Silas' Wohnhaus

Hier wohnen die Nachtelfen in ihren dunklen Häusern. Kein Lichtstrahl ist je zu sehen, tief unter der Erde, nur der Schein der Fackeln erhellt die dunklen Gassen.
Antworten
Benutzeravatar
Erzähler
Nicht-Spieler-Charakter
Nicht-Spieler-Charakter
Beiträge: 6998
Registriert: Montag 4. Januar 2010, 20:11
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: [br][/br]
Zum Vorzeigen: [br][/br]

Silas' Wohnhaus

Beitrag von Erzähler » Freitag 2. Juli 2021, 23:31

Silas kommt von Spiel der Ratten

Erst als der brummende Bariton erklang, wurde ein metallisches Klicken laut und die Tür ging zögerlich und knarzend auf. Silas konnte gleich das Gesicht seiner Schwester Zahel erkennen, die es kaum wagte nach draußen zu schauen. Müde wirkte sie, neben dem abgekämpften Ausdruck, der auch Silas anhaftete. Ihr Blick erfasste den ihres Bruders und sie atmete geräuschvoll aus, während die Tür weiter aufschwang und den Blick gänzlich auf sie freigab. Zahel trat einen Schritt hinaus, bevor sie stockte und sich Silas‘ Begleiter gewahr wurde. Schüchtern hielt sie in der Bewegung inne und trat zurück ins Haus. „Gott sei Dank, Silas… ich habe mir solche Sorgen gemacht! Du wolltest vor Stunden zurück sein.“, sprach sie aus und senkte den Kopf etwas, als Amenion sie unverhohlen musterte. „Ist sie das?“, quäkte er los und Silas konnte hören, wie die Begleiterin ihren Atem weichen ließ, als würde ihr dieser Ausbruch nicht passen. Doch sie sagte nichts, verhielt sich generell eher am Rande und unauffällig.

Zahel trat zur Seite, nachdem sie das Dreiergespann gemustert hatte und ließ sie nacheinander eintreten. Für Silas, Zahel und Amenion gab es kaum einen Unterschied der spärlichen Lichtverhältnisse, als sie von der Gasse in das Wohnhaus traten. Die stumme Begleiterin jedoch, musste einen Moment stehen bleiben, um die Augen an das wenige Licht zu gewöhnen. Es gab im Prinzip keine nennenswerten Lichtquellen, denn Kerzen waren teuer und es gab einfach wichtigere Dinge, die beschafft werden mussten. Keiner von der fünfköpfigen Familie benötigte zusätzliches Licht, sie alle konnten hervorragend im Dunkel sehen. Amenion folgte Silas ohne dass man hätte erkennen können, dass er sich in einem fremden Haus unwohl fühlen konnte.
Er stiefelte dem Mischling nach und ließ sich von der spärlichen Einrichtung nicht ablenken. Die Frau indes folgte behutsamer, versuchte nirgendwo gegenzustoßen und ließ trotz der schlechten Sichtverhältnisse, automatisch die Augen wandern, um sich ein Bild von der Einrichtung zu machen. Silas fand, wie erhofft, lediglich Zahel vor und schließlich seine Mutter im Krankenbett. Rhona und Calen schliefen bereits. „Silas, sie schläft gerade. Seit du uns verlassen hast, hustete sie sich fast die Seele aus dem Leib und sie.. sie scheint schwerer Luft zu bekommen.“, Zahel schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil… weil ich es nicht ertrage sie so zu sehen…“, flüsterte sie erschöpft und vergrub ihr Gesicht in der flachen Hand. Amenion trat in Erscheinung und an das Bett heran. "Keine Sorge, Mädchen. Amenion, Herr über Kräuter und Knollen ist jetzt da.", grinste er unangebracht und seine Zähne ließen Zahel ratlos zu Silas blicken. Amenion betrachtete derweil die schlafende Oriana, die zwar derzeit ruhte, das Brodeln ihrer Lungen war aber trotzdem hörbar.
Sofort legte er ihr seinen Handrücken auf die Stirn und beugte sich kurz runter, um an ihr zu schnuppern. Er schnippte mit den Fingern und die Fremde trat aus dem Hintergrund, reichte ihm die Tasche, die sie trug und stellte sich wieder in den Hintergrund zurück. Amenion wandte sich an die Geschwister. „Nun, dann erzählt mir mal, wie lange das schon so geht, was sich seither verändert hat und alles was euch einfällt. Und bitte, redet in Celcianisch, damit meine Angestellte, ebenfalls etwas versteht.“, wies er sie darauf hin und bestätigte, Silas Gedanken zu ihrer Unfähigkeit, Herendia zu verstehen.
Der Kräuterkundige stand müffelnd im Zimmer von Oriana und hatte die Hände in die Hüften gestemmt, um Silas und Zahel erwartungsvoll anzusehen. Jetzt war es an ihnen, die ganze Geschichte zu erzählen und zu hoffen, dass Amenion hielt, was er suggerierte zu sein und zu können.
Versteckt:Versteckten Text anzeigen
Ich überlasse es dir, die Einrichtung des Hauses näher zu beschreiben. Ebenso darfst du Silas' Geschwister näher beleuchten und steuern, wenn du willst. Tob dich aus :)
Bild

Benutzeravatar
Silas Círenas
Gast
Gast

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Silas Círenas » Samstag 3. Juli 2021, 11:26

Warm sprenkelte sich die Erinnerung durch den steifen Griff jener Verzweiflung, die sich so hartnäckig in Silas‘ Brust eingenistet hatte. Der Mischling war Myniel und Morrin lange nicht mehr so nah gewesen, wie an jenen Tagen, an denen sie lachend und fröhlich glucksend durch eben jene Straßen gerannt waren, die er nun mit dem Kräuterkundigen und der Unbekannten in stiller Übereinkunft entlangwanderte. Es waren andere Zeiten gewesen, damals, als sie sich jung und leichtsinnig, in wildem Tempo und mit klopfenden Herzen, gegenseitig durch die Stadt gejagt hatten. Vieles hatte sich verändert. Nichts davon zum Besseren. Silas riss sich von den Bildern in seinem Inneren los, entfernte sich geistig von den schwarzhaarigen Geschwistern, die ihn aus violetten Iriden heraus anblickten. In seinem Herz krampfte ein nostalgischer Schmerz, den er als Melancholie erkannte. So hat wohl jeder sein Päckchen zu tragen, dachte der Mischling bitter, ehe er seiner Umgebung wieder mehr Aufmerksamkeit schenkte und erkannte, dass ihn seine routinierten Schritte bereits ins Innere der Nachbarschaft getragen hatten. Die windschiefe Eingangstür der Hütte, die eine kindliche Vertrautheit in ihm wachrief, schob sich derweil immer näher. Zielsicher steuerte er die heruntergekommene Baracke an und kämpfte die Unsicherheit, die ihn bis zu diesem Moment befallen hatte, gewaltsam nieder. Er hatte geklopft, sich zu erkennen gegeben und einen Moment an Ort und Stelle ausgeharrt, ehe er das metallische Klicken vernahm und einen halben Schritt zurücktrat. Zahels Gesicht schob sich durch den Spalt. „Gott sei Dank, Silas… ich habe mir solche Sorgen gemacht! Du wolltest vor Stunden zurück sein.“, ehrliche Erleichterung erhellte die zarten Linien der Schwester, ehe sie sich dem Nachtelfen in seinem Rücken zuwandte und unwillkürlich den Kopf sinken ließ. Ihr silbrig schimmerndes Haar, glatt und lang, hatte sie in ihrem Nacken zu einem einfachen Pferdeschwanz gebündelt, lediglich ein paar störrische Strähnen hatten sich aus der Frisur gelöst. Silas bemerkte den unverhohlenen Blick, mit dem Amenion die Jüngere in Augenschein nahm und kurz war ihm, als würde man einer Katze gegen die Fellrichtung streicheln. Das Bedürfnis, seine Schwester vor dem schmierigen Blick des Fremden abzuschirmen, nahm Überhand, sodass er beim Eintreten die Schulter vorschob und Zahel mit einer sanften Berührung am Arm in das Innere der Hütte und ein Stück weit hinter sich drängte. „Nein, das ist sie nicht.“, kommentierte er das Quäken des Kräuterkundigen und trat über die Schwelle, ehe auch die beiden anderen nacheinander eintraten. Silas beobachtete, wie Amenion seinen Weg ins Innere suchte und bemerkte anschließend, dass die stumme Begleiterin ihre Schritte etwas zögerlicher setzte. Die einnehmende Dunkelheit, die in der Wohnstätte vorherrschte, schien sie zu irritieren – vermutlich, weil sich ihre Augen nur langsam an die Finsternis gewöhnten. Unter anderen Umständen, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, hätte Silas dies womöglich zum Anlass genommen, eine Lichtquelle zu entfachen. Doch Kerzen waren teuer und in einem Haushalt voller Nachtelfen unnötig, also würde der Fremden nichts anderes übrigbleiben, als die schlechten Sichtverhältnisse hinzunehmen. Mit einem letzten Blick auf die Unbekannte steuerte Silas also das spärlich eingerichtete Zimmer an, in dem er das Krankenbett seiner Mutter wusste. Zahel kniete bereits an ihrer Seite und ergriff mit erschöpfte Stimme das Wort: „Silas, sie schläft gerade. Seit du uns verlassen hast, hustete sie sich fast die Seele aus dem Leib und sie… sie scheint schwerer Luft zu bekommen… Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil… weil ich es nicht ertrage sie so zu sehen…“

Silas Bauchraum, in den die empfangenen Gefühle letztendlich hingeleitet wurden, brannte mittlerweile wie Feuer und ließ das Bild eines glühenden Kohlehaufens vor seinem inneren Auge erscheinen. Doch der Mischling nahm all seine Kraft zusammen und ertrug es demütig. Ertrug den Anblick, der sich ihm bot. Die spitzen Schultern seiner Schwester, die kraftlos ihre Hand über die Augen gelegt hatte. Das fahle Gesicht seiner Mutter, deren rasselnde Atemzüge sich angestrengt über ihre Lippen mühten. Silas wäre beinahe an Zahel herangetreten, um ihr eine Hand auf die Schulter zu legen, sie in stillem Verständnis zu drücken. Doch er wusste, dass es notwendig war, den Überblick über die Situation zu behalten. Hier, im Türrahmen stehend, ein paar Schritte vom Krankenbett seiner Mutter entfernt, war er in der Lage, Amenion bei seinem Schauspiel zu beobachten. Ihm durfte nichts entgehen, bis er sich sicher sein konnte, dass der Schwarzhaarige Wort halten würde. Dass er tatsächlich das war, was er ihnen suggerierte. Lediglich ein Anflug von Zärtlichkeit zwang ihn, sich seiner Schwester zuzuwenden und ihr einen sanften, wissenden Blick zu schenken. Mit einem fehlplatzierten Grinsen trat Amenion in die Szene ein. "Keine Sorge, Mädchen. Amenion, Herr über Kräuter und Knollen ist jetzt da.", Silas spürte den ratlosen, blauäugigen Blick seiner Schwester, doch er hielt seine Aufmerksamkeit bereits wieder eisern und mit schmalen Augen auf den Schwarzhaarigen gerichtet. Silas verschränkte die Arme vor der Brust und verkrampfte etwas, als er Amenion dabei beobachtete, wie er an seiner Mutter schnüffelte. Fingerschnipsend rief er seine Assistentin herbei, die sich mit leisen Schritten aus dem Hintergrund schälte und ihm die Tasche reichte, bevor sie sich wieder zurückzog. Der Elf stemmte die Hände in die Hüften und ließ seinen Blick zwischen Zahel und Silas hin und her pendeln, während er sprach: „Nun, dann erzählt mir mal, wie lange das schon so geht, was sich seither verändert hat und alles was euch einfällt. Und bitte, redet in Celcianisch, damit meine Angestellte, ebenfalls etwas versteht.“ Silas atmete so tief ein, dass ihm die Luft bis in die Fersen drang.

„Es hat mit einem trockenen Husten begonnen, vor etwa… acht Tagen. Das Fieber kam plötzlich und war hoch, ließ sie Dinge sehen, die nicht da waren. Wir haben es mit Lavendelwickel probiert.“, er ließ den Blick zu Zahel gleiten, die ihre Finger immer noch an die Lippen gelegt hielt. Ihr Blick schwamm in Tränen, die sie tapfer zurückhielt. „Doch sie glüht immer noch. Die klaren Momente, in denen sie uns erkennt, werden immer seltener.“, fuhr er schließlich tonlos fort. Er erlaubte nicht, dass sich Verzweiflung in seine Stimme stahl. „Sie ist weckbar, jedoch nicht immer.“, mit diesen Worten ließ er den Blick über die schmale Gestalt seiner Mutter wandern. Eine verräterische Röte hatte sich mittlerweile auf ihre Wangen gelegt und zierte nun auch die Spitzen der zarten Elfenohren, die aus dem schlohweißen Haar hervorstachen. Rastlos begann sich Oriana in den klammen Laken zu regen, kämpfte scheinbar eisern mit den gesichtslosen Gestalten in ihrem Kopf, die sie durch dessen neblige Gefilde verfolgten. Mit einem Mal war es um Silas‘ Selbstbeherrschung geschehen, er trat an das Krankenbett heran, begleitet von dem leisen Wimmern seiner Schwester, deren trauriges Gesicht bedrückt, lang und schmal wirkte, wie die Flamme einer Lampe, die Lippen kummervoll zusammengepresst, die fremdartig großen, blauen Augen verschattet. Hilflos wand sich Silas‘ Mutter in seinen Armen, als er ihren Kopf in seine Ellenbeuge bettete und mit der anderen Hand nach ihren Fingern griff. Sie versuchte vergeblich den dämonischen Krallen ihrer Fantasie zu entrinnen, doch sie schnitten sich tief in ihr Fleisch, entlockten ihr undeutbare Geräusche und ein tiefsitzendes Brodeln der Lunge. „Es wird alles gut“, sprach der Mischling in sanfter Tiefe und murmelte ein paar beruhigende, nachtelfische Wörter, die jedoch von dem unheilvollen Raunen seiner Mutter verschluckt wurden. Als er den Kopf abwandte, um Amenion einen drängenden Blick zuzuwerfen, wechselte er erneut ins Celcianische, die Stimme vibrierte, als er sich in der Lautstärke zurückhalten musste: „Kannst du ihr nun helfen? Oder kannst du es nicht?“

Würde Amenion einen Weg sehen, sie zu heilen? Oder würden Kräuter und Knollen in diesem Zustand, in dem sich seine Mutter mittlerweile befand, versagen? In dieser Situation wusste Silas, dass er alles tun würde, um die Schmerzen seiner Mutter zu lindern. Er erwischte sich sogar bei dem Gedanken, notfalls auf jene Magie zurückzugreifen, welche er scheinbar allzu vorschnell abgelehnt hatte. Würde im Fall der Fälle überhaupt die Möglichkeit bestehen, seine Entscheidung zu revidieren?

Benutzeravatar
Erzähler
Nicht-Spieler-Charakter
Nicht-Spieler-Charakter
Beiträge: 6998
Registriert: Montag 4. Januar 2010, 20:11
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: [br][/br]
Zum Vorzeigen: [br][/br]

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Erzähler » Samstag 3. Juli 2021, 13:52

Wenn man sein ganzes Leben dafür zuständig war, sich um andere zu kümmern und dafür zu sorgen, dass es allen um einen herum gut ging ohne dabei an sich zu denken, dann musste es ein ziemlichen Konflikt heraufbeschwören, jemand anderes das Ruder zu überlassen. Silas befand sich, mit Eintritt in sein Zuhause, in eben jener Situation. Plötzlich war er nicht mehr Herr der Lage und konnte einzig und alleine am Rande stehen, um dem Heiler Platz zu lassen. Er konnte über die Schauspielerei hinwegsehen, versuchte sich davon nicht ablenken zu lassen, denn es ging hier um nichts geringeres, als seine Mutter. Die Frau, die ihm das Leben geschenkt hatte, das Leben seiner Geschwister und die Zeit seines Lebens Mittelpunkt dessen war.
Er brauchte die Künste Amenions und hoffte inständig, dass er zu helfen wusste. Dieser kam wenigstens gleich zur Sache und bedachte die kranke Mutter, die fahl und mit roten Wangen in ihrem Bett immer wieder von Fieber geschüttelt wurde, mit einem kundigen Blick. Er ließ sich bereits die Ledertasche geben und die Gehilfin zog sich wieder zurück, um Platz zu lassen. Dennoch ruhten die mandelförmigen Augen auf der Kranken. Bevor sich der Heiler aber ans Werk machen konnte, ließ er sich von den Geschwistern schildern, wie es zu ihrem Zustand gekommen war.

Silas übernahm für seine Schwester das Reden und Zahel widmete sich dankbar ihrer Mutter, als diese erneut geschüttelt wurde. Immerhin lauschte der Elf Silas aufmerksam und nickte ab und zu, dass er verstanden hatte. Immer mal wieder, huschten seine Augen zu seiner Assistentin und schien zu prüfen, ob sie ebenso aufmerksam folgte. Sie ließ ihren Blick von Silas zu seiner Schwester und dann seiner Mutter wandern. Doch sie sagte nichts, denn Amenion wollte das Wort ergreifen. Er wandte sich Silas zu, doch dieser hielt es nicht mehr aus, als seine Mutter erneut gepeinigt wurde. Ohne sich noch an falsche Zurückhaltung zu klammern, durchschritt er die wenige Distanz, bis er vor dem Krankenbett kniete und den geschwächten Leib seiner Mutter in den Armen hielt.
Er musste ihr Trost spenden, konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen und nicht für sie da zu sein. Zahel schluchzte leise auf und hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt. Die Verzweiflung im Raum war greifbar und erfasste jedes mitfühlende Wesen. Es lag ein drückender Schleier in diesem Raum, der die Wahrheit nicht offen zeigen wollte und dennoch unausgesprochene Ängste sichtbar machte.
Silas‘ Ungeduld brach sich Bahnen und so forderte er eine klare Entscheidung des Heilers, ob er helfen könnte, oder nicht. Amenion betrachtete das Bild einen Moment, bevor er sich räusperte. „Junge, ich kann es versuchen, aber ich weiß nicht ob es ohne die… du weißt schon ‚Sonderbehandlung' funktionieren wird.“, raunte er verschwörerisch und spielte auf die Magie an, die allerdings auch um ein Vielfaches teurer werden würde.

Plötzlich zischte die Begleiterin am Rande der Szenerie und erhob die Stimme: „Du alter Raffzahn, presst selbst am Krankenlager die armen Seelen aus! Beiseite mit dir!“. Ihre Stimme war wohlklingend und trotzdem nachdrücklich. Sie wirkte fast wie der wärmende Tee, mit Honig garniert, in diesem dunklen Raum aus Verzweiflung und Krankheit. Amenion sah sie äußerst pikiert an und es legte sich ein scharfer Ausdruck auf sein Gesicht. Sie hatte ihm so eben die Chance genommen, noch mehr Geld zu erpressen und gewiss wäre der Gehilfin eine Strafe sicher. Doch sie scherte sich im Augenblick nicht darum, schien sich nicht länger im Hintergrund halten zu wollen. „Ava!“, knurrte Amenion zwischen seinen aufeinander gepressten Zähnen hervor, mahnend und fast schon drohend. „Ich ertrage es nicht dir dabei zu zusehen, wie du die armen Leute schröpfst! Sie braucht Hilfe und keinen geldgierigen, stinkenden Herr der Pflanzen.“, hielt sie dagegen und Amenion knurrte „Herr der Kräuter und Knollen! Merk dir das endlich, Weib!“. Es hatte schon etwas skurriles, doch die Assistentin schob sich aus dem Dunkel näher an das Bett heran. Sie ignorierte Amenions Worte, um sich dann an Silas und Zahel zu wenden. Sie bedachte Zahel mit einem warmen Blick. „Habt ihr sauberes Wasser? Bringt eine Schale bitte und frische Tücher.“, sagte sie in ruhigem Tonfall der wie eine sanfte Musik plätscherte und bittend, statt fordernd war. Zahel blinzelte die Fremde an, schien einen Moment verblüfft über die seltsame Frau, mitten in ihrem Haus zu sein, doch drückte sie Silas‘ Schulter, bevor sie ging, um das zu holen, was die Fremde brauchte.
Diese wandte sich, als Zahel aus dem Zimmer ging, an Silas. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, dort wo Zahels gewesen war und er konnte spüren, dass sie die Kühle brachte, die er schon einmal spürte. Doch dieses Mal konnte er merken, wie ihn ein sanfter Strom an Zuversicht erfasste. Kaum greifbar und nicht so, als dass er seine Sorgen völlig vergaß, doch es war, als würde ihre Berührung Mut machen, ohne zu wissen warum. „Lasst mir etwas Platz, Silas.“, bat sie ihn ruhig und hob dann ihre Hand von seiner Schulter und das Gefühl von Zuversicht versiegte, ließ ihn wieder zurückfallen in die triste Ausweglosigkeit.

„Avalinn! Ich mach das schon! Scher dich weg!“, bellte Amenion plötzlich doch die Angesprochene strich sich den Schleier vom Kopf und entblößte die langen, glatten rotbraunen Haare, die ihr über die Schultern fielen und wirkten, als würden sie fließen. Danach entledigte sie sich dem schwarzen Nachtelfenumhang und es war fast so, als würde sie alleine die Finsternis zum Strahlen bringen. Unter dem Schwarz kam ein hellgrünes Kleid zum Vorschein, das sich an ihre schlanke Silhouette schmiegte und die hochgewachsene Statur unterstrich. Ihre Haut war rosig und wies überall an sichtbaren Stellen den goldenen Glanz auf, den Silas bereits beobachtet hatte.
Ihre Gesichtszüge waren lieblich und von eben jener elfischen Schönheit, die viele Frauen und Männer teilten. Doch inmitten dieser grauen, trostlosen Wohnstätte, war es als würde Avalinn selbst das Licht bringen. Ihre honigfarbenen, Bernsteinaugen strahlten mit unerschütterlicher Wärme und Liebe auf die Nachtelfen herab. Ihr ganzes Wesen schien Hoffnung zu spenden, ohne dass man sie kannte. Wie um alles in der Welt sie hierher kam, war nur eine der vielen Fragen. „Na schön, Weib. Das wird dir leidtun, dafür siehst du kein Silber!“, zischte der Kräuterelf und wischte mit einer Handbewegung über die Szenerie. Er wandte sich an Silas „Ihr zahlt trotzdem und ihren Einsatz zahlst du auch!“ fauchte er wütend. Plötzlich kam der Lederbeutel geflogen, als Avalinn ihn dem Stinker zugeworfen hatte „Nimm es und geh endlich, damit der armen Frau geholfen werden kann!“. Amenion grabschte den Beutel, warf beiden noch einen wütenden Blick zu, um dann zu gehen.

