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von Sarin Kasani » Mittwoch 8. Juli 2020, 21:17
Jafar, ihr stets unterkühlter Onkel, schaute sich kurz um als er ihr Zimmer betrat, ließ den Blick über Sarin und ihre teils verpackten Besitztümer schweifen.
"Du bereitest bereits deine Abreise vor, Nichte. Gut, gut. Viel Zeit bleibt dir nicht mehr."
Für einen winzigen Moment stutzte Sarin. Hatten sich die Gerüchte so schnell herum gesprochen, dass sie nur eine Woche Vorbereitungszeit hatte, das die dunkle Delegation aus Morgeria bald wieder abreisen würde, oder … warum sprach ihr Onkel davon, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb? Ein kalter Huch rann ihr den Rücken hinunter, gleich einer Ahnung, die sie aber sogleich unterdrückte und ihre Konzentration ganz auf Jafar richtete. Er trat an sie heran und seine Nähe machte sie heute ungewöhnlich nervös. Er umrundete Sarin jedoch, um sich auf den Stuhl ihres Frisiertisches zu setzen.
"Du entgehst einem Tadel, werte Nichte. Eigentlich wollte ich dich aufsuchen, um dir eine Predigt zu halten. Denn auch ich war zunächst schwer enttäuscht von deinem Handeln, einem ausländischen Prinzen derart den Kopf zu verdrehen...“
Warum soll eigentlich ich an allem Schuld sein? ER hat sich mich doch ausgesucht. Als wenn ich wirklich was dafür könnte! Ich wurde von Mentára dafür wie eine Schachfigur auf das Feld gesetzt.
, dachte Sarin grummelig in sich hinein, hörte jedoch weiter aufmerksam zu. Es schickte sich nicht seinen Onkel zu unterbrechen, auch wenn sie für einen winzigen Moment gern aufbegehrt hätte. Der Besuch bei ihrer Spinnenfreundin hatte doch noch etwas Mut in ihr zurückgelassen.
„... Wir wissen schließlich alle um dein Schicksal und dass der Wunsch nach einer Ehe bei dir vordergründig zu einer ... nun ... Katastrophe führt...“
Autsch!
Dahin war der Mut.
...dass du mich immer wieder daran erinnern musst! … Aber … du hast ja … vermutlich Recht...
Sarins Selbstbewusstsein war schon immer eine gute Angriffsstelle für ihn gewesen und zerbröselte unter seinem kalten Blick. Seine Worte schmerzten und Sarin schlug nur brav die Augen nieder. Dieser Mann hatte sie nach dem Tod ihrer Eltern aufgezogen. Sie gehorchte ihm allein deswegen schon aus Prinzip und weil sie es nicht anders gelernt hatte. Sie war es ihm schuldig...
Trotzdem tat die Erinnerung weh und seine Worte waren wie Salz in einer Wunde. Es tat weh und sie sehnte sich nach etwas Zuspruch, den sie aber von Jafar sicher nicht zu erwarten hatte. Ihr Onkel hatte ja vermutlich Recht. Das alles barg zumindest eine große Chance im absoluten Chaos zu enden. Doch Sarin war nun mal ein feinsinniges Wesen, dass nicht nur an sich selbst dachte. Allein ihre Cousine so leidend, so verletzt zu sehen, hatte ihr keine Freude bereitet.
Wäre es vielleicht doch eine gute Idee einen offiziell Brauttausch von Onkel vorschlagen zu lassen? Wenn Prinz Dhansiar von meinem Fluch erfährt, WILL er mich bestimmt ohnehin nicht mehr...
„... Meine Tochter Lucil hingegen wartet nur darauf, ihr volles Potenzial auszuschöpfen...“
Das würde sie nur zu gern!
„... Bei einem Dunkelelfen als Ehepartner hätte sie das tun können, auch wenn ihre Nachkommenschaft in den Augen der Morgerianer wohl als schändliche Mischlingsbrut durch ginge. Zumindest in diesem Punkt solltest auch du dir im Klaren sein, dass Mischlingskinder bei Dunkelelfen kein Grund zur Freude sind. Deine Söhne und Töchter werden es schwer haben."
Und mein erstes Kind wird hier her zurück geschickt werden... Ein Spross eines Bündnisses zwischen Morgeria und den Nachtelfen, von der Stadtherrin befohlen und hoch angesehen, ein Spross erster Linie des Blutes Kasani...
Er räusperte sich wieder, unterbrach Sarins Gedanken, die sonst vielleicht auch bewusst darauf gekommen wäre, dass ein Kind von ihr der **rechtmäßige** „Thronfolger“ ihrer Familie werden würde. So blieb es ein unvollendeter Gedanke.
"Nicht, dass ich überhaupt mit Nachkommenschaft rechne. Erst einmal muss eine Ehe gelingen..."
Nicht einmal …
… die Fähigkeit ein Kind zu gebären sprach er ihr zu. Eine Art Nulllinie hatte sich bei seinen letzten Worten in ihrem Kopf gebildet und löschte alles andere aus.
