Im Zwielicht des Verrats

Dieser prächtige Wald liegt im Norden Celcias. Der Fluss Tangros lässt dieses Gebiet blühen. Ein einsamer Priester ließ sich in diesem Wald nieder und erbaute ein Kloster, aber auch die Nachtelfen blieben nicht ohne Taten.
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Im Zwielicht des Verrats

Beitrag von Erzähler » Sonntag 24. Oktober 2021, 08:10

Silas kommt von Silas' Wohnhaus

Es war sehr früh, als Silas bereits auf den Straßen war. Da es im Reich keinen Sonnenauf- beziehungsweise Untergang gab, War es viel mehr ein anerzogenes Gefühl, wie spät es war. Silas hatte sein ganzes Leben hier verbracht und wusste wann er pünktlich wäre, wenn jemand sagte ‚bei Sonnenaufgang' oder ‚im Morgengrauen‘. Obwohl er selten an die Oberfläche ging, kannte er doch sehr wohl den Aufgang dorthin. Jeder Nachtelf kannte die Mitte des Reiches und die immense Wendeltreppe. Stufe um Stufe kam man der Sonne näher, als würde man die Stufen eines Galgen empor klettern. Von weitem sah die Treppe kaum anders aus, als die steinernen Treppen der nobleren Häuser, doch sobald man davor stand und den Kopf in den Nacken legte, wusste man wie viel Blut und Schweiß dieser Bau gekostet haben musste. Sie war eindrucksvoll und gleichzeitig mahnend, dass jeder der es wagte womöglich nicht wiederkam die massive Bauweise aus schwarzem Marmor hatte etwas endgültiges. In regelmäßigen Abständen war eine Wache postiert die stramm und unnachgiebig ihren Dienst erfüllte. Silas kam bei der ersten Stufe an und erregte prompt die Aufmerksamkeit der ersten Wache. Die dunklen Augen ruhten auf dem Mischling und taxierten ihn sorgfältig, doch er sagte nichts sondern ließ den Anderen passieren. Der gesamte Weg nach oben verlief so. Immer wieder wurde er eindringlich gemustert, als wollte man seinen Willen auf die Probe stellen, sein Vorhaben auch wirklich umzusetzen. In vereinzelten Abständen kam ihm der ein oder andere Elf entgegen, doch reger Betrieb herrschte hier nun wirklich nicht. Nachdem er die letzte Stufe genommen hatte, befand er sich auf einem kleinen Plateau wo erneut eine Wache wartete. Und auch hier wurde er eindringlich gemustert doch dieses Mal blieb es nicht dabei: „Du willst raus?“, donnerte es aus der Brust der Wache. „Passwort?“. ‚Blut zu Blut‘ lautete es und machte ein beklemmendes Gefühl, das man vielleicht beim Aufstieg schon hatte, nun wirklich nicht besser. Was sich derjenige wohl damit gedacht hatte? Doch die Wache trat zur Seite und öffnete Silas ohne weitere Verzögerung das Tor zu einem völlig neuen Lebensabschnitt, einer Aufgabe die ihn das Leben kosten könnte und zu einem langen, langen Abschied von allem was er kannte und wollte.

Das Hindurchtreten wurde bereits dadurch verkürzt, dass man nicht auf einen Impuls von Silas wartete, sondern das Tor schon wieder zu schließen begann. Niemand nahm auf eventuelle Bedenken Rücksicht oder scherte sich um Abschiedskummer. Die Arbeit wurde getan, Tor auf, Tor zu, bis der nächste Einlass oder Durchlass begehrte. So musste der Mischling eventuelle Bedenken hintenan stellen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, sich die Nase zu stoßen. Nachdem er sich aufgerafft hatte, schlossen sich die beiden Türen unwiderruflich mit einem metallischen Klick, das irgendwie ohrenbetäubend wirkte, hinter ihm und sperrten den Mischling aus seiner Heimat aus. Kühle umfing ihn und brachte die Haut im Gesicht in Bedrängnis, denn sie war einen rauen Wind nicht gewöhnt. Die Luft war frisch, rein und klar und doch nicht ganz so angenehm, wie man sich das vielleicht vorgestellt hatte. An der Oberwelt kehrte so langsam die kalte Jahreszeit zurück und mit ihr kam das Graupelwetter und der Regen. Silas hatte jedoch Glück: Der Nebel der sich in Schlieren durch den Wald vor seinen Augen zog versprach, dass es ein schöner Tag werden würde. Sonnig und mit klarer Luft, mild bis frisch aber nicht zu warm.
Noch jedoch hatte er Zeit sich an das andere Licht hier zu gewöhnen, auch wenn alles noch in Dunkelheit da lag und nur vereinzelt, beim Wehen den Blätter, ein Blick auf den Himmel frei wurde, sodass er sehen konnte, dass der Tag langsam anbrach. Nicht weit von ihm, einige Schritte vom Tor entfernt, konnten die goldenen Augen zwei Personen ausmachen. Eine davon etwa einen halben Kopf kleiner, als die andere und zierlicher. Als die Kleinere den Kopf hob, konnte Silas das lange, rotbraune Haar der Heilerin erkennen. Sie hatte den Mischling jedenfalls noch nicht bemerkt denn die etwas größere Person stand neben ihr und hatte ihren Oberarm mit ihren Fingern umschlossen. Eindringliches Gemurmel erklang, sobald Silas näher kommen wollte, bis sich die Heilerin dem Griff entzog und sich umwandte. Das helle Bernstein traf sein Gesicht und augenblicklich wich der ernste Ausdruck einem leichten Lächeln ihrerseits. Sie hatte sich das lange Haar zu einem am Kopf geflochtenen Zopf gebunden und auf ihrem Rücken zusammengefasst.
Ihre Garderobe unterschied sich deutlich von den fließenden Kleidern, denn sie trug eine dunkelgrüne Hose, sowie eine ebenso grüne Weste die mit braunen Schnallen über ihrer Brust und ihrem Bauch gehalten wurde. Darunter hatte sie eine schulterfreie, weiße Tunika angezogen. Ihre Füße steckten in höheren Lederstiefeln. Über die nackten Schultern trug sie einen warmen dunkelblauen Mantel, den sie gerade verschloss, um sich mehr zu wärmen. Sie hatte praktische Kleidung an, die einmal mehr zeigten, welch schlanke Gestalt sich darunter verbarg. In ihrem Gesicht wirkte sie leicht nervös, aber auf eine gute Art. Als wäre sie kribbelig wie ein Kind, das ein Geschenk zu erwarten hatte. Dennoch wirkte sie noch blasser als am Abend und unter den so leuchtenden Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. Um ihr Handgelenk trug sie noch immer das Armband von Amenion. Bevor Avalinn das Wort an Silas richten konnte, trat die zweite Gestalt an ihre Seite und ließ sie verstummen, bevor sie etwas hatte sagen können.
Diese war größer als Avalinn, wenn auch nur um einen Kopf und kleiner als Silas, wie er feststellen durfte. Anhand der breiten Schultern konnte man einen Mann vermuten, denn sein Gesicht war mit einer Kapuze verdeckt. Die Statur des Anderen erschien drahtig und an den richtigen Stellen muskulös. Er wirkte nicht wie ein typischer Schläger den man vielleicht hätte erwarten können. Da sämtliche Hautpartien durch schwarzen Stoff umhüllt waren, lag es nahe, dass es sich ebenfalls um einen Vertreter der Nachtelfen handelte, dem das Sonnenlicht gefährlich werden konnte. Nur langsam hob der Neue den Kopf und als er ihn endlich hoch genug gehoben hatte, um einen Blick auf das Gesicht zu erhaschen, war da nur eine schwarze Maske die lediglich die Augen freigab. Auch hier hatte der andere sich gänzlich abgesichert und so wenig Haut wie nötig offenbart. Was jedoch sehr viel interessanter war, waren die Augen. Sie gaben einen ersten Hinweis, als ein satter, lila-farbener Ton direkt Silas' honigfarbenen traf. Noch bevor der rostige Nagel sich unaufhaltsam drehen konnte, ertönte eine sehr bekannte Stimme hinter dem Stoff hervor: „Na sieh mal an, du bist ja noch dünner geworden! Kocht Zahel so schlecht oder bist du zu wählerisch geworden?!“. Unverkennbar, zynisch und direkt wie eh und je, als hätten sie sich gerade erst aus der Taverne verabschiedet drang Morrin's Stimme durch den Blicke nehmenden Stoff zum Mischling herüber
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Silas Círenas
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Re: Im Zwielicht des Verrats

Beitrag von Silas Círenas » Donnerstag 28. Oktober 2021, 00:20

Es war nicht das erste Mal, dass sich das Tor zum Reich der Nachtelfen in seinem Rücken schloss. Jetzt erschien es ihm aber, als wäre er all die anderen Male blind und taub in die Welt hinausgestolpert. Dieses Mal, als Silas mit unsicheren Schritten, verkrampften Schultern und dem beklemmenden Gefühl eines bitteren Abschieds die Stufen erklomm und ohne ein weiteres Zögern an die Oberwelt trat, schlug ihm ein kühler Windzug entgegen, der anders schmeckte als jeder Atemzug, den er bis dahin an der Oberfläche getätigt hatte. Einen kurzen Moment lang löste es die Enge in seiner Brust, so dass er die frische, kalte Luft tief in seine Lungen strömen ließ. Die kleine Vibration, die durch den Torschluss in seinem Rücken durch seinen Körper jagte, erspürte der Mischling bis in seine Fingerspitzen und Zehen. Sein Blick begann zu wandern. Celcia war an diesem Tag mit einem frostigen Flüstern erwacht. Mit ersten lavendelfarbenen Lichtfingern fuhr die Dämmerung durch den bereits ergrauenden Nachthimmel, den er unter den kargen Baumwipfeln erahnen konnte. Der Arus trug noch ein nächtliches Kleid aus zartem Frost und ein feiner Nebel malte graue Silhouetten dorthin, wo sonst Bäume und Büsche gewesen wären. Es war die Handschrift des nahenden Winters, die vermutlich noch mit den ersten warmen Strahlen der Morgensonne vergehen würde.
Silas raffte den Stoff seines Mantels ein wenig enger um sich und seufzte geräuschvoll, ehe er sich in Bewegung setzte. Kummer und beißender Zweifel formten sich unter diesem friedvollen Anblick zu Melancholie heran, die sich weich und anschmiegsam in sein Herz stahl. Da war kein Schmerz, es plagte ihn nicht. Vielleicht war dies die sanfteste Form des Abschiednehmens - ein vorerst letztes Mal, in dem er ganz bewusst an das dachte, was er hier zurückließ. Das Reich war nicht sonderlich gut zu ihm gewesen, beizeiten hatte es ihm sogar recht übel mitgespielt. Dies änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass sein Herz sich hier zuhause fühlte und in tiefer Verbundenheit mit denjenigen stand, die er, vermutlich noch selig in ihren Betten schlummernd, zurückgelassen hatte.