Bevor er verschwand, packte er Avalinn am Arm und schien fest zuzupacken, denn das ebenmäßige Gesicht bekam einen leidenden Ausdruck. „Wehe du bist nicht in einer Stunde wieder da. Du wirst dafür büßen.“, knurrte er und entließ sie dann aus seinem Griff. Erst als er endlich die Wohnung verlassen hatte, atmete Avalinn aus und schaute zu Silas. Sie lächelt aufmunternd. „Keine Sorge, ich helfe eurer Mutter.“. Dann sah sie Zahel an, die das Wasser und die Tücher brachte. „Ich danke euch. Wir müssen die Laken wechseln und eure Mutter etwas Trockenes anziehen. Sonst verkühlt sie.“, wies sie sanft an und öffnete die Kräutertasche, um einige Dinge herauszuholen. Sie legte alles auf einen kleinen Nachtschrank und schnupperte immer wieder an den Kräutern, da sie sie nicht gut erkennen konnte. „Habt ihr vielleicht eine kleine Laterne? Oder… ein kleines Glas, zur Not?“, fragte sie unvermittelt und sortierte weiter ihre Utensilien. Danach wandte sie sich mit einem entwaffnenden Lächeln an die Geschwister. „Ich sehe nicht so gut, wie ihr in der Dunkelheit.“, es klang wir eine Entschuldigung. Danach würde sie, falls die Geschwister das nicht schon tun würden, beim Umziehen der Mutter helfen, bevor sie sich endlich an die Behandlung machen wollte.
Bild

Benutzeravatar
Silas Círenas
Gast
Gast

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Silas Círenas » Samstag 3. Juli 2021, 21:01

Silas erkannte in Amenions Blick das, was er nicht gewillt war, auszusprechen – er hat keine Ahnung. Kälte schlich dem jungen Mischling ins Mark, eisige Klauen griffen nach seinem ängstlichen Herz, verlangten danach, dass er die Panik und Verzweiflung fühlte, die er in seinem Innersten verborgen gehalten hatte. Er spürte den holprigen Rhythmus seines Pulses, während sich jener Griff mit den verstreichenden Sekunden festigte, ein seltsamer, stechender Schmerz, der sich in seinem Brustkorb ausdehnte. „Junge, ich kann es versuchen, aber ich weiß nicht, ob es ohne die… du weißt schon ‚Sonderbehandlung' funktionieren wird.“, ein wahrer Sturm an Gefühlsregungen fegte über die feinen Gesichtszüge des Mischlings hinweg, so schnell, dass man kaum eine davon richtig zu fassen bekam. Vielleicht wäre etwas davon an die Oberfläche durchgebrochen, hätte sich mit brachialer Gewalt durch die unnahbare Maske des Weißhaarigen geschlagen, bevor es jedoch dazu kam, ertönte ein scharfer Laut aus dem Hintergrund – ein Zischen. „Du alter Raffzahn, presst selbst am Krankenlager die armen Seelen aus! Beiseite mit dir!“, mit deutlichem Nachdruck in ihren Worten wies die Assistentin ihren Herren in die Schranken. Eine unerwartete Szenerie, die sich den nachtelfischen Geschwistern bot. Reglos verharrte Silas, sichtlich irritiert durch den plötzlichen Biss, der den Worten der jungen Frau anhaftete. Der Ausdruck offener Erstauntheit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er dem Schlagabtausch beiwohnte. Nicht einmal die unausgesprochene Drohung, die Amenion ihr vermittelte, als er ihren Namen knurrte, schien sie ins Wanken zu bringen. „Ich ertrage es nicht dir dabei zu zusehen, wie du die armen Leute schröpfst! Sie braucht Hilfe und keinen geldgierigen, stinkenden Herren der Pflanzen.“, hielt sie tapfer dagegen. „Herr der Kräuter und Knollen! Merk dir das endlich, Weib!“, es war der Zorn eines Mannes, der um sein Geld gebracht worden war. Offensichtlicher Ärger triefte dem müffelnden Elf aus jeder Pore.

Ungehindert schob sich die Fremde derweil in den Vordergrund, richtete den warmen, bernsteinfarbenen Blick auf Zahel und bat jene mit ruhiger Stimme um Wasser und frische Tücher. Die Schwester des Mischlings schien ebenso überrascht von der jungen Frau, die soeben gänzlich unerwartet den Raum für sich eingenommen hatte. Silas spürte den leichten Druck an seiner Schulter, als Zahel sich erhob, um der Aufforderung der Fremden nachzukommen und blickte ihr nach, als sie sich zügig entfernte. Oriana wimmerte leise in seinem Arm und warf den Kopf seufzend gegen seine Brust, das Glühen ihrer Stirn konnte er durch die feine Stoffschicht seines Hemds spüren. Silas drückte die Hand seiner Mutter, rief sich selbst und seine aufgewühlten Gefühle einmal mehr zur Ordnung – dies schien ihm unter der plötzlichen Berührung der Assistentin, deren kühle Finger nun auf seiner Schulter ruhten, mit erstaunlicher Leichtigkeit zu gelingen. Der tobende Orkan in ihm fand unter ihrer Hand zur Ruhe, alles wurde still, bis der Sturm schließlich einer sanften Brise glich, einem Windhauch an der Oberfläche. Silas war versucht, aufzuseufzen, stattdessen lockerten sich die angespannten Muskeln seiner Schulterpartie und er wich wortlos zur Seite, als sie ihn um ein wenig Platz bat. Erst, als er ihrer Berührung durch jene Bewegung entrückte, brausten die Emotionen wieder auf – ein immenser, innerer Lärm, laut, energiefressend, alles verzehrend, der ihn in eine triste Ausweglosigkeit fallen ließ. Was war passiert? Was war das für eine Magie? Der Drang, die freigewordenen Arme, um sich zu schlingen, wurde mit jedem verstreichenden Augenblick stärker, bevor er sich der Hoffnungslosigkeit jedoch hingeben konnte, ertönte Amenions zornige Stimme aus dem Hintergrund. Silas, welcher nun mit dem Rücken gegen die Mauer gelehnt dasaß, ein Bein aufgestellt und den Arm kraftlos über das Knie gelegt, beobachtete mit müden Augen, wie der Schwarzhaarige energisch heranstapfte.

„Avalinn! Ich mach das schon! Scher dich weg!“, die Angesprochene reagierte mit einer fließenden Bewegung, welche ihr den Schleier vom Kopf strich, dem sogleich auch der nachtelfische Umhang folgte. Silas stahl sich einen Blick auf das rotbraune Haar, welches schwingend den Bewegungen seiner Herrin folgte. Zugegeben, er hatte sich vom Sonnenlicht immer ferngehalten, doch hätte man es in Glas einfangen können, war sich Silas ziemlich sicher, dass es mit der Haut der Unbekannten konkurriert hätte. Ein fremdartiges Strahlen ging von ihr aus, schien in der finsteren Baracke beinahe schmerzhaft deplatziert. Der Weißhaarige scheiterte kläglich an dem Versuch, ihr Erscheinungsbild einem ihm bekannten Ort zuzuordnen – an keinem anderen Reisenden hatte er ähnliche Merkmale gesehen. Diese Haut, diese Augen. Selbst das grüngehaltene Kleid, welches ihrer Silhouette in einer Art und Weise schmeichelte, dass jedes Kompliment einer stumpfsinnigen Bemerkung geähnelt hätte, wirkte seltsam befremdlich. Avalinn brachte das Licht an einen Ort voller Finsternis. Mehr noch, sie brachte etwas viel selteneres mit sich – Hoffnung. So war es nicht etwa die ebenmäßige Schönheit, welche die Elfe in jenem herabgekommenen Raum ausstrahlte, die Silas einen kurzen Moment in seiner Aufmerksamkeit gefangen hielt. Es war die eigene Unsicherheit darüber, dass sie in ihrem Tun etwas kleines, fragiles in ihm erweckte – ein Funke, der in der Dunkelheit seiner eigenen Hilflosigkeit schwach zu glimmen begann. Es dauerte einen Moment, ehe Silas Worte fand für das, was er empfand. Zuversicht. Er hatte es in der Sekunde gespürt, als sie ihn berührt hatte - als hätte sie einen Samen in die vertrocknete Erde seiner Seele gepflanzt und mit ihren sanften Worten bewässert. Silas Blick schwamm zurück in den Fokus als Amenion ihn anfauchte: „Ihr zahlt trotzdem und ihren Einsatz zahlst du auch!“. Der Mischling hatte den Kopf erschöpft gegen die Mauer gelehnt und betrachtete Amenion aus müden, desinteressierten Augen, deren Lider den Blick beinahe lasziv verhangen. „Es wird mir ein Vergnügen sein“, kam es brummend über seine Lippen, deren Mundwinkel verräterisch zuckten, als der Lederbeutel dem Kräuterkundigen gegen die Brust geflogen kam. Die Elfe hat Mumm, bemerkte er anerkennend.

Das amüsierte Schmunzeln bröselte dem Mischling von den Lippen, als Amenion seine Assistentin am Arm packte und den Griff verstärkte, bis sich ein leidender Ausdruck in dem Gesicht der Elfe manifestierte. Spannung durchzog den Körper des Weißhaarigen, er hob den Kopf ein wenig an, zog den abgestützten Arm an seine Seite, um sich in einer zügigen Bewegung in den Stand zu erheben. „Wehe du bist nicht in einer Stunde wieder da. Du wirst dafür büßen.“, knurrte Amenion und entließ sie aus seinem Griff. „Eure Dienste werden heute nicht mehr benötigt“, eine erstaunliche Ruhe hatte sich über die Worte des Mischlings gelegt, ganz im Gegensatz zu dem scharfen Blick aus den stechend gelben Iriden, mit dem er Amenion bedachte und dem nun keine Müdigkeit mehr anzuhaften schien. „Ihr könnt gehen. Vielen Dank.“, Silas bewegte sich leise an die Elfe heran, schließlich an ihr vorbei und begleitete Amenion anschließend bis zur Haustür. Er versicherte sich, nachdem er sie abgeschlossen hatte, dass jene auch verschlossen bleiben würde. Finstere Beleidigungen tobten hinter der Stirn des Weißhaarigen, als er sich umdrehte und seinen Fokus auf die Elfe richtete. Ihr Lächeln traf ihn etwas unerwartet, piekste ihn durch die bröckelnde Maske. Wie zum Selbstschutz starrte er ihr grimmig ins Gesicht, das ihm aufmunternd entgegenstrahlte. Es kostete ihn mehr Anstrengung, als es sollte. „Keine Sorge, ich helfe eurer Mutter.“, er nickte, warf einen Blick auf das fiebernde Häufchen Elend, welches sich immer noch rastlos in den Laken des Krankenbetts räkelte. „Ich weiß… Danke.“, diesmal war es aufrichtig, das spürte Silas, denn das Wort lag ihm wie ein Stein auf der Zunge.

Als Zahel das Zimmer mit den benötigten Utensilien betrat, folgte Silas dem Blick der Elfe. „Ich danke euch. Wir müssen die Laken wechseln und eure Mutter etwas Trockenes anziehen. Sonst verkühlt sie.“, der Mischling knöpfte sich den Umhang auf, entledigte sich dem überflüssigen Stoff und hängte ihn achtlos über die Lehne eines nahestehenden Stuhls. Anschließend begann er, sich die Ärmel des schwarzen Hemds bis an die Ellenbogen hochzukrempeln, während sich Zahel um die frischen Laken eilte. „Habt ihr vielleicht eine kleine Laterne? Oder… ein kleines Glas, zur Not?“, der Blick des Mischlingselfen zuckte von seinen Händen hoch, beobachtete, wie sie die verschiedenen Kräuter unter ihre Nase hob, um jene sortieren zu können. „Ich sehe nicht so gut, wie ihr in der Dunkelheit.“ Pieks! Silas wandte den Blick von ihrem Lächeln ab. „Ich sehe mal, was wir haben“, murmelte er und verschwand durch die nächstgelegene Tür, während Avalinn und Zahel damit begannen, Oriana von ihren nassgeschwitzten Kleidern zu befreien. Es dauerte eine ganze Weile, bis er zwischen dem Gerümpel des kleinen Abstellraumes etwas fand, das wohl als kleine Laterne hätte durchgehen können. Verstaubt und rostig zwar, doch vielleicht würde es der Elfe genügen. Er stellte die kleine Laterne neben den Saum des grünen Kleids, als er den Raum anschließend wieder betrat. Die fröstelnden Glieder seiner Mutter hatten derweil in den trockenen Stoff eines frischen Nachtkleids gefunden und während Avalinn sich auf eine Behandlung vorzubereiten schien, half Silas seiner Schwester dabei, die Laken des Betts zu wechseln und ihre Mutter anschließend zu betten. Er positionierte sie mit sanften Händen, lagerte ihren Kopf achtsam auf dem frischbezogenen Kissen. Danach trat Silas zögernd in den Hintergrund, darum bemüht, der Heilerin den nötigen Platz zu lassen. Er knetete nervös die Hände, ehe er sich dazu entschloss, auf dem hölzernen Stuhl Platz zu nehmen. Zahel hielt sich in der Nähe der Elfe bereit, wartete stillschweigend ab, um ihren Einsatz, sollte Avalinn nochmals Unterstützung benötigen, nicht zu verpassen. Oriana stöhnte unruhig und begann erneut zu strampeln.

Die Welt, so hatte ihm ein Künstler einmal gesagt, war aus Musik erschaffen worden. Manchmal, wenn sie jemand besonders gut zu formen vermochte, lebte sie auch für den Moment aus der Vorstellung des Künstlers heraus, der an ihren seidenen Fäden zog. Schicksal und Lebenslinie, die sich verflochten und sichtbar gemacht wurden. Silas hielt die Augen auf die unruhigen Bewegungen seiner Mutter gerichtet und stimmte eine tief vibrierende Melodie an. Es waren die sanft schwingende Klänge eines alten Kinderliedes, welches seine Mutter oft als Einschlafsritual gewählt hatte - es erzählte vom Wind in den Segeln und dem Wiedersehen an verlassenen Häfen. Seine Stimme trugen die Strophen wie der sanfte Hauch einer lauen Sommernacht an die Ohren der jeweils anwesenden. Die Melodie sollte dabei helfen, die Dämonen vor Orianas Augen fort zu tragen und stattdessen ungesehene Bilder von anderen Zeiten malen. Wenn er sonst schon nicht großartig helfen konnte, dann vielleicht wenigsten dadurch.

Benutzeravatar
Erzähler
Nicht-Spieler-Charakter
Nicht-Spieler-Charakter
Beiträge: 6998
Registriert: Montag 4. Januar 2010, 20:11
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: [br][/br]
Zum Vorzeigen: [br][/br]

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Erzähler » Sonntag 4. Juli 2021, 07:40

Die Erkenntnis dass Amenion Zeit schinden wollte, um sich neben seiner Ahnungslosigkeit noch mehr Geld zu erschleichen, befreite Silas‘ ausdruckslose Maske und ließ die Emotionen in schnellem Wechselspiel auf seinem Gesicht tanzen. Er hätte sicher etwas unüberlegtes getan, wenn ihm nicht unerwartete Hilfe zur Seite gesprungen wäre. So unvermittelt, wie die Worte von der Elfe kamen, so wohlplatziert waren sie auch. Ihre Stimme bedurfte keiner Lautstärke, denn sie schaffte es trotz der Melodie darin, scharf zu klingen und ihre Missbilligung in jede Facette der Worte zu legen. Die Überraschung war sowohl bei Zahel, als auch bei Silas groß und sie konnten beide dem daraufhin folgenden Schlagabtausch nur beiwohnen. Avalinn ließ sich nicht beirren, als sie Zahel um Wasser und Tücher bat und auch, als Amenion sie erneut daran hindern wollte, war ihre Antwort mehr als deutlich. Sie entledigte sich der dunklen Kluft, die ihre wahre Natur bis dahin gut verborgen hatte. Silas konnte sich, trotz der vorherrschenden Situation und all seinen Sorgen, ihrer Ausstrahlung nicht entziehen. Schon kurz zuvor hatte er von einer Gnade gekostet, die den Sturm in ihm zu beruhigen wusste und jetzt, da ihr Anblick offen vor ihm lag, wurde sanft in ihm etwas geweckt, das er schon sehr, sehr lange nicht mehr empfunden hatte. Die Zuversicht, die vorsichtig keimte, bräuchte noch unfassbar viel Pflege, bevor sie wirklich als angewachsen bezeichnet werden konnte, doch ein kleiner Schritt war gemacht. Ausgelöst von jemanden, der nicht mal ansatzweise hier sein dürfte. Der völlig Fehl am Platz wirkte und doch nicht wegzudenken wäre. Ja, ihre Handlungen entlockten Silas sogar ein amüsiertes Anheben der Mundwinkel und die anerkennend Feststellung, dass sie Mut bewies, indem sie entgegen ihrer vermeintlichen Kompetenz handelte. Die nachfolgende Drohung jedoch, veranlasste Silas sich zu erheben und nun seinerseits zu handeln. Er würde nicht zulassen, dass ihm die kleine, zerbrechliche Zuversichtspflanze zertreten werden würde und schon gar nicht von dem Scharlatan Amenion. Seine Ruhe und das durchdringende Bohren seines Blickes, ließen Amenion jedes Wort herunterschlucken und sich hinauskomplimentieren.

Silas achtete darauf, dass niemand die Tür ohne sein Einverständnis öffnen könnte, bevor er zurückkehrte und von einem aufmunternden Lächeln begrüßt wurde. Er konnte nicht anders, als grimmig in das Lächeln zu starren, denn viel zu lange hatte er keinerlei Freundlichkeit mehr erfahren. Trotzdem war der Dank, den er ihr entgegnete, ehrlich und schwerwiegend. Bereits jetzt hatte er das Gefühl, endlich etwas erreicht zu haben. Ihre unerschütterliche Ruhe griff auch nach den Geschwistern und auch wenn er nicht wusste, woher sie stammen musste oder wie sie das machte, er badete darin. Zahel kam mit den benötigten Dingen zurück und durchbrach den kurzen Moment der Dankbarkeit. Avalinn wandte den Blick zu der Schwester mit den silbernen Haaren und lächelte ihr dankend zu. Danach öffnete sie die Ledertasche und begann die benötigten Kräuter zu sondieren. Silas beobachtete, wie sie an den einzelnen Kräutern roch, damit sie sicher sein konnte, welche sie zur Hand hatte. Ihre Entschuldigung, unterlegt mit einem entwaffnenden Lächeln, wollte sich erneut durch seine unnahbare Maske bohren, sodass er den Blick abwandte. Er würde sich bemühen, etwas Entsprechendes zu finden und verließ den Raum eine kleine Weile.
Silas durchstöberte den Abstellraum, bevor er einige alte Gegenstände zur Seite schob und schließlich eine Entsprechung fand. Als er in den Raum zurückkehrte, hatten die beiden ungleichen Elfenfrauen der Mutter bereits das neue Nachtkleid angezogen. Avalinn sah die Ausbeute Silas‘ zu ihren Füßen und nickte. „Das ist wunderbar.“, antwortete sie und griff nach dem rostigen Henkel. Sie trat wieder an das kleine Schränkchen heran, während in ihrem Rücken die Geschwister das Bett richteten. Sie gab ihnen die Zeit dafür, denn ihr entging die Behutsamkeit dahinter nicht, ebenso wie die Liebe, die sie für ihre Mutter empfanden. Verdeckt vor empfindlichen Nachtelfenaugen, schirmte sie die Laterne mit ihrem Körper ab, bevor sich die Umrisse ihrer Silhouette, auf Höhe ihres Bauches, leicht erleuchteten. Sie hob ihre Hände und das Leuchten schien von ihnen auszugehen, nicht sonderlich hell und längst nicht blendend, wie das Licht in der Gasse, doch ganz klar sichtbar in diesem dunklen Raum.

Es dauerte nicht lange, da drehte sie sich so, dass der Blick auf die Laterne fiel. Hier leuchtete eine kleine, undefinierbare Kugel und spendete der Elfe das Licht, um sich die Kräuter noch mal zu besehen. Silas hatte sich inzwischen auf den Stuhl gesetzt, während Zahel erwartungsvoll neben dem Bett stand. Avalinn lächelte den Geschwistern abermals zu, bevor sie sich vor das Bett kniete, den Nachttisch etwas zu sich zog und die Laterne auf den Boden stellte. Dann rieb sie sich die kühlen Hände aneinander, als wollte sie sie wärmen, bevor sie Oriana an der Stirn und der Brust berührte. Einen Moment harrte sie aus, schien zu fühlen, zu warten. Danach krempelte sie sich ihrerseits die Ärmel hoch, um eines der Tücher zu nehmen, ordentlich auszuwringen und Oriana damit abzutupfen. Das wiederholte sie sorgsam mit ihrem Gesicht, Hals, den Armen und schließlich auch den Beinen. Nun griff sie eine kleine Phiole in der einige getrocknete Kräuter raschelten. Sie gab sie Zahel: „Bitte, füllt das mit etwas Wasser und schüttelt es für mich einen Moment.“, sagte sie und lächelte ihr Mut machend ins Gesicht.
Der Gesang von Silas begleitete Avalinns Handlungen und schienen tatsächlich Wirkung bei seiner Mutter zu zeigen, denn sie atmete etwas ruhiger und wandte sich nicht mehr ganz so häufig. Avalinn legte plötzlich ihren Kopf auf die Brust der Mutter und lauschte einige Sekunden, bevor sie erneut konzentriert die Kräuter griff, die sie brauchte. Danach zog sie aus der Tasche einen kleinen Stößel mit Mörser, mit dem sie die ausgewählten Kräuter zerstieß. Sie nahm eine kleine Pipette, griff nach dem Fläschchen, das Zahel ihr nun fertig geschüttelt reichte, und tröpfelte vier Tropfen in die zerstoßen Kräuter. Erneut bat sie die Schwester, ihr einen Becher mit Wasser zu holen, was diese schnell tat.

