander länger kannten, das konnte sogar Madiha erkennen. Ob sie Antworten erhalten würde? Caleb lenkte sie indes ab, als er sich erhob und zur Wand trat. Mit Staunen, was Madiha offen im Gesicht zur Schau stellte, starrte sie auf die Mauer, die offenbar keine war. Ihr Herz schlug schneller und Neugierde blitzte in ihren Augen auf. Madiha erhob sich und trat etwas an den Patienten vorbei, um in den finsteren Schlund blicken zu können. Caleb betrat die Finsternis und … verschwand, nur um kurz darauf im hellen Schein einiger Fackeln aufzutauchen. Erneut blitzte es erstaunt in den grau-blauen Augen des Mädchens. Sie hatte ja so viele Fragen, doch die Eile die über ihnen schwebte und erforderlich war, ließ sie stumm bleiben. Gewissenhaft half sie, die Patienten in den Geheimgang zu bringen und setzte sie behutsam gegen die Wand gelehnt ab. Als Dunia sie ansprach, hörte sie aufmerksam zu und konnte dennoch nicht verbergen, dass ein kurzer, ängstlicher Schatten, über ihr Gesicht huschte. „Ich?“, fragte sie leise und blickte zu Caleb, der sich gerade noch mit einem Patienten beschäftigte. „Bist du…“, sie musste nicht zu Ende sprechen, um zu wissen, dass Dunia sicher war. Ihr behagte das ganze nicht recht, weil sie immer noch dachte, dass Caleb auch einer von den Angreifern sein konnte. Was wusste sie denn von ihm? Gar nichts. „Ich.. ich passe auf.“, gab sie dann als Antwort auf Dunia’s Anweisungen und versuchte ein selbstbewusstes Lächeln, ehe sie sich dann über die Beine und Füße der Patienten hinweg, in Richtung Dieb bewegte. Als sie ihn erreichte, wäre sie fast gegen ihn gestoßen, was sie gerade sie verhinderte, indem sie das Gleichgewicht mit beiden Armen ausbalancierte und entschuldigend lächelte. Dann senkte sie den Blick und versuchte unbeteiligter zu wirken, als sie es war. Sie sollte Caleb durch ein verwirrendes Gängesystem irgendwohin folgen. Sie hatte keine Ahnung wer er war, was er war und wohin er sie bringen würde, doch Dunia, die sie mit einem letzten Blick bedachte, schien ihm zu vertrauen. Und sie vertraute der Schwester zumindest so weit, als dass sie nicht davon ausging, dass sie ihr schaden wollen würde. Niemand gab sich mit jemand anderes Mühe, wenn er sich nicht einen Nutzen oder Sympathie davon versprach. Dann ließ Madiha von Dunia ab und folgte Caleb gewissenhaft und stets darum bemüht, nicht zurück zu fallen. Sollte sie ihn ansprechen? Sollte sie jetzt eine Erklärung verlangen? Wie lange würden sie gehen? Madiha schluckte, besah sich die Gänge und versuchte sich instinktiv den Weg einzuprägen. „Wo sind wir hier?“, stellte sie, nach einer kleinen Weile, dann doch eine, von den hunderten Fragen die sie hatte. Sie konnte nicht anders, sie wollte wissen, was passierte und sie wollte vor allem wissen, wem sie hier wirklich folgte.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Dienstag 4. Mai 2021, 16:55

Wäre die Lage nicht so gefährlich, hätte Madiha vermutlich bereits gesprudelt wie ein Wasserfall, um all die Fragen beantwortet zu bekommen, die über sie hinweg fegten wie ein warmer Wüstenwind. Da vergaß man schon fast diesen Angriff auf Sarma, welcher ebenfalls Fragen aufwarf. Doch er war nicht so greifbar wie die Lage hier in dem Kellergewölbe der Krankenstation. Dass Teile Sarmas von Gesteinsbrocken zertrümmert worden waren, die durch die Luft geschleudert worden waren und dass der gesamte Himmel davon rötlich schimmerte ... es wirkte alles wie in einem seltsamen Traum, den Madiha nur als Außenstehende beobachtete. Hier unten aber, zwischen kaltem Gestein, Regalen, Säcken, Medizinervorräten und dem Wimmern der verängstigten Patienten, da konnte sie ganz andere Dinge erleben. Und obgleich ihr niemand auf die unausgesprochenen Fragen antwortete, so erkannte sie doch bereits, dass mehr hinter Schwester Dunia stecken musste als sie vorgab. Erinnerte sie sich zurück, so kamen ihr Palms mahnende Worte in den Sinn. Palm. Er war alles andere als freundlich zu ihr gewesen, dennoch hoffte das Mädchen, dass es auch ihm gut ging. Was hatte er vor einigen Wochen gesagt gehabt? Sein Vater war so gnädig gewesen, sie als Pflegerin in die Feuerakademie zu schicken anstatt in ein Bordell. Schwarze Spinne, das war der Name des Etablissements. Doch was hatten Bordelle mit Caleb zu tun? Stammte Dunia aus ähnlichen Gossenverhältnissen wie Madiha? Hatte auch sie versucht, den Mann zu bestehlen? Teilte sie ein ähnliches Schicksal wie ihr Schützling? Oh, so viele Fragen! Wenn doch nur der Zeitpunkt besser gewählt wäre!
Madiha erhielt keine Chance. Schwester Dunia wollte sie nicht einmal länger in ihrer Nähe wissen, sondern schickte sie mit Caleb mit, während sie bei den Verletzten und Kranken zurückbleiben wollte. Jene hatten die beiden Erwachsenen inzwischen in den schmalen Geheimgang befördert und dort nebeneinander an der Wand aufgereiht. So konnte Caleb den Zugang zu dem Tunnel wieder schließen. Das gab allein ein Gefühl von Sicherheit. Jemand müsste schon gezielt suchen, um die schmalen Fugen der Geheimtür zu entdecken und dann noch die richtigen Steine finden, die es zum Öffnen zu drücken galt. Sicherheit, vorerst.
Auch Madiha verspürte dieses Gefühl, schlug daher vor, bei Dunia zu bleiben. Die Fragen brannten unter ihren Fingernägeln, außerdem gab es da diese Ungewissheit gegenüber Caleb. Er und Dunia kannten sich. Die Schwester vertraute ihm scheinbar. Nun, zumindest vertraute sie ihm Madiha an! Doch er trug schwarz Kleidung, die noch dazu mit Blut besudelt war. Er war bewaffnet bis an die Zähne und würde er die Kapuze im Nacken überstreifen, sähe man von seinem Gesicht kaum noch etwas. So zogen sich diese dunklen Angreifer sicherlich auch an. Es bereitete der einstigen Sklavin Unbehagen. Sie wäre lieber bei Dunia geblieben. Die Schwester aber schmetterte ihre angebotene Unterstützung einfach ab.
"Du willst also aufpassen ... und dich sicherlich auch um die aufgeplatzte Naht von Naham hier kümmern. Oder um Alinia? Ihr Fieber steigt ob der Aufregung. Du weißt sicherlich, was zu tun ist." Die Frage war rhetorischer Natur und noch nie zuvor hatte Dunia so streng, ja fast schon höhnisch mit Madiha gesprochen. Sie funkelte das Mädchen sogar an und hätte Madiha eine mitfühlende Mutter gehabt, wär ihr dieser Blick sicher bekannt vorgekommen. So schauten Eltern, wenn sie keine Widerrede duldeten, weil sie wussten, was für ihren Sprössling das Beste war. Bei dem Mädchen könnte es andere Wirkung zeigen. Wer das zu erkennen schien, war Caleb, so dass er Madiha nur leicht am Oberarm berührte, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen.
"Schwester Dunia hetzt dich auf meine Flanken, damit du auf mich aufpasst", sagte er und zwinkerte über Madihas Kopf hinweg der Sarmaerin zu. Dunia zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sie entgegnete allerdings: "Zurecht. Du musst schnell Hilfe holen, Caleb und dich nicht wieder in Abenteuer verzetteln. Es ist wichtig."
"Jaja, schon gut."
Der Dieb winkte ab. Dann sah er noch einmal zu Madiha und beide zogen los. Nachdem sie der Tunnel einige Schritte in absolute Schwärze geführt hatte, in der Madiha genau auf die Schritte ihres Vordermannes achten musste, erhellten neue Laternen den steinernen Korridor. Das Mädchen erkannte gleich mehrere Tunnel, alle unteriridsch und aus Stein. Wenig Sand füllte die Fugen zwischen den Gesteinsplatten am Boden. Ein schwacher Luftzug sorgte dafür, dass niemand hier ersticken würde, brächte er eine Fackel in dieses schaurige Labyrinth.
"Bleib dicht bei mr. Wenn du mich verlierst, wirst du hier unten eher verhungern als einen Ausgang zu finden." Caleb bot Madiha sogar seine Hand zum Festhalten an. Ihre Frage beantwortete er nicht, jedenfalls nicht sofort. Doch da ihr Weg länger zu werden schien und die Stille nur von dumpfen Geräuschen über ihren Köpfen ein wenig ausgefüllt wurde, begann er irgendwann doch zu sprechen. Wie lange er mit einer Antwort auf sich warten ließ, war Madiha nicht bewusst. In diesen halbdunklen Gängen verlor man wahrlich jedes Zeitgefühl, von der Orientierung ganz zu schweigen. Wie viele Male waren sie bereits abgebogen? Und wie oft hatte Caleb einen Gang link und rechts eingeschlagen? Alles sah gleich aus! Wie fand er sich hier zurecht?
"Das ist das unterirdische Tunnelsystem des Bundes der Wüstendiebe. Jene, die dich damals hätten bestrafen sollen, weil du meinen Geldbeutel entwendet hast, ohne Teil der Gruppierung zu sein." Er grinste zu ihr zurück, da sie in dem schmalen Gang hintereinander gehen mussten. "Eigentlich darfst du nicht einmal das wissen, so als Außenstehende. Also verrate mich nicht, ja? Ich ... hatte und habe nämlichen icht vor, dich diesen langfringrigen Spinnern vorzuwerfen, damit du Teil des Bundes wirst." Wieder schaute er auf sie zurück, musterte sie. "Es hat sich bei dir keine Magie mehr gezeigt? Gar nichts?" Er seufzte aus und die nächsten, gemurmelten Worte galten wohl eher ihm selbst als ihr. "Na, das dürfte sich nun ohnehin erledigt haben. Das dunkle Volk hat die Stadt bereits sicherlich eingenommen. Für Menschen besteht das Überleben einzig darin, sich zu Sklaven zu machen." Und dieses Schicksal wollte er Madiha wohl ebenfalls nicht zumuten. Nicht erneut.
Caleb bog um die nächste Ecke. Der Gang wurde breiter. "Aha! Wir sind bald da. Der östliche Lagerposten. Dort kannst du dich etwas ausruhen, während ich Verstärkung zusammentrommle. Lauf aber nicht fort, verstanden? Die anderen Halunken sind nicht so freundlich wie ich."
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 5. Mai 2021, 21:11