…
Dann ein deutlich lauteres Räuspern von ihm und sie kehrte zurück in diese grausame Welt.
"Wie gesagt, zunächst war auch bei mir die Enttäuschung groß. Ja, sogar Furcht drängte sich an die Oberfläche...“
..zunächst...? Jetzt nicht mehr?
Doch dann fuhr Jafar fort und zerpflückte mit jedem neuen Satz den letzten Rest von Sarins Selbstbewusstsein:
„... Was für ein Skandal würde es für das Haus Kasani bedeuten, wenn meine Nichte am Altar erneut eine Ehe ruiniert und noch dazu mit den dunkelelfischen Verwandten?! …“
Das Bild, dass er in ihrem Kopf mahlte war von Blut unterlaufen und tränkte erneut ihr Brautkleid. Wieder und wieder.
„Du verstehst, warum auch ich mir eine andere Konstellation gewünscht hätte. Eine, in der meine Nichte im Glanz dieser Verbindung als Braut erblüht und unserem Namen Ehre macht. Aber ich bin nicht so impulsiv wie Lucil. Ich habe nachgedacht und glaube inzwischen, dass die Situation für dich nicht besser laufen könnte. Für uns!“
Wovon spricht er?
„Denn seien wir ehrlich: Selbst als Schneiderin im Palast hast du dich noch lange nicht gut genug hervorgetan, als dass ich wirklich stolz auf dich sein könnte. Du hättest stärkere Verbindungen eingehen und das Haus Kasani bereits weiter an die Spitze treiben können. Die Stadtherrin sieht unsere Familie immer noch nur als eine von vielen. Kurzum, im Reich der Nachtelfen hast du noch nichts für das Haus Kasani beigetragen.“
Ich weis, ...ich bin völlig nutzlos für dich.
„Aber ich sehe die Chance, die du dir an der Oberfläche erhoffst.“
Tu ich das?
Sarin blinzelte etwas irritiert.
Er glaubt also auch, dass das alles meine Idee war?
Für einen Bruchteil eines Atemzugs zweifelte sie an der Intelligenz ihres Onkels. Das Lucil ihr die Schuld gab war klar gewesen, aber ihr Onkel ahnte nichts von den Fäden die da im Hintergrund gezogen wurden? Doch er sprach weiter:
„... Morgeria, das klingt nach Möglichkeiten! Sei versichert, dass meine Erwartungen hoch sind. Eine reibungslose Hochzeit genügt nicht. Sieh zu, dass du endlich einen Nutzen für unser Haus hast. Mach uns in Morgeria bekannt. Mach unseren Namen groß. Gebäre diesem Prinzen so viele Kinder, wie es benötigt, um den Namen Kasani zu einem der bekanntesten bei den Dunkelelfen zu machen. Ich erwarte, dass es dir gelingt. Andernfalls, und das sollte dir von der ersten Sekunde klar sein, brauchst du nicht damit zu rechnen, in der Heimat jemals wieder Willkommen zu sein, werte Nichte."
Die Ruhe, mit der ihr Onkel eine Verbannung im Fall ihres Scheiterns aussprach, machte das Ganze beinahe noch erschreckender und eisige Kälte hatte sich in Sarins Knochen ausgebreitet.
Das bin ich also für dich... ein Brutnest der Familie... , sofern die Hochzeit überhaupt gelingt.
Sarin schluckte trocken. Eine leichte Übelkeit hatte sie erfasst und schnürte ihr die Kehle zu. Ihr Geist fror und ihr Herz war von Raureif überzogen. Scharfe Kanten von gebrochenem Eis malträtierten es bei jedem Schlag. Es war eine Sache verkauft und für einen guten Zweck im Auftrag seines Landes fort geschickt zu werden, aber noch eine ganz andere, die Rückkehr verstellt zu bekommen, wenn man nicht nach ihrem Willen funktionierte. Plötzlich fühlte sich Sarin nicht nur mehr allein, sondern auch noch entwurzelt! Tränen wollten in ihr aufsteigen, aber gefroren schon auf dem Weg zu ihren starrenden Augen.
Ohne es vielleicht zu ahnen, oder vielleicht auch im vollen Bewusstsein, hatte Jafar gerade den letzten Faden Zuneigung zu ihm, bzw. zum Blut der Kasani zerstört. Sie sollte ihren Namen groß machen? Ja! Sie würde eine „Blutdorn“ werden. Plötzlich war die Aussicht diese Stadt zu verlassen garnicht mehr so schlimm. Am liebsten wäre sie sofort ohne auch nur einen Erinnerungsgegenstand hinaus gerannt, aber so waren nun mal Gefühle. Morgen würde sie vielleicht anders denken. Nur jetzt gerade hätte sie sich zu gern, schnell davon gemacht. Doch anstatt sich ihrem Onkel nun lang und breit zu erklären, gefror ihr Herz.
Soll er doch denken was er will, glauben was er will. Ich bin ihm egal. Er ist mir egal. Soll er sich mit seinen falschen Annahmen bei Méntara lächerlich machten. Oh Manthala, möge der Name Kasani mit mir verschwinden und euch werde ich vergessen!