Avalinn gab die Kräuter in den Becher und hielt diesen dann zwischen ihren Händen. Sie verschloss die warmen Augen und murmelte leise in einer fremden Sprache die fast schon einem Gesang glich, so melodisch war sie und vielleicht fiel den Geschwistern auf, dass der Becher minimal anfing zu dampfen. Sie erhob sich und reichte den Becher Silas. Sie stand vor ihm und musterte ihn mit offenem Blick: „Singt weiter, während Ihr eurer Mutter das hier einflößt.“, sagte sie und trat zur Seite, damit er Platz hatte. „Lasst sie schluckweise davon trinken.“, fügte sie noch an. Noch bevor jemand fragen konnte, gab die brünette Elfe bereits Auskunft: „Das ist ein Tee aus Thymian mit Kamille und etwas Baldrian.“, sagte sie und schaute zu Oriana. „Der Thymian wird der Lunge helfen, die Kamille das Fieber bekämpfen und der Baldrian hilft ihr, dass sie zur Ruhe findet.“. Sie besah sich Silas mit einem feinen Schmunzeln auf den Lippen. „Ihr singt sehr schön, sie scheint es zu hören.“, ermutigte sie den Mischling auf unaufdringliche Art und wandte sich wieder ihren Kräutern zu. „Nachdem sie den Tee getrunken hat, gebe ich etwas Anisöl auf ihre Zunge. Es wird den Schleim in ihrer Lunge lösen.“. Dann hielt die Elfe kurz inne und hob den braunen Schopf. Ihre Augen ruhten auf dem Bild, das sich ihr bot. „Eure Mutter hat eine Entzündung der Lungen, wie ich vermute. Sie ist sehr fortgeschritten und ihre Lungen füllen sich bereits mit Wasser.“, sie zog erneut etwas aus ihrer Tasche, was hölzern und knorrig aussah. „Reibt hiervon einige Male etwas in heißes Wasser und kocht daraus einen Tee. Es wirkt entwässernd.“

Avalinn schaute sich kurz um und deutete auf ein weiteres Kissen, das in einer Ecke lag. „Sie sollte mit dem Oberkörper höher liegen, damit sie besser Luft bekommt und lüftet, so gut es geht durch, aber passt auf, dass sie immer warm und trocken liegt, das ist wichtig.“ Sie packte einige unbrauchbare Utensilien wieder in die Tasche. Dann hielt sie inne und der warme Ausdruck in ihrem Gesicht, umschmeichelte Silas und Zahel. „Ich würde gerne die Nacht über bleiben und den Zustand eurer Mutter überwachen, aber..“, sie zögerte und warf einen Blick zur Tür, als wäre Amenion immer noch da. „Es brächte nur weitere Ärgernisse mit sich.“, wiegelte sie ab, ehe sie den Blick zurück zu den Nachtelfen lenkte. „Ich will ehrlich sein, ich sorge mich, dass der Zustand eurer Mutter fortgeschrittener sein könnte, als angenommen und dann wirken die Kräuter nicht ausreichend. Wir…Ihr müsstet sehen, dass das Fieber sinkt und ihr alle 4 Stunden, etwas von dem Tee geben.“, wies sie die beiden an und man konnte ihr ansehen, dass sie hin und hergerissen war. Die Bernsteinaugen glitten von Silas zu seiner Mutter: „Ich würde morgen gerne nach ihr sehen und mich vergewissern, dass die Kräuter anschlagen.“, murmelte sie, beinahe schon gedankenverloren. Es erschien nicht einfach für sie, der Patientin ihre vollste Aufmerksamkeit zu geben, auch wenn sie es gerne wollte. Sie riss den Blick los und schaffte es trotzdem zuversichtlich aufzuschauen. „Ich werde da sein.“, versprach sie, die feinen Lippen zu einem Lächeln verzogen. Sie griff nach ihrem Umhang und Schleier und wollte sich diese wieder überstreifen. Offenbar nahm sie die Drohung, trotz ihres vorangegangenen Mutes, ernst und wirkte leicht getrieben davon, während die von Amenion eingeräumte Stunde, sich langsam dem Ende neigte.
Bild

Benutzeravatar
Silas Círenas
Gast
Gast

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Silas Círenas » Montag 5. Juli 2021, 15:00

Es dauerte nicht lange, bis sich die feuchtklamme Luft der löchrigen Baracke mit den Duftnoten der verschiedenen Kräuter schwängerte. Es glich einem aromatischen Mantel, unter dem die ungleichen Elfen sich nun bewegten, arbeiteten und um das Wohlbefinden der Kranken mühten. Die Körperwärme der Anwesenden, wie auch der eingesetzte Fieberschub Orianas, hatten die Kälte aus dem kleinen Raum beinahe gänzlich vertrieben – Silas konnte spüren, wie ihm steifes Unbehagen aus den Gelenken wich und sich langsam eine wohltuende Wärme um seine Knochen legte. Angenehm würzige Aromen krochen ihm in die Nase, während er seine Mutter in dem Krankenbett zurechtlegte, lockten den empfindlichen Riechkolben des Mischlings. Den Öldrüsen der Kräuter und Nadelblätter aus der Ledertasche der Heilerin entströmte es leicht pfeffrig, scharf und holzig, aber auch zitrusartig und minzig, es war ein wahres Duftwunder, welches jene da mit sich trug. Durch die verschiedenen olfaktorischen Einflüsse wäre ihm das helle Glimmen, welches die Hände der Elfe zu umspielen begann, beinahe entgangen. Doch er erhaschte noch einen flüchtigen Blick auf das, was seinem bescheidenen Eindruck nach einer abgeschwächten Form jener Lichtflut glich, die er zuvor in der Gasse erlebt hatte. Helle Linien zeichneten die Silhouette der Dunkelhaarigen nach, als hielte sie in ihrem Schoß den Keimling jener Lichtquelle, der die zuvor herrschende Dunkelheit an den Rand der Räumlichkeit zurückdrängte. Avalinn drehte ihre Position und gab den Blick auf ein kleines, formloses Leuchten frei, welches in der Laterne herumtanzte. Silas Augen, deren nachtelfische Pigmentschicht im hinteren Bereich der Netzhaut den Lichtstrahl der kleinen Lichtkugel reflektierte, spiegelten für einen Augenblick das fremdartige Licht und strahlten gespenstisch auf, ehe er den Blick bewusst von der Elfe abwandte. Die multifokalen Linsen nach kurzer Adaption bereits zu senkrechten Schlitzen verformt. Vorsichtig zog er den Arm unter dem Nacken seiner Mutter hervor, bettete ihren Kopf langsam auf das frischbezogene Kissen, ehe er sich einige Schritte rückwärts bewegte und sich schließlich mit knetenden Fingern auf den Stuhl im Hintergrund niederließ.

Er hatte in einem breitbeinigen Sitz auf dem hölzernen Mobiliar Platz genommen, den Oberkörper über seine Knie geschoben und beide Unterarme an den Oberschenkeln abgestützt. Geistesabwesend nestelten seine Finger immer noch aneinander. Silas hatte die Stimme bereits zum Gesang erhoben als Avalinn ihre Behandlung begann. Eine unaufgeregte Melodie, die der Tiefe seiner Kehle entsprang, mit wenig Bewegung, dafür sanft bogenförmig und monoton verlaufend, deren Charakter ruhig und besinnlich war – es war ein einfaches Lied, für die Hörenden leicht zu erfassen und in einem tiefen Tonumfang gehalten, in dem der wohlklingende Bariton des Mischlings bequem singen konnte. So konnte er den Bewegungen der Elfe mühelos folgen, während die nachtelfischen Strophen wie von selbst über seine Lippen tanzten. Silas‘ Blick blieb an den geschickten Händen der Elfe hängen, als sie Zahel erneut um etwas Wasser in eine ihrer Phiolen bat. Bereits zuvor hatte er wachsam beobachtet, wie Avalinn Gesicht, Hals, Arme und Beine seiner Mutter mit einem feuchten Tuch betupft hatte. Und auch jetzt, als sie mit dem Ohr an ihrem Brustkorb lauschte, wartete er auf die Beklommenheit, die ihn zuvor auch bei Amenion gepackt hatte. Ein wenig erstaunt stelle er fest, dass ihn der Nagel in seinem Nacken in keine furchtbare Beunruhigung stürzte, stattdessen konnte er seelenruhig auf seinem Platz verharren und weiterhin die tiefentspannten Töne des Kinderlieds in den Raum hineintragen. Die offensichtliche Fachkunde der Heilerin legte sich lindernd über das gemarterte Seelenwohl des Mischlings – in Zusammenhang mit der eigens angestimmten Melodie hatte die Situation etwas Tröstliches an sich. Gerne hätte er sich davon einlullen lassen, doch Silas wusste, dass es damit noch nicht vorbei war. Es war lediglich ein Etappensieg, ein kleiner Erfolg in einer Reihe tragischer Misserfolge. Und vielleicht gerade deshalb so unsagbar wichtig.

Ein hohles, knirschendes Reiben erklang und Silas bemerkte, wie die Elfe etwas mischte, mit einem kleinen Stößel zerstieß und anschließend mit ihrer Pipette betröpfelte, ehe sie es in einen Becher hineinwandern ließ. Das Lied des Mischlings wurde durch fremdsprachige Wörter unterbrochen, denen er mit neugierigen Ohren lauschte. Es war ein liebreizender Klang, der sich sanft und gesangsähnlich an seine Ohrmuscheln schmiegte. Dampf stieg aus dem Gefäß hervor, welches die Elfe zwischen ihren Händen hielt. Erst als sich Avalinn aufrichtete und an ihn herantrat, hob er seinen Oberkörper aus der lümmelnden Haltung. Obgleich sie absolut keine Bedrohung darstellte, wie er bereits mehrmals festgestellt hatte, hätte er sich ihrem offenen Blick am liebsten entzogen. Der dampfende Becher fand seinen Weg in die Hand des Mischlings. „Singt weiter, während Ihr eurer Mutter das hier einflößt… Lasst sie schluckweise davon trinken.“, mit den Worten trat die schlanke Gestalt etwas zur Seite und öffnete das Blickfeld auf Oriana in ihrem Krankenbett. Der Weißhaarige erhob sich in einer geschmeidigen Bewegung, stets darauf bedacht, den wertvollen Inhalt des Bechers nicht zu verschütten und trat an die Kranke heran. „Das ist ein Tee aus Thymian mit Kamille und etwas Baldrian… Der Thymian wird der Lunge helfen, die Kamille das Fieber bekämpfen und der Baldrian hilft ihr, dass sie zur Ruhe findet.“, unter Avalinns Blick, der nun ebenfalls auf Oriana ruhte, ließ sich Silas auf sein linkes Knie nieder und schob seine kühle Hand unter ihren Nacken. „Hier“, flüsterte er leise. „Trink das, es wird dir guttun.“, informierte er sie, ehe er mit geschlossenen Lippen erneut die vorhergegangene Melodie anstimmte. Mit der untergelegten Hand griff der junge Mischlingself um die Schulter seiner Mutter, den Unterarm stützend in ihren Nacken gelegt, um ihr in eine aufrechte Position zu helfen, in der sie gefahrlos einen Schluck nehmen konnte, ohne sich zu verschlucken. Silas hob den Becher anschließend von ihren Lippen, lauschte auf das kleine, kehlige Geräusch ihres Halses, das ihren Schluckakt verriet, und wartete darauf folgend noch ein paar Augenblicke, in denen sie in aller Ruhe nachschlucken konnte, ehe er sie sanft zurückbettete. „Ihr singt sehr schön, sie scheint es zu hören.“, Silas hielt den Blick auf das Antlitz seiner Mutter gerichtet und zuckte in leichter Abwehr die Schultern, Komplimente hatte er noch nie besonders gut annehmen können. In seiner verschrobenen Wahrnehmung sah er darin stets etwas Gönnerhaftes. "Eine nette Stimme ist nichts von Wert", fügte er gedanklich an und schien nicht bemerkt zu haben, dass sich jene Aussage gleichzeitig über seine Lippen gestohlen hatte. Bleich und nachdenklich betrachtete Silas die Pulsschläge am Hals seiner Mutter. Avalinn hatte sich bereits wieder den Kräutern zugewandt und redete etwas von Schleim in den Lungen, den sie mit einem Öl zu lösen versuchte. Noch einen kurzen Moment ließ sich Silas von seinen Gedanken forttragen, ehe er in die Gegenwart zurückkehrte und mit einem Blick auf die Elfe wieder an der Szene teilnahm. „Eure Mutter hat eine Entzündung der Lungen, wie ich vermute. Sie ist sehr fortgeschritten und ihre Lungen füllen sich bereits mit Wasser… Reibt hiervon einige Male etwas in heißes Wasser und kocht daraus einen Tee. Es wirkt entwässernd.“, er nahm das knorrige Ding entgegen und drehte es prüfend in der Hand. Sieht aus wie Holz, grübelte Silas wenig einfallsreich.

Ein paar weitere Anleitungen fluteten über die nachtelfischen Geschwister hinweg, während die Elfe einige ihrer Utensilien zusammensammelte und wieder verstaute. Silas, der immer noch mit der seltsam aussehenden Knolle in seiner Hand beschäftigt war, bemerkte nur peripher, dass sich eine Aufbruchsstimmung über die Situation gelegt hatte. Er blickte blinzelnd auf als sich Avalinn ein Versprechen abrang: „Ich werde da sein.“, Das Bild, in welchem Amenion nach dem Arm der Elfe griff, flimmerte vor seinem geistigen Auge auf. Silas hatte früh gelernt, aus seinem eigenen Gedankenkarussell auszusteigen und seine Achtung in Bezug auf die eigene Umgebung zu kultivieren. Vielleicht lag es jenem antrainierten Scharfblick zugrunde, dass der Mischling meinte, Feinheiten in den Gefühlsregungen der anderen zu erkennen, die ihm ihre Unsicherheit herantrugen. War es Angst, die er da hinter ihrem plötzlichen Aufbruch vermutete? Die ihren Blick gehetzt Richtung Haustür schweifen ließ, als befürchtete sie, dass der schmierige Elf dort auf sie lauern würde? Silas bemerkte gar nicht, dass Zahel in seinem Rücken bereits darum bemüht war, den Oberkörper ihrer Mutter mit besagtem Kissen hoch zu lagern. Seine Augen hafteten noch immer an der Gestalt der Heilerin, welche nach Schleier und Umhang griff. Seine Gedanken begannen zu rasen. Der Stoff ihres Umhangs hatte gerade auf ihren Schultern Platz gefunden, als Silas auf sie zutrat. „Auf ein Wort?“, er legte ihr die Fingerspitzen auf den Unterarm, um sie in ihrem eifrigen Tun zu bremsen. Die Frage wurde von einem eindringlichen Blick unter dem hellen Wimpernkranz begleitet. Silas trat in den Flur, ehe er mit verschränkten Armen erneut den Blick der Elfe suchte. Es dauerte einen Moment, um die richtigen Worte zu finden, um das Anliegen auf seiner Zunge zu formulieren. „Ich weiß nicht, was es ist, dass Euch an diesen… an Amenion bindet“, der freie Wille konnte es unmöglich sein. „Ihr müsst es mir auch nicht sagen. Es geht mich nichts an.“, fügte Silas hinzu. „Ich werde euch zurückbegleiten, wenn bei ihm der Ort ist, an dem Ihr sein müsst. Aber… ich könnte euch Unterschlupf bieten.“, die Stimme des Mischlings senkte sich zwischen den brüchigen Gemäuern des schmalen Flurs zu einem Flüstern. „Nicht hier, versteht sich.“, schoss es aus ihm heraus, bevor etwaige Bedenken diesbezüglich aufkommen konnten. Er hielt kurz inne, wog seine Überlegungen nochmals ab, ehe er fortfuhr: „Myniel. Sie… ist eine Freundin. Sie würde euch Asyl bieten.“. In seinem Kopf formte sich das Bild heran, mit welchem Blick Myniel den Mischling in Begleitung der Fremden an ihrer Türschwelle begegnen würde. Könnte unangenehm werden, energisch drängte Silas den nagenden Gedanken in den Hintergrund. Nein, Myniel würde ihm diesen Gefallen nicht abschlagen, davon war er überzeugt. Auch Morrin würde seiner Bitte nachkommen, sich Amenion zur Brust zu nehmen, wenn er ihn ehrlich darum bitten würde - der Stolz des Mischlings schmerzte bei dem Gedanken daran. Erbärmlich. Er hatte nie für sich selbst um etwas gebeten, hatte sich stets seinem protestierenden Stolz ergeben, doch für diese Elfe, für die Heilerin, die sich seiner Mutter zugewandt hatte als alles verloren schien, für sie würde er es tun. Aus reinem Eigennutz, versuchte er sich einzureden. Um die Behandlung seiner Mutter zu sichern. Diese Elfe war das Mittel zum Zweck und er brauchte sie, brauchte ihre Gaben. Silas würde nicht zulassen, dass Amenion Hand an die zarte Zuversichtspflanze legte, die ihm an diesem Abend in die Hände geraten war. Wenn er dabei auf fremde Hilfe angewiesen wäre, würde er die Kränkung der eigenen Unzulänglichkeit in Kauf nehmen. Ohne zu zögern. Gleichzeitig verbot er sich, hinter die Heilkunst der Elfe zu blicken – er durfte sich dem lebenden, fühlenden Wesen dahinter nicht öffnen. Es würde Probleme nach sich ziehen, denn so war es immer. Jemand weiteren in seinen innersten Kreis aufzunehmen schien undenkbar - er fühlte sich bereits jetzt, als könnte er dem Gewicht seiner Gefühle kaum gerecht werden, als würde er jeden Moment in einem Kniefall seiner Erschöpfung erliegen. „Ich bringe Euch weg, Avalinn, wenn Ihr es zulässt.“, so oder anders, Silas würde sich dem Willen der Elfe beugen. Die Entscheidung, sie im Fall der Fälle zurückzubegleiten würde er sich jedoch nicht nehmen lassen. Amenion würde seinen Zorn nicht an der Heilerin auslassen – nicht heute, nicht, wenn er es irgendwie verhindern würde können.

Benutzeravatar
Erzähler
Nicht-Spieler-Charakter
Nicht-Spieler-Charakter
Beiträge: 6998
Registriert: Montag 4. Januar 2010, 20:11
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: [br][/br]
Zum Vorzeigen: [br][/br]

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Erzähler » Montag 5. Juli 2021, 23:58

Die Zeit floss dahin, unaufhaltsam und mahnte zumindest Avalinn zur Eile. Sie arbeitete routiniert, bewies ohne etwas zu sagen, dass sie wusste was sie tun musste und legte dabei eine hohe Sorgfaltspflicht an den Tag, die Amenion definitiv vermissen ließ. Es hatte bei dem schmierigen Nachtelf mit den unangenehmen Ausdünstungen nicht lange gedauert, bis sich der rostige Nagel im Nacken von Silas drehte und sich als dunkle Vorahnung manifestierte. Während die gelben Augen die Elfe beobachteten, musste er jedoch feststellen, dass sich keine klamme Ahnung seinen Rücken hinaufschob und eine unheilvolle Erkenntnis ankündigte. War das möglich? Konnte es sein, dass er endlich mal eine kleine Verschnaufpause ergattert hatte? Wie lange war es her, dass er für einen Moment sorgenfrei dasitzen konnte, ein Lied auf den Lippen, das zwar düster und gemächlich vor sich hin plätscherte und ihm und seiner Familie dennoch viel bedeutete? Auch Zahel schien sich den Klängen für einen Moment hinzugeben, denn sie schloss ihre Augen und lächelte in Erinnerungen schwelgend.
Eine vereinzelte Träne rollte der Schwester über die Wange, bevor sie angesprochen wurde und helfend zur Seite stand. Avalinn indes horchte nach der Lunge und mischte mit kundigen Fingern die Kräuter zusammen, die der kranken Oriana Linderung spenden sollten. Sanfte, leise Töne mischten sich in den Gesang, sodass Silas einen Moment innehielt und lauschte. Es klang nicht wie ein Lied, vielmehr wie eine Sprache, die er jedoch nicht kannte. Nachdem die Brünette den Becher erwärmt hatte, wandte sie sich dem Mischling zu. Ihr offener Blick bereitete Silas Unbehagen und Avalinn schien das zu spüren, denn sie senkte ihre Lider etwas, um auf ihre Hände zu sehen. Trotzdem nahm Silas den Tee, um ihn seiner Mutter einzuflößen.

Die Heilerin trat zur Seite und beobachtete ihn dabei. Sanft ruhte der helle Blick auf seinem Rücken und ein liebevolles Lächeln stahl sich ungesehen auf ihre Züge. Silas war sanft zu seiner Mutter, behutsam und vorsichtig. Er ließ Oriana an dem Becher nippen und schenkte ihr dabei seine Stimme und seine Geduld, damit sie sich nicht verschlucken konnte. Silas konnte fühlen, wie seine Worte und seine Stimme ihren Geist erreichten und sie dankbar von dem Tee nippte. Es fiel der entkräfteten Mutter schwer, mehr als nur einen kleinen Schluck zu nehmen, sodass sie nach diesem bereits wieder in die Kissen sank. Avalinn ließ sich hinreißen, ein Kompliment auszusprechen, denn auch ihr blieb die tiefe, berührende Stimme des Elfen nicht verborgen. Seine Reaktion darauf ließ sie jedoch leicht schlucken, wirkte sie recht abwehrend, sodass sie sich wieder auf ihre Aufgabe besann.
Seine Erwiderung ließen den honigfarbenen Blick einen Moment zu ihm wandern. „Es ist Eurer Mutter etwas wert und Eurer Schwester.“, gab sie zu bedenken, kümmerte sich dann jedoch um das Anis-Öl und die weiteren Anweisungen, die sie geben musste, da sie innerlich ihren Aufbruch vor Augen hatte. Die Heilerin packte behände einige Kräuter und Wurzeln zurück in ihre Tasche, die nicht benötigt wurden und haderte mit sich. Sie versuchte eine Lösung dafür zu finden, dass sie die Kranke gerne beobachten würde. Doch sie wollte der Familie keine weiteren Probleme bereiten, denn mit ihrem Handeln hatte sie dafür gesorgt, dass sie mehr zahlen müssten, als ausgehandelt. Also entschied sich Avalinn, dass sie am nächsten Tag kommen würde, um nach Oriana zu sehen. Ihr fiel in ihrer Eile nicht auf, dass sich Silas‘ Blick an sie heftete und zu ergründen versuchte, was in ihr vorgehen mochte. Sie sah sich noch mal das kleine Schränkchen an, prüfte ob sie alles Nötige dagelassen hatte und legte sich ihren Umhang um die Schultern, als eine Berührung sie aus ihren Gedanken riss.

Die Elfe mit dem schimmernden Teint, blickte auf und traf den Blick, der in sie drang. Sofort hielt sie inne, ließ den Schleier lose an ihrem Körper herabhängen und folgte Silas in den Flur. „Natürlich, was kann ich tun?“, fragte sie, bevor Silas seine Gedanken sortiert hatte. Doch das war nicht der Grund dafür, dass er sie zur Seite nahm. Er wirkte ernst und aufrichtig, als er seine Worte wählte. Hatten ihre Lippen zuvor noch ein sanftes Lächeln umspielt, wurde dieses mit jedem Wort brüchiger und erlosch, als Silas innehielt. Avalinn ließ den Blick sinken, faltete ihre Hände und verharrte einen Moment so. Es war nun an ihr, nervös die Finger zu kneten, wie Silas das zuvor getan hatte. Die Ruhe, das sanfte Strahlen das nicht wirklich körperlich war, sondern viel mehr aus ihrem Innern kam, bekamen deutliche Risse und ein Schleier legte sich auf das ebenmäßige Gesicht. Bevor sie etwas erwiderte, sprach Silas seine weiteren Überlegungen aus und musste sich selber eingestehen, dass er Avalinn nicht würde helfen können, wenn er nicht die Hilfe seiner Freunde in Anspruch nehmen würde.
Seine Bedenken musste er beiseite schieben, ob es nun der Stolz war, der sich meldete oder Myniel, die einer falschen Annahme erliegen könnte. Das war alles erstmal zweitrangig, denn er musste verhindern, dass Avalinn, die Heilerin, die Frau die sich seiner Mutter annahm, vielleicht nicht mehr dazu kam, ihre Heilung fortzuführen. Er durfte nicht zulassen, dass sich jetzt etwas zwischen sie und der Genesung stellte. Also fuhr er mit seinem Angebot fort und die Elfe ließ ihren Blick unruhig wandern. Dann fanden die Bernsteine seine Topase und hielten sich hartnäckig in ihnen. Der Blick, den sie ihm schenkte, begann leicht feucht zu glänzen vor Dankbarkeit und etwas anderem, was sich nur schwer definieren ließ. Es lag eine Vertrautheit darin, gepaart mit Hoffnung und einnehmender Wärme. Ihre Stimme passte sich seiner an und so sprach sie sanft und leise. „Silas, sorgt Euch bitte nicht darum, ich.. ich werde morgen nach eurer Mutter sehen und dafür sorgen, dass ihr weiteres Leid erspart bleibt.“, versicherte Avalinn und erkannte offenbar das darin, was Silas sich versuchte einzureden. Dabei wirkte sie weder verbissen, noch verärgert. „Die Umstände, die mich an Amenion binden sind…“, Avalinn's Stimme brach kurz und sie ließ ihren Blick sinken. Erneut belegte ein Schatten ihr Gesicht während sie begann den Mantel zu zuknöpfen. Das nächste Lächeln kostete die fremde Elfe deutlich mehr Anstrengung. „Ich weiß Eure Hilfe zu schätzen, doch ich kann nicht einfach gehen. Wer kümmert sich um Eure Mutter? Ich benötige seine Vorräte, um ihr zu helfen und ich könnte nicht mit ruhigem Gewissen die Hilfe Eurer Freundin in Anspruch nehmen und ihr womöglich noch Gefahr ins Haus tragen.“.