Madiha zuckte zusammen, als Schwester Dunia ihr so vehement entgegnete und dabei fast schon höhnisch gegenüberstand. Das Mädchen klappte den Mund auf, weil sie sich verteidigen wollte, doch sprang ihr Caleb bereits zur Seite. Madiha bedachte den Dieb mit einem Seitenblick und nickte dann wortlos, während sie ihren Mund wieder zuklappte. Dennoch versetzten die Worte der Schwester ihr einen Stich und sie fragte sich, ob Dunia überhaupt etwas von ihr hielt, wo sie nun schon zum zweiten Mal über sie und mit ihr sprach, als hätten sie nicht die Nächte durchgemacht, um gemeinsam Madiha’s Wissenslücken aufzufüllen. Doch sie würde das nicht ansprechen. Es gab eine andere Zeit dafür, vielleicht, wenn der Alptraum, der ein Stück in den Hintergrund gerückt war, während sie im Kellergewölbe verweilten, Sarma aus seinen Fängen entließ und sie dann noch am Leben wären. Doch jetzt schluckte Madiha die Kröte und ließ den Kopf hängen, bis sie sich auf die Schritte Caleb's konzentrieren musste. Sie schob die Enttäuschung beiseite, sie hatte in ihrem Leben viel davon erfahren, es war nichts Neues für sie. Eine Taktik, um damit fertig zu werden war, sich einfach auf das nächste zu konzentrieren, die finsteren Gedanken gar nicht erst zu zulassen. Sie musste sich, bei dem Anblick der vielen Tunnel die alle gleich wirkten, gar nicht sonderlich anstrengen, abgelenkt zu werden und erneut trat das Staunen in ihr Gesicht. Sie versuchte zu ergründen, wie Caleb sich hier zurechtfand, wo doch einfach alles ganz genau gleich wirkte. Seine warnenden Worte nahm sie sich zu Herzen und als er ihr die Hand anbot zögerte sie den Bruchteil einer Sekunde, ergriff sie dann aber bis er sie losließ, weil die Enge es erforderlich machte, dass sie hintereinander gingen. Immer wieder versuchte die Sarmaerin etwas zu entdecken, was einen Hinweis auf die Unterschiedlichkeit der Gänge gab, doch sie musste sich auch beeilen, mit Caleb Schritt zu halten. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der nur ihre Schritte von den Wänden hallten, konnte Madiha auch das dumpfe Grollen und erstickte Rufe hören. Sie war hier unten, vorerst sicher… und die Menschen dort oben, die nicht so viel Glück hatten wie sie, verloren ihr Leben. Sie wurden abgeschlachtet und aus ihren Leben gerissen. Madiha schluckte bei den Gedanken und konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. Sie verstand den Angriff nicht, hatte nicht mal ansatzweise mit so etwas gerechnet. In ihrem Leben gab es so etwas wie Kriege nicht, denn hinter den palastähnlichen Mauern der Villen in Sarma, gab es nur das süße Leben – für die, die darin wohnten und nicht arbeiteten. Trotzdem war Madiha’s Welt so klein, dass sie sich über solche Machtverhältnisse und Politik keinerlei Gedanken machte. Bei jedem Grollen, bei jedem dumpfen Schrei, überzog sie eine Gänsehaut, sodass sie glaubte zu frieren. Erst Calebs Stimme riss sie aus ihren Überlegungen. Bei seinen Erklärungen, schaute sie sich abermals neugierig um. „Entwenden wollte. Hätte ich ihn schon gehabt, hättest du mich nicht mehr erwischt", prophezeite sie und grinste ihm ebenfalls zu, als er sich umwandte. Ihr fiel das Gespräch in der Zelle ein und sie lächelte abermals stumm vor sich hin. Es musste dem Zufall wirklich gefallen, dass Caleb erneut in ihr Leben trat. Konnte man sein ganzes Leben lang mit jemandem verbunden sein? Nun, Madiha würde derzeit wohl mit „Ja" antworten, denn der Wüstendieb aus Andunie war der beste Beweis dafür. Seine nächsten Worte ließen sie allerdings kurz die Schultern zucken. „Es wäre das erste Sinnvolle in meinem Leben, einer Gemeinschaft anzugehören.“, nuschelte Madiha und hatte nur eine sehr vage Vorstellung, was das für ihr Leben bedeuten könnte. Vermutlich steckte so viel mehr, was sie nicht durchschaute, dahinter, dass sie es gut sein ließ und seinem Urteil dahingehend vertraute. Trotzdem bedachte sie seinen Rücken mit Blicken: „Bist du dann auch ein langfingriger Spinner? Sollte ich mich lieber fernhalten?“. Er konnte hören, dass sie grinste und es damit halb so ernst meinte. Madiha war immer noch unsicher was Caleb betraf, doch seine Art wirkte beruhigend auf sie und schon in der Zelle hatte er ihr, ohne weiteres, ihre Lebensgeschichte aus der Nase gezogen. Vielleicht war das seine Stärke. Sie konnte jedenfalls nicht umhin festzustellen, dass sie ihm trotz allem, Vertrauen entgegen brachte. Wie viel und für was, würde sich noch zeigen, doch er hatte etwas an sich, was sie ruhiger werden ließ. Seine Frage rief jedoch Schatten auf ihrem Gesicht hervor. „Nein, bisher nicht. Ich hab mich aber auch nie wieder so gefühlt, wie damals..vermutlich hat Dunia Recht und ich bin zu Unrecht hier gewesen..“, verriet sie ihm ihre Gedanken und versuchte das Thema mit einem Schulterzucken zu vermeiden. Es war ihr unangenehm, warum wusste sie nicht. Dann hörte sie jedoch, wie er vor sich hin redete und von dem selben Volk, wie der ältere Schüler, sprach. „Wer sind die? Was wollen die hier?“, fragte Madiha unvermittelt neugierig und schloss etwas dichter zu ihm auf. Dass sie, sollte sie gefasst werden, wieder zur Sklavin werden könnte, ließ sie etwas Farbe im Gesicht verlieren. Doch sie weigerte sich, darüber nachzudenken und hoffte, dass Caleb ihr mehr Antworten geben konnte. „Caleb, ich habe gesehen wie die Vermummten durch die Stadt zogen.. dunkle Gestalten.. ganz in..“, sie nahm ihren Mut zusammen: „ganz in schwarz..“, es klang etwas anklagend und unsicher zugleich. Sollte Caleb zu den Angreifern gehören, wäre es sicherlich nicht klug, ihn danach zu fragen, ob er etwas damit zu tun hatte. Doch seine Aussagen und seine Taten, suggerierten der Siebzehnjährigen etwas anderes und so wollte sie es von ihm einfach hören, dass er nicht zu ihnen zählte. Sie musste es hören, sonst würde das leichte Magenziehen nicht verschwinden. Sie bogen um die nächste Ecke und endlich wurde der Gang wieder breiter, sodass Madiha weiter zu ihm anschloss und sich neben ihm einpendelte. Seine Anweisungen quittierte sie mit einem Nicken. Ihr fiel dabei eine Strähne ins Gesicht und erinnerte sie daran, wie sie am frühen Morgen noch vor dem Spiegel stand und ihr Haar von Dunia zurechtmachen ließ, um vorzeigbar für die Prüfung zu sein. Sie fasste mit zitternden Fingern danach und strich sie zurück, doch sie fiel immer wieder nach vorne. Madiha spürte, wie in ihr Panik aufkommen wollte, als ihr Verstand sie zwang, sich daran zu erinnern, was während der Prüfung passierte. Ihr Herz klopfte immer schneller in ihrer Brust, doch sie zwang sich, Caleb weiter zu folgen und nicht darüber nachzudenken. Der Schock hatte auch sie fest im Griff und trotzdem schaffte Madiha es, dem Dieb bis zum östlichen Lagerposten zu folgen. Etwas mehr außer Atem, als sie es hätte sein müssen, schaute sie sich um. Ihre Hand hatte sie kurz gegen ihre Brust gepresst, als würde das, das galoppierende Herz beruhigen und sie ließ ihren Blick wandern, versuchte alles zu entdecken. Bis sie mit ihrem Blick zurück bei Caleb war. „Ich werde warten.“, versicherte sie ihm gehorsam und suchte dann etwas, zum Hinsetzen. Bevor der Dieb verschwinden konnte, wandte sie sich trotzdem noch mal an ihn: „Vergiss mich nicht, ja?“, sie klang tatsächlich etwas ängstlich, dass er nicht wiederkommen könnte. Sie wurde sich dessen bewusst und räusperte sich. „Sonst hätte ich Schwester Dunia's Aufgabe nicht erfüllt…“, sie zwang sich zu lächeln und hätte ihn gerne nach seiner Verbindung zu ihr gefragt. Überhaupt tauchten all die Fragen wieder auf. Ob es irgendwann Gelegenheit geben würde? Sie wollte so viel erfahren.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Freitag 7. Mai 2021, 15:20

Ihre Hand wirkte so winzig in Calebs Pranke. Zart, mit schmalen Fingern, aber keiner davon so gepflegt, dass man sie für eine Adlige hätte halten können. Nein, dafür hatte Madiha in ihrem Leben schon viel zu oft und hart angepackt. Ihre Finger besaßen Schwielen, Narben und immer noch gelegentlich Schmutz unter den Nägeln. Aber sie fühlten sich nicht so rau an wie Calebs Hände. Der Mann könnte mit diesen Pranken spielend leicht ihren Hals zudrücken, wenn er gewollt hätte. Aber vielleicht war ihm das schon bei anderen gelungen.
Da Madiha keine erkennbaren Orientierungszeichen an den Steinwänden der Tunnel ausmachen konnte, kehrte ihr Blick auf die schwarze Kleidung ihres Vordermanns zurück. Und wieder erinnerte sie sich der Parallelen zu den dunklen Völkern, welche über ihren Köpfen wer-wusste-schon-was mit Sarma anrichteten. Was geschah da nur mit ihrer Heimat? Wie einfach war die Welt gewesen, bevor sie um ihr Leben hatte bangen müssen und dann doch in die Akademie hinein gerettet worden war. Sicher, es hatte sich um kein sehr gutes Leben gehandelt. Missbrauch, Gewalt und Arbeit bis zur vollständigen Erschöpfung standen damals für Madiha an der Tagesordnung, aber wenigstens war ihre kleine, heile Welt dabei geblieben. Sie hatte keine Kriege fürchten müssen, sondern höchstens die harsche Hand ihres Herrn, wenn sie ihn nicht hatte zufriedenstellen können. Es war nicht perfekt gewesen, aber überschaubar. Die täglichen Rituale und Strukturen hatten ihr Halt gegeben. Indem sich nun von außen Fremde in das Leben aller Sarmaer einmischten, hatte man die Mauern ihrer kleinen Welt gesprengt. Schlimmer noch! Diese dunklen Völker wagten es, mit den Überresten nach allem zu werfen, was sie als Feindbild zu sehen schienen.
Und Madiha hörte die Schreie. Selbst die Dämpfung der dicken Wände und der Decke konnten nicht verhindern, dass sie sie hörte. Jede einzelne schrille Ton einer verängstigten Frau, jedes Aufschreien von Kindern oder der von Schmerz verzerrte Todesschrei eines niedergestreckten Mannes bescherten ihr eisige Schauer. Andererseits war da noch diese makabre Erleichterung im eigenen Herzen. Erleichterung, dass es jemand anderen traf. Der Überlebensinstinkt schlug schaurige Richtungen ein.
Auch Caleb führte es erneut um eine Ecke. Um sich abzulenken, setzte Madiha das Gespräch mit ihm fort. So erfuhr Caleb, dass sie durchaus in Erwägung gezogen hatte, ein Teil der Wüstendiebe zu sein. Oder wenigstens Teil irgendeiner Gemeinschaft. Sie fing den Blick des Diebes auf. Er nickte sacht, murmelte etwas, das Madiha aber nicht verstand. Die Sprache war Garmisch, das wusste sie. Manchmal unterhielten angereiste Händler aus Andunie sich so und mussten dann auf Celcianisch wechseln, weil nicht alle Sarmaer Garmisch beherrschten. Aber was die Laute genau bedeuteten, war ihr vollkommen fremd.
"Genau deshalb hab ich dich doch in eine Akademie geschleppt. Eine Gemeinschaft von wissensdurstigen, aufgeweckten ... ach, lassen wir das. Keine Magierin, wirklich zu schade..." Wenigstens wechselte Caleb zurück ins Sendli, um Madiha zu antworten. "He, ich habe eine zum Tode Verurteilte in einer Nacht- und Nebelaktion aus Sarmas Wüstensand gegraben, durch die halbe Stadt geschleppt und in die Akademie der gefürchteten Cassandra geschleust. Wenn ich kein Spinner bin, dann weiß ich auch nicht!" Er grinste zurück, hob seine freie Hand und nun konnte Madiha wirklich sehen, wie groß seine Pranken waren. "Aber lange Finger? Nur bedingt, hm? Dafür sind sie zu stämmig." Er lachte auf. Ein seltsamer Laut inmitten eines unterirdischen Labyrinths, über dem gerade eine ganze Stadt in Schutt und Asche erobert wurde. Das Lachen schwand jedoch schnell, als die Stimmung kippte. Madiha war keine Magierin, jedenfalls glaubte sie das. Denn wenn sie rational darüber nachdachte, wäre ihr aufgefallen, dass ihre Prüfung bisher nicht wirklich stattgefunden hatte. Noch stand alles offen, aber ihre Hoffnung schwand. Sie gehörte nicht in die Akademie. Selbst Dunia hatte es gesagt. Sie besaß keine Daseinsberechtigung unter den Magie-Schülern. "Mein Fehler", entgegnete der Dieb vor ihr. Dieses Mal blickte er nicht nach hinten, sondern musterte kurz eine der Steinwände, ließ den Finger über zwei unscheinbare Risse wandern und schlug dann den Weg links ein. "Ich hätte dich Dunia nicht überlassen sollen. Die Alte ist so streng, da vergeht dir jeglicher Spaß." Er meinte es nicht vollkommen ernst. Es klang vielmehr so, als neckte er eine alte Freundin und vielleicht waren sie beide das auch? Dunia und Caleb - Freunde? Wenn ja, hatte die Pflegerin Madiha wirklich belogen. "Aber nun bist du ja erstmal wieder unterwegs. Wir alle müssen schauen, wie es weitergeht. Niemand hat mit dem Angriff von denen gerechnet." Caleb sprach von "denen". Er zählte sich nicht dazu. Das war der erste unscheinbare Hinweis an Madiha, noch Hoffnung in den Dieb zu haben, aber sie erkannte es nicht gleich. Stattdessen hielt sie sich nicht mehr zurück. Sie musste es wissen. Sie musste wissen, ob sie ihm weiterhin so vertrauen konnte wie bisher oder ob auch er hier nur ein Lügenspiel trieb wie Dunia es mutmaßlich getan hatte.
Caleb blieb plötzlich stehen, um den Blick wiederholt nach hinten zu richten. Er musterte Madiha lang. Zu lang. Eine unangenehme Stille entstand. "Kennst du die Geschichte von der Schlange und dem Skorpion? Nein, vermutlich nicht, denn ich denke sie mir gerade aus - ignorier deshalb Logiklücken, in Ordnung? Gut. Die Wüste Sar hält viele Wesen bereit. Kamele, Echsen, Fenneke, aber auch Schlangen und Skorpione. Bei beiden Letzteren gibt es giftige Varianten. Die sind meistens schwarz, also hält man sich von beiden fern. Trotzdem jagen sie nicht zusammen, im Gegenteil. Sie bekämpfen sich - vielleicht mit ähnlichen Mitteln, aber bis auf das und ihre gemeinsame Farbvorliebe haben sie nicht miteinander gemein. Verstehst du?" Wieder musterte er sie, dann rieb er sich mit zwei Fingern am Kinn entlang. "Vielleicht auch nicht. Was soll's. Ich überlege mir eine bessere Moralgeschichte, wenn wir am Ziel sind." Unter einem Schulterzucken setzte er anschließend den Weg fort, den beide schweigend bestritten, bis sie den von Caleb so genannten östlichen Lagerposten erreichten.
Falls Madiha Großes erwartet hatte, wurde sie enttäuscht. Man konnte es nicht einmal ein richtiges Lager nennen. Zunächst endete deer Gang nämlich nur vor einer verstärkten Tür. Licht drang durch die Ritzen zwischen Holz und Boden. Caleb positionierte sich davor und klopfte. Sofort öffnete sich eine kleine Guckluke in der Tür. Sie war vergittert, so dass ein ungebetener Besucher nicht einmal dort hindurchgreifen konnte.
"Passwort?", fragte eine tiefe und bei Leibe nicht angenehme Stimme von der anderen Seite. Dessen Besitzer musste sich Jahre langem Konsum von Tabak hingegeben haben, so kratzig klang er. Außerdem hustete er einmal, dass Madiha glaubte, seine Lungenflügel um Hilfe rufen hören zu können.
Mit reichlich Selbstbewusstsein und eine Lässigkeit, mit der er eundeutig dem Mädchen hinter sich imponieren wollte, lehnte Caleb sich gegen die Tür und sagte: "Maulesel!"
"Nö"
, gab die Stimme von der anderen Seite zurück. "Das war das Passwort von letzter Woche. Ich hoffe, du hast auch das Neue. Hoffe ich. Für dich. Ansonsten kommst du hier nicht rein, Kumpel."
Caleb kratzte sich den Kopf, fuhr dann unter einem gedehnten Stöhnen durch sein Haar, räusperte sich und rieb erneut sein Kinn. Selbst der flüchtige Blick zurück zu Madiha half nicht. Sie konnte das Passwort nicht wissen. Der Dieb spazierte kurz den Gang auf und ab, doch als der Mann von jenseits der Tür die Luke wieder schließen sollte, stürzte Caleb gegen das Holz und rief lauthals: "Achjaaaa, richtig! Feigenschnaps ist es heute! Feigenschnaps, Feigenschnaps! Jetzt lass uns rein."
"Bah, nicht so laut. Und du schimpfst dich einen Dieb."
"Den Besten"
, entgegnete Caleb, erntete spöttisches Schnaufen und dann wurde die Tür entriegelt. Caleb langte erneut nach Madihas Hand, um sie in den Lagerposten zu ziehen. Eigentlich handelte es sich dabei um wirklich nichts Besonderes. Vielmehr war es nur eine Kreuzung diverser Gänge, die nahezu sternförmig hier zusammenliefen. Jeder von ihnen wurde durch eine mit Eisen verstärkte Tür gesichert und hinter jeder dieser Türen fand sich eine mit Pfählen gespickte Barrikade, um unbefugten Eindringlingen das Leben kurz zu machen, sollten sie euphorisch ins Innere stürmen. Zentral hob sich die Decke etwas aus, so dass man von einem richtigen Raum im Zentrum des Lagers sprechen konnte. Hier fanden sich einige Säcke und Sitzkissen, die um ein Lagerfeuer platziert worden waren. Die Feuerstelle befand sich in einer quadratischen Vertiefung im Boden. Der Rauch zog über ein schmales Rohr im Gestein ab. Wo jenes Rohr endete, war nicht ersichtlich. Über dem Feuer und an einem hölzernen Dreibein aufgehängt brodelte eindeutig Kaffee in einer schwarzen Kanne. Madiha konnte sofort dessen Duft ausmachen.
Um das Feuer herum saßen insgesamt vier Gestalten. Sie alle waren ähnlich schwarz gekleidet wie Caleb, trugen hier und da mal etwas Farbe in Form eines Tuches oder des Turbans auf dem Kopf mit sich. Im Gegensatz zu ihm waren sie jedoch nur mit Krummsäbeln bewaffnet. Der Mann, der Caleb und Madiha eingelassen hatte, verriegelte die Tür wieder hinter ihnen und ging zu der Feuerstelle.
"Kaffee?", fragte er beide, als er sich auf einem Sack niederließ. Sein Nebenmann - deutlich schlanker und mit krausigem, schwarzen Bart - suchte bereits zwei Tontassen hervor. Der Türschließer richtete das Wort wieder an Caleb: "Handel oder Flucht?"
"Weder noch"
, erwiderte der Wüstendieb. "Habe mein Töchterchen abgeholt und suche einen passenden Unterschlupf für sie. Dann geht's wieder nach oben. Ich will sehen, wie schlimm es Sarma erwischt hat."
"Tochter? Die Kleine da?"
Der Schließer zeigte mit einem groben Finger auf Madiha. An seiner Hand fehlte der kleine Finger. "Wusste gar nicht, dass du schon gevögelt hast, alter Haudegen. Dachte, du wärst noch Jungfrau, bwaahaha ... wie heißt'n das Gör?"
"Ma..."
Caleb blickte zu seiner mutmaßlichen Tochter herüber, befeuchtete seine Lippen und setzte neu an. "Made", sagte er. Der Blick, den er erntete, war eindeutig.
"Made?"
"Kommt von Mädchen, klar? Verurteile nicht meine Kreativität!"
"Kann ich nicht, wenn sie nicht vorhanden ist."
Beide Männer lachten auf.
"Also, hast du eienn Unterschlupf für meine Kleine?"
"Maden kommen am besten im Speck unter..."