Als der Wind eisige Nadeln gegen seine Wangen schlug, zog der Halbelf den Kopf leicht fröstelnd zwischen die Schultern. Wind und Wetter waren nichts, das es im Reich der Nachtelfen gab, somit würde er lernen müssen, sich damit zu arrangieren. So hübsch der Anblick des morgendlichen Frosts auch sein mochte, die Kälte biss ihm beim Vorangehen unbarmherzig in die Waden. Zugegeben, er hatte zwar bereits weitaus schlimmere Kälte ausgehalten, doch das bedeutete nicht, dass er sie jetzt besser ertrug. Amenion hätte sich für sein Vorhaben ruhig eine angenehmere Jahreszeit aussuchen können, dachte er missmutig und verlangsamte seine Schritte, als sich die schattenhaften Schemen zweier Wartender, die er im Nebel hatte ausmachen können, zu definierten Silhouetten heran formten. Auf den ersten Blick waren beide von schmaler Gestalt, von denen die kleinere Avalinn zugehörig schien, denn sie wirkte in ihrer Erscheinung weitaus zierlicher und von besonders zarter Statur. Die Vermutung sollte sich bestätigen, als sich während einer ihrer Bewegung das lange, geflochtene Haar zeigte, und sie sich sanft aus dem Griff ihres Gegenübers wandte. Leises Gemurmel ging von ihnen aus, doch selbst für feine Elfenohren war das Gesagte kaum verständlich. Mit aufmerksamen, wachen Augen näherte sich Silas, den Blick hin und her pendelnd. Die mit Reif überzogenen Blätter knirschten unter seinen Schuhsohlen, als er innehielt und sich der Heilerin wie selbstverständlich zur Seite stellte. Es folgte ein knapp bemessener, jedoch nicht unfreundlicher Blick über ihre Gestalt. Sie hatte sich in praktische Kleidung gehüllt und zog gerade einen warmen Mantel über ihre Schultern, während sie ihn von unten herauf mit einem Lächeln bedachte.
Silas stand zur Gänze aufrecht, zwar hager und dünn in seiner Statur, doch hochgewachsen wie ein König zwischen ihnen und blinzelte freundlich auf die Heilerin hinab. Ein verhaltenes Zucken der Mundwinkel begleitete den goldäugigen Blick dabei. Avalinn sah aus, als wollte sie etwas sagen, doch das unangenehme Gefühl, angestarrt zu werden, ließ den empfindlichen Nacken des Halbelfen vorab bereits kribbeln. Der Verhüllte trat einen Schritt näher und ließ Avalinn in ihrem Versuch, das Wort an ihn zu richten, verstummen. Silas‘ Blick flog zur Seite, irrte jedoch nicht umher, sondern richtete sich erstaunlich fest auf den Schwarzgekleideten, dessen Gesicht einen weiteren Moment lang im Verborgenen lag. Langsam ließ Silas den Blick über den dunklen Stoff wandern, der einer kräftigen Schulterpartie, einem schlanken, definierten Torso und kräftigen Schenkeln anhaftete. Die Form des Fremden entsprach nicht wirklich der Vorstellung, die Silas von Amenion's handerlesenen Begleiter erwartet hatte. Dieser hier war kein fäusteschwingender Fleischberg, kein grobschlächtiger Prügeljunge oder kraftstrotzendes Muskelpaket. Vor ihm stand kein einfacher Kneipenschläger, dessen Loyalität Amenion sich in einer günstigen Gelegenheit mit Münzen erkauft hatte. Nein. Silas hatte ausgebildete Krieger und Soldaten gesehen, die sich einer ähnlich unaufdringlichen Optik bedienten - und es war beängstigend, welcher Schnelligkeit sich jene rühmten. Ein Mann für's Grobe wäre Silas lieber gewesen, wie er nun feststellen musste. Er konnte nicht verhindern, dass sein Kehkopf verräterisch ruckte, als er versuchte, seine Nervosität hinunter zu schlucken - sie blieb ihm sowieso in der Kehle hängen.
Da war sie wieder. Diese Unruhe in der Brust, als würde ihm jemand mit eisigem Atem aufs Herz pusten. Irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendetwas erschien dem Mischling nicht richtig, ohne, dass er konkret darauf hätte zeigen können. Unwillkürlich zog er die Schultern zusammen, als ihn der Blick aus dem Dunkel der fremdartigen Maske heraus traf. Einen Augenblick lang hielt Silas verblüfft inne. Jeden Tag, fast jeden einzelnen Morgen seiner Kindheit hatte er in eben solche Augen geblickt. Die Damenwelt hatte diese Augen später immer als veilchenblau beschrieben, doch Silas erwischte sich beim Gedanken daran, dass sie viel zu dunkel waren, um wirklich „veilchenblau“ genannt werden zu können. Ein Fleckchen im linken Auge sah jedenfalls eindeutig eher blau als violett aus. Es waren dunkle Amethyste, in denen das Zwielicht Schwärze hinein malte, in denen ein Sturm tobte... diese Augen gehörten keinem Fremden.

„Na sieh mal an, du bist ja noch dünner geworden! Kocht Zahel so schlecht oder bist du zu wählerisch geworden?!“ , Silas‘ Herz stolperte seinen eigenen Schlägen hinterher als er erkannte, wer da vor ihm stand. Er war taub für die Worte, doch die Stimme... die Stimme hätte er unter dutzenden erkannt. Silas blinzelte, zu schnell, zu verstört, im hastigen Begreifen gefangen. Seine Schultern schienen unmerklich einzusacken, die Haltung wurde weniger steif, weniger stark. Das kann nicht sein, dachte er und in seinem Innersten stemmte sich ein kleines, hilfloses Wie? gegen ein verstörtes, übermächtiges Bitte nicht. Sekunden tröpfelten klanglos dahin, während er so dastand, die verhüllte Gestalt anstarrte, wie ein paralysiertes Reh dem fliegenden Pfeil entgegenblickt, vollkommen erstarrt, verständnislos und ungläubig. Konnte es ein Zufall sein? Eine aberwitzige Fügung? Urteilte er vorschnell? Oder war es genau das, was der rotierende Nagel in seinem Nacken ihm suggerierte? Hatte es die ganze Zeit über einen Mitspieler in diesem Spiel gegeben, von dem er nichts gewusst hatte? Nicht irgendjemand, wie sich hier so eben herausstellte. Nicht irgendjemand, sondern er. Kein Fremder. Er.
Plötzlich und ohne Vorwarnung glomm ein Funke in seinen Augen auf, als hätte irgendwo ein verborgener Schmerz Feuer gefangen, eine beginnende Vorahnung, ein anfängliches Begreifen, dessen Schmerz bei Bestätigung der Befürchtung noch weit tiefer reichen würde als er zu diesem Zeitpunkt ermessen konnte. Doch es war nur ein Augenblick, bevor sich eine kühle Maske darüber legte, während ihre Blicke ineinander ruhten, Amethyst und Gold. Nur ein Moment, dann straffte der Halbelf die Schultern, legte einen Mantel aus eisernem Stolz um sein Herz und Unglaube wich einer eigenartigen, berechnenden Gleichgültigkeit. Beinahe war er in einem Anflug von Bitterkeit versucht, zu lächeln. Aber er tat es nicht. Er schluckte, zog kurz die Augenbrauen zusammen und überlegte, was er sagen sollte.
„Morrin“, seine Lippen bewegten sich kaum, sie bildeten einen blutleeren Strich. „Was machst du hier?“, innerhalb eines Atemzuges hatte der Mischling zwar seine bröckelnde Beherrschung zurückerlangt, doch seine Stimme klang seltsam dünn. Sag, dass du dich verabschieden möchtest. Dass Myniel dir von diesem Aufbruch erzählt hat. Silas lenkte seinen Blick in die nähere Umgebung, doch sie waren allein. Niemand sonst, der die Stelle des dritten Begleiters in Anspruch nehmen hätte können. Es folgte unbehagliches Schweigen, in welchem Silas fest seine Lippen aufeinanderpresste, als hielt er mit Mühe die Worte eines ungehobelten Kommentars in Zaum. Was bei all den verdammten Dämonen im Harax soll das hier werden, Morrin? Silas konnte nicht leugnen, dass es sich neben dem Schock, dem Unglauben und der beginnenden Enttäuschung irgendwo gut anfühlte, diese vertraute Stimme zu hören. Dass die Sehnsucht nach dem Freund, dessen Anwesenheit er so lange hatte missen müssen, größer war, als er die ganze Zeit über geglaubt hatte. Gegenüber dem, was ihn erwartete, hatte sich der Halbelf einsam und machtlos gefühlt und doch erlaubte er sich nicht, Erleichterung zu fühlen, denn vielleicht entsprang eben diese lediglich einer tiefgreifenden Naivität, einem kindlichen, unschuldigen Wunsch, zu vertrauen, wo Vertrauen unter Umständen nicht mehr angebracht war. Der Wunsch erlosch, bevor er seine verräterischen Lippen erreichen konnte, und am Ende wurde Silas bewusst, dass sie sich gegenseitig anstarrten, dass auch Morrin ihn sehen konnte, und möglicherweise zu viel sah. Und bevor der Angesprochene sich womöglich fragen würde, was es war, das dort in den Augen des Mischlings lag, Kummer oder Zuneigung, Furcht oder Enttäuschung oder etwas gänzlich anderes, schlug Silas die Augen nieder, ein wenig zu schnell, sichtlich durcheinander. Ein hastiges Ausweichen. Ganz beiläufig ließ er hierbei seinen Rucksack von der Schulter gleiten, platzierte ihn achtlos zwischen den Füßen und ging in die Hocke, um - möglichst gemächlich - darin zu kramen. Seine Hände, er musste seine Hände beschäftigen. Handschuhe. Es war frisch, also brauchte er Handschuhe. Das erschien ihm recht logisch. Vielleicht würde es ihm helfen, seine Gedanken zu sortieren, wenn er sich zeitgleich mit etwas anderem beschäftigte. Davon abgesehen wollte er Morrin nicht in die Augen sehen, wenn jener zur Antwort ansetzte. Wie kannst du hier auftauchen, mit deinen lockeren Sprüchen, und so tun, als wäre dieser Aufbruch nicht mehr als ein frühmorgendlicher Spaziergang. Als er die schwarzen Handschuhe aus dem Beutel hervorzog, hatte er sich weitestgehend abgelenkt, hatte dem Drang widerstanden, Morrin die Maskierung aus dem Gesicht zu reißen. Er war, so ließ es ein ungeschulter Blick zumindest vermuten, ein Abbild absoluter Gelassenheit, als er eine Hand nach der anderen in den warmen Stoff gleiten ließ.
„Schicke Maske, übrigens. Ist das die neue Mode in der Kaserne? Oder noch die alte?“, murmelte er wie betäubt, kühl, doch ohne richtigen Biss. Seine Zunge fühlt sich zu groß für seinen Mund an, seine Hände fingerten etwas ziellos an dem Verschluss des Rucksacks. Doch der Funke in seinem Innersten war noch nicht erloschen, also erhob er sich, schulterte sein Inventar und fügte nun, weitaus eisiger und mit einem lauernden, distanzierten Blick, hinzu: „Oder ist es Amenion, der sich um dein hübsches Gesicht sorgt?“

Avalinn, welche er bis zu diesem Zeitpunkt kaum beachtet hatte, bedachte er nun ebenfalls mit einem kurzen Blick. „Ich nehme an, Ihr kennt euch bereits?“, nachdem er als Letzter dazugestoßen war, durfte er wohl davon ausgehen, dass sich beide bereits miteinander bekannt gemacht hatten. Dass Morrin nicht darum verlegen gewesen war, nach ihrem Arm zu greifen, sprach wohl ebenfalls dafür, dass es zumindest irgendeine Art der Interaktion zwischen ihnen gegeben hatte. Wenn dem nicht so sein sollte, so würde es Silas in Anbetracht der Tatsachen wohl kaum an Worten fehlen, ihr den Verhüllten vorzustellen. Wobei die Wortwahl wohl stark abhängig davon sein würde, wie Morrin sein Auftauchen zu erklären gedachte.