Avalinn verschloss ihren Mantel und nahm ein Stück des Strahlens mit sich. Sie strich sich gedankenverloren einen Teil ihrer Haare nach hinten. „Er würde Euch aufsuchen, Silas. Denkt an Eure Mutter, an Eure Schwester.“, und natürlich auch an Rhona und Calen, die sie bisher nicht kennengelernt hatte. „Er wird mir nichts... Er ist hitzig, aber er wird mich in Ruhe lassen.“, murmelte sie selbst unsicher dabei, während sie ihren Schleier aufsetzte und somit jegliche Sicht auf ihre ungewöhnliche Erscheinung nahm. Lediglich die mandelförmigen Augen waren noch da und blickten den Mischling an. „Ich muss jetzt gehen, verzeiht mir.“, meinte sie mit brüchiger Stimme. Seine Worte hatten die Elfe berührt, das war offensichtlich und sie hatte mit sich gerungen, war hin- und hergerissen zwischen der Gabe anderen zu helfen und sich selber helfen zu lassen. Avalinn würde, dessen konnte sich Silas sicher sein, sich weiter um seine Mutter kümmern, zu welchem Preis wäre eine andere Frage, doch offenbar und ohne darüber nachzudenken zahlte sie ihn.
Dass er sie zurückbegleiten wollte, ließ sie dennoch zu, denn sie spürte, dass er es ernst meinte und sich nicht davon abbringen lassen würde. Es war schon ungewöhnlich für Silas, dass er sich bemüßigt fühlte, die Elfe vor Amenion zu schützen. Andererseits war es eben jene Zuversicht, die er nicht kampflos aufgeben wollte, denn seine Mutter war noch nicht über dem Berg. Sie brauchte noch die Zuwendung der Heilerin und er würde dieses kleine Glück nicht einfach so aus seinen Händen gleiten lassen. Doch würden Myniel und Morrin tatsächlich für seine Sache ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen? Was wusste Silas von dem Heiler? Offenbar hatte Avalinn Angst vor ihm, zumindest wenn es darum ging, was er anderen antun könnte. Würde er einen weiteren Versuch wagen, sie vom Gegenteil zu überzeugen oder waren ihre Bedenken für ihn Grund genug, dass er vielleicht die Leben seiner Lieben nicht aufs Spiel setzen wollte, für jemanden der nicht zu seinem innersten Kreis gehörte?
Bild

Benutzeravatar
Silas Círenas
Gast
Gast

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Silas Círenas » Dienstag 6. Juli 2021, 13:35

Eine gewisse Hilfsbereitschaft konnte man dem Elfmischling nicht absprechen – doch das hier, das war neu. Dass er seinen Weg verlassen wollte, von sich selbst und seinem fehlgeleiteten Stolz Abstand genommen hätte, nur, um einer Fremden jene Hilfe zuteil werden zu lassen, die sie so offensichtlich benötigte. Auf den ersten Blick und ohne Rücksicht auf die hintergründige Motivation stand diese Entscheidung ganz im Gegensatz zu dem sonst so unnahbaren und kühlen Äußeren des Jünglings. Silas war jemand, der Distanz wahrte und zu schätzen wusste und für gewöhnlich niemand, der sich zu unüberlegten Handlungen oder kopfloser Spontanität hinreißen ließ, selbst, wenn diese Nacht ihm diesbezüglich bereits einiges abverlangt hatte. Doch war der Vorschlag, den er der Elfe unterbreitet hatte, tatsächlich unüberlegt gewesen? Nein, der Mischling wusste, in welchem Rahmen er sich bewegen durfte. Er besaß nicht viele Vertraute abseits der eigenen Familie, doch diejenigen, die er zu seinem inneren Kreis zählte, hatten mit unnachgiebiger Sturheit sein Herz erobert. Morrin und Myniel besaßen eben jenes seltene Gütesiegel, das Silas ihnen unter strenger Prüfung und kritischer Beobachtung ausgestellt hatte, denn das Reich der Nachtelfen belohnte weder Loyalität noch Nähe in besonderem Ausmaß. Hier, zwischen Dunkelheit und Schatten, war man sich selbst der Nächste und es konnte einen den Kopf kosten, den falschen Leuten zu vertrauen. Umso wertvoller schätzte Silas den Umstand, dass die Beziehung zu den nachtelfischen Geschwistern die letzten Jahre allen Widrigkeiten zum Trotz standgehalten hatte. Dass sein Vorschlag womöglich das Leben seiner Freunde gefährden könnte hatte ihn kurzfristig in seiner Überlegung gebremst, doch es waren zu viele Wenn und Aber, die sich parallel dazu bewegten, als dass er sich jenem Gedanken ergeben hätte. Silas war trotz seiner Eigenart, alles bis ins kleinste Detail durchzudenken, ein Überlebenskünstler - hätte er sich tatsächlich jeder Sorge, jeder Existenzangst untergeordnet, welche ihn in solchen Momenten ergriff, wäre er vermutlich nicht handlungsfähig gewesen. Hätte sich die Elfe auf seinen Vorschlag eingelassen, hätte sie die Hand ergriffen, die Silas ihr in jenem Moment hingehalten hatte, hätte er sich um die Lösung des Problems bemüht und vielleicht, unter angestrengtem Einsatz seines Hirnkästchens, sogar einen Ausweg gefunden. Vielleicht war es aber auch besser, dass Avalinn genau dies nicht tat.

Mit jedem weiteren Wort begannen sich die Züge der Elfe zu verschatten, ihr Blick senkte sich auf die zarten Hände, die sie auf Höhe ihres Bauches zu kneten begann. Silas beobachtete die widersprüchlichen Regungen, die über ihr Gesicht huschten und versuchte, etwas an ihrer wechselnden Mimik abzulesen, ehe sie zur Antwort ansetzte. Er erkannte jedoch lediglich die einnehmende Wärme in ihren honigfarbenen Augen, die nach seinem Blick griff, ihn an Ort und Stelle festnagelte. Etwas Feuchtes schimmerte an der feinen Linie ihrer Lider, verfing sich in den dunklen Wimpern. Die Brust des Mischlings spannte unter dem Anblick der kleinen Tränenansammlung, welche Avalinn beherrscht zurückhielt. „Silas, sorgt Euch bitte nicht darum, ich.. ich werde morgen nach eurer Mutter sehen und dafür sorgen, dass ihr weiteres Leid erspart bleibt.“, ihn beschlich das Gefühl, dass sie ihn in seinen Überlegungen ertappt hatte, doch es war ihm nicht unangenehm und auch die Elfe schien von der bisher unausgesprochenen Tatsache nicht gekränkt zu sein. Seltsamerweise beruhigten ihn die Worte der anderen nicht. Missmutig presste Silas die Lippen aufeinander, den Blick unbeirrt auf sein Gegenüber gerichtet. „Die Umstände, die mich an Amenion binden sind…“, er wartete, lauschte ihrem Innehalten, das dem leisen Wegbrechen ihrer Stimme gefolgt war. Was… Was hält dich an ihm? Nein. Vielleicht ist es besser, wenn ich es nicht weiß. Zwiegespalten ließ er seinen Blick zwischen ihren glänzenden Augen hin und her pendeln. Er würde sie nicht drängen, würde sie nicht nötigen, jene Wahrheit auszusprechen, die ihr so deutlich zusetzte. Stattdessen wartete er geduldig darauf, dass sie ihren Entschluss fasste. „Ich weiß Eure Hilfe zu schätzen, doch ich kann nicht einfach gehen. Wer kümmert sich um Eure Mutter? Ich benötige seine Vorräte, um ihr zu helfen und ich könnte nicht mit ruhigem Gewissen die Hilfe Eurer Freundin in Anspruch nehmen und ihr womöglich noch Gefahr ins Haus tragen.“, bevor er etwas erwidern konnte, fuhr sie bereits fort und strich sich einige ihrer langen, rotbraunen Strähnen über die Schultern. „Er würde Euch aufsuchen, Silas. Denkt an Eure Mutter, an Eure Schwester. Er wird mir nichts... Er ist hitzig, aber er wird mich in Ruhe lassen.“, der Mischling versteifte sich bei dem Gedanken an Amenion, an seine fettigen, schwarzen Haare, an den säuerlich-süßen Gestank, der aus jeder einzelnen Pore drang. Silas haderte mit dem Gedanken, ihr seine Überlegungen vorzutragen, auf sein Anliegen zu pochen, denn er sah nicht in allem, was sie von sich gegeben hatte, ein valides Gegenargument. Doch was Amenion betraf – ja, hier hatten ihre Worte Gewicht. Sie kannte den schmierigen Elfen. Vermutlich besser, als es Silas bisher befürchtet hatte. Der Gedanke, dass auch ein schmieriger Elf wie Amenion so etwas wie Verbündete besitzen könnte erschien mit einem Mal weniger abwegig. Und solange die Heilerin sich das ehrliche Versprechen abringen konnte, auch unter Amenions Befehl seiner Mutter die benötigte Behandlung zukommen zu lassen, solange würde Silas auf Morrin als letzten Ausweg verzichten. „Ich muss jetzt gehen, verzeiht mir.“, Avalinn hatte sich den Schleier angelegt und wandte sich zum Gehen, als Silas zügig einen Schritt nähertrat und erneut nach ihr griff. Er bekam ihren Ellenbogen zu fassen und registrierte beiläufig, wie schrecklich zart sich das Gelenk unter seinen Finger anfühlte. „Wartet“, als sie in ihrer Bewegung verharrte, löste er den sanften Griff um ihren Arm. Silas lehnte sich vor und suchte ihren Blick: „Gebt Bescheid, wenn Ihr es Euch anders überlegt.“. Er musste wissen, dass sie die Ernsthaftigkeit hinter seinem Angebot begriff und versicherte sich mit einem quälend langen Blick in ihr Gesicht darüber. Danach entzog er sich, trat einen Schritt zurück und nickte förmlich. „Wie gesagt, ich begleite Euch.“, sagte er und glitt an ihr vorbei, um sich aus der Enge des Flurs zu schälen und seinen Umhang aufzunehmen, der noch immer über dem Stuhl im Krankenzimmer seiner Mutter hing.

Er stahl sich einen Moment, als Zahel, die immer noch neben ihrer Mutter wachte, seine Bewegungen mit ihren großen, blauen Augen beoachtete, eine ungestellte Frage im Blick, und trat zügig an seine Schwester heran. Nur ein kurzer Augenblick, in dem er sich erlaubte, sich an die kniende Gestalt herabzubeugen, ihr sanft an den Hinterkopf zu greifen, seinen Nasenrücken an ihre Stirn zu legen und die Augenbrauen in ihrem silbernen Schopf zu versenken. Eine flüchtige Zärtlichkeit, die er mit der Jüngeren teilte, ehe er sein Gesicht von ihrem Kopf wegbewegte und sie ansah. Er wusste, dass er es auch ihr schuldete, ihrem Leid und ihren Entbehrungen zu würdigen. Er war nicht der Einzige, der unter den derzeitigen Umständen litt. Doch es gab keine Zeit, keine Gelegenheit, in der er die richtigen Worte finden konnte, um den Kummer und den Schmerz seiner Geschwister zu verbalisieren, um ihre Gefühle anzuerkennen, anzunehmen. Er versagte, versagte auf ganzer Linie darin, ihnen der Bruder zu sein, den sie verdient hatten. „Ich komme bald wieder.“, versprach er leise, das Herendia zu einem Flüstern gesenkt. Er löste die Hand aus ihrem Nacken und erhob sich, legte sich den Umhang über die Schultern. Seine Finger flogen über die einzelnen Knöpfe und er wandte sich bereits zum Gehen, als er hinzufügte: „Lass niemanden rein. Ich begleite die Heilerin zurück, bis dahin lass die Tür geschlossen.“ Ein Gedanke erfasste ihn, ließ seinen Blick zur Laterne gleiten, die noch immer neben dem Bett seiner Mutter stand. Sie würden das Licht hier nicht benötigen, die Elfe jedoch… er hakte seine Finger in den rostigen Ring, der an der Spitze der alten Laterne ruhte und hob sie vom Boden weg. Anschließend trat er über die Türschwelle, öffnete den verriegelten Hauseingang und schlüpfte in die Finsternis hinaus.

Benutzeravatar
Erzähler
Nicht-Spieler-Charakter
Nicht-Spieler-Charakter
Beiträge: 6998
Registriert: Montag 4. Januar 2010, 20:11
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: [br][/br]
Zum Vorzeigen: [br][/br]

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Erzähler » Dienstag 6. Juli 2021, 20:28

Er war in den letzten Jahren sehr gut damit klar gekommen, sich allem und jedem zu verschließen. Sich nicht einzulassen auf tiefergehende Bindungen, Freundschaften über Myniel und Morrin hinaus. Zuneigung war etwas, das Silas nur sehr sehr selten empfand und sich kaum gestattete. Es hatte einen langen Weg gekostet, die Zwillinge so sehr in sein Herz aufzunehmen, dass er nun felsenfest überzeugt davon sein konnte, dass sie ihm ohne zu Zögern helfen würden. Doch für wen wollte er diesen Gefallen einsetzen? Nicht etwa für sich selbst oder seine Geschwister, nein für eine Unbekannte, eine Fremde in seinem Haus die nichts weiter getan hatte, als sich für seine Mutter einzusetzen.
Doch Avalinn weckte eine Seite an Silas, die für ihn ebenso neu war wie für sie, dass ihr jemand Hilfe anbot. Nervös nestelte sie an ihren Fingern, während sie den Vorschlag des Nachtelfen hörte und die Option sich in ihr Bewusstsein grub. Bisher hatte sich die andersartige Elfe ihrem Schicksal ergeben und das schon eine ganze Weile, weshalb sie sich auch nie damit befasst hatte, aus diesem Umstand auszubrechen. Silas' Einwand weckte jedoch in ihr die Möglichkeit, etwas ändern zu können, denn dass sie nicht hierher und schon gar nicht an Amenions Seite gehörte, musste nicht laut ausgesprochen werden.
Trotzdem überschatteten viele verschiedene Facetten das hübsche Gesicht. Sie war unschlüssig, ja vielleicht sogar überfordert, ob der Klarheit seiner Worte. Und eben jene Klarheit war es auch, die ihr den feinen, feuchten Glanz in die Augen trieb, der sich dort hielt, ohne in eine verräterische Träne überzugehen. Kurz wirkte es, als wollte sie sein Angebot annehmen, doch dann hielt sie etwas zurück und so begründete sie ihren Entschluss mit der Sorge um seine Familie, um seine Mutter die sie nicht weiter würde behandeln können, um die Freundin, die vielleicht Opfer des Zornes sein könnte, wenn Amenion davon erführe.

Avalinn wies seine Hilfe für sich selbst aus Vorsicht gegenüber der Konsequenzen ab und stellte damit ihn und seine Familie an erste Stelle. Sie war eine Heilerin durch und durch und neben ihren kräuterkundigen Fähigkeiten und der offensichtlichen Tatsache, dass sie Lichtmagie beherrschte, war sie auch ein mitfühlendes Wesen, dass sich mit Herz und Seele den Wesen um sie herum verschrieb. Hier unter der Oberfläche wirkte sie allerdings wie eine kostbare Pflanze, die sich verirrt hatte und nun unweigerlich verkümmern musste, da sie sich den falschen Platz zum Blühen ausgesucht hatte.
Silas erfuhr indes nicht, was die Geschichte hinter der Pflanze war und gestand sich ein, dass es vielleicht auch besser wäre. Er wagte schon zu viel, hatte jetzt schon Mühe, sich dem Wesen hinter der Heilerin zu entziehen und musste sich hüten, sollte er seinen eigens angelegten Weg nicht verlassen wollen. Avalinn hatte sich bereits zum Gehen gewandt, die Ledertasche in der Hand, als er einen Schritt auf sie zutrat und seine erneute Berührung sie innehalten ließ. Langsam schlug sie die Augen zu ihm hinauf, als er sie eindringlich und fest musterte. Seine Worte verließen seine Lippen und wurden durch die Luft an ihr Ohr getragen. Es dauerte quälende Sekunden, in denen er nicht den Blick senkte und sie nicht wagte sich zu rühren, bis sie die Starre des Moments mit einem Nicken auflöste.

Sie hatte verstanden und ein ehrliches Lächeln erhellte die Züge der Elfe. „Ich danke Euch, Silas.“, antwortete sie knapp, aber aufrichtig. Danach war der Moment vorbei, sodass Silas sich wieder mehr in seine auferlegte Distanz begab, sowohl räumlich, als auch geistig und an ihr vorbeitrat, um seinen Mantel zu holen. Hier blickte Zahel mit großen, blauen Augen auf und Fragen standen ihr ins Gesicht geschrieben. Keine Zeit für Erklärungen, wanderte das Blau an Silas vorbei und blickte auf die Heilerin, die gehorsam wartete.
Erneut fand ihr Blick den ihres Bruders und als er sich ihr sanft näherte, lehnte sie sich an ihn, als wollte sie die Zuwendung nicht mehr missen. Seine Geschwister kämpften ebenso wie er, jeden Tag um jeden Moment der Zuversicht und manchmal war es Silas‘ Aufgabe, ihnen einen Teil ihres Schmerzes zu nehmen und auf sich zu laden, damit sie etwas befreiter durch die Tage gehen konnten. Seine Worte quittierte Zahel mit einem ängstlichen Gesicht, denn ihr Bruder sollte sich nicht in Gefahr begeben- auch Zahel hatte die Unterredung mit Amenion mitbekommen und wollte nicht, dass er ging. Doch er löste sich von seiner Schwester und überwand die paar Schritte, bis er zusammen mit Avalinn aus dem Hauseingang trat.

Silas weiter bei Spiel der Ratten
Bild

Benutzeravatar
Erzähler
Nicht-Spieler-Charakter
Nicht-Spieler-Charakter
Beiträge: 6998
Registriert: Montag 4. Januar 2010, 20:11
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: [br][/br]
Zum Vorzeigen: [br][/br]

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Erzähler » Montag 19. Juli 2021, 08:49

Silas kommt von Spiel der Ratten

Nachdem sich Silas aus dem Haus des Kräuterkundigen begeben hatte, schlug ihm deutlich kühlere Luft entgegen. Es musste bereits fortgeschrittene Nacht sein, denn langsam belebten sich die Wege und Gassen wieder und vereinzelt traf der Mischelf andere Frühaufsteher. Ob sie nun noch die Lage der Schlafenden ausnutzen wollten für einen kleinen Diebstahl oder ihre Läden öffnen wollten, um einem weiteren Tag die Chance zu geben, der Umsatzstärkste zu werden blieb Silas verborgen. Er hatte ganz andere Sorgen und langsam spürte er wie das Gewicht der Schuld stärker wurde, je näher er seinem Haus kam. Er würde Zahel erklären müssen, was er getan hatte und ihre folgende Reaktion bescherte ihm beim bloßen Gedanken daran, einen bitteren Geschmack im Mund. Dann musste er sich überlegen, was er benötigte. Was nahm man mit auf eine solche Reise? Wie fand er den Weg? Und wollte er Myniel aufsuchen, damit sie ihm bezüglich Kleidung helfen konnte? Wie stand es um Waffen? Besaß Silas überhaupt etwas, um im Falle des Falles eingreifen zu können? Und wie sollte er Avalinn schützen, denn es gab schließlich eine Klausel im Vertrag, die besagte, dass sie zurück ins Reich kehren sollte. Die Tragweite dessen, würde sich vielleicht erst später in Silas‘ Verstand bohren, doch die Fragen drängten sich ihm schon jetzt auf, während er sich sicher durch die Gassen bewegte und sich das Bild dessen wieder veränderte. Mit Problemen kannte sich der Weißhaarige aus und er hatte sich in all der Zeit eine Strategie ausgedacht, mit ihnen fertig zu werden: Eins nach dem Anderen. Jetzt konnte Silas die windschiefe Tür erkennen, die den Durchgang zu seinem Zuhause darstellte. Er spürte die Müdigkeit in sich, die lähmende Schwere in seinem Kopf, ausgelöst durch Schlafmangel und Alkohol. Er sollte sich irgendwann sich dafür Zeit nehmen. Sich ausruhen, schlafen, damit er gewappnet wäre für all das, was sich durch seine Unterschrift auf dem Pergament an den Rand seines Schicksalweges schob und dort mit geifernden Lefzen wartete, um ihm zu begegnen. Sobald er dazu bereit war und sein Wohnhaus betrat, würde er eine angenehme Ruhe feststellen können. Zahel fand er, auf einem Stuhl vor dem Bett ihrer Mutter vor, den Kopf auf das Bett vor sich gelegt und schlafend. Seine Mutter wirkte deutlich friedlicher, entspannter und schien endlich einmal nicht von Halluzination geplagt zu werden. Sie wirkte immer noch blass und war fernab ihrer alten Schönheit, doch sie schlief. Ruhig, erholsam. Der Becher mit den Tee von Avalinn war zu Dreiviertel geleert und schien endlich eine Besserung gebracht zu haben, sodass sich auch Zahel ihrer Erschöpfung hatte hingegeben können. Die zarte Schwester hatte alle Anweisungen der Heilerin beherzigt und von der warmen, stickigen Luft war nichts mehr zu spüren. Auch brodelte die Lunge nicht mehr zu stark. Die Jüngere hatte ihre Mutter und das Bett offenbar zwischenzeitlich noch mal umgezogen beziehungsweise bezogen und dann, die Hand haltend, gewacht, bis sie selber eingeschlafen war. Alles in allem wirkte das Bild, das sich Silas bot, friedlich. Vielleicht war es das leise Gefühl der Zuversicht das entstand, als er Avalinn in Aktion erlebte, doch wert, dass man es hegte und keimen ließ.
Bild

Benutzeravatar
Silas Círenas
Gast
Gast

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Silas Círenas » Mittwoch 21. Juli 2021, 13:49

Der Wein rann schwer und voll seinen Gaumen hinab, ein samtener Film überzog seine Zunge, neckte die empfindsamen Geschmacksknospen des Mischlings. Silas wollte kurz die Augen schließen, sich dem gehaltvollen Aroma hingeben, wollte spüren, wie ihm der Alkohol ins Hirn stieg, doch Amenions Stimme riss ihn erneut aus seinen Gedanken. Die flinken Hände des Anderen hatten den Vertrag bereits mit einem wächsernen Siegel versehen und kurz darauf in einer Schublade verschwinden lassen. Silas erhaschte gerade noch einen Blick auf das filigrane Emblem, ehe es in der hölzernen Lade abtauchte. „Der Beutel dort wird dir, wie gesagt, nützlich sein, bei allem was du besorgen willst. Da ich davon ausgehe, dass du noch nie weiter weg, als bis vor die Tore gekommen bist, lass mich eine Empfehlung aussprechen: Sieh zu, dass die Sonne dir nichts anhaben kann. Denn nur nachts zu reisen, wird dauerhaft nicht durchführbar sein.“, Silas senkte die Augenlider auf das Leder in der Mitte des Tisches hinab, seine Finger bewegten sich kurz unruhig, ehe er zögernd danach griff und den Beutel in der Innentasche seines Mantels verstaute. Natürlich drängte sich der Gedanke auf, dass Myniel als Schneiderin die richtige Ansprechpartnerin sein würde, um das eben benannte Problem zu lösen. Es käme gar nicht in Frage, nur des nachts zu wandern und die Reise und somit auch seine Abwesenheit unnötig in die Länge zu ziehen. Silas wusste, dass er über Destination und Wegroute brüten würde müssen. Er musste sich vorbereiten und die notwendigen Informationen einholen. Er durfte in seiner Planung nichts übersehen. Doch hier und jetzt kreiste sein Fokus über dem anstehenden Gespräch, der Beichte, die er gegenüber seiner Schwester abzulegen hatte. In seiner Vorstellung überschlugen sich die verschiedensten Szenarien, eine Reaktion war bitterer als die andere… Ach, was war er müde und erschöpft! Und wie schwer würde es werden, unter diesen Bedingungen die richtigen Worte zu finden! Somit quittierte Silas die Anmerkung des Kräuterherren lediglich mit einem abwesenden Nicken, hüllte sich erneut in Schweigen. Das Gefühl, dass ihm an diesem Abend genug Wörter für ein ganzes Jahr abverlangt worden waren - zumindest, wenn es nach seinen Maßstäben ging - nahm bereits Überhand. Als Amenion ihn schließlich mit der gewohnten Arroganz aus dem Gespräch entließ, wandte sich Silas bereits zum Gehen. Er raffte gerade den Stoff seines Umhangs, ließ die Finger über die wenigen Knöpfe fliegen als er nochmals mit schiefgelegtem Kopf aufhorchte, während sich der Schwarzhaarige zum Abschluss das Versprechen abrang, dass Avalinn wie besprochen in den frühen Morgenstunden vor seiner Tür stehen würde, um für seine Mutter zu sorgen. Silas unterlag hierbei nicht dem Trugschluss, dass Amenion wahrhaft Interesse am Wohlergehen der Kranken hatte, denn die letzten Stunden, die er mit dem Nachtelfen verbracht hatte, hatten ihm bereits bewiesen, dass er einzig und allein sich selbst sowie den eigenen Interessen am nächsten stand. Nichtsdestotrotz war es eine wohltuende Bestätigung, die Silas mit einem dankbaren Neigen des Hauptes entgegennahm. Ja, das Wissen, dass Avalinn für die Gesundheit seiner Mutter Sorge tragen würde, reichte ihm. „Amenion“, mit einem letzten Blick auf den Nachtelf nickte er seinem Gegenüber zu. „Habt Dank für die Speisen.“, danach durchquerte er mit wenigen, zügigen Schritten den Raum und trat in die frische Nachtluft der dunklen Gassen hinaus.