Caleb stöhnte auf. Er klang irgendwie verärgert. "Hast du einen besseren Unterschlupf als ... dort?"
"Scheiße, Mann, was willst du? Sarma wird angegriffen und du erwartest, dass ich den knackigen Arsch deiner Made auf einem Samtkissen bette, hä? Dann müsstest du mich schon bestechen, aber wie ich hörte, ist dir in letzter Zeit das Geld ausgegangen. Sei froh, dass wir überhaupt 'n Platz zum Verstecken haben. Noch scheint niemand unsere Zugänge gefunden zu haben."

Caleb knurrte. Madiha konnte feststellen, dass er die Schultern hängen ließ. Dann sah er zu ihr herüber. "Sieht so aus, als lernst du die ... Gemeinschaft doch noch kennen. Es sei denn, du willst einen Rückzieher machen. Aber dann muss ich dich mitnehmen. Nach ... da oben." Die Entscheidung lag nun bei ihr.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 7. Mai 2021, 22:27

Was Madiha derzeit erlebte, war so viel mehr, als die schiere Grausamkeit dessen, was sich über ihrem Kopf abspielte. Es war ein ständiges Auftauchen aus dem Sumpf, der einmal ihr Leben gewesen war. Im Sekundentakt wurde ihre Welt neu geformt, ihr Horizont weit aufgerissen und sie musste lernen, mit dem Neuen, was ihr da entgegen schwappte, fertig zu werden. 17 Jahre lang, hat sie nur das Nötigste an Wissen erhalten. Sie hatte gelernt niemals Fragen zu stellen, sich nicht in Angelegenheiten einzumischen, die sie nichts angingen und sie lernte ihren Wert kennen. Niemand hatte ihr jemals das Gefühl gegeben, etwas Besonderes oder Wichtiges zu sein und dass sie sich zwar stets vorstellte, wie ein Leben für sie aussehen könnte, änderte daran nichts. Als Caleb ihre Hand griff, spürte das Mädchen deutlich die raue Haut und zuckte dennoch nicht zurück. Sie spürte nur die Berührung, die Sicherheit, die seine Finger, ob beabsichtigt oder nicht, bei ihr auslösten. Ihr Blick ruhte eine ganze Zeit auf ihren Händen und in ihr regte sich ganz weit verborgen ein seltsames Gefühl. Sie konnte nicht sehen, dass diese Hände vermutlich töten konnten, sie konnte nicht wissen, was er alles damit anstellen konnte und angestellt hatte, für sie gab es in diesem Moment nur das flüchtige Gefühl von Geborgenheit. So etwas wie unschuldige, körperliche Nähe, hatte es in ihrem Leben nicht gegeben und diese Entbehrung führte dazu, dass Madiha das Gefühl, welches in ihr aufkeimte, vielleicht viel zu sehr mochte. Ihr Herz klopfte für einige Augenblicke schneller, noch schneller, als durch die Schrecken der vergangenen Stunden ausgelöst. Zusätzlich spürte sie dieses eigenartige und bisher unbekannte Gefühl von Erleichterung. Erleichterung, dass sie hier war, bei Caleb, dass Dunia unversehrt war, dass sie lebten und hier in Sicherheit sein würden. Plötzlich durchzuckte sie ein Stich: Ilmy..! Sie durfte Ilmy nicht vergessen! Sie musste den Dieb bei Gelegenheit nach ihr fragen, musste ihr Versprechen halten, um Strand zu kommen. Oh Ilmy... halte durch, schickte sie ein Stoßgebet zu wem auch immer und hoffte, dass die Magierin unversehrt war. Sie schämte sich ihrer Gedanken in Sicherheit zu sein, während Ilmy vielleicht Todesangst hatte und alleine war. Doch sie wurde davon etwas abgebracht, als Caleb in einer ihr unbekannten Sprache murmelte. Erst nach ein paar Worten, war sie sich sicher, dass es Garmisch sein musste. Verständnislos sah sie den Dieb an, bevor er in Sendli weiter sprach. Die Worte entlockten der Sklavin ein Lächeln und sie schüttelte langsam den Kopf. „Einem Spinner, dem ich mein Leben verdanke. Zum zweiten Mal.“, ihre Stimme war leise. Sie drückte kurz mit ihrer Hand zu, als würde dies reichen, damit er verstand, dass sie ihm dankte. Aufmerksam beobachtete sie kurz darauf, wie er mit zwei Fingern an der Wand entlang fuhr. Als er von ihr abließ, erkannte sie zwei Kerben darin und hätte sicherlich den Gedanken zu Ende geführt, wenn sie nicht abgebogen und er weiter gesprochen hätte. „Woher kennst du Dunia?“, kam es unvermittelt von ihr und sie fragte sich selber, woher sie den Enthusiasmus hatte. Doch die Frage brannte ihr ohnehin schon lange auf der Seele und da ergriff sie die Chance, als er die Sprache auf die Schwester brachte. Dann jedoch entschied sich der Dieb stehen zu bleiben. Eine lange Pause entstand und Madiha zog etwas den Kopf unter seinem Blick ein, senkte immer wieder die Augen, da sie ihm nicht standhalten konnte. Erst als er das Wort mit seiner Geschichte an sie richtete, hob Madiha den Blick und hörte aufmerksam zu. Die Geschichte war etwas verworren, doch sie hob einen Mundwinkel, als er geendet hatte. Caleb hatte ihr den entscheidenden Hinweis schon gegeben. Er zählte sich nicht zu den Angreifern und seine Geschichte verriet ihr einiges mehr. „Ich verstehe, denke ich.“ Er gehörte nicht zu den Angreifern, das war für sie erstmal wichtiger. Die Tatsache, dass er sich als ebenso gefährlich einstufte, würde sie sicher noch hinterfragen wollen, sobald die Zeit dafür reif wäre. Jetzt aber sagte ihr ihr Gefühl, dass sie nicht weiter nachhaken sollte, denn sie hatten einen Auftrag und Dunia wartete mit mehreren Patienten, denen es allen nicht gut gehen konnte, wenn sie zu lange ausharren mussten. Es dauerte nicht mehr lange, da endete der Gang und Madiha erkannte eine Holztür. Neugierig lugte sie an Caleb vorbei, als dieser klopfte und ein schnarrendes Geräusch ein Paar Augen freilegte. Die Stimme jagte ihr einen kurzen Schauer über den Rücken und das Husten löste kurz etwas in ihrem Magen aus, bevor ihr Blick auf Caleb fiel. Als der Krächzer an der Tür nach einem Passwort verlangte, war sie von der Geheimnistuerei schon beeindruckt und auch davon, wie Caleb sich gab. Erst als er das falsche Passwort nannte, verdeckte sie mit einer Hand ihren Mund, um ein Lachen zu unterdrücken. Es war gar nicht höhnisch, spottend oder herabsetzend, es war vielleicht einfach der Umstand, wie selbstsicher Caleb gewesen war, um dann auf die Nase zu fallen. Als er ihr einen Blick zu warf, hob sie entschuldigend die Schultern und folgte ihm mit den Augen, als er auf und ab wanderte. Plötzlich stürzte er vor und nannte im letzten Augenblick das richtige Wort. Madiha’s Augen strahlten, da die Situation an sich sie amüsiert hatte und etwas Leichtigkeit trat auf das entstellte Gesicht. Sie folgte dem Dieb hinein in den östlichen Lagerposten. Beim Eintreten schlug ihr sofort der prägnante Duft von Kaffee entgegen doch darüber hinaus musterte sie den Einlasser, nickte ihm knapp und eingeschüchtert zu, bevor sie die Augen durch den Raum wandern ließ. Staunend bedachte sie die Details und hob sogar den Kopf in den Nacken, um hinauf zur Decke, und zum Lüftungsschacht sehen zu können. Sie nahm die Szenerie in sich auf, sah die Gestalten, um das Feuer sitzen, bemerkte, dass sie ähnlich aussahen, wie Caleb und erkannte die abgehenden Gänge und die Fallen. Madiha war beeindruckt. Sie fragte sich, ob das Leben im Verborgenen so schlecht war, wie Caleb sie vermuten ließ. Er war immerhin seit 13 Jahren bei ihnen. Ob es nicht vielleicht aufregend und spannend wäre wenn man, so wie Caleb, Zugangspasswörter kannte und sich dadurch ungesehen bewegen konnte. Sie folgte Caleb langsam, drehte sich beim Umsehen einmal um die eigene Achse und kam dann etwas versetzt hinter ihm, zum Stehen. Als sie nach Kaffee gefragt wurde, hob sie beide Augenbrauen. Gemacht hatte sie welchen. Getrunken noch nie. Er war den betuchten Herren vorbehalten gewesen und Madiha zögerte kurz, nickte dann aber. Wieso nicht? Während sie eine Tontasse entgegen nahm, vorsichtig, da sie heiß war und über den Rand pustete, lauschte sie dem Gespräch, das sich fortsetzte. Sie nippte vorsichtig an ihrem Kaffee und als Caleb seine dreiste Lüge offenbarte, prustete sie den Kaffee auf den Boden, hustete und hob entschuldigend eine Hand. „Ekelhaftes Zeug.“, gab sie als Ausrede an und ließ sich den Kaffee wieder abnehmen. Caleb hatte das Mädchen überrascht. Seine Tochter?! War das sein ernst?! Fiel dem Mann nichts Besseres ein? Doch sie schwieg, brachte ihn nicht in Verlegenheit. Der folgende Wortaustausch verunsicherte sie dann doch. Die direkte Beschreibung ihres Hinterns, ließ Madiha sich an das erinnern, was sie war: Freiwild. Für jeden Mann, der es wollte, denn sie war nur eine Frau. Das Mädchen trat kaum bemerkbar einen halben Schritt weiter hinter Caleb und versuchte mit ihren Armen ihren Körper so gut es ging abzuschirmen. Sie fühlte sich mit einem Mal nackt und war bemüht, den Blick nicht irgendwem zu widmen, der es vielleicht als Aufforderung interpretieren konnte. Der Name, der ihr plötzlich gegeben wurde, ließ sie dann doch den Blick heben. Sie musste sich stark zusammenreißen, den Dieb nicht ungläubig anzusehen. Wieso dieses Spiel? Sie kannte doch niemand? Caleb wirkte indes nicht zufrieden mit den Möglichkeiten, die er genannt bekam. Offenbar hatte er sich etwas anderes erhofft und nun überließ er ihr die Entscheidung. Sie sah von einem zum Anderen und musste überlegen, versuchte die Optionen zu überblicken, was sie nicht konnte. Madiha war leicht überfordert mit dieser Entscheidung. Wann hatte sie jemals jemand gefragt, was sie wollte? Woher sollte sie das wissen? Wollte Caleb nicht Hilfe für Dunia holen? War das nicht der Grund, weshalb sie hier waren? Madiha räusperte sich, damit sie ihre Stimme etwas festigte. Ihr blieb nur die einige Möglichkeit zu entscheiden: Auf Grundlage ihres Gefühls: „Ehm.. Vater…, betonte sie zischend und nickte dann mit dem Kopf zur Seite, damit sie sich etwas abseits der anderen unterhalten konnten. Leise meinte sie dann: „Was ist mit der Hilfe für.. du weißt schon?“, es war nur ein Gefühl, dass sie Dunia nicht nannte. Caleb spielte Scharade und daher hielt sie es für klüger, sich dem etwas anzupassen. „Und dass du dich nicht in Abenteuer verstricken sollst?“, hakte sie leise murmelnd nach. Dann sah sie über ihre Schulter zu den Gesellen, die ums Feuer saßen. Wie sollte sie hier bleiben? Wie sollte sie denen vertrauen, sie wusste rein gar nichts von ihnen. Und Caleb hatte selbst gesagt, dass er sie nicht in der Nähe der Wüstendiebe wissen wollte. „Ich bleibe sicher nicht hier. Ich vertraue ihnen nicht.“, meinte sie bestimmt. Sie drehte den Kopf, um den Dieb wieder anzusehen. Lange ruhte ihr grau-blauer Blick auf ihm und es war fast so, als wollte sie ihm etwas anderes sagen, doch sie meinte nur:"Ich komme mit.“. Ihr Ausdruck im Gesicht war entschlossen, doch ebenso verschlossen. Sie wollte Caleb nicht zeigen, dass sie sich unwohl, dass sie sich nicht sicher, fühlte. Sie würde die Ungewissheit dessen, was sie sehen würde, der Ungewissheit, was diese Männer vielleicht im Sinn hatten, vorziehen.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Sonntag 9. Mai 2021, 08:24