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Re: Im Zwielicht des Verrats

Beitrag von Erzähler » Samstag 30. Oktober 2021, 06:22

Silas akzeptierte seine bevorstehende Aufgabe. Zumindest machte es den Anschein, als das Tor vibrierend ins Schloss fiel und die Stille sich über den Wald legte. Er war allein, zumindest für eine kleine Weile. Die frische, klare Luft breitete sich wie ein unliebsamer Wegbegleiter über ihm aus, sodass er den Mantel von Myniel enger um sich schlang. Keine schöne Reisezeit, das wurde ihm schmerzlich bewusst und irgendwie verfluchte er Amenion skurriler Weise für das Wetter, nicht aber das eigentliche Unterfangen. Es erschien beinahe so, dass der Mischling sich arrangiert oder besser ergeben hatte. Ja, er würde diesen Auftrag erfüllen und dann war die Sache vom Tisch. So jedenfalls der grundlegende Plan. Doch bevor er an das Ende denken konnte, musste Silas einige erste Schritte durch den Wald tun, um zumindest ein bekanntes Gesicht wiederzufinden: Avalinn wartete wie abgesprochen und begrüßte ihn mit einem freundlichen Lächeln. Zu mehr kam sie nicht, denn eine weitere Gestalt schob sich in das Sichtfeld und aktivierte sofort einen prüfenden Blick seitens des Mischlings. Silas erkannte, dass er doch etwas anderes erwartet hatte.
In seiner Vorstellung, war der zweite Begleiter ein grobschlächtiger Muskelberg, der sich grunzend um das Grobe kümmerte, während Silas sich mit Avalinn duckte und die Nachhut bildete. Doch es war nicht die Angst, nun selber Hand anlegen zu müssen, die seinem rostigen Nagel Anschwung gab: Silas erkannte, dass der Begleiter wendig, schnell und offenbar gut trainiert war. Amenion hatte ihm keinen einfachen Schläger zur Seite gestellt und die Erkenntnis war nicht gerade eine, um in die Luft zu springen vor Freude. Damit jedoch nicht genug: Während Silas noch glaubte, dass die Wendigkeit und Präzision sein größtes Problem darstellen könnte, waren es jedoch die Sekunden, als sich Amethyst und Gold trafen, die sich auftürmten zu einem unheilvollem Sirren in seiner Brust. Grabeskälte fasste nach seinem Herz, seinen Lungen und die Erkenntnis, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, regten den Gegenüber zum Lächeln an. So ließen es sich die seit langer Zeit bekannten Augen nicht nehmen und zogen den Mischling auf. Ganz so, als gäbe es da nicht eine Kleinigkeit zu besprechen. Als wäre da nicht ein Elefant im Raum der es sich ziemlich gemütlich auf Silas' Brust machen wollte.

Der Mischling brauchte Zeit. Zeit um seine Gedanken zu sortieren, seine Befürchtungen zu zähmen, seine Enttäuschung zu kanalisieren. Er war enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass der Junge aus Kindheitstagen vor ihm stand, augenscheinlich als jemand, der sich an Amenion verdingt hatte. Oder? Oder urteilte er vorschnell? Überschlugen sich gerade nur die Ereignisse und Morrin war hier, um Lebewohl zu sagen? War das alles ein Zufall? Er hoffte es inständig. Leider sprach das Auftreten des Nachtelfen eine gänzlich andere Sprache. Morrin wirkte selbstsicher, frei von jedweder Last und Schuld. Er konnte kein Wässerchen trüben, egal was er dachte oder wie er überhaupt hier her gekommen war. Silas' Fragen formten sich hinter seinen Zähnen und auch wenn er fast schon die Lippen blutleer aufeinanderpresste, mussten sie einfach raus. Morrin wartete einen dramatischen Moment ab, ehe er die linke Hand langsam hob und sich die Maske übers Kinn zog. Hervor kamen die markanten, gleichmäßigen Gesichtszüge des alten Freundes. Er war in den Jahren drahtiger, trainierter geworden und auch das Gesicht, das Frauenherzen reihenweise verzückte, wirkte reifer und kantiger. Morrin ließ sich bei der Beantwortung von Silas' durchaus berechtigten Fragen Zeit und entfernte auch noch die Kapuze seines Umhangs, was das kurze und struppige Haar freigab. Eine verspielte Strähne fiel ihm wie drapiert über die Augen ins Gesicht und ein verboten charmantes Lächeln zog seinen linken Mundwinkel in die Höhe. „Was ich hier mache?“, hakte er rhetorisch nach, schaute kurz zu Avalinn, die die Situation schweigsam beobachtete, und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf Silas. „Freust du dich denn gar nicht mich zu sehen? Begrüßt man so etwa einen alten Freund?“, er wirkte beinahe beleidigt. Doch Silas kannte seinen Freund.
Er wusste um das schelmische Verhalten. Streiche spielen und necken- das war schon immer sein Steckenpferd. Morrin verkannte jedoch die Lage, denn für ihn schien das ein Spaziergang zu sein. Als würde er den Anstandswauwau mimen für Silas und Avalinn. Sorglos, furchtlos und… gedankenlos? Morrin musste doch wissen, was der Auftrag war. Und wie Silas zu diesem gekommen war. Oder etwa nicht? Und … wie konnte er für Amenion, dieser Ratte, arbeiten? Was zum Harax war hier los?! Plötzlich brauchten Silas' Hände Ablenkung und bevor Morrin noch etwas sagte oder tat, sank der Mischling in die Hocke und suchte etwas, um sich zu bedecken und gleichzeitig zu beschäftigen. Morrin betrachtete seinen Freund, stand über ihm und wartete lächelnd ab. „Hast du wohl gefunden was du suchst?“, fragte er nach einer kleinen Weile amüsiert über die Geste des Anderen und seine Stimme war fest, klar und ruhig.
Es war nicht fair, denn Morrin schien tatsächlich nicht mal etwas nervös zu sein. „Grundsätzlich bin ich hier, um deinen Hintern zu retten, wenn es sonst keiner tut. Dir den Rücken freizuhalten und..“, er blickte zu Avalinn, lächelte und legte ihr den Arm um die Schultern, „der bezaubernden Avalinn die bevorstehende Reise zu versüßen.“. Seine Lippen formten sich zu einem entwaffnenden Lächeln, als er beide mit einem Blick bedachte. Einen Moment stand er noch da, dann bewegte sich Avalinns Schulter wie beiläufig, sodass sein Arm hinabrutschte. Morrin streckte sich ausgiebig und sein Ego vertrug die Ablehnung Avalinns durchaus. Er rieb sich die Hände, ehe er eine Augenbraue hochzog. „Wieso bist du so zynisch, alter Freund? Wir haben uns ewig nicht gesehen und das ist deine erste Frage? Was mit meiner Kleidung ist?“, warf er ihm ratlos vor. „Die Maske wird mich vor der Sonne schützen oder vor neugierigen Blicken.“, fügte er trotzdem versöhnlich hinzu.

Es war merkwürdig, dass der Freund so lapidar mit der Situation umzugehen schien. Störte er sich denn nicht daran, dass Silas, sein Freund, gezwungen wurde auf perfide Art und Weise, das hier zu tun? Wo war sein Ehrgefühl oder besser: Sein Mitgefühl? Die nächsten Worte, die Silas’ Mund verließen galten der Heilerin. Avalinn betrachtete den Mischling mit einer seltsamen Ernsthaftigkeit. „Ihr kennt euch?“, fragte sie plötzlich und es klang seltsam… stechend. Sie wirkte nicht unbedingt erfreut darüber, schien sogar darüber nachzudenken was das bedeutete. Dass Silas ebenso überrascht war Morrin zu sehen, wie sie, dass sie einander kannten, kam in dem Moment nicht recht zum Tragen. Vielleicht erinnerte sich Silas daran, dass die Heilerin recht grimmig davon gesprochen hatte, dass Amenion noch jemanden mitschicken wollte. Dass sie zwar den Namen nicht wusste, aber offenbar, dass es jemand sein musste, dem er durchweg vertraute. Stand Morrin also einfach nur auf der Gehaltsliste? Oder gab es einen ähnlichen Pakt wie mit Silas? Was nur sollte er glauben? Was wäre des Rätsels Lösung? Jedenfalls machte der Bruder Myniels keinen Eindruck sich unbehaglich zu fühlen, wie er so dastand, selbstbewusst und ruhig. Sah so jemand aus, der gezwungen wurde? Wusste er vorher, dass es Silas war? War er vielleicht gerade deshalb ausgewählt worden? Avalinn räusperte sich leise, als eine lange Pause entstand. „Wir sollten aufbrechen..“, meinte sie und etwas hatte sich leicht geändert in der Haltung der Heilerin. Sie schritt zwischen den Freunden hindurch und ließ sie langsam mit jedem Schritt hinter sich. Morrin sah ihr nach und grinste dann, die Augenbrauen hebend hinter ihr her, bevor sein Blick zurück auf Silas fiel. „Da will wohl jemand keine Zeit verlieren, was? Na dann Silas, auf geht’s!“, trieb er ihn an und wartete, dass Silas Folge leistete.
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Silas Círenas
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Re: Im Zwielicht des Verrats

Beitrag von Silas Círenas » Donnerstag 4. November 2021, 21:58

Morrin ließ ihn im Echo seiner eigenen Frage sieden, zu feige oder zu taktvoll für eine konkrete Antwort. Eine Zeit lang sah ihn der Verhüllte nur an und Silas wusste weder die dramatische Pause noch den Blick, mit dem der andere ihn bedachte, recht zu deuten. Überdachte er seine Antwort? Verheimlichte er etwas? Wollte er ihn damit ärgern? Aufziehen? War Silas vor lauter Schreck eine Warze auf der Stirn gewachsen? Er zuckte zurück, als Morrin seine Hand bewegte, und wich, von einer plötzlichen Unsicherheit ergriffen, einen halben Schritt nach hinten, ohne zu wissen, weshalb er so reagierte. Der Verhüllte hob den Arm lediglich, um sich die Maske langsam bis unters Kinn zu ziehen. Rosafarbenes Licht verriet nun eine gerade Nase, einen vergnügten Mund und Augen, von dichten Wimpern und Schatten verdunkelt, in denen es kurz amüsiert blitzte. Die Kanten des wohlvertrauten Gesichts wirkten deutlicher, reifer. Silas merkte, dass ihm die Zunge am Gaumen klebte und schluckte trocken. Seit Morrin seiner storchbeinigen Kindheit entwachsen war, konnte er sich über einen Mangel an weiblicher Aufmerksamkeit wahrlich nicht beklagen. Er hatte das leichte Lächeln seines Vaters geerbt und diesen sanft-schelmischen Blick, dem man viel zu schnell verzieh. Morrin schob seine Kapuze in den Nacken, der Stoff raschelte an den behandschuhten Fingern entlang und gab den Blick auf einen schwarzen Schopf frei, dessen Strähnen sich charmant über seiner Stirn zwirbelten. Er war eine glänzende, strahlende Präsenz - gerade so der Jugendlichkeit entwachsen, blühend in beinahe unerreichbarer Pracht, glühend vor innerer Kraft wie die Scheite im Zentrum des Feuers. Silas hatte den Frauen ihre stille Faszination stets nachsehen können. Wer war schon bereit, hinter diesen flimmernden Mantel aus Glanz und Glorie zu sehen, der den jungen Nachtelf umhüllte? Allesamt hatten sie sich die Zähne an ihm ausgebissen. Denn nie erblickte man den Schwarzhaarigen ganz, zu schnell schien er hinter einer Maske aus Fröhlichkeit und Schalk zu verschwinden. Doch Silas kannte ihn schon zu lange, um dieses Schauspiel nicht zu durchschauen. Manchmal hatte er sogar das Gefühl, dass er neben Myniel der Einzige war, dem es eine Zeit lang gelungen war, diesen Bühnenvorhang zur Seite zu schieben. Silas hatte immer mehr gesehen als das, was Morrin vielleicht zu zeigen bereit gewesen war. Er hatte mehr gesehen als den strahlenden Ritter, der sich in allgegenwärtiger Bewunderung sonnte, in dessen Stimme der Ruhm mutiger Taten nachhallte. Er hatte mehr gesehen als den Mann, der prahlte und spottete, der sich nahm was er haben wollte, der eigensinnig und stolz war und dessen Meinung anzufechten niemandem zustand. Er hatte gesehen, dass die violetten Augen stets zu tanzen schienen, unruhig und nicht stetig, dass sie wanderten und abdrifteten. Hatte die Rastlosigkeit in seinem Blick gespürt. Silas glaubte, manchmal noch den Jungen von damals zu sehen. Einen impulsiven, zornigen, immer schnatternden Jungen, der sich scheinbar immer und überall unter enormen Rechtfertigungsdruck sah, der durch die strenge und nicht selten gewalttätige Hand eines Vaters erzogen wurde, der bereits mit seinen anderen Brüdern alle Hände voll zu tun gehabt hatte. Silas sah den Jungen, der glänzen musste, weil er sich ganz und gar mit seinen Fähigkeiten identifizierte. Er hatte die Schatten in seinen Augen gesehen und glaubte, sie auch heute noch hinter den funkelnden Amethysten erahnen zu können. Es war wohl eine unglückliche Kombination, heranzuwachsen, wenn in einem einzigen Herzen Verwundbarkeit und Stolz aufeinanderprallten, beide in ihren Extremen, da es für Morrin vielleicht nur Extreme gab, wenn sie miteinander reagierten zu einer fragilen Substanz, die bei der leichtesten Belastung hochexplosiv wurde. Schalk, Neckerei und Streiche hatten stets über diesen Umstand hinweggetäuscht und auch heute waren diese Dinge immer noch das Steckenpferd des Schwarzhaarigen, etwas, das ihn ausmachte und auf Silas wunderbar vertraut wirkte.