Einige Schritte, nachdem Silas die Hütte verlassen hatte, hielt der junge Mischlingself inne, legte den Kopf in den Nacken und tankte einen tiefen Atemzug. Hatte sein Schädel immer schon so viel gewogen? Er dehnte den Nacken, kreiste die Schultern. Und seufzte erneut. Am Rande seiner Wahrnehmung bemerkte er beiläufig, wie einige wenige Gestalten sich in den Gassen und Winkeln der entlegenen Straßen tummelten. Es hätte ihn allerdings nicht weniger scheren können, welche Gründe jemanden um diese Uhrzeit aus dem Bett trieben. Er hatte immerhin seine eigenen Probleme und es war harte Arbeit, diesen Berg voller Unerfreulichkeiten abzuarbeiten. Mit Sicherheit hätte er hierbei irgendwann den Kopf verloren, wäre es ihm in all den Jahren, die er sich nun durchs Leben boxte, nicht gelungen, stets nach einem einfachen Vorsatz zu handeln: Schritt für Schritt. Und der nächste Schritt führte ihn geradewegs nach Hause. Direkt auf die schief verzogene Haustür seiner Kindheit zu. Er hatte die Knöchel schon an das Holz gelegt, bereit, klopfend um Einlass zu bitten, ehe er prüfend die Hand auf die kühle Klinke legte und hinabdrückte. Bereitwillig schwang die Tür unter seinem Griff auf und es knarzte unter seinen Füßen als er resigniert seufzend über die Schwelle trat. Vermutlich hatte Zahel in ihrem Tun vergessen, worum er sie gebeten hatte und die Haustür nicht versperrt. Tiefe Falten zogen sich über die Stirn des Mischlings – wie naiv sie doch war! War ihr denn gar nicht bewusst, wer durch diese Tür hätte spazieren können? Sanft drückte Silas den Hauseingang ins Schloss, verriegelte jenes gewissenhaft und wandte sich anschließend dem Inneren der Hütte zu. Stille und Finsternis nahmen ihn in Empfang. Eine ganze Weile lauschte er der nächtlichen Ruhe, lehnte sich gegen das baufällige Holz in seinem Rücken und ließ sich die aufgewühlten Wogen seines Inneren durch den tröstlichen Geruch des Eigenheims glätten. Er begann, sich den Umhang von den Schultern zu streifen und schritt in den kleinen Nebenraum, der seiner Mutter als Krankenzimmer diente. Dort entdeckte er neben Oriana auch die schlafende Zahel, auf einem Stuhl neben dem Bett, den Kopf in den verschränkten Armen vergraben, der Oberkörper an der Bettkante ruhend. Ihre Schultern hoben und senkten sich gemächlich. Silas trat etwas näher, konnte nun auch den tiefen, freien Atemzügen seiner Mutter lauschen, deren Gesicht mittlerweile weich und entspannt wirkte. Seine Fingerkuppen strichen ihr ein paar trockene Strähnen aus der Stirn. Er ließ in der Bewegung die Rückseite seiner Hand kurz unterhalb ihres Haaransatzes ruhen. Erleichtert stellte er fest, dass keine glühende Hitze von ihr ausging. Kein Fieber, die Behandlung der Elfe hatte also tatsächlich Wirkung gezeigt - Tee und Kräuter hatten angeschlagen. Silas spürte, wie ihm die Erleichterung bis in die Gelenke rutschte und seine Knie weich wie Butter werden ließ. Zahel seufzte im Schlaf leise auf und kuschelte sich ein wenig tiefer in ihre Arme, ohne dabei die Hand ihrer Mutter loszulassen. Es war ein friedlicher Anblick, so viel friedlicher, als es die letzten Tage gewesen war. Mit einem Blick auf seine Schwester haderte der Mischling mit sich selbst. Sollte er sie wecken? Sie hatte das Recht zu wissen, was er getan hatte, was er hatte tun müssen. Der Anstand allein gebot es, dass er es ihr unverzüglich mitteilte. Doch er musterte ihr blasses Gesicht und eine eisige Angst krampfte sich um sein Herz. Angst vor ihrer Reaktion, dem Zorn, der Enttäuschung. Angst davor, auch in ihrem Gesicht Angst zu sehen. Zusätzlich mischte sich die Sorge, was die Zeit, die sie unter Amenion dienen musste, mit ihr anstellen würde, dazu. Genauso wie die Furcht, was geschehen mochte, wenn er in seinem Vorhaben scheitern würde. Es war zu viel, mehr als er ertragen konnte. Natürlich würde standhalten müssen und sich ohne jeden Zweifel auch jede weitere Last kommentarlos aufbürden. Wobei die Last der Schuld ihn bereits jetzt zu erdrücken drohte... Silas nahm den Stoff seines Kapuzenmantels und legte ihn seiner Schwester um die Schultern. Heute Nacht brauchen wir alle ein wenig Schlaf… Silas konnte selbst nicht genau sagen, zu welchen Anteilen diese Entscheidung getroffen worden war. Es fühlte sich feige an, doch zum Großteil stimmte es auch. Ein paar Stunden Schlaf waren genau das, was ihnen fehlte. Die Augenlider des Mischlings fühlten sich bereits erstaunlich schwer und träge an, seine Gedanken stotterten, seine Aufmerksamkeit war dünn und fahrig. Vermutlich war es besser, das Gespräch hinten anzureihen. Selbst wenn es zu keinem geringen Anteil auch der eigenen Feigheit zu verschulden war, dass er den Schlaf heute Nacht vorziehen würde.

Silas nahm Abstand von den beiden Frauen und trat nach kurzem Zögern in den Gang zurück. Jener führte seine müden Schritte anschließend in den Raum, in dem er sein Bett stehen hatte – wobei Raum wohl eine großzügige Bezeichnung war, entsprach sein Gemach in seiner Größe doch am ehesten einer Besenkammer, welche durch den schmalen Rahmen seines Bettes zur Gänze ausgefüllt wurde. Lediglich ein kleines Nachtkästchen fand neben dem Kopf des Schlafmobiliars noch Platz. Seufzend zog er sich den dünnen Stoff seines Hemds über den Kopf, strampelte seine Füße mit schweren Gliedern aus den Stiefeln und entledigte sich folglich auch seiner Hose, ehe er stöhnend und nur noch mit Bruche bekleidet unter die Bettdecke schlüpfte und sich den faserigen, löchrigen Stoff bis unter die Nase zog. Es dauerte keine volle Minute bis der Mischling in einen tiefen, traumlosen Schlaf fand. Schwer zu sagen, wie viele Stunden vergingen, bevor sich die Hütte mit dem leisen Lärm erster morgendlicher Arbeit erfüllte. Bäuchlings lag er da, sein linker Arm hing über die Kante, tiefe Atemzüge bewegten die nackten Schulterblätter des Halbelfen. Das Gesicht war tief im Kissen versunken, fast so, als wäre er aufs Bett gefallen und einfach liegen geblieben. Eine Tür, die ins Schloss fiel, ließ die spitzen Elfenohren schließlich doch etwas zucken und rüttelte an seinem Bewusstsein. Träge blinzelnd öffneten sich die goldenen Seelenspiegel und mit einem verklärten Ausdruck in den Augen begann sich der Mischling in eine sitzende Position zu mobilisieren. Er stellte die nackten Füße auf den kühlen Boden und rieb sich herzhaft gähnend übers Gesicht, während er gleichzeitig auch einige der wirren, ungeordneten Strähnen aus seiner Stirn strich. In dem offenen Türspalt erhaschte er den Blick auf einen eiligen Schatten, der sich durch den Gang bewegte. Mit gebeugtem Rücken stützte sich Silas auf seinen Oberschenkeln ab. Was für eine Nacht… mit den Fingern seiner rechten Hand rieb er sich die Stirn, massierte seinen Nasenrücken. Sämtliche Eindrücke, die er am gestrigen Abend gesammelt hatte, brachen über ihm zusammen und mit einem Mal spürte er auch die deutliche Übersäuerung seiner Muskeln, die bereits während der gestrigen Verfolgungsjagd schmerzhaft protestiert hatten. Seine Oberschenkel fühlten sich schrecklich druckempfindlich, steif und hart an und er bemerkte, wie seine Beine unter den geringsten Bewegungen unangenehm brannten. Der Vertrag… Zahel…, schoss es ihm schließlich blitzartig durch den Kopf. Er unterdrückte ein Stöhnen. Nein, er würde dem Gespräch nicht länger aus dem Weg gehen können. Silas bemühte sich nicht darum, sich anzukleiden, als er aus seiner Kammer trat, er würde sich ohnehin waschen und frische Kleidung zum Anziehen suchen müssen und gegenüber seiner Geschwister empfand er in Unterwäsche keine Scham. Zuvor würde er seiner Schwester also mitteilen, dass er mit ihr sprechen musste. Rhona und Calen huschten zu seinen Seiten vorbei als er den Gang entlangwanderte. „Hey… Nicht rennen.“, mahnte er die silbernen Schöpfe, doch sie schienen es nicht zu hören. „Mutter ist wach!“, gluckste Rhona und schob sich um die Ecke, ins Krankenzimmer ihrer Mutter. Bevor der Mischling ihr jedoch folgen konnte, kam ihm Zahel entgegen. In ihren Armen hielt sie eine leere Schüssel, welche sie in der Küche wohl mit dem frischen Wasser aus einem der umstehenden Kübeln füllen wollte. Gerade, als sie sich an ihm vorbeischieben wollte, richtete Silas das Wort an sie, das Rückgrat steifgehalten: „Zahel. Können wir reden?“. Sie war zusammengezuckt und ihr Blick huschte kurz unsicher Richtung Küche. „Natürlich… Ich muss nur… die Schüssel.“, die unvermittelte Ansprache ihres Bruders schien sie zu verunsichern. Silas folgte ihr in die Küche und half ihr in kurzem Stillschweigen dabei, die Schüssel mit Wasser zu füllen. Als er das hölzerne Gefäß schließlich wieder abstellte und Zahel nach der Schüssel greifen wollte, ergriff er erneut das Wort. Vergiss die Kleidung. Jetzt oder nie. „Warte kurz.“, ihre Finger ruhten noch am Rand der Schüssel, die sie bereit war, wegzutragen, als sie ihn verwundert anblinzelte. „Zahel. Die Kosten für die Behandlung waren teurer als gedacht. Ich konnte nur einen Teil abbezahlen.“ Verdammt. Wieso ist das so schwer? Er drehte die zurechtgelegten Worte in seinem Kopf, wieder und wieder, das offensichtliche Zögern ließ Zahel die Schultern straffen. Silas bemerkte an ihrer Haltung, dass sie sich wappnete und in ihren Bewegungen einfror. „In Ordnung…“, begann sie langsam und schluckte kurz, ehe sie fortfuhr: „… dann können wir versuch-“. Der Mischling schüttelte den Kopf und Zahel verstummte, die Stirn irritiert in Falten gelegt. „Ich habe mit Amenion bereits ausgehandelt, dass ich einige Besorgungen für ihn erledigen werde… außerhalb des Reichs.“, erneut suchte er den Blick seiner Schwester. Vermutlich wusste sie bereits, dass unter dem Namen der schmierige Nachtelf mit dem ungepflegten Auftreten gemeint war, denn ihr Blick warf keine Fragen auf. „Es… dürfte eine längere Reise werden.“, ein kurzes Schweigen dehnte sich zwischen den Geschwistern aus, in denen Zahel die Information verdaute. Sie zeigte sich nicht offensichtlich erschüttert, doch hinter ihrer Stirn tobte es, da war sich Silas sicher, denn er kannte seine Schwester. „Ihr werdet versorgt sein, es ist alles in einem Vertrag festgehalten.“, warf Silas rasch nach, ehe er an den hölzernen Fasern der Küchenzeile herumzupfte und den Blick kurz abwandte. Als er Zahel schließlich wieder ansah, wog sein Blick schwer. „Der Vertrag verlangte aber auch nach einem Pfand… Für Avalinn, die ihm für die Zeit der Reise abgängig sein wird.“, es dauerte einen kurzen Moment, ehe die Zahnräder hinter Zahels Stirn ineinandergriffen. Es klickte. Silas erkannte das kurze Aufflackern der Erkenntnis in ihrem Blick. Sie starrte ihn an. Wortlos. Wie gerne wäre er im Boden versunken. Sollte er noch etwas sagen? Sich versuchen zu erklären? Seine Lippen öffneten und schlossen sich, er kam sich wie ein Fisch auf dem Trockenen vor, doch er wagte nicht, Zahel irgendwelche halbherzigen Rechtfertigungen entgegen zu halten. Er würde ihre Reaktion aussitzen, so es denn eine gab. Denn in den Augenblicken, die verstrichen, zeigte sich die Silberhaarige weiterhin äußerst schweigsam.

Benutzeravatar
Erzähler
Nicht-Spieler-Charakter
Nicht-Spieler-Charakter
Beiträge: 6998
Registriert: Montag 4. Januar 2010, 20:11
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: [br][/br]
Zum Vorzeigen: [br][/br]

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 22. Juli 2021, 00:18

Wenn er sich doch nur einmal gehen lassen könnte. Was würde alles aus Silas hinausbrechen, wenn er die Chance dazu bekäme einmal das zu tun wonach ihm war? Was würde er tun wollen, sagen wollen und wohin würde er gehen? Der Wein rüttelte an der Tür zu einem lange verschlossenen Bereich, der kaum noch Relevanz in Silas‘ Leben hatte. Einmal sich geben und fühlen wie er es wollte, ohne daran zu denken was geschehen würde. Doch soweit kam der Mischling nicht, denn die Realität holte ihn mit fiesem Grinsen ab und stieß ihn mit vor Hohn tropfenden Worten zur Tür hinaus.
Silas erlaubte es sich wenigstens einmal durchzuatmen. Die Lungen mit der zweifelhaft frischen Luft zu füllen, die hier unten gang und gäbe war. Er hatte es sich nicht nehmen lassen der Höflichkeit die Ehre zu erweisen und sich sogar bei dem schmierigen Kräuterelf für die Speisen zu bedanken. Es war eine andere Form von Spott und Amenion, da durfte Silas sicher sein, erkannte diese an. Jetzt aber verbannte der schlaksige Elf den Schwarzhaarigen aus seinen Gedanken und wappnete sich mit jedem neuen Schritt in Richtung seines Zuhauses, für das bevorstehende Gespräch. Nichts hätte Silas diesen Weg erleichtern können und jedes denkbare Szenario endete in einem neuerlichen schwarzen Klumpen, der sich zu den mannigfachen anderen in seinem Magen gesellte. Die Last wog schwer und fast war es, als hielten ihn unsichtbare Ketten von seinem Zuhause fern, denn er wollte seiner Schwester die unbequeme Wahrheit nicht anvertrauen. Doch die kreisenden Gedanken, im schmerzenden Kopf, führten dazu, dass Silas den Weg bis an die windschiefe Tür fast wie ferngesteuert fand. Einer Eingebung folgend, versuchte er die Klinke und tatsächlich schien Zahel völlig vergessen zu haben, was er ihr eindringlich versucht hatte klarzumachen. Das kleine Ärgernis verrauchte, nachdem der vertraute Duft des Heimes sich mit dem Bild seiner friedlich schlafenden Familie vermischte. Ruhig flossen der Atem von Zahel und Oriana im Gleichklang dahin und entschädigten Silas für einen Moment, für all die Strapazen. Die Erleichterung darüber, dass Oriana augenscheinlich gut auf die Kräutermischung ansprach, hätte Silas beinahe in die Knie sinken lassen. Er konnte den immensen Druck der letzten Tage deutlich fühlen und hätte sich am Liebsten dem hingegeben, wenn er nicht noch eine Aufgabe zu erfüllen gehabt hätte. Zahel fiel in seinen Fokus und die Ruhe in ihrem Gesicht machte es ihm deutlich schwerer über das Bevorstehende nachzudenken. War es feige von ihm, wenn er sich nach Ruhe sehnte? Hatte Silas nicht an diesem langen Abend mehr als genug Schuldigkeiten getilgt? Er hatte daran zu knabbern, dass er es vorzog, sich später mit Zahel und der Offenbarung über ihr Schicksal auseinander zu setzen. Doch er hatte Recht: Sie brauchten alle Schlaf und er umso dringender, wenn er das Kommende mit wachsamem Verstand antreten wollte.

Also entließ er sich selber aus der Verantwortung, verschob sie auf das Morgengrauen und ließ seine Schwester und seine Mutter zurück in ihren friedlichen Träumen, um sich selbst zurückzuziehen. Die restliche Nacht verlief völlig ruhig. Manthala hatte Gnade mit ihrem Schützling und besuchte ihn in dieser Nacht nicht. Es hätte viele, sehr viele Schrecken gegeben, die sie ihm hätte bescheren können, doch die Herrin der nächtlichen Träume hatte Erbarmen und gewährte ihm einen ruhigen Schlaf.
Am nächsten Morgen erwachte Silas durch das rege Treiben, das bereits herrschte. Tatsächlich hatte er einige Stunden geschlafen und es war inzwischen früher Vormittag. Seine Familie hatte ihm diesen Schlaf gewährt und keine schrecklichen Hiobsbotschaften rissen ihn aus dem zerlumpten Bett. Er fühlte sich seltsam entrückt, war aber ausgeruhter, als am Abend zuvor. Plötzlich fiel ihm alles wieder ein und augenblicklich spürte er die verspannte Nackenmuskulatur, das leise Fräsen des rostigen Nagels, der sich inzwischen zu Kopfschmerzen manifestierte. Silas wusste, dass er Zahel endlich reinen Wein einschenken musste und er durfte nicht länger damit warten. Vielleicht hätte ihn der Mut erneut verlassen, wenn er noch länger gewartet hätte. Nachdem Rhona und Calen, in freudiger Erwartung und von allem in der Vornacht verschont geblieben waren, an ihm vorbeitobten, sah er ihnen nach, wurde aber von Zahel abgelenkt, der er in die Küche folgte.
Sie wirkte etwas ausgeruhter, als die Tage zuvor und alles in allem hatten sie alle diese ruhige Nacht dringend gebraucht. Zahel kümmerte sich geflissentlich um die Schüssel, während ihr Bruder nach den richtigen Worten suchte und sie dennoch nicht finden konnte. Emsig wollte die schöne Schwester weiter ihrer Arbeit nachkommen, doch Silas musste jetzt endlich mit der Wahrheit herausrücken. Schweigsam lauschte sie, was er zu sagen versuchte und während er vorsichtig den Weg suchte, traf ihn ein verwirrter Blick und erst Momente später glättete der Blitz der Erkenntnis ihre in Falten gelegte Stirn.
Zahels Finger krampften sich um den Rand der hölzernen Schüssel und sie ließ den Blick sinken. Verwunderung, Unwille und Angst mischten sich in ihr Gesicht und sie starrte auf das Wasser in ihrer Schüssel. Zahel strafte Silas mit ihrem Schweigen und brauchte die Augenblicke, um zu verdauen was er ihr eröffnet hatte. Dann hob sie die Schüssel an und den Blick in seine Augen. Härte zeigte sich in ihrem Gesicht. „Nun, wir zahlen alle gemeinsam den Preis, nicht wahr? Jeder auf seine Weise.“, kam es mechanisch von ihr. Zahel drehte sich von ihm weg, die Schüssel in beiden Händen und ging zwei Schritte mit gestrafften Schultern. Plötzlich hielt der schmale Körper inne und Silas konnte erkennen, wie ihre Schultern zu beben begannen. Unerwartet ergoss sich das Wasser über den Boden in der Küche, die Schüssel fiel scheppernd hinterher und Zahel vergrub ihr Gesicht in ihre Hände. Sie schluchzte leise und atmete gepresst. Auch sie hatte Amenion erleben dürfen und sie wurde von der nackten Angst gepackt. Sie wusste nichts davon, was ihre Aufgabe sein würde oder worum es bei dieser Geschichte wirklich ging.
Der Lärm rief Schritte auf den Plan die sich leise und bedächtig den Flur entlang bewegten. Noch bevor sich Silas fragen konnte, wessen Schritten er da lauschte, schob sich der rotbraune Schopf durch die Küchentür und die warme Stimme ertönte: „Zahel? Ist alles in Ord-?“, weiter kam sie nicht, denn die Bernsteinaugen erfassten die Abgesprochene, doch bevor sie weiter erfragen konnte, was geschehen war, fiel ihr Blick auf Silas. Avalinn hielt inne und ihr warmer Blick ruhte auf seinem Gesicht, bis er hinabrutschte über den spärlich bekleideten Körper. Die Elfe blinzelte überrascht, dann wandte sie sich mit einer halben Drehung ab und sah mit leicht geröteten Ohrspitzen weg. „Entschuldigt. Ich wusste nicht, dass Ihr auf seid, Silas.“, räusperte sie sich und blickte erneut zu Zahel. Diese hatte sich inzwischen etwas beruhigt und schien die Anwesenheit Avalinn’s dafür zu nutzen, das Wasser zu beseitigen. Zahel ging in die Hocke und ließ flink ihre Hände die Pfütze beseitigen, bevor sie sich erhob und der Heilerin zunickte. „Ich bringe gleich das Wasser.“, nuschelte sie und wandte sich wieder den Krügen zu. Avalinn bedachte die Jungelfe kurz mit einem milden Blick, sah noch mal zu Silas und nickte verstehend. Sie gab den Geschwistern die benötigte Zeit alleine und ging zurück ins Krankenzimmer. Zahel befüllte die Schüssel erneut und sah dann Silas an. „Es tut mir leid ich… ich war nur so erschrocken. Ich weiß du würdest mich nie- aber dieser Mann..“, Zahel warf einen Blick zur Tür und senkte ihre Stimme. „Oh Silas, ich will alles tun was nötig ist aber..“, sie warf sich ihrem Bruder in die Arme und vergrub das blasse Gesicht an seiner Brust. „Wie lange? Was… erwartet er von mir?“. Und noch eine Frage brannte ihr auf der Seele, die sie jedoch nicht laut stellen würde: ‚Wieso ich?‘.
Silas konnte hören, wie im Krankenzimmer gesprochen wurde. Er vernahm die Stimmen seiner Geschwister die plapperten und ausgelassen schienen und er hörte die fremde Stimme der Heilerin, die sich offenbar den neugierigen Fragen der Geschwister stellte und ihnen in der Küche alle Zeit verschaffte, die sie ungestört benötigten.