Letzteren Teil hatte ihr Unterbewusstsein fast wie eine Anrufung formuliert. Eine alte Angewohnheit aus Kindertagen, in der sie noch eine liebende Mutter gehabt hatte. Die gut erzogene Tochter in ihr wollte aufbegehren und würde sich vielleicht auch wieder aufrappeln, aber jetzt gerade war sie verletzt, geschlagen und eben auch ein bisschen zornig. Der Keim der Hoffnung kränkelte und bekam gerade nur bitteres Wasser voller Trostlosigkeit als Nahrung. Sarins Äußeres war erstarrt. Ihre Mine zeigte keine Regung, gleich dem Herz ihres Onkels. Lange hatte sie gehofft, dass er wenigstens seinem Bruder zu liebe, sie ein bisschen mögen würde, doch seine noch blutig jung verklungenen Worte hatten sie schwer getroffen. Ein eisiger Schauer löste ihre Erstarrung und ließ sie für einen Bruchteil eines Herzschlages erzittern, dann straffte sie sofort die Schultern und machte einen kleinen Knicks... schon allein um wieder Kontrolle über ihre Muskeln zu bekommen. Dann sagte sie jenen Satz, den sie immer für solche Situationen bereit hielt und der doch mehr Floskel kaum sein konnte:
„Ich werde mein Bestes geben.“
Ihr Herz wusste, dass es gegenüber ihrem Onkel eine blanke Lüge war, denn nicht an ihn, nicht an den Namen Kasani, oder an ihre Familie würde sie sie denken wenn sie fort war. Die Worte fühlten sich jetzt schon falsch auf ihrer Zunge an und schmeckten bitter. Allein an sich selbst und ihr Überleben in der Fremde musste sie nun denken! Sie musste ihren eigenen Weg finden. Egal unter welchem Namen und die kurze kleine „Floskel“ spielte Jafar in die Hände. Sarin gab die brave Nichte, die über die Stränge geschlagen hatte, mit „ihrem“ eigenmächtigen Handeln. Mit einem gewohnt höflichen Lächeln, dass sogar die Augen erreichte ( und das verlangte ihr einiges ab ) erhob sich sich aus dem Knicks und sah ihrem Onkel in die Augen.
„Ich danke dir, werter Onkel...“
Für Klarheit und Ernüchterung.
„... für deinen Rat und deine zielführenden Worte. Das motiviert mich sehr voran zu kommen. Und leider hast du Recht. Ich habe wirklich nur noch sehr wenig Zeit meine Angelegenheiten zu ordnen, nicht das es da viel gäbe, aber ich paar Dinge müssen wahrlich vorbereitet werden für ein Leben an der Oberfläche, wenn du verstehst.“
Ich muss hier weg!
Höflich wie gewohnt knickste sie erneut und ging zur Tür um sie ihm zu öffnen.
„Du wirst mir sicher nicht weiter beim Packen zusehen wollen und hast sicher wichtige Dinge zu erledigen. Ich werde mich selbstverständlich dann noch einmal bei allen verabschieden. ...Und wer weiß, vielleicht möchte Fürst Raikhyn von Blutsdorn ja noch den Mann kennen lernen, der mich aufzog. Ich werde nachfragen, sobald ich im Palast zurück bin.“
Sie stand an der Tür und offerierte ihm die Möglichkeit sich hoheitlich zurück zu ziehen und zeigte ihm durch den kleinen Einwand, dass sie seine politischen Ambitionen unterstützen würde.
Und wenn Jafar doch noch einen Brautwechsel zustande bekommen sollte, oder er sich mit dem Vorschlag in die Nesselpilze setzt, es soll mir mich recht sein.
Hatte das Oberhaupt noch etwas zu sagen? Noch weitere Grausamkeiten bereit, die sie noch weiter von ihm fort treiben würden? Sarins Herz blutete leise und still vor sich hin. Ihr Heim, ihr Zuhause, das alles war schon lange nicht mehr existent und es schmerzte fast noch mehr, dass sie es erst jetzt begriffen hatte. Sie sah geschäftig von einem Gegenstand zum anderen um zu zeigen, dass sie wirklich noch viel zu tun hatte, würde aber ihren Onkel in aller Form verabschieden und zu allem brav nicken.
Mein Leben steht an einem Wendepunkt. Ich habe es mir nicht so gewünscht, aber es ist nun mal jetzt so. Ich werde den Schicksalsfäden folgen und tatsächlich versuchen das **Beste** daraus zu machen.
Irgendwie musste die kleine Pflanze „Hoffnung“ doch überlebt haben.
Irgendwann schloss sich die Tür hinter Jafar und Sarin atmete ein paar mal hektisch durch. Fast hätte sie hyperventiliert und wäre in Panik ausgebrochen, doch ihr Verstand verbat ihren Gefühlen solches Vorgehen. Sie rubbelte sich ein paar mal kräftig über die Arme und beeilte sich nun wirklich das Notwendigste zusammen zu packen. Sie wollte dieses Haus so schnell wie möglich verlassen und wenn möglich auch nicht mehr betreten.