„Was ich hier mache?“ Morrin schien Silas‘ Frage noch etwas nachzulauschen, als sei er nicht sicher, was er mit so einer freudlosen Begrüßung anfangen sollte. Die violetten Augen huschten dabei kurz zu Avalinn. Silas folgte dem Blick und grub die Fingernägel in seine Handflächen. „Freust du dich denn gar nicht mich zu sehen? Begrüßt man so etwa einen alten Freund?“ , auf die Aussage des Schwarzhaarigen hin schnaubte der junge Halbelf im schieren Unglauben und sein linkes Auge zuckte entnervt, vielleicht auch ein wenig wahnsinnig. Er war nun wirklich niemand, der leicht den Kopf verlor, möglicherweise lag es ja an den Strapazen und dem Stress der letzten Tage, dass die beherrschte Fassade des Mischlings so deutlich Risse trug. Sollte dies hier tatsächlich der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte? Im schmächtigen Körper des Mischlings sammelte sich eine solche Wut an, dass er, wäre er nur etwas kräftiger gewesen, den Nachtelfen am Kragen gepackt und geschüttelt hätte.
„Ach, ich weiß nicht.“, schnappte Silas stattdessen. „Sag du es mir, Morrin. Steh ich einem Freund gegenüber?“, mit einer fahrigen, etwas unwirschen Handbewegung deutete er die verhüllte Gestalt des anderen an. Oh, es war wohl eine Tragödie des Lebens, dass Männer, die eine Abreibung verdient hatten, immer so breit gebaut waren!
„Wir sehen uns über Wochen nicht, du lässt dich kaum blicken, und jetzt… was? Spielst du Anstandsdame für einen Kleinkriminellen, der meine Schwester als Druckmittel unter sich buckeln lässt?“, mühsam beherrschte er sich, verschloss krampfhaft die Lippen und schluckte alles Weitere hinunter, was er Morrin womöglich sonst noch an den Kopf geworfen hätte. Jeden übereilten Vorwurf, jedes böse Wort… unter anderem, dass er sich zum Verräter machte, indem er für Amenion den Argus mimte. Morrin jedoch sah seinem Freund ohne Scham oder jedweges Schuldgefühl ins Gesicht, noch immer edel, noch immer schön, aber in seiner stolzen Gelassenheit unbeschreiblich arrogant. Noch einen Moment lang erwiderte Silas den amethystfarbenen Blick mit fester, säuerlicher Miene, dann stürzte er seelisch wie auch mimisch zurück in die Tiefe eines diffusen Elendsgefühls und die Flammen in seinen Augen wurden sanfter. Er drehte den Kopf zur Seite. Wich dem Blick des anderen aus. Silas überlegte kurz, ob, und wenn ja, was er noch sagen sollte. Dass Morrins Abwesenheit ihn wie ein blinder Fleck verfolgt hatte, vielleicht? Niemals. Silas würde sich hüten, derartiges preiszugeben. Nein, ihm wollte nichts Rechtes einfallen. Nachdenken machte ihn in den letzten Tagen schnell müde und seine Konzentration schwand rasanter, als er es von sich selbst gewohnt war. Hastig schlug er die Augen nieder. Abscheu zeichnete ihre grimmige Spur auf seinen Lippen. Er verabscheute Morrin nicht. Er hasste ihn auch nicht. Die Enttäuschung war da, ja, mit scharfen, wetzenden Klauen scharrte sie an den Innenwänden seines Herzens. Weil er nichts davon gewusst hatte, weil vermutlich auch irgendwo die bedeckt gehaltene, stillschweigende Bewunderung, die er seinem Freund gegenüber empfunden hatte, in kleine Scherben zersprungen war. Einen kurzen, doch allzu deutlichen Moment hasste er nur sich selbst. Für seine Schwäche, für die niederschmetternde Ausweglosigkeit, die ihn Hoffnung in niederen Taten suchen ließ, um vielleicht, vielleicht nur, eine dunkle Zukunft abwenden zu können. In die Falle gegangen, wie ein dummes Kaninchen. Der größte Teil seiner Wut richtete sich tatsächlich gegen seine eigene Blindheit. Es war schlichtweg zum Haare raufen.

Seine Hände brauchten Beschäftigung, also wandte er sich dem etwas ungelenken Unterfangen zu, seine Handschuhe aus dem Rucksack zu kramen. Ziellos wühlte er sich durch sein Inventar. „Hast du wohl gefunden was du suchst?“, klar und ruhig schwamm die Stimme des Nachtelfen an ihn heran. Amüsiert klang er, dieser Mistkerl. Silas streifte gerade den Stoff über seine Finger als er seinem Freund von unten hinauf einen gereizten Blick zuwarf – wie immer wusste Morrin recht genau, wo er die Nadelspitze ansetzen musste, damit die Seifenblase augenscheinlicher Gelassenheit des Halbelfen platzte.
„Nein! Morrin! Diesem verdammt humorlosen Scherz fehlt nämlich immer noch die Pointe!“, fauchte er finster, erhob sich aus der Hocke und schulterte energisch den Lederriemen. Dabei streifte sein Blick Avalinn. Es widerstrebte ihm, dass sie diesem Schauspiel beiwohnte, denn er wollte sie in sein persönliches Schlachtfeld nicht hineinziehen, wollte, dass weder Avalinn noch Morrin etwas von diesem Wirrwarr in seinem Kopf mitbekamen. Andererseits bestand keine Möglichkeit, dem irgendwie aus dem Weg zu gehen. So würde es wohl die nächste Zeit sein – drei ungleiche Gestalten die einander auf Gedeih und Verderb ausgesetzt waren. Wie auf ein unsichtbares Kommando hin meldete sich Morrin nochmals zu Wort: „Grundsätzlich bin ich hier, um deinen Hintern zu retten, wenn es sonst keiner tut. Dir den Rücken freizuhalten und..“, der Nachtelf blickte zur Heilerin, lächelte sanft und legte ihr den Arm um die Schultern, „der bezaubernden Avalinn die bevorstehende Reise zu versüßen.“. Silas‘ Gesicht verfinsterte sich. Der schmaläugige Blick wanderte an Morrins Schulter hinab, folgte der Kurve seines Arms, der Avalinns Schulter umfasste.
Er spürte, dass er den Atem anhielt. Leise, als müsste er sie stehlen, holte er Luft. „Großartig“, es war ein leises Knurren, dass sich aus seiner zugezogenen Kehle quetschte. Morrin versprühte so viel Charme, dass Silas befürchtete, er könnte wie Sirup an Avalinn kleben bleiben, wenn sie ihm zu nahekam. Manche Dinge ändern sich nie. Doch er hatte Morrins Schürzenjagd oft genug beigewohnt, als dass es ihn noch hätte stören können… oder? Avalinn bewegte die Schulter und rutschte unter Morrins Arm hervor. Ganz kurz schienen die Mundwinkel des Weißhaarigen daraufhin zu zucken und als er Morrin ansah, stahl sich ein beinahe schon vergnügter Ausdruck auf seine Lippen.

Jener ertrug die Abfuhr scheinbar gänzlich ungerührt, streckte sich ausgiebig und wandte sich Silas schließlich mit emporgezogener Braue zu. „Wieso bist du so zynisch, alter Freund? Wir haben uns ewig nicht gesehen und das ist deine erste Frage? Was mit meiner Kleidung ist?“, warf er ihm vor. Silas‘ Schultern froren zu Eis während er die Arme vor der Brust verschränkte. Schweigsam starrte er den Schwarzhaarigen an. Er versucht nicht mal, es abzustreiten. Natürlich nicht. War es nicht längst offensichtlich, dass Morrin als Amenions Vertrauter agierte? Wieso sollte er sich in dem Versuch, sich zu rechtfertigen, blamieren? „Die Maske wird mich vor der Sonne schützen oder vor neugierigen Blicken.“, fügte Morrin etwas versöhnlicher hinzu. Silas schnaubte gekränkt. Ein rausgeputzter Blender bist du! Ein Rüpel mit 'ner großen Kiste voller Tricks! Als er sich mit seinen nächsten Worten an die Heilerin wandte, betrachtete ihn Avalinn bereits mit einer Ernsthaftigkeit, die ihn innerlich ein wenig zurückschrecken ließ. Er hatte sich zu sehr auf Morrin konzentriert, hatte nicht mitbekommen, wie sie still und leise dagestanden und alles aufmerksam beobachtet hatte. Nun schrumpfte all die angestaute Wut unter dem bernsteinfarbenen Blick, der ihn unerwartet tief traf. Die Augen der Elfe waren distanziert, seltsam fern und unglaublich beherrscht. An ihrem ernsten Ausdruck gab es für Silas nichts, das er in diesem Moment falsch verstehen konnte. Er sah die Enttäuschung dahinter – oder glaubte zumindest, diese zu sehen. Eine dumpfe Schwere legte sich über den Mischling, innerlich rüstete er sich gegen ihre Vorwürfe, legte Erwiderungen bereit, unnütze Erklärungen. Nichts davon würde er benötigen, das wusste er. Ihre Lippen formten ein tonloses: „Ihr kennt euch?“ und Silas, in seiner Haltung eingefroren, überlegte kurz, was er sagen sollte. Nach einigen Sekunden des Schweigens nickte er lediglich. „Wir sollten aufbrechen..“, mit diesen Worten glitt Avalinn zwischen den Freunden hindurch und als hätte sie damit die Spannung der beiden jungen Männer durchschnitten, fühlte auch Silas, dass es Zeit wurde dieses Zänkespiel zu unterbrechen. Der Mischling seufzte tief und leise. Seufzte Wut und Zorn in den Wind. Zurück blieb ein hohles Gefühl in seinem Magen und für einen Moment wurden die goldenen Augen weich, ganz so, als hätte ein Windstoß jegliche Bitterkeit fortgeweht – nur kurz, dann rückte Silas ausdruckslos seine Schulterriemen zurecht. Er brauchte Ruhe, musste nachdenken, seine Gedanken sortieren. Er war zu erschöpft, um eine Aussprache zu initiieren, weder in die eine, noch in die andere Richtung. „Da will wohl jemand keine Zeit verlieren, was? Na dann Silas, auf geht’s!“, der Nachtelf grinste der Heilerin mit erhobenen Brauen kurz nach und Silas vermied es, seinen Blick zu kreuzen, als Morrin ihn wieder ansah. Stattdessen starrte er stur geradeaus, schob sich die Kapuze über den Kopf und tief ins Gesicht und trat anschließend wortlos an der schwarzgehüllten Gestalt vorbei.