Das eigene Gewissen war ein unangenehmer Geselle und eigentlich niemand, mit dem man befreundet sein wollte. Unzuverlässig war er, kam und ging wie es ihm passte. Manchmal blieb er wegen Kleinigkeiten über Wochen schwer auf dem Herzen haften, dann aber schien er wie vom Erdboden verschwunden, wenn man vor einer größeren und meist fatalen Entscheidung stand. Am schlimmsten an ihm war jedoch, dass er sich wie aus dem Nichts plötzlich meldete. Unaufgefordert stand er nicht nur vor der Schwelle der eigenen Seele, sondern platzte direkt noch mit der Tür ins Haus. So kam es, dass er sich endlich auch wieder bei Madiha blicken ließ. Lachend und mit einem Blitzen in den Augen piekte er mit spitzen Fingern gegen ihr Herz und schmierte die Wände ihres Bewusstseins voll. Überall stand dort ein Name, tropfte mit noch frischer Farbe zu Boden und formte sich dort zu den gleichen Lettern. Ilmy.
Madiha hatte ihre Freundin - oder das, was sich langsam zu einer Freundschaft aufbaute - allein zurückgelassen. Sie hatte sie gen Strand geschickt mit dem Versprechen, zu ihr zu kommen, sobald sie um Dunias Sicherheit wüsste. War das Versprechen schon gebrochen? Nein, denn noch brauchte Schwester Dunia Hilfe. Sie selbst nicht, sie hätte längst und sicherlich erfolgreich entkommen können. Aber ihre Patienten ließ sie nicht allein. In dieser Hinsicht unterschied sie sich von Madiha, welche die einzige andere Person der Akademie zurückgelassen hatte, die nett zu ihr gewesen war. Schwer lastete Ilmys Name auf ihrem Gemüt und hätte Caleb sie nicht abgelenkt, so wäre das Gewissen wohl noch eine Weile im Vordergrund geblieben. So aber entschied es sich, erst einmal Madihas Vorräte zu durchforsten und es sich auf dem Sofa ihrer Seele bequem zu machen. Es würde still beobachten, bis der Zeitpunkt für den nächsten großen Auftritt gekommen war. Bis dahin hatte das Mädchen Zeit, sich um eigene Belange zu kümmern. Nach wie vor waren ihre Gedanken bei Dunias Sicherheit und der ihrer Patienten. Erneut fragte sie sich, ob die Pflegerin wirklich gelogen hatte und erkannte, dass sie mit Schweigen keine Antwort erhielt. Also hakte sie zur Abwechslung bei Caleb nach. Dunia hatte das Thema schnell beiseite geschafft. Wie würde der Dieb auf ihre Frage antworten?
"Woher ich Dunia kenne? Hab damals dafür bezahlt, mit ihr die Nacht verbringen zu können. Hat sich gelohnt, kann ich dir sagen. Oh und wie es sich gelohnt hat!"
Direkt und offenbar ehrlich. Das klang nicht nach einer Lügengeschichte, die Caleb ihr da auftischte. Vielmehr plauderte er offen aus dem Nähkästchen, was nicht gerade von Vorteil war, wenn man sich einen Dieb schimpfte. Wie konnte er so lange in der Unterwelt bestehen? Vermutlich mit Charme, denn den besaß der Ältere durchaus. Das und eine gehörige Portion, sich selbst gern sprechen zu hören. Er plapperte, wurde kreativ und nutzte leicht sinnfreie Geschichten, um seine Antworten auszuschmücken. Ein solcher Mann konnte nicht schlecht sein. Wenigstens las Madiha zwischen den Zeilen, dass er nicht Teil der Angreifer war, nur weil auch er Schwarz als Farbe für seine Kleidung bevorzugte. Das erleichterte sie und sie konnte etwas beschwingter ihren Weg fortsetzen. Jener führte sie bis in das östliche Lager. Dort bestätigte sich erneut Madihas Annahme, wie sehr Caleb daran hing, sich Geschichten auszudenken und sie ordentlich mit Unwahrheiten zu spicken. Plötzlich galt sie als seine Tochter, hieß Made und sollte sich entscheiden, ob sie lieber hier im Lagerposten blieb oder mit ihm an die Oberfläche kam. Caleb hatte über all seine Tricksereien wohl vergessen, worum es eigentlich ging. So machte sie ihren "Vater" auf sich aufmerksam und sprach kurz unter vier Augen mit ihm.
Caleb grinste sie offen an. "Gefällt dir die Vorstellung?", fragte er. Oh, er hatte Dunia wirklich längst vergessen. Vielmehr tobte er sich in seiner eigenes gewebten Geschichte aus. Dieser Mann besaß die Aufmerksamkeitsspanne eines Kolibris. Flatterhaft, das passte. Trotzdem wirkte er so ruhig, so überzeugt von sich und seiner Art, die Dinge anzugehen.
Madiha aber hatte nicht bei ihm, sondern bei Dunia gelernt. Sie rief sich dessen Aufforderung, Perfektion an den Tag zu legen, zurück ins Gedächtnis, womit auch das Pflichtbewusstsein kam. So erinnerte sie Caleb an die gemeinsame Aufgabe. Der Dieb stutzte. Dann starrte er Madiha an, dass man ihn zwischen eine Herde Ochsen hätte stellen können, ohne dass er aufgefallen wäre.
Plötzlich lachte er auf, sogar laut genug, dass die versammelten Diebe es mitbekamen. Ihre Blicke richteten sich auf ihn. Caleb klopfte Madiha die Schulter und wandte sich wieder dem Lagerzentrum zu. Nun ließ er sich auch einen Kaffee reichen. "Ihr habt die Made gehört, sie hält sich lieber da auf, wo's sicher ist."
"Maden gehören in den Speck"
, erwiderte der Bärtige.
"Hast du mich gerade fett genannt? Das sind alles Muskeln!" Caleb deutete auf sich. Die Kleidung lag eng am Körper und nichts davon sah unförmig aus, als würden unter dem Stoff verschwitzte Speckrollen warten. Im Gegenteil. Er schien durchtrainiert genug zu sein, um locker die eine oder andere Fassade erklimmen zu können. Der Bärtige winkte ab und endlich erinnerte Caleb sich an seine Aufgabe. Madiha sei Dank!
"Ich nehm das Mädel mit nach oben, also kann sie mir nicht als Botin dienen. Das muss einer von euch übernehmen. Am Zugang im Krankenflügel der Feuerakademie wartet unsere Schwester Dunia. Sie braucht Hilfe, einige Verletzte und Kranke fortzuschaffen."
Die Männer tauschten nicht einmal Blicke aus. Sie nickten nur. Niemand schlug Calebs Forderung aus. So setzte er fort: "Der Bote soll gleich Verstärkung dorthin mitnehmen und anschließend ... hm ... unser Lazarett ist ziemlich weit weg von hier."
"Unterschlupf 29 könnte genügen."

Caleb nickte eifrig. "Ja, Unterschlupf 29 hat viele SChlafstätten und einige medizinische Vorräte. Das sollte Dunia ausreichen."
"Wir holen uns einfach noch einen Heilkundigen."
"Ich verlass mich auf euch."
"Wie lange ist deine Liste an Gefallen inzwischen, die du dem Bündnis schuldest?"

Caleb lachte auf und wedelte hastig mit der Hand. "Du glaubst, in dreizehn Jahren sammelt sich nur eine einzige Liste an? Berge, mein Freund! Ganze Bibliotheken füllen meine Listen!"
"Das ... ist nichts, womit man prahlen könnte."
"Oh doch, ich kann!"
Ohne Vorwarnung griff Caleb wieder nach Madihas Hand. Er drückte sie sogar einmal leicht, um zu signalisieren, dass sie gleich weitergehen würden. Der Abschied zu den Männern des Lagers fiel knapp aus. Sie nickten einander nur noch einmal zu. Dann erhob sich einer von ihnen, um durch eine der vielen Türen zu verschwinden. Madiha konnte nur hoffen, dass er jetzt wirklich den Boten spielte und Verstärkung holte. Caleb hingegen zog sie wirklich mit sich und durch die nächste Tür. Es war nicht jene, aus der sie gekommen waren. Sobald sie im Gang waren und der Schließer seiner Pflicht nachgekommen war, meinte der Dieb: "Wenn ich sage, dass du dich verstecken sollst, dann gehorchst du und versteckst dich. Da oben ist's aktuell mehr als gefährlich. Trotzdem will ich mal nachsehen. Vielleicht finden wir heraus, was die dunklen Völker hier wirklich wollen. Sarma erobern? Wohl kaum, ha!"
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 9. Mai 2021, 20:40

Seit das Gewissen die einstige Sklavin gepiekt hatte, war es Ilmys Name, der ihr immer wieder in den Nacken biss. Sie musste schnell nach einer Möglichkeit suchen, ihrer… Bekannten zu helfen denn das pausbäckige Mädchen hatte es nicht verdient, dass man sie hängen ließ. Doch bevor Madiha sich damit auseinandersetzen konnte, brauchte sie ihre Augen, Ohren und Gedanken in diesem Moment. Sollte sie den Anschluss verlieren, könnte sie Caleb's Lügenkonstrukt niederreißen, ohne zu wissen, was das für Konsequenzen hätte. Caleb’s Worte rissen sie aus der Düsternis ihrer Gedanken und sie musste einfach die Frage nach Dunia und ihm stellen. Die Antwort ließ Madiha völlig ratlos zurück. Mehr noch, die Bedeutung der Worte sickerte nur langsam in ihren Verstand und als sie davon getroffen wurde, entkam ihr nur ein erstauntes „Oh", und rötliche Flecken traten auf ihre Wangen. Caleb’s schonungslose Art, brachte Madiha in Verlegenheit. Sie hakte nicht weiter nach. Aus Scham, nicht aus dem Grund, dass sie nicht noch mehr erfahren wollte, was Dunia anging. Es zeigte die Schwester in einem völlig anderem Licht, doch Madiha wollte auch nicht undankbar sein und so beließ sie es dabei. Während die Steinwände ohne nennenswerte Unregelmäßigkeiten weiter an ihr vorbei schwirrten, während sie Caleb folgte, dachte sie auch daran, dass Caleb selbst in einem anderen Licht erschien. Wie alt mochte er sein? Mitte, Ende 30? Und Dunia? Wie alt war sie? Dich Madiha seufzte innerlich, denn sie brauchte gewiss nicht danach zu fragen, ob das Alter bei bestimmten Tätigkeiten eine Rolle spielten. Der einzige Unterschied war, dass die Schwester dafür Geld bekommen hatte. Und man Madiha die Hälfte ihres Lebens dazu zwang. Oder hatte Dunia gar nicht freiwillig gehandelt? Oh ihre Neugierde, geboren aus so viel Unwissenheit und Naivität, wollte einfach keine Ruhe geben. Gut war es da, dass sie und der Dieb, das gewünschte Ziel erreichten. Doch was sie hier erwartete, hätte Madiha sich nicht mal vorstellen können, wenn sie nur die geringste Ahnung von irgendetwas gehabt hätte. Wenn ihre Fantasie sie verleitet hätte , angeregt durch Geschichten und Bücher die es in ihren Leben nicht gab. So aber wurde sie unvorbereitet erwischt, als Caleb seine Lügengeschichte erzählte, verschüttete hustend den Kaffee, um den Dieb dann etwas zur Seite zu nehmen. Seine Frage ließ sie die Lippen schürzen. „Die Vorstellung, du wärst mein Vater? Oder deine Vorstellung hier?“, fragte sie und hob beide Augenbrauen. Madiha hatte keine bessere Antwort. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt und sich bisher mit diesem Thema auch nicht auseinandergesetzt. Dass Caleb es nicht war, lag auf der Hand. Madiha konzentrierte sich auf Dunia’s Aufgabe und sie fragte den Dieb direkt danach. Er schien tatsächlich vergessen zu haben, um was es hier ging, warum Madiha ihn überhaupt begleitete. Madiha konnte nicht nachvollziehen, wie er so lapidar mit seinem Auftrag umgehen konnte. Es ging doch um mehrere Menschenleben? Konnte er das einfach ausblenden? Für was? Eine Show? Das Sklavenmädchen kam mit der Leichtigkeit des Diebes nicht mit. Sie hatte nie die Chance gehabt, sich gehen zu lassen oder sich nicht zu fokussieren. Nun, bei dem Akt selbst, in Khasib’s Diensten, da schaltete sie tatsächlich ab. Da hatte sie versucht sich weit zurück zu ziehen, um nichts zu spüren. Was niemals geklappt hatte. Doch jetzt? Jetzt war ihrer Ansicht nach überhaupt nicht der Zeitpunkt, nachlässig zu sein. Es ging um Dunia. Sie brauchte Hilfe und verließ sich auf die beiden. Madiha konnte das zumindest nicht vergessen, ebenso wenig wie Ilmy. Das Lachen des Diebes, riss das Mädchen aus ihren Gedanken. Sie spürte den Klopfer auf ihrer Schulter und wandte sich ebenfalls um, um die anderen Anwesenden zu betrachten. Sie lächelte schief, wollte Caleb beipflichten, nickte immer wieder und tat so, als wäre das Ganze unheimlich witzig. Die Erleichterung darüber, dass er sich dann doch daran erinnerte, was sie Dunia versprochen hatten, erhellte ihre Miene dann auch ehrlicher. Ihr Blick folgte, als Caleb auf sich selber deutete, während es darum ging, ob er ein paar Pfunde zu viel oder nicht hatte. Ihr Blick blieb etwas zu lange an ihm hängen und eine kleine, fiese vorwitzige Neugierde, kitzelte sie im Hinterstübchen und beschleunigte abermals ihren Herzschlag. Doch bevor die Neugierde ans Licht kommen und sie in Schwierigkeiten bringen konnte, suchte Caleb endlich die Hilfe der Diebe und bekam sie klaglos. Die folgenden Worte, schwappten über Madiha hinweg, ohne, dass sie etwas damit anfangen konnte und sie folgte lediglich dem Gespräch, indem sie immer von einem zum anderen schaute. Dann, ganz unerwartet, spürte sie wieder die Hand des Diebes an ihrer und der leichte Druck dahinter, ließ Madiha in die Runde lächeln. „Hat mich gefreut.“, gab sie höflich von sich und folgte ihrem vermeintlichen Vater durch eine andere Tür. Erst als sich diese hinter ihnen schloss und sie wieder im Gang waren, atmete die einstige Sklavin die Anspannung aus. Ihr Blick fiel zurück auf die Tür, sie hoffte so sehr, dass sich see Bote beeilen und Dunia entlasten würde. Seine ernsten Worte, die er an sie richtete, ließen Madiha nicken. „Ich werde tun, was du sagst!“, gelobte sie in bester Absicht und schaute zu ihm auf. Fragend war ihre Miene und nachdenklich dazu: „Werden sie tun, worum du sie gebeten hast? Bekommst du Schwierigkeiten, weil du ihnen Gefallen schuldest?“, hakte Madiha nach und bedachte den Dieb mit einem sorgenvollen Blick. Doch bevor Caleb weiterlaufen konnte, hielt sie ihn, mit der Hand sie er umfasste, kurz auf: „Da ist ein Mädchen, aus der Akademie. Ich habe ihr versprochen, zum Strand zu kommen, sobald Dunia wohlauf und in Sicherheit wäre. Sie… sie hat schreckliche Angst, Caleb. Sie wartet in den Höhlen am Strand.. kann, meinst du.. also“, sie druckste rum und verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den nächsten: „Meinst du, ich könnte den Dieben einen Gefallen schuldig sein, wenn sie jemanden hätten, der nach ihr sieht und sie in Sicherheit bringt?“, sie schluckte und wusste nicht, ob sie sich gerade lächerlich machte. „Ich.. ich habe kein Geld, aber.. vielleicht, vielleicht kann ich etwas anderes tun, damit sie mir helfen?“. Madiha biss sich auf die Unterlippe und sah Caleb unsicher an. Sie wusste nicht, ob ihr Vorschlag völlig utopisch war oder ob die Diebe überhaupt ihre „Währung", eines Gefallens, akzeptieren würden, doch sie hatte es Ilmy versprochen und wenn sie nicht selber kommen konnte, dann musste sie alles dafür tun, dass jemand anderes ihr half. Madiha wusste nicht ob und was ein Mädchen wie sie überhaupt bieten konnte, doch sie musste es versuchen. Und wenn jemand das in die Wege leiten konnte, dann er, Caleb.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 13. Mai 2021, 15:16