Wenn er soweit war das Krankenzimmer zu betreten, würde Zahel folgen und mit einem leichten Lächeln die Szenerie begutachten. Oriana saß aufrecht im Bett und wirkte deutlich ausgeruhter, wenn auch nach wie vor schwach. Sie hatte klare Augen, wirkte endlich einmal fieberfrei und konnte einen unbeschwerten Moment mit ihren Kindern genießen. Am Boden vor dem Bett, saßen Rhona und Calen und wirkten ebenso ausgelassen wie Silas ihnen im Flur begegnet war.
Die fremde Elfe stand etwas abseits und schaute mit einem warmen Lächeln auf die Familie. Sie hatte heute ein ebenso fließendes Kleid an, dieses Mal in einem hübschen Blau mit langen Ärmeln und hohem Kragen. Ihre Haare waren zu einer kunstvollen Flechtfrisur hochgesteckt und gaben den Blick auf den schlanken, von Stoff verhüllten, Hals frei. Außer einem silbernen Armband mit schwarzen Steinen, das um ihr linkes Handgelenk hing, war die Elfe schmucklos. Alles in allem war Avalinn eine Erscheinung und dennoch, sofern Silas überhaupt einen Blick für Avalinn hatte, würde ihm vielleicht auffallen, dass sie blasser wirkte, als noch am Abend. Auch ihre Augen funkelten längst nicht so eindrucksvoll wie sie ihm zuvor erschienen und ihr Lächeln wirkte leicht gequält. Auch wenn sie noch immer eine gewisse Reinheit und warme Präsenz innehatte. Oriana blickte auf, als Silas das Zimmer betrat. Sie lächelte nur sachte, ob ihres geschwächten Zustandes und dennoch konnten ihre Augen ihre Liebe für ihn nicht verbergen. „Silas", kratzte ihre Stimme leicht, doch sie streckte die Hand nach ihm aus. Dann hustete sie auf und legte sich eine Hand auf die Brust. In ihrer Lunge sammelte sich noch immer Wasser und sie würde noch einen Weg bis zur vollständigen Genesung zu gehen haben, doch jetzt… jetzt konnte Silas den kleinen Moment genießen, wenn er es schaffte die Sorgen für den Augenblick beiseite zu schieben.
Bild

Benutzeravatar
Silas Círenas
Gast
Gast

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Silas Círenas » Freitag 23. Juli 2021, 20:58

Oftmals sagte ein Schweigen so viel mehr aus als Worte es jemals könnten. Silas hielt den Blick unentwegt auf seine Schwester gerichtet und beobachtete mit eingesunkenem Herzen, wie die verschiedenen Gefühlsregungen ihr Gesicht eroberten. Da! Er hatte ihn gesehen… Den verräterischen Schatten, der sich über ihre glänzenden Augen legte. Es war Angst, welche das helle Gesicht der Nachtelfe einen kurzen Moment lang verdunkelte. Doch Zahel kämpfte die Emotionen, mit denen sie haderte, an einen weit abgelegenen Ort ihres Innersten zurück. Härte formte die sonst sanften Linien ihres Antlitzes. Silas erkannte darin so viel von sich selbst, es glich beinahe einem vorgehaltenen Spiegel, dennoch traf ihn der blauäugige Blick unerwartet genau dort, wo es ihn am meisten schmerzte. Ein gekonnter Messerstich, dessen Klinge mit Leichtigkeit sein Herz als ihr Ziel fand. „Nun, wir zahlen alle gemeinsam den Preis, nicht wahr? Jeder auf seine Weise.“, erwiderte die Silberhaarige kühl, griff nun erneut nach der Schüssel und trat mit gestrafften Schultern ihren Weg an. Die Mimik des Mischlings brach augenblicklich in sich zusammen, gequält sah er ihr dabei zu, wie sie sich von ihm entfernte. Er wagte nicht, nach ihr zu greifen, ihr nachzustürmen, sie aufzuhalten. Er wollte etwas sagen, doch sie hatte jedes Recht, ihn so stehen zu lassen. Unglücklich verharrte er an Ort und Stelle, nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Er hätte sich in seiner Scham und Schande beinahe von ihr abgewandt, doch lärmiges Wasserrauschen und das Poltern der Schüssel über hölzernem Boden ließen ihn erstarren. Silas bemerkte die bebenden Schultern der Jüngeren noch ehe sie sich schluchzend die Hände vors Gesicht schlug. Es war ein erschütternder Anblick, ein Bild, das sich unweigerlich so tief in sein Bewusstsein fraß, dass Silas mit Sicherheit wusste, er würde die Erinnerung an diese Situation sein Leben lang nicht loswerden. Bei Manthala, wie viel Leid er über eben jene brachte, die ihm das meiste bedeuteten! Steife Glieder trugen den Mischling an die zitternde Gestalt seiner Schwester heran, die Hände bereits erhoben, um sie an den Schultern zu packen. Schritte, die sich aufgeregt der Szene annäherten, wurden von einem rotbraunen Schopf begleitet, der sich um die Ecke schob. „Zahel? Ist alles in Ord-?“, Silas begegnete dem überraschten Blick der Elfe, vermutlich nicht weniger überrumpelt als sie selbst und zuckte in seinem Stand etwas zurück. In einem ersten Augenblick war es nicht die eigene mangelnde Bekleidung, die ihn zurückschrecken ließ. Es war die Vulnerabilität der Situation, der Umstand, dass er im Gespräch mit Zahel alle Masken und Mauern hatte fallen lassen. Silas begradigte seinen Rücken, versteifte die Glieder und presste die Lippen zusammen. Erst als Avalinns Blick von seinen Augen hinabglitt und er sich seiner spärlichen Bekleidung gewahr wurde, zupfte auch leise irgendwo die Scham an ihm. Es war die Elfe, die sich mit roten Ohren zuerst abwandte und eine leise Entschuldigung räusperte. Peinlich berührt hüstelte auch Silas, klärte seinen Rachen mit einem Räuspern und murmelte etwas wie: „Schon gut. Ich wusste nicht, dass Ihr schon hier seid…“. Währenddessen erhob sich Zahel aus der Hocke, in der sie die Bodenpfütze bereits mit schnellen Handgriffen beseitigt hatte und erwiderte den Blick der Braunhaarigen mit einem zarten Nuscheln. „Ich bringe gleich das Wasser.“, Avalinn schenkte ihr einen milden, wissenden Blick und nickte auch Silas kurz zu, ehe sie den Raum verließ. Sie schien ein instinktives Gespür dafür zu besitzen, zu wissen, wann und wo sie gebraucht wurde und wann es besser war, von einem Ereignis zurückzutreten. Silas war noch nicht vielen Personen begegnet, die sich derart unaufdringlich einfügen konnten und insgeheim dankte er dem Umstand, dass die Elfe ein solches Feingefühl besaß. Nicht, dass er diese Gedanken jemals geteilt hätte. Sein Gesicht war immer noch zu einer undurchdringlichen Maske verkrampft als Avalinn davontrat.

„Es tut mir leid ich… ich war nur so erschrocken. Ich weiß du würdest mich nie- aber dieser Mann… Oh Silas, ich will alles tun was nötig ist aber..“, in ihrer Verzweiflung warf sich Zahel gegen die Brust ihres Bruders. Silas legte einen Arm um sie, drückte sie in stillem Verständnis. Dort, wo ihm ihre tränenbefeuchteten Wangen auflagen, spürte er einen kalten Hauch auf seiner Haut. „Wie lange? Was… erwartet er von mir?“, mit warmen Händen griff er nach ihren Schultern, rückte ihre Gestalt von sich und schob sein Gesicht in ihr Blickfeld. In einer eindringlichen Geste legte er ihr die Hand an die Wange und zwang sie, ihn anzusehen. „Er wird dich nicht anrühren“, knurrte er. Seine Stimme ließ keinen Zweifel zu, er sprach im finstersten Brustton seiner Überzeugung. Wenn er es wagt, bringe ich ihn um, meldete es sich sanft säuselnd aus dem Hintergrund, der nachtelfische Anteil in ihm, der süffisant grinsend den Nagel aus seinem Nacken zwischen den Fingern drehte. „Er braucht eine Assistentin. Jemanden, der sein Schauspiel begleitet, der sein Ego streichelt.“, raunte er ihr zu und drängte sich mit aller Macht gegen die geistige Tür, aus deren Spalt der Nachtelf gierig hervorgelugt hatte. „Es wird nicht… Ich werde mich beeilen…“, versprach er, ließ seinen Blick zwischen dem Aquamarin ihrer hell gesäumten Augen pendeln. „Ich weiß, niemand hat das Recht, das von dir zu verlangen. Ich am allerwenigsten. Glaub mir… wenn es irgendwie… ich hätte… ich würde niemals…“, er biss sich auf die Lippen, atmete schnaubend aus. „Hör zu. Sollte es… unzumutbar werden. Du weißt, wo du Morrin findest. Er kann Amenion mit Sicherheit lange genug auf Abstand halten, bis ich wieder da bin. Ich bringe ihm das, wonach er verlangt. Wenn ich es habe, wird er mir zuhören. Notfalls handle ich einen neuen Vertrag mit ihm aus, auf meine Kosten.“ Nun umfasste er Zahels Gesicht mit beiden Händen und lächelte sachte. „Kleine Schwester, du bist so viel klüger als ich. Dagegen kommt jemand wie Amenion im Leben nicht an“, es war ein schwacher Versuch, sie zu trösten. Das Lächeln auf seinen Lippen wich einem weitaus ernsteren Ausdruck als er nachsetzte: „Es tut mir leid, Zahel. Wirklich.“ Ich werde mein Leben lang versuchen, es wieder gut zu machen. Er zog sich etwas zurück, richtete sich auf und sah sanft auf die Kleinere herab. Er berührte ihre Schulter. „Geh schon mal vor. Ich…“, er kratzte sich beim Gedanken an Avalinn, die ihn zuvor derart unvorbereitet ertappt hatte, verlegen am Hinterkopf, „…werde mir schnell noch etwas anziehen“.

Somit ließ er Zahel und ihrer Wasserschüssel den Vortritt, ehe er sich selbst einen Krug voll Wasser schnappte und zurückzog, um zumindest dem Notwendigsten an Körperhygiene nachzukommen. Über eine Wäscheleine gespannt fand er sogar ein frisches Baumwollhemd, dessen Ausschnitt mit einer lockeren Schnürung zusammengehalten wurde. Nachdem er in Hose und Stiefel geschlüpft war, krempelte er sich die Ärmel bis zu den Ellenbogen hoch und schüttelte den Kopf, um die feuchten Haare zu ordnen. Dies rief ihm in Erinnerung, dass er Myniel noch einen Besuch würde abstatten müssen. Für den Weg zur ihr würde sein alter Umhang noch sein Soll erfüllen – doch die Spaziergänge an der Oberwelt würden ohne entsprechenden Stoff nicht sonderlich angenehm werden. Seufzend durchschritt er die schiefen Gänge der heruntergekommenen Baracke und steuerte das Krankenzimmer seiner Mutter an. Ein angenehm warmes Gefühl flutete über ihn hinweg, als er den Blick über die Anwesenden gleiten ließ. Rhona und Calen saßen bereits zu den Füßen ihrer Mutter, ausgelassen und strahlend in Anbetracht ihres verbesserten Gesundheitszustandes, und auch Zahel hatte sich bereits dazugesellt. Mit heiserer Stimme wandte sich Oriana an ihren Ältesten, der soeben durch die Tür getreten war und reckte die Hand, ehe ein Hustanfall sie erneut schüttelte und sie sich mitgenommen an die Brust fassen musste. „Gut siehst du aus“, brummte Silas in sanftestem Celcianisch, ehe er mit einem kleinen Lächeln an die Kranke herantrat. „Strahlend wie Manthala selbst“, witzelte er schwach und rieb ihr den Oberarm, das helle Augenpaar funkelte warm, verwandelte sich unter dem Blick seiner Mutter in fließendes Gold. Er ließ Oriana kurz etwas zu Atem kommen, ehe er in aller Ernsthaftigkeit anfügte: „Wie geht es dir?“. Eine ganze Weile kreiste seine Aufmerksamkeit um die bleiche Gestalt seiner Mutter, abschätzend musterte er ihr Gesicht, die kraftlosen Bewegungen der zarten Glieder. Als er den Blick über die Köpfe seiner Geschwister wandern ließ, blieben die gelben Augen jedoch unweigerlich an Avalinn haften. Mit Sicherheit besaß sie auf die meisten eine derartige Wirkung – dass man sich ihrer Erscheinung nicht entziehen konnte... oder wollte. Auch Silas konnte sich dem kleinen Zauber nicht erwehren, der seinen Blick automatisiert immer wieder zu ihr zurückgleiten ließ. Eine noble Blässe zierte die blaugehüllte Gestalt der Elfe, derer sich Silas bisher nicht bewusst gewesen war… und je länger er sie betrachtete, desto blasser wurde sie in seinen Augen. Bis er erkannte, dass dies wohl der Abwesenheit von etwas anderem geschuldet war. Es dauerte, bis Silas mit wiederholtem Blick auf Avalinn registrierte, dass ihr tatsächlich ein gewisser Glanz fehlte. Der Mischling konnte es nicht benennen, hätte nicht aufzeigen können, um was es sich handelte. Sie wirkte… trüb. Als hätte jemand das Sonnenlicht hinter dichten Nebelschwaden ausgesperrt, dachte Silas. Er schob den Gedanken daran nach kurzer Zeit bewusst zur Seite, widmete sich erneut seiner Familie – es war ein wertvoller Augenblick, einer der wenigen tatsächlich guten Momente seines Lebens, der ihm Energie und Kraft schenkte, um weiter machen zu können. Den durfte er nicht ungeachtet vorüberziehen lassen. Stattdessen sog er den Anblick in sich auf, badete in jenem flüchtigen Glücksmoment und ließ ein feines Lächeln seine Lippen umspielen. Es erweichte die sonst so starren Gesichtszüge des Halbelfen, denen stets etwas Gemeißeltes anhaftete.

Doch auch der Friede den die familiäre Wiedervereinigung mit sich brachte, täuschte nicht gänzlich über den unerfreulichen Umstand hinweg, dass ihm eine Reise ins Ungewisse bevorstand. Es war viel zu tun, noch einiges zu erledigen und wichtige Besorgungen, die nach seiner Aufmerksamkeit verlangten, ehe er sich auf den Weg machen konnte. Silas blickte über die silberhaarigen Schöpfe hinweg, ein paar tiefe Atemzüge dauerte es, bis er den Mut fand, den Elefanten im Raum anzusprechen. „Ich weiß, dass der Zeitpunkt ungünstig ist“, begann er vorsichtig. „Aber ich werde für einige Zeit das Reich verlassen müssen. Ein… Kunde verlangt nach einigen Besorgungen, die mit einer Reise in den Eldar verbunden sind.“, noch bevor etwaige Einwände diesbezüglich hochbrodeln konnten, hob der Mischling beschwichtigend die Arme. „Zahel wird Avalinn als Assistentin ersetzen und dementsprechend entlohnt werden, solange ich nicht da bin“, er nickte der Jüngeren zu, bedachte sie mit einem warmen, verständnisvollen Blick, dem viel Unausgesprochenes anhing. Anschließend wandte er sich an seine Mutter und griff nach ihren kalten Händen. „Du wirst dich schonen“, mahnte er sie sanft und drückte die zarten Finger. „Ich werde mich beeilen.“ Danach warf er einen suchenden Blick in den Raum… gestern hatte er doch irgendwo… Ah, da war er ja! Sein Umhang, den er Zahel im Schlaf um die Schultern gelegt hatte, befand sich fein säuberlich gefaltet neben dem Bett. Er langte danach, tastete und zog anschließend den Münzbeutel hervor. „Ich werde ein paar Erledigungen machen und vermutlich erst gegen Abend zurück sein.“, als er geendet hatte, richtete er seinen Fokus auf die schweigsame Elfe, die sich immer noch im Hintergrund hielt. Eine Frage formte sich in seinem Blick heran. „Ihr könnt mich begleiten, wenn Ihr wollt.“, sollte Avalinn Anderes im Sinn haben, würde er dies ebenso hinnehmen. Wer wusste schon, ob die Heilerin ebenfalls Vorkehrungen treffen wollte… Proviant würde Silas jedenfalls auf dem Markt kaufen müssen, vielleicht fand er dort sogar die ein oder andere Karte, die ihm die Orientierung an der Oberfläche erleichtern würde - nicht, dass er sonderlich viel Ahnung davon hatte, jene zu lesen. Irgendwie würde es schon gehen, hoffentlich. Wie Myniel einem Besuch mit weiblicher Begleitung gegenüberstehen würde, war ebenfalls fraglich, doch diesbezüglich würde er sich wohl erst Gedanken machen, sollte es tatsächlich dazu kommen.

Benutzeravatar
Erzähler
Nicht-Spieler-Charakter
Nicht-Spieler-Charakter
Beiträge: 6998
Registriert: Montag 4. Januar 2010, 20:11
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: [br][/br]
Zum Vorzeigen: [br][/br]

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Erzähler » Samstag 24. Juli 2021, 15:05

Es gab viele im Reich der Nachtelfen denen es überaus leicht fiel, die eigenen Bedürfnisse und die eigenen Ziele über die anderer zu stellen. Mehr als bei anderen Völkern, mit Ausnahme der dunklen Verwandten vielleicht, waren Egoismus und Gier vertreten. Nicht jedoch bei Silas. Der Elf mit neldorethischen Wurzeln, konnte sich gegen den Schmerz, den er in Zahel erkannte, nicht wehren und sein ohnehin leidendes Herz, schrumpfte noch ein Stück mehr zusammen. Die Härte im Gesicht der Schwester ließ die Fassade des Gefassten bröckeln und als sie sich umdrehte, um ihn stehen zu lassen, brachen die entstandenen Risse auf. Silas hatte Mühe damit umzugehen und wollte sich dem Gefühl des Versagens entziehen, doch seine Schwester schaffte es nicht, die Härte aufrechtzuerhalten. Noch bevor sie die Küche verlassen hatte, holte sie die Angst über ihr Schicksal ein und sie ließ mit zitternden Händen die Schlüssel fallen. Es dauerte keinen Wimpernschlag, da stand Silas als schützende Mauer hinter seiner Schwester und wollte Trost spenden, während er sich gleichzeitig mit dem Bild seiner am Boden zerstörten Schwester, arrangieren musste. Sämtliche mühevoll aufgebauten Masken schmolzen unter Zahel's Reaktion dahin, bis sich die goldenen Augen in einem Meer aus Bernstein wiederfanden. Augenblicklich fühlte sich der Mischling ertappt, verwundbar und verschloss sich vor der Wärme im Blick von Avalinn. Die leise Scham, ob seiner größtenteils fehlenden Bekleidung, konnte das nicht aufwiegen und ihm wäre vielleicht lieber gewesen, sie hätte ihn gänzlich entblößt gesehen, als auch nur einen Moment die ehrlichen Gefühle zu offenbaren. Die Elfe war jedoch höflich genug, um nicht erkennen zu lassen, ob sie etwas bemerkt hatte oder Silas und Zahel noch länger zu stören. Nachdem sie Silas mit einem kurzen Anheben der Mundwinkel zugenickt hatte, um seine Worte nicht gänzlich unkommentiert zu lassen, ließ sie die Geschwister taktvoll alleine.

Erst als sie wieder unter sich waren, brachen die Worte aus Zahel hinaus und schließlich suchte sie verzweifelt die Nähe ihres Bruders. Silas spürte, dass seine Umarmung ihr die nötige Ruhe gab, damit sie ein Gespräch führen konnten, doch sie kostete die Zweisamkeit auch noch einen Moment aus, bis sie durch die Hände ihres Bruders zum Aufsehen gebracht wurde. Glänzend blickten ihm ihre blauen Augen entgegen und sie schniefte etwas. „Er wird dich nicht anrühren“, kam die Versicherung eindringlich und Zahel blinzelte unsicher. Ihre Augen suchten das Gold der seinen ab, versuchten eine Schwachstelle zu ergründen, die ihr das Gesagte verleidete. Doch Silas spürte selber, wie ernst es ihm war. Er würde es niemals zulassen, dass Amenion Zahel anfasste und er lauschte dem unheilvollen Flüstern seines inneren Nachtelfen nur zu genau. Wenn die Umstände richtig lägen, würde er durchaus zu allem bereit sein, dessen wurde er sich gerade bewusst. Doch noch schaffte er es, die Stimme und das gierige Sabbern des Nachtelfen-Gens wegzudrängen und es gelang ihm, tatsächlich noch etwas mehr Zuversicht zu sähen: „Er braucht eine Assistentin. Jemanden, der sein Schauspiel begleitet, der sein Ego streichelt.“ „Ich weiß, niemand hat das Recht, das von dir zu verlangen. Ich am allerwenigsten. Glaub mir… wenn es irgendwie… ich hätte… ich würde niemals…“ . Auch er hatte Mühe die Worte zu finden. Viel zu selten kam es vor, dass er über seine wahrhaftigen Gefühle sprach. Er konnte nicht, denn dann drohte er wie ein Kartenhaus im Wind zusammenzubrechen und das war indiskutabel. Immer weiter, Schritt für Schritt. „Hör zu. Sollte es… unzumutbar werden. Du weißt, wo du Morrin findest. Er kann Amenion mit Sicherheit lange genug auf Abstand halten, bis ich wieder da bin. Ich bringe ihm das, wonach er verlangt. Wenn ich es habe, wird er mir zuhören. Notfalls handle ich einen neuen Vertrag mit ihm aus, auf meine Kosten.“ „Kleine Schwester, du bist so viel klüger als ich. Dagegen kommt jemand wie Amenion im Leben nicht an“. . Zahel schmiegte sich besänftigt in die Hände ihres Bruders und schloss für einen Moment die nassen Augen. Ihre Tränen versiegten unter seinen Worten und sie legte ihm eine Hand auf die seine, um die Berührung wiederzugeben. Zitternd holte sie Luft, schaffte es aber sich nach und nach zu beruhigen, bis sie wieder gleichmäßiger Luft holen konnte und das Zittern allmählich abebbte. Dann öffnete sie ihre Augen, als er sich entschuldigte und wirkte mutiger, als zuvor. „Silas, du tust so viel für uns alle. Ich.. ich vertraue dir völlig, das weißt du sicher und ich werde alles tun was ich kann und muss, um dich zu unterstützen.“. Nun war es an ihr, dass sie ihm, nachdem er sich gelöst hatte, eine Hand auf seine Wange legte. „Zerfleisch dich deswegen nicht. Ich.. wir werden es gemeinsam schaffen. Als Familie.“, schloss sie und rang sich ein gut gemeintes Lächeln ab. Die Geschwister teilten einen offenen Moment und einmal mehr wurden sie sich ihrer Verbundenheit bewusst. Das war etwas, dass ihnen keiner nehmen konnte und das sie sich bewahrten, egal wie die Umstände sie versuchten niederzuringen. Zahel löste sich von ihrem Bruder und es kehrte sogar ein wenig Leichtigkeit in ihr Gesicht, als er auf die fehlende Bekleidung anspielte. Erst jetzt war sie fähig, die Komik dahinter zu würdigen und mit einem neckenden Grinsen um die Mundwinkel, zwinkerte sie ihrem Bruder zu. „Das solltest du, nicht dass Avalinn noch im Erdboden versinkt.“. Es war ein hauchfeiner Moment der Unbeschwertheit, bevor sie sich umdrehte und zum Krankenzimmer ging. Silas hatte es geschafft, für Zahel Zuversicht zu transportieren und seine Entschlossenheit gab ihr die nötige Stärke, um das Schicksal anzunehmen.