Silas folgte Avalinn in einem respektablen Abstand während er gleichzeitig darauf achtete, auch Morrin so gut als möglich auf Distanz zu halten. Ganz automatisiert setzte er einen Fuß vor den anderen, ließ die Gedanken ruhelos zwischen den Ereignissen wandeln. Unmöglich, dass das hier dasselbe Land, dieselbe Welt war, die er zu kennen geglaubt hatte. Wieso war ihm alles so fremd geworden… Hatte er hier nicht gejagt? Waren sie als Jugendliche hier nicht auf Erkundungstour gewesen? Der Anblick war derselbe, doch es war ein stummer Bekannter, der nicht mehr mit ihm sprach. Auch er hatte seine Stimme verloren, wie es schien. Denn obwohl da so viel war, so viel Ungesagtes und wichtige Dinge, die es zu regeln galt, war doch alles leer, verwirrend und ohne Erklärung. Nur Staub und Wind. Vielleicht setzte er einen Fuß vor den anderen, weil es keine andere Möglichkeit gab, vielleicht aber auch, weil er die Gesellschaft seiner Begleitung dadurch besser ertragen konnte. Zugegeben, das Marschieren lockerte den Knoten in seiner Brust. Es half ihm, seinen Kopf zu leeren. Manchmal vergaß Silas deshalb, wie lange sie schon liefen, wie spät es war und wie lange der Tag schon andauerte. Mittlerweile waren sie verschluckt vom Wald, der sich vor ihnen und zu allen anderen Seiten auftat. Zwar war es zusehends heller geworden, vereinzelt fiel goldenes Licht durch die Wipfel und verlieh den Bäumen dünne Umrisse, doch zum Großteil war der Arus schattig und verzweigt, beinahe übermächtig in seiner Gleichgültigkeit. Wie betäubt ging Silas den Weg entlang, den Avalinn in ihrer Vorhut angab, ohne konkreten Fokus, nur auf der Flucht vor dem letzten Schritt und den Gedanken, die ihm folgten. Doch er war nicht unaufmerksam. Die spitzen Elfenohren zuckten konzentriert, wann immer es im Dickicht knackte und raschelte, hin und wieder flog auch ein nervöser Blick über seine Schulter. Der Halbelf war es wahrlich nicht gewohnt, sich über einen längeren Zeitraum an der Oberfläche zu bewegen. Die Worte von Morrins Vater, der als Jäger weit öfter in den Wäldern zutun gehabt hatte, klingelten in seinen Ohren: "So sehr man die Wildnis auch liebt, wenn man nicht Acht gibt, wird sie einen auf hundert verschiedene Arten umbringen, bevor die Sonne untergegangen ist.". Fröstelnd zog Silas das Kinn zur Brust, ließ die Nase im dunklen Kragen verschwinden und hauchte warmen Dampf in das Innere seines Umhangs.

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Re: Im Zwielicht des Verrats

Beitrag von Erzähler » Donnerstag 11. November 2021, 14:15

Wo andere Freiheit spürten, wenn sie aus stickigen oder beengten Räumen traten, die Lungen mit frischer, klarer Luft füllten, da konnte Silas nur den kalten Griff um sein Herz wahrnehmen. Er wusste dass der Abschied für länger und nicht nur für einen kurzen, mutigen Jagdausflug sein würde. Die Schritte führten den Mischling durch das raschelnde Laub, hier und dort von frostigem Reif bedeckt und knackend unter seinen Sohlen. Es erschien ohrenbetäubend und verhinderte immer wieder, dass er einen klaren Gedanken fassen konnte. Der Wald hatte mit all seiner dunklen Schönheit keine Macht über ihn. Er konnte seinen Blick nicht dafür öffnen, denn in seinem Nacken knirschte das Unheil in Form eines alten Freundes.
Vor ihm glitt Avalinn beinahe geräuschlos über die Blätter, doch sie wandte sich nicht einmal um, schritt voran und schien ihre eigenen Gedanken zu sortieren. Also blieb nur das Unausgesprochene im Rücken, als würde Silas von Höllenhunden getrieben. Den aufkommenden Zwist hatte Avalinn mit ihrem Voranschreiten beendet und so stiefelten die drei Ungleichen eine ganze Weile wortlos voran. Mehr und mehr dehnte sich der Arus zu allen Seiten aus; verschlang sämtliche Töne die von außerhalb hätten zu ihnen dringen können. Der Wald hatte eine ganz eigene Düsternis die sich für manch schweres Gemüt auch bleiern auf die Seele legen konnte. Niemand der Drei wollte die Stille unterbrechen die zwischen ihnen herrschte. Es brauchte Zeit sich mit der neuen Situation zu arrangieren, sich damit auseinanderzusetzen und schließlich sogar den nächsten Schritt zu wagen, die ungeklärten Dinge anzusprechen.
Die Worte die Morrin mit einer fast schon boshaften Überheblichkeit an Silas gerichtet hatte, wogen schwer auf letzterem. Silas konnte nicht glauben, dass sein Kindheitsfreund, der zu dem er insgeheim aufgesehen hatte, jetzt so tief im Morast steckte und das auch noch gutheißen konnte. Wo war er geblieben der kleine Junge, aufgeweckt, immer umher huschend, nach Abenteuern suchend, nur um die nächste Heldengeschichte mit ein paar geschönten Details zu erzählen? War er noch da? Die Gesichtszüge waren inzwischen die eines Mannes. Eines Mannes, der sich seiner Wirkung nur zu deutlich bewusst war und der sich darin sonnte, wenn Bewunderung in die Augen seiner Gegenüber trat.

Morrin folgte Silas im Abstand, ebenso wie Silas Avalinn folgte. Plötzlich durchschnitt ein deplatzierter und unwirklich klingender Ton die eisige Stille zwischen den Reisegefährten: Morrin summte. Er summte mit angenehmer Tiefe in der Stimme, auch wenn er Silas' Stimme kaum das Wasser reichen konnte. Ihm fehlte das Samt, fehlte das Gefühl. Dennoch klang es passabel und trotzdem störte es das brütende Schweigen immens. Das Summen näherte sich plötzlich dem Mischling und nur kurz darauf, hatte Morrin ihn eingeholt. „Silas!“, flüsterte er ihm in die Nähe des Ohres zu und hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt, während er gut gelaunt neben den anderen trat. Bis er die Aufmerksamkeit von ihm hatte, schwieg Morrin und lächelte entwaffnend, als er Silas Blick bemerkte. „Kannst du dich nicht etwas freuen? Ich meine, du hast selbst gesagt, dass wir uns Wochen nicht gesehen haben. Da ist es doch umso schöner, dass wir nun eine äußerst lange Reise vor uns haben oder nicht?“, er schmunzelte. Unverfroren. „Ich weiß gar nicht wieso du so sauer bist? Amenion ist ein Kriecher, aber er zahlt gutes Geld und hält seine Verträge ein.“, beteuerte er, klang aber nicht halb so naiv wie seine Worte vermuten lassen würden. „Meistens.“, fügte er revidierend an.
Dann richtete er seine Augen auf den Rücken der Heilerin, bevor er deutlich leiser wurde: „Und es geht ohnehin nur um sie und das was ihr Volk hütet. Glaub mir, du hast einen guten Deal gemacht mit Amenion. Er wird Zahel nichts tun, wird ihr sogar etwas beibringen und sie fördern. Wir gewinnen alle.“, sagte er wieder etwas lauter und sah zurück zu Silas. „Naja fast alle.“, murmelte er und zuckte die Schultern. „Ich habe schon einige Aufträge für die Ratte übernommen, aber der hier… der macht am meisten Spaß bisher.“, plapperte er weiter, als würde ihm das Einfühlungsvermögen fehlen, dass Silas das hier nicht gerade als spaßigen Spaziergang ansehen konnte.
„Du warst noch bei Myniel wie ich sehe.“, wechselte er mit einem Mal das Thema und zupfte am Mantel. „Wollte sie dich nicht aufhalten?“, grinste er, da er seine Schwester besser kannte, als irgendwer sonst. Zumindest glaubte er das.

Auch Morrin und Myniel waren inzwischen unterschiedliche Wege gegangen. Während seine Schwester das Reich nie freiwillig verlassen würde, strebte Morrin nach mehr Geschichten in denen er als Held erstrahlte. Doch Silas kannte seinen Freund. Auch wenn er derzeit vielleicht das Gefühl hatte, gar nichts mehr zu wissen, so schlummerte in ihm die Sicherheit darüber, dass Morrin getrieben war von Eitelkeit, Hochmut und doch nur jemand war, der hinter seinem strahlenden Licht Geborgenheit brauchte. Wie jedes Lebewesen. Doch der Zwilling hatte seine Rolle so perfektioniert, dass es schwerfiel, ihn nicht als den Blender zu sehen, der er nun mal sein wollte. Auch jetzt war seine ausgelassene Stimmung wie tausende Nadelstiche im Herzen des einstigen Freundes. Morrin verfiel in ein kurzes Schweigen, schlenderte neben dem Größeren her und verschränkte die Arme auf dem Rücken. Immer wieder huschte sein Blick durch das Dickicht des Waldes, suchte im Unterholz nach Räubern die größer als sie waren.
Doch offenbar verhielt sich endlich mal etwas nicht besonders feindselig, denn Morrin kehrte mit seiner Aufmerksamkeit zu Silas zurück. „Wie bist du überhaupt an all das geraten?“, hakte er nach und schien die Umstände tatsächlich nicht zu kennen. Oder er wollte es gar nicht so genau erfahren. Während er den Worten oder dem Schweigen Silas' lauschte, heftete sich der intensive Blick wieder auf die Heilerin.

Avalinn war einige Schritte voraus und schien sich nicht um das Gerede der beiden Männer zu scheren. Sie war ohnehin recht distanziert und wortkarg, ganz anders, als Silas sie hatte kennenlernen dürfen. Doch während man der Heilerin Kälte unterstellen konnte, trieb sie etwas ganz anderes an: Avalinn brauchte die frische Luft. Jedes noch so kleine Sauerstoffmolekül, welches ihre Lungen füllte, belebte sie, als hätte man ihr die Chance zum Atmen genommen, in der dunklen Stadt unterhalb der Erde. Sie strebte nach vorne, sog die Natur, die Klänge und die Schattenspiele in sich auf. Wache Augen sogen die Schönheit der Oberwelt auf, als wäre es ihr Lebensnektar. Jedes Knacken, jedes Rascheln, jedes Flügelschlagen eines Vogels, gaben ihr Wärme und Hoffnung. Sie glitt beinahe lautlos über den mit in verschiedenen Brauntönen bedeckten Boden und immer wieder berührte sie die kleinen, dünnen Stämme der kargen Bäume hier. Hochgewachsen waren sie, bildeten ein Blätterdach, das nur hier und dort feine Sprenkel der Sonne oberhalb zuließen.
In einigen Schritten Entfernung, schien das Dach deutliche Risse aufzuweisen, denn es bildete sich eine Lichtung die in einem goldenen Licht erstrahlte. Avalinn wurde schneller und nur kurze Zeit später stand sie vor dem Lichtkegel, regungslos und fast schon atemlos. Die fremde Elfe schien zu zögern, doch dann tauchte sie mit ihrer Hand in den warmen Lichtkegel ein, langsam, andächtig, bis sich scheinbar ein Knoten löste und sie gänzlich hineintauchte in die Lichtung.
Avalinn reckte das Gesicht der Sonne entgegen die ungehindert auf sie fallen konnte, hatte die Augen geschlossen und lächelte losgelöst. Die warmen Strahlen, wenn auch nicht so kräftig wie im Sommer, benetzten das feine Antlitz der Elfe und hüllten den rotblonden Schopf in warme Töne. Morrin blieb stehen und beobachtete die Elfe fragend. Doch sie schien versunken, gänzlich alleine mit sich und der Sonne, ihrem Quell des Lebens zu sein. Und Lysanthor selbst schien zu strahlen, während ihre Haut einen feinen, goldenen Schimmer offenbarte, der ihrem Volk so eigen war. Avalinn brauchte das Licht zum Leben, brauchte es um vollständig zu sein und für den Moment, in der liebevollen Umarmung des Lichtgottes, war sie strahlend und leuchtend gleichermaßen. Sie öffnete nach einiger Zeit die Augen die aussahen, als ob sie sich mit dem Licht der Sonne vollgesogen hatten und sah zu den Nachtelfen, die im sicheren Schatten standen.
Avalinn hatte rosige Wangen, lächelte aufgeblüht mit offenem Mund in ihre Richtung und suchte in ihnen Verbündete, die wussten, wie schön die Sonne sein konnte. Doch sie begriff schnell, dass keiner von ihnen das jemals würde nachempfinden können und so trat sie langsam aus dem Lichtkegel zurück in die Schatten und nahm das strahlende Leuchten mit sich. Sie wirkte wie gereinigt, die Blässe war für einen Moment wie weggewischt, die Kühle vorüber und der ernste Blick war einer unheimlichen Wärme gewichen. Dann, mit jedem Schritt weiter in die Schatten des Waldes, kehrte auch der müde Ausdruck zurück in ihr Gesicht. Doch auch wenn die Blässe das goldene Leuchten vertrieb, konnten ihre Augen nicht verbergen, wie gut ihr das getan hatte. Schritt um Schritt ließ sie die Lichtung hinter sich. „Willst du das auch mal ausprobieren?“, fragte Morrin neckend und ruinierte irgendwie den schönen Moment.
In der nächsten Sekunde, als er Silas gerade in dke Seite knuffte, versteinerte sich sein Gesichtsausdruck, das Necken verblasste, die Augen huschten umher, während er ruckartig seinen Kopf drehte und die Heilerin ausfindig machen wollte.