Unter den Ärmsten der Armen galt es. Beim lichtscheuen Gesindel und dem Gossengesocks war es Gang und Gäbe. Auch Madiha hatte es kennengelernt. Die Rede war von Zweckgemeinschaften. Das war es, was sie kannte. Freundschaft war nur ein Wort. Damit konnte niemand etwas anfangen, der nichts hatte, aber Zweckgemeinschaften halfen weiter, wenn das Leben härter war als so mancher Kanten Brot, den man sich ergaunern konnte. Im Grunde waren solche Zusammenschlüsse von Vorteil, denn in Gruppen kam man weiter. Gemeinsam erreichte man die Ziele aller. Das Problem bei Zweckgemeinschaften war jedoch, dass niemand dem anderen beistand, wenn es brenzlig wurde. Dann galt, dass sich jeder selbst der nächste ist. Von Gemeinschaft konnte keine Rede mehr sein, sobald die Probleme in Relation zum erreichbaren Zweck Überhand nahmen.
Madiha kannte diese unausgesprochenen Regelungen. Dieses Mal wollte sie es anders machen. Sie und Ilmy bildeten keine Zweckgemeinschaft, aber wie standen die beiden Mädchen zueinander? Diese Frage konnte sie sich nicht beantworten. Dass sie die pummelige Magier-Elevin aber nicht im Stich lassen wollte, das wusste sie. Es ließ ihr keine Ruhe mehr. Sie musste Ilmy helfen.
Trotz ihrer Gewissensbisse rückten diese Gedanken allerdings erst einmal in den Hintergrund. Instinktiv wusste sie, dass sie niemandem beistehen konnte, wenn sie sich nicht zuerst selbst half. Wenn sie ihr und Calebs Lügengebilde irgendwo ins Straucheln brachte, würde das aufgebaute Kartenhaus einstürzen. Das wäre gefährlich, also musste Madiha ihre Konzentration auf das Hier und Jetzt lenken. Wobei es vielleicht besser gewesen wäre, weiter in Grübeleien zu schwelgen angesichts der Information, die sie nun über Caleb und Dunia erfuhr. Die Schwester und er hatten... Caleb hatte dafür gezahlt, also...
Ohne weiter nachzuhaken, würde Madiha keine Antworten erhalten, aber die Scham verhinderte, dass sie Caleb nun mit Fragen zu seinem Liebesleben löcherte. Der Begriff an sich war auch so verwirrend und befremdlich wie Freundschaft. Was hatte ein Leben mit Liebe zu tun, in dem man entweder gezwungen wurde, seinen Körper herzugeben oder aber immerhin Geld dafür erhielt? Vielleicht wüsste Dunia mehr, doch sie war aktuell nicht in Reichweite von Madiha ungestillter Neugier.
Der einzige, der noch bei ihr war, blieb ihr selbsternannter Vater. Wie er gegrinst hatte, als sie ihm mit der Gegenfrage begegnet war, ob ihr die Vorstellung über seine Rolle als Vater oder seine Lügenzunge gefiel. Seine Antwort hallte mit den Schritten in dem halbdunklen Tunnel in ihren Ohren nach. "Beides", hatte er gesagt. Wünschte Caleb sich vielleicht eine Tochter? Eine wie Madiha? Oder hatte er nud Spaß daran, möglichst jeden an der Nase herum zu führen? Letzteres schien wahrscheinlicher, denn in all seinem Eifer, die perfekte Lüge aufzubauen, hatte er ja auch schon vergessen gehabt, dass Dunia Hilfe brauchte. Hätte Madiha ihn nicht beiseite gezogen und nochmal darauf aufmerksam gemacht, wäre sie möglicherweise denselben Weg mit ihm durch die Korridore gehuscht, aber ohne dass ein Bote für Verstärkung losgeschickt worden wäre. Caleb hätte sich seinen eigenen Vorhaben gewidmet. Er hätte Dunia vergessen. Zweckgemeinschaften existierten. Freundschaften nicht. Dennoch begleitete das Mädchen den Dieb weiterhin und war bereit, ihm zu vertrauen - in einem gewissen Rahmen. Im Moment weit genug, nicht zurückzubleiben, denn sie wusste, dass sie sich in den Gängen allein nur verlaufen und sterben würde. Nach wie vor hatte sie nicht einen Ansatz, an dem Caleb die Orientierung in diesem unterirdischen System behielt. Doch seine Schritte waren zielstrebig. Er wusste, wann er wo abbiegen wollte und wechselte nicht ein einziges Mal die Richtung, weil er sich vertan hatte.
Es gab zwei Momente, da sie umkehren und einen anderen Weg einschlagen mussten. Beim Ersten war es ein eingestürzter Gang. Die Trümmer hätte niemand mehr fortschaffen können. Vermutlich musste irgendwo über dieser Stelle eines der Steingeschosse eingeschlagen sein, durch das nicht nur alles über dem Tunnel zerstört worden war, sondern sich auch als Barrikade ins Erdreich gegraben hatte.
Das andere Mal war deutlich gefährlicher gewesen. Ganz plötzlich, aus dem Nichts heraus, hatte Caleb angehalten und mit einem kräftigen Ruck Madiha dicht an sich gezogen, dass sie das kalte Leder seiner diversenen Klingenscheiden und die Wurfsterne an seinem schräg liegenden Brusthalfter am Gesicht spüren konnte. Außerdem hatte sie Calebs Eigengeruch aufgenommen. Eine sarmaer Mischung aus dem feinen Hauch von Männerschweiß, einer Prise Wüstensand, dem Kaffee des Lagerpostens und einer süßlichen Note, die Madiha nicht hatte ergründen können. Dafür war auch keine Zeit geblieben, denn über ihnen waren die Schreie und Rufe einer fremden Sprache laut geworden. Wären Caleb und sie dem Gang weiter gefolgt, hätte man sie vielleicht entdeckt. Dem Wüstendieb war es zu heikel gewesen. Er hatte nicht nur einen anderen Weg eingeschlagen, sondern Madiha auch eine spezielle Vorrichtugn präsentiert. Mit seichtem Druck an einem von einer Untergrundwurzel umrahmten Felsklotz war auf einmal eine bewegliche Mauer aus der Seite des Ganges gefahren und hatte den Tunnel mit massivem Stein versperrt. Unter einem Nicken hatte Caleb dann wieder ihre Hand ergriffen und war abgezogen.
Nun waren sie schon eine ganze Weile gelaufen. Zeitgefühl und Orientierung waren für die einstige Sklavin dahin. Stattdessen wuchs ihre Anspannung. Auf ihre Fragen vom Zeitpunkt ihres Aufbruchs hatte Caleb immer noch nicht geantwortet. Selbst er war vorsichtig, wenn über seinem Kopf Gefahr drohte. Manchmal hörte man sie durch die Decke hindurch. Die Schreie und Schläge waren teilweise so heftig, dass Sand von dort aus in den Gang rieselte. Nun aber war es ruhig. Nicht nur das, aus dem jetzigen Korridor strömte Madiha eine angenehm warme laue Brise entgegen, die den Duft von Rauschkräutern und heißem Orangen-Tee mit sich trug. Selbst eine Sklavin wusste, dass man derlei Aromen nur im Sultansviertel oder auf dem Markt vorfinden konnte, wenn dort einer der reichen Pfeffersäcke exotische Waren aus aller Welt feilbot. Angesichts des Angriffs konnte man aber wohl eher auf das Sultansviertel schließen. Madiha und Caleb mussten sich direkt unter den herrschaftlichen Anwesen der Reichen. Fetten und Korrupten befinden.
Hier war es ruhig. Keine Schreie, keine Kampfgeräusche. Entweder war das Viertel längst eingenommen, dem Erdboden gleichgemacht oder vollkommen evakuiert worden. Caleb nahm die Ruhe zum Anlass, im Gang anzuhalten und sich sogar mit dem Rücken gegen die Wand zu lehnen. Wenig später rutschte er daran herunter auf den Hosenboden. Mit der freien Hand klopfte er einladend neben sich.
"Ruhen wir uns einen Moment aus. Dann kann ich dir auch endlich deine Fragen beantworten." Er musterte Madiha. "Neugierig bist du ja, das muss man dir lassen. Das hast du bestimmt von mir geerbt." Er grinste schief auf. Anschließend streckte er die Beine aus und prüfte der Reihe nach seine vorhandene Bewaffnung. Die Bewegungen waren so fließend, dass wenig Zweifel darin bestand, dass es für Caleb zum Ritual geworden war. Es beruhigte ihn offensichtlich, nacheinander die Klingen zu ziehen, sie in der Hand zu drehen und ihre Schärfe zu prüfen, ehe er sie wieder wegsteckte. Ohne aufzusehen sprach er zu Madiha: "Lass mich nachdenken. Du wolltest wissen, ob die Halunken vom Lagerposten wirklich Verstärkung holen und zu Dunia schicken werden. Ja, ich glaube, das war deine erste Frage. Sie sollte auch die erste sein, so wichtig wie es ist." Er nickte. "Die Antwort lautet: ja. Natürlich werden sie Hilfe holen. Dunia ist ebenso ein Mitglied wie ich. Das Bündnis lässt niemanden im Stich ... meistens." Er lachte gehässig auf, ging aber nicht näher darauf ein. "Ärger und offene Gefallen habe ich über die Jahre so viele angehäuft, dass es auf etwas mehr nicht ankommt. Mach dir keine Sorgen. Jedenfalls nicht darum." Er schaute endlich auf und hoch zur Decke. "Worum wir uns wirklich sorgen müssen ist das, was da oben vor sich geht. Wir befinden uns jetzt im Sultansviertel. Von dort ist es nicht weit bis zum Stadttor, aber da hinaus sollten wir nicht fliehen. Zu gefährlich, weil die Angreifer das sicher gestürmt haben." Er kratzte sich am Kopf. "Außerdem müssen wir ja deiner kleinen Freundin helfen. Wie hieß sie noch? Irma? Keine Angst, das machen wir. Im Armenvietel gibt es einen geheimen Ausgang in die Wüste. Wir können uns von dort bis zur Küste schleichen und dann nach deiner Freundin suchen." Mit einem Mal wurde er ernst. Er senkte den Blick, richtete ihn auf Madiha wie vorhin bei ihrem Aufbruch. Oh, wie schnell seine Stimmung umschlagen konnte! Er war eindeutig nicht immer so sorglos, wie er sich gab. Vieles beschäftigte diesen Mann, aber in den meisten Fällen verbarg er es hinter seiner Stirn. Sein Tonfall war scharf, als er sagte: "Du wirst keinen Handel mit dem Bund der Wüstendiebe eingehen, hast du verstanden? Kein Geld, kein Tausch und erst Recht keine Gefallen. Und keine Widerrede - mir gegenüber, meine ich. Als dein Vater verbiete ich dir, ohne meine Anwesenheit Hilfe von den Wüstendieben zu erbitten." Er bemerkte selbst, dass er hier eine Grenze überschritten hatte. Unter einem Seufzen legte er den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Für einen Moment war er wieder so verschwiegen wie ein Sangrab.
"Wir finden deine Freundin auch ohne die Diebe. Hab ein bisschen Vertrauen in meine Fähigkeiten. Ich krieg das schon hin ... und dann bring ich euch beide in Sicherheit."
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Freitag 14. Mai 2021, 13:27