Nachdem er sich gewaschen und angezogen hatte, wurde alles andere ein wenig nebensächlich, als er seine Familie im Zimmer sitzen sah und die Ausgelassenheit auch ihn umspielte. Es waren gute Gefühle die ihn erfassten und er brauchte diese, um sich für alles weitere zu wappnen. Seine Mutter streckte die Hand nach ihm aus und er folgte ihrer stummen Bitte. Seine Worte ließen sie lächeln und zauberten einen länger vermissten Glanz in ihr blasses Gesicht „Ich weiß das zu schätzen.“, lachte sie kratzig und hustete abermals. Sie legte ihm eine Hand auf seine, als er nähertrat und er spürte eine leichte Kühle darin. Das Fieber war vorerst nicht zurückgekehrt, was ein gutes Zeichen war aber auch über den Umstand hinwegtäuschte, dass sie immer noch äußerst krank war. Seine Frage ließ Oriana den Blick auf die Geschwister lenken und sie nickte kurz. „Es wird schon wieder.“, meinte sie zuversichtlich und Silas durfte erkennen, dass dies nur ein erster Schritt in die andere Richtung war. Oriana folgte kurz dem Blick ihres Ältesten, als sich dieser Avalinn annahm. Sie drückte seine Hand und schien zu schmunzeln, dann jedoch nahmen Rhona und Calen die Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie erhoben sich und während Calen sich einen Platz neben Silas auf dem Bett suchte, legte Rhona eine Hand auf die Schulter des Mischlings und blickte ebenso auf ihre Mutter herab. „Wirst du wieder ganz gesund?“, fragte die Zwillingsschwester Zahel's und erntete einen warmen Blick von Oriana. „Es wird dauern, aber.. sicherlich!“, nickte der schwache Kopf und räusperte sich erneut, um ein Husten zu unterdrücken.
Avalinn stand im Hintergrund und gewährte der Familie den Moment in stiller Anteilnahme. Sie ließ ihren Blick über die Geschwister wandern und sog das Bild in sich auf. Es war ein guter Anfang und auch sie wusste, was unweigerlich geschehen würde. Amenion hatte ihr bereits deutlich gemacht, was ihr bevorstand und auch wenn sie sich insgeheim freute, endlich einmal wieder an die Oberfläche zu gelangen, sie wusste, dass diese Reise beschwerlich war und lange dauern würde. In ihrem Gesicht, das die Blässe trug, zeichnete sich Sorge ab, während Silas die anderen darüber unterrichtete, was ihm bevorstand. Avalinn senkte den Blick, als die Sprache auf Zahel kam und schloss sogar die Lider, bevor sie tief atmete und der silberhaarigen Schwester einen Blick schenkte. Die Eröffnung, dass Silas das Reich und somit die Familie verlassen musste, nahm jeder unterschiedlich auf: Rhona legte die Stirn in Falten und wollte protestieren, Calen bekam gleich einen ängstlichen Blick, den er zwischen seinen Geschwistern hin und her wandern ließ und Zahel ließ den Kopf hängen. Seine Mutter bedachte Silas mit Sorge und erneut glitt ihr Blick zu Avalinn. Es war eine seltsame Mischung in den trüben Augen die schwer zu deuten war. Unwohl war der eldorischen Elfe und sie schaffte es nicht, dem Blick der Mutter standzuhalten. Danach kehrten die Augen zu Silas zurück und sahen über ihn hinweg zu Zahel. „Ich.. verliere gleich zwei Kinder?“, japste sie brüchig und augenblicklich schien es, als fielen ihre Wangen noch mehr ein.
Es war die Stimme Avalinn's, die sich plötzlich im Raum verteilte und sie trat einen Schritt näher. Beschwichtigend schüttelte sie den Kopf und nestelte unruhig an ihrem Armband. „Nein, Oriana. Ihr verliert sie nicht. Ich..“, ihr Blick traf Silas und sie schaffte es erneut mit nur eben diesem Blick eine Wärme und Hoffnung zu transportieren, die er bei ihrer ersten Begegnung bereits gefühlt hatte. „Zahel wird hier wohnen, das habe ich mit Amenion besprochen. Sie wird zu ihm gehen, ihm bei seinen Behandlungen helfen und abends wieder gehen dürfen.“, Avalinn rang sich ein Lächeln ab und zumindest Zahel holte tief Luft und schien in gewisser Weise erleichtert zu sein. Dann ließ die andersartige Elfe ihren Blick sinken und für einen Moment schien es, als wäre sie in Gedanken versunken. Sie wirkte trotz allem nicht recht bei der Sache. „Es tut mir leid.“, murmelte sie und lächelte schwach auf Oriana hinab. Jeden bedachte sie nacheinander mit einem Blick. „Ich habe alle nötigen Kräuter hier bei mir und bin zuversichtlich, dass die Behandlung weiter anschlägt. Amenion wird euch helfen und weiß was er zu tun hat, im Falle einer Verschlechterung. Er wird sich an die Zusicherung halten.“, versuchte sie irgendwie zu helfen und nickte der Familie zu.

Oriana bedachte die Elfe erneut mit einem Blick und schloss entkräftet die Augen. Die Offenbarung schmerzte sie, das konnte jeder sehen. „Avalinn ich danke euch für eure Hilfe. Aber.. wenn mein Sohn nicht… nicht wieder kommt oder… oder meiner Tochter etwas … zustoßen sollte, ich schwöre bei Manthala..“, sie hustete und die Aufregung tat ihr nicht gut. „Ich werde euch heimsuchen!“. Avalinn straffte die schmalen Schultern und biss die Zähne zusammen. Dann erweichte sich das Gesicht wieder und sie nickte. „Ich weiß", sagte sie schlicht und widmete sich ihrer eigentlichen Aufgabe. Sie nestelte an ihrer Tasche und überprüfte alles, bevor sie auf einem Fenstersims die Kräuter und Knollen ausbreitete, damit die Geschwister Zugriff hatten. Oriana griff nach Silas‘ Hand. Ihr Blick war eindringlich und sie hatte sich wieder etwas zurück gelegt. „Silas.. ich ertrage kaum den Gedanken, dich gehen zu lassen. So weit.. so lange.“, ihre Stimme brach und eine Träne sammelte sich in ihrem Augenwinkel. „Ich weiß wieso du in dieser Lage bist und ich liebe dich dafür. Aber ich verlange von dir, dass du um jeden Preis zurückkehrst. Dass du auf dich Acht gibst und dich jeder unnötigen Gefahr fernhältst.“, sagte sie eindringlich und kämpfte dafür sogar die Schwäche nieder, sodass ihre Stimme im alten Klang ertönte. Danach ließ sie sich müde in die Kissen sinken und schloss die Augen. Sie brauchte Ruhe und Zeit, um sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass ihr Ältester für lange Zeit nicht mehr ihr Anker sein würde.

Als Silas das Wort an Avalinn richtete, dauerte es einen Moment, bis sie verstand, dass er mit ihr sprach. Sie drehte sich ihm zu und schien einen Augenblick darüber nachzudenken. Dann nickte sie und ließ die hellen Augen über ihre Kräuter wandern. „Ja gut ich danke euch, Silas. Ich komme gerne mit, dann kann ich auf dem Markt noch einige Besorgungen machen.“, murmelte sie und wandte sich der Ledertasche zu, um sie zu schließen. Avalinn legte sich ihre Kopfbedeckung wieder an und verhüllte ihre Erscheinung in gewohnter Weise. Sie sah noch mal in die Runde. „Ich würde gerne heute Abend noch mal nach euch schauen, Oriana, wenn ihr einverstanden seid.“, fragte sie und Silas‘ Mutter öffnete die Augen. Für einen Moment schien es, als wolle sie ablehnen, doch sie nickte. „Ich danke euch", sagte sie und sah zu Silas. „Wir werden auf dich warten, komm nicht zu spät. Wir wollen noch etwas Zeit zusammen verbringen, bevor du aufbrichst.“ Dann sank sie zurück in die Kissen und schloss die Augen, um endlich etwas zu schlafen. Es war ein guter Vormittag gewesen und er machte Mut, dass Oriana bald genesen würde. Vielleicht war das ein schwacher Trost, dass seine Geschwister einer positiveren Zukunft entgegen blickten, solange er fort wäre.

Weiter bei Meister Londros Schneiderei
Bild

Benutzeravatar
Erzähler
Nicht-Spieler-Charakter
Nicht-Spieler-Charakter
Beiträge: 6998
Registriert: Montag 4. Januar 2010, 20:11
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: [br][/br]
Zum Vorzeigen: [br][/br]

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Erzähler » Sonntag 22. August 2021, 21:41

Silas kommt von Spiel der Ratten

Sobald Silas durch die windschiefe Tür getreten war, umfing ihn ein allzu vertrauter Geruch nach seinem Lieblingsessen. Weiter hinten in der Hütte, aus der Küche, konnte er Stimmen hören, die ausgelassen plapperten und ganz sicher seinen Geschwistern gehörten. Im Krankenzimmer seiner Mutter befanden sich einige Möbel, die man gut als Tisch nutzen konnte, wie Stühle oder kleine Schränkchen. Sie waren so angeordnet, dass alle 5 gemeinsam saßen, wenn auch auf dem Boden, und essen konnten. Seine Mutter war nicht im Bett und es war ordentlich hergerichtet. Sobald er sich vielleicht Sorgen machen würde, kam der Klang ihrer Stimme ebenfalls aus der Küche. Dort fand er Zahel, Calen, Oriana und Rhona beisammen. Auf der kleinen Feuerstelle kochte das Essen, welches er bereits hatte riechen können. Sie lächelten, als er eintrat. „Da bist du ja! Wir haben eine Überraschung für dich.“,, rief Calen und Oriana lächelte warm, die auf einem Stuhl saß, blass aber besser aussah. „Wir können gleich essen. Zahel und Rhona haben gekocht.“, erläuterte sie ihrem Ältesten die Situation und erhob sich, um auf ihn zu zugehen. „Komm, wir setzen uns schon mal, sie bringen gleich die Teller.“, sagte sie und suchte Halt bei ihm.
Ihr ging es tatsächlich besser und besser, auch wenn er die vollständige Genesung nicht mehr miterleben würde innerhalb der nächsten Tage. Aber Avalinn hatte Wort gehalten, als sie versicherte, dass sie seiner Mutter half, bevor sie aufbrechen würden. Und ganz offensichtlich, hatte sich seine Familie ein kleines Abschiedsfest für ihn ausgedacht. Mit Avalinns kleiner Unterstützung, blieben für den Moment schwere Herzen ausgespart, sodass die besten Zutaten vorlagen, die einen warmen und friedlichen Abschied versprachen. Im Verlauf würde es an der Tür klopfen und wenn geöffnet wurde, befand sich ein Päkchen auf der Schwelle mit einem Brief dabei.

Silas,
ich wünsche dir für deine bevorstehende Reise alles Glück der Welt. Ich möchte dass du weißt, wie sehr du mir fehlen wirst, auch wenn wir uns in letzter Zeit kaum gesehen haben. Ich kann heute leider nicht selber kommen. Morrin bat mich zu sich und du weißt ja wie er ist. Ich grüße ihn von dir!

Ich denke immer an dich und warte auf deine Rückkehr.

Myniel
Schriftrolle Fuss
Bild

Benutzeravatar
Silas Círenas
Gast
Gast

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Silas Círenas » Mittwoch 20. Oktober 2021, 19:33

Noch unweit der Bäckerei, abseits des tobenden Ehepaares, hatten sich Silas und Avalinn einige Herzschläge gestohlen, um über den abenteuerlichen Unfug zu sinnieren, den sie soeben fabriziert hatten. Die Dunkelhaarige ließ sich von der kleinen Schwindelei des Halbelfen, ihr linguistisches Talent betreffend, jedoch kein Stück weit beeinflussen. „Es ehrt euch, aber ich war grauenhaft.“, gab sie mit geschürzten Lippen zur Antwort. Silas ging heiser lachend über ihre Erwiderung hinweg und lehnte sich in seinem Stand zurück. Es war ein durchaus herzhafter Ton, der seine Kehle angenehm vibrieren ließ, der jung und unbeschwert aus seiner sonst so ernsten Brust hervorschwoll und das vorangegangene Schmunzeln mühelos durchbrach. Ein Klang der Heiterkeit, in welcher der Mischling ganz offensichtlich badete und die seinen Übermut noch ein Stück weit bewässerte, während er um sie herumschlich, verspielte Worte durch ihr rotbraunes Haar flüsterte und sich schließlich mit schalkhaftem Glanz in den Augen über die verräterische Röte ihrer Wangen amüsierte. Eine kleine Neckerei, ein abschließender Scherz, den Avalinn mit einem Lächeln ziehen ließ und der das aschgraue Gesicht des Mischlings nochmals erhellte. „Dann bin ich froh, dass ihr so gut aufpasst", ertönte es nicht weniger ehrlich, als Silas es von der Elfe erwartet hatte. Ja, das würde er wohl, nicht wahr? Das musste er. Amenion hatte Avalinns Zustand unmissverständlich mit dem Wohl seiner Schwester verwoben. Hatte die bernsteinäugige Elfe zu einer elementaren Aufgabe seines Auftrags werden lassen. Ein pflichtbewusstes, beinahe grimmiges Lächeln zuckte in den Mundwinkeln des Mischlings, während ein feiner Schatten um seine Augen stob, welcher jedoch, so schnell er gekommen war, auch wieder verschwand. Silas deutete eine Verbeugung an. „Stets zu Diensten.“, erwiderte er, noch ehe sie den Weg fortsetzten und sich jeweils vom Gebäcktablett bedienten. Sein hungriger Magen nahm jeden Bissen der flaumigen Köstlichkeit wohlwollend auf und fühlte sich dankbar warm und satt an, als er auch den letzten Rest eines Anteils verspeist hatte.

Eine gedankenschwere Stille folgte, begleitet vom leisen Knirschen ihrer Schuhsohlen, deren Schritte einen gemächlichen Takt angaben, und dem umtriebigen Gemurmel einiger Gestalten, deren Wege sie hin und wieder kreuzten. Vielleicht kam die Frage, die so unverblümt aus Silas hervorbrach, nicht nur für den Mischling unerwartet. War es forsch gewesen, danach zu fragen? Kaum, dass er geendet hatte, bereute er es, den Mund geöffnet zu haben. Sein in die Ferne gerichteter Blick klärte sich, schwamm zurück in den Fokus und richtete sich auf Avalinn, welche ihren Zeigefinger nun zögerlich von den Lippen gleiten ließ und ihn wortlos anstarrte. Unstet flackerten die honigfarbenen Augen - verletzt sah sie aus, durch einen unsichtbaren Schmerz geplagt. Der Mischling stockte in seiner Bewegung, beinahe versteinerte er. „Verzeiht. Ich wollte nicht-“, Silas fiel in seinem Schritt etwas hinter die Elfe zurück, die ihren letzten Bissen bereits heruntergeschluckt und den Blick wieder geradeaus gerichtet hatte. Es war nur ein Moment gewesen, den sie benötigt hatte, um sich zu sammeln. „Ich war schon lange nicht mehr Zuhause.“, ertönte die Antwort, ohne, dass er noch einmal einen Blick auf ihr Gesicht hätte erhaschen können. Sie rieb die Hände aneinander und Silas setzte seinen Gang fort, blieb hierbei jedoch in einem zögerlichen Abstand. „Ich.. ja einerseits freue ich mich sehr. Ich vermisse es… Vermissen ist kein Ausdruck ich… wisst ihr, Silas, wenn ihr so lange von Zuhause weg seid wie ich dann… nun, die Welt dreht sich weiter und verändert sich. Versteht ihr? Ich fürchte mich auch ein wenig davor, zurückzukehren. Und nicht bleiben zu können.“, sie sprach so leise, dass der Wehmut ihrer Worte in den Ohren des Halbelfen beinahe unerträglich laut klang. Silas schluckte trocken und zwang sich, einen Schritt vor den anderen zu setzen, den Kopf erhoben, einen Sturm aus Nervosität im Magen. Auch wenn in ihren Worten weder Bitterkeit noch Trauer mitschwang, war Silas sich nicht ganz sicher, was er mit dem flauen Gefühl anfangen sollte, das sich in seinem Bauch ausbreitete. Wie beiläufig winkte Avalinn ab und auf ihren Lippen formte sich erneut ein Lächeln heran, dem Silas mit einem unverwandten Blick begegnete. „Aber keine Sorge.“, fügte sie ihrem Lächeln bei und fegte jeglichen Anflug von Kummer mit einem weiteren Lachen hinweg, ehe sie fortfuhr: „Ich werde mich daran halten, was ihr mit Amenion besprochen habt. Ich weiß, dass ich hierher zurückkehren muss, damit der Pakt gilt. Das ist in Ordnung, wirklich. Ich bin froh, dass ich für einige Zeit an die Oberfläche darf… Sonst gehe ich hier noch ein.“ Es klang zu unverfänglich, um das Offensichtliche zu verbergen. Die Finsternis, die Fremde, das Heimweh. Es muss ein einsames Leben sein. Natürlich möchte sie an die Oberwelt. Silas erkannte den zementfarbenen Schleier der Erschöpfung auf ihren Augenlidern, als sie versuchte, über das Thema hinweg zu scherzen. Ernst zog er die Stirn kraus, sah sie durchdringend an, ehe er den Blick auf den Boden richtete, ihr dabei jedoch dicht auf den Fersen blieb. Gefühle wirbelten auf, banden sich im Inneren aneinander, doch es war zu schnell vorbei, um das innere Tosen wirklich greifen und sortieren zu können. Vermutlich wollte er das auch gar nicht, war noch zu sehr von der vorangegangenen Heiterkeit berauscht, die er zu lange hatte missen müssen. Also übersah Silas das kurze, wehmütige Lächeln, das um Avalinns Lippen zuckte, verbannte das Stechen, das durch die Sympathie zur Heilerin durch ihn stob wie ein spitzer Pfeil. Entschlossen versuchte er das erdrückende Gefühl des Mitgefühls in den Hintergrund zu schieben. Doch es gelang ihm nur in geringem Maße und so hob er den Blick erneut an, um ihr Profil im schwindenden Licht der Leuchtpilze zu mustern. Seine Bereitschaft zu reden lag in der Luft wie ein gut wahrnehmbarer Geruch, aber Silas wagte dennoch nicht, den Mund zu öffnen, in ihre Offenheit einzuhaken, sie zu trösten oder hoffnungsvolle Floskeln zu formen. Stattdessen betrachtete er sie mit einem leicht nachdenklichen Blick, der alles bedeuten hätte können und nichts, und schwieg. Da lag sie, ein Teil der Wahrheit, die sich hinter Avalinns Aufenthalt im Reich der Nachtelfen verbarg. Nackt und bloßgestellt, nur einer winzigen Berührung bedürfend, um endgültig hinter dem Vorhang zum Vorschein zu kommen. Silas hätte danach fragen können, hätte an ihre Offenheit anknüpfen können – vielleicht hätte sie es ihm verraten. Doch den Mischling beschäftigten, neben all den offensichtlichen Fragen, noch andere Themen, andere Fragen. Woher hatte sie diese festen Überzeugungen? Wie konnte sie sich und ihren vermeintlichen Auftrag, ihre Verantwortung gegenüber Fremden so klar sehen? Silas selbst versuchte immer nur, nicht unterzugehen, gerade so weit an der Oberfläche zu bleiben, dass er noch Luft bekam. Ein Schritt nach dem anderen. Der Gedanke daran, was er gedachte der Heilerin durch seinen Pakt mit Amenion aufzubürden, drohte beinahe, ihm den Atem zu rauben, ihn in einen Strudel finsterer Überlegungen zu reißen. Rechtfertigte die Sorge um seine Familie tatsächlich den Umstand, auf ihre Kosten, auf die Kosten eines ganzen Volkes zu handeln? Silas hatte keine Antwort darauf und sein eigenes Schweigen klingelte in seinen Ohren während die Worte der Elfe zwischen ihnen in der Luft hingen. Eine ohrenbetäubende Stille, die nach einer Reaktion verlangte, welche er nicht geben konnte. In das gegenseitige Schweigen hinein, sagte Avalinn schließlich: „Wart ihr denn schon mal länger weg? Ich habe gehört, dass gerade junge Nachtelfen an die Oberfläche gehen um zu jagen und um die Neugierde zu befriedigen?“ In Anbetracht des Themenwechsels blinzelte der Mischling träge und erkannte, vermutlich einige Augenblicke zu spät, dass eine Frage im Raum stand, die es für ihn zu beantworten galt. „Ähm…“, Silas Stimme verlor sich und dutzende Antworten formten sich in seinem Verstand, wovon jedoch, vor allem aufgrund der vorangegangenen Thematik, keine wirklich angemessen erschien. Der Halbelf klärte seinen Hals mit einemRäuspern und legte den Kopf in den Nacken. Auch er brauchte die Ablenkung, um die Gedanken an das Damoklesschwert über seinem Kopf abzuschütteln. Um die Schatten zu vertreiben, die sich bei der Erwähnung des Pakts in seine Augen geschlichen hatten. „Wohl nie länger als ein paar Stunden am Stück.“, murmelte er schließlich schulterzuckend. Er richtete den Blick ziellos in die nähere Umgebung und fuhr fort: „Die meisten von uns jagen bei Dämmerung. Einige schleichen sich auch nachts an die Oberwelt.“, er ließ es unbeantwortet, ob auch er einer derjenigen war, die sich zu später Stunde an die Oberfläche stahlen, um die Sterne und deren Himmelsbilder zu bewundern. Aus irgendeinem Grund kam es ihm seltsam persönlich vor, diese Art von Geheimnis zu teilen. Auch wenn es eigentlich keines sein sollte. Die Muskeln seiner markanten Kiefer zuckten einen Moment. „Es gibt wohl welche, die sich auf Reisen begeben - aus Neugierde oder Verzweiflung oder weil sie der Langeweile ihres adligen Daseins überdrüssig werden. Diese Wahl hat sich mir nie gestellt - ist aber wohl besser so. Sonnenlicht bedeutet für Unsereins für gewöhnlich Ärger.“, er blinzelte zur Seite und sein Blick traf sich mit ihrem. „Aber das wisst Ihr vermutlich bereits.“ Denkbar hatte sie gehört und gesehen, welche Auswirkungen die wärmenden Strahlen der Sonne auf nachtelfische Haut haben konnten. Hatte in ihrem Beruf mit den Verbrennungen und der damit einhergehenden Blasenbildung zu tun gehabt. Silas ging nicht weiter darauf ein, auch wenn er insgeheim hoffte, dass er während ihrer gemeinsamen Reise nicht in die Bedrängung kommen würde, auf das Wissen der Heilkundigen zurückgreifen zu müssen, und konzentrierte sich bereits auf das lärmende Rauschen des Marktes, der sich vor ihnen ankündigte.