Avalinn war erneut weiter gelaufen, hatte die Nachtelfen etwas abseits gelassen, doch Morrin reagierte binnen Sekunden, als er Silas stehen ließ, wendig und rasant die Distanz überbrückte. Seine Hände griffen nach der Elfe, rissen sie recht unsanft zurück, sodass sie gegen ihn prallte, erschrocken aufblickte und mit Morrin zusammen zu Boden segelte. Der Zwilling rollte sich über Avalinn und stützte sich mit den Unterarmen links und rechts ihres Kopfes ab. Er begrub sie regelrecht unter sich. Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen, während die Heilerin ungläubig in das Gesicht des Elfen blickte. Ihre Stirn legte sich in Furchen, aus Überraschung und Unmut. Morrin lächelte auf einmal sehr charmant und betrachtete das dichte Gesicht Avalinns. Einige Atemzüge sagte er nichts, dann hob er die Hand, ließ sie auf ihr Gesicht zu wandern und lächelte etwas breiter, als sie ihren Kopf wegdrehen wollte. Er griff nach einem kleinen Stein den er ihr zwischen zwei Fingern zeigte und warf ihn dann in ihre Marschrichtung. Er gab ein feines „Klonk" zu hören, ehe ein metallisches Scharben erklang, gefolgt von einem Schnappen. Unter dem Laub tat sich eine Falle auf, die Avalinn sicherlich übersehen hätte. „Schon ‚ne Idee wie Ihr mir danken wollt, Avalinn?“, schnurrte Morrin und erntete einen grimmigen Gesichtsausdruck. „Runter von mir.“, schnappte sie und Morrins Augen funkelten angriffslustig. Der Nachtelf schob sich von ihr herunter und half ihr dann aufzustehen, doch sie schlug seine Hand aus. Ihr Blick fiel auf die Falle. „Ich danke Euch.“, gab sie zu, auch wenn ihr Tonfall klar machte, dass dies ausreichend Dank sein würde. Morrin zupfte ihr ein Blatt aus dem Haar, doch Avalinn wandte sich von ihm ab und brachte sich in Abstand zu ihm. Immer wieder fiel ihr Blick auf die Falle und ihr war der Schreck anzusehen, doch ob unbewusst oder gewollt, suchte sie plötzlich die Nähe des Mischlings. Sie bedachte Silas mit einem kurzen Blick und fischte sich abermals ein Blatt aus dem Haar. Offenbar wollte sie etwas sagen, doch erneut blieb sie stumm und hielt sich einfach wortlos in seiner Nähe auf. Nach dem Schreck, führte Morrin den kleinen Trupp an und bald schon wurde die Temperatur etwas gemäßigter, während die Sonne allmählich ihren Zenit überschritt. Vielleicht wurde es Zeit, um eine kleine Rast zu machen oder aber sie entschieden sich, weiter zu gehen und den Tag zu nutzen, um noch einige Wegstrecke wett zu machen. So oder so, wurde es allmählich Nachmittag und schlussendlich Abend.
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Re: Im Zwielicht des Verrats