Madiha verstand nichts von Liebe. Sie hatte weder die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind kennengelernt, noch die Liebe zwischen Mann und Frau oder die Liebe, die man für eine Sache hegen konnte. Das Mädchen kannte käufliche Liebe und erzwungene Liebe, die sie nicht mal so bezeichnen würde. Sie hatte nie in Büchern über die Eroberung eines Herzens gelesen und niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihr davon zu erzählen. In ihrer Welt, existierte keine Liebe. Sie hatte in ihrem Leben den Zweck kennengelernt. Der Zweck, der es erlaubte, sich mit Leuten gut zustellen, die die gemeinsamen Interessen teilten, den Zweck, wenn man etwas erreichen wollte, das ein anderer nicht ohne Täuschung geben würde und den Zweck, als Lustsklavin missbraucht zu werden, weil eine Ehefrau zu teuer und zu unwillig war, für Absurditäten, die jemand ausleben wollte. Madiha kannte sich damit aus, auch wenn sie nicht viel vom Leben wusste- das würde sie für immer prägen. Dass Caleb ihre Fragen nicht beantwortete, nahm sie vorerst hin, denn sie verstand, dass sie vorankommen mussten und auch sie wollte, dass sie erfuhren, was sich oberhalb ihrer Köpfe zutrug. Also lief sie dem Dieb schweigend hinterher, stets darauf bedacht, Schritt zu halten und hatte es längst aufgegeben, sich die Gänge merken zu wollen. Immer wieder wurde sie abgelenkt von dem Geschrei, dem Gewüte und dem Sterben, das sich über ihrem Kopf zutrug und ihr jedes Mal einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Caleb schien konzentriert, während er die Gänge durchquerte und nicht ein einziges Mal, verfehlte er seinen Weg. Ein Mal, kam ihnen das Schicksal in die Quere, als der Gang von Gesteinsbrocken verschüttet war. Madiha fragte sich, ob dahinter andere standen, die wie sie das Tunnelsystem nutzen wollten, um unbemerkt von A nach B zu kommen, doch Caleb hielt sich nicht lange auf und schlug einen anderen Weg ein. Madiha staunte darüber, welche Geheimnisse sich unterhalb ihrer Heimat verbargen und fragte sich in einem unkonzentrierten Moment, wer das hier alles angelegt hatte. Es musste Jahre gedauert haben. Doch sie konnte diese Neugierde nicht zulassen, da Caleb bereits wieder auf dem Weg war und sie mit sich zog. Sie liefen eine ganze Weile in der Madiha so viele Fragen im Kopf schwirrten: Wo gingen sie hin? Wer griff Sarma an? Warum griff jemand Sarma an? Wer war Caleb genau und wieso nahm er sie mit? Wieso hatten Dunia und er…? Und würden sie Ilmy retten? Ging es Ilmy gut? Ein plötzlicher Ruck an ihrem Handgelenk und der Schreck, den sie dadurch erfuhr, zeigte ihr, dass sie gar nicht mehr auf den Weg geachtet hatte und mahnte sie, besser aufzupassen. Doch nur einige Sekunden später, spürte Madiha die Nähe zu Caleb. Verwirrt blinzelte sie von unten zu ihm hoch, doch dann spürte sie seine Wärme, hörte seinen Herzschlag und holte tief Luft, als sein Geruch an ihre Nase drang. Ihr Herz pochte wie wild, ohne dass sie darauf Einfluss gehabt hätte oder überhaupt wusste, wieso. Sie schluckte trocken und bemerkte dennoch nicht, dass sie durstig war. Sie war angespannt auf eine seltsame Art, während sie ausharrten, bis die Angreifer mit der seltsamen Sprache, außer Hörweite waren. Madiha schluckte erneut und auch wenn sie keine Angst hatte, weil er sie festhielt, spürte sie dennoch auch gleichzeitig Unbehagen. Körperliche Nähe war etwas, was ihr niemals wieder leicht fallen würde, dafür hatte Khasib gesorgt. Und trotzdem war es ein verwirrender Strudel aus dem einen Wunsch, sich zu entziehen und dem anderen, sich geborgen an ihn zu schmiegen, der sie umfing. Doch Caleb nahm ihr diese Entscheidung ab, indem er sie von sich drückte und mit Hilfe eines verborgenen Mechanismus, den Gang verschloss. Madiha staunte erneut, auch wenn sie das komische Gefühl noch nicht ganz wieder losgeworden war. Der Weg ging abermals weiter und die Dunkelhaarige hatte es nicht nur aufgegeben, den Weg nachzuvollziehen, sondern auch sich zeitlich zu orientieren. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, sie wusste nur, dass sie eine Weile unterwegs sein mussten, denn sie selber spürte die Auswirkungen dieser ungewohnten Bewegung. Als hätte der Dieb die gleichen Gedanken, hielt er an. Madiha spürte eine warme Brise und schloss kurz die Augen, als sie den Geruch von Orangen und Gewürzen wahrnahm. Waren sie etwa beim Sultanviertel? Das Mädchen lauschte, konnte aber keine Schreie vernehmen, kein Kampfgetümmel. War das Viertel der Reichen etwa schon gefallen? Ging es den Angreifern um Geld? Madiha runzelte die Stirn und ahnte, dass sich die Geldsäcke wohl in Sicherheit gebracht hatten, als die Feinde Sarmas sich offenbarten. Ihr Blick fiel auf den Dieb, der sich soeben hinsetzte und ihr bedeutete, es ihm gleich zu tun. Madiha schaute noch mal den Gang entlang, unsicher, ob das wirklich klug war, doch dann spürte auch sie, wie sie eine Pause gut vertragen konnte. Nachdem sie sich neben Caleb setzte, lehnte sie ihren Kopf gegen die kühle Wand und schloss einen Moment die Augen. Doch die Bilder, die sie sofort sah, ließen sie zusammenzucken und so öffnete sie den Blick wieder. Madiha legte ihre Arme auf die Knie und lächelte, als Caleb ihre Neugierde ansprach. „Ganz bestimmt, hab' ich das von dir..“, stieg sie in den Scherz ein und sah den Weg zurück, den sie gekommen waren. Erst, als er sich neben ihr bewegte, schaute sie zurück um festzustellen, dass er sorgfältig seine Waffen überprüfte. Sie sah ihm stillschweigend dabei zu, wechselte immer mal den Blick von seinen Waffen, zu seinem Gesicht und musterte ihn ausgiebig. Dann endlich nahm er sich Zeit, ihre Fragen zu beantworten. Madiha richtete den Kopf auf, den sie zuvor auf ihre Arme abgelegt hatte, um ihn ansehen zu können und nickte kurz. Sie biss sich auf die Lippe und strich sich kurz eine Strähne hinter das Ohr.„Also… du und Dunia.. sie sagte, sie kennt dich nicht..Wie kam es, dass du.. dass du..“, sie sah ihn vielsagend an. „Für sie bezahlt hast? Und wie kam sie dann zu den Dieben?“. Ihr Neugierde war einfach größer und das Interesse echt. Sie wollte es verstehen und ahnte nicht, dass dies auch ein Ausdruck von Zuneigung sein konnte, wenn man etwas über Personen erfahren wollte, die einem näher standen.„Da war so ein Schüler, an der Akademie. Er sagte Dunia, sie solle froh sein, dass sein Vater ihr die Stelle an der Akademie verschafft hatte..“, sie zuckte die Schultern. Trotz der Gefahr, trotz der Umstände die völlig surreal für Madiha waren, nutzte sie diese Chance mehr zu verstehen. Wenige Worte später, sprach er Ilmy an. Sie lächelte offen und Erleichterung trat in ihre Augen. „Ilmy.. eigentlich Ilmengard Wollweber… aber Ilmy reicht auch.“, korrigierte sie ihn kurz, nur um dann festzustellen, dass er ernst wurde. Auch sie verlor etwas das Lächeln und sah ihn fragend an. Die nachfolgenden Worte kamen allerdings so scharf aus seinem Mund, dass sie beide Augenbrauen hob und ihn fast schon anstarrte. Der Befehlston in seiner Stimme ließ sie sich sofort an ihre Stellung erinnern und wie ein Hund, der Tricks eingebläut bekommen hatte, senkte sie den Kopf und nickte devot. Dann biss sie jedoch die Zähne zusammen und flüsterte fast, doch schärfer, als ihr eigentlicher Stand es erlaubt hätte:„Du bist nicht mein Vater. Hör auf damit.“. Dann erhob sie sich und brachte Platz zwischen sich und ihn. Sie war ihr Leben lang gewohnt, dass man sie bevormundete und seit sie von Freiheit und eigenem Willen gekostet hatte, kämpften beide Seiten um die Oberhand. Madiha hatte bisher nie eine Entscheidung alleine für sich getroffen, hatte nie gefragt, was sie wollte. Doch jetzt, in diesem Moment, ärgerte sie sich darüber, dass sie ihre Fesseln noch immer nicht abgelegt hatte und vermutlich würde sie das auch nie. Was ihr dann doch Unbehagen bereitete war die Tatsache, dass Calebs Lüge, er wäre ihr Vater, sie dazu zwang, sich mit der Gedankenspielerei, sie hätte einen Vater gehabt, auseinander zu setzen. Es zwang sie dazu, sich Dinge und Verläufe vorzustellen, die niemals eintreten würden und das verletzte sie. Sie war so schon einsam genug, sie brauchte nicht noch die irrsinnige Vorstellung, wie es mit einem Vater in ihrem Leben für sie ausgesehen hätte. Madiha setzte sich Caleb jetzt gegenüber und malte mit dem Finger im Sand am Boden. Sie sah den Dieb nicht an. Ihre Sklavennatur verbot es ihr und ihre stärker werdende, aufmüpfige Art, wollte es nicht. Erst als er erneut das Wort erhob, riskierte sie einen kurzen Blick, der dann länger ausfiel und Auskunft darüber gab, dass sie etwas beschäftigte: „Wieso tust du das? Wieso hilfst du mir?“, sie senkte den Blick zurück auf den Finger, der immer noch den Sand verschob.„Wieso bringst du dich in die unangenehme Lage, auf mich aufpassen zu müssen?“, flüsterte sie dann. Seine scharfen Worte hatten Madiha unsicher gemacht und nun fragte sie sich ernsthaft, was das für einen Sinn hatte. Sie war und konnte keine Hilfe sein und trotzdem hatte er nicht gezögert, sie mitzunehmen.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Sonntag 16. Mai 2021, 14:42

Offensichtlich vertraute Caleb auch die Mechanismen und das Labyrinth selbst. Er wirkte fast schon entspannt, als er Madiha einlud, sich zu ihm zu setzen. Es tat gut, eine Pause einzulegen. Madiha konnte zwar nicht sagen, wie lange sie mit dem Dieb durch all die Tunnel und Gänge geirrt war, doch ihr erschöpfter Körper verriet ihr, dass ihr Aufbruch nicht erst Minuten her war. Auch die Füße bedankten sich mit seligem Kribbeln, sobald sie ihre Beine ausstreckte. Der kühle Stein im Rücken erfrischte. Alles, was nun fehlte, war ein Schluck Wasser. Vielleicht hätte sie den Kaffee nicht ablehnen sollen. Da besaß sie doch wohl einen anderen Geschmack als ihr "Vater". Beide spielten das Spielchen noch etwas weiter, bis ihr Gespräch Richtungen annahm, die Madiha nicht gefielen. Erstmals in ihrem bisherigen Sklavenleben hatte sie von Freiheit gekostet, wenngleich auch diese eingeschränkt gewesen war. Sie hatte sich auf die Akademie beschränkt und war durch Unterrichtszeiten und Lernstunden mit Schwester Dunia beschränkt gewesen. Trotzdem hatte es sich wie Freiheit angefühlt, denn erstmals besaß Madiha Optionen. Sie durfte selbst entscheiden und ihr schlug andere Richtungen ein, weil sie aktiv daran teilgenommen hatte. Niemand lenkte sie durch Befehle, holte sie hervor und benutzte sie. Niemand schickte sie fort, nachdem er sich an ihr ausgelassen hatte, ohne dass sie auf ähnliche Weise entlohnt worden wäre. Schmerz und eingebrannte Erinnerungen, die jede Berührung zu einem stigmatisierten Erlebnis machten, konnte man nicht mit dem gleichsetzen, was ihre Herren von ihr regelmäßig genommen hatten. Sie hatten Spaß gehabt und es war ihre Entscheidung gewesen, ihr das anzutun.
Jetzt aber fand sich Madiha in einer Position wieder, in der sie zumindest entscheiden konnte, dass niemand mehr so über sie verfügen sollte. So oder anders nicht. Auch Caleb durfte sich das nicht herausnehmen. Dennoch tat er es, vor allem aber in strengem Tonfall, als sei er ihr Vater. Er trieb das Spielchen zu weit. Sie brauste auf, brachte Distanz zwischen sich und ihn, als sie sich auf der anderen Seite des Ganges wieder niederließ. Wäre sie nicht so erschöpft gewesen, hätte sie den Möchtegern-Vater vielleicht sogar einfach sitzen lassen. Aber das, sowie das Wissen es niemals allein aus dem Gangsystem zu schaffen, ließen sie vernünftig bleiben. Außerdem hatte Caleb all ihre Fragen wieder nicht sofort beantwortet. Der Mann lehnte es nicht ab. Sie durfte Fragen stellen. Er schien sich diese nur länger und sehr genau durch den Kopf gehen zu lassen.
Jetzt beobachtete er das Mädchen unter seinem braunen Schopf hervor mit nachdenklichem Blick. Und offenbar musste er eine Antwort auf die Frage, warum er ihr denn half, wieder etwas nachdenken. Denn er entschied sich dafür, die anderen offenen Fragen aus der Welt zu schaffen. Caleb fing bei sich und Dunia an, möglicherweise in der Hoffnung, das Thema wäre so pikant, dass das Mädchen darüber hinaus die andere Frage vergaß. Aber das würde nicht geschehen. Sie nahm es sich fest vor.
"Als Wüstendieb musst du gut lügen können ... und du darfst nicht jedem dahergelaufenen Mädchen sofort blind vertrauen." Er zwinkerte ihr zu. Dunia hatte also über ihre Bekanntschaft zu Caleb selbst dan noch gelogen, als Madiha den Namen offengelegt hatte. Sie war vorsichtig, weitaus vorsichtiger als er. Denn Caleb sprach sehr offen mit ihr. Schwester Dunia schenkte nur so weit vertrauen, wie es nicht in ihre Vergangenheit eingriff. Sie gab nichts über sich selbst preis. Madiha wusste nur Bruchstücke vom Leben der Pflegerin. Caleb stopfte die Löcher des Flickenteppichs ein wenig.
"Ich war ganz frisch im Bund der Wüstendiebe, hatte mit einem Auftrag mein erstes Geld verdient und wollte es ausgeben." Er lachte auf. "Jungen in dem Alter denken dann nur an das eine. Dass ich ausgerechnet Dunia im Bordell begegnet bin, ist dem Zufall zu verdanken. Dass sie mich bis über die Grenzen hinaus fertig gemacht, anschließend mein Geld und meine Habe gestohlen und sich davongemacht hat, war meine eigene jugendliche Dummheit. Dass der Bund sie für dieses Vergehen finden und fangen würde, damit hatte keiner von uns beiden gerechnet. Wahrscheinlich hätten sie sie auch umgebracht, aber ... sie wird es niemals zugeben, doch ihr Leben verdankt sie mir! Ich hab mich wirklich ins Zeug gelegt, sie zu retten." Dass Dunia ihm ebenso auch beinahe einen frühzeitigen Tod verdankte, ließ Caleb unerwähnt. Immerhin schien er sie ja bei den Wüstendieben angeschwärzt zu haben. "Sie erhielt die Chance, sich zu beweisen, indem sie weiterhin als Hure im Bordell arbeitete, zugleich aber als Informantin dienen sollte. Die Wüstendiebe brachten die richtigen Kunden, Dunia horchte sie aus, während sie ... naja, du weißt schon." Caleb verstummte. Er musterte Madiha einen Augenblick, murmelte auf Garmisch: "Ohja, du weißt sehr gut. Zu gut." Er seufzte, winkte ab. "Jedenfalls hat Dunia ein paar Männer in sehr schwierige Situationen gebracht. Vielleicht gehörte der Vater deines Mitschülers auch dazu. Dunia sammelte Informationen, gab sie an die Diebe weiter, nutzte sie aber auch für sich, um sich im Bordell erst eine bessere Stellung zu erarbeiten und dann sogar, um diesen Sündenpfuhl verlassen zu können. Ich weiß nicht genau wie es ihr gelang, aber Jahre später erhielt sie eine Ausbildung zur Pflegerin und wurde von Cassandra der Feuerhexe persönlich an deren Akademie angestellt. Kluges Köfpchen, diese Dunia. Aber Männer interessieren sich nicht für einen wachen Geist, wenn sie den Körper haben können." Er hob die Schultern. Auf Ilmy kam er nicht mehr zu sprechen. Da konnte Madiha sich nur auf seine ersten Worte verlassen, dass er sich auch darum kümmern würde. Nur warum? Warum half er Ilmy? Weil er ihr helfen wollte. Doch warum das? Die Frage ließ Madiha nicht los. Es wurde Zeit für Antworten! Nichts Anderes ließ das Mädchen mehr zu. Ihr feuriger Blick traf den Dieb direkt. Er zuckte zusammen, als hätte ihn jemand in den Hintern gezwickt. Jenen rieb er sich dann auch, runzelte die Stirn und musterte das Mädchen erneut.
"So unangenehm ist es nicht, dein Kindermädchen zu sein", brummte er. Das war keine Antwort. Das feurige Funkeln schwand nicht aus Madihas Blick und Caleb konnte sich diesen Augen nicht entziehen. Er rieb die Lippen aneinander, holte Luft. Schließlich spuckte er mit der Sprache heraus: "Eigennutz."
Das dürfte nicht gerade das sein, was Madiha erwartet hatte. Denn diese Antwort sorgte im Grunde für mehr Fragen als vorher. Welchen Vorteil brachte es Caleb selbst, ihr zu helfen? Was erhoffte er sich dadurch? Und doch war seine Antwort ... ehrlich. Sie wirkte so! Madiha konnte nicht von sich behaupten, die große Menschenkennerin zu sein, aber trotzdem. Da war etwas im Ton seiner Stimme, in der Art, wie er es gesagt hatte. Man wollte ihm glauben. Vielleicht war er sogar seit Jahren nicht so ehrlich gewesen wie mit diesem einen Wort. Vielleicht sogar so sehr, dass es ihn selbst erschreckte und er deshalb rasch nachsetzte: "Du verdienst dieses Leben nicht. Du verdienst Sicherheit und ich werde dafür sorgen, dass du sie erhältst."
Er streckte den Rücken durch, bewegte sich und wechselte die Wand. Ha! Er versuchte es, sich neben Madiha zu setzen. Dann griff er unter einen Teil seiner Rüstung und zückte eine dort verborgene, flache Flasche. Er entkorkte sie mit den Zähnen und reichte sie dem Mädchen. Falls sie sich Alkohol oder erneut Kaffee erhoffte, wurde sie enttäuscht. Der Inhalt der Flasche war geruchlos, denn es handelte sich nur um reines Wasser. Kühl und erfrischend zählte es zu den wertvollsten Ressourcen, die Sarma zu bieten hatte.
"Ruh dich ein bisschen aus. Ich glaube, wir können beide für eine Weile die Augen schließen. Hier findet uns niemand. Versprochen! Danach geht es weiter, deine Freundin Ilmengard finden."
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Sonntag 16. Mai 2021, 22:36