Alles in allem gab es hierbei wohl reichlich, an dem sich neugierige Augen satt sehen konnten. Fremde und ortsansässige Händler boten ihre Waren unter ständigem Zuruf an und auch Handwerker und niedergelassene Facharbeiter profitierten vom geschäftigen Treiben der wandernden Kundschaft. Der Großhandel zwischen den Kaufleuten wurde auf diesem Markt ebenso zelebriert wie der Einzelhandel für die Einwohner des Reiches – unterschiedlichste Gerüche mischten sich mit diversen Dämpfen und dem Rauch, der von einer nahegelegenen Schmiede heranwehte, als Silas sich in Begleitung der Heilerin zwischen den Ständen einpendelte. Es folgte ein ausschweifender Blick, um die Lage zu sondieren. Dankbar registrierte er, wie Avalinn ihm die kleinen Küchlein vom Arm nahm, auf dass er sich seiner erdachten Einkaufsliste widmen und mit einem letzten Blick und flüchtigem Kopfnicken in ihre Richtung in seine Besorgungen eintauchen konnte. Das meiste hatte Silas recht bald bei der Hand: Wurzelgemüse, Karotten und Kartoffeln würden sich auf der Reise gut verwerten lassen, aber auch Trockenobst und Nüsse ließ sich der Mischling, in einem einfachen Beutel zusammengepackt, mit auf den Weg geben. Als kleine Verköstigung zwischendurch, oder auch nur, um Wild zu ködern - so oder so, es würde nicht schaden. Erst, als die Verpflegung gesichert war, machte sich Silas daran, die Augen nach dem Rest der benötigten Utensilien wandern zu lassen. Ein kleines Schnurknäuel, mit dem sich die eine oder andere Kleintierfalle basteln lassen würde, ließ er nach dem Erwerb in einer seiner Manteltaschen versinken, während er die paar Schrittlängen Seil schulterte. Zugegeben, er war in Navigation und im Umgang mit einem Kompass nicht ausreichend geschult, dennoch hoffte der Mischling, dass ihm jener - zumindest in Kombination mit der Karte des westlichen Teils von Celcia, die er kurz darauf ebenfalls erwarb - von Nutzen sein würde. Vergeblich hatte er versucht, weitere Kartenteile zwischen den verschiedenen Pergamentrollen des Händlers zu finden. Es würde reichen, sie bis zum Ilfar zu führen - von dort aus, so nahm Silas es jedenfalls an, nachdem ihm der knorrige Elf, der ihm Karte und Kompass verkauft hatte, es ihm versicherte, würden sie wohl nur noch dem Fluss folgen müssen. Als der Großteil der Erledigungen getan war, warf er sich den Netzbeutel, der mit Wurzelgemüse, Kartoffeln und Karotten gefüllt war, ebenfalls über die Schulter und bewegte sich zielgerichtet durch die Menge, aus der er sich schließlich herausschälte, um auf seine Begleitung zuzugehen. Bei Avalinn angekommen, folgte er ihrer flüchtigen Handbewegung, die einen naheliegenden Waffenstand andeutete, mit einem Blick und nickte schweigsam. Vermutlich keine schlechte Idee – sein abgenutzter Jagdbogen würde kaum die Strapazen der Reise mitmachen. Es wäre sinnhaft, in eine ordentliche Waffe zu investieren. Nachdenklich wog er Amenions Münzbeutel in der Hand. „Einen Moment noch“, richtete er sich nach kurzer Überlegung an die Heilerin und trat anschließend an den Waffenstand heran, vor dem er innehielt und die ausgestellte Ware beäugte. Schilder und Schwerter, Äxte und Lanzen, beinahe größer als er selbst, ragten zum Verkauf empor, aber auch Dolche und Messer in verschiedensten Ausführungen befanden sich in der Auslage positioniert. Neugierig ließ er den Blick über die Klingen hinwegwandern. Das, wonach er Ausschau hielt… Ah. Im Hintergrund fand sein suchender Blick eine aneinandergereihte Sammlung unterschiedlichster Bögen. Größere und kleinere Langbögen reihten sich an kompakte Kurzbögen und leichte Kompositbögen, deren deutlich gekrümmte Wurfarme sich maßgeblich von der einfachen Herstellungsart ihrer Verwandten unterschieden. Er tauschte einige Wörter mit dem Händler, der sich ihm zur Seite stellte und ließ sich einen wohlgeformten Bogen aus Eibenholz reichen, den er prüfend in seinem Griff drehte. Symmetrisch aufgebaut, erkannte Silas. Gut ausgeglichen. Der Händler bemerkte den Blick und verschränkte die Hände vor der Brust. „Er hat eine herausragende Form. Enorme Wurfleistung.“, brummte der fremde Nachtelf zufrieden und beobachtete seinen weißhaarigen Kunden dabei, wie er die Bogensehne probehalber spannte, bis sie mittig Nase und Kinn berührte, und unter seinem Kieferknochen ankerte. Samtig weich fühlte sich der Griff unter seiner Hand an. Und tatsächlich ließ er sich butterweich ziehen. Silas konnte den kurzen, verträumten Blick auf die geölte Oberfläche und deren seidigen Glanz nicht verhindern als er ihn wieder sinken ließ – dennoch kostete es ihn einen Moment mühevoller Überlegung. Noch nie hatte er etwas besessen, das von derartigem Wert war. Es fühlte sich falsch an, fast sündhaft, über die Anschaffung einer derartigen Waffe nachzudenken. Eine gute Investition, ohne Zweifel, dennoch… zaghaft zuckte sein Blick in Avalinns Richtung, die sich soeben entschuldigt hatte. Der Mischling sah ihr überrascht nach ehe er sich dem Händler erneut zuwandte um den Kauf des Bogens, eines dazugehörigen Köchers sowie einigen Pfeilen, mit einem Kopfnicken und der darauffolgenden Bezahlung abwickelte. Mit Beutel, Seil, Köcher und Bogen bepackt war es nun an ihm, die Heilerin bei ihrem Weg durch die Menge zu beobachten, während er sich selbst am Rand des Marktes positionierte, um auf sie zu warten. Die Augenbrauen leicht zur Nasenwurzel gezogen sah Silas dabei zu, wie Avalinn der buckligen Kräuterhexe etwas abkaufte, das sie sogleich in einer Tasche ihres Kleids verschwinden ließ. Als sie sich mit gleichmäßigen Schritten von der alten Frau entfernte und in seine Richtung bewegte, ließ er den Blick studierend über ihr ernstes Gesicht wandern. „Habt ihr alles bekommen?“, ein freundlicher Funke erhellte die Augen der Heilerin ehe sie sich mit ihrem wohlbekannten Lächeln zu ihm gesellte. Silas musterte die Elfe erneut. Taxierte sie. „Ja.“, bestätigte er leise. „Ich denke, wir können gehen.“

Es war ein ruhiger Marsch, den sie gemeinsam bis vor seine Haustür beschritten. Kaum ein Wort hatten sie miteinander gewechselt und Silas hatte bei seiner Begleitung mit verhaltenen Seitwärtsblicken Ausschau gehalten: nach Missgunst, nach einem abschätzigen Blick oder einem verborgenen Gefühl, das als Geheimnis übel keimen konnte. Doch er fand nichts. Nichts außer Ernsthaftigkeit in ihrem Blick, der in eine imaginäre Weite gerichtet war und sie nachdenklich schweigen ließ. Vielleicht, so dachte er, hatte er mit seiner Frage alte Wunden aufgerissen. Bemüht schob er seine Bedenken in den Hintergrund; redete sich ein, dass es nicht mehr als sein eigenes Unwohlsein war und ignorierte die Warnungen seiner sensiblen Sinne, das Sirren seines intuitiven Nagels. Er ließ ihr den Vortritt, doch noch ehe sie die windschiefe Tür zu seinem Heim erreichten, wandte sie sich zu ihm herum. Überrascht hielt er inne und beinahe instinktiv versteifte er den Griff um den geschulterten Beutel. Die bernsteinfarbenen Augen der Heilerin waren klar und strahlend als sie ihm das Gesicht entgegen hob. Seine Finger entspannten sich etwas. „Es war… ein schöner Nachmittag, Silas. Ich danke euch, dass ihr mir… nunja, dass ihr mir diesen Teil eurer Vergangenheit gezeigt habt. Ich hatte...“, sie schien nach den richtigen Worten zu suchen, „ich hatte wirklich Spaß.“. Silas blinzelte beklommen und starrte sie einen Moment lang an, doch ihre Stimme, so zugewandt und ohne jeden Vorbehalt, machte ihn weich und nachgiebig. Er stieß einen kleinen, dunklen Ton der Erheiterung aus und trug ein schiefes Lächeln auf den Lippen, als er erwiderte: „Ja... Ja, ich auch.“. Es entging ihm nicht, dass ihr Gesicht etwas an Wärme verlor, als sie zur Verabschiedung ansetzte und er nahm es zum Anlass, den Kopf nun doch etwas irritiert zur Seite zu neigen. „Ich denke, ich werde euch nun alleine lassen. Ich bin überzeugt, dass eure Mutter stetig auf dem Weg der Besserung ist und sollte euch etwas auffallen, dann zögert nicht nach mir zu schicken. Ansonsten brechen wir morgen bei Sonnenaufgang auf, so jedenfalls der Plan von Amenion. Wir treffen uns am Aufgang zur Oberwelt. – Soll ich euch ausrichten.“, erklärte sie. Silas brummte zustimmend, wohl als einziges Anzeichen dafür, dass er verstanden hatte. Nach einem weiteren, langen Blick aus dem hellgesäumten Gold seiner Augen und einem zaghaften Senken des Kopfes, wandte er sich zum Gehen. Auch Avalinn hatte sich in Bewegung gesetzt und zog langsam an ihm vorbei. Im Augenwinkel bemerkte er, wie sie sich erneut zu ihm herumdrehte. „Habt einen schönen Abend, Silas.“, der Halbelf spürte ihre Fingerspitzen, noch bevor er bemerkte, wie sie nach ihm griff. Mit einem Mal war es ihm, als flutete eine wohlige Wärme bis in sein tiefstes Innerstes hinein. Sein Atem stockte. Zuversicht strich mit vorsichtigen, suchenden Fingern über die Mauersteine seiner Innenwelt, bat sanft um Einlass. Die Berührung war lindernder Balsam, gleichzeitig erquickend wie süßer, perlender Wein, als hätte sie ihn einmal mehr der Last auf seinen Schultern beraubt - merkwürdig und wundervoll zugleich. Silas sog die Luft zwischen seine Zähne, tankte kühlen Atem in seine Lungen. Hundert Fragen formten sich hinter seiner Stirn, welche ihm einen kurzen Moment lang nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben standen. Avalinn löste die Fingerkuppen von seiner Haut, zog ihre Hand zurück. Noch ehe sie jene senken konnte, griff Silas nach den schmalen Fingern der Heilerin und hielt sie einen Augenblick etwas ungelenk an Ort und Stelle. „Ihr seid hier willkommen, Avalinn.“, seine Augen glommen kurz auf. „Jederzeit“, damit entließ er sie aus seinem Griff, straffte die Schultern und setzte eine möglichst neutrale Miene auf. „Wir sehen uns morgen.“, die Elfe nickte ihm zu und verschwand mit lautlosen Schritten um die nächste Häuserecke. Silas warf einen Blick auf seinen Arm, auf die Stelle, an der Avalinn ihn berührt hatte und spürte in sich hinein. Da war Wärme und Licht und Leichtigkeit und als er schließlich durch die windschiefe Tür in die schwach beleuchtete Stube eintrat, platzte eine Blase aus Glück prickelnd in seiner Brust.

Der wohlige Geruch nach warmem Gewürz strömte Silas in der Sekunde in die Nase, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Es roch nach Knoblauch und wildem Thymian, nach frisch gemahlenem schwarzem Pfeffer und feingehackter Minze. Nicht nach der üblichen Säuergrütze, die er sonst fast jeden Abend aus der Schüssel kratzte. Der goldene Schein vereinzelter Kerzen kroch über die Wände – vermutlich hatten seine Geschwister die Lichtquellen entfacht, weil sie mit Avalinns Rückkehr gerechnet hatten. Ein kleines Schmunzeln umspielte seine Mundwinkel, als er das neu erworbene Gut von seiner Schulter gleiten ließ und gegen die abbröckelnde Wand des Hausflurs lehnte. Im hinteren Bereich des Hauses, leicht gedämpft durch Wand und Tür, erklang fröhliches Gelächter und die Bretter unter seinen Füßen knarzten, während Silas durch den Flur trat. Kurzum warf der Mischling einen Blick ins Krankenzimmer seiner Mutter - welches er leer vorfand -, und folgte daraufhin den ausgelassenen Stimmen bis in die Küche… wo er sogleich herzlichst in Empfang genommen wurde. „Da bist du ja! Wir haben eine Überraschung für dich.“, sein Bruder, mit seinem wirren, ausgefransten Silberschopf, strahlte ihn gutgelaunt an. Silas konnte den vermeintlichen Ursprung seiner Fröhlichkeit sofort ausmachen – neben Calen saß ihre Mutter, blass und schmal, doch mit einem warmen Lächeln auf den Lippen. „Wir können gleich essen. Zahel und Rhona haben gekocht.“, sie erhob sich, um auf ihn zuzugehen. „Eine Überraschung, in der Tat.“, erwiderte er leise, ließ den Blick in leichter Verwunderung über die Anwesenden gleiten und streckte die Hände seiner Mutter entgegen, dass sie sich an ihm stützen konnte. Ein nicht aufzuhaltendes Lächeln sprang ihm schließlich auf die Lippen als er Rhona mit empört gerundeten Lippen neben der Feuerstelle entdeckte – den Kochlöffel drohend in der Hand erhoben. „Komm, wir setzen uns schon mal, sie bringen gleich die Teller.“, seine Mutter hakte sich bei ihm unter, tätschelte seinen Arm. Gemeinsam suchten sie einen Platz auf den arrangierten Sitzmöglichkeiten und als Zahel, Rhona und Calen schließlich die Teller hereintrugen, blitzten die goldenen Iriden des Mischlings verzückt auf. Backpflaumen und Datteln fanden sich am Teller und umrahmten das abgelöste Fleisch einiger Hühnerschenkel sowie ein beigelegtes Stück Wurzelbrot. Ein wahres Festmahl verglichen zu dem, was man sich sonst gegenseitig vorsetzte. Doch ein fröhlicher Abend verlangte nach einer besonderen Mahlzeit. Das matte, orangerote Glühen herabgebrannter Kerzenstummeln loderte in gelben Flammen und füllte das Zimmer mit Licht und Schatten. Sie erzählten sich Geschichten, lachten und scherzten herum. Silas kam hierbei kaum zu Wort, zu schnell ergriff sein Bruder ebenjenes und berichtete unter anderem vom heutigen Tagesgeschehen, in welchem er gemeinsam mit einigen Nachbarskindern der Purpurmantel-Mutprobe des Metzgersohns beigewohnt hatte, und hatte dabei solch leuchtende Augen, dass Silas ihm den Spaß nicht nehmen wollte. Die Stimmung war gänzlich anders als die Nächte zuvor, an denen sie ausgehungert um den Zustand ihrer Mutter gebangt hatten. Verzweiflung war nun einem geteilten Hochgefühl gewichen und Silas Herz schlug mit einer Ausgelassenheit, die er so noch nie empfunden hatte – zumindest konnte er sich nicht daran erinnern. Er fühlte sich leicht… und glücklich. Wie ein Idiot. Oder ein Kind, das ohne Ängste war.

Der Mischling hatte es im weiteren Nachtverlauf nicht über sich gebracht, seine Familie auf das Unausgesprochene aufmerksam zu machen, und nun ließ er auch die Dunkelheit, die ihn in seinem Zimmer so tröstlich empfangen hatte, nicht wissen, dass er einen frühmorgendlichen Abschied plante, auf den es vielleicht kein Wiedersehen geben würde. Der Gedanke ängstigte ihn nicht – sie hatten einen wundervollen Abend zusammen verbracht, hatten die letzten Stunden, die man ihnen geschenkt hatte, genossen, bis die Müdigkeit an ihren Augenlidern gezogen hatte. Oriana hatte sich vor dem Zubettgehen mit einem warmen Blick an ihren Ältesten gewandt, hatte seine Stirn geküsst, ihm eine gute Nacht gewünscht und ein sanftes Lächeln aufgesetzt, das, wie er sehr wohl bemerkt hatte, daraufhin zu Kummer zerronnen war. Er hatte sie umarmt, doch keiner von beiden wollte sich richtig verabschieden. Abschiede waren so endgültig und er plante, sie wiederzusehen. Auch wenn er noch nicht wusste, wann und unter welchen Umständen – er würde schon irgendwie dafür sorgen. Nachdem auch seine Geschwister schlafen gegangen waren und er das Päckchen, das Myniel ihm zugeschickt hatte, entgegengenommen hatte, hatte er sich mit ihrem beigelegten Brief in sein Zimmer zurückgezogen. Die Zeilen entlockten ihm ein vages Lächeln, dem ein amüsiertes Kopfschütteln folgte. Ein überraschend zärtlicher Impuls ließ ihn nach Schreibfeder und Tintenfässchen greifen. Er wandte das Pergament, formulierte seinen Dank auf die Rückseite des Briefs und fügte noch einige persönliche Worte an: „Ich bin mir noch nicht sicher, wie ihr beiden ohne mich klarkommen werdet, aber solltest du mich vermissen, denke immer daran, wie sehr ich dir manchmal auf die Nerven gehe - Silas“. Schmunzelnd fügte er dem Brief die Bezahlung für den verarbeiteten Stoff hinzu. Nachdem er auch einen zweiten Brief verfasst hatte, den er an seine Familie richtete und mit wenigen, jedoch liebevoll formulierten Sätzen schmückte, platzierte er beide Briefe gut sichtbar in der Küche. Er würde sich ohne Weiteres darauf verlassen können, dass Myniel das retounierte Schreiben mit ihrem Namen darauf erhielt.

Silas konnte unmöglich sagen, wie spät es war als er sich schließlich mit ausgestreckten Gliedmaßen in sein Bett fielen ließ. In seinem Bett, auf dem Rücken liegend, war die Finsternis, die ihn umgab, absolut. Kühl und tröstlich. Er sah keine Decke. Keine Wände. Keinen Boden. Und als er die Augen schloss, war da nur ein leises Rauschen in seinen Ohren, der gemächliche Herzschlag, den er auf jedem Zentimeter seiner Haut spürte. Es schlug und zitterte und pulsierte unter der Oberfläche. Und während die langen Schatten der Nacht geisterhaft nach ihm griffen, schrumpfte er in seine seelischen Tiefen und sank in Manthalas offene Arme, die ihn im Reich der Träume in Empfang nahm. Fast die ganze Nacht hatte Silas ruhig und traumlos geschlafen. Doch als er nach einigen Stunden die Augen öffnete und gegen den Nebel des Erwachsens anblinzelte, hatte er das Gefühl, den Nachklang eines Traumes im Kopf zu haben, an dessen Bilder er sich schon nicht mehr erinnern konnte. Stöhnend rieb sich der Mischling über das Gesicht… und wurde ruckartig aus seinem Dämmerzustand gerissen, als er versuchte, die Wahrhaftigkeit wieder zu greifen. Die Erinnerungen an die bevorstehende Reise, an den Pakt, an die Geschehnisse der letzten Tage trieben ihn schließlich mit steifen Gliedern aus den zerwühlten Laken. Eine Katzenwäsche später beugte sich der Mischling schließlich über das Myniels Paket und öffnete es behutsam. Er ließ seine Hand durch die verschiedenen Schichten des dunklen Saums wandern - Wie gut sich der Stoff anfühlt! - und strich mit den Fingerspitzen in stiller Ehrfurcht darüber, bevor er den Inhalt entnahm und damit begann, sich anzukleiden. Als er damit fertig war, saß ihm der Kopf, nun bereits voller Gedanken und Zweifel in Anbetracht des Aufbruchs, wie ein riesiger Bleiklumpen auf seinem Hals. Flink und geräuschlos sammelte er hingegen sein Inventar zusammen, befüllte den Rucksack, schnürte Liegefell und Decke fest und achtete penibel darauf, auch die restlichen Gegenstände ordnungsgemäß zu verstauen. Vermutlich hätte er frühstücken sollen, zumindest dachte er sich das, als er einige Zeit später durch die Eingangstür nach draußen trat und die Hände in den Manteltaschen vergrub. Höchstwahrscheinlich hätte er jedoch sowieso keinen Bissen hinunter bekommen. Entschlossen begann er, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Etwas regte sich in ihm, ein ängstlich aufflatternder Vogel in seiner Brust, doch er rang die Nervosität nieder, biss die Zähne zusammen und formte eine strenge Linie mit dem Mund. Er schnaubte darauf folgend zu seiner eigenen Überraschung ziemlich laut und heftig, so dass feine Wölkchen aus kaltem Dunst um seine Lippen stoben. Es war ein rascher Aufbruch gewesen, er hatte sich keinen weiteren schwachen Moment erlauben wollen. Stattdessen ließ er alles, was ihn die letzten Jahre an diesem Ort gehalten hatte, nun mit eisernen, festen Schritten hinter sich. Er blickte nicht zurück, als er um die Häuserecken bog und den Aufgang zur Oberwelt ansteuerte.

Benutzeravatar
Erzähler
Nicht-Spieler-Charakter
Nicht-Spieler-Charakter
Beiträge: 6998
Registriert: Montag 4. Januar 2010, 20:11
Lebensenergie:

Geld: 0D, 0L, 0F
Ausrüstung: [br][/br]
Zum Vorzeigen: [br][/br]

Re: Silas' Wohnhaus

Beitrag von Erzähler » Sonntag 24. Oktober 2021, 08:12

Die letzten Tage hatten Silas wiedermal deutlich gezeigt, dass das Leben eng verknüpft war mit dem Leid. Er wusste es zwar, seit er ein Kind war doch gerade die letzten Stunden verdeutlichen es ihm geradezu. Es lösten sich Freude und Leid im hohen Tempo ab und zogen den Mischling in einen wirbelnden Orkan aus Emotionen und Gedanken. So auch, als er sich ausgelassen zeigte, während er die Quelle seiner kindlichen Erinnerung ausgelassen mit der Heilerin teilte, nur um im nächsten Moment für einen Impuls zu sorgen, der ihre Stimmung trübte. Es war im Affekt geschehen, war keine Absicht gewesen und doch zeigte es ihm deutlich, wie fragil das Konstrukt Heiterkeit war. Nun blieb die Frage zu stellen, ob es sich überhaupt lohnte solche Momente zu riskieren, oder ob man ihnen gänzlich entsagte und sich lieber Pessimismus und Hoffnungslosigkeit auf die Fahne schrieb. Für Silas musste die Frage vermutlich abschließend noch geklärt werden, allerdings half ihm der Umstand, dass Avalinn ihm nichts übel nahm, durchaus weiter. Die Elfe schien gefestigt und im Reinen mit sich zu sein. Zwar gab es Schreckensgespenster in ihrem Leben, doch ihre Hoffnung überwiegte. Ganz anders als bei ihm. Er kannte nur das stete Strampeln, Straucheln und wieder Aufrichten, sodass er sich nicht vorstellen konnte, wie sie es schaffte stark zu bleiben. Vielleicht würde er eines Tages verstehen, woher sie all das nahm, was ihn immer wieder berührte, doch jetzt war er vorsichtig geworden, wollte nichts kaputt machen und schluckte seinen Willen, ihr einige weitere Fragen zu stellen, hinunter. Avalinn hatte das akzeptiert und ihm dabei geholfen, dass er sich wieder etwas besser fühlte. Jetzt jedoch war er alleine. Er trat alleine über die Schwelle mit dem Wissen, es für sehr lange Zeit das letzte Mal getan zu haben. Er entzog sich der unangenehmen Situation des Abschiedes auf unbestimmte Zeit und suchte den Halt an seiner neuerworbenen Habe. Der Abend war schön gewesen, ausgelassen, herzlich. Nichts hatte auf die Schwere der letzten Woche hingedeutet und Silas ein Bild gezeigt, das er in sich tragen konnte, wenn es dunkel um ihn würde. Er konnte sich die lachenden Gesichter bewahren und abrufen, sobald ihm danach war. Das kleine Zutun der Heilerin hatte ihm dabei geholfen, diesen Abend zu genießen, statt ihn mit unruhigen Gedanken und Schmerz zu belasten. Vielleicht war es ein wenig geschummelt, doch offenbar hatte Avalinn einen guten Sinn für solche Momente. Sie selber hatte innegehalten, als er ihre Finger ergriff, um sie einzuladen und ihr zu zeigen, dass auch sie nicht alleine sein musste, wenn sie nicht wollte. Die Elfe war zunächst überrascht gewesen, dann trat ein dankbarer, warmer Ausdruck an die Stelle und sie hatte seine Finger zur Antwort etwas fester gedrückt, bevor sie sich mit einem Nicken verabschiedete und ging. Sie wusste die Einladung zu schätzen und hätte selber sicherlich viel Wärme aus diesem Abend gezogen, doch sie wusste auch darum, wie wichtig es für die Familie war, dieses Erlebnis zu teilen, sodass sie sich höflich zurückzog.
Im Verlauf der nächtlichen Stunden, ebbte das Hochgefühl kaum ab und das war ganz sicher nicht mehr ihre kleine Hilfe. So entschied sich Silas einem Impuls folgend, seiner Freundin Myniel zu antworten und auch dieser Gedanke half ihm, sich gestärkt zu fühlen und den Umhang mit Ehrfurcht zu betrachten, statt mit Angst ob des Bevorstehenden. Er konnte die sehr gute Arbeit würdigen und würde den Mantel mit guter Erinnerung tragen. Wie einen Anker, der ihn gedanklich bei seiner Familie und seinen Freunden hielt. Das war nötig, denn auch wenn er die Frage bereits in seinem Geist formuliert hatte, ob es richtig war was er tat, würde er garantiert auf seiner Reise einen solchen Anker brauchen, um den richtigen Weg zu finden. Am nächsten Morgen stand alles bereit und er hatte seinen Entschluss, früh aufzubrechen, wahr gemacht. Ein letzter Blick genügte, bevor er aus der Tür trat und sie für lange lange Zeit ein letztes Mal quietschen hörte.

Silas landet im Zwielicht des Verrats
Bild

Antworten

Zurück zu „Die Wohnhäuser der Nachtelfen“