Beitrag von Silas Círenas » Dienstag 28. Dezember 2021, 20:20

Kühl wogte der Wind durch die Zweige, trug dabei die verschiedenen Düfte des Arus bis an die Nasenspitze des Elfmischlings heran. Silas saugte die verschiedenen Eindrücke in sich auf. Wie sehr hätte er das alles genießen wollen! Es roch nach Farn und Zedernholz, nach Harz und feuchtem Moos. Selbst die Luft schmeckte aufregend intensiv nach Nadelwald und Frost, nach winzigen Eiskristallen, die sich ihm bei jedem Atemzug zwischen den geteilten Lippen auf die Zunge legten. Zwar war es weiterhin kalt im Schatten der Wälder, dass ihm jedes Luftholen in die Lungen biss, doch Silas atmete weiterhin tief und langsam, versuchte sich ganz auf die schneidende Kälte zu konzentrieren, die seinen Hals hinab strömte. Gerne hätte er sich der friedvollen Schönheit geöffnet, doch flüchtige Gedanken durchschossen die Dunkelheit in ihm, Bildfetzen und zusammenhangslose Erinnerungen wie vom Schwarm getrennte Fische. Sein Verstand hatte mit allerhand Widersprüchen zu kämpfen. Er dachte an vieles. Er dachte an das, was bereits hinter ihm lag. Er dachte an die Dinge, die er dabei vielleicht übersehen hatte. Er dachte an alles, was noch vor ihm lag. Dünn und in feinen Sprenkeln fiel das Licht der Morgensonne nun bereits über den Boden. Wie lange sie wohl schon unterwegs waren? Silas beobachtete nachdenklich, wie winzige Glitzerflöckchen im dunstigen Lichteinfall badeten. Unter den Sohlen des Mischlings knackte und raschelte es kontinuierlich, winzige Äste brachen, mit Reif überzogenes Laub knirschte unter ihm. Doch es waren die Schritte in seinem Rücken, die seinen Gedankenfluss störten. Schritte, die bald von einem anderen Geräusch begleitet wurden. Ein tiefklingendes Summen. Silas stieß ein gequältes Seufzen aus. Als sich das Summen langsam annäherte, die von Silas so dringend gewünschte Distanz überbrückte, schoben sich die sehnigen Schultern auseinander, Spannung durchzog seinen Nacken.
„Silas!“, tönte es säuselnd neben seinem Ohr. Viel zu nah. Das vertraute Flüstern durchlief sein gesamtes Rückgrat. Silas presste die Lippen aufeinander und stapfte - halb seufzend, halb knurrend - einen energischen Schritt zur Seite. Morrin hielt mühelos Schritt, schloss zu seiner Schulter auf und bedachte ihn eine Zeit lang mit derart entwaffnenden Blicken, dass Silas, allen stillen Vorhaben zum Trotz, irgendwann nachgab.
„Was?", kaum war ihm die Frage entschlüpft, konnte er das Lächeln des Nachtelfen beinahe schon körperlich spüren. Er musste das Gesicht seines Freundes nicht sehen, um zu wissen, dass es ihm kleine Grübchen in die Mundwinkel malte.
„Kannst du dich nicht etwas freuen? Ich meine, du hast selbst gesagt, dass wir uns Wochen nicht gesehen haben. Da ist es doch umso schöner, dass wir nun eine äußerst lange Reise vor uns haben oder nicht?“, schlug Morrin vor, vermutlich in der Hoffnung, die unangenehme Seite des Mischlings bändigen zu können. Silas hielt den Blick stur geradeaus gerichtet, als Zeichen des Unmuts ließ er lediglich die Muskeln seines Kiefers zucken. Doch er hörte zu, folgte der Ansprache seines Kindheitsfreundes mit mehr Aufmerksamkeit, als ihm selbst recht gewesen wäre.
„Ich weiß gar nicht wieso du so sauer bist? Amenion ist ein Kriecher, aber er zahlt gutes Geld und hält seine Verträge ein... Meistens.“
Der Blick, den Silas so störrisch nach vorne gerichtet hielt, fiel bei diesen Worten unweigerlich gen Waldboden, heftete sich nachdenklich an seine eigenen Füße. Meistens... meistens hatte er gesagt, als wäre es nichts. Als würde daran nicht alles hängen. Er biss die Zähne zusammen und spürte, wie der Schmerz im Kiefer zunahm. Vielleicht hatte es Morrin bemerkt, denn er setzte in seinem Monolog zügig, jedoch deutlich leiser nach.
„Und es geht ohnehin nur um sie und das was ihr Volk hütet. Glaub mir, du hast einen guten Deal gemacht mit Amenion."
Silas hob den Kopf, sah Morrin mit einem Zug um den Mund an, der die Geschmacklosigkeit dieser Äußerung widerspiegelte. Ihre Blicke kreuzten sich. Die Augenbrauen des Mischlings gruben sich tiefer Richtung Nasenwurzel, zeichneten tiefe Falten in die helle Haut. Wie konnte er so etwas sagen? Silas kannte Morrin - oder glaubte zumindest, ihn zu kennen. Er wusste, dass, obwohl Morrins Freundschaft ihre Reize hatte, seine Streiche meistens erst im Nachhinein amüsant waren. Sehr spät im Nachhinein. Wenn die blauen Flecken geheilt und alle Strafpredigten längst wieder vergessen waren. Er wusste, dass es unglaublich leicht war, mit Morrin das Rationale aus den Augen zu verlieren. Auch dass seine Versuche, der flatterhaften Art des besten Freundes zu widerstehen, schon immer ausgesprochen halbherzig gewesen waren, war ihm inzwischen klar. Wie Silas in diesem Moment allerdings erstmalig bewusst wurde, hatten sie kaum über die Aufträge gesprochen, zu denen Morrin stets aufgebrochen war. Im Grunde wusste er nichts von dem, was Morrin tat... oder bereits getan hatte. Es verwirrte Silas, dass er erst jetzt erkannte, dass wohl eine Seite an Morrin existierte, die er nicht kannte. Mit welcher Leichtigkeit der Nachtelf davon sprach, das fremde Heiligtum zu schänden, und Avalinn dabei außen vor ließ, als wäre sie nicht mehr wert, als irgendeine beliebige Schachfigur. Silas sah in die violetten Augen, plötzlich gelähmt und fasziniert von der kalten Berechnung, die irgendwo tief gelegen ihn ihnen flackerte und die er nicht verstand.
„Er wird Zahel nichts tun, wird ihr sogar etwas beibringen und sie fördern. Wir gewinnen alle. Naja, fast alle.“, fuhr der Verhüllte fort. Trotz der ernüchternden Erkenntnis nur wenige Augenblicke zuvor, welche seine Eingeweide immer noch verknotete, empfand Silas Dankbarkeit für all die leisen, hoffnungsschürenden Töne in Morrins Stimme. Gerne hätte sich Silas in das Gefühl der Zuversicht eingekuschelt, mit dem Morrin ihn so geschickt einwickeln wollte, alles darin war weich und samtig, ein wenig wie in Watte gepackt und wunderbar verlockend. Wäre er nicht der Pessimist gewesen, der er eben war, hätte er den Worten zweifellos Glauben geschenkt. Denn das, was grundsätzlich Silas wollte, was er neben all seinen Verpflichtungen tatsächlich mehr als alles andere auf der ganzen Welt wollte, war das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, ein Hauch von Abenteuer, Magie und Möglichkeiten. Vielleicht wusste Morrin das. Vielleicht versuchte er deshalb, diesen Strohhalm ganz bewusst zu seinen Gunsten zu nutzen.
„Ich habe schon einige Aufträge für die Ratte übernommen, aber der hier… der macht am meisten Spaß bisher.“, bei den Göttern, wie herrlich unempathisch! Auch wenn es Silas in seiner Befürchtung bestätigte, Morrin könnte zu vielerlei schlimmeren Dingen fähig sein, als das, was ihnen bevorstand, konnte sich der Mischling einen trockenen Pruster nicht verkneifen. Eigentlich hätte daran überhaupt nichts lustig sein sollen. Trotzdem hörte man den Mischling kaum hörbar glucksen – ein rasch verschluckter Laut hinter zusammengepressten Lippen. Ein wenig widersprüchlich, doch so war es mit Morrin schon immer gewesen.
„Du bist unmöglich", murmelte er leise und schüttelte leicht den Kopf.
„Du warst noch bei Myniel wie ich sehe. Wollte sie dich nicht aufhalten?“
Morrin zupfte an seinem Mantel, den Silas in Erwiderung ein wenig enger um sich raffte. Er wich dem Blick des Nachtelfen aus.
„Vielleicht besänftigt sie eine Rolle eldarischen Stoffs.", er zögerte, dann stahl sich ein kleines, schiefes Grinsen auf seine Lippen. Sein Blick zuckte seitwärts, um zu sehen, ob Morrin den selben Gedankengang hegte.
„Mh. Vielleicht doch eher zehn Rollen.", korrigierte er schmunzelnd. Es war allzu leicht, sich in dieser Art von Gespräch fallen zu lassen, in den plauderhaften Singsang zu verfallen, den Morrin so unverfroren anschlug. Beinahe genoss er es, dass sie sich gegenseitig so mühelos die Normalität vorgaukeln konnten. Doch das Lächeln auf seinen Lippen erstarb nur wenig später und als er sich abwandte, ließ Silas den Blick wieder durch die Wälder schweifen. Zu allen Seiten erstreckte sich die Wildnis, scheinbar endlos.
„Wie bist du überhaupt an all das geraten?“, Silas hoffte, dass Morrin nicht sah, wie sehr die Frage ihn aus seinen Gedanken riss. Nach kurzer Überlegung beäugte er den Verhüllten skeptisch. Silas war davon ausgegangen, dass Morrin über diesen unglücklichen Zufall Bescheid wusste. Dass dieser vielleicht sogar selbst seine Finger dabei im Spiel gehabt hatte. Es milderte die Kanten seiner verhärteten Front, obgleich die Mimik des Mischlings weiterhin irritierten Unglauben widerspiegelte.
Ja, wie war er da eigentlich reingeraten? Und wie ehrlich sollte er in der Beantwortung dieser Frage sein?
„Im Grunde habe ich auf dich gehört und versucht, eine Gelegenheit am Schopf zu packen.", antwortete er wahrheitsgemäß. Er konnte nicht verhindern, dass es fast ein wenig anklagend klang.
„Tja. Diese Gelegenheit hätte mir dann fast das Gesicht zu Brei geschlagen." , das wäre vermutlich noch ein glimpflicher Ausgang gewesen. Unterhalb des Umhangs knetete Silas seine Finger, schloss und öffnete die Fäuste in einem Versuch, die innere Anspannung abzubauen.
„So traf ich auf Avalinn und Amenion. Und... und auf diese Weise zahle ich jetzt für Avalinns Dienste, mit denen sie meiner Mutter geholfen hat.", schloss er schließlich und tankte dabei einen tiefen Atemzug kühler Luft.
Auch Silas' Blick haftete sich unweigerlich Avalinns Bewegungen an, sodass die Elfe ob der intensiven Musterung der beiden Männer vermutlich hätte schaudern müssen - doch sie schien zur Gänze vertieft. Bewundernd tauchte sie in die Natur ein, ließ die schlanken Finger über verschiedenes Geäst gleiten, berührte Blätter und Holz als wären es alte Freunde von ihr. Federnde Schritte trugen sie beinahe geräuschlos den Weg voran, dem Morrin und Silas duldsam folgten. Hatte sie vor ihrem Aufbruch noch ernsthaft, geradezu abweisend gewirkt, so ließ sie in diesem Moment nichts davon mehr erkennen. Als er die Heilerin so in ihrem Tun beobachtete, den weichen, fließenden Bewegungen mit Blicken folgend, spürte der junge Mischling eine sanfte Regung in sich. Das Blut strömte ihm warm durch seine Adern und eine beglückende Zufriedenheit legte sich auf ihn wie ein wohltuendes Gewicht, brachte ein Gefühl von Gelassenheit mit sich. Avalinn bewegte sich so losgelöst, leicht und schwerelos, als ließe der Boden unter ihren Füßen feste Konturen vermissen. Silas beobachtete sie gern. Es drängte die dunklen Gewitterwolken seines Geistes in die entlegensten Winkel, auf eine mitfühlende Weise beglückte es ihn, die Elfe so zu sehen. Silas bemerkte den fragenden Blick seines Freundes nicht, als sie gemeinsam stehen blieben und gleichsam gebannt auf Avalinn sahen, die der Sonne entgegen tanzte und in der Wärme der lichtdurchfluteten Lichtung badete. Während Morrins Augenbrauen einen fragenden Bogen spannten, zupfte in Silas' Mundwinkeln ein kleines Lächeln. In seinem Stand lehnte er sich leicht zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und fixierte die sonnetankende Avalinn mit einem goldäugigen Blick, in dem sich mehrere Regungen auf seltsame und unentwirrbare Weise mischten. Die Auge schwiegen voller Wärme während sein Gesicht sich zu einem Grinsen verzog; breit, überrascht, voller Zuneigung.
„Willst du das auch mal ausprobieren?“, neckte Morrin.
Die Elfe hatte ihr Sonnenbad beendet und ließ langsam, Schritt für Schritt, die Lichtung hinter sich.
„Ich bevorzuge es, Augenbrauen zu haben", hielt Silas spöttisch dagegen, immer noch schmunzelnd, die dunkle Stimme wie in Honig getunkt. Leicht amüsiert beobachtete er, wie Avalinn vorbeitrat, dann japste er überrascht, zuckte er vor Morrins flinken Fingern zurück, die ihn unbemerkt in die Seite geknufft hatten und rieb sich die empfindsame Stelle zwischen den Rippen. Im nächsten Moment schon spannte sich Morrin an, der nachtelfische Körper neben ihm begradigte sich ruckartig und reagierte mit einer Schnelligkeit, die Silas einen instinktiven Kälteschauer von seinen Fersen durch die Knie bis in die Wirbelsäule schoss. Er konnte der plötzlichen Bewegung kaum mit den Augen folgen. In ungeahnter Wendigkeit schoss Morrin los, an Avalinn heran, die er in einem kräftigen Ruck an sich riss. Im Grunde sah Silas von seiner Position aus nur rotbraunes Haar, welches wild durch die Luft stob, gefolgt von einem zu Boden rieselnden Gewirr aus Gliedmaßen. Silas blinzelte, etwas perplex, ließ den Blick pendeln, nicht wissend, wonach er eigentlich Ausschau hielt. Was bei allen Göttern... Klonk! Die Falle schnappte nach dem geworfenen Steinchen. Gnadenlos schlug das Eisen aufeinander, platzierte das Bild eines brechenden Knochen in Silas Geist. Er fröstelte, löste sich gewaltsam aus der Starre, um auf die am Boden liegenden zuzugehen.
„Schon ‚ne Idee wie Ihr mir danken wollt, Avalinn?“
„Runter von mir.“
Silas ignorierte den Drang, mit den Augen zu rollen, als er in kleinerer Entfernung stehen blieb und dabei zusah, wie sich die ungleichen Körper voneinander lösten und auf die Beine fanden. Er konnte allerdings nicht leugnen, dass es eine seltsame Zufriedenheit in ihm speiste, zu sehen, wie Avalinn die dargebotene Hand ausschlug. Weniger aufgrund irgendwelcher lächerlichen Besitzansprüche, wie er selbst glaubte, sondern mehr aufgrund der Tatsache, dass er dies kaum jemals hatte beobachten können, wenn es um Morrin ging. Die Heilerin zog sich von dem Nachtelfen zurück, wollte Abstand zu ihrem Retter gewinnen, dem sie zwar pflichtbewusst dankte, mit ihrer Stimme jedoch deutlich machte, dass er nichts Weiteres von ihr zu erwarten hatte. Silas stand immer noch einfach nur da, bewegte sich selbst dann nicht, als Avalinn sich in ihrer vermeintlichen Flucht vor den freundlichen Händen ihm etwas annäherte. Unsicher, wie er darauf zu reagieren hatte, hielt er einfach still. Sollte er zurückweichen? Ihr Platz lassen? Er sah sie an, betrachtete den Schreck in ihren dunklen, klugen Augen, bevor sie den Blick wieder senkte. Sie zupfte sich ein weiteres Blatt aus dem Haar. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass es wohl unangenehm sein musste, als Frau mit zwei Männern reisen zu müssen. Allein der Gedanke, Zahel oder Rhona mit zwei fremden Männern auf Wanderschaft zu schicken, schnürte ihm vor Unbehagen die Kehle zu. Grübelnd zog er das Kinn zur Brust, schielte im Augenwinkel immer wieder in Richtung der Elfe. Hatte sie etwas sagen wollen? Nein, vermutlich war sie froh, in Ruhe gelassen zu werden. Silas beließ es beim einvernehmlichen Schweigen, stand ihr einfach in zwangloser Vertrautheit zur Seite und wartete, bis sie so weit war, den Weg fortzusetzen. Als er spürte, dass sie den Schock niedergekämpft hatte, warf er ihr einen letzten Blick zu, sah ihr dabei auffordernd ins Gesicht und neigte den Kopf fragend zur Seite. Vorausgesetzt, sie würde ihm mit einem Nicken zu verstehen geben, dass sie weitergehen konnten, würde sich der Mischling in Gleichschritt mit ihr in Bewegung setzen. Silas ging neben ihr her, ließ sich nach kurzer Zeit allerdings ein paar Schritte zurückfallen, um ihr den nötigen Raum zu geben. Nachdem sie bereits Morrin so energisch weggewiesen hatte, ging der Mischling schlichtweg nicht davon aus, dass seine Nähe ihrem Wohlbefinden auf irgendeine Art und Weise zuträglich wäre.
So marschierten sie, bis Silas ein heißes Ziehen in den Oberschenkeln spürte, bis sich auch seine Fußsohlen vom stundenlangen Gehen ganz taub anfühlten. Bis auf einige Trinkpausen hatten sie den ganzen Tag genutzt, um eine ordentliche Wegstrecke zurückzulegen. Silas zweifelte nicht daran, dass Morrin notfalls auch tagelang durchmarschieren konnte, ohne nennenswert Pausen einlegen zu müssen. Wenn sich der Mischling nicht die Blöße geben wollte, bereits am ersten Tag ihrer Reise aus dem letzten Loch zu pfeifen, musste er nach einer Pause verlangen. Nicht, dass ihm das sonderlich leicht gefallen wäre. Die Sonne stand noch am Himmel, doch die Dämmerung tünchte die Umgebung bereits in rötliche Nuancen, von allen Seiten schienen langgezogene Schatten nach den drei Weggefährten zu greifen.
„Vielleicht sollten wir eine Rast einlegen.", meldete sich Silas irgendwann aus der hintersten Reihe zu Wort, er hatte die Nachhut gebildet, während Morrin die Führung der kleinen Truppe übernommen hatte. Der Mischling hielt kurz inne, warf einen sondierenden Blick in die nähere Umgebung. „Wir sollten etwas essen. Unsere Trinkschläuche auffüllen. Schlafen. Wir können in den frühen Morgenstunden weiterziehen." Die Nacht würde eisig werden, würde vermutlich wie bereits die Nacht zuvor alles mit Frost überziehen. Ein Feuer wäre unabdingbar, um sie warm zu halten. Je länger Silas seinen Blick ins Dickicht gerichtet hielt, desto öfter schien etwas hindurch zu huschen. Das erinnerte ihn daran, dass es zudem eine gute Möglichkeit wäre, die Vorteile der Dämmerung zu nutzen. Die nachtelfischen Augen funktionierten zu keiner Tages- oder Nachtzeit besser. Es wäre die richtige Zeit, um Fallen aufzustellen, ihnen ein Abendessen zuzubereiten, das ihnen die Mägen füllen, sie stärken und wärmen würde. Abwartend ließ er den Blick in die unterschiedlichen Gesichter seiner Begleitungen klettern.