Madiha hörte auf im Sand zu malen, als Caleb einen Moment schwieg. Ihre Fragen an ihn, blieben eine Weile unbeantwortet stehen und füllten den Raum zwischen ihnen aus. Wollte er ihr nicht antworten? Nein… das glaubte Madiha tatsächlich nicht. Caleb hatte bisher schonungslos geantwortet und deshalb musste hinter seinem Zögern, etwas anderes stecken. Die einstige Sklavin, die vermutlich nie etwas anderes sein konnte und doch dafür kämpfen wollte, hob den Kopf und den Blick, als sich der Dieb regte und Anstalten machte, ihr zu antworten. Doch offenbar entschied er sich, ihre letzten Fragen, zur Seite zu schieben und beantwortete vorerst die vorangegangenen. Madiha lehnte ihren Kopf gegen die Kühle der Mauer und beobachtete den Anderen genau. Sie fasste den Entschluss, dass sie, trotz der Informationen die nun flossen, nicht vergessen würde, trotzdem nachzuhaken, welche Gründe hinter seiner Motivation standen, sie zu beaufsichtigen. Jetzt aber, sprach er von Dunia und erzählte, wie er selber am Anfang seiner Karriere dastand. Das Mädchen hörte ihm aufmerksam zu und ihre Mimik ließ kaum einen Schluss zu, was sie über all das dachte. Es änderte das Bild, welches sie von der Schwester hatte, völlig und insgeheim wusste sie, dass wenn Dunia herausfand, dass Caleb ihr das erzählte, er zusehen musste, ihrem strengen Blick zu entkommen. Falls sie Dunia je wiedersehen würden. Wollte sie das denn? Madiha musste unweigerlich an Dunias harte Worte und ihre herablassende Art denken. Vielleicht wäre es besser, wenn sie einander aus dem Weg gingen. Doch… Dunia hatte erklärt, dass sie ihre Unterrichtsstunde später nachholen würden. In Anbetracht der seltsamen Situation, war das vielleicht auch nur nett gemeint oder aber die Schwester wollte ihr damit sagen, dass sie auf sie zählen konnte, wenn alles vorüber war. Madiha schob diesen Gedanken vorerst beiseite und lauschte weiter Calebs Erzählung. Das was nachfolgte, verstand sie nicht, da er Garmisch sprach. Sie runzelte kurz die Stirn und überdachte das, was sie soeben erfahren hatte. Dunia hatte also für die Diebe spioniert, hatte sie eine Wahl gehabt? Caleb meinte, er hätte ihr geholfen, doch.. Was wären ihre Optionen gewesen? Tod oder Spionage? Madiha senkte den Blick bei ihren Gedanken. Vielleicht war das der Grund, warum sich die Schwester für sie interessiert hatte. Warum sie ihr half, wo andere nur den Straßenköter sehen wollten. Weil sie wusste, was es bedeutete, keine Perspektive zu haben? Madiha tauchte aus ihren Gedanken auf und sah Caleb direkt an. „Warum hast du sie retten wollen? Sie hat dich bestohlen?“, hakte sie dann doch nach. Für ein Mädchen, dass unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen und niemals eine Chance gehabt hatte, weil sie im falschen Teil der Welt geboren wurde, mit den falschen Voraussetzungen, war es nicht einleuchtend, dass sich jemand die Mühe machte, jemanden dafür zu helfen, dass er ihn bestohlen hatte. Doch dann erinnerte sich Madiha an ihre eigene Begegnung mit Caleb. Intensiv ruhte ihr Blick auf ihm. Auch ihr hatte er, in gewisser Weise, geholfen und hatte sie nicht den Dieben aushändigen wollen. Sie lächelte knapp: „Bist du sicher, dass du den richtigen Beruf hast?“, fragte sie frech und hob dann die schmalen Schultern. Das Lächeln verblasste wieder und sie dachte grimmig, dass es manchmal andere gab, die für einen die Wahl des Lebensweges übernahmen. Sie würde Caleb bei Gelegenheit fragen, wieso er diesen Weg gewählt hatte, doch er erzählte noch weiter. Offenbar waren er und Dunia in all den Jahren einander nahe geblieben und es hatte sich vielleicht so etwas wie eine Gemeinschaft ergeben. Oder Freundschaft? Madiha wusste es nicht, da sie bisher keine echte Freundschaft kennengelernt hatte, doch sie konnte sich vorstellen, dass das in die Richtung ging. Als Caleb seinen letzten Satz sprach, löste das bei Madiha Unbehagen aus. Sie zog die Beine enger an ihren Körper und legte die Arme beinahe schützend um sie. Wie Recht er doch damit hatte. Sie erinnerte sich, dass sie für ihre Aufmerksamkeit oft genug gezüchtigt wurde. Nicht zuletzt, weil die Neugierde, die sie Caleb offen präsentierte, schon früher in ihr gesteckt hatte und trotz ihres Lebens nie ganz ausgemerzt wurde. Und sie schlussendlich der Grund dafür gewesen war, wieso sie, in letzter Konsequenz, hingerichtet werden sollte. Trotzdem musste sie sich stark zusammenreißen, die Erinnerungen nicht zu plastisch werden zu lassen und so schluckte sie den Kloß hinunter. Die Stille, die entstand, ließ Madiha annehmen, dass er ihr nun nichts mehr beantworten wollte. Dass seine leise Hoffnung, sie würde ihre Fragen vergessen, sich bewahrheitete. Doch Madiha hatte die Frage nach dem Warum nicht vergessen. Im Gegenteil: Ihr Blick traf ihn erneut intensiv, als er nicht von sich aus weitersprach. Er erwiderte und Madiha schaffte es, ihm nicht auszuweichen. Sie wollte wissen, was ihn dazu bewog. Seine Antwort, die er für sie bereithielt, schaffte es lediglich, dass das Feuer in ihren Augen stärker wurde. Sie blieb ernst dabei und suggerierte ihm nonverbal, dass sie sich damit nicht zufrieden geben würde. Dann kam ein Wort über seine Lippen, das dem Ganzen nicht gerecht wurde und sie dennoch nicht in Zweifel zog. Madiha's Mimik öffnete sich ein Stück weit, doch mehr aus Unverständnis geboren, als aus dem Verstehen heraus. "Eigennutz?" Sie runzelte die Stirn und sah Caleb unverwandt an. Das Feuer in ihren Augen verrauchte ein kleines Bisschen und doch blieb es bestehen. Es klang so ehrlich, so überzeugt und überzeugend, dass sie nicht wusste, ob sie überhaupt richtig gehört hatte. Was sollte das denn bedeuten? Was für einen Nutzen konnte sie denn schon für ihn haben? Die hinten angeschobene Erklärung ließ sie allerdings unfairerweise schnauben. Es klang eine Spur verächtlich, auch wenn sie so eigentlich nicht empfand. Das Mädchen verstand das alles nicht und brach den Blickkontakt zu dem Dieb ab. Sie wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht und spürte dabei ihre Narben, sodass sie zurückzuckte und ihre Hände unvermittelt sinken ließ. Als sie wieder aufblickte, war Caleb aufgestanden und streckte seinen Rücken, bevor er sich zu ihr setzen wollte. Ihr erster Impuls war Flucht, doch blieb sie sitzen und ließ ihn gewähren. Sein ganz eigener Geruch wehte zu ihr rüber und sie atmete tief aus, versuchte all diese verwirrenden Gedanken zu ordnen, was sie schlicht nicht konnte. Dafür fehlte ihr Lebenserfahrung. Madiha hatte ihre angespannte Körperhaltung etwas gelockert und hörte, wie er etwas hervorzog. Ihr Blick glitt langsam zu der Flasche in seiner Hand. Sie zögerte nur kurz, bevor sie sie entgegen nahm und daran roch. Ihr Blick öffnete sich erstaunt und sie sah ihn an, als fragte sie „Wasser?“, dann nahm sie einen Schluck und ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, was all die verworrenen Gedanken wegwischte für den Moment. Oh, so frisches Wasser war eine Seltenheit in Sarma, auch wenn die Akademie das durchaus anbot. Doch Madiha hatte bisher eher das erdige Wasser bekommen, früher in den Haushalten der „hohen Herren". Daher war es nach wie vor etwas besonderes für sie und sie genoss es, davon zu trinken. Nachdem sie einen Schluck genommen hatte, gab sie Caleb die Flasche wieder und wischte sich über die nassen Lippen. „Danke.“, meinte sie versöhnlich. Sie lehnte ihren Kopf gegen die Steinmauer und sah ihn seitlich an. „Meinst du?“, fragte sie zögernd und fragte sich, ob Ilmy das auch so sehen würde, doch ihr Blick glitt abermals den Gang auf und ab, bevor sie merkte, wie sehr sie sich nach etwas Ruhe sehnte und wie müde sie doch eigentlich war. Die letzten Stunden waren nervenaufreibend gewesen. Erst diese doofe Prüfung, dann der Angriff. Dann Ilmy, ihre Angst, die Toten überall und schlussendlich.. er, Caleb. Madiha zog nachdenklich ihre Unterlippe ein und schien nicht recht zu wissen, ob sie ihn nicht doch noch mal mehr in die Pflicht nehmen sollte. Ihr Blick ging erneut zu ihm und ruhte lange auf seinem Gesicht. Sie musste sich fragen, was für einen Nutzen sie haben könnte und kam gar nicht auf die Idee, dass es um etwas anderes gehen könnte. Sie war stets nützlich für jemanden gewesen und niemand hatte je etwas aus purer Nächstenliebe für Madiha getan. Vielleicht Dunia… vielleicht Ilmy, aber das konnte das Sklavenmädchen nicht erkennen. Also stellte sie den Wahrheitsgehalt seiner Erklärung nicht in Frage. Während sie darüber nachdachte, merkte sie wie ihre Augen schwer wurden und die Ruhe in ihren Körper kehrte. Müdigkeit, legte sich bleiern auf ihren Geist und bevor sie völlig einschlief, legte sich Madiha in alter Gewohnheit auf den Boden. Sie hätte sich sicher wohl bei Caleb gefühlt, hätte vielleicht erfahren, dass körperliche Nähe auch etwas Schönes bereithielt, doch ihre Gewohnheit, war eine andere und so zog sie ihre Beine an und schlief auf dem Sandboden ein.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Mittwoch 19. Mai 2021, 14:46

Zwei Fragen beantwortete Caleb nicht. Warum hatte er Dunia gerettet? Das war eine davon, auf die er nur mit einem Grinsen reagiert hatte und einem, wenngleich vielsagenden Blick in Madihas Richtung. Auch ihr hatte er geholfen. Nicht nur das, er hatte sie bei einer riskanten Aktion aus dem Wüstensand selbst gegraben und zur Feuerakademie gebracht. Hierfür sollte Madiha noch eine Antwort erhalten, auch wenn diese sie nur mehr verwirren würde. Eigennutz ... was nützte sie ihm denn?
Caleb war ein seltsamer Wüstendieb. So wie Madiha die Bande bisher kannte - und das war nicht sehr gut! - agierten die meisten von ihnen in Grüppchen oder wenigstens als Duett. Das machte ihre Stärke aus. Sie waren nicht allein. Caleb hatte sie bisher immer allein umher streunen sehen. Statt sich also mit seinesgleichen zu gruppieren, um gemeinsam irgendwelchen kriminellen Aufgaben nachzukommen, rettete er Frauen und Mädchen. "Bist du sicher, dass du den richtigen Beruf hast?"
Wieder keine direkte Antwort. Er schnaufte nur amüsiert auf, wobei er den Kopf vor Heiterkeit in den Nacken riss und ihn sich prompt am Stein der rückwärtigen Labyrinthwand anstieß. Das Schmunzeln haftete trotzdem weiter auf seinen Lippen, als er sich die getroffene Stelle am Kopf rieb. Nur sein Blick wollte nicht ganz dazu passen. Nachdenklich war er, als wog Caleb plötzlich seinen gesamten Werdegang ab. Er antwortete nicht. Vielleicht, weil er sich selbst erst der Frage und der Bedeutung einer Antwort darauf bewusst werden musste.
Sollte Madiha ihm deshalb nützlich sein? Hatte es etwas mit seiner wüstendiebischen Karriereleiter zu tun? Vielleicht stieg er auf oder könnte seine Schuld irgendwo begleichen, wenn er Madiha als Zahlungsmittel verwendete. Er könnte sie an einen feisten Wüstendieb verleihen, jenen mehrmals über sie rutschen lassen und so einen Gefallen weniger schuldig sein. Würde Caleb das tun? Mit Ilmy im Hinterkopf, zu der er auch nur beteuerte, ihr zu helfen, festigte sich eine unangenehme Vorahnung. Caleb, der Mädchenhändler. Ilmengard mochte nicht dem üblichen Frauenbild entsprechen, doch wer überhaupt keine abbekam, würde auch ein pummeliges Mädchen heranziehen. Vor allem dann, wenn ansonsten nur das vernarbte Sklavenmädchen Madiha die Alternative bildete. Eine schaurige Vorstellung! Allerdings passte es zu seiner Aussage, weshalb er Madiha half. Eigennutz. Das Wort schwebte wie eine Dolchklinge über ihnen. Auch das angebotene Wasser konnte nichts dagegen ändern. Es kam jedoch zur rechten Zeit. Erst als Madiha die erfrischende Kühle auf ihrer Zunge spürte und wie sie von dort aus ihre Kehle hinab rann, merkte sie, wie durstig sie eigentlich gewesen war. Caleb überließ ihr die Flasche gänzlich mit einem simplen: "Bewahre sie für mich auf."
Es war das letzte, was Madiha in ihren Fingern fühlte, nachdem sie sich neben Caleb auf den sandigen Steinboden gelegt hatte, um ein wenig zu ruhen. Sie hatte nicht vorgehabt, einzuschlafen. Dennoch passiertes es. Glücklicherweise ließ Lysanthors Schwestergöttin Manthala sie in Frieden. Die Schreckensbilder des bisher Erlebten suchten sie tatsächlich nicht heim, ebenso wenig wie andere Träume. Das kam vielleicht noch, wenn sie den Schock erst einmal wirklich verarbeitet hatte. Noch war die Gefahr ja nicht vorbei. Sie würde noch nachschauen müssen, was überhaupt oben vor sich ging. Sie würde Ilmy holen müssen und dann? Vielleicht wusste Caleb ja weiter.
Caleb.
Jetzt, da Madiha langsam aus ihrem Schlaf in einen dösigen Dämmerzustand überwechselte, drang auch die Erkenntnis zu ihr hindurch, dass es furchtbar still im Gang geworden war. Sie hörte nur sich atmen. Außerdem meinte sie, die Nähe von Körperwärme zu vermissen. Als Lustsklavin kannte sie es nur zu gut, neben jemandem zu erwachen oder auch, wenn dieser jemand bereits aufgestanden und gegangen war. Schlagartig riss es sie auf ihrem Schlaf.
Caleb war verschwunden! Sie hatte Recht. Sie befand sich allein in dem Gang, zurückgelassen im Labyrinth. Und auch nur das wusste sie, weil nach wie vor vereinzelte Deckenlaternen die Gänge beleuchteten. Nicht überall, denn in der Ferne entdeckte sie auch dunkle Flecken dazwischen. Aber noch saß sie nicht in vollständiger Schwärze. Nur ... wo steckte Caleb? War etwas passiert?
Ein rascher Blick umher ließ darauf schließen, dass zumindest hier kein Kampf stattgefunden hatte. Der Sand war weder verwischt noch mit Blut getränkt worden. Und nicht einmal von jenseits des geheimen Tunnelsystems drangen Geräusche durch. Wie lange hatte sie geschlafen? War inzwischen die Nacht eingetreten oder hatte der Angriff vielleicht sogar ein Ende genommen? Und wo steckte Caleb?
Die Wasserflasche hatte er ihr gelassen. Das einzige, was von ihm übrig geblieben war. Nein, das stimmte nicht. Jemand hatte Madiha eine Nachricht in die Handfläche geschoben. Das musste ihr beim ersten Schrecken vollkommen entgangen sein. Nun aber bemerkte sie das gefaltete Stück faserigen Papieres. Auseinandergefaltet konnte sie mit viel Mühe das einzige Wort lesen, das im Inneren stand. Die Schrift war krakelig und lange nicht so schön wie in ihren Lehrbüchern. Sie brauchte eine Weile, um es zu entziffern. Letztendlich konnte sie aber lesen:

Warte.
Schriftrolle Fuss
Von wem der Zettel stammte, stand nicht dabei. Wie lange sie warten sollte, ebenfalls nicht. Wie sollte es nun weitergehen? Würde Madiha sich an die Mitteilung halten oder drängte sie etwas Anderes in die Tiefen des Labyrinthsystems hinein? Sollte sie das Risiko eingehen, sich dort zu verirren? Sollte sie nach Caleb rufen oder lieber still bleiben? Sie wusste schließlich nicht, wie es um Sarma stand und dass es jetzt still war, konnte sowohl gute als auch schlechte Gründe haben. Die Welt stand ihr offen, aber noch nie war die Freiheit der Wahl so schwer gewesen.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Madiha Al'Sarma » Mittwoch 19. Mai 2021, 23:15

Wäre Madiha nur ein klein wenig mehr erfahren in zwischenmenschlichen Kontakten und Leben im Allgemeinen, sie hätte vielleicht eine Antwort in sich finden können. Ihre beschränkte Sicht auf die Dinge verhinderte nun, dass sie andere Erklärungen finden konnte, als die, die sich ihr regelrecht aufdrängten. Caleb sprach von Eigennutz und nachdem sie etwas ratlos zurückblieb, bei diesem Wort, setzte sich eine Maschinerie von Rädchen, in ihrem Kopf, in Gang, die sie auf Pfade führten, die ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagten. Was wäre…sie wagte kaum diesen Gedanken zu Ende zu spinnen, versuchte dagegen anzukämpfen und versagte dabei. Was wäre, wenn Caleb nicht der war, den sie in ihm sehen wollte? Was, wenn er wirklich etwas Eigenes im Sinn hatte? Mit ihr, Madiha, und auch mit Ilmy? Das Herz des Mädchens klopfte und ihre Miene wurde von einem Schatten verdunkelt. Sie rieb sich über ihr Gesicht, schreckte vor sich selbst zurück und ließ den Dieb dann trotzdem neben sich Platz nehmen. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wollte er Madiha vielleicht verkaufen? Er hatte offenbar Geldprobleme… und sie? Sie war so naiv und glaubte an ihn und seine Absichten… warum? Weil er nett zu ihr gewesen war? Weil er ihr Retter war? Madiha schaute auf die kleine Flasche und nahm dann einen Schluck. Sie war so durstig, wischte sich aber nach einem Schluck, die nassen Lippen ab, bevor sie Caleb die Flasche wiedergab. Sie lächelte milde, doch seine Antwort, weshalb er es tat, hatte ihr Herz fest im eisigen Griff. Dann wollte er seine Flasche nicht wiederhaben. Sie runzelte kurz die Stirn, steckte sie aber in ihre Tasche der Leinenhose und merkte augenblicklich das Gewicht. Sie war unsicher, ob sie tatsächlich ruhen sollten, doch als sie diesen Gedanken erstmal fasste, merkte sie, wie die Müdigkeit sie übermannte. Sie legte sich auf den kühlen Boden, nur um kurz zu ruhen, doch dann schlief sie ein. Keine Bilder überrannten ihren Geist, keine Horrorszenarien verwirrten sie oder wirre Traumgebilde, die sie aufschrecken ließen. Madiha schlief ruhig und länger, als sie wollte. Langsam kroch ihr Verstand wieder unter der Bettdecke hervor und erlaubte es der Sklavin, aufzuwachen. Nur peu a peu, kamen ihre Gedanken wieder geordnet in den Vordergrund und tauchten aus dem Nebel des Schlafes auf. Sie musste Ilmy endlich helfen. Sie würde sicher eine Todesangst ausstehen und sie schlief? Madiha fühlte sich schlecht und dann erregte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit: Es war ruhig. Viel zu ruhig. Das Mädchen öffnete augenblicklich die Augen und hatte eine Sekunde, bevor sie wieder wusste, wo sie sich befand. Sie setzte sich mit zerknirschtem Gesicht auf, da der Steinboden zwar nichts neues, aber trotzdem nicht bequemer war dadurch. Dann lauschte sie und hatte tatsächlich Angst, sich umzudrehen. Madiha schluckte, als sie es doch tat und erkannte, dass ihre Befürchtung Wahrheit wurde. Er war weg. Caleb war weg. Madiha’s Herz begann zu schlagen und sie rappelte sich auf. Ihr Kopf ging nach links und rechts zum Gang, sie lauschte angestrengt, ob sie etwas hören konnte, doch da war nichts. Madiha spürte die Panik in sich aufkommen, als sie fahrig umher blickte und nichts auffälliges entdecken konnte. Einen Kampf gab es nicht, so wie es aussah… den hätte sie sicher auch gehört. Sie spürte, wie ihr die Tränen zu kommen drohten, doch sie schluckte sie weg. Das Mädchen ballte die Hände zu Fäusten, fühlte schon Verrat aufkommen, doch dann spürte sie, wie sich etwas in ihrer Hand befand. Erstaunt sah sie auf das Röllchen und schaute sich noch mal um, bevor sie es hastig entrollte. Krakelig war die Schrift und sie hatte mehrere Anläufe nötig, um sie überhaupt zu entziffern. Warte. Ein einzelnes Wort. Madiha drehte das Pergament nach allen Seiten, um mehr zu entdecken, doch das war alles. Sie runzelte die Stirn – was sollte das? Angst und Wut mischten sich in ihrem Innern. War das ein Spiel? Er hatte gesagt, dass sie sich beide ausruhen würden. Wieso ließ er sie alleine? Noch dazu wusste sie ja gar nicht, ob die Nachricht von ihm stammt. Sie hatte nichts. Nur ein Wort. Schon wieder nur ein blödes Wort. Madiha spürte, dass die Wut die Angst unterdrückte. Sie war kein Kind. Naja… schon, aber innerlich war sie kein Kind. Madiha schaute den Gang zurück, den sie gekommen waren und sah, dass vereinzelt Laternen leuchteten. Sollte sie hineingehen? Doch sie wusste nicht was Caleb benutzte, um sich zurechtzufinden. Sie hatte es versucht, doch fiel ihr nichts auf. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Dann erinnerte sie sich an die warme, Orangen-haltige Luft, die aus der anderen Richtung strömte. Sie konnte nicht weit weg von der Oberfläche sein, kam es ihr in den Sinn. Wenn sie dem Luftzug folgen würde… könnte sie vielleicht die Oberfläche erreichen. Madiha’s Blick fiel abermals auf das Pergament mit dem einen Wort. Sie hatte ihm versprochen, dass sie auf ihn hören würde. Doch konnte sie sicher sein, dass es seine Handschrift war? Konnte sie sich überhaupt sicher sein, dass er echt war? Was wenn er sie tatsächlich nur brauchte, um Schulden zu tilgen? Wenn er Ilmy für den selben Grund retten wollte? Hatte sie ein falsches Gefühl bei ihm bewiesen? War sie verwirrt durch seine Taten, sodass sie davon ausgehen musste, er wäre um ihr Wohl besorgt? Unsicher stand Madiha zwischen den Möglichkeiten einer freien Willenserklärung. Das erste Mal in ihrem Leben, sollte sie für sich alleine entscheiden, hatte ihr Schicksal alleine in der Hand und dann ging es gleich darum, ob sie sich hier verlief und starb, ob sie hier blieb und verhungerte oder, ob sie die Oberfläche suchte und vielleicht dort starb. Die Aussichten waren nicht sehr beruhigend. Sekunden vergingen, in denen sie fieberhaft überlegte, doch dann kam sie zu einem Entschluss: Sie konnte nicht hier herumstehen und nichts tun. Vielleicht war Caleb in Gefahr, brauchte Hilfe. Vielleicht war er die Gefahr und nutze sie für seine Zwecke, nichts konnte sich Madiha sicher sein, doch ebenso wie es bei Dunias Unversehrtheit war, war es nun auch beim Gedanken an Ilmy. Sie hatte schon so lange gewartet und Madiha hatte den Willen, ihr endlich Erlösung zu geben. Caleb hatte ihr einen Weg genannt. Vielleicht würde sie diesen auch alleine finden, vielleicht konnte sie es alleine schaffen. Alleine war sie bereits ihr ganzes Leben. Das kannte sie. Sich auf andere zu verlassen, das war ihr fremd. Madihas Knie waren weich, als sie sich langsam in Bewegung setzte und immer wieder schnupperte, ob die warme Brise mit dem Orangenduft stärker wurde.
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Re: Das Leben der Anderen

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 20. Mai 2021, 16:19

Der Schlaf hatte ihr gut getan. Das Erwachen hingegen war weniger angenehm, weil es sich mit der bitteren Erkenntnis paarte, dass Madiha allein zurückgelassen worden war. Wo steckte Caleb? Es gab keine Anzeichen, wohin er verschwunden sein konnte, abgesehen von einem einzelnen Wort auf Papier. Leider kannte Madiha die Handschrift des Diebes nicht. Sie konnte nicht vollends sicher sein, dass der Hinweis von ihm stammte. Wenn ja, wollte er, dass sie wartete. Warten - wie lang? Bis sie verhungert wäre? Wer wusste schon, wann er zurückkam oder ob ihm das überhaupt gelänge? Die Lage in Sarma war heikel gewesen. Vielleicht hatte sich auch irgendeine Gefahr bis herher verirrt und ... nein. Wenn das passiert wäre, hätte Madiha niemals wieder die Augen geöffnet. Warum hätte man sie verschonen sollen?
Im Konflikt, ob sie nun der Aufforderung auf dem Zettel Folge leisten oder nach Caleb, respektive einem Ausgang suchen sollen sollte, entschied Madiha sich dagegen, einfach nichts zu tun. Sie würde früher oder später in jeder von ihr bedachten Lage sterben. Dann wollte sie es wenigstens tun im Versuch, etwas unternommen zu haben! Also verließ sie den Schlafplatz und machte erste Schritte in den halbdunklen Gang hinein. Weiter vorn baumelte die nächste Laterne mit etwas Licht. Das bedeutete doch, dass man diesen Tunnel häufiger nutzte, oder nicht? Ansonsten mussten die Kerzen in den Laternen ja irgendwann verlöschen. Die Frage blieb bestehen, wie lange sie brannten und wie oft jemand hier entlang kam, um sie zu ersetzen. Das könnte durchaus eine Woche Zeit in Anspruch nehmen und so viel blieb Madiha nicht. Sie führte zwar die Wasserflasche von Caleb mit sich, welche mit ihrem Gewicht an die eigene Existenz erinnerte, aber mehr als einen oder zwei Tage und sie wäre leer. Wenn das Mädchen nicht verdursten wollte, musste sie allein deshalb schon losziehen.
Anhaltspunkte, in welche Richtung sie sich am besten wenden sollte, fand sie nicht. Obwohl sie mit dem Dieb sicherlich Stunden durch das Tunnelsystem gewandert war, war es Madiha nicht gelungen, irgendwelche Hinweise zu finden, an denen sie sich hätte orientieren können. Das hinderte sie jedoch nicht. Sie suchte nach Möglichkeiten und erinnerte sich an den Duft von Orangen, als ihr erneut eine sanfte Brise entgegenströmte. Sie war nicht mehr so mild wie beim ersten Mal, sondern trug eine fast schon frostige Kühle mit sich. Das konnte nur bedeuten, dass mittlerweile die Nacht hereingebrochen sein musste. Denn nur nachts sanken die Temperaturen im Wüstengebiet der Insel Belfa manchmal sogar bis nah an den Nullpunkt. Ein Phänomen, das so manchen fremdländischen Abenteurer das Leben gekostet hatte, weil er in seiner Ignoranz davon ausging, dass es in Wüsten immer heiß wäre. Dieser tötliche Irrtum konnte Madiha als Einheimischer nicht passieren und jetzt lieferte ihr das anerzogene Wissen sogar Informationen, wie es tagesbedingt zumindest draußen aussehen mochte. Der Duft der Orangen blieb aber auch nachts. Voll und reif mussten sie in irgendeinem Garten eines Sultans hängen, so stark wir der Geruch mit jedem weiteren Schritt anwuchs. Madiha folgte den Aromen, bis sie an eine Weggabelung kam. Wohin nun? Ihr Tunnel teilte sich in drei Richtungen auf. Sie könnte geradeaus, links oder etwas schräger links weitergehen. Es war schwierig, den Duft nun auszumachen. Er schien von überall herzukommen. Zwei Gänge waren beleuchtet. Der ganz linke Tunnel führte nach wenigen Metern in absolute Schwärze. Entweder endete er oder die Kerzen waren in ihren Laternen erloschen.
Noch während Madiha überlegte, ob und welchen Weg sie nun einschlagen sollte, drange aus dem Gang schräg links Geräusche bis an ihre Ohren. Schritte. Sie versuchten zwar, möglichst lautlos zu sein, doch Madiha konnte sie deutlich hören. Es war ansonsten nämlich still im Tunnelsystem und sie hatte geschlafen. Ihre Sinne waren bereits an die Umgebung gewöhnt, entsprechend geschärft reagierte ihr ausgeruhtes Gehör. Die Schritte kamen näher, auf ihre Weggabelung zu. Sie konnte nur ein rhythmisches Gehen vernehmen. Es kam also jemand allein. Derjenige sprach auch nicht. Sie vernahm nur gelegentlich den zügigen Gang, wenn Schuhe über den Stein schabten und dabei etwas Sand verwischten. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, um auf den Herannahenden zu reagieren. Ihr blieb wohl nur ein winziger Moment, etwas zu unternehmen, bevor sie im Schein der Laterne über ihrem Kopf gesehen werden könnte. Was jetzt?!
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