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Re: Im Zwielicht des Verrats

Beitrag von Erzähler » Sonntag 2. Januar 2022, 18:46

Die Situation im Wald Arus war auch ohne die ungemütliche Witterung eher frostiger Natur. Das Aufeinandertreffen von Silas und Morrin hätte durchaus herzlich ausfallen können, wenn da nicht dieser nagende Zweifel gewesen wäre, der die Stimmung vergiftete. Und das kleine Missverständnis, dem Avalinn offenbar aufgesessen ist, als sie erkannte, dass sich die beiden Nachtelfen kannten. Ihre Beschreibung Morrins Silas gegenüber legte nahe, dass die Elfe keine gute Meinung von ihrem Begleiter hatte und sie wusste nicht einzuschätzen, ob die Bekanntschaft von Silas und Morrin an ihrem Bild von Silas etwas änderte. So musste es soweit kommen, dass sich die Heilerin verschloss und lieber zurückzog, um wortkarg die Reise zu beginnen, als sich plaudernd mit beiden auszutauschen. Anders war das bei den beiden Freunden: Silas war ebenfalls nicht nach reden zu Mute und doch schaffte Morrin es spielend, das Gespräch zu eröffnen. Die ungezwungene Art des Kleineren hatte stets eine Faszination ausgeübt denn es schien, als könnte ihm nichts und niemand etwas ausmachen. Die Sorglosigkeit mit der Morrin Situationen begegnete hätte durchaus auch etwas Positives bringen können doch so wirkte sie plump und kam einem Messer gleich, das er Silas' in den Rücken jagte.
Am Anfang erst zögerlich, dann immer gelöster, kamen tatsächliche Worte und schlussendlich auch Sätze aus der Kehle des Mischlings. Bis sich das verworrene Geflecht in seinem Magen plötzlich und schlagartig in einem Pruster zum Teil löste. Morrins Blick ruhte auf seinem Freund, als Silas ihm seine weniger ausgeprägte Empathie vorwarf. Sein Blick fragte ‚wieso?‘, als wisse er nicht was Silas meinen könnte. Das minimale Lächeln um seinen Zug aber zeigte deutlich den Schabernack in seiner Seele. Und er wurde belohnt: Silas machte einen Scherz! Morrin hob überrascht beide Augenbrauen und erst als Silas noch mal nachlegte, prustete auch der Kleinere. „Ja! 10 Rollen eldarische Kostbarkeit UND einen eldarischen Prinzen der sie auf Händen trägt… Also Myniel, nicht die Rollen.“, grinste er ehrlich amüsiert und folgte dem kurzen Schweigen, das darauf folgte. Die nächste Antwort die Silas ihm gab, wischte Morrin das Lächeln aus dem Gesicht und Ernsthaftigkeit fand Einzug darin. „Ah,.. verstehe.“, kam es dann von ihm und man merkte ihm an, dass er nicht wirklich gewusst hatte, wie Silas dazu kam in dieser Situation zu sein. „Ja, er liebt es, als der Gönner aufzutreten und sich dann einen Vorteil zu erkaufen, bei dem der andere noch drauf zahlt.“, antwortete er ehrlich und eine leise Bitterkeit lag darin, doch die hielt kaum einen Wimpernschlag an.
Morrin wollte gerade noch etwas sinnloses erwidern, als sich Avalinn in die Aufmerksamkeit schob und die beiden Nachtelfen ihrem Schauspiel zusahen. Während Silas eine gewisse Wärme verspürte, ließ Morrin sich nicht in die Karten gucken. Er betrachtete das ganze nur fragend, ehe er aber dem Ausdruck in Silas' Gesicht gewahr wurde. Ein hinterhältiges Grinsen fand seinen Platz im Gesicht des Kriegers und er stellte abschätzig seine Frage, bevor er ihm in die Seite knuffte. Danach ging alles sehr schnell und gipfelte darin, dass eine recht erschrocken wirkende Avalinn unbewussten Schutz bei Silas suchte und Morrin die Führung übernahm.

Hier zeigte sich eines seiner Talente, denn sie liefen nicht einmal Gefahr, in eine weitere Falle zu tappen. Allerdings erwähnte Morrin auch, wenn sie eine passierten oder entschärfte sie. „Vermutlich Jäger die hier irgendwo ihr Lager aufgeschlagen haben. Seid vorsichtig.“, warnte er sie einmal, als das Gespräch der eigentlichen Freunde bereits Stunden her war. Avalinn hatte ihre Worte noch nicht wiedergefunden und so blieb es eine recht karge und kalte Weiterreise. Die Sonne wanderte stetig ihren Weg und auch wenn das dichte Blätterdach des Arus’ kaum einen Blick darauf zuließ, so spürte man doch, dass die wenige Wärme des Tages mehr und mehr wich. Sie waren seit dem frühen Morgen unterwegs und hatten nur selten und nur kleine Pausen gemacht. Außer dass mal ein Reh durch das Unterholz knackte oder ein Hase durch die gefallenen Blätter raschelte, passierte stundenlang überhaupt nichts. Allmählich machte sich das Wetter und die Reise aber bemerkbar. Die Glieder wurden steifer, die Finger und Zehen blieben kalt und nichts konnte gegen die klirrende Kälte helfen. Hier im Arus lag nur vereinzelt Schnee, denn der dichte Bewuchs hielt die Flocken davon ab, alles in die helle Reinlichkeit zu tauchen. Doch darüber hinaus, setzte gegen späten Nachmittag ein leichter Schneefall ein. Die Sonne hatte sich bereits dem Erdboden zugeneigt und war hinter dem Grau der Wolken verschwunden, sodass der Wald noch dunkler und die Kälte noch greifbarer wurde. Avalinn fröstelte vor Silas, wie er an ihrer Körperhaltung erkennen konnte und auch sie rieb sich unter ihrem Umgang die Finger, um etwas Wärme zu erhalten. Plötzlich durchdrang die Stimme des Mischlings die ruhige Gemeinschaft und brachte sowohl die Heilerin, als auch Morrin zum Stehen. Letzterer verzog das Gesicht und sah sich demonstrativ um, als müsste er erstmal den geeigneten Platz finden. “Jetzt? Hier?” hakte er nach und ließ sich sogar absichtlich Zeit, bevor er auf Silas reagierte: “Na meinetwegen, wenn du müde bist, dann sollten wir hier rasten.”. Er konnte es zwar nicht lassen, Silas zu ärgern, aber klang dabei nicht wirklich gehässig. Morrin zuckte die Schultern und sah sich abermals um.
Um sie herum standen die Bäume recht dicht und es gab kaum ein geeignetes Fleckchen, um sich etwas mehr auszubreiten. Avalinn stand zwischen ihnen und verhielt sich weiter ruhig, bis sie einen Arm hob und durch die Bäume deutete. “Dort.”, kam ein einzelnes Wort über die blassen Lippen und trotz allem klang ihre Stimme in der Kälte gleich wie eine liebliche Melodie. Morrin folgte ihrem Fingerzeig und nickte. Mit geschürzten Lippen, lächelte er der Heilerin zu. “Sehr gutes Auge, Ava. Du bist ein Naturtalent im Finden von Rastplätzen.”, schnurrte er mit einem Zwinkern und grinste dabei breit. Avalinn zog ihren Umhang enger und ging an ihm mit einem knurrigen “Avalinn.”, vorbei, auf den auserkorenen Platz zu. Hier standen die Bäume etwas weiter auseinander und schafften so Raum, um zumindest ein Feuer und drei Schlafmöglichkeiten zu etablieren.

Die Heilerin legte ihren Rucksack ab und kreiste die Schultern, als das Gewicht von ihr abfiel. Kurz schloss sie dabei die Augen, bevor sie sich dann hinhockte und ihren Rucksack öffnete. Morrin trat an Silas heran und beobachtete Avalinn dabei. In seinem Ausdruck lag etwas, was nicht ganz greifbar zu sein schien. Es wirkte beinahe wie.. ein Jagdinstinkt der geweckt war. Doch als er mit seiner Aufmerksamkeit auf Silas traf, war davon nichts mehr zu sehen. „Bist du noch so geschickt mit dem Bogen? Mit dem Fallenstellen? Ich gebe zu, dass ich das Handwerk meines Vaters nicht mehr groß beachtet habe und mich lieber anderer… Beute zuwende. Ich würde mich dann um das Feuer und die Sicherheit kümmern.“, schloss er und ließ dabei ganz bewusst offen, von welcher Art Beute er eigentlich sprach. Eines war jedenfalls deutlich: Sein Freund war längst den Späßen, wie das Stehlen von Nachtwölkchen, entwachsen und konzentrierte sich auf sehr viel gefährlichere Dinge. Morrin wartete gar nicht groß auf eine Erwiderung, sondern stampfte, sich etwas in die Hände blasend, weiter und verschwand dann kurz darauf im Dunkel des Waldes. Stille kehrte ein und irgendwo rief ein Waldkauz. Avalinn hatte ihrem Rucksack bereits drei Decken entnommen und diese zur Seite gelegt. Sie würden zwar kein weiches Bett zaubern, aber ein wenig die Kälte und die Nässe abhalten, wenn sie drauf saßen oder lagen. Immer wieder rieb Avalinn ihre kalten Finger und pustete hinein. Es wurde immer kälter. Es dauerte eine kleine Weile, in der jeder seiner Aufgabe nachging, bis sie ungefähr eine Stunde später ein halbwegs gemütliches Lager errichtet hatten. Zwar bestand dieses nur aus drei Decken und in der Mitte einer mit Steinen umrundeten Feuerstelle, aber das Feuer spendete Wärme und Licht – zumindest Avalinn wusste das zu schätzen. Morrin hatte sich, nachdem das Feuer entzündet war, noch mal zu einem Rundgang verabschiedet, damit sie nicht Gefahr liefen, selber Beute zu werden und wenn Silas erfolgreich gewesen war, würden sie sicher auch bald etwas essen können.
Schweigend saß Avalinn am Feuer und hatte ihre Tasche auf dem Schoß, die Silas als diejenige erkennen konnte, in der sie die Utensilien dabei hatte, mit der sie seiner Mutter half. Stoisch schien sie sie zu sortieren, ganz so, als wolle sie nicht reden. Doch irgendwann konnte sie diese Arbeit nicht mehr aufrecht erhalten, auch weil ihre Hände so kalt waren, dass sie kaum noch damit greifen konnte und so stellte sie die Tasche hinter sich und rutschte näher ans Feuer. Die Schatten tanzten auf ihrem Gesicht, während die Scheite immer mal wieder knackten. „Ist er der Bruder von eurer Freundin, von dem ihr mir erzählt habt, Silas?“, durchbrach sie mit einem Mal die Stille. „Mit dem ihr die Nachtwölkchen entwendet habt?“. Sie hob ihren bernsteinfarbenen Blick und sah Silas direkt an. Die Frage klang nach Plauderei, doch letztendlich versuchte sie herauszufinden, ob sie Silas überhaupt trauen konnte. Ob er der war, den sie glaubte in ihm zu sehen. Denn für sie sah es so aus, als ob die beiden vielleicht sogar gemeinsame Sache machen könnten, ungeachtet dessen, ob Spannungen zwischen ihnen herrschten. Sie war jedenfalls augenblicklich vorsichtig geworden, wie er hatte feststellen dürfen. Das war wohl der Grund dafür- seine Freundschaft zu Morrin, ihrem Aufpasser gesandt von Amenion, damit die Reise nicht scheiterte und, damit Avalinn auf jeden Fall zurückkehrte. Immer wieder wärmte die Heilerin ihre Finger am Feuer, auch wenn die Kälte in jede Ritze kroch und sie immer mehr auskühlten. Im Sommer wäre die Reise definitiv angenehmer gewesen, aber für die Nachtelfen auch beschwerlicher, da sie der Sonne besser nicht zu nahe kamen